Was wir aus Nahtod-Erfahrungen für das Leben gewinnen

Mit Vorworten von Bruce Greyson und Caroline Myss

Kenneth Ring und Evelyn Elsaesser


ISBN: 978-3-86191-212-5
1. Auflage 2020
© 2020 Kenneth Ring/Evelyn Elsaesser

Die amerikanische Originalausgabe erschien 1998 unter dem Titel Lessons from the Light – What we can learn from the Near-Death-Experience bei Insight Books, Plenum Press (Perseus), New York und London.

Die Rechte an der deutschen Übersetzung liegen beim Ariston Verlag, München, in der Verlagsgruppe Ran­dom House GmbH.

Deutsche Ausgabe: © Crotona Verlag GmbH & Co. KG Kammer 11, D-83123 Amerang

Übersetzung aus dem Amerikanischen von Heinrich F. Tophinke

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Umschlaggestaltung: Annette Wagner

www.crotona.de

Inhalt

Über die Autoren

 

Dr. Kenneth Ring, Professor em. für Psychologie an der University of Connec­ticut, ist einer der bekanntesten Forscher auf dem Gebiet der NTE mit zahlrei­chen Veröffentlichungen. Er ist einer der Gründer der International Association for Near-Death Studies (IANDS).

 

Evelyn Elsaesser, geboren in Bern (Schweiz), lebt bei Genf und ist an der Universität tätig. Seit über fünfundzwanzig Jahren beschäftigt sie sich inten­siv mit Nahtod-Erfahrungen und anderen Phänomenen rund um den Tod. Sie ist Mitglied des wissenschaftlichen Ausschusses des Forschungsinstituts für Außergewöhnliche Erfahrungen (INREES) in Paris, Koordinatorin für Europa von IANDS USA (International Association for Near-Death Studies) und Koordina­torin für die Schweiz vom Scientific and Medical Network (SMN). Sie ist Verfasserin der Bücher Engelchens Land, Erfahrungen an der Schwelle des Todes und Nahtod-Kontakte.

 

Gewidmet den vielen Nahtod-Erfahrenen,

die zu diesem Buch beigetragen haben,

und den vielen Hunderten,

die mein Leben unermesslich bereicherten.

 

Vorwort

 

Wenn es überhaupt jemanden gibt, der für sich in Anspruch nehmen kann, eine Autorität auf dem Gebiet der Nahtod-Erfahrungen (NTEs) zu sein, ohne selbst eine solche gehabt zu haben, dann wohl nur Ken­neth Ring. Nachdem Raymond Moody 1975 mit seinem Buch Leben nach dem Tod die moderne Nahtod-Forschung begründet hatte, war es Ken, der diese Arbeit entscheidend vorantrieb. Und es war Ken, der der erste Vorsitzende jenes verstreuten Häufleins wurde, welches sich vor 20 Jahren zur International Association for Near-Death Studies (IANDS) zusammenschloss. Die freiwilligen Mitarbeiter trafen sich in seinem Büro in der University of Connecticut, und dort waren wäh­rend der schwierigen ersten Dekade auch die Telefone und die bestän­dig wachsenden Archive untergebracht. Ken war es auch, der die ein­zige wissenschaftliche Zeitschrift für Nahtod-Erfahrungen ins Leben rief und bei jährlichen Versammlungen wissenschaftlicher Gesell­schaften Symposien zum Thema Nahtod-Erfahrung organisierte.

Wenn überhaupt jemand mit mehr Nahtod-Erfahrenen gesprochen hat als Ken – und ich wüsste nicht, wer das für sich in Anspruch neh­men könnte –, dann sicher nicht mit seinem tiefgehendem Verständnis und seiner Aufgeschlossenheit gegenüber dem Thema. Jahrelang war sein Haus den Menschen mit einer Nahtod-Erfahrung aus sämtlichen Teilen der Vereinigten Staaten als »Nahtod-Hotel« bekannt, wo sie vorbeikamen und oft genug auch lange blieben. Sie alle, denen Ken sein Haus öffnete, öffneten ihm dafür ihr Herz und vertieften so seine Einsicht in das wahre Wesen der Nahtod-Erfahrung. Kein anderer Forscher kann wie er die wissenschaftliche Erforschung mit aufrichti­gen Freundschaften, philosophische Theorien mit intuitivem Begrei­fen und die Kenntnis der einschlägigen Literatur mit persönlichen Fallbeispielen verknüpfen. Und was noch wichtiger ist: Kein anderer Forscher kann uns die Wirkung und die wahre Bedeutung von Nah­tod-Phänomenen für unseren Planeten so eingängig vermitteln wie er.

1980, als man in den USA begann, den Wert von fünf Jahren ge­sammelter anekdotischer NTEs in Zweifel zu ziehen, rettete uns Ken mit seinem Buch Life at Death, der ersten wissenschaftlichen Studie zum Thema. Nach vier weiteren Jahren der Debatten darüber, ob es sich bei diesen bemerkenswerten Phänomenen nicht doch um nichts weiter handelte als um so schöne wie flüchtige und vergängliche Hal­luzinationen, war es erneut Ken, der mit dem Buch Den Tod erfahren – das Leben gewinnen die erste umfassende Studie ihrer Nachwirkun­gen vorlegte, also über die tiefgreifenden und lang anhaltenden Ver­änderungen, die sie im Leben jener bewirkten, welche solche Erfah­rungen durchgemacht hatten. Heute, nach unzähligen Talk-Shows, Fernsehserien, Parodien und neurochemischen »Erklärungen«, die selbst Hollywood und die Regenbogenpresse nur mehr langweilen, entlockt uns das Thema Nahtod-Erfahrungen nur noch ein müdes: »Und was weiter?« Aber wieder ist es Kenneth Ring, der uns der Antwort näher bringt. Was er, der Sozialwissenschaftler, uns bietet, ist eine Botschaft voller Sinn, Zielstrebigkeit und Liebe – eine Antwort also, die man eher von einem Theologen als von einem Wissenschaftler erwar­ten würde.

Ken berichtet hier freimütig über die Bedeutung von NTEs und zieht aus seinen empirischen Studien ideologische Schlüsse. Indem er mit dem wissenschaftlichen Tabu gegenüber Begriffen wie Sinn und Zweck aufräumt, stellt er sich offen und ehrlich einem Thema, das nach Maßgabe der meisten Naturwissenschaftler in ihrem Denken keine Rolle spielt.

Doch schon vor mehr als 100 Jahren schrieb der Biologe Ernst Wil­helm von Brück: »Die Teleologie ist eine Dame, ohne die kein Biolo­ge leben kann. Aber er schämt sich, mit ihr an die Öffentlichkeit zu gehen.« Indem Ken diese Themen aufgreift, veranlasst er uns außer­dem, die eigentliche Rolle der Naturwissenschaften bei der Erfor­schung des Universums – wie auch die eigentliche Rolle der Romantik in der praktischen Wissenschaft – zu hinterfragen. Geht es den Wis­senschaftlern mit ihrem Tun lediglich darum, unsere Fähigkeiten zur Formung und Beherrschung unserer Umwelt zu verbessern, oder wol­len sie uns helfen, die Fragen nach Sinn und Zweck innerhalb des Universums zu enträtseln? Die autobiographischen Schriften unserer größten Wissenschaftler beweisen, dass die Triebfeder ihrer Arbeit tatsächlich die Sinnsuche ist.

Während Ken sich mit seinen früheren Büchern hauptsächlich an Menschen wandte, die die NTE aus eigenem Erleben kennen, richtet er sich hier an Unerfahrene, speziell an jene, die glauben, dass unser Leben und die Gesellschaft von – beziehungsweise durch Nahtod-Erfah­rungen profitieren können. Er präsentiert dem Leser praktische Lekti­onen, die er selbst von Menschen mit NTEs gelernt hat, und führt ihn in leicht verständlicher Sprache durch auf Erfahrung beruhende Übungen, die sowohl durch Aussagen Nahtod-Erfahrener als auch vonseiten der wissenschaftlichen Literatur gestützt werden. Die anhalten­den psychischen Veränderungen bei Nahtod-Erfahrenen, die er in frü­heren Arbeiten dokumentierte, können wir, so teilt er uns hier mit, alle erlangen. Tatsächlich liegt der wahre Wert jeglicher Weisheit durch Nahtod-Erfahrungen eben in der Möglichkeit, sie ins Alltagsleben zu transferieren. Die meisten von uns sind mit den Wahrheiten der NTEs vertraut, und viele Menschen legen Lippenbekenntnisse zu ihnen ab: Dass der Tod nicht Angst einflößend ist, dass das Leben nach dem Tod weitergeht, dass die Liebe wichtiger ist als materieller Besitz, dass nichts ohne Grund geschieht. Aber wie wären wir, und wie an­ders wäre die Welt, wenn wir wirklich alle nach diesen Prinzipien leben würden, wenn sie nicht nur Gemeinplätze für uns wären, son­dern lebendige Wahrheiten?

Kann die Lektüre dieses Buches hierbei helfen? Können Leser wirk­lich aus Nahtod-Erfahrungen anderer lernen, ohne selbst welche gehabt zu haben? Ken argumentiert überzeugend, dass dies möglich ist, und stützt seine Ausführungen durch Material aus den Kursen, die er an der University of Connecticut über Nahtod-Erfahrungen gehalten hat, sowie mit dem »Love Project«, das Charles Flynn an der Miami Uni­versity of Ohio durchführte. Ken hat gezeigt, dass das Wissen um Nahtod-Erfahrungen und ihre Wirkungen auch bei Menschen ohne diese Erfahrung zu ähnlichen Veränderungen führen kann. Er be­zeichnet diese Wirkungen als »gutartigen Virus«, mit dem man sich bei Nahtod-Erfahrenen anstecken kann – oder bei Menschen, die be­reits in ähnlicher Weise »infiziert« sind. Ich habe einige seiner Schü­ler kennengelernt und kann bestätigen, dass sie tatsächlich von die­sem »Virus« angesteckt waren und dieses sie nachhaltig verändert hat. Doch für Sie, den Leser oder die Leserin, ist dieses Buch der für sich selbst sprechende Beweis, dass man durch das Wissen um NTEs ver­wandelt werden kann. Und nicht zuletzt ist dieses Buch auch das Zeugnis für Kens eigene Verwandlung, sein selbstloses Geschenk an die Menschheit. Seit er sich mit dem »gutartigen Virus der Nahtod-Er­fahrung infiziert hat«, ist Ken zu einem jener Wissenschaftler gewor­den, die sich nicht mehr schämen, sich mit ihrer »Dame Teleologie« in der Öffentlichkeit zu zeigen. Hier zeigt er auf, dass die Lessons from the Light, die Lektionen vom Licht, wie das Buch im Origi­naltitel heißt, nicht nur für Nahtod-Erfahrene selbst bestimmt sind, sondern dass sie ihnen gegeben wurden mit dem Auftrag, ins Erdenle­ben zurückzukommen, um andere mit diesem Virus zu infizieren.

Kens These wurde nicht so warmherzig aufgenommen, wie man es erwartet hätte, selbst von Theologen nicht, die doch mit den Inhalten vertraut sein sollten. Einige seiner Kritiker meinen, die Attraktivität von NTEs könne so groß sein, dass sie mit der biblischen Religion in Konkurrenz treten; dass sie den Weg zu einem Moralkodex und einer Spiritualität weisen, die besser miteinander in Einklang stehen als unsere jüdisch-christliche Tradition mit der New-Age-Mentalität. Aber auf dem Weg zum New Age geschah etwas Seltsames: Die Stra­ße machte eine leichte Biegung, die uns zu unseren Wurzeln zurück­brachte, zur Goldenen Regel: »Alles, was ihr wollt, dass euch die Menschen tun, das sollt auch ihr ihnen tun« (Matthäus 7,12) und zu den Worten Jesu: »Was immer ihr einem der geringsten meiner Brü­der getan habt, das habt ihr mir getan« (Matthäus 25,40).

Einige Theologen argumentieren, dass die mit NTEs verbundenen verlockenden Visionen deshalb, weil sie an die Stelle des grimmigen »Schnitters« Tod das Lichtwesen als Verkörperung des Todes setzen – und zwar ein Lichtwesen, das wiedergeborene Christen, praktizierende Buddhisten und atheistische Sünder offenbar unterschiedslos liebt –, dass deshalb Nahtod-Erfahrungen nicht göttlicher, sondern nur satani­scher Natur sein können. Wie aber können wir erkennen, ob Men­schen mit Nahtod-Erfahrungen wirklich vom göttlichen Licht gesegnet oder aber vom Fürsten der Finsternis getäuscht worden sind? Kein Gerin­gerer als Jesus selbst gab uns dazu die Vorgehensweise mit seinen Worten: »An ihren Früchten sollt ihr sie erkennen« (Matthäus 7,20). Wie Ken uns so beredt in diesem Buch zeigt, sind die Früchte der Nahtod-Erfahrung Mitleid, Demut, Ehrlichkeit, Nächstenliebe und Lie­be selbst zu jenen, die nicht liebenswert scheinen.

Aber wenn Nahtod-Erfahrungen lediglich Bibelsätze bekräftigen, wozu brauchen wir sie dann? Was fügen sie, und auch dieses Buch, der Botschaft der Schrift hinzu? Ganz einfach – es ist der Unterschied zwischen dem Hören – und der eigenen Erfahrung des Wortes. Für Nahtod-Erfahrene ist die Goldene Regel nicht mehr nur ein Gebot, das es zu befolgen gilt, sondern ein unstrittiges Naturgesetz, das so unab­wendbar ist wie etwa die Schwerkraft. Sie wissen, dass das Universum diesem Gesetz folgt, weil sie es selbst erlebt haben, indem sie direkt die Auswirkungen ihrer Handlungen auf andere erlitten. Obgleich sie sich nicht für ihre früheren Missetaten bestraft oder verurteilt fühlen, erhalten sie dennoch in ihrer Lebensrückschau alles zurück, was sie ausgeteilt haben.

Andere Theologen haben versucht, Nahtod-Erfahrungen des falschen Versprechens dessen zu bezichtigen, was Dietrich Bonhoeffer als »bil­lige Gnade« bezeichnete, nämlich die bedingungslose Vergebung von Sünden ohne jegliche Reue. Billige Gnade, schrieb Bonhoeffer in Nachfolge, sei der Todfeind der Kirche. Aber ist es wirklich das, was Nahtod-Erfahrungen versprechen, oder handelt es sich hier nicht viel­mehr um ein Missverständnis ihrer Botschaft? Das Versprechen »bil­liger Gnade« mag zwar wohl zum großen öffentlichen Interesse an Nahtod-Erfahrungen beitragen, aber in Wirklichkeit geht die Gnade, die Nahtod-Erfahrenen zuteil wird, einher mit einer sehr teuer erkauften Jüngerschaft. Die erlebte bedingungslose Liebe, von der Nahtod-Erfahrene berichten, beschönigt in keiner Weise ihre Sünden, noch ent­schuldigt sie ihr künftiges Verhalten.

Vielmehr erleben sie in ihren NTEs aus erster Hand die schmerzli­chen Konsequenzen ihrer Sünden und kehren als bestärkte Jünger ins Erdenleben zurück, die aus eigener Erfahrung wissen, dass ihr Verhal­ten von weit größerer Bedeutung ist, als sie ursprünglich gedacht hat­ten. Nahtod-Erfahrene kommen nicht zurück mit der Vorstellung, dass sie nun perfekte Wesen seien, sondern eher mit dem unmittelbaren Wissen, was sie tun müssen, um Perfektion zu erlangen. Sie kommen nicht zurück, um sich im Glanz übergroßer Gnade zu sonnen, sondern mit dem Vorsatz, die Goldene Regel zu leben und das Werk einer höheren Macht auszuführen – was oft genug mit großen emotionalen wie auch materiellen Opfern verbunden ist. Diese Gnade hat also durchaus nichts »Billiges« an sich; in der Tat ist sie eben die teure Gnade, die nach Bonhoeffer untrennbar mit Jüngerschaft verbunden ist. Weit davon entfernt, unterschiedsloses Verhalten zu fordern, ver­leiht die bedingungslose Liebe, die Nahtod-Erfahrenen zuteil wird, ihnen die Selbstachtung, den Mut und die Selbsterkenntnis, welche die den Jüngern abverlangten Veränderungen im Leben bewirken.

Wenn also NTEs keine billige Gnade verschenken – dann vielleicht dieses Buch? Dieses Buch zu lesen mag zwar weniger gefährlich sein, als dem Tode nahezukommen oder einen Herzstillstand herbeizufüh­ren, wie es die Medizinstudenten in dem Film Flatliners taten, aber es ist nicht ungefährlich. Sein Ziel ist es, Sie zu verändern und Sie anzu­regen, Ihre Welt zu verändern; und das sind weder leichte noch risiko­lose Vorhaben. Bonhoeffer hatte recht: Wahre Gnade kann nicht leicht zu erreichen sein. Was Ken uns mit diesem Buch bietet, ist nicht ein müheloser, leichter Weg zur Gnade, sondern eher eine Landkarte für die Jüngerschaft, eine Art Fahrplan für den beschwerlichen Weg zur Gnade. Ob Sie sich für diese in keiner Hinsicht einfach zu bewälti­gende Route entscheiden, liegt an Ihnen. Aber wie Ken uns auf diesen Seiten zeigt, ist sie trotz allem äußerst empfehlenswert.

Nach drei Büchern über das Thema Nahtod-Erfahrung hätte Ken auch mit dem Schreiben aufhören können – er wäre trotzdem unsere heraus­ragende wissenschaftliche Autorität zu diesem Thema geblieben. Aber er setzte sein Werk fort, um der ihm übertragenen Verantwortung voll gerecht zu werden. Das Ziel seiner wissenschaftlichen Erforschung von Nahtod-Erfahrungen – und letztlich das Ziel aller wissenschaftli­chen Forschung – ist es, die Basis für eine glaubwürdige und überzeu­gende Theorie über Sinn und Ziel zu schaffen. Seine Infektion mit dem gutartigen Virus hat Ken zum »Nahtod-Erfahrenen zweiten Gra­des« – so bezeichnet er sich selbst – und zum Jünger gemacht. So gewiss, wie seinen Nahtod-Erfahrenen, Freunden und Forschungsobjek­ten durch ihre Erfahrungen ein großes Geschenk zuteil wurde, und so gewiss, wie sie ihrerseits Ken ein großes Geschenk zuteil werden lie­ßen, gibt Ken nun auch an Sie weiter, womit er beschenkt wurde. Die­ses Buch ist sein Beitrag zum Werk einer höheren Macht. Und ebenso wie Ken hoffe auch ich, dass jeder Leser auf ähnliche Weise infiziert wird.

 

Bruce Greyson, Charlottesville, Virginia

Zweites Vorwort 2009

 

Aus verschiedenen Gründen empfinde ich es als Vergnügen, ein Vor­wort zu Ken Rings brillantem Werk über Nahtod-Erfahrungen zu schreiben. Zum Ersten weil Ken und ich seit 1983 befreundet sind – seitdem er mir das Wissensgebiet Nahtod-Studien nahegebracht hat. Durch ihn angeregt, beschäftigte ich mich ein erstes Jahr mit diesem Thema, aus dem später eine ganze Reihe von Jahren voller Begeg­nungen mit Menschen wurden, die eine Nahtod-Erfahrung hatten – nicht nur in diesem Land, sondern später auch weltweit, als ich Vor­träge in zahlreichen Ländern hielt. Ich wurde damals darauf aufmerk­sam, dass überall die Menschen geradezu begierig waren, ihre NTE auszutauschen und dies nicht nur wegen des Phänomens selbst, son­dern wegen der geistigen Transformation, die unausweichlich der tiefen Todeserfahrung folgte, aber auch der Begegnung mit dem gött­lichen Licht, der Überprüfung der Qualität des bisher vergangenen Lebens und der daraus folgenden Auseinandersetzung, endend mit der direkten Aufforderung, ins irdische Leben zurückzukehren, weil die jeweilige »Arbeit« in dieser Lebensspanne noch nicht beendet sei.

Nach vielen Jahren der Arbeit mit Menschen auf dem Gebiet der Bewusstseins- und Spiritualitätsforschung weiß ich nur zu gut um die fundamentale Sehnsucht nach einer intimen Beziehung zu dem Heili­gen, die in den Menschen schlummert. Gleichzeitig finden wir eine fundamentale Angst vor genau dieser Intimität, eine Furcht, die ihren Ursprung hat in der Kombination von Unfähigkeiten – nämlich zum einen die Unfähigkeit, sich dem Unbekannten hinzugeben, und zwei­tens der Unfähigkeit, Kontrolle aufzugeben in Bezug auf die Illusion, dass wir die Dinge in unserem Leben beherrschen.

Eine einzige Nahtod-Erfahrung – und beide Hindernisse werden in einem Moment zerschmettert, wobei der bewaffnete Kontrollposten mit Namen »Vernunft«, der normalerweise die Pforten unserer Wahr­nehmung bewacht, auch die Zweifel überwindet, welche uns norma­lerweise mahnen: »Vielleicht gibt es einen Gott – vielleicht aber auch nicht!«

Wenn es aber einen Gott geben sollte, dann wäre es ratsam, sich diesem Wesen mit der nötigen Vorsicht und mit intellektueller Tap­ferkeit zuzuwenden. Wir sollten uns dem »Geist Gottes« durchaus auf dem Weg der rationalen Vernunft nähern, weil wir dabei wenigstens eine kleine Chance haben, die Kontrolle über das kleine bisschen Grundbesitz zu behalten, den wir hier auf Erden haben. »Wir Men­schen haben lange genug an dem Glauben festgehalten, dass man sich diesem Gott, an den wir glauben, besser mit großer Vorsicht nähert, weil sich sonst leicht der Sturmwind des Chaos in die Richtung auf unser eigenes Leben drehen könnte. Die Wahrheit ist doch, dass wir sehr viel mehr an einem Aberglauben über das Wesen Gottes festhal­ten, als an einem Glauben an ein wohlmeinendes göttliches Wesen.

Menschen mit einer Nahtod-Erfahrung, »near-deathers«, wie sie Ken Ring liebevoll nennt, haben auch aus diesem Grunde ein Bedürfnis entwickelt, ihre Erfahrungen untereinander auszutauschen – und nicht nur, weil diese tatsächlich phänomenal sind, sondern mehr noch, weil sie sich von der fast schizophrenen Angst befreit fühlen, die so viele von uns auf dem Pfad der Spiritualität belastet: Gott finden – Gott fürchten. Als Ergebnis ihrer Erfahrung haben sie diese spirituelle Pa­thologie durchbrochen und Gott gefunden. Sie haben in der Tat Gott »erfahren« und sich auf diesem Wege über all das intellektuelle Ge­schwätz erhoben, was Gott denn nun ist, und was er nicht ist, was Gott »denkt« – und was er »nicht denkt«. Sie sind im wahrsten Sinne des Wortes geradewegs zur Quelle vorgestoßen, um dort die Entdeckung zu machen, wie sie übereinstimmend berichten, dass Gott anscheinend überhaupt nicht in unserem Sinne »denkt«. Die Berichte von einer NTE deuten darauf hin, dass wir im Umkreis des Todes mit einer un­beschreiblichen Gefühlsintensität bedingungsloser Liebe empfangen werden.

In jeder Hinsicht handelt es sich bei der NTE um eine spezielle Va­riante einer mystischen Begegnung mit dem Göttlichen. Anders als die klassische mystische Erfahrung, die ein Individuum überkommt, das sich ganz der Kontemplation und dem Schweigen hingegeben hat, tritt die NTE als Folge eines Traumas, eines Unfalls oder einer Krankheit auf. Sie ist trans-religiös, trans-vegetarisch und trans-überhaupt alles. Ich kenne persönlich einen Mann, der als gedungener Killer eines Tages »auf dem Weg zur Arbeit« war, was im Klartext bedeutet, dass er drei Menschen erschießen wollte, als er einen Unfall mit nachfol­gender NTE hatte. Plötzlich befand er sich außerhalb seines Körpers und umstellt von all den Menschen, die er früher bereits umgebracht hatte, die ihm alle sagten, er solle sofort mit dieser Tätigkeit aufhören. Überflüssig zu sagen, dass er gehorchte. Aber es ist mir wichtig hin­zuzufügen, dass diese Botschaft aus Mitgefühl mitgeteilt wurde, und nicht mit der Androhung von Höllenfeuer. Aus verständlichen Grün­den ist seine Lebensführung heutzutage sehr, sehr anders als früher.

Als mystische Erfahrung ist die NTE eine weitere Bestätigung des­sen, dass wir mittlerweile an einem Punkt in unserer spirituellen Evo­lution angelangt sind, in dem wir alle »Mystiker ohne Klöster« sind. Nicht länger entscheiden wir uns bewusst dafür, einen spirituellen Pfad zu gehen, sondern wir werden heutzutage häufig ganz unmissverständlich dazu berufen; denn niemand entscheidet sich bewusst, eine NTE zu haben. Aus einer mystischen Perspektive kann es wirk­lich als ein Ruf betrachtet werden, eine Direktive des Göttlichen, die einem einzelnen Menschen eine tiefe Erleuchtungserfahrung vermit­telt, die sich in Form einer völligen Transformation der Wahrnehmung und einem Erwachen seelischer Qualitäten innerhalb des eigenen Bewusstseins zeigt. Solch eine Transformation polt den Lebenskompass eines Menschen völlig um, indem es ihn neu ausrichtet von einem Instrument, das lediglich auf Äußerlichkeiten ausgerichtet war, zu einem, das jetzt seinen Schwerpunkt auf die inneren Welten richtet, in denen Werte, wie zum Beispiel ein Dienst am Nächsten, als ein wah­res Gebot Gottes anerkannt wird.

Die Fallbeispiele und die Weisheit in diesem Buch sind für mich eine Kombination von Hoffnung und zeitgenössischer mystischer Weisheit. Ich weiß mit Bestimmtheit, dass die hier aufgeführten Fall­beispiele wahr und authentisch und die Erfahrungen dessen, was nach diesem Leben auf uns zukommt, real sind. Aber vielleicht liegt der wahre Reichtum der Erfahrungen dieser Menschen und von Ken Rings Forschungsergebnissen in der Entdeckung einer spirituel­len Grundlage für den festen Glauben, dass dein Leben seinen Sinn im Hier und Jetzt hat, statt lediglich auf unseren Tod zu warten, um diese Weisheit schätzen zu lernen. Alles, was du tust, sagst, denkst und fühlst, und jede Handlung, die du hier beginnst, spielt eine große Rol­le. Jede Beziehung ist signifikant und jede bewusste Entscheidung, die du triffst, ganz gleich, wie unscheinbar sie erscheinen mag, hat enor­me Konsequenzen. Egal, wie dein Tag begonnen hat, du kannst am Ende des Tages sicher sein, dass du mindestens einhundert Entschei­dungen getroffen hast, die jede dein Leben, deinen Körper, deinen Blutdruck, die Qualität deiner Freundschaften, dein Gewicht, deine Arbeit, deine Finanzen und deine Lebensqualität signifikant beeinflusst und verändert haben.

Nicht nur deines eigenen Lebens, sondern die Leben zahlloser Individuen, von denen du den meisten nie begegnen wirst. Und nicht nur das, du hast wahrscheinlich keine Vorstellung davon, wie du da­mit den nächsten Tag, die nächste Woche, den nächsten Monat beeinflusst hast. Jede Entscheidung – jede – wird im Jenseits bewahrt, wie auch jedes betende Gedenken. Diese Wahrheit ist für die Seele des Menschen so unterstützend wie das Wissen, dass wir niemals ei­nen unserer Lieben für immer verlieren, und dass das Göttliche wahr­haft ein Wesen voll leidenschaftlicher Liebe ist.

Dieses Buch ist ein Schatz, der eine Wertschätzung für all das Gute vermittelt, das wir finden, wenn wir erst einmal lernen, ein gesegnetes, dankbares und bewusstes Leben zu führen. Wahr ist: Es ist nicht leicht, ein derart bewusstes Leben zu führen. Aber das Wissen, dass jede unserer Entscheidungen für andere Menschen und für uns von Bedeutung ist, lässt uns begreifen, dass diese größere Aufmerksamkeit die Mühe wert ist.

Wie uns die NTE lehrt, ist es beruhigend und tröstend, wie begleitet und geleitet wir in jedem Moment unseres Lebens sind. Das mag zwar völlig unverständlich – und in Zeiten von Unglück und Verzweiflung auch unglaubwürdig erscheinen – aber genau das macht die Natur mystischer Wahrheit aus. Sie ist und bleibt auf dieser Ebene unver­ständlich und kann letzten Endes nur durch den Glauben dankbar angenommen werden.

 

Caroline Myss, 2008

Caroline Myss (geb. 1952) gilt als die Kapazität

auf dem Gebiet der Ener­giemedizin.

Sie lebt in Chicago und hält weltweit Vorträge und Seminare.

Einleitung

 

Dieses Buch hat einen schwierigen Entstehungsprozess durchlaufen. Es wurde voller Enthusiasmus geplant, musste aber dann ganz un­er­wartet eine Serie toxischer Verwundungen überstehen, die in einer schmerzhaften Fehlgeburt resultierten. Daraufhin wurde es als gestor­ben betrachtet und für mehr als ein Jahr aufgegeben, bis es durch eine Intervention, die mir damals fast göttlich erschien, auf wundersame Weise wieder zum Leben erweckt wurde. So schien es zumindest. Doch die Wiederbelebungsversuche erwiesen sich als verfrüht und ergebnislos, und so hauchte das Buch erneut sein Leben aus, dieses Mal endgültig. So schien es zumindest. Aber – der Leser mag es in Anbetracht des Themas bereits ahnen – genau an diesem Punkt erlebte es das literarische Äquivalent einer Nahtod-Erfahrung, und damit war es endlich geschafft. Kurz danach nahm es den normalen, wenn auch häufig unterbrochenen Entstehungsprozess wieder auf und kam rasch und ohne einen weiteren Zwischenfall auf die Welt – sehr zur Erleich­terung seiner staunenden Eltern.

Die tatsächliche Geschichte dieses Buches ist folgende: Nachdem ich über 30 Jahre lang an der University of Connecticut unterrichtet hatte, kam mir eines Tages der Gedanke, dass ich es immer nur in unterrichtsfreien Jahren geschafft hatte, Bücher zu schreiben. Doch seit meinem letzten waren erst ein paar Jahre vergangen, und nun bro­delte schon wieder ein neues Werk in mir. Ich wollte ein letztes Buch über Nahtod-Erfahrungen (NTEs) verfassen, mit dem ich, anstatt ein­fach über die Ergebnisse eines weiteren Forschungsprojekts zu berich­ten, meine Arbeit in dieser Thematik zu beschließen gedachte. Dazu wollte ich die wesentlichen Erkenntnisse aus der NTE-Forschung so zusammenfassen, dass auch Menschen ohne diese Erfahrung in prakti­scher Weise von diesem Wissen profitieren und ihr Leben bereichern konnten. Was mich selbst anbelangte, so war ich der Meinung, dass ich vor allem in den vergangenen 15 Jahren durch meine Studien und insbesondere durch den Kontakt mit Nahtod-Erfahrenen sehr viel ge­wonnen hatte. Außerdem wollte ich endlich auch die Dinge mitteilen, die ich in meinen früheren Büchern immer nur indirekt oder gar nicht zum Ausdruck gebracht hatte. Mit anderen Worten, ich wollte versu­chen, die Früchte der NTE weiterzugeben. Ich hatte jahrelang in die­sem Obstgarten gearbeitet und dachte, nun vielleicht noch bei der Ernte helfen zu können.

Aber meine gewohnte Art und Weise, Bücher zu schreiben, konfron­tierte mich schon bald mit einem so unangenehmen wie unleugbaren Gedanken: Ich würde in nächster Zeit keine Möglichkeit haben, an diesem Buch zu arbeiten. Ja, ich würde das ganze Projekt um mindes­tens vier Jahre verschieben müssen, bis zu meinem nächsten unter­richtsfreien Jahr.

Oder aber, ich ging frühzeitig in Pension.

Ich war damals erst 56, hatte jedoch bereits 30 Jahre an der Univer­sität gelehrt und soeben die Möglichkeit erhalten, meine Pensionie­rung einzureichen. Aber vielleicht konnte ich mich auch nur aus dem Lehrbetrieb zurückziehen und dann meine ganze Zeit dem Schreiben widmen! Dieser Gedanke gefiel mir, doch wegen einer ganzen Reihe praktischer Gründe konnte ich ihn damals noch nicht in die Tat um­setzen. Erst zwei Jahre später, im Sommer 1994, war es soweit – ich konnte mit der Arbeit an Lessons from the Light beginnen.

Und das tat ich – zwischen meinen immer noch zahlreichen Termi­nen, die von ausgedehnten Vortragsreisen in Europa und Australien bis zu meinen Forschungen über NTEs bei Blinden reichten. Deshalb wurde die Arbeit am Buch häufig unterbrochen und hörte öfter ganz auf, aber ich kam dennoch voran. Bis April 1995 hatte ich etwa die Hälfte zu Papier gebracht; daraufhin gab ich es meinem Agenten, und nachdem er es gelesen hatte, versicherte er mir, dass er sein Bestes tun würde, um es einem Verlag zu verkaufen, und dabei festes Vertrauen auf Erfolg hätte.

Darüber hatte ich mir jedoch überhaupt keine Gedanken gemacht, denn ich hatte noch nie erlebt, dass eines meiner Buchprojekte abge­wiesen wurde. Doch jetzt stand mir diese Erfahrung auf einmal bevor, und sie war ein echter Schock für mich. Der Grund war nicht etwa, dass das Buch den Verlegern missfallen hätte, doch wurde der Markt gerade zu jener Zeit von einer Welle autobiographischer Bestseller zum Thema NTE überschwemmt, so dass plötzlich ein Sättigungs­punkt erreicht war. Nach einigen Fehlversuchen gab mein Agent schließlich frustriert auf und ließ mich zerknirscht auf meinem halb­fertigen Manuskript sitzen.

Aber gut – ich konnte ja meine Forschungen weiterverfolgen und weiter Vorträge halten; also leckte ich meine Wunden, wie sie jeder zurückgewiesene Autor hat, und machte dann einfach weiter. Doch was dieses Buch anbelangte – sosehr ich mich auch dafür engagiert hatte, jetzt war es für mich gestorben, und nach einer angemessenen Zeit der Trauer zog ich weiter – im wahrsten Sinne des Wortes.

Während all dies geschah, hatte ich von einem anderen, lange aufgeschobenen Vorhaben zu träumen begonnen: nach San Francisco zurückzuziehen, in die Gegend, wo ich geboren wurde und aufge­wachsen war. Nun, da ich keiner Lehrtätigkeit mehr nachgehen musste und meine Kinder erwachsen und selbstständig waren, gab es nichts mehr, was mich noch an der Ostküste gehalten hätte. Natürlich war (und bin) ich nach wie vor der Universität als emeritierter Professor verbunden, aber wenn es nun möglich war, ohne sie zu leben, dann konnte mich nichts mehr aufhalten.

Und in der Tat hielt mich nichts auf. Bevor ich Connecticut den Rücken kehren konnte, musste ich allerdings noch eine Vortragstour durch Deutschland unternehmen. Wie aber hätte ich wissen können, dass diese Reise alles verändern würde?

An diesem Punkt kommt Evelyn Elsaesser-Valarino ins Spiel.

Kennengelernt hatte ich sie schon vor einigen Jahren, als sie im Zusammenhang mit einem von ihr verfassten Buch zum Thema NTE (Erfahrungen an der Schwelle des Todes) aus der Schweiz nach Connecticut gekommen war, um mich aufzusuchen. Wir hatten sechs Stunden miteinander gesprochen, und nach ihrer Abreise waren wir in Kontakt geblieben und tauschten uns gelegent­lich über Fragen zu ihrem Buch aus, zu dem ich schließlich das Vor­wort schrieb.

Wir vereinbarten, uns am Ende meiner Vortragsreihe in Stuttgart zu treffen. Im Verlauf eines langen, unterhaltsamen Essens erwähnte ich unter anderem die Schwierigkeiten mit meinem Buch und wie schwer es mir gefallen sei, das Projekt aufzugeben. Evelyn war schockiert, dies zu hören, und zu meinem großen Erstaunen bot sie mir sofort an, mein halbfertiges Manuskript ihrem Verleger bei Plenum Press zu zeigen. Ich hatte nichts zu verlieren, also stimmte ich zu.

Schon bald nach meiner Rückkehr in die Vereinigten Staaten teilte mir Evelyn mit, dass sich ihr Verlag bereit erklärt habe, mein Buch anzunehmen. Diese Wende der Ereignisse war eine völlige Überra­schung für mich; um nicht zu sagen, ich war verblüfft und fassungs­los.

Doch es war mir absolut unmöglich, die Arbeit an dem Buch sofort wieder aufzunehmen; ich musste 34 Jahre meines Lebens in Connecti­cut zusammenpacken und in Kalifornien eine neue Bleibe finden – nicht gerade eine Kleinigkeit. Doch mein neuer Plan war, sobald der Umzug abgeschlossen war und ich mich neu etabliert hatte, dort wie­der anzufangen, wo ich aufgehört hatte, und das Buch innerhalb eines halben Jahres zu beenden.

Inzwischen dürfte es nicht mehr überraschen zu hören, dass das Leben wieder einmal andere Pläne mit mir hatte. In Kalifornien ange­kommen, brauchte ich mehr als zwei Monate, bis ich mich auch nur halbwegs wieder eingelebt hatte; und da ich mich schon vor Langem bereit erklärt hatte, im April 1997 eine Reihe von Vorträgen zu halten, musste ich mein neues Domizil in diesen ersten Monaten häufig ver­lassen. Solche Umstände waren dem Neubeginn an einem Buch, das ich inzwischen so lange vernachlässigt hatte, dass ich mich kaum mehr daran erinnern konnte, nicht gerade förderlich!

Als meine Reisen dann endlich beendet waren und ich mich gerade an die Arbeit machen wollte, zwang mich eine schlimme Grippe, mehr als einen Monat lang das Bett zu hüten. Aber kaum hatte ich mich davon erholt, musste ich feststellen, dass mein Gesundheitszustand immer noch äußerst ernst war und ich mich in intensive ärztliche Be­handlung begeben musste. Mein Leben wurde zu einer scheinbar un­unterbrochenen Folge von Arzt- und Klinikbesuchen, Labortests, Ex­perimenten mit unterschiedlichen Diäten, medizinischen Alternativ­methoden und so weiter, und über allem schwebte die drohende Diag­nose, dass ich mit einer Wahrscheinlichkeit von 85 bis 90 Prozent an Krebs erkrankt war. Und auf einmal verringerte sich aufgrund eines Glaukoms auch noch mein Sehvermögen, das ohnehin nie sonderlich gut gewesen war, rapide.

Kurz gesagt – und ich habe hier längst nicht alle meiner plötzlichen Komplikationen wiedergegeben –, ich war nur mehr eine Handvoll Elend und für einige Zeit vollkommen verzweifelt. An Arbeit war unter diesen Umständen nicht zu denken; stattdessen versuchte ich mich damit abzufinden, dass meine berufliche Laufbahn nun zu Ende war. Das bedeutete natürlich auch, dass mein Buch, das durch Evelyns energischen Einsatz anscheinend wieder den Weg ins Leben zurückgefunden hatte, nun erneut zum Scheitern verurteilt war.

Während dieser schlimmen Zeit hielt ich per Email mit Evelyn Kon­takt, die stets versuchte, das flackernde Flämmchen meiner Hoffnung am Leben zu erhalten, und mich ermutigte, mein Buchprojekt nicht ganz abzuschreiben, sondern es lediglich zu verschieben. Aber ich sah keine Möglichkeit mehr, diese Arbeit zu Ende zu bringen, und teilte ihr das auch mit. Sie akzeptierte meine Entscheidung, ließ mich ihre Enttäuschung jedoch erkennen. Enttäuscht war ich auch, aber was hätte ich tun können? Schließlich erfuhr ich zu meiner großen Erleich­terung, dass meine Ärzte sich geirrt hatten; ich hatte keinen Krebs. Allerdings hatte ich nach wie vor sehr mit anderen ernsten gesundheit­lichen Problemen zu kämpfen, und zwischenzeitlich endete die Frist meines Vertrags für das Buch. Ich war nach wie vor darauf gefasst, das Projekt aufzugeben, als ich Evelyn im Scherz schrieb: »Wenn du so sehr möchtest, dass das Buch geschrieben wird, warum bringst du es dann nicht für mich zu Ende?«

Und wieder hielt das Leben eine Überraschung für mich bereit: Eve­lyn, die überhaupt nicht registrierte, dass meine Frage lediglich als Scherz gemeint gewesen war, akzeptierte mein Angebot! Ich dachte daraufhin lediglich: »Na ja, vielleicht klappt es ja wirklich«, selbst in Anbetracht der Tatsache, dass ihre Muttersprache nicht Englisch war.

 

Der Rest der Geschichte ist in aller Kürze erzählt. Wir kamen überein, gemeinsam an dem Buch zu arbeiten, und Evelyn reiste für drei Tage nach New York, um mich zu treffen. Zu diesem Zeitpunkt sah es so aus, als würde ich noch einige der ausstehenden Kapitel schreiben und sie die restlichen übernehmen. Aber nun gab mir die Aussicht, wieder an dem Buch zu arbeiten, so viel Auftrieb und En­thusiasmus (mittler­weile hatte ich auch gelernt, mit meinen gesundheitlichen Problemen zurechtzukommen), dass ich das Schreiben letztendlich ganz über­nahm. Evelyn half mir bei der Durchsicht tausenderlei Dokumente, die ich brauchte und die ich ihr für ihr Buch zur Verfügung gestellt hatte, und erleichterte mir durch ihren Einsatz die Arbeit enorm. So stammt zwar nun der gesamte Text von mir, aber ohne ihre umfassen­de und fortwährende Hilfe seit unserem Treffen in Stuttgart wäre das Buch niemals zustande gekommen. Ich schulde ihr unendlich viel.

Aus diesem Grund sehen Sie Evelyns Namen zusammen mit meinem auf dem Umschlag: Obwohl der Text aus meiner Feder stammt, ist das Buch als Ganzes unser gemeinsames Werk.

Natürlich ist mir auch nicht entgangen, dass es schließlich etwa zum selben Zeitpunkt publiziert wurde, zu dem es erschienen wäre, wenn ich einfach an der Universität geblieben wäre und bis zu meinem nächsten unterrichtsfreien Jahr abgewartet hätte. Ich habe mir über diese Ironie des Schicksals viele Gedanken gemacht: Ich vermute, wir meinen oft zu wissen, was das Beste für uns ist, und glauben, einen besseren Plan zu haben als jenen, den das Leben für uns bereithält. Andererseits kam mir auch der Gedanke, dass ich im Verlauf der Ent­stehung dieses Buches über Lektionen, die das Licht erteilt (der Origi­naltitel ist Lessons front the Light), auch selbst eine Lektion erhielt, die ich auf andere Art und Weise offenbar nicht lernen konnte.

 

Ich hoffe, für Sie bedeutet die Lektüre dieses Buches einen weniger mühevollen Weg, sich genau die Lektionen anzueignen, die es für Sie zu lernen gilt.

 

Kenneth Ring