Inhalt

Job-Coaching

Todesangst im Urlaub

Stühle im Wartezimmer

Geschlechterk(r)ampf

Was für ein Theater

Ich dürfte eigentlich gar nicht hier sein

Ein dunkler Fleck in meinem Leben

Poetry

Typisch Promi

Good News

Der Kandelbach-Effekt

Straßendiskriminierung

Solidarität

Neue Nachbarschaft

Wie eine Ohrfeige

Nahtoderfahrungen

Mit Freundeshilfe

Aversion

Ausgrenzung

Leute gucken

Die 3 Regeln des Poetry-Slam

Kalt geduscht

Hören und verstehen

Klappern gehört zum Hotel

Box- und andere Ringe

Teambuilding mit Anhang

Nische, der Papst

Sport und Beruf

Klassentreffen

Schnäppchen

Ich war ein Erfolgstrainer

Expertengespräche

Vater-Tochter-Beziehungen

Unfalleinsichten

Total verknallt

Missverständnisse

Politische Meinungsvielfalt

Vorurteile

Berufsrisiko

Rachegelüste

Sexismus im Alter

Männliche Empathie

Nur ein bisschen Verständnis (Nahtoderfahrungen - die Zweite)

Deutsch in Bärchen Ballhaus

Isso

Die Jugend von heute

Handyterror

Alles H oder?

Weihnachtsspaziergang

Ganz zum Schluss: Ein gemeinsames Haus

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

CHRISTOPH PAPKE

 

 

 

 

 

 

 

PLEMPLEM

 

ZWISCHEN POETRY UND SLAM

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Job-Coaching

 

Wir standen vor verschlossener Tür und warteten auf die Referentin. Vorerst ungefähr 15 Personen, die erfahren wollten, was ein Job-Coach so alles macht und - vor allem – wie er die Arbeitsprobleme seiner leidgeprüften Klientel löst. Da der Tageskurs schließlich von gut 50 Teilnehmern belegt worden war, trafen die noch fehlenden nach und nach ein.

Natürlich drückten alle neu Hinzugekommenen erst einmal die Klinke, obgleich jedem bei seiner Ankunft vorsorglich mitgeteilt worden war: „Die Tür ist verschlossen.“

Aus langer Weile und weil mich Smalltalks mit anderen Wartenden ankotzen, zählte ich, wie viele Ungläubige ihren erfolglosen Öffnungsversuch mit „Stimmt“ quittierten oder nach dem Klinkendrücken „tatsächlich“ murmelten.

Die „Zustimmenden“ waren in der Überzahl, reihten sich aber ebenso wie die „Tatsächlichen“ in den stetig wachsenden Chor derjenigen ein, die jeden Neuankömmling ebenso vergeblich vor der verschlossenen Tür warnten.

Wie es sich für einen ordentlichen Star gehört, erschien unsere Referentin glatte 15 Minuten zu spät. Man beachtete das „akademische Viertel“.

Anstatt sich aber für die Verspätung zu entschuldigen, schien es der Dame von größerer Bedeutung, die Wartenden beim Aufschließen der Tür erst einmal darüber zu informieren, wie stressig ihr Arbeitsalltag sei, wie überfüllt ihr Terminkalender und wie unduldsam all die Geschäftsführer und Direktoren, die händeringend und voller Panik Tag und Nacht um Hilfe bei der Lösung beruflicher Probleme nachsuchten.

Vor noch nicht einmal 15 Minuten hätte sie als Führende unter Deutschlands Jobcoachs dem Vorstandsvorsitzenden eines der bekanntesten Dax-Konzerne absagen müssen, weil sie aus Kapazitätsgründen keine Klienten mehr in ihr Personal-Coaching aufnehmen könne, sei das Problem auch noch so groß und der Klient auch noch so bekannt. Während der Coaching-Star anschließend völlig emotionslos den notorischen Nörglern erklärte, wo sie sich wegen des verspäteten Beginns beschweren könnten, nahmen wir artig unterhalb einer großen Bühne mit Podium Platz, von dem aus die Referentin mit unnötig zur Schau gestellter Überheblichkeit auf ihre Zuhörerschaft hinabblickte.

„Meine Damen und Herren“, begann die Koryphäe am Pult ihren Vortrag, „wie löst ein Coach Personalprobleme?“

Natürlich reckten sofort ein paar Streber ihre Arme in die Höhe. Und natürlich handelte es sich bei der Frage nur um eine rhetorische.

Mit dem Hinweis darauf, dass sie auf gar keinen Fall durch Zwischenfragen, Zwischenrufe oder spontanen Applaus unterbrochen werden wolle, setzte die Referentin ihre Rede fort.

„Ich werde Ihnen anhand eines einfachen Beispiels aus meiner umfangreichen Praxis aufzeigen, wie man Personalprobleme löst.“

Die Koryphäe geriet sichtbar in Wallung: „Der CEO eines Multimilliarden schweren Globalplayers wandte sich völlig verzweifelt und hilflos an mich, weil er den Dauerstreit seiner beiden Stellvertreter nicht mehr handeln konnte.“

Die Spitzen-Beraterin blickte kurz in die Reihen der Zuhörer.

„Dauerstreit zwischen Mitarbeitern, meine Damen und Herren, ist ein Zeitfresser!“

Donnerwetter, dachte ich auf meinem Stuhl, die weiß wovon sie redet. Dann lauschte ich den Worten der Überfrau weiter.

„Ich sehe in fragende Gesichter“, blickte diese voller Mitleid auf uns herab. „Sie alle fragen sich, wie kann so ein schwerwiegendes Problem gelöst werden? Kann es überhaupt gelöst werden?“

Man konnte die Spannung im Raum knistern hören. Wir alle überlegten: Mit welchen handlungstheoretischen Ansätzen konnte der schwerwiegende Konflikt bearbeitet werden? Mit welchen Interaktionsprozessen? Anhand welcher Lösungsstrategien? Mit welchem taktischen Vorgehen? Ein Dreiergespräch unter vier Augen vielleicht? Mediation? Oder gemeinsame Meditation? Ein Barbesuch mit Bordellabschluss? Blutsbruderschaft? Oder Supervision?

Da wir alle in der vorgetragenen Fragestellung eine weitere rhetorische Falle vermuteten, traute sie niemand den Arm zu heben, um versuchsweise einen Vorschlag zu unterbreiten. Nach fünf langen Minuten dauerhaften Schweigens ergriff die Referentin endlich wieder das Wort.

„Nun“, proklamierte sie, „es wundert mich nicht, dass Sie alle mich so hilflos anschauen wie seinerzeit mein gut zahlender Klient. Aber da ich das Fass mit der von mir vorgetragenen Falldarstellung nun schon einmal aufgemacht habe, möchte ich Ihnen die Lösung nur ungern vorenthalten. Schließlich lernen Sie jetzt etwas fürs Leben und für Ihre berufliche Zukunft: Ich riet dem CEO, einen seiner beiden Stellvertreter in die Wüste zu schicken.“

Wir Zuhörer schauten uns fragend an.

„Ganz einfach“, spitzte die Problemlöserin oben am Pult ihren übertrieben rot geschminkten Mund, „mit der Entlassung eines der beiden Streithähne kehrte wieder Ruhe ein in den Arbeitsalltag, war wieder Ruhe im Puff, wie es so schön heißt.“

Kaum den Satz beendet, packte die Rednerin ihre Handtasche - und verließ eiligen Schrittes den Vortragsraum, weil sie noch wichtige Termine hätte, wie sie uns im Vorübergehen kurz wissen ließ.

Schön, dachte ich, da haben sich ja meine 250 Euro Teilnahmegebühr richtig gelohnt.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Todesangst im Urlaub

 

Das sanfte Meeresrauschen hatte mich im Urlaub an einem exotischen Strand wohlig einnicken lassen, als mich eine deutsche Kinderstimme unsensibel weckte.

„Guck mal Papi, was für eine große Spinne!“

Das Mädchen zeigte auf mich, besser gesagt: auf meinen Rücken.

Blöde Göre, dachte ich mir, denn ich sah weder aus noch war ich behaart wie eine Spinne. Außerdem, würde jemand eine Riesenspinne streicheln wie meine Lebensaufgabe gerade meinen Rücken?

Vater und Kind machten einen Schritt auf mich zu, damit „Väterchen Klug“ vor seiner schwindsüchtigen Göre mit Biokenntnissen angeben konnte: „Das, was dort auf dem Rücken des Mannes herumkrabbelt, ist eine Vogelspinne. Eine Theraphosidae.“

Was, um Himmelswillen, erzählte der Mann da? Und wo war meine Frau? Und wer streichelte mir immer noch so wohlig den Rücken? Nein, es war nicht meine Frau, sondern eine Goliath-Vogelspinne, wie der Bio-Freak seiner Tochter mit dem Zusatz erklärte: „Aber geh’ bitte nicht so nah ran!“

Da ich als Deutscher auch im Ausland der deutschen Sprache mächtig bin, bat ich – obgleich vor Angst in Sekundenschnelle zu einem unbiegsamen Brett erstarrt - den Bio-Angeber: „Bitte, können Sie mich von dem Biest befreien!“

Im Gesicht des Mannes machte sich ein zartes Lächeln breit.

„Guck an“, freute er sich, „Sie verstehen Deutsch. Ich würde ja unter Umständen versuchen, die Riesenspinne sanft mit einem Handtuch von Ihrem sonnenverbrannten Rücken zu bewegen. Aber der große Skorpion auf Ihrem Gesäß, ein, wie mir scheint, ausgewachsenes Exemplar, das zweifelsfrei zur Ordnung der Arachnida gehört, lässt mich dann doch lieber einen gebotenen Abstand halten. Immerhin habe ich meine Tochter dabei und trage Verantwortung für uns beide sowie für einen Sommerurlaub ohne Todesfälle im engsten Familienkreis.“

Mir tropfte der heiße Schweiß aus allen Poren, obgleich mir ein eiskalter Schauer über den Rücken lief. Oder waren es die Tiere?

„Guter Mann“, flehte ich, „ich gehöre zwar nicht zu Ihrer Familie, aber jedweder Todesfall, den Sie und Ihre niedliche Tochter miterleben, könnte Ihren Sommerurlaub nachhaltig negativ beeinträchtigen.“

„Sie haben recht“, antwortete der Mann. Dann zog er eilig seine Tochter weg von mir und sprach: „Amanda-Sophia, lass uns schnell von diesem wüsten Ort verschwinden! Und sag‘ Mama nicht, dass der Mann da wahrscheinlich schon tot ist, bevor wir das Hotel erreicht haben.“

Aus den Augenwinkeln meines zu Hartholz erstarrten Körpers sah ich Vater und Tochter am Horizont verschwinden.

Waren diese verfluchten Deutschenhasser ein für alle Mal weg, so musste es doch noch andere Menschen geben, die mich aus meiner lebensbedrohlichen Situation retten könnten. An vorderster Stelle meine Frau. Wo aber war sie? Wo hielt sie sich auf? Und warum hatte sie sich weggeschlichen? Und warum hatte sie nach unserem harmlosen Streit am Vormittag in sich hinein gebrubbelt: „Na, warte mal ab, mein Bürschchen!“

Dann die vermeintliche Rettung: Zwei junge Männer, Einheimische, die in Badeshorts an mir vorbeiliefen und die Lebensbedrohung auf meinem Rücken erkannten. Sie blieben stehen, beratschlagten offensichtlich, was zu tun sei. Einer von beiden lief so schnell er konnte weg - wahrscheinlich um kompetente Hilfe holen. Der andere beugte sich vor, um die Tiere auf meinem Körper genauer zu inspizieren. Dann kickte er mit einem gezielten Fußtritt die Vogelspinne von meinem Rücken. Ich atmete – inzwischen zu einer knallharten Diele mutiert - auf und nahm mir vor, beim nächsten Basarbesuch den Einheimischen aus Dank eine überteuerte Armbanduhr abzukaufen. War ich die Riesenspinne endlich los, so blieb noch der Skorpion, der sich von meinem Hintern inzwischen bis zu meinen Schulterblättern weiterbewegt hatte. Der junge Bursche fixierte das vielleicht 10 bis 15 Zentimeter große Tier.

Endlich kam sein Begleiter mit einer Gruppe anderer Männer zurück. Sie hatten einen Karton dabei - wie ich vermutete, um das Viech einzusperren. Aber denkste! Die Männer diskutierten, schmissen Geldscheine in den Sand und ließen aus dem Karton ein zweites Exemplar der Ordnung Scorpiones auf meinen Körper gleiten. Anscheinend hatte die Gruppe meinen Rücken zu einer Wettkampfarena um ihr Leben kämpfender Skorpione erklärt und je nach individuellem Geschmack und Fachblick auf eines der beiden Exemplare als Sieger gewettet.

Die Skorpione standen sich drohend und zu allem bereit auf meinem Rücken gegenüber. Einige Männer ließen sich im Kreis um mich herum nieder, andere bestaunten den bevorstehenden Kampf im Stehen. Noch bevor er richtig begann, stachelten sie lauthals ihren persönlichen Favoriten an, schrien auf ihn ein, machten ihn richtig heiß.

„Und was ist mit mir?“, jammerte ich in Todesangst. Die Männer verstanden. Sie suchten rasch ein Stück Treibholz und schoben es mir zwischen die Zähne. Ihre Gesten bedeuteten mir, möglichst cool zu bleiben und mich nicht zu bewegen.

„Sonst fallen sie runter“, sprach einer zu mir in gebrochenem Englisch.

Es ist erstaunlich, wie schnell und umfassend das menschliche Gehirn kurz vor dem Tod noch einmal die wichtigsten Lebensereignisse zusammenfasst. Ich sah auf einmal klar und deutlich Tante Hildes Busen vor mir, als sie diesen meinem Vater an meinem Kinderbettchen in den Mund schob. Ich sah im Bruchteil einer Sekunde meine Lateinlehrerin sich in der Umkleide meiner ehemaligen Schulsporthalle entkleiden und ich sah Olli, meinen Skatbruder, als er mit Angelika, der Frau eines anderen Skatkumpels, nach einem Grand ouvert schuldbewusst aus der Damentoilette unserer Vereinskneipe kam. Zum Schluss erschien mir meine Lebensaufgabe. Sie schimpfte wie immer und drosch mit einem Handtuch die beiden Skorpione von meinem Rücken.

„Mein Gott“, fluchte sie wie ein Rohrspatz, „kann man dich nicht einmal für einen Cappuccino im Strandcafé alleine lassen?! Was machst du bloß immer für blöde Spiele mit den Einheimischen? Wirst du denn nie erwachsen?“

Dann meckerte sie die Umstehenden an und bedeutete ihnen, sich zu entfernen. Ich begriff: Meine Lebensaufgabe war zurückgekehrt und hatte mich gerade eben aus der bedrohlichsten Situation meines gesamten Lebens gerettet. Mir nichts dir nichts, als täte sie das jeden einzelnen Tag. Tut sie auch.

„Schatz“, sagte ich voller Dankbarkeit, „dafür gehen wir Morgen auf den Basar und ich kauf dir eine wunderschöne Armbanduhr!“

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Stühle im Wartezimmer

 

„Es reicht“, dramatisierte meine Lebensaufgabe am Frühstückstisch, „du gehst heute zum Arzt!“

Ich hatte Angst. Angst vor dem Arztbesuch. Angst vor meiner Frau. Ich wusste, dass ich hinmusste. Vier Monate vorher hatte ich den Termin ausgemacht, es wurde Zeit. Um 8.30 Uhr sollte ich da sein. Nüchtern. Ich hielt mich an die Aufforderung und vermied den Gang zum Kühlschrank, um nach Trost spendenden Resten irgendwelcher Bier- oder Weinflaschen Ausschau zu halten. Heute musste ich mich ohne Alkohol, selbst und alleine trösten. Die Angst alleine überwinden vor dem alles offenbarenden Arztbesuch. Und vor meiner Lebensaufgabe. Für sie war ein Arztbesuch natürlich nichts Besonderes. Eine Kleinigkeit. Für mich aber nicht. Ich hatte Angst, große Angst vor dem, was kommen würde. Meine Lebensaufgabe schaute mich an. Verächtlich oder tröstend, das konnte ich nicht genau erkennen.

„Eine Vorsorgeuntersuchung ist wirklich nicht schlimm. Glaub es mir.“

Mit Tränen in den Augen schlich ich die Stufen unseres Altbaus hinab und hoffte, nicht von meinen Nachbarn gesehen zu werden. Nachher stellten sie mir noch die Frage: „Sie weinen ja, müssen Sie heute etwa zur Vorsorgeuntersuchung?“

Und ich würde antworten müssen: „Fragen Sie nicht, aber ja, Sie haben recht.“

Und dann würde ich mir mit einem Taschentuch die Tränen unter den verheulten Augen wegwischen. Und ich würde kurz stehen bleiben und sagen: „Ich wünsche Ihnen noch ein langes Leben und vor allem Gesundheit!“

Nein, meine Lebensaufgabe begleitete mich nicht auf diesem schweren Weg. Sie hatte wichtigeres zu tun. Meine Mutter im Seniorenheim besuchen. Wie jeden Donnerstagvormittag. Ihre Schwiegermutter war dem Fräulein wichtiger als der eigene Gatte, dem gleich eine Nadel in den Unterarm gestochen werden würde. Wahrscheinlich sogar mehrere, wie mir meine Freunde Kutte, Hermann und Olli süffisant am Stammtisch prophezeit hatten. Blutabnahme eben, großes Blutbild. Für den Gesundheitscheck.

Nachdem ich mich am Tatort eingefunden und ordentlich ausgewiesen hatte, wurde ich gebeten, im Wartezimmer Platz zu nehmen. Mir schlotterten die Knie, Angstschweiß bahnte sich seinen Weg, wie immer vom Nacken bis zum Gesäß. Zu Recht, wie ich beim Betreten des Höllenvorhofes feststellen musste. Auf den Stühlen, die übrigens allesamt besetzt waren, warteten insgesamt ungefähr 3000 Jahre Rost auf ihre medizinische Altverwertung. Na gut, ein, zwei gehörten vielleicht gerade noch in die Zielgruppe Ersatzteillager.

Was taten die wartenden Schrotthaufen? Nun, die eine Gruppe vertrieb sich die Zeit mit sinnlosem Starren auf das Smartphone.

Ein anderer Teil starrte in mitgebrachte Bücher, deren Titel – soweit ich diese erkennen konnte – Gesund zum Arzt, krank zurück hießen oder Dem Arzt sei Dank, nun endlich krank.

Die dritte und letzte Gruppe aber war die schlimmste. Ich rede von der Gruppe der mitteilsamen Krankheiten- und Befindlichkeitenäußerer. Stehend vernahm ich, wie sich eine Dame dieser Kategorie schamlos mit einem älteren Herrn über ihren Stuhl unterhielt. Sie beschrieb ebenso offen wie detailliert die Konsistenz, Farbe und Häufigkeit. Den Tattergreis schien das Stoffwechselendgespräch aber keinesfalls zu stören. Nein, er schilderte nun seinerseits, den eigenen Krückstock stolz wie Oskar vor sich aufgestellt, Menge, Form und geschätztes Gewicht seiner mal täglich, mal nur wöchentlich, mal nur monatlich produzierten Exkremente.

Angesichts der Grundthematik fing mein Körper unwillkürlich zu würgen an, konnte aber nichts erbrechen, da ich, wie mir nun wieder einfiel, zwar am Frühstückstisch gesessen, selbst aber nichts zu mir genommen hatte.

„Nüchtern!“, hatte mit strengem Blick meine Lebensaufgabe befohlen, als ich ihr zu lange auf das gekochte Ei schaute, auf die drei Scheiben Toast und den Schinken aus der Pfanne. Und die Marmelade. Und den Honig. Und den frischen Käse. Und die süßen Früchte im Mixer. Und die Knacker, die sie für gewöhnlich sonst nur abends aß. Und die Tafel Schokolade, die sie mit weit aufgerissenen Augen vor mir öffnete und genüsslich verschlang. Und die beiden Gläser Rot- und Weißwein, die sie ansonsten höchstens mal abends trank. Und den doppelten Wodka obendrauf.

Das Abführgespräch indes hatte nicht nur meine, sondern auch die Aufmerksamkeit verschiedener anderer Wartender erregt. Ein übergewichtiger Glatzkopf mit Klumpfuß trug zu obiger Thematik mit der selbst erfahrenen Erkenntnis bei, dass Pfirsiche und Pflaumen, aber nur in dieser Kombination, hinsichtlich lästiger Hämorrhoiden für einen besonders schonenden Abgang sorgten, während süße Kirschen ohne Kerne und gedünstete Auberginen dem AA einen vornehmen, seidigen, fast edlen Glanz verleihten.

„Wer will denn schon hochwohlgeboren scheißen?“, fragte ich voller Entrüstung. Der gesamte Warteraum starrte an mich und hob die Finger.

„Haben Sie erstmal diese Probleme“, wurde ich von den Anderen angeranzt, „dann wünschten Sie sich auch nichts sehnlicher als einen erträglichen Morgenschiss!“

„Und Abendschiss!“

„Und hoffentlich-bald-mal-wieder-Schiss“.

„Der Mann hat ja keine Ahnung“, wurde ich verbal verurteilt, „was es heißt, nie mehr Peperoni wegen der Verdauung.“

„Und nie mehr scharfe Zwiebeln gleich aufs Brot.“

„Und nie mehr Knoblauchzehen, die das Pupsen so herrlich versüßen.“

Ich schaute in den Kreis der Wartenden und wusste nun, was es bedeutet, als halbwegs Gesunder ausgegrenzt zu werden. Da man so vertieft in das nun gerade begonnene Gespräch war, ließ mir das Plenum sogar den Vortritt zum Blutabnehmen. An mehr kann ich mich nicht erinnern. Kaum den Ärmel hochgekrempelt, war ich einer tiefen Ohnmacht zum Opfer gefallen.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Geschlechterk(r)ampf

 

Ein Riesending! Mein persönlicher Freund Kutte, ehemaliger Vermessungsingenieur in Teltow und profunder Berlinkenner, sollte als neues Mitglied der Seniorenvertretung unseres Bezirks seine erste Rede vor der Bezirksverordnetenversammlung halten. Um ja nichts verkehrt zu machen, bat der zukünftige Redner ausgesuchte Experten der Deutschen Sprache um Mithilfe bei der textuellen Gestaltung seines Vortrages. Demzufolge saßen eine Woche vor dem großen Ereignis außer Kutte und meiner Person folgende, in alphabetischer Reihenfolge genannte Spezialisten des großen Vokabulars am Stammtisch in Bärchens Ballhaus, Berlins verruchtester Vereinskaschemme: Affi Affenschädel, Bärchen, seines Zeichens Wirt der Kneipe, Hermann, Moped-Uschi, Olli, Oma Siffke, Torten-Till, Wodka-Achim und Zysten-Elke, die immer verstopft war und darum jedes Jahr zur Darmspiegelung musste.

„Worum jeht’s denn übahaupt?“, bat Zysten-Elke den Seniorenvertreter um nähere Angaben.

„Um die Gleichstellung von Frauen und Männern im Veränderungsprozess der spätkapitalistischen Gesellschaft unseres Bezirkes“, antworte Kutte klar und offen.

Na, dann war ja alles klar. Um kurz nach fünf Uhr in der Früh las Kutte alkoholgeschwängert im Stehen den vorläufigen Einleitungstext seiner Rede vor, die nach endlosen Diskussionen, Einwendungen, Bedenken und Textanpassungen endlich mit folgenden, die zeitgemäße Gleichstellung von Mann und Frau vollumfänglichen berücksichtigenden Worten begann:

„Meine sehr verehrten Damen und Daminnen, verehrte Herren und Herrinnen, verehrte Publika, verehrter Publikus und verehrtes Publikum, liebe weiblichen, männlichen und geschlechtslosen beziehungsweise geschlechtsneutralen beziehungsweise einfach, zwischen- und mehrgeschlechtlichen Zuhörerinnen und Zuhörer beziehungsweise liebe beziehungsweise verehrte ungeschlechtliche, dominant frauengeschlechtliche, dominant männergeschlechtliche oder dominant mehrgeschlechtliche Zuhörerschaft, liebe geschlechtslosen beziehungsweise überwiegend geschlechtslosen beziehungsweise mittelmäßig geschlechtslosen beziehungsweise unterwiegend geschlechtslosen beziehungsweise neutralen Anwesende, liebe im falschen Körper Gefangene, liebe im richtigen Körper Gefangene, liebe noch nicht ganz genau Wissende und liebe schon Wissende, aber noch nicht zum Outing Gekommene, liebe im falschen Körper Ahnende, liebe Transgender, Transvestiten und Travestiten, liebe Lesben, Schwule, Bi- und Homosexuelle, liebe Alle, Allen und Alles, hoch verehrte weibliche, männliche, neutrale, überwiegend weibliche, überwiegend männliche, über-, zwischen- und unterwiegend heterogene, homogene, multimogene sowie diverse Bezirksverordnete, Bezirksverordneteter beziehungsweise Bezirksverorneteteterinnen, liebe hochverehrte Abgeordnete und Abgeordneteteterinnen aller Parteien, hoch verehrter Herr Vorsitzender beziehungsweise hoch verehrte Frau Vorsitzende beziehungsweise hoch verehrter latent oder offen homosexueller beziehungsweise latent bisexueller beziehungsweise latent oder nicht latent asexueller Herr Vorsitzender beziehungsweise hoch verehrte latent homo- oder bisexuelle oder latent beziehungsweise nicht latent asexuelle Frau Vorsitzende!“

Drei Stunden später, kurz vor dem Einschlafen, ging ich die Anrede gedanklich noch einmal durch. Ich drehte mich hin und her, konnte keine richtige Position in den Schlaf finden. Hatten wir wirklich an alles gedacht, nichts vergessen, niemanden in der Anrede ausgelassen? Niemanden übersehen?

An Schlafen war nicht mehr zu denken. Ab Neun Uhr vormittags riefen mich nacheinander Hermann, Olli, Affi, Oma Siffke und Bärchen an. Allesamt waren um ihren Schlaf gebracht, weil sie bangten, irgendetwas oder irgendjemanden im groben Dickicht des „Gender Mainstreaming“ übersehen zu haben. Wir alle waren uns in einem einig: Die Rede musste verschoben werden. Um wirklich sicher zu sein, niemandem auf den diskriminierenden Ausgrenzungs-Schlips zu treten, brauchten wir noch wenigstens und knapp gerechnet ein Jahr Vorbereitungszeit.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Was für ein Theater

 

Bärchens Ballhaus, besser bekannt als die billigste und vergammelste Vereinskaschemme der Welt, sollte anlässlich ihrer fünfundzwanzigjährigen Bewirtschaftung durch ein und denselben Wirt – nämlich Bärchen himself - mit einer besonderen Attraktion überrascht werden. Ausgedacht hatte sich die Überraschung mein langjähriger Sportkamerad Kutte, ein guter Freund, ehemaliger Vermessungsingenieur in Teltow und Hobbydichter.

Kutte hatte uns darüber informiert, dass er im Schweiße seines Angesichtes und in vielen Stunden küssender Umarmung mit der Muse der Dichtkunst ein lustiges Theaterstück verfassen durfte, welches er explizit dem zu ehrenden Wirt der Sportkneipe gewidmet hatte, unserem allseits beliebten „Bärchen“.

Hinter dem Rücken des Jubilars sollte das kulturhistorische Werk - natürlich unter Kuttes Regie - von ausgewählten Stammgästen der Lokalität bühnenreif eingeübt und am Tage der Jubiläumsfeier dem Erfolgskneipier zu Ehren uraufgeführt werden.

Da auch ich zu den Auserwählten gehörte, las ich mir gut und gründlich den Sechs-Akter durch, speziell natürlich die mir zugewiesene Rolle, und begab mich pünktlich zur ersten Probe in die Wohnung des textuellen Verfassers.

Kutte, nunmehr Autor, Regisseur und künstlerischer Leiter des Projektes in einer Person, hatte extra sein Wohnzimmer zu einer Kleinkunstbühne mit Stapelstühlen umgerüstet, auf denen wir uns zur ersten Vorbesprechung im Halbkreis niederließen.

„Nun“, fragte der Autor mit einer leichten Attitüde poetischer Dramatik in der Stimme, „habt Ihr alle mein Werk gelesen und gibt es Fragen?“

Und da alle fleißig gewesen waren und gelesen hatten, glaubte Affi, der Mann mit der Schädelform eines Schimpansen, gleich die erste Verständnisfrage zum Text stellen zu müssen. Er hob seinen Finger und erhielt Rederecht.

„Warum, in aller Welt, heißen denn die drei Frauen in dem Stück Gundel, Gudrun und Gulli?“

Der Autor überlegte einen Moment, reckte dabei sein Haupt gewichtig nach oben, als wäre die Antwort ausschließlich im vergilbten Deckenstuck seines verrauchten Wohnzimmers zu finden, und antwortete dann, mir persönlich ein wenig zu theatralisch: „Ich habe die weiblichen Rollen der Gundel, der Gudrun und der Gulli meiner Exverlobten und jetzigen Ehefrau gewidmet.

„Vastehe ick nich“, war dem Fragesteller Kuttes sibyllinische Antwort noch nicht triftig genug.

Und so hob Kutte an, deutlicher zu werden: „Meine Frau trägt laut Geburtsurkunde des Standesamtes Berlin-Wedding seit ihrer Geburt die schönen Vornamen Gundula Gudrun Gunhild: Nach ihrer Mutter, ihrer Großmutter und nach Gunhild von Dänemark, einer leider viel zu früh verstorbenen Deutschen Königin des 11. Jahrhunderts. Aus diesen Vornamen habe ich huldvoll und im Angedenken jener kulturhistorisch bedeutenden Frauen des frühen, späten und neueren Mittelalters die kecken Rollennamen Gundel, Gudrun und Gulli abgeleitet. Reicht das?“

„Irgendwie noch nicht ganz“, nörgelte Affi weiter.

Der Autor befahl seiner Angetrauten, die mit im Kreis saß, da sie im Stück die Rolle der schwachsinnigen Gulli zu verkörpern hatte: „Zeig deinen Personalausweis vor, damit der Ungläubige endlich Ruhe gibt!“

Kuttes Angetraute tat, was ihr aufgetragen und ließ ihren Ausweis kreisen. Dabei fiel nun mir etwas Eigenartiges auf. Der Personalausweis wies nicht nur drei, sondern bei genauer Betrachtung glatte vier Vornamen aus. Das wollte nachgefragt werden.

„Sag an“, richtete ich mein Wort an den Hobbyschriftsteller, „ich sehe auf dem Personalausweis deiner Frau die Vornamen Gundula Gudrun Gunhild Gunda eingetragen. Warum aber taucht in deinem Stück keine Gunda auf?“

Der Autor erklärte sich: „Ja stimmt, meine Frau heißt eigentlich Gundula Gudrun Gunda Gunhild. Ich habe mir allerdings die dichterische Freiheit genommen, der zweiten Großmutter meiner Frau, einer exaltierten Dame namens Gunda, kein Denkmal in meinem Stück zu setzen.“

„Darf man fragen, warum?“, drang Hermann, ein weiterer Freund und Mitspieler, auf nähere Begründung.

Der Autor zog die Schultern hoch, räusperte sich und antwortete dann mit deutlicher Verärgerung in der Stimme.

„Nun ja, diese Wahnsinnige schrieb in ihrer Freizeit Tagebuch, was sie ihrer Meinung nach gleich zu einer Poetin höheren Ranges machte. So weit so schlecht. Kritisierte man aber nur die geringste Kleinigkeit an ihren Texten, ging die Autorin hoch wie eine siebenstufige Mondrakete der Reihe Saturn V. Für jemanden mit derartigen Starallüren ist in meinen Werken kein Platz. Und ich wünsche an dieser Stelle auch keine Diskussion über die Ausgrenzung nahestehender Verwandter in literarischen Werken zeitgenössischer Prosa!“

War mit dieser Maßregelung nun jener Part der weiblichen Rollenverteilung geklärt, wollte und musste Affi noch ein weiteres Fass aufmachen, das ihn schon Tage vorher nicht zur Ruhe hatte kommen lassen.

„Äh, ich muss leider noch einmal auf die konkreten Rollennamen zu sprechen kommen: welcher Spitzname im Werk genau gehört denn zu Gunhild, welcher zu Gudrun und welcher zu Gundula beziehungsweise welcher Vorname ordnet sich Gulli zu und welcher Gundel, wenn ich davon ausgehe, dass mit dem Rollennamen Gudrun eventuell sogar der Vorname Gudrun gemeint ist beziehungsweise umgekehrt?“

Kutte blickte der aus seiner Sicht wiederholt überflüssigen Frage wegen nun schon mehr als gereizt vom Fragesteller hinüber zu seiner Frau, der er die Rolle der Gulli auf den Leib geschrieben hatte. Dann ließ er seinen Blick weiter wandern zu Moped-Uschi, die im Stück die leicht hinkende Gundel verkörpern würde. Schließlich fiel sein Blick wieder zurück auf Affi, der die männermordende Gudrun spielen sollte. Nein, in dieser dramatischen Zuspitzung hatte er sich seine personalunion-orientierte Arbeit als Autor, Regisseur und künstlerischer Leiter nicht vorgestellt.

„So kann, so will und so werde ich nicht weiterarbeiten!“, stampfte er mit dem Fuß auf. „Entweder Ihr reißt euch jetzt alle am Riemen oder Ihr könnt euch einen anderen Schriftsteller und ein anderes Theaterstück suchen!“

Um die gewichtige Bedeutung seiner poetisch wertvollen Befindlichkeitsäußerung noch demonstrativer zu unterstreichen, fluchte er weiter wie ein wahnsinniges Genie: „Herr Gott noch mal, ist das denn so schwer zu kapieren? Habe ich denn nur schwachsinnige Möchtegernschauspieler um mich herum, denen ein Rollenname wichtiger ist als Schöpfungshöhe und geistiger Gehalt eines monumentalen Werkes epischen Ausmaßes? Sollte hier und heute, an diesem Ort und zu dieser Stunde wirklich ein Stück Deutscher Literaturgeschichte zugrunde gehen, nur weil ein daueralkoholisierter Laienschauspieler nicht in der Lage ist, brillant von genial zu unterscheiden?“

Während der Verfasser des opulenten Werkes ordentlich Luft abließ, drängte sich mir ein wenig der Eindruck auf, man sollte einen Künstler nicht über Gebühr reizen. Allein schon, weil man während des darauffolgenden Disputes irgendwann die Höhe etwaiger verbalen Absonderungen intellektuell nicht mehr zu erfassen in der Lage sein könnte. Man kann ein Stück auch totreden.

Gewiss hatte es Affi gut gemeint und wahrscheinlich wollte er nur höflich auf die seiner Meinung nach zu großen Ähnlichkeiten der Frauennamen im Stück aufmerksam machen. Jedoch standen ihm derartige Fragen allein schon wegen seiner animalischen Schädelform nicht zu.

Um sich nicht weiteren Ärger einzuhandeln und um des lieben Frieden Willens wechselte der affenähnliche Fragesteller freiwillig das Thema und bat rasch noch um konkrete Auskunft bezüglich der ihm persönlich zugewiesenen Rolle im Stück: „Warum, verdammte Scheiße, muss ich eigentlich eine der drei Frauen spielen und die drei Pisser da drüben kriegen Männerrollen?“

Mit den „drei Pissern“ waren Olli, Hermann und ich gemeint.

Der Autor des Stückes sah Affi erbost ins Gesicht.

„Siehst du vielleicht aus wie ’n Mann?“, fragte er und fuhr fort: „Schau dich an, Affi, du ähnelst mit viel Wohlwollen, um nicht zu sagen mit sehr, sehr viel Wohlwollen, einer Frau. Einer ziemlich beharrten zwar, aber immerhin und mit ganz viel Phantasie könntest du als Frau, zwar mit ungewöhnlich großen Eckzähnen und riesigen Nasenlöchern, aber immerhin und wie gesagt mit ganz viel Wohlwollen als weibliche Heroine einigermaßen durchgehen. Und zu deinem, meinem und zu unserem großen Pech sieht dieses Stück nun mal keine Rolle mit einem Affen vor. Und auch keine mit einem Affenschädel. Also, danke Gott für deine körperliche Anomalie, sei zufrieden und hör auf, die erste Probe mit deinen dauernden und mittlerweile ätzenden Zwischenfragen zu stören.“

„Darf ich wenigstens noch eine abschließende Frage stellen?“, hakte der so offen Kritisierte ein letztes Mal nach.

Der genervte Autor schaute Affi an, dann die Decke, schließlich wieder Affi: „Was noch?“

„Warum“, wollte der unbelehrbare Querulant zu guter Letzt wissen, „habe ich eigentlich so wenig Text? Ist den anderen Schauspielern mal aufgefallen, dass ich nur „Uh, uh, uh – Gudrun hat Durst“ sagen darf?“

„Ist aufgefallen“, nickte Hermann freundlich, „aber dafür hast du im Stück sieben Auftritte mit immer dem gleichen Satz. Das macht dich zu einer unverzichtbaren Heldin des Stückes.“

„Papperlapapp“, mischte sich Olli ein und schaute dabei Kutte an, „können wir jetzt mal die wichtigen Fragen zu deinem Stück stellen?“

Der Autor schien erleichtert. Endlich könnte jemand die vorher unnütze Diskussion anhand einer wirklichen Fachfrage künstlerisch vorantreiben. Er erteilte Olli das Wort und dieser formulierte: „Meine Frage an den geschätzten Autor des Stückes lautet: Es gibt ja nun drei Männerrollen in deinem Stück – die der Gurke, die der Möhre und das Cornichon.“

„Richtig“, freute sich der Autor, weil sich offensichtlich wenigstens ein Mitspieler gründlich mit den Rollen auseinandergesetzt hatte. Dann aber sah er sich einer Frage ausgesetzt, die schlechterdings sogleich von dem Fragenden selbst beantwortet wurde.

Olli zeigte nämlich mit dem Finger auf mich und legte los: „Der Sozialarbeiter da drüben spielt die Gurke, ich das Cornichon.“

„Richtig. Ist etwas falsch daran?“

Das Cornichon stand von seinem Stuhl auf. „Ja, daran ist sehr viel falsch. Ich habe über dreißig Jahre mit dem Sozialarbeiter zusammen in einer Mannschaft Fußball gespielt. Und daher oft genug mit ihm gemeinsam unter der Dusche gestanden. Und ich muss hier und heute feststellen: Das Cornichon ist er, die Gurke bin ich!“

Ich war perplex. Was sollte man solch übler Nachrede entgegnen?