Reinhard Vieth
bye bye SPD
Aus dem Lebensweg eines sozialen Demokraten
Impressum
Die abgebildeten Personen haben ihr Einverständnis zur Publikation erteilt. Für die Abbildung der Grafiken auf den Seiten 292 und 294 hat der Bundeswahlleiter sein Einverständnis erteilt.
Die Grafik auf Seite 306 wurde von der OECD veröffentlicht.
Copyright © 2020 Reinhard Vieth
Autor: Vieth, Reinhard
Umschlaggestaltung, Illustration: Reinhard Vieth
Lektorat, Korrektorat: Joachim Vieth
Verlag & Druck: tredition GmbH, Halenreie 40-44, 22359
Hamburg
ISBN:
978-3-347-07838-3 (Paperback)
978-3-347-07839-0 (Hardcover)
978-3-347-07840-6 (e-Book)
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Einführung
Der Autor fängt in seiner frühen Jugendzeit an, wie er geprägt durch das Elternhaus Willy Brandt, auf dessen erster Wahlkampftour, in Detmold, vom Kirchturm aus auspfeift. Wie er dann jedoch als Heranwachsender, in seiner Lehrzeit in die Gewerkschaft eintritt und sich sein politisches Bild zu wandeln beginnt.
Später, als Soldat und junger Familienvater tritt er in die SPD ein und wird zum glühenden Verehrer von Willy Brandt. Erste Fragen zum Inhalt der Sozialdemokratie stellen sich ihm, als Helmut Schmidt die Regierungsgeschäfte übernimmt. Inzwischen von der uniformierten Bundeswehr, zur Ausbildung in die Bundeswehrverwaltung eingetreten, fällt ihm auf, dass das eine erzkonservative Verwaltung ist, in der die bürgerliche Freiheit wenig Platz hat. Er verlässt seinen Beamtenstatus und geht zur Kirche, um dort ebenfalls festzustellen, dass die Kirche alles andere, als sozial-christlich ist.
Endlich erreicht er das, was er eigentlich von vornherein wollte, er beginnt seinen Job in der Kommunalverwaltung eines kleinen Amtes. Hier kann er sich selbst verwirklichen und hier hat er in der Freizeit auch die Möglichkeit, seinen politischen Neigungen nachzugehen.
Er bewirbt sich in Mecklenburg-Vorpommern als Bürgermeister, muss aber feststellen, dass die Blockflöten auch Jahre nach der Wende noch ihre Seilschaften haben. Die PDS verhindert im Konzert mit der CDU den Wessi. Kurz vor dem Eintritt in den Ruhestand lässt er sich von der SPD für die Ratsversammlung aufstellen und erhält auf Anhieb ein Direktmandat, das ihm aber nicht lückenlos gegönnt wird.
Weil ein Kandidat für die Bundestagswahl von „oben“ vorgesetzt wird, wirft auch der Autor bei der Kandidatenaufstellung seinen Hut in den Ring und muss dabei richtig erfahren, was Parteiintrigen sind. Er wird nicht gewählt, aber der von „oben“ Gewollte auch nicht.
Schlussendlich zieht der Autor ein Fazit, dass aus der strahlenden Ente SPD eine lame Duck geworden ist, die ohne Flügel nicht einmal mehr fliegen kann. Er versucht den Ratschlag, sich neu aufzustellen und mit Umweltthemen, Rente und sozialer Zuwendung wieder Fuß fassen zu wollen.
Inhaltsverzeichnis
Aller Anfang
Die Geschichte des Versagens ist lang
Mehr Demokratie wagen
Gewerkschaften und SPD, ein Widerspruch?
Am Anfang steht das Licht der Welt
Erste politische Berührungen
Kindertage in Detmold
Mit dem Einstieg in das Berufsleben wurde ich Gewerkschafter
Mit der Gewerkschaft in die Welt
Schule der Nation
Wir gründen eine Familie
Die 68er politisierten mich
Der Parteieintritt
Eine bunte Welt
Ein neuer Weg
Start in ein neues Berufsleben
Und wieder Ausbildung
Ich wage den Absprung
Arbeitslos
Ein neuer Arbeitsplatz ruft
Im Kieler Landeshaus regiert die CDU
Mitbestimmung? Aber bitte nicht bei uns
Aber auch im Amt wuchsen die Bäume nicht mehr in den Himmel
Ein neues Ziel
SPD und Gewerkschaft vor Ort
Verwaltung ohne Reform ist keine Verwaltung
Kommunalwahlen
Nach den Sternen greifen
Aber wie ist es um die SPD bestellt?
….und wo ist die SPD?
Wer ist heute die SPD?
Die endgültige Abkehr vom Sozialismus
Ausblick, Hoffnung
Aller Anfang………
Als Kind hatte ich ihn vom Logenplatz des Kirchturms der Detmolder Marktkirche aus ausgepfiffen. Aber als er der vierte Kanzler der Bundesrepublik wurde, hatte die Politik für mich schon eine andere Bedeutung, eine eigene Sicht der Dinge. Willy Brandt war Vorsitzender der SPD und Kanzler der Bundesrepublik Deutschland. Mit dem Fortschreiten der Jahre gewinnt die Erfahrung des Älter Werdens. Als jung verheirateter Familienvater und Marinesoldat trat ich 1971 in die SPD ein da war Willy Brandt schon zwei Jahre Kanzler.
Zwischen dem Auspfeifen und dem Eintritt in die SPD lagen die Jahre der Berufsausbildung, des Eintritts in die Gewerkschaft und damit bekam auch die Politik eine andere Bedeutung. Schon die Gewerkschaft hatte mein politisches Interesse geweckt und in eine andere Richtung gelenkt. Obwohl, so anders war die Richtung nicht, denn rückwirkend betrachtet, hatte ich eigentlich nie ein anderes Weltbild, es verfestigte sich nur. Zuhause im Beamtenhaushalt meiner Eltern war ich liberal erzogen worden und mein Vater ließ eigentlich nie eine spezielle politische Richtung erkennen. Dennoch war ihm, der er als Kriegsteilnehmer und Kriegsinvalide sicher viel durchstanden hatte, Willy Brandt suspekt; er sprach immer von dem „Drückeberger“. Nun sind Väter und Söhne sowieso eine Spezies, die an dieser Stelle keiner besonderen Betrachtung bedarf. Ich jedenfalls wandte mich mit zunehmender Reife auch etwas offener dem damals Regierenden Bürgermeister der Stadt Westberlin zu. Über meine Kinderzeit, als ich da oben auf dem Kirchturm stand und kritiklos die Ablehnung meines Vaters, gegen diesen damaligen Kanzlerkandidaten zum Ausdruck gebracht hatte, lächelte ich im Nachhinein nur.
Aber meinem Vater ist es gelungen, aus mir einen kritikbereiten Menschen zu machen. Auch wenn meine Mutter immer mal wieder sagte, ich solle mein Herz nicht auf der Zunge tragen, weil mir das auch mal zum Nachteil gereichen könnte. Aber ich habe immer den Mund aufgemacht, wenn ich etwas nicht gut fand und ich habe ihn mir auch manches Mal verbrannt. Auch in der Partei, denn Kritik mögen auch Sozialdemokraten nicht. Kritik wird von oben vorgegeben und die darf auch verbreitet werden, aber Kritik an handelnden Personen ist Frevel. Ja, man könnte von einer Kritikhierarchie sprechen, denn auf einer Ebene darf man schon mal untereinander etwas infrage stellen. Auch als kleines Mitglied ohne Funktion und Posten konnte man schon mal den Mund aufmachen. Aber wenn man ein Amt anstrebte musste man schon die Kernerarbeit gemacht haben und dann musste man sehr wohl überlegen, wen man eventuell einbindet. Man muss sich also einen stabilen Hintergrund verschaffen. In früheren Zeiten sprach man auch von Parteisoldaten. Parteisoldaten waren einfache Vasallen, die früh aufstanden, Plakate klebten und brav Werbungen verteilten. Und wenn man dazu noch stromlinienförmig im Mainstream der Partei schwamm, war man willkommen. Eigentlich ein Paradoxon, denn als ich in die Partei eintrat war ich Soldat und als solcher man gerade und eben geduldet. Man war ja gegen Krieg und Soldaten waren Krieger – die richtigen Soldaten.
Willy Brandt soll wohl auch den weltlichen Genüssen zugeneigt gewesen sein und in der damaligen SPD-Spitze, die aus dem Triumvirat, Willy Brandt, Herbert Wehner und Helmut Schmidt bestand, soll es wohl einige Male geknistert und vielleicht auch mal gekachelt haben, aber das drang nie richtig nach außen. Herbert Wehner, war der Fraktionsvorsitzende der SPD im Bundestag und war die graue Eminenz, der grantelige Alte, der auch als Zuchtmeister der Fraktion betitelt wurde.
Und Willy soll wohl auch der Damenwelt gegenüber nicht mit äußerster Zurückhaltung aufgefallen sein. Dann mochte er wohl auch ab und zu mal ein Gläschen Cognac mehr und das war Herbert Wehner dann immer schon ein Dorn im Auge. Auf dem Zenit der Zustimmung angekommen, kam Willy Brandt Günter Guillaume in die Quere. Guillaume war engster Vertrauter Willy Brandts, der sogar Familienkontakt hatte und mit den Brandts in den Urlaub fuhr. Aber Guillaume war Spion der damaligen DDR und so nah am Zentrum der Macht – Willy Brandt trat zurück.
Nachweislich, per Protokoll und filmischer Nachstellung belegt, soll Herbert Wehner Helmut Schmidt mit den Worten: „Du musst es machen,“ ins Kanzleramt gedrängt haben. Aber unterschiedlicher können Menschen nicht sein, der gehende Kriegsdienstverweigerer, der als Parteifunktionär herangebildet war und der kommende ehemalige Offizier, mit preußischen Tugenden. Helmut Schmidt holte als ehemaliger Finanzminister auch als erstes den eisernen Sparbesen heraus, dem letztendlich auch ich indirekt zum Opfer fiel, aber davon später, denn bereut habe ich es nie. Aber mit Helmut Schmidt kam der Stern der SPD ein erstes Mal ins wanken, als der NATO-Doppelbeschluss in Rede stand. Zusammen mit der Älteren meiner beiden Töchter, bin ich damals gegen den NATO-Doppelbeschluss auf die Straße gegangen. Auch in diese Zeit fiel die Gründung der damals Grünen Partei, die einen Gegenpool zu den herkömmlichen Parteien darstellen wollten. Vor allem aber waren es enttäuschte Sozialdemokraten, die damals unter Helmut Schmidt ihre politischen Interessen, den Interessen einer Sozioökologie nicht vertreten fühlten. Schon damals, in der Zeit nach Willy Brandt offenbarte sich für mich, dass die Sozialdemokraten irgendwie einen genetischen Geburtsfehler, zu haben scheinen. Denn wenn sie vom Wähler mit der Staatsmacht ausgestattet werden, dann meinen sie, dass sie nun Herrschaft ausüben müssen und Herrschaft ist in ihren Augen gleichzusetzen mit Konservatismus. Dann überholen sie sogar noch die Schwarzen
Helmut Schmidt hatte große Sicherheitsbedenken den damaligen Sowjets gegenüber, arbeitete aber gleichzeitig an der Annäherung beider deutscher Staaten weiter, die von Willy Brandt angestoßen war. Innerparteilich machte ihm der NATO-Doppelbeschluss aber schwer zu schaffen. Da half es auch nichts, dass er die öffentliche Verschuldung zu Gunsten der Beschäftigungs- und Sozialpolitik gegen den Willen des Koalitionspartners FDP, ausweiten wollte. Das führte im Oktober 1982 letztendlich zum Bruch der Koalition und zum Misstrauensvotum, das wiederum zur Regierungsübernahme durch Helmut Kohl führte.
Aber Kohl ist nicht mein Thema und so überspringe ich mal die Jahre der Lähmung und komme zu Gerhard Schröder, der 1998 mit seinem Start ins Kanzleramt, nach 16 Jahren Regierung Kohl, neuen, frischen Wind wehen ließ und das neue Bild der SPD in nie gekannter Weise verkörperte. Aber die Hinhaltepolitik Helmut Kohls, der in den letzten Jahren seiner Kanzlerschaft Probleme durch Aussitzen vor sich her- schob, hatte damit ein Damoklesschwert über die neue Regierung gehängt. Gerhard Schröder war frisch und agil gestartet und merkte bald, dass gar kein Geld mehr in der Haushaltskasse war; hier war Handeln, unpopuläres Handeln angesagt.
Wieder ein Grund, weshalb sich Genossen von der SPD lossagten, die die sozialdemokratischen Ziele nicht mehr verfolgt sahen. Und wieder verließen viele Genossen, in erster Linie Gewerkschafter, die SPD und gründeten eine neue links ausgerichtete Partei. Allen voran, ging die linke Galionsfigur, Oskar Lafontaine. Mit ihm wurde die WASG (Wahlalternative für soziale Gerechtigkeit) gegründet, die sich später mit der PDS, der Nachfolgepartei der SED zusammenschloss und sich zur LINKEN vereinigte.
Sicher, die Väter der sozialistischen Bewegung vergangener Zeiten würden, wären sie heute dabei, sagen, dass wir endlich aufhören sollten mit unserem Sozialgedusel. Wir haben erreicht, was wir erreichen wollten. Der Arbeiter ist frei und nicht nur frei. Man schaue sich mal einen Arbeiter aus der Produktion bei VW, bei BMW oder irgendeiner anderen großen Produktionsstätte an. Dort verdient ein Vorarbeiter in bestimmten Positionen mehr als mancher Landarzt. Der Arbeiter arbeitet im geregelten Schichtdienst, in hellen Hallen, hat geregelte Pausenzeiten und in aller Regel verdient er ein angemessenes Entgelt. Er hat sein Auto und kann sich einen durchschnittlichen Urlaub leisten. Und wenn ich davon abgesehen an die verschiedenen Gewässer in unserer Republik denke und dort bei Gelegenheit auch in die Sportboothäfen gehe sehe ich, dass es uns allen recht gut gehen dürfte, die dort liegenden Boote lassen es erahnen. Es geht zumindest der Arbeit habenden Arbeitnehmerschaft die vernünftig und tarifiert entlohnt wird, gut.
Dass es daneben auch ein so genanntes Prekariat gibt, das in gewisser Weise eine Parallele zur Zeit der sozialistischen Hochzeit darstellt ist eine andere Sache, die noch zu beleuchten sein wird. Andererseits darf man auch die Errungenschaften der Arbeitnehmer nicht als sicheres Polster der Unabhängigkeit betrachten, denn der Schritt vom gut gestellten Mittelstand zum Prekariat ist nur kurz. Schon allein der erwähnte Arbeiter in der Automobilindustrie muss hier wieder als klassisches Muster für die heutige Ausbeutung herhalten, denn etwa ein Viertel der heutigen VW-Arbeiter sind Arbeiter, die als Leiharbeiter ihren Job verrichten oder mit Werksvertrag angestellt sind. Diese Arbeitnehmer arbeiten genau wie ihre fest angestellten Kollegen am Band und machen die gleiche Arbeit, verdienen aber nur ein bis zwei Drittel dessen, was der fest angestellte Kollege verdient. Und darum hätte die SPD hier durchaus ein reichhaltiges Betätigungsfeld. Aber die Genossen sind zu satt; ja sie haben sogar teilweise dazu beigetragen, dass es heute – nicht nur für die Industrie – solche Schlupflöcher der Arbeitgeber gibt, über die sie den „Arbeitnehmer-light“, billig beschäftigen können.
Dennoch läuft das Sozialgedusel, wie ich es zuvor mal genannt habe, auf der falschen Schiene, denn es geht nicht mehr darum den Arbeiter aus seiner miefigen Fabrikhalle zu befreien und seinen rechtlosen Zustand zu beklagen. Es geht darum Erreichtes zu bewahren, Erreichtes zu halten, zu verteidigen – wie eben, am kleinen Beispiel dargestellt. Denn heutzutage lässt sich durchaus ein Vergleich vom Prekariat zum damaligen Proletariat ziehen. Aber die SPD ist nicht mehr die SPD der frühen Jahre, die Mitglieder der heutigen SPD rekrutieren sich nicht mehr aus der Arbeiterschaft, die sich aus ihrer Unterdrückung befreien will. Wie damals, als die ersten Arbeitskämpfe und die ersten politischen Befreiungskämpfe stattfanden. Heute gibt es fast keine Arbeiter mehr. Das beste Beispiel findet man im öffentlichen Dienst. Der TVöD (Tarifvertrag des öffentlichen Dienstes) kennt nur noch den Beschäftigten. Der zuvor im öffentlichen Dienst gültige BAT (Bundesangestellten Tarifvertrag) unterschied noch zwischen Arbeitern und Angestellten. Der klassische Gemeindearbeiter ist heute „Beschäftigter“. Und diese Bezeichnung hat sich heute fast überall durchgesetzt. Die heutige Mitgliedschaft der SPD besteht aus satten und relativ zufriedenen Menschen, die entweder als Beschäftigte oder als Beamte in ihrem Job stehen. Früher, als ich in die SPD eintrat war ich als Soldat ein Underdog. Natürlich gab es auch vor vierzig Jahren schon Juristen in unseren Reihen und jede Menge Lehrer. Also die Beamtenschaft hatte in der SPD auch vor 40 Jahren schon eine Heimat. Zeitweise sprach man sogar schon von der Lehrerpartei. Heute sind alle Berufsgruppen, vom Offizier bis zum Lastwagenfahrer, von der Gerichtspräsidentin bis zur Reinigungskraft, gleich wie auch in der CDU, auch in der Mitgliedschaft der SPD vertreten.
Aber – und da liegt die Crux, Arbeitslose und Geringverdiener sind in der SPD nicht vertreten. Zu früheren Zeiten hatten wir immer nochmal versucht dieses Klientel mit Beitragsfreiheit oder Patenschaften an die SPD heran zu holen, aber das schlug aus zwei Gründen fehl. In der Partei gab es immer wieder auch teils heftige Gegenstimmen, denn manche Genossen wollten sich nur ungern eine kritikfreudige Klientel heranholen, für die sie dann auch noch zumindest teilwiese die Beiträge übernehmen soll und die, um die es ging, wollten nicht den Bittsteller geben, der am Tischrand die Krumen und Krusten gereicht bekommt.
So kommt es, dass die Politik mit Nichtwissen die Augen vor denen verschließt, die am Rande der Mittelstandsgesellschaft leben und die, die von diesem Tellerrand bereits heruntergefallen sind und sich mit Hartz IV und mit Niedriglohn über Wasser halten, die werden gar nicht mehr wahrgenommen. Wer es nicht glaubt, möge die Probe aufs Exempel machen und möge sich an die Nebeneingangstür des Bundestages stellen und den erstbesten Abgeordneten nach der Höhe des derzeitigen Hartz IV-Satzes fragen. Oder einfach nur den Abgeordneten des heimatlichen Wahlkreises fragen. Aber egal welche Partei, diesen Regelsatz kennen nur die Wenigsten.
Von der Partei DIE LINKE wurde der Gedanke des bedingungslosen Grundeinkommens ins Spiel gebracht. Anders als in anderen Ländern, wird von unseren politischen Vertretern, bei Vorschlägen die vom politischen Gegner kommen, aber immer erst einmal das Haar in der Suppe gesucht, das diese Vorschläge oder diese Idee ad absurdum führen könnte. Beim Grundeinkommen fragten die politischen Gegner zu denen auch die Sozialdemokraten zählen gleich: Wer soll das denn erwirtschaften, wenn man ohne Arbeit sein Leben, leben kann, dann wird doch niemand mehr arbeiten wollen. Ohne hier jetzt ein volkwirtschaftliches Symposium eröffnen zu wollen wäre vor der Frage: Warum? Darauf zu verweisen, dass namhafte Ökonomen auch schon laut über die Sinnhaftigkeit eines Grundeinkommens nachgedacht haben und zupositiven Ergebnissen gekommen sind. Zumal der Mensch in seiner Lebenseinstellung immer auch positiv zur Arbeit steht – er will also arbeiten. Nur zuhause zu sitzen und vom Mindesteinkommen leben zu müssen, wird mehrheitlich kein Ziel sein.
Es wäre aber eine Chance, ein selbstbestimmtes Leben, das eine neigungsorientierte Arbeit ermöglicht, zu führen. Beispielsweise als Musiker, als Schriftsteller oder andere Berufe, die nicht sofort ein auskömmliches Einkommen ermöglichen. In anderen Ländern hat man es bereits eingeführt und in einer zunehmend digitalisierten Welt muss man andere Abschöpfungsmöglichkeiten von den Gewinnen und Einkommen finden, um so etwas finanzieren zu können, denn wenn erst die Automatisierung soweit fortgeschritten ist, dass nur noch ein Drittel der Bevölkerung Arbeit hat, dann wird die Politik irgendwann gezwungen sein, neue Wege zu suchen. Eingriffe in die Wirtschaft, zusätzliche Abgaben oder Steuern sind natürlich problematisch, denn irgendein Börsenguru sagte einmal: „Das Kapital ist wie ein scheues Reh, wenn man ihm zu nahe rückt, ergreift es die Flucht.“ Aber auch aus der Psychotherapie weiß man, dass der Normalverdiener eigentlich recht glücklich ist, dass aber die Angst um das erworbene Kapital zunimmt, je mehr vorhanden ist. Dennoch gibt es inzwischen immer mehr verantwortungsbewusste Kapitaleigner, die bereit wären, mehr Steuer zu zahlen, wenn das der Allgemeinheit zu Gute käme. Gleichwohl ist ein Eingriff in ein bestehendes System ein reiner Seiltanz, denn in der realen Wirtschaft greift ein Zahnrad in das nächste und so herrscht ein gewisser Zugzwang. Man kann nicht alles und schon gar nicht ad hoc durchsetzen. Dennoch werden wir, wenn wir alle Menschen mitnehmen wollen und das sind wir der Humangesellschaft schuldig, nicht darum herumkommen, uns auch mit den Bedürfnissen und mit den Nöten der Menschen auseinander setzen zu müssen. Erst wenn diese Menschen die durch irgendeinen Umstand in eine prekäre Lage gekommen sind merken, dass es uns ernst ist, dass wir ehrliche Ansätze des Kümmerns bringen und eine Programmatik entwickeln in die sie eingebunden sind, dann werden diese Menschen auch wieder politisch am gesellschaftlichen Leben teilnehmen wollen.
Gerade heute, vor dem Hintergrund der Flüchtlingsproblematik nimmt die Notwendigkeit zu, auch nach innen, für die benachteiligten Menschen etwas tun zu wollen, zu. Wenn erst der Eindruck und nur der bloße Verdacht aufkeimt, dass man sich um Flüchtlinge mehr kümmern würde, als um die Menschen aus benachteiligten Schichten, dann könnte das zu schlimmen Ausschreitungen führen, wie wir sie bereits erlebt haben. Hier ist die SPD gefordert dem Begriff „Sozial“ in ihrem Namen wieder einen Inhalt zu geben.
Im Hinblick auf die Gendergerechtigkeit haben inzwischen obergerichtliche Urteile die Orthografie der Bundesrepublik so beeinflusst, dass man einen Text völlig entstellt, wenn man ihn der Sache gerecht schreiben möchte. Ich weigere mich jedoch Kolleg*in oder Empfänger*in zu schreiben. Um den Lesefluss auch weiterhin zu gewährleisten, werde ich jeweils das Maskulinum oder das Femininum verwenden weil alles Andere sinnentfremdend wirken würde. Ich bin von ganzem Herzen Gewerkschafter und bin durch die Gender-Schulung gegangen, machen Sie´s bitte wie ich, jedes Mal, wenn ich das Maskulinum verwende denke ich immer auch an die weibliche und neuerdings auch an die dritte Form.
Die Geschichte des Versagens ist lang
Es ist immer der Mensch, der hinter einem Fehler steht. Aber ob das heute als Fehler betrachtete Verhalten oder Tun wirklich ein Fehler war, stellt sich immer erst in der Geschichte, hinterher heraus. Wie bereits in der Einführung angedeutet, verließen in der Ära Helmut Schmidt viele Genossen die Partei. Die Friedensbewegung und das aufbrechende Öko-Bewusstsein ließ viele Parteimitglieder mit dem damaligen Kurs der SPD hadern. Die Grünen wurden gegründet. Mit Helmut Schmidt ging die SPD schon auf eine andere, eine konservativere Schiene. Nicht neoliberal, aber die SPD öffnete sich der sozial-liberalen Richtung und war daher auch von liberal-Konservativen Wählern wählbar. Damit will ich keineswegs am Denkmal Helmut Schmidts kratzen, aber jedem Sozialdemokraten war bewusst, dass jetzt ein anderer Wind durch das alte Gemäuer der sozialen Demokratie pfiff.
Aber ihre Unschuld verlor die SPD endgültig unter dem Kanzler Gerhard Schröder, als unter seiner Kanzlerschaft, im Jahre 2002 die Hartz-IV-Gesetze verabschiedet wurden. Damals hatte ich in einem Leserbrief gefragt: SPD quo vadis? SPD, welchen Weg gehst du? Denn mit diesen Gesetzen wurden deutlich härtere Einschnitte in das soziale Netz vorgenommen, als je zuvor unter irgendeinem seiner Vorgänger. Bei jedem anderen Kanzler, insbesondere einem CDU-Kanzler, wäre ein Sturm der Entrüstung durchs Land gegangen, wenn der die sozialen Einschnitte vorgenommen hätte, wie sie unter Schröder vorgenommen wurden.
Keine Frage, die Sozialhilfe der 90er Jahre war als soziales Netz zu einer „Hängematte“ mutiert, in die sich nicht nur mehr der klassische Sozialhilfeempfänger in der dritten Generation, sondern mehr und mehr, auch Intellektuelle mit akademischem Abschluss und Menschen wie du und ich, die eigentlich gut im Beruf etabliert waren, die sich aber mit dem Anspruch fallen ließen „warum arbeiten, wenn man versorgt wird.“ Diese Art der Sozialhilfe musste in Form und Inhalt anders organisiert werden. Das ist allerdings kein Widerspruch zum bedingungslosen Grundeinkommen. Denn es wird immer Menschen geben, die sich am Rande, mit dem Minimum einrichten. Aber eine humanitäre Industriegesellschaft muss in der Lage sein, diese Menschen aufzufangen und ihr Leben und Überleben abzusichern. Aber das ist eine andere Geschichte, denn welche Probleme unsere kapitalistisch ausgerichtete, schnelllebige Gesellschaft mit sich bringt und welche menschlichen Opfer sie fordert kann hier nicht beleuchtet werden.
Aber die Unbeweglichkeit der Vorgängerregierung unter Helmut Kohl zwang im Grunde der SPD das Diktat des Handelns auf. Der Kanzler der Einheit hatte irgendwann, in den 92er Jahren gesagt, dass wir, dass die Menschen unserer Republik, durch ein Tal der Tränen werden gehen müssen. Aber er hat nach Kohlscher Art diese Frage ausgesessen und damit eigentlich das Tal als solches noch vertieft. Schon er hätte Maßnahmen ergreifen müssen, die Wohlstandsabfederung aufzufangen. Er hat in maßloser Selbstüberschätzung, weil er auch niemanden aus seiner eigenen Partei neben sich duldete, quasi billigend in Kauf genommen, dass in 1998 ein frisch – fromm – fröhlicher sozialdemokratischer Kanzler die Regierungsgeschäfte übernahm.
Die Regierung unter Kohl hatte derart abgewirtschaftet, dass sich sogar Leute abwandten, die sonst als treue Vasallen der CDU galten. Aber nun, da sich nichts mehr bewegte, quasi eine Politik des Stillstandes herrschte, musste die Wahl eine Wende bringen, und sie brachte eine Wende. Wie gesagt, Gerhard Schröder kam und ließ sich vom Fluidum eines volksnahen Kanzlers umwehen. Unvergessen sein Auftritt bei der Familiensendung „Wetten dass….“ Mit Thomas Gottschalk. Gerhard Schröder ließ sich feiern und feierte kräftig mit, bis er merkte, dass in der Bundeskasse gar nicht so viel Geld war, wie er auszugeben gedachte. Nun mussten Einschnitte gemacht werden. Eine Troika aus Gewerkschaftern, Wirtschaftsvertretern, den Kirchen und Politikern bekam die Aufgabe Wege aus der Bezahlgesellschaft zu finden. Allen voran ein ehemaliger VW-Personalmanager, Peter Hartz. Unter seiner Leitung fand die Troika den Weg zu Einsparungen im sozialen Netzwerk. Das Arbeitslosengeld wurde anders bezeichnet und aufgeteilt, die Arbeitslosenhilfe wurde umgestaltet und die Hartz IV-Gesetze wurden alsbald verabschiedet. Bis heute sind diese Gesetze umstritten. Denn vieles musste und muss auch heute noch, erst aufwändig vor den Sozialgerichten erstritten werden. Außerdem hätte man die Grundlagen längst auch wieder novellieren müssen, das heißt der Zeit anpassen müssen.
Andererseits muss man zur Ehrenrettung der Politik sagen, dass diese Einschnitte notwendig und hoch Zeit wurden, denn auch und gerade an der Basis war erkennbar, dass es so wie bisher nicht weitergehen konnte. Die soziale Hängematte war zu engmaschig geworden. Über mein berufliches Umfeld habe ich im Zusammenhang mit der Sozialhilfe einiges erlebt, was ihren Sinn und Inhalt sehr in Frage stellte. Ich begann meinen Beruf in der Kommunalverwaltung mit dem hehren Anspruch, den Menschen helfen zu wollen und die Menschen als Gleiche unter Gleichen zu sehen, doch meine Kollegin, die seit einigen Jahren schon das Sozialamt führte, sagte mir, dass ich „beschissen und belogen“ würde, wenn ich daneben stände. Das glaubte ich nicht, das vertrug sich nicht mit meinem Weltbild. Später habe ich ihr Abbitte geleistet. Ich habe erlebt, wie eine Lehrerin, die aus einem nicht unvermögenden Hause stammte, ihren Beruf aufgegeben hat, um mit ihrem „neuen“ Lebensgefährten zu leben; Leben, ohne sich das Leben durch Arbeit kaputt machen zu lassen. Der Lebensgefährte war ein abgebrochener Studiosus, der zwei Kinder mit in die Verbindung brachte. Sie lebten im als Ferienhaus erbauten Bungalow der Eltern der Frau. Der Vater dieser Frau lebte in einem Pflegeheim und war somit nicht zu Unterhaltsverpflichtungen heranzuziehen, weil sein Einkommen für die Leistungen der Pflegeeinrichtung verbraucht wurde.
Hier endlich einmal einen Punkt zu setzen und um Leistungsempfänger, wie die Lehrerin, wieder dazu bringen zu wollen, ihr Leben durch eigene Erwerbstätigkeit wieder in den Griff zu bekommen und damit die Gesellschaft zu entlasten, war das Ziel der „Schröder-Agenda“. Aber leider, wie so oft, wenn die Politik etwas steuernd in die Hand nehmen will, ging dieses Ansinnen schief. Man versuchte wieder einmal, um allen und allem gerecht zu werden, die Eier legende Wollmilchsau zu erfinden. Die Menschen sollten abgesichert sein, sollten aber auch dazu angehalten werden, Arbeit zu suchen.
Leider ist es in unserer Republik inzwischen jedoch so, dass jede kleine Gesetzesänderung auf ihre Lücken untersucht wird und dass diese Lücken, wenn so welche vorhanden sind, schamlos ausgenutzt werden. Mit der HartzIV-Gesetzgebung wurde nämlich auch die Tür zu prekären Beschäftigungsverhältnissen geöffnet. Wenn jetzt jemand außerhalb der Schwarzarbeit, die zu dieser Zeit ebenfalls ihre Blütezeit hatte, in einem Billiglohnjob eine Anstellung fand, wurde sehr schnell von der Arbeitgeberseite erkannt, solche Arbeitnehmer zum Amt, zum Aufstocken schicken zu können. Die Folge war, dass die Unternehmen sich immer weiter aus der Pflicht zogen und ihren Gewinn über Billiglohnjobs maximierten, die vom Staat letztendlich bezuschusst wurden. Das hatte aber auch zur Folge, dass wir weiter auf dem Weltmarkt Exportmeister waren, weil wir dadurch zu einem Billiglohnland mutierten. Auf die Folgen, die sich aus diesem Tun bis heute für Europa, insbesondere für die Länder ergaben, die unter den Euro-Rettungsschirm flüchten mussten, will ich hier gar nicht eingehen, weil das zu weit aus dem eigentlichen Thema heraus führen würde. Trotzdem sei so viel gesagt, dass wir im Grunde Arbeit subventioniert, also billiger gemacht haben und damit billiger als andere europäische Länder sein konnten.
Diese ganzen Einschnitte, die bis heute nachwirken wurden als eben die HartzIV-Gesetzgebung und als die Agenda 2010 bekannt. Man kann diese Ära und auch die Gesetzgebung in dieser Sache nicht in Gänze verteufeln, denn man kann heute sagen, dass die Agenda 2010 tatsächlich etwas gebracht hat. Dennoch bleibt die Frage nach dem gerechten Ausgleich - und darum hätte die Politik mit diesem Instrument arbeiten müssen - es ständig neuen Gegebenheiten und Herausforderungen anpassen müssen, aber stattdessen haben sich zu viele Menschen, aber auch zu viele Arbeitgeber auf Hartz IV eingerichtet. Und weil die Regierung Schröder neben der vermeintlichen Goodness Hartz IV gleich auch noch eine Steuersenkung für Mehrverdiener verabschiedete, schrumpften durch diese Umverteilung auch die Einnahmen des Staatshaushaltes und so mussten die Kosten zu Lasten anderer sozialer Ausgaben aufgefangen werden. Aber das wäre ein anderes Thema, ein anderes Buch. Insofern denke ich an meinen alten Deutschlehrer, der würde in diesem Fall sagen: „Reinhard, setzen, du gehst am Thema vorbei.“
Mehr Demokratie wagen
Zu Zeiten der Kanzlerschaft Willy Brandts, 1968, bin ich in die SPD eingetreten. „Mehr Demokratie wagen“ war sein Credo. Er war es wirklich, der den abgehobenen Muff der Adenauerschen Politik endlich durchbrach und die Politik auch für die Menschen verständlich machte. Die soziale Demokratie ist sicher ein erstrebenswertes Ziel, wenngleich kaum erreichbar. Mein mein Weltbild, mein Bild der politischen Geschichte und der Beginn einer sozialen Demokratie begann mit Willy Brandt, mit Woodstock, den 68ern und den Hippies, mit der Freiheit oder dem Freiheitsgedanken, der auf einmal eine ganze Generation erfasste, zu leben. Ein Aufbruch begann. Ich trat also in die SPD ein.
Gerade vor der heutigen Entwicklung der Partei, die sich jetzt quasi diametral zu ihrer eigenen Geschichte wandelt, darf man die wechselvolle Geschichte der Partei nicht außer Acht lassen. In den 150 Jahren, die sie nunmehr bereits durchlebt hat, gab es immer und immer wieder auch so genannte Flügelkämpfe. Diese Partei hat ständig versucht, den Spagat zwischen den Interessen der Arbeitnehmerschaft und der nötigen Staatsräson zu vollbringen. Ihr tragisches Schicksal ist es jedoch, dass sie in der Neuzeit, seitdem sie Regierungsverantwortung trägt oder mitträgt, eigentlich immer die sozialen Versäumnisse einer Vorgängerregierung auslöffeln musste. Der von Willy Brandt aus tiefster Überzeugung geäußerte Satz, „mehr Demokratie wagen,“ fiel in eine Zeit der Befreiung, Hippies, Haschisch, freie Liebe und so weiter. Hier drohten die Welten des Bürgertums und der sich befreienden Jugend, die Gesellschaft zu zerreißen. So musste Brandt das alles mit Rücksicht auf die politischen Hintergründe, die mit der Entwicklung gar nicht Schritt halten konnten, wieder einfangen. Unter einer sozialdemokratischen Regierung wurde der Radikalenerlass und damit einhergehend Berufsverbote erlassen.
Auch die Regierung Gerhard Schröders war im Grunde ein Ausputzer für die Vorgängerregierung. Denn mit der Verabschiedung der erwähnten Hartz IV-Gesetzgebung mussten im Grunde die Versäumnisse der Kohl-Regierung aufgefangen werden.
Mit diesem Buch will ich jedoch keine Historienarbeit vorlegen, das würde viel zu trocken werden. Ich will und darf zwar die Entwicklung nicht außer Acht lassen, aber ich werde den Weg der Partei anhand meiner Beziehungen zur SPD und zur Gewerkschaftsbewegung berichten. Ich will meinen Blickwinkel von erlebten 40 Jahren Parteigeschichte aus der erlebten Partei von unten darstellen. Dabei soll die traditionelle Entwicklung der beiden – manchmal und in letzter Zeit immer häufiger – widerstrebenden Lager, Gewerkschaften und SPD, nicht außer Acht gelassen werden. Mein politisches Interesse begann im Grunde mit meinem Eintritt ins Berufsleben und damit einhergehend auch dem Eintritt die Gewerkschaft, damals die DAG (Deutsche Angestellten-Gewerkschaft) die heute in ver.di aufgegangen ist.
Gewerkschaften und SPD, ein Widerspruch?
Wenn man als altes „Schlachtross“ so zurückblickt, muss man in der Summe der Betrachtungen zu dem Ergebnis kommen, dass das Verhältnis zwischen den Gewerkschaften und der SPD nie ganz frei von Spannungen war. Beide Organisationen sind auf der Basis von Bündnissen gewachsen, Bündnissen die aus der Knechtung der Arbeiter entstanden und in denen sich die Arbeiter, das Proletariat, zusammengeschlossen hatten, um sich aus unwürdigen Arbeits- und Abhängigkeitsverhältnissen zu befreien. Der damalige Arbeiter war durchaus vergleichbar mit den heutigen Näherinnen in Kambodscha und Bangladesch. Auch die versuchen jetzt, sich zu befreien. Sie sind zu hunderten in eine miefende Produktionsstätte eingepfercht und es gibt keine geregelten Pausen und einen Toilettengang nur, wenn es der Vorarbeiter erlaubt. Genauso ähnlich sah es hier aus, stinkende, laute Fabrikhallen, in denen man sein eigenes Wort nicht verstand, und mit einem Hungerlohn wurden die Arbeiter, die damals auch keine Feierabend- oder Pausenregelungen hatten, regelrecht ausgebeutet. Aber letztendlich kann kein Produkt ohne die Arbeit, ohne die Hilfe von Arbeitnehmern entstehen oder verkauft werden. Und dies erkannten auch unsere Ur-Väter und so gründeten sie quasi die Ur-Gewerkschaften, nämlich Arbeitervereine. Die wurden natürlich von den Arbeitgebern und natürlich auch von der Staatsregierung argwöhnisch beobachtet wurden. Denn eine Union, eine Interessenvertretung vieler ist stärker, als der einzelne. Damals entstand der Spruch, der auch heute noch Geltung hat: „Alle Räder stehen still, wenn dein starker Arm es will.“
Den einzelnen Arbeitnehmer, den kann ich als Betriebsinhaber nochmal mit Druck und Erpressung zur Weiterarbeit verpflichten, aber wenn ein ganzes Band, das es damals auch schon gab, stehen bleibt und die Kollegen solidarisch zusammenstehen, dann steht die Produktion. Es gibt keinen Lohn, aber auch keinen Gewinn. Den Lohnausfall kompensiert eben die Gewerkschaft, denn dafür zahlt man Beiträge.
Das will ich mal versuchen, an der Herstellung eines Kugelschreibers deutlich zu machen. Nur einen Kugelschreiber für den eigenen Gebrauch herzustellen lohnt nicht, also habe ich die Idee einen besonderen Kugelschreiber herzustellen und weil er so besonders gut in der Hand liegt, will ich ihn in größerer Stückzahl produzieren. Gleichzeitig muss ich ihn aber auch für einen Preis verkaufen, der es mir ermöglicht, Rohstoffe einzukaufen, um weitere Kugelschreiber herstellen zu können. Ich muss aber auch jemanden haben, der diese Dinger verkauft und inzwischen muss mir auch jemand bei der Herstellung helfen. Keiner der beiden Gehilfen, macht das umsonst aber ich möchte für die Idee und die Entwicklung natürlich auch für mich etwas übrig haben. Also muss ich eine Kalkulation aufstellen um erkennen zu können, wie viele Kugelschreiber ich umsetzen muss, um die Kosten aufzufangen und eben auch einen kleinen Gewinn übrig zu haben. Nun wollen meine Mitarbeiter aber auch etwas verdienen, sie wollen Essen und Bekleidung kaufen, also muss ich sie ordentlich entlohnen. Nun merken sie aber, dass mehr übrig bleibt, als erwartet, also schließen sie sich zusammen und sagen, dass sie mehr Geld wollen, weil sie für spätere Zeiten etwas zurücklegen wollen. Eine Union ist gegründet. Als Arbeitgeber habe ich aber kein Geld und keine Lust, freiwillig für meine Arbeitnehmer etwas für deren Alterssicherung zurück zu legen. Aber meine Beschäftigten sagen, dass sie so wenig verdienen, dass sie nichts zurücklegen können. In dem Moment werden die Politiker auf den Plan gerufen und die machen ein Gesetz, das mich zwingt, einen Teil des Lohnes zurück zu halten, da noch etwas drauf zu legen und in eine Kasse einzuzahlen. Meine Beschäftigten werden mit diesem Gesetz ebenfalls verpflichtet, einen Teil ihres Gehaltes ebenfalls in diese Kasse einzuzahlen. Damit haben wir den Grundstein zur so genannten Sozialpolitik gelegt. Und los geht es richtig, wenn einer der Beschäftigten die Segnungen dieser Rücklage in Anspruch nehmen will. Dann prüft der Gesetzgeber, der dieses soziale Gesetz geschaffen hat, ob der Antragsteller die Ansprüche, die er an die Kasse richtet überhaupt hat. Kommt er zu dem Schluss, dass der Arbeitnehmer keinen Anspruch hat, nimmt der Konflikt zwischen Arbeitnehmer und Sozialgesetzgeber seinen Lauf. Der Arbeitnehmer geht zu seiner Gewerkschaft und die streitet nun seine Ansprüche auch in diesem Falle für ihn durch.
Mit dieser einfach gestrickten Darstellung will ich versuchen rüber zu bringen, dass die Gewerkschaft also nicht nur der verkürzte Bogen zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber sondern auch seine Vertretung in allen Belangen um die Arbeit herum ist, weil die Gewerkschaft nur das Wohl ihrer Mitglieder im Auge hat, während eine politische Partei oder auch eine Partei mit sozialem Anspruch - das spreche ich auch den anderen demokratischen Parteien die im Bundestag vertreten sind nicht ab - das gesamtgesellschaftliche Wohl zu beachten hat.
Der Konflikt zwischen der Sozialdemokratischen Politik und den Gewerkschaften spiegelt sich besonders deutlich im Mannheimer Abkommen von 1906 wider. Die vor 150 Jahren entstandenen Arbeitervereine verstanden sich als eine soziale Bewegung zur Einforderung der Arbeitnehmerrechte. So wollten die einen nur ihre Rechte für besseren Lohn, Arbeitsschutz und Pausenregelungen durchsetzen und die anderen wollten den Staat zwingen Krankheitsabsicherungen und Rentenabsicherungen zu schaffen. Insbesondere der politische Flügel der Arbeiter- und der Sozialbewegung sagte: „Partei und Gewerkschaften sind eins.“ Aber die Gewerkschaften wollten sich schon damals nicht von der Sozialdemokratie vereinnahmen lassen und daraus folgte das Mannheimer Abkommen, das formal die Gleichberechtigung beider Organisationen nebeneinander vereinbarte.
Dieses Abkommen bildete für Jahrzehnte die Basis für das besondere Verhältnis, das bei aufbrechenden Konflikten immer vom Willen zur Gemeinsamkeit geprägt wurde. Das habe ich so inhaltlich einer Ausstellung der Friedrich-Ebert-Stiftung entnommen, die ich vor einiger Zeit besucht habe. Dort fühlte ich mich dazu animiert versuchen zu wollen, die Geschichte der beiden manchmal widerstrebenden Lager darzustellen. Deutlich zu machen, weshalb die SPD einen Kurs fährt, der praktisch in ewigen Schlangenlinien verläuft. Die SPD sieht sich, wenn sie die Mehrheiten auf ihrer Seite hat, genauso staatstragend, wie die anderen Parteien.
Ein Beispiel dafür mag der letzte sozialdemokratische Kanzler, Gerhard Schröder geben, der einen inneren Kampf mit Oskar Lafontaine austrug, der dann im Rücktritt und sogar Austritt Oskar Lafontaines aus der SPD nach sich zog. Nach seinem Rücktritt kritisierte Lafontaine den Kurswechsel des Kanzlers hin zu einer arbeitnehmer- feindlichen Sozial-, Wirtschafts- und Steuerpolitik an vielen Einzelbeispielen. Ein Beispiel, das bis heute nachhaltig in Erinnerung steht ist die Abschmelzung der Rentenbezüge.
Das hat zur Folge, dass die einst immer zweitstärkste politische Kraft unserer Republik, inzwischen keine große Rolle mehr spielt. Man kann vom Arbeitnehmerflügel der CDU, der CDA inzwischen schon fast mehr erwarten, als von den Sozialdemokraten. Möglicherweise muss man auch, wenn man sich neben der Gewerkschaftspolitik auch für die Sozial- oder Gesellschaftspolitik interessiert, einen Weg suchen, der nicht zwangsläufig zur SPD führt, denn die SPD versucht vielleicht eine sozial orientierte Politik zu steuern, aber reine Arbeitnehmerpolitik macht sie schon lange nicht mehr.
Auch wenn sich die der ehemalige Vorsitzende Siegmar Gabriel dieser Gemeinsamkeit erinnert hat und darum öffentlich erklärt, dass sich die Sozialdemokratie und die Gewerkschaften nicht mehr auseinanderdividieren lassen wollen, so sieht die Praxis im Inneren der Partei ganz anders aus. An einem kürzlich erlebten Beispiel will ich aufzeigen, wie die SPD tickt. Aber dass der folgende Fall kein Einzelfall ist, das wurde mir bei anderer Gelegenheit von einigen Gewerkschaftssekretären berichtet, die in den tariflichen Auseinandersetzungen mehrfach vor Ort mit Akteuren der Politik zu tun hatten.
Schon hier in meiner Heimatstadt, im kleinen Stadtrat der Stadt Schleswig wird diese Erklärung des Parteivorsitzenden durch aktives Gegentun konterkariert. Da wird speziell in der SPD-Fraktion um jedes Zehntel einer Stelle gefeilscht. Der Kämmerer wollte für eine seiner Abteilung zusätzlich zugedachten Aufgabe, eine halbe Stelle mehr haben. Alle anderen Ratsfraktionen hatten das als zwangsläufig hingenommen. Ich hatte mich zuvor extra in der Fachabteilung meiner ehemaligen Behörde schlau gemacht und trat dafür ein, diese halbe Stelle als notwendig schaffen zu wollen, denn zur Erhebung einer angedachten Zusatzsteuer sind zahlreiche Vorarbeiten zu leisten. Aber meine Fraktion wollte ihm nach langer Debatte, ob überhaupt eine Stelle geschaffen werden müsste, nur eine 0,2 Stelle genehmigen. So kann sozialdemokratische Politik vor Ort nicht glaubhaft rüber gebracht werden. So wird es ein gegenseitiges Verständnis zwischen Arbeitnehmern und SPD nicht geben, da helfen selbst die idealsten Beschwörungen eines fernen Vorsitzenden gar nichts.
Am Anfang steht das Licht der Welt
Als ich im Jahre 1946 auf die Welt kam, hatte Deutschland einen fürchterlichen, einen mörderischen Krieg verloren. Deutschland lag am Boden. Die Ideen der Siegermächte, wie nun mit Deutschland verfahren werden sollte, reichten von kommissarischer Verwaltung, ja, sogar bis zum Auslöschen der Nation. Schließlich einigte man sich auf der Potsdamer Konferenz darauf, Deutschland eine neue Chance geben zu wollen, wieder in die Völkergemeinschaft zurück zu kehren. Die Geschichte der Bundesrepublik Deutschland begann ihren Lauf im Mai 1945. Einige Jahre später, 1948 begann die Geschichte der sozialen Marktwirtschaft. Drei Jahre mussten die Bürger der Bundesrepublik jedoch auf die Einführung der neuen Mark warten. Drei Jahre war der Schwarzmarkt allgegenwärtig. Und auch in der Zeit, in der ich heranwuchs, hörte ich noch ab und zu, wenn die Erwachsenen über die „alten Zeiten“ sprachen. Da wurde dann berichtet, wie man Tabak gegen Fleisch oder Ananas gegen Fahrradschläuche, Teppiche gegen Milch und landwirtschaftliche Produkte gegen alle möglichen Produkte tauschte. Mein Großvater war Bäcker und der, wurde mir einmal erzählt, soll Brot für meine ersten Schuhe getauscht haben. Der Schwarzmarkt war so etwas wie der Urmarkt, ein Markt ohne Münze – Ware gegen Ware.
Das konnte natürlich in einer zivilisierten Gesellschaft nicht die Norm sein. Man wollte aber auch nicht wieder dominierende Wirtschaftsunternehmen haben, die marktbeherrschend sind oder werden würden. In der Montanunion wurden die ersten paritätischen Mitbestimmungsgesetze gesetzlich verankert. Die größte, in der Nazi-Zeit zu ungeheurer Blüte angewachsene Kapitalgesellschaft, die IG-Farben wurde politisch zerschlagen. Man wollte ganz bewusst, die Arbeitnehmer am Gesamtvermögen des Staatswesens und der Wirtschaft und somit am Volksvermögen beteiligen. Eine ungeheuer interessante und bewegende Zeit. Eine neue, bisher nie da gewesene Wirtschaftsform wurde geboren. Man wollte auch nicht mehr, dass die Stahlschmieden diesen infernalischen Einfluss auf die Politik erhalten.
Mit diesem zweifellos hehren Grundgedanken prägte der erste Wirtschaftsminister unserer damals jungen Republik, Ludwig Erhardt, als Wirtschaftsleitsatz den Begriff der „Soziale Marktwirtschaft“. Jedoch konnte die Neue Wirtschaft nicht mit der alten Reichsmark begonnen werden. Und so sinnierten die Parlamentarier im ersten Bundestag, wie sie den Markt in geordnete Bahnen lenken konnten. Um die Wirtschaft gleichgewichtig und unter gleichen Vorzeichen zu starten, war eine allseits akzeptierte Währung dringend erforderlich.
Alle Maschinen waren nach dem Krieg jedoch zerstört oder die intakten Maschinen wurden durch die Siegermächte abgebaut. Unsere junge Republik war gar nicht in der Lage, eine solche Mammutaufgabe, wie den Druck einer neuen Währung, zu erfüllen. Daher wurde unsere neue Währung, die Deutsche Mark, die später nur noch D-Mark genannt wurde, in den USA gedruckt. Anschließend wurde die neue Währung unter dem Code-Namen „Bird Dog“ in 20 000 Holzkisten über den Atlantik gebracht und hier unter strengster Abschirmung vor der Öffentlichkeit angelandet. Gleichzeitig wurden im April 1948 von führenden deutschen Geldexperten die Grundlagen für die Logistik der Währungsumstellung erarbeitet. Am 20. Juni 1948 wurde die Reichsmark gegen die „DMark“ ausgewechselt. Aber nicht 1 zu 1, jeder Deutsche erhielt gegen Einzahlung von 60 Reichsmark die sogenannte Kopfquote in Höhe von 40 D-Mark. Zwei Monate später wurden weitere 20 D-Mark ausgezahlt. Und mit der Einführung der „D-Mark“ nahm ein unvergleichbarer Wirtschaftsaufstieg seinen Anfang.