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ISBN 978-3-7065-6080-1

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Satz: Da-TeX Gerd Blumenstein, Leipzig

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Ewald Volgger OT

Vom Schafott zum Altar

Bestattung und Translatio des Märtyrers Franz Jägerstätter

Jägerstätter Studien

Herausgeber: Franz und Franziska Jägerstätter Institut

Katholische Privat-Universität Linz

Redaktion: Dr. Andreas Schmoller, Dr.in Verena Lorber

Band 1

Einleitung

1. Religiöse und politische Bedeutungen des Erinnerns

Orte der Erinnerung haben eine besondere Aufgabe und Wirkung. Der neugeschaffene Altar der Pfarrkirche von St. Radegund ist ein solcher Ort. Unterhalb der Altarplatte, in die Mitte des Altaraufbaus, wurde ein kreuzförmiger Glaskörper eingebettet, der die Reliquien (Brandleichenreste) des seligen Märtyrers Franz Jägerstätter birgt und seinen Märtyrertod gegenwärtig hält.2

Am 9. August 1943 wurde Franz Jägerstätter am Schafott in Brandenburg an der Havel hingerichtet; am 11. August wurde seine Leiche verbrannt. Das Todesurteil gegen Franz Jägerstätter am 6. Juli 1943 durch das Militärgericht des NS-Regimes brachte „den Verlust der Wehrwürdigkeit und der bürgerlichen Ehrenrechte“ mit sich.3 Eine Widerstandspersönlichkeit, die sich wie nicht wenige aus Gewissensgründen und religiöser Überzeugung gegen das menschenverachtende Regime des Nationalsozialismus aussprach, sollte vernichtet und die Erinnerung an sie ausgelöscht werden. Der Totalitarismus der NS-Ideologie duldete keine Infragestellung und Opposition. Selbst über den Tod hinaus sollte die anonyme Bestattung der Hingerichteten die Erinnerung unterbinden. Die Anonymbestattung verunmöglichte auch die Grabkultur als eine mögliche Form der Erinnerung. Die Haltung Jägerstätters, seine Wirkung auf Menschen um ihn herum, nicht zuletzt im Gefängnis, bewirkte aber das Gegenteil.

Totalitäres Denken, wie es auch vom NS-Regime unter Hitler in unüberbietbarer Weise praktiziert worden war, anerkennt in seiner Radikalität die Individualität und Würde eines Menschen nicht, nicht einmal jene der selbst totalitären Akteur/innen, es negiert die Menschenrechte, es vernichtet die Tatsache der Existenz eines Menschen. Das Leben eines Menschen ist vollkommen überflüssig, weil es jederzeit ersetzt werden kann. Das unterscheidet es vom Mörder.4 Die Verfolgungen, Verurteilungen, Hinrichtungen und die Konzentrationslager des NS-Regimes dienten in ihrer Radikalität dazu, „Menschen so zu behandeln, als ob es sie nie gegeben hätte, sie im wörtlichsten Sinne verschwinden zu lassen“.5 Dieses Ziel verfolgten die Nationalsozialisten konsequent, wenn sich Menschen, aufgrund welcher Überzeugung auch immer, ihrem System und dessen Absichten entgegenstellten oder dessen Grundlagen hinterfragten. Auch die Hinrichtung Jägerstätters entsprach dieser Absicht.

Hannah Arendt hat umfassend reflektiert, wie totalitäre Regime agieren. Sie erläutert dabei drei Tode, die konsequent aufeinander folgen. Die Vernichtung der juristischen Persönlichkeit durch Hinrichtung oder Konzentrationslagerhaft, in der der Tod sicher folgt, ist ein erstes Ziel der totalitären Verfolgung.6 Ein nächster entscheidender Schritt ist die Ermordung der moralischen Person, wodurch Märtyrertum unmöglich gemacht wird und Trauer und Erinnerung unmittelbar verhindert werden. Sterben für etwas sollte seinen Sinn verlieren.7 Und schließlich beabsichtigt das totalitäre Regime auch die Tötung der Spontaneität, damit meint Arendt die Fähigkeit des Menschen, von sich aus etwas Neues zu beginnen, eine Facette der Individualität.8 Auch die Gewissensentscheidung, „besser als Opfer zu sterben, denn als Beamter des Sterbens zu leben“, sollte ihrer Sinnhaftigkeit beraubt werden, indem Anhänger/innen des NS-Regimes „die Entscheidung des Gewissens selbst absolut fragwürdig und zweideutig machten“.9 „Das einzige, was nach der Tötung der moralischen Person noch übrigbleibt, um zu verhindern, dass Menschen lebende Leichname sind, ist die Tatsache der individuellen Differenziertheit, der eigentümlichen Identität.“10 Noch unmittelbar vor seiner Hinrichtung bemerkt Jägerstätter: „… immer noch besser, als wenn der Wille gefesselt wäre“11, und bestätigt damit, dass „dieser Bestandteil der menschlichen Person, gerade weil er so wesentlich von Natur und willensmäßig unkontrollierbaren Mächten abhängt, am schwersten zu zerstören ist“.12 Jägerstätter, der sich mit entschiedener Gewissensüberzeugung und mit von Gott begnadeter Kraft, wie er selbst bestätigt, gegen alle Formen der Lüge wandte, machte deutlich, dass der Glaube eine Instanz ist, die Wert und Würde der Person hochhält und zu verantwortungsvollem Handeln anhält, welche Würde und Individualität des Menschen nicht zu verletzen beabsichtigt.

Franz Jägerstätter begründete seine Haltung dem NS-Regime gegenüber mit seinem Glauben. „Hätte mir Gott nicht die Gnade und Kraft verliehen …“13, merkt er in einem seiner letzten Schreiben an, um deutlich zu machen, dass er diesen Weg des Widerstandes und der Verweigerung nicht einfach von sich aus gesucht hatte. Erst die in der Gottesbeziehung geschenkte Erkenntnis und Kraft ermöglichte ihm den inneren und äußeren Widerstand. Im Todesurteil des Reichskriegsgerichtes wird Jägerstätters Haltung und Aussage damit begründet,

dass er gegen sein religiöses Gewissen handeln würde, wenn er für den nationalsozialistischen Staat kämpfen würde. […] Er erklärte sich jedoch bereit, als Sanitätssoldat aus christlicher Nächstenliebe Dienst zu tun. In der Hauptverhandlung wiederholte er seine Erklärungen und fügte hinzu: Er sei erst im Laufe des letzten Jahres zu der Überzeugung gelangt, dass er als gläubiger Katholik keinen Wehrdienst leisten dürfe; er könne nicht gleichzeitig Nationalsozialist und Katholik sein; das sei unmöglich. Wenn er den früheren Einberufungsbefehlen Folge geleistet habe, so habe er es getan, weil er es damals für Sünde angesehen habe, den Befehlen des Staates nicht zu gehorchen; jetzt habe Gott ihm den Gedanken gegeben, dass es keine Sünde sei, den Dienst mit der Waffe zu verweigern; es gebe Dinge, wo man Gott mehr gehorchen müsse als den Menschen; auf Grund des Gebotes „Du sollst Deinen Nächsten lieben wie Dich selbst“ dürfe er nicht mit der Waffe kämpfen. Er sei jedoch bereit, als Sanitätssoldat Dienst zu leisten.14

Der Wehrpflicht nicht nachzukommen und nicht mit der Waffe kämpfen zu wollen, wurde als Zersetzung der Wehrkraft beurteilt. Demzufolge wurde Franz Jägerstätter am 6. Juli 1943 zum Tode verurteilt.

Über 50 Jahre später, am 7. Mai 1997 wurde das Feldurteil des Reichskriegsgerichts gegen Franz Jägerstätter auf Antrag seiner Töchter Rosalia Sigl, Maria Dammer und Aloisia Maier aufgehoben. Der Grund lag darin, dass dieses aus religiösen Gründen ergangen ist und lediglich dazu diente, das nationalsozialistische Regime zu unterstützen und aufrechtzuerhalten. Das Landgericht Berlin hält fest, dass „die Entscheidung, aus Gewissensgründen keinen Wehrdienst mit der Waffe zu leisten, zu respektieren ist“.15 Damit sollte das nationalsozialistische Unrecht wiedergutgemacht werden, denn das Todesurteil ist in den Augen der Nachfolgegesellschaft Unrecht und eine rechtswidrige vorsätzliche Tötung, nach österreichischem Recht Mord (vgl. § 75 StGB).16 Damit wird deutlich und bestätigt, dass die Haltung Jägerstätters richtig und konsequent war. Jägerstätter hatte erkannt, dass die „neue Religion“, wie sie von Adolf Hitler bereits in seiner ersten Rede als Reichskanzler 1933 proklamiert worden war, den katholischen Glauben an Gott nicht respektierte. Deutlich gilt es anzumerken, dass alle Soldaten, die in diesem ungerechten Krieg gefallen sind und ihr Leben auf das Spiel gesetzt haben, aber auch alle weiteren zwangsweise zum Soldaten- und Staatsdienst Einberufenen dem menschenverachtenden Machthunger und Größenwahn sowie dem verbrecherischen Krieg und der Vernichtungsmaschinerie zur Verfügung stehen mussten. Franz Jägerstätter, Bauer und Mesner aus St. Radegund, hatte dafür eine klare Sichtweise und entschied sich, gegen den Strom zu schwimmen. Er setzte damit ein prophetisches Zeichen.

Eine Nachfolgegesellschaft gestaltet für Opfer totalitärer Systeme kulturelle und politische Erinnerungsmomente, die vom Denk- bzw. Mahnmal über künstlerisch-kulturelle oder wissenschaftliche Veranstaltungen bzw. philosophisch-ethische Reflexionen bis hin zu politischen Mahnereignissen reichen. Alle Initiativen insgesamt können unter dem Begriff Erinnerungskultur bzw. -arbeit zusammengefasst werden.

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Abb. 2: „Einsame Entscheidung“, Bild 5 aus dem Jägerstätter-Zyklus von Ernst Degasperi

Der in Meran/Südtirol geborene und in Wien beheimatete Künstler Ernst Degasperi charakterisierte die NS-Ideologie und Vernichtungsmaschinerie als die „Pervertierung der Gewalt zur Moral“.17 Demgegenüber hat Jägerstätter durch seine moralische Haltung deutlich gemacht, dass die menschen- und glaubensfeindliche Gewalt der Nazis nicht zu rechtfertigen ist, und hat sich der Pervertierung entgegengestellt. Degasperi verstand sein künstlerisches Schaffen als Friedensarbeit. Sein Jägerstätter-Zyklus bringt die Haltung Jägerstätters gegen den Strom seiner Zeit in bewegender Weise zum Ausdruck.

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Abb. 3: „Gegen den Strom“, Bild 6 aus dem Jägerstätter-Zyklus von Ernst Degasperi

Der Papst, die höchste Autorität der Kirche, sprach Franz Jägerstätter 2007 selig, womit er einen bleibenden Platz im Martyrologium der katholischen Kirche hat. Seine Lebenshingabe wird mit einer neuen Wertigkeit versehen, die von Menschlichkeit und Gottesbezug geprägt ist. Die Kirche pflegt den Brauch, Märtyrer/innen unter einem Altar zu bestatten, so wie ursprünglich über den Gräbern von Märtyrer/innen Kirchen und Altäre erbaut wurden. Das ist eine besondere Form der Erinnerungskultur. Jägerstätters Bestattung unter dem Altar, die ihm als Märtyrer zukommt, stiftet ein bleibendes Gedenken und verbindet die Lebenshingabe Jesu und ihren Sinn mit der Lebenshingabe des Märtyrers in der Nachfolge Jesu, um der Liebe zu den Menschen den Vorrang zu geben.18

Auch die offizielle Politik in Österreich rehabilitierte den, der sich geweigert hatte, mit der Waffe in der Hand für Hitler zu kämpfen. Anlässlich der Seligsprechung schrieb der österreichische Bundespräsident Dr. Heinz Fischer an Frau Franziska Jägerstätter und konstatierte im Namen der Republik Österreich:

Mit diesem besonderen Schritt wird das Wirken von Franz Jägerstätter weit über die Grenzen unseres Landes hinaus geehrt und dokumentiert. Auch für unser Land war es nach 1945 nicht leicht, die Opfer des Widerstandes anzuerkennen und zu akzeptieren. Die bewusste Gehorsamsverweigerung von Franz Jägerstätter, die aus einem langen Reifungsprozess entstanden ist, verdient unseren höchsten Respekt und Anerkennung. Die Nationalsozialisten konnten Franz Jägerstätter töten, aber genau dadurch haben sie seine moralische Größe sichtbar gemacht. Sie wollten seinen Namen auslöschen und haben ihn eben dadurch ins Buch der Geschichte eingetragen.19

Durch die Selig- bzw. Heiligsprechung in der katholischen Kirche wird eine bleibend gültige Entscheidung gegen das Vergessen einer Persönlichkeit, gegen die Negation der Individualität der menschlichen Person und deren Würde gesetzt, das Erinnern zur Anregung, zur Aufgabe, ja Pflicht erhoben sowie unter den Kategorien der kirchlichen Riten und Feiermöglichkeiten und durch die darüber hinaus zu gestaltende Erinnerungskultur verwirklicht. Die Haltung einer Persönlichkeit gegen die Kräfte des Bösen wird anerkannt und in ihrer bleibenden Bedeutung (Heroizität) zur Verwirklichung des Evangeliums gewertet.20

Nachdem Franz Jägerstätter als Märtyrer anerkannt worden war und dessen Seligsprechung im Jahr 2007 erfolgte, unternahm die Pfarrgemeinde von St. Radegund im Zuge einer Generalsanierung der Pfarrkirche auch die Neugestaltung des Altarraumes ihrer Pfarrkirche und übertrug die Reliquien des seligen Franz Jägerstätter (Brandleichenreste) nach Absprache mit der Diözesanleitung in den neuen Altar. Damit wird dem Ansinnen des totalitär denkenden Nationalsozialismus mit dessen verbrecherischer und menschenverachtender Tötungsmaschinerie und seinem Kriegsfanatismus, die Erinnerung all derer auszulöschen, die sich dagegen aussprechen und dagegen verhalten, eine bleibende Gedächtnisstätte entgegengesetzt. Die Seligsprechung von Franz Jägerstätter bestätigt, dass er mit seinem Gewissen ein klares Urteil gegen das religionsfeindliche und den Wert eines Menschen verachtende System für sich gefunden hatte und dafür in den Tod ging. Die Aufhebung seines Todesurteiles bestätigt, dass er nicht nur im religiösen Sinne richtig lag, sondern auch aus politischer Perspektive Recht bekommen sollte, ist doch der Nationalsozialismus derart zu verurteilen, dass bereits das Aufgreifen dieses Gedankengutes und dessen Verbreitung heute (in Deutschland und Österreich) verboten sind und geahndet werden.21

Wie sehr Jägerstätter inzwischen auch in Kultur, Politik und Gesellschaft angekommen ist, mögen drei weitere Beispiele zeigen. Bundespräsident Alexander Van der Bellen verweigerte im September 2018 durch Androhung seines Veto-Rechtes dem freiheitlichen Politiker Hubert Keyl die von der Regierung beschlossene Ernennung zum Richter am Bundesverwaltungsgericht, weil er Franz Jägerstätter einen Verräter genannt und dessen Seligsprechung in Frage gestellt hatte. SPÖ-Kultursprecher Thomas Drozda meinte nach der Nominierung von Keyl, „dass das Ansehen eines Nationalhelden unserer Republik, eines Menschen, der zum Inbegriff des Anstands und der aufrechten Haltung unter Inkaufnahme der Vernichtung der eigenen Existenz wurde, zutiefst beleidigt wird“.22

Zur Eröffnung des Internationalen Brucknerfestivals in Linz am 8. September 2019 brachte der Chor V. I. P. Voices in Progress den von Schriftsteller Franzobel (Franz Stefan Griebl) verfassten Text „Jägerstätter“ und das von Thomas Mandel komponierte Chorwerk zur Uraufführung. Dazu meinte Bürgermeister Klaus Luger in seiner Festansprache, dass der Aufbruch in neue Welten immer auch Erkenntnisse aus der alten Welt mitnehmen möge, und konkretisierte seine Aussage: „Wir können zum Beispiel mitnehmen – das hat die Inszenierung des Chors mit dem Lied über Franz Jägerstätter bewiesen –, dass wir Jahre wie 1933, 1934, 1938 und ganz besonders 1939 als gesellschaftlichen Auftrag sehen, dass solche Entwicklungen, und zwar von ihren Wurzeln an, nie wieder stattfinden dürfen. Das soll uns gerade in diesem September bewusst sein.“23 Mit diesem Chorwerk und demselben Chor unter Leitung von Stefan Kaltenböck war Oberösterreich auch beim Festkonzert am 3. November 2019 im Großen Saal des Wiener Musikvereines vertreten. Gefeiert wurden 70 Jahre Chorverband Österreich. Jägerstätter wurde inzwischen zu einem Ausweis Oberösterreichs auch in der kulturellen Welt.24

Das Weltkriegsdrama A Hidden Life von Starregisseur Terrence Malick wurde beim Filmfestival in Cannes am 19. Mai 2019 im Wettbewerb um die Goldene Palme uraufgeführt. Der Spiegel schrieb anlässlich der Premiere: „Der neue Titel A Hidden Life, einem Zitat von George Eliot entlehnt, setzt einen anderen, prägnanteren Akzent: Immer wieder machen Nazischergen Jägerstätter klar, dass von seinem Akt des Widerstands keine Wirkung ausgehen wird, dass niemand von seinen Taten hören wird. Dieser Film stellt sicher, dass von diesem Mann und diesem Leben nichts verborgen bleibt.“25 Am 21. November 2019 feierte er als Eröffnungsfilm des Filmfestivals Around the World in 14 Films in Berlin seine Deutschlandpremiere, bevor er am 31. Januar 2020 in die deutschen Kinos kam. Seine weltweite Wirkung wird erst nach Jahren abschätzbar sein.

Dieses Buch beschreibt und dokumentiert die Geschichte der sterblichen Überreste Franz Jägerstätters von der Erstbestattung auf dem Friedhof in Brandenburg am 17. August 1943 bis hin zur Translatio und Bestattung unter dem Altar am 20. Mai 2016 bzw. der Weihe des Altares am darauf folgenden Tag in St. Radegund. Der erste Teil der Studie blickt auf die Genese der Verehrung und Rezeption Jägerstätters bis zur Seligsprechung im Jahr 2007. Zu den Schwerpunkten gehört dabei die Überbringung der Urne von Brandenburg nach Vöcklabruck bzw. nach St. Radegund nach Ende des Zweiten Weltkrieges und der zweiten Bestattung an der Kirchenmauer der Pfarrkirche von St. Radegund (1946). In die dokumentarische Rekonstruktion eingebunden werden auch jene Personen, die mit der Würdigung seiner „Reliquien“ und seines Andenkens in einem jahrzehntelangen Prozess ein „bleibendes Gedenken“ ermöglicht und gestiftet haben. Dies gilt vor allem für die frühe Verehrung Jägerstätters in der intimen Sphäre von einzelnen Initiativen, die anhand der Briefnachlässe von Franz und Franziska Jägerstätter, der Pfarrchronik von St. Radegrund und anderen historischen Aufzeichnungen des Pfarrarchives beleuchtet wird. Die sterblichen Überreste von Franz Jägerstätter haben von Anfang an eine Achtsamkeit erfahren, damit sein Weg, sein Leiden, sein Sterben und sein Zeugnis nicht vergeblich waren. Die Darstellung stellt jedoch nicht den Anspruch, eine umfassende Wirkgeschichte Franz Jägerstätters seit seinem Tod zu bieten. Insbesondere die jüngere Entwicklung einer intensiven und vielschichtigen Rezeption in Kunst und Gesellschaft bleibt weitgehend ausgespart.26 Der gebotene Überblick fokussiert auf einige Aspekte der internationalen Entdeckung Jägerstätters sowie der kirchlichen Entwicklung vor allem im Bereich der Diözese, die als wegbereitend für die Seligsprechung Jägerstätters betrachtet werden müssen. Der zweite Teil des Buches nimmt das Interesse bzw. die kirchliche Sorge für die Reliquien des Märtyrers sowie die intensivierte Form der Verehrung Jägerstätters infolge der Seligsprechung in den Blick. Dies gilt zunächst für die Konzeption der Reliquienstele im Linzer Mariendom (2007), in die der Autor in seiner Funktion als Liturgiewissenschafter von der Diözese Linz besonders eingebunden war. Daran schließen die Urnenhebung 2008, die kirchenamtliche Erkundung und Bestätigung (2015) und die Translatio bzw. Einbringung der Reliquien unter dem neuen Altar der Pfarrkirche von St. Radegund und dessen Weihe 2016 an. Letztere wird ausführlich dokumentarisch festgehalten und aus liturgietheologischer Perspektive kommentiert. In der Darstellung wird auch die Erkundung der Echtheit der Reliquien umfassend dokumentiert, da diese eine wesentliche Voraussetzung für deren Bestattung unter einem Altar darstellt. Der Altar über den Reliquien des Märtyrers wurde im Zuge der Generalsanierung der Pfarrkirche und der neuen Altarraumgestaltung samt Taufbecken und künstlerischer Gestaltung der Kirche als Gedankenraum eingerichtet. Mit einbezogen werden auch weitere wichtige Orte und Objekte außerhalb von St. Radegund, die (Primär-)Reliquien von Franz Jägerstätter zeigen bzw. bergen. Dem vorangestellt sind kurze theologische, kirchengeschichtliche und liturgische Erläuterungen, die den Altar und den gesamten Kirchenraum der Pfarrkirche als christlichen Deutungshorizont für die Erinnerung und Verehrung des seligen Franz Jägerstätter aufzeigen.

2. Die Bedeutung von Märtyrer/innen und Reliquien sowie die Reliquienbeisetzung unter der Altarmensa

Die Absage an das Böse und das Bekenntnis des Glaubens gehören zur Taufberufung und verwirklichen diese. Was in der Babytaufe in seiner Dramatik nicht deutlich genug wird, hatte in der altkirchlichen Erwachsenentaufe seine Gestalt gefunden: Erwachsene und in der Christusbeziehung bereits gefestigte Menschen erklären, dass sie aufgrund der gereiften Christusbeziehung eine Klarsicht gegen das Böse, gegen alles Entzweiende (diabolein) haben und mit der Kraft der Gottesbeziehung das Gute suchen. So wird durch die Christusnachfolge die Bejahung des dreifachen Liebesgebotes (Gott – Selbst – Nächste) und die Verwirklichung der Werte des Evangeliums zusammengefügt (symballein) zu einem Leben aus dem Glauben. Das Diabolische wird bekämpft und gemieden, das Symbolische gesucht und gepflegt. Die Märtyrergestalt, die für diese Überzeugung das Leben gibt, wird Vorbild und mahnende Gestalt zugleich, hat damit immer auch eine prophetische Qualität. Dazu dienen: der Wallfahrtsort, der jährliche Gedenktag, Grabmäler und Altäre, unter denen die Reliquien bestattet sind, pädagogisch-didaktische Arbeiten, theologisch-ethische Auseinandersetzungen und auch alle Formen der Erinnerung in Kunst und Kultur. Die Beisetzung der sterblichen Überreste, der Reliquien, eines Märtyrers unter einem Altar, auf dem regelmäßig die Eucharistie gefeiert wird, würdigt im liturgischen Glaubensvollzug in vornehmster Weise die Lebenshingabe eines Menschen als Zeugnis in der Nachfolge Jesu.

Reliquien im klassischen Sinne sind die sterblichen Überreste einer christlichen Persönlichkeit, die im Sinne der katholischen Kirche selig- bzw. heiliggesprochen ist, und welche liturgisch verehrt werden; wobei die sterblichen Überreste eines Menschen als Primärreliquien bezeichnet werden im Unterschied zu Lebensutensilien und Berührungsstücken, welche als Sekundärreliquien gelten.27 Für die Entscheidung über die Echtheit und die Aufbewahrung ist die römische Kongregation für die Selig- und Heiligsprechungsprozesse zuständig.28 Im Rahmen eines Kanonisationsprozesses ist auch die kanonische Anerkennung der sterblichen Überreste von Diener/innen Gottes vorzunehmen. In der Regel geschieht dies auf Anfrage des Postulators.29

Der Bestattungsort spielt für einen Seligen bzw. für die Verehrung vor der Seligsprechung, wenn er gegeben ist, immer auch eine wichtige Rolle, sollte doch eine durchgängige Verehrung des Grabes/am Bestattungsort nachgewiesen werden können. Daher greift dieser Beitrag auch auf die Umstände und diesbezüglichen Gegebenheiten aus.

Reliquienbeisetzung

Die in der Allgemeinen Einführung in das Messbuch Nr. 266 von 1975 vorgesehene Möglichkeit, Reliquien in die Altarplatte einzulassen, wurde im Kirchlichen Rechtsbuch (CIC) von 1983 c. 1237 § 2 nicht mehr übernommen.30 Dementsprechend heißt es in der Grundordnung des Römischen Messbuches (GORM) von 2002:

Nr. 302. Der Brauch, unter einem Altar, der geweiht wird, Reliquien von Heiligen – auch von solchen, die keine Märtyrer waren – einzufügen, ist passenderweise beizubehalten. Man hat jedoch darauf zu achten, dass die Echtheit der Reliquien erwiesen ist.31

Die Formulierung „unter einem Altar“ kann auch den Altaraufbau meinen, da mit dem Altar im Wesentlichen die Altarplatte gemeint ist, die auch aus Stein gefertigt sein sollte. Der Kirchweihritus im Pontifikale von 1992 konkretisiert in der Einführung Nr. 5 die kirchenrechtliche Norm zum Brauch der Reliquiendeposition unter bzw. in Altären:

5. Den Brauch der römischen Liturgie, Reliquien von Märtyrern oder anderen Heiligen unterhalb der Altarmensa beizusetzen, möge man – soweit angebracht – beibehalten. Jedoch ist dabei folgendes zu beachten:

a) Die Reliquien sollen so groß sein, dass man sie als Teile menschlicher Körper erkennt. Die Beisetzung zu kleiner Reliquien eines oder mehrerer Heiliger ist deshalb zu vermeiden.

b) Mit größter Sorgfalt ist auf die Echtheit der Reliquien zu achten. Es ist besser, einen Altar ohne Reliquien zu weihen, als zweifelhafte Reliquien beizusetzen.

c) Der Reliquienbehälter soll weder auf den Altar gestellt noch in die Altarmensa eingelassen, sondern unterhalb der Mensa an einer Stelle, die sich von der Form des Altares her dafür eignet, eingefügt werden.32

Als wesentliches Kriterium für die Beisetzung von Reliquien werden die Echtheit und die Größe der menschlichen Überreste, damit sie noch als solche erkannt werden können, genannt. Diese beiden Kriterien haben dazu geführt, dass im Auftrag des Linzer Diözesanordinarius geprüft werden sollte, ob die (vermutlichen) sterblichen Überreste (Leichenbrandreste) von Franz Jägerstätter unter der Altarmensa des neuen Altares in der Pfarrkirche von St. Radegund beigesetzt werden können.

Das Pontifikale, die liturgische Vorgabe der Altarweihe für den Bischof, beschreibt den Altar als den Ort, an dem sich die Lebenshingabe Christi mit der von Märtyrer/innen verbindet. Aus der Kraft der Eucharistie haben auch die Märtyrer/innen das Leben durch, in und mit Christus aus Liebe zum himmlischen Vater und zu den Menschen hingegeben. Sie waren getragen von der Kraft und Gnade der Beziehung, die von beiden zugleich ausgeht und in welche die Taufberufenen hineingenommen werden:

Der Altar, Ehre der Märtyrer/innen. Die Würde des Altares liegt vor allem darin begründet, dass er Tisch des Herrn ist. Nicht die Leiber der Märtyrer/innen ehren also den Altar, sondern die Gräber der Märtyrer/innen werden vielmehr durch den Altar geehrt. […] „Wo Christus die Opfergabe ist, dorthin folgen die Opfer im Triumph. Er ist auf dem Altar, da er für alle gelitten hat; jene sind unter dem Altar, da sie durch sein Leiden erkauft sind.“33 Diese Ordnung scheint gleichsam ein Spiegelbild der Vision des Apostels Johannes in der Offenbarung zu sein: „Ich sah unter dem Altar die Seelen aller, die hingeschlachtet worden waren wegen des Wortes Gottes und wegen des Zeugnisses, das sie abgelegt hatten.“34 Denn wenn man auch mit Recht jeden Heiligen einen Zeugen Christi nennen kann, so hat doch das Blutzeugnis der Märtyrer/innen eine besondere Kraft, die nur Märtyrerreliquien unter dem Altar voll zum Ausdruck bringen.35

3. Die Pfarrkirche als Identifikationsraum

Franz Jägerstätter, der seit seiner Hochzeit am 9. April 1936 mit Franziska Schwaninger häufiger, ja täglich zur Messe in die Pfarrkirche ging, übernahm im Herbst 1941 auch den Mesnerdienst, nachdem der bisherige Mesner gestorben war.36 Als Mesner kannte er den Kirchenraum und die ihn prägende künstlerische Gestaltung wie kaum ein anderer. Es ist davon auszugehen, dass für ihn die ikonographische Gestaltung auch eine spirituelle Komponente war. Wenn seine Reliquien nunmehr in die Pfarrkirche übertragen und unter dem Altar beigesetzt worden sind, reiht sich dieses Ereignis ein in die lange Tradition der Kirche, auch der Pfarrkirche von St. Radegund. Am 15. April 1422 waren in dieser nach entsprechender Bautätigkeit drei Altäre geweiht worden.37 Der erste im Chor zu Ehren der hl. Radegundis und des hl. Laurentius, auf der rechten Seite der zweite zu Ehren Mariens und der dritte zu Ehren der hl. Leonhard, Sigismund und Wolfgang, dem Bekenner.38

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Abb. 4: Historische Innenansicht der Pfarrkirche St. Radegund mit den drei Altären, o. D.

Die Pfarrkirche von St. Radegund heute ist geprägt von nicht wenigen Märtyrer/innengestalten. Zunächst ist das Patrozinium selbst zu nennen, die hl. Radegundis mit Kreuz und Krone (4. Viertel 17. Jahrhundert), links und rechts von ihr die beiden römischen Märtyrer Johannes und Paulus jeweils mit Märtyrerpalme und Schwert und den Attributen Sonne und Wolke, die sie als Wetterheilige ausweisen (um 1770). In der Mitte des Hochaltares befindet sich die Himmelskönigin Maria, das Zepter in der rechten Hand und auf dem linken Arm das gekrönte Jesuskind (Gnadenmadonna, 18. Jahrhundert). In den beiden Fenstern des Presbyteriums sind die beiden Märtyrergestalten der frühen Kirche, der hl. Stephanus und der hl. Laurentius, abgebildet; beide Fenster sind im Kriegsjahr 1916 datiert. In den Aufbau des Hochaltares sind links und rechts vom Drehtabernakel, in welchem ein Standkruzifix steht (3. Viertel 18. Jahrhundert), zwei Reliquiare mit einer nicht unbeachtlichen Anzahl an Reliquien eingesetzt. Im Reliquiar links sind Reliquien der hl. Magdalena, des hl. Koloman, der hl. Apollonia, des hl. Patiens, des hl. Fructuosus, der hl. Kunigunde, des hl. Papstes Felix, des hl. Apostels Bartholomäus und des hl. Jacintus eingefügt; hinzu kommen Erinnerungselemente vom Ölberg und ein Stück der Rute Christi (virga). Im Reliquiar auf der rechten Seite vergegenwärtigen Reliquien den hl. Georg, die hl. Radegund, die hl. Kunigunde, den hl. Liberatus, den hl. Clemens, den hl. Benedictus und den hl. Pinctus; eine weitere Reliquie ist aus einem tragbaren Altar eingefügt gemeinsam mit einer Partikel vom (Kreuzes-)Holz Jesu, vom (Abendmahls-)Tisch des Herrn und von den Kleidern der seligen Jungfrau Maria.

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Abb. 5: Heutige Gesamtansicht des Hochaltars der Pfarrkirche mit Märtyrerfenster

Nachdem das ikonographische Programm zur Prägung der Gläubigen in ihrer Spiritualität geschaffen wird, sei auch die weitere Gestaltung angemerkt. Der linke Seitenaltar zeigt die Kreuzigung Jesu mit Maria, der Mutter Jesu, in ihrem Schmerz, begleitet von Johannes, dem Lieblingsjünger; Longinus, einer der römischen Soldaten, sticht in die Seite Jesu, aus der Blut und Wasser fließen, ein Bild für die Sakramente der Kirche. Darüber im Medaillon der aus Reue über seine Verleugnung weinende Petrus, mit dem krähenden Hahn im Hintergrund, und einem Putto, der das Tränentuch zum Trost reicht (2. Viertel 19. Jahrhundert).

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Abb. 6: Der Seitenaltar

Aus dem 1975 entfernten rechten Seitenaltar hängen an der Nordwand der Kirche das Altarblatt mit der schmerzhaften Muttergottes und dem toten Sohn in ihrem Schoß (Vesperbild, Anfang 18. Jahrhundert) sowie das Medaillon mit der hl. Büßerin Maria Magdalena (Anfang 18. Jahrhundert).

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Abb. 7: Das Altarblatt des ehemaligen rechten Seitenaltars

An einer Säule des Mittelschiffes angebracht ist die Skulptur Christi (um 1520), aus dessen Seitenwunde Blut fließt, das der Herr selbst in einem Kelch in seiner Rechten auffängt (Herz-Jesu-Motiv; Hinweis auf die Eucharistie; Hl.-Blut-Verehrung).

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Abb. 8: Skulptur Christi mit Kreuz und Kelch, der das Blut Christi auffängt

In seiner Linken hält er das Kreuz, das Zeichen der Erlösung und der Liebe zu den Menschen. Sodann eine Skulptur Anna Selbdritt (spätgotisch) und die Mater dolorosa, Maria mit dem Schwert durchbohrt (4. Viertel 15. Jahrhundert). Über dem gotischen Eingangsportal auf der Südseite befinden sich der hl. Leonhard, die hl. Notburga und der hl. Isidor. Diese drei Skulpturen wurden von Josef Moser 1950 geschaffen, später wegen Diebstahls in die Sakristei gegeben und nach einer Restaurierung im Juli 1987 wieder über dem Portal eingesetzt (siehe Einlage in der Pfarrchronik), neuerdings restauriert.

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Abb. 9 und 10: Anna Selbdritt (l.); Mater dolorosa (Schmerzensmutter; r.)

In der oberen Sakristei befinden sich eine Skulptur des hl. Laurentius (18. Jahrhundert) vom abgetragenen rechten Seitenaltar, ein Bild der Mutter vom guten Rat, genannt von Canazzano (signiert I. Sch. 1866) und ein Vortragekreuz. In der Sakristei steht eine durchaus wertvolle barocke Reliquien-Monstranz mit einer Kreuzpartikel, wohl zum Mittragen bei Kreuzgängen und nichteucharistischen Flurprozessionen.

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Abb. 11: Reliquien-Monstranz mit Kreuzpartikel

In der Sakristei befindet sich auch eine Skulptur des auferstandenen Christus (2. Hälfte 18. Jahrhundert), die in der Osterzeit auf den Hochaltar gestellt wird. Ein ursprünglich spätgotisches Relief mit dem Letzten Abendmahl, vielleicht ein Relikt aus einem der früheren Altäre aus dem Umkreis von Hans Leinberger (um 1520), hängt heute in Gestalt einer Kopie von Alois Wengler (1962) im Altarbereich an der Nordwand; das Original befindet sich heute als Leihgabe im OÖ Landesmuseum in Linz.39 1948 merkt Pfarrer Josef Karobath an, dass die Herz-Jesu-Statue entfernt und durch eine Ecce-homo-Statue ersetzt worden sei.40

An der Südwand über dem neu geschaffenen Taufbrunnen hängt der von der Kanzel verbliebene Kanzelkorb mit dem Guten Hirten in der Mitte und Petrus und Paulus auf Ölgemälden aus der Zeit um 1730.

Während die Altarplatten der beiden Seitenaltäre und die Altarretabeln nicht mehr existieren, hat sich die ursprüngliche Altarplatte des Hochaltares erhalten. Dieser ist durch die Weihe des neuen Jägerstätter-Altares für die Feier der Eucharistie nach dem Messbuch von 1975 für den ordentlichen römischen Ritus außer Funktion, da die Messe mit der Gemeinde auf dem neuen Altar gefeiert wird. Weiterhin bestehen bleibt der Tabernakel, in dem die Eucharistie aufbewahrt wird.

Jägerstätter war wohl von diesem ikonographischen Programm und den damit verbundenen Impulsen, die von den dargestellten Heiligen ausgehen, geprägt, da Heiligenviten ja ein zentraler Bestandteil seiner täglichen Glaubenspraxis waren. Nunmehr ist er selbst in den Reigen der vergegenwärtigten Märtyrer/innen hineingenommen und selbst Vorbild für jene, welche in diese Pfarr- und Wallfahrtskirche kommen, um Trost, Kraft und Hoffnung im Ringen um die rechte Lebens- und Glaubensgestaltung zu suchen. In seinen allerletzten Mitteilungen an seine Familie aus dem Gefängnis schreibt er noch, er hätte diesen Weg nicht gehen können, „hätte mir Gott nicht Kraft und Gnade verliehen“41 – eine biografisch-theologische Notiz von höchster Relevanz für das Selbstverständnis des Propheten, Bekenners und Märtyrers.

Erster Teil: Geschichte der Verehrung Franz Jägerstätters und seiner sterblichen Überreste

1. Hinrichtung und Kremation

Franz Jägerstätter wurde am 9. August 1943 um 16 Uhr in der Justizvollzugsanstalt Brandenburg-Görden an der Havel durch Enthauptung am Schafott hingerichtet.42 Seit der Verurteilung war er 34 Tage und Nächte gefesselt im Gefängnis. Während dieser Zeit schrieb er die Aufzeichnungen und Briefe mit gefesselten Händen.43

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Abb. 12: Schafott aus der NS-Zeit am Originalschauplatz der Hinrichtung in Brandenburg-Görden

Das Todesurteil unterzeichnete Werner Lueben, Präsident des Reichskriegsgerichtes; ohne dessen Unterschrift hätte das Urteil keine Gültigkeit erlangt. Der Verweis auf ihn ist aus verschiedenen Gründen interessant. Während seiner Dienstzeit am Reichskriegsgericht wurden an die hundert Personen zum Tode verurteilt, darunter auch Zeugen Jehovas, die als Kriegsdienstverweigerer wegen Zersetzung der Wehrkraft hingerichtet wurden; deren Verurteilungen waren von ihm bestätigt worden. Am 1. Januar 1944 erhielt er die Ernennung zum Senatspräsidenten des Reichskriegsgerichtes in Berlin. Als er im Mai 1944 drei Priester, Carl Lampert, Pater Friedrich Lorenz und Herbert Simoleit, zum Tode verurteilen sollte, weigerte er sich, da für ihn die Gründe zur Verurteilung nicht ausreichten. Die Verhandlung war auf den 28. Juli 1944 verschoben worden. An diesem Tag fand man ihn in seiner Wohnung in Torgau an der Elbe; er hatte sich mit seiner Dienstwaffe das Leben genommen. Offensichtlich konnte er aus Gewissensgründen die Verurteilung der Priester nicht bestätigen und entschied (oder wurde gezwungen), dafür selbst in den Tod zu gehen. Lueben wurde auf dem Gertraudenfriedhof in Halle an der Saale begraben, wo ihm 2014 durch den katholischen Pfarrer Herold auch ein Gedenkstein gemeinsam mit den drei hingerichteten Priestern errichtet wurde.44

In einem Feature im Deutschlandfunk am 22. Juli 2016 berichtete seine Tochter Irmgard Sinner über ihren Vater; aufgrund ihrer eigenen schicksalshaften Biografie hatte sie sich Versöhnung zur Aufgabe gemacht.45 Sie sprach über den Kontakt zu Angehörigen von Hingerichteten, die durch das Urteil ihres Vaters das Leben lassen mussten. Unter anderem erinnerte sie sich auch an den Kontakt zu den Töchtern von Franz Jägerstätter, der ihrer Erinnerung nach der Letzte gewesen sei, den ihr Vater zum Tode verurteilt habe. Sie habe Maria Dammer geschrieben, von der sie am 15. September 2013 eine „nette“ Antwort erhielt, „die sie ganz glücklich gemacht habe“:

Liebe Frau Sinner, ich war sehr überrascht, von Ihnen einen so liebevollen Brief zu bekommen. Ich schätze es sehr, dass Sie Anteil an unserem Schicksal nehmen, haben Sie doch ähnliches miterlebt. Ihre Idee, zu uns eine Brücke zu bauen, finde ich großartig. Und ich, wie auch meine Schwestern wollen Ihnen ganz die Hand zur Versöhnung reichen. Im Geist der Liebe und für Versöhnung und für eine Kultur des Friedens einzutreten, soll unser aller Aufgabe sein. […] Mit lieben Grüßen und vielen guten Wünschen, Ihre Maria Dammer.

Zurück in das Jahr 1943. Noch am Tag der Hinrichtung, dem 9. August 1943, schrieb Pfarrer Albrecht46 Jochmann47, zuständig für die Haftanstalt Brandenburg-Görden, an die Witwe Franziska und berichtete ihr vom Sterben ihres Mannes.48 Pfarrer Jochmann, der ihn am letzten Tag begleiten konnte, bezeugt, „dass dieser einfache Mensch der einzige Heilige ist, der mir in meinem Leben begegnet ist“.49

Die Leichen von Franz Jägerstätter und aller weiteren Hingerichteten wurden im Krematorium der Stadt Brandenburg eingeäschert50; auf dem Deckel der Urne für die Brandleichenreste von Franz Jägerstätter ist der 11. August 1943 als Kremationsdatum eingetragen. Unmittelbar nach Kriegsende wurde von der katholischen Pfarrgemeinde Brandenburg eine Gedenktafel für 17 getötete Priester und zwei Laien, an erster Stelle Franz Jägerstätter, für insgesamt 1.800 in Brandenburg getötete Gefangene angebracht, welche im Zuchthaus Brandenburg von 1942 bis 1945 ihr Leben lassen mussten.51

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Abb. 13: Pfarrer Albrecht Jochmann

Auch der Berliner Standortpfarrer Heinrich Kreutzberg52, der Jägerstätter zwei Mal im Wehrmachtsuntersuchungsgefängnis Berlin-Tegel besuchte, schrieb am 21. August, nachdem er die Todesnachricht erhalten hatte, an Franziska Jägerstätter und hält u. a. fest:

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