Nils Büttner
HIERONYMUS BOSCH
C.H.Beck
Bis auf den heutigen Tag zählt Hieronymus Bosch (um 1450/55–1516) zu den beliebtesten und meistdiskutierten Malern der europäischen Kunstgeschichte. Seine Bilder geben dem Betrachter zahllose Rätsel auf und haben zu manchen abenteuerlichen Interpretationen geführt, die Bosch in den Randzonen der da-maligen Gesellschaft ansiedelten. Nils Büttner gibt in diesem Band eine anschauliche, historisch fundierte Einführung in Leben und Werk Boschs, zu dessen Auftraggebern der niederländische Hochadel und der burgundische Hof Philipps des Schönen gehörten. Vor dem Hintergrund der damaligen Kultur und Religiosität deutet Büttner Boschs Werke, unter denen die Darstellungen von Heiligen, Asketen und Einsiedlern, die Moralsatiren sowie die großen Triptychen herausragen. Schließlich zeigt er, wie schon zu Lebzeiten Boschs dessen Werke kopiert und dessen Stil nachgeahmt wurden. Auch dadurch begründete sich der bis heute anhaltende Ruhm des Künstlers.
Nils Büttner ist Professor für Mittlere und Neuere Kunstgeschichte an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste Stuttgart. Bei C. H. Beck sind von ihm erschienen: Rubens (2007), Vermeer (2010) und Pieter Bruegel d. Ä. (2018).
1. Im Anfang
2. Ein Maler in Den Bosch
3. Geistliche Stiftungen
4. Von Weihnachten bis Ostern
5. Fromme Exempel
6. Kunst der Erfindung und Erfindung der Kunst
7. Todsünden und Weltgericht
8. Heuwagen und Garten der Lüste
9. Die Torheit der Welt
10. Interpretationen
Literatur
Bildnachweis
Personenregister
Werkregister
Für Rike
Die Heimatstadt Hieronymus Boschs, deren Namen er annahm, war ’s-Hertogenbosch, von seinen Einwohnern meist nur Den Bosch genannt. Sie liegt in den Niederlanden; ins holländische Haarlem ist es von dort etwa genauso weit wie ins heute belgische Antwerpen. Diese Tatsache blieb für die Deutung von Boschs Werk nicht ohne Folgen. Denn seine vermeintliche Sonderstellung im Bereich der sogenannten altniederländischen Malerei wurde von einer in nationalen Schulen denkenden Kunstgeschichtsschreibung als erste Andeutung einer nordniederländischen Eigenart gedeutet, die man auch für die Malerei des sogenannten Goldenen Zeitalters unterstellte. Doch Belgien gab es zu Boschs Zeit noch nicht, und die Niederlande waren auch lange darüber hinaus ein einheitlicher Kulturraum. Bosch wurde von Künstlern aus den südlichen Niederlanden stark beeinflusst und hat gerade dort eine breite Nachfolge gefunden. Eine schier unüberschaubare Zahl von Kopien und Nachahmungen, die teils schon zu seinen Lebzeiten entstanden, legt davon beredt Zeugnis ab.
Außer seinen Bildern hat Bosch nichts von dem hinterlassen, was Interpreten gerne lesen. Es gibt von ihm keine Tagebücher, Briefe oder anderen persönlichen Äußerungen über sich und seine Kunst. Er wäre mithin ein idealer Kandidat, um die Idee vom «Tod des Autors» auf die Probe zu stellen, die Idee, dass die Person hinter dem Werk keine Rolle für dessen Deutung spielen könne. Doch statt Boschs Bilder im Zusammenhang der Kunst und Kultur ihrer Zeit zu verorten, wurde aus ihnen auf ihren Verfertiger zurückgeschlossen. Nicht immer wurde dabei zwischen nachweislich eigenhändigen Arbeiten und Imitationen unterschieden. Die vom Geniekult des 19. Jahrhunderts geprägte Künstlerbiographik ließ Bosch zum bahnbrechenden Wegbereiter des Surrealismus werden und zum malenden Ketzer, der sektiererischen Geheimbünden nahegestanden habe. Man hat den Maler einer häretischen «Bruderschaft vom Freien Geiste» zugesellt, deren Lebenslehren ihm die Motive seiner Bilder diktiert hätten. Er wurde zum Adamiten, Katharer, Astrologen, Alchemisten oder Psychopathen erklärt, und aus seinen Bildern schloss man auf den Gebrauch von «Hexensalbe» oder psychedelischen Drogen. Auch in der Traumdeutung, der Psychoanalyse und dem kollektiven Unbewussten wurde nach Erklärungen für seine Bilder gesucht. Und es ist sicher kein Zufall, dass in den Jahrzehnten der Entdeckung des menschlichen Seelenlebens und der Psychoanalyse die Beschäftigung mit Bosch sprunghaft zunahm. Die erste Monographie in Buchform erschien 1907, und ihr Verfasser Maurice Gossart kam damit dem wachsenden Interesse an dem «faizeur de Dyables» entgegen. Das Prädikat des «Teufelsmachers», das im Titel dieses Buches verwendet wurde, haftet dem Maler allerdings bereits seit dem 16. Jahrhundert an. Erstmals begegnet es knapp ein halbes Jahrhundert nach Boschs Tod bei Marcus van Varnewijck, der kurz nach dem Jahr 1568 schrieb, dass man Bosch den «duvelmakere» genannt habe. Doch war er das wirklich?
Eine präzise kunsthistorische Stilkritik hat das als authentisch geltende Œuvre Boschs erheblich schrumpfen lassen. Während es für Charles de Tolnay 1937 noch 41 eigenhändige Bilder gab, ließ Gerd Unverfehrt 1980 nur mehr 25 gelten. Eine weitere Eingrenzung erbrachten naturwissenschaftliche Analyseverfahren, vor allem die Altersbestimmung der verwendeten Maltafeln mittels Dendrochronologie. Das Bosch Forschungsprojekt (BRCP) geht heute von zwei Dutzend eigenhändigen Arbeiten aus. Teils handelt es sich dabei um einst zusammengehörige Fragmente größerer Werke, die auf verschiedene Museen verteilt sind. Die Eingrenzung des Œuvres hat zugleich dessen thematischen Fokus verschoben. Statt der von bizarren Mischwesen bevölkerten, düster phantastischen Höllenszenen erscheinen nun die eher traditionellen Motive der christlichen Bildwelt als Schwerpunkt.
Damit werden auch die zahlreichen Rückschlüsse von den Bildern auf die Psychopathologie des Künstlers zunehmend fragwürdig, auch wenn sie sich auf eine lange Tradition berufen können. Eines der frühesten ausführlichen Zeugnisse über Bosch ist in einer 1605 verfassten «Geschichte des Hieronymitenordens» enthalten. Sie bietet eine Chronik des Klosters El Escorial, das Philipp II. von Spanien gestiftet hatte. Vier Jahrzehnte nach dem Konzil von Trient, das sich ausdrücklich gegen Bilder aus der Zeit Boschs ausgesprochen hatte, die die Betrachter in die religiöse Irre führen könnten, versuchte Fray José de Sigüenza, die Vorliebe des allerkatholischsten Königs für diese Werke zu erklären. Die Autorität des Königs wird für Sigüenza zum Bürgen für die über jeden Verdacht der Häresie erhabenen Bilder Boschs. «Der Unterschied, der meiner Ansicht nach zwischen den Gemälden dieses Mannes und denen anderer besteht», so Sigüenza, «liegt darin, dass die andern suchen, den Menschen so oft wie möglich so zu malen, wie er von außen aussieht, während er den Mut hat, ihn so zu malen, wie er im Inneren ist.» Boschs Bilder wurden auf diese Weise schon früh zu Zeugnissen des Seelenlebens eines Malers, über dessen Leben Sigüenza genauso wenig wusste wie sein Zeitgenosse Karel van Mander. Der bekennt in seiner 1604 publizierten Sammlung von Lebensbeschreibungen der berühmtesten niederländischen Maler freimütig, er habe, außer dass Bosch «schon zu sehr früher Zeit gelebt hat, keine Daten über sein Leben und Sterben in Erfahrung bringen können».
Seit den Zeiten van Manders hat sich das biographische Wissen erheblich vergrößert. Heute ist das Leben Boschs besser dokumentiert als das der meisten niederländischen Maler seiner Zeit. So lässt sich ein durchaus facettenreiches Bild seiner Existenz zeichnen. Die im Folgenden erzählte Geschichte stützt sich vor allem auf die materielle Überlieferung. Sie erkennt damit an, was der Historiker Reinhart Koselleck das «Vetorecht der Quellen» nennt. Die zahlreich erhaltenen materiellen Zeugnisse, Bilder, Urkunden und Dokumente, legen zwar nicht fest, was man über Boschs Biographie sagen kann oder soll, aber sie bestimmen durchaus, was nicht gesagt werden darf. Das Folgende darf gesagt werden.
Den Weg ins Rathaus von Den Bosch hatte der Maler Anthonius van Aken schon häufig angetreten. Am 5. April 1474 begleitete er seine nicht rechtsfähige Tochter Katharina, um die Begleichung einer Pachtzahlung bestätigen zu lassen. Sowohl der Vater Anthonius als auch die Brüder Goessen, Jheronimus und Johannes gaben dazu ihre Zustimmung. Die trivial anmutende Rechtsurkunde ist das früheste überlieferte Zeugnis aus dem Leben des später berühmten Malers. Da der Schreiber den Namen erwähnt, wird Bosch zu diesem Zeitpunkt rechtsfähig gewesen sein. Das erst im 16. Jahrhundert kodifizierte Gewohnheitsrecht schrieb dafür ein Alter von 24 Jahren vor. So wird Bosch, selbst wenn man seinerzeit früher für mündig befunden wurde, zwischen 1450 und 1455 geboren sein. Zugleich überliefert die Urkunde erstmals die Schreibweise seines Vornamens. Sein erster Biograph van Mander verwandte 1604 die niederländische Namensform «Ieronimus», der Spanier Sigüenza schrieb zur selben Zeit «Geronimo». Zwar ist keine eigenhändige Unterschrift überliefert, doch findet sich auf verschiedenen Werken die Signatur «Jheronimus Bosch». Sie wurde früh zum international bekannten Markenzeichen, auch wenn heute nicht mehr alle Werke, auf denen sie auftaucht, als eigenhändig gelten. Wie Bosch selbst seinen Namen schrieb, bezeugt auch eine Notiz in den Unterlagen der Liebfrauenbruderschaft in Den Bosch. Deren Schreiber notierte am 10. März 1510, dass man im Hause des Mitbruders Hieronymus van Aken zu Gast gewesen sei, des Malers, «der sich selbst Jheronimus Bosch schreibt». Seine Familienangehörigen und Mitbürger nannten ihn Joen (gesprochen: Juhn), eine Namensform, die in verschiedenen Dokumenten bezeugt ist. Heute hat sich die latinisierte Form Hieronymus Bosch etabliert, die hier im Folgenden verwandt wird.
Insgesamt sind aus einem Zeitraum von 42 Jahren mehr als 50 Urkunden erhalten, die Rückschlüsse auf Boschs Leben zulassen. Über seine Ausbildung ist nichts bezeugt, doch wird er die Lateinschule besucht haben. Das wird nicht nur durch seinen späteren Lebenslauf nahegelegt, sondern auch durch sein Herkunftsmilieu. Will man der um die Mitte des 16. Jahrhunderts verfassten Stadtchronik des Albertus Cuperinus glauben, war es in ’s-Hertogenbosch üblich, die Kinder von klein auf in die Schule zu schicken oder sie ein Handwerk lernen zu lassen. Auf Bosch trifft beides zu. Seine Malerlaufbahn trat er als Mitarbeiter in der väterlichen Werkstatt an. Anthonius van Aken führte bereits in zweiter Generation eine der angesehensten Malerwerkstätten der Stadt. Sein Vater, Jan van Aken, der Großvater von Hieronymus, hatte sich um das Jahr 1427 aus Nijmegen kommend als Maler in der Stadt niedergelassen, wo vier seiner fünf Söhne ebenfalls Maler wurden. Und schon sein Vater, Boschs Urgroßvater Thomas, war Maler gewesen. Aus Aachen – woher sich auch der Familienname van Aken ableitet – war er in die Niederlande gezogen und hatte sich 1404 in Nijmegen niedergelassen. Dass verschiedene männliche Mitglieder einer Familie den gleichen Beruf ausübten, war damals nicht unüblich. Dennoch gibt es aus den Niederlanden jener Zeit kein zweites Beispiel einer gleichermaßen gefestigten Malertradition.
Das Haus, in dem Bosch Teile seiner Kindheit und seine Jugend verbrachte, stand am Marktplatz. Boschs Vater hatte das «Sint Thoenis» (St.Antonius) genannte Anwesen, das heute die Anschrift «Markt 29» trägt, 1462 erworben. Nach Anthonius van Akens Tod fiel es 1478 an Boschs älteren Bruder, Goessen «den Maler», der es nach seinem Tod 1498 seinem Sohn Jan hinterließ, der als Bildschneider tätig war. Auch Jan «der Maler», der Bruder von Goessen und Hieronymus, lebte und arbeitete bis zu seinem Tode 1499 in diesem Haus, genauso wie Goessens Sohn, der Maler Anthonius, der 1516 starb. Ebenso wohnten weiterhin Boschs Mutter Aleid und Goessens Frau Katelijn dort und außerdem wohl auch Hausangestellte und Werkstattmitarbeiter.
Ein Hinweis auf die Malerfamilie van Aken findet sich in den Urkunden der ehrwürdigen Liebfrauenbruderschaft, die 1475/76 bei dem Utrechter Bildschnitzer Adriaen van Wesel ein Altarretabel bestellen wollte. Zu der in einer Weinstube abgehaltenen Besprechung waren auch Anthonius van Aken «und seine Söhne» geladen. Fünf Jahre später begegnet einem in den Urkunden hinter Boschs Namen erstmals der Zusatz «der Maler», so etwa, als er bei der Liebfrauenbruderschaft für einen kleinen Betrag die nicht mehr benötigten Flügel von deren altem Altarretabel erwarb.
Die erhaltenen Rechtsurkunden dokumentieren vor allem Immobilien- und Finanztransaktionen. So verzeichnen sie beispielsweise am 3. Januar 1481, dass Bosch seinen Erbteil am väterlichen Haus an seinen Bruder Goessen verkaufte. Aus den Jahren zwischen 1474 und 1481 gibt es keine Urkunden oder Dokumente, die Boschs Anwesenheit in seiner Heimatstadt belegen würden. Ob er in diesen Jahren gereist ist oder als Mitarbeiter der väterlichen Werkstatt nur nicht juristisch in Erscheinung trat, muss offenbleiben. Da er 1481 seinen Anteil am väterlichen Haus verkaufte, wird er zu diesem Zeitpunkt wohl bereits bei seiner Frau gelebt haben – auch mit Blick auf die Wohnsituation in seinem Elternhaus eine verständliche Entscheidung. Der damals etwa 30-jährige Bosch hatte vermutlich Ende des Jahres 1480 die nur wenige Jahre ältere Aleid van de Meervenne geheiratet. Sie entstammte einer begüterten Kaufmannsfamilie und verfügte über Geld, Grundbesitz und eine weitverzweigte Verwandtschaft. Ihr Vater war gestorben, als sie kaum elf Jahre alt war. Um das Jahr 1474 starb auch ihre Mutter, mit der sie zusammen in einem Haus in der Schilderstraat gewohnt hatte. Durch zahlreiche Erbschaften fielen ihr darüber hinaus diverse Ländereien in der Umgebung von ’s-Hertogenbosch und ein am Marktplatz gelegenes Haus zu, das 1477 für sechs Jahre vermietet wurde.
Nach dem Jahr 1481 begegnet einem der Name Boschs beinahe nur noch in Rechtsakten, die mit der Verwaltung des Vermögens seiner Frau zu tun haben. So verkaufte er am 15. Juni 1481 Aleids ererbten Anteil an einem Landgut an seinen Schwager Godefridus, mit dem man sich drei Wochen später, am 3. Juli, auf eine Beilegung der zwischenzeitlich ausgebrochenen Zwistigkeiten einigte. In den folgenden Jahren verkaufte das junge Paar einzelne Liegenschaften aus Aleids Erbe. Die Verkäufe wurden am 11. April 1482 und am 21. März 1483 beurkundet, jeweils etwa eine Woche vor dem damals noch auf Ostern terminierten Jahreswechsel. Mit dem aus diesen Verkäufen erlösten Geld ließ sich in größter Unabhängigkeit leben und wirtschaften. Zudem mag es dem Aufbau einer eigenen Werkstatt gedient haben. Spätestens 1483 zogen der Maler und seine Frau in das bislang vermietete Haus am Markt, das nur wenige Schritte von Boschs Elternhaus entfernt stand. «In den Salvatoer» (Zum Erlöser) besaß eine 19 Fuß, also knapp fünfeinhalb Meter, breite Fassade mit einem Treppengiebel. Die insgesamt vier Geschosse hatten eine Grundfläche von 465 Quadratmetern. Hinzu kam ein Hinterhaus, das ebenfalls Wohn- und Nutzflächen bot, so dass der Familie insgesamt 650 Quadratmeter zur Verfügung standen. 1553, das Haus war zu diesem Zeitpunkt längst in anderem Besitz, gab es dort fünf Kamine, einen Backofen, ein Brauhaus und sogar ein beheizbares Bad. Auch wenn diese Annehmlichkeiten möglicherweise erst später hinzukamen, bot das Haus doch genügend Platz für eine Werkstatt und eine standesgemäße Haushaltung. Dazu gehörte auch Personal, zum Beispiel die Werkstattmitarbeiter Boschs, seine «Knechten». Auch die Arbeit im Haushalt wurde von Gesinde unterstützt, die Quellen sprechen von «weerts gesynne in de koecken» und den «maeghden», die bei festlichen Banketten gesondert entlohnt wurden.
Insgesamt zeugen die städtischen Quellen von dem Wohlstand, in dem Bosch und seine Frau lebten. Sie hatte 1484 auch noch das in Oirschot bei Eindhoven gelegene Landgut «Ten Roedeken» geerbt, das auch über den Verkauf von Holz aus den zugehörigen Wäldern beträchtliche Erträge abwarf. Spätestens zu dieser Zeit war Bosch nicht mehr darauf angewiesen, für seinen Lebensunterhalt zu arbeiten. 1487 war er sogar in der Lage, Geld zu verleihen. 1498 gehörten der Maler und seine Frau zu den 2000 wohlhabendsten unter den etwa 20.000 Bürgern von ’s-Hertogenbosch. Im Jahre 1502/03 wurde Bosch mit einer Steuer von fast fünf Gulden veranlagt, dem Neunfachen dessen, was alle anderen zahlten. Bosch gehörte seit dieser Zeit in seiner Heimatstadt der kleinen Elite an, die mehr als die Hälfte des Steueraufkommens erbrachte und beinahe den gesamten Besitz auf sich vereinte. Ob es um das «Reitergeld» ging, eine 1505/06 für den Kampf gegen den Herzog von Geldern erhobene Kriegssteuer, oder um die alljährlich erhobenen Abgaben, stets blieb Bosch einer der am höchsten veranschlagten Steuerzahler.
Zunehmend dürfte ihm auch seine Kunst ein beträchtliches Einkommen beschert haben. So erhielt er beispielsweise im September 1504 eine Anzahlung von 36 Gulden für ein Weltgerichtstriptychon, das Philipp der Schöne bestellt hatte. Für das fertige Werk wurden 360 Gulden in Ansatz gebracht – eine gewaltige Summe, denn das Jahreseinkommen eines Steinmetzmeisters zum Beispiel lag damals bei etwa 55 Gulden. Da die Lebenshaltungskosten hoch waren, entsprach das in etwa dem standesgemäßen Jahresbedarf eines gehobenen städtischen Haushalts. Man konnte jedoch für diesen Betrag auch ein Handelsschiff kaufen: Eine Kogge, das seinerzeit am weitesten verbreitete Seeschiff, kostete in Antwerpen zwischen 30 und 150 Gulden.
Mehr noch als der Kaufpreis spricht es für den damaligen Ruhm von Bosch, dass ihn der hauptsächlich in Brüssel residierende habsburgische Landesherr mit einem repräsentativen Werk beauftragte. Alles deutet darauf hin, dass Bosch früh die Aufmerksamkeit höfischer Mäzene gefunden hat. So besaß die niederländische Statthalterin Margarete von Österreich schon zu Lebzeiten des Malers eine Versuchung des hl.Antonius von ihm. Auch die 1504 verstorbene Königin Isabella von Kastilien besaß Bilder von Bosch, genauso wie der 1523 verstorbene venezianische Kardinal Domenico Grimani.
Für Boschs Stellung innerhalb der städtischen Gemeinschaft war es von größter Bedeutung, dass er im Rechnungsjahr 1486/87 Mitglied der noch heute bestehenden Bruderschaft Unserer Lieben Frau geworden war. Die 1318 gegründete geistliche Bruderschaft hatte zum Ende des 14. Jahrhunderts einen so starken Zulauf erfahren, dass es zu einer Teilung zwischen den mehrere tausend äußeren Mitgliedern und dem inneren Kreis der geschworenen Brüder kam. Die etwa 50 bis 60 geschworenen Brüder, zu denen auch Bosch bald nach seiner Aufnahme gehörte, waren bei Strafe eines Bußgeldes verpflichtet, an den sonntäglichen Gottesdiensten und jeden Dienstag und Mittwoch an der Vesper teilzunehmen, außerdem an fast 20 kirchlichen Festtagen an Vesper und Messe sowie an drei jährlich durchgeführten Prozessionen. Alle sechs bis acht Wochen fand eine gemeinsame Mahlzeit statt, die genauso verpflichtend war wie die Beteiligung an den seit dem späten 15. Jahrhundert in unregelmäßigen Abständen veranstalteten Passionsspielen. Mit den anderen geistlichen Institutionen der Stadt, deren Vertreter man regelmäßig bei gemeinsamen Mahlzeiten freihielt, stand die Liebfrauenbruderschaft in engem Austausch. Man pflegte Kontakte zu den als Brüder vom gemeinsamen Leben bekannten Fraterherren, zu den auf eine strenge Einhaltung der Ordensregeln achtenden Dominikanern, aber auch zu den Gilden der Stadt, zum Beispiel zur Rhetoriker-Gilde «De passiebloem», die ebenfalls geistliche Spiele aufführte.
Bosch dürfte etliche der etwa 1100 in Den Bosch lebenden Geistlichen persönlich gekannt haben. Dank der engen Kontakte der Liebfrauenbruderschaft zu den Fraterherren konnte er mit der devotio moderna