289Literaturverzeichnis

Arnold, Hermann: Wir sind Chef – wie eine unsichtbare Revolution Unternehmen verändert. Haufe, 2016

Bergmann, Frithjof: Neue Arbeit, neue Kultur. Arbor, 2004 (1984)

Betz, Robert: Willst du normal sein oder glücklich? Heyne, 2011

Breidenbach, Joana und Rollow, Bettina: New Work needs Inner Work. Vahlen, 2019

Burkhardt, Nicolas et al.: Good Job!. Vahlen, 2019

Carney, Brian und Getz, Isaac: Freedom Inc.. Crown Business, 2009

Dark Horse Innovation: Thank God It’s Monday. Econ, 2016

De Bono, Edward: Six Thinking Hats. Penguin, 1990

De Saint-Exupéry, Antoine: Der kleine Prinz (Le Petit Prince). Reynal & Hitchcock, 1943

Dürr, Hans-Peter: Warum es ums Ganze geht – neues Denken für eine Welt im Umbruch. Fischer, 2011

Felber, Christian: Gemeinwohl-Ökonomie. Deuticke, 2014

Frei, Felix: Hierarchie – Das Ende eines Erfolgsrezepts. Pabst, 2016

Gray, Peter: Befreit lernen – wie Lernen in Freiheit spielend gelingt. Drachen, 2015

hr4hr: Erfolgsfaktor Mensch. 2014

Huxley, Aldous: Schöne neue Welt (Brave New World). 1932

Hüther, Gerald: Die Freiheit ist ein Kind der Liebe. Herder, 2012

Janssen, Bodo: Die stille Revolution. Ariston, 2016

Kaduk, Stefan et al.: Musterbrecher – die Kunst, das Spiel zu drehen. Murmann, 2013

Kaegi, Heinz: Leader gesucht – from hard work to heart work. BusinessVillage, 2010

Knauss, Harald und Sonnenschmidt, Rosina: Burnout natürlich heilen. Narayana, 2012

Kofman, Fred: Conscious Business. Sounds True, 2006

Koydl, Wolfgang: Die Bessermacher. Orell Füssli, 2016

Laloux, Frederic: Reinventing Organizations. Vahlen, 2014

Lindau, Veit: Selbstliebe – willkommen zu Hause in dir!. Goldmann, 2016

Lipton, Bruce: Intelligente Zellen. Koha, 2013

Lohmann, Detlef: … und mittags geh ich heim. Linde, 2012

Minnaar, Joost und De Morree, Pim: Corporate Rebels – wie Pioniere die Arbeitswelt revolutionieren (Make Work More Fun). 2019

Mock, Elmar und Garel, Gilles: Innovation Factory. Growth, 2017

Oertle, Peter und Andrea: Drei Schritte zum Paaradies. Spuren, 2019

290Oestereich, Bernd und Schröder, Claudia: Das kollegial geführte Unternehmen. Vahlen, 2017

Onghena-t’Hooft, Olivier: The Book of Noble Purpose. 2019

Orwell, George: Farm der Tiere (Animal Farm). 1945

Pfläging, Niels: Organisationen für Komplexität. Redline, 2015

Pflüger, Gernot: Erfolg ohne Chef. Econ, 2009

Robbins, Anthony: Lessons in Mastery (Audio). 1998

Robertson, Brian: Holacracy. Vahlen, 2015

Röösli, Franz: Initialisierung musterbrechender Managementinnovation. Eul, 2015

Semler, Ricardo: Das Semco-System – Management ohne Manager. Heyne, 1993

Semler, Ricardo: The Seven-Day Weekend. Arrow, 2004

Singer, Michael: Das Experiment Hingabe. Spuren, 2016

Spezzano, Chuck: Leben in emotionaler Freiheit – Heilung von unbewussten Hindernissen und Blockaden. Via Nova, 2015

Volkamer, Klaus: Die feinstoffliche Erweiterung unseres Weltbildes. Weissensee, 2013

Werner, Götz: Womit ich nie gerechnet habe. List, 2015

Zobrist, Jean-François: La belle histoire de FAVI ..., Tomes 1&2. Humanis­me & Organisations, 2007

2„If you put fences around people, you get sheep“ (Wenn du Zäune um ­Menschen ziehst, bekommst du Schafe)

William L. McKnight, 1924, ehemaliger CEO von 3M

 

„Menschen führen ist nur dann legitim, wenn das Führen der Menschen die Selbstführung zum Ziel hat“

Götz W. Werner, Gründer von dm-drogerie markt

Arbeitskultur: Nutztierhaltung

oder

Arbeitskultur: Selbstführung

3Kapitel 1:
Einleitende Gedanken zu Hierarchie in der Arbeitswelt

Ist Hierarchie unumgänglich?

Diese Aussagen stammen aus meinem Kunden- und Bekanntenkreis und spiegeln die gängige Sichtweise wider. Hierarchiefreiheit ist entweder kein Thema oder es ist von vornherein klar, dass es sie nicht gibt und auch nicht geben kann.

Sehr viele Menschen in der Wirtschaft denken: „Entweder Hierarchie oder Chaos“ – These oder Antithese. Eine Synthese ist nicht greifbar. Ihnen fehlt offensichtlich die Erfahrung, dass ein gut organisiertes Kollektiv ein Unternehmen und sogar einen Staat führen kann.

Unser Netzwerk aus Fachleuten im Personalbereich trifft sich einmal im Monat in Zürich zum Lunch. Beim Essen erzählte ein Kollege von einem seiner Kunden: Einem Unternehmen mit einer Dreierspitze, die nicht zufriedenstellend klappe, da die drei Geschäftsführer „es nicht so gut miteinander können“. Sein Fazit: „Es braucht einfach einen Chef.“ Und alle waren sich einig: „Es braucht einen Chef, der entscheidet.“ Auch bei 4HR-Fachleuten gibt es also keinen Zweifel darüber, dass es einen Chef oder eine Chefin braucht, die entscheidet. Wenn ich jeweils von Augenhöhe und Selbstorganisation spreche, lässt die übliche Frage nicht lange auf sich warten: „Und wer soll denn entscheiden, wenn nicht der Chef?“.

Aber warum sollte der demokratische Grundgedanke der mündigen Bürgerinnen und Bürger, der Augenhöhe und Selbstverantwortung, in Unternehmen nicht genauso funktionieren? Wenn wir den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern die Mitverantwortung für das große Ganze vertrauensvoll übergeben, treffen sie auch in der Privatwirtschaft weise Entscheidungen zum Wohl des Unternehmens – die Belege dafür folgen in diesem Buch. Es ist Zeit, dass wir den Menschen die Selbstorganisation zutrauen und sie aus dem Zoo in die Freiheit führen. Damit sie nicht verkümmern oder ausbrennen in einer Kultur von Bevormundung, Druck und Kontrolle. Und damit ihr Unternehmergeist, ihre kreative Schaffenskraft und ihre Genialität auch bei der Arbeit wieder zum Leben erwacht.

Und wie erreichen wir das? Im Prinzip ist das Konzept simpel: Wir brauchen lediglich die schon im Privatleben praktizierte Eigenverant­wortung und Selbstbestimmung auch bei der Arbeit zu ermöglichen. Die Umsetzung hingegen ist nicht ganz so einfach, denn auch die Mit­arbeiterinnen und Mitarbeiter haben sich weitgehend damit abgefunden, dass schöne Werte wie „Empowerment und Mitgestaltung“ und „Unser Personal ist unser höchstes Gut“ in erster Linie schöne Worte sind. Wie die Transformation der Unternehmenskultur trotzdem funktionieren kann, erfahren Sie im zweiten Teil dieses Buches: „Die FLOW-Kultur“.

Verwendung des Begriffs „Hierarchie“

Das aus dem Altgriechischen stammende Wort „Hierarchie“ bedeutet „heilige Herrschaft“.

In diesem Buch ist mit „Hierarchie“ eine formale Positionshierarchie gemeint. Sie kann auch umschrieben werden mit „personenzentrierte Hierarchie (Personenhierarchie)“, „Organigramm-Hierarchie“, „Machthierarchie“ oder „Befehlshierarchie“.

Nicht gemeint ist eine Autorität aufgrund von menschlichen Qualitäten, Erfahrungen, Fachkenntnissen oder emotionalen und intellektuellen Kompetenzen – sofern diese natürliche Hierarchie in ein System mit ­guten Gegengewichten zur Macht eingebettet ist. Auch nicht gemeint sind hierarchische Positionen, wenn sie systembedingt rotieren, sowie eine Hierarchie von Kreisen in der Kreisorganisation, da ja in den 5oberen Kreisen Vertreterinnen und Vertreter der unteren Kreise mitbestimmen.

Auch an New-Work-Konferenzen wird das hierarchische Modell nicht hinterfragt: Alle Keynotes (Vorträge) gehen stillschweigend davon aus, dass es Führungskräfte braucht. Diese sollen zwar modern führen und mehr Coach als Commander sein, aber Hierarchiefreiheit ist kein Thema.

Führung durch Führungskräfte ist nach wie vor eine heilige Kuh.

Hierarchiefreiheit geht auch mit einfachen Arbeiterinnen und ­Arbeitern

Wenn mir jemand gedanklich einen Schritt entgegenkommt, klingt es in etwa so: „Ok, vielleicht geht Hierarchiefreiheit in kleinen Teams mit hochqualifizierten und intrinsisch motivierten Wissensarbeiterinnen und -arbeitern, aber mit einfachen Arbeitern geht es sicher nicht, die brauchen Führung und die wollen einen Chef.“

Doch die Praxis zeigt, dass sogar die von der New-Work-Bewegung vernachlässigten einfachen Dienstleistenden mit einfachen Jobs ihren Bereich in der Firma eigenständig führen können: Selbstorganisation funktioniert auch mit Fabrikarbeitern! Auch diese Menschen organisieren ihr eigenes Leben selbstverantwortlich und sind imstande, das auch im Unternehmen zu tun. Ich durfte in der Arbeit mit Kunden selbst erleben, dass Lageristen ihr Lager nach der Kündigung des Teamleiters problemlos selber führen und dass Fitnessinstruktorinnen nach der Freistellung des Geschäftsführers ihr Fitnessstudio selbst managen. Natürlich brauchen sie dabei in der ersten Phase Unterstützung, keine Frage! Sie haben das ja nirgends gelernt und noch nie praktizieren dürfen. Und zudem können wir unseren Blick auf Unternehmen des neuen Paradigmas schweifen lassen und sehen dort nicht nur hochqualifizierte Wissensarbeiter in der Selbstorganisation, sondern genauso auch Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Produktion, die ihre Bereiche selbst führen. Beispiele von Firmen mit selbstorganisierten Fabrikarbeitern sind die brasilianische Semco, die französische FAVI und die US-Firma Morning Star. In der niederländischen Buurtzorg führen 15000 Pflegekräfte ihr Geschäft selbst. Im dritten Teil des Buches werden diese und weitere Firmen des neuen Paradigmas ausführlich beschrieben.

Was bedeutet „Paradigma“?

Das aus dem Griechischen stammende Wort „Paradigma“ bezeichnet eine grundlegende Denkweise, eine allgemein akzeptierte Weltsicht. Die 6Ersetzung eines Paradigmas durch ein anderes heißt Paradigmenwechsel. Ein eindrückliches Beispiel für einen Paradigmenwechsel ist die Ersetzung des alten Paradigmas, dass die Erde der Mittelpunkt unseres Sonnensystems ist und dass sich die Sonne um die Erde dreht, durch das neue Paradigma mit der Sonne im Zentrum.

Hierarchie bringt uns viele Nachteile

Wir reden oft um den Brei herum und blenden Fakten aus, aber es ist klar: Hierarchie bringt uns viele Nachteile. Eine Metaanalyse wertete 54 Studien mit insgesamt 13914 beteiligten Teams aus und kam zum Schluss, dass Hierarchie die Effektivität von Teams negativ beeinflusst. („Our findings show that, on net, hierarchy negatively impacts team effectiveness“). Die Auswirkung auf die Effektivität wurde gemessen an der Leistung und an der Bereitschaft der Teammitglieder, in Zukunft Teil dieses Teams zu bleiben.1

Mittlerweile wird die Vision einer hierarchiefreien oder weitgehend hierarchiefreien Arbeitswelt nicht nur von Unternehmensleitern wie Ricardo Semler, Jos de Blok oder Bodo Janssen vorgelebt, sondern auch von der Wissenschaft unterstützt. Und der Autor von „Reinventing Organizations“, Frederic Laloux, gibt dazu ein schönes Bild: „In a forest, there is no master tree that plans and dictates change when rain fails to fall or when the spring comes early. The whole ecosystem reacts creatively, in the moment.“ (In einem Wald gibt es keinen Chef-Baum, der eine Veränderung plant und anordnet, wenn der Regen ausbleibt oder der Frühling früh kommt. Das ganze Ökosystem reagiert kreativ, im Moment.)

Wie ist denn „Management auf Augenhöhe“ im Buchtitel gemeint?

Der Begriff Management kommt ursprünglich vom lateinischen „Manum agere“ (an der Hand führen) und wird heute oft mit Führung gleichgesetzt. Im Titel dieses Buches bedeutet er die Führung eines Unternehmens und nicht eine Menschenführung in hierarchischen Verhältnissen. „Management auf Augenhöhe“ bezeichnet die Vision, Unternehmen als Kollektiv und ohne Hierarchien zu führen – analog zu Ricardo Semlers Klassiker „Das Semco System – Management ohne Manager“. Der englische Ausdruck für Augenhöhe, „on equal footing“, drückt mit dem Wort „equal“ das Element der Gleichberechtigung in einer echten Partnerschaft treffend aus.

Wozu Hierarchiefreiheit gut und warum sie wichtig ist

Eine gut funktionierende Wirtschaft ist für das Gemeinwohl enorm bedeutend – daran gibt es nichts zu rütteln. Und deshalb wollen wir 7die schädlichen und kostspieligen Nebenwirkungen des hierarchischen Modells reduzieren und wo möglich ganz eliminieren. Mit einer neuen Unternehmenskultur der Augenhöhe und Selbstorganisation wird die Wirtschaft leistungsfähiger und effizienter. Wir brauchen noch viel mehr Kreativität und Innovation in den Unternehmen, und die kommt nicht von unterdrückten Befehlsempfängern. Und die Kreativität nur einer Person an der Spitze zu überlassen ist einerseits zu risikoreich und andererseits zu wenig kraftvoll – eine Firma erreicht viel mehr, wenn Kreativität auf möglichst viele Menschen im Unternehmen verteilt ist, so wie es zum Beispiel in der US-Firma W.L. Gore (Gore-Tex) der Fall ist.

Neben der Verbesserung der geschäftlichen Dimension soll natürlich auch die Zufriedenheit der arbeitstätigen Menschen und das Wohl unseres Planeten mit allen Bewohnerinnen und Bewohnern gesteigert werden. Denn auch im Betrieb ist Freiheit die einzige „artgerechte Menschenhaltung“! Dafür sind wir gemacht, und nur in Freiheit, in einer Kultur der Augenhöhe, können wir wirklich glücklich werden und unsere beste Leistung abrufen. Es ist Zeit, die Menschen am Arbeitsplatz zu emanzipieren, sie aus ihrer Lage als Befehlsempfänger und „Ressource“ zu befreien und ihnen zu ermöglichen, ihr Potenzial auch am Arbeitsplatz zur Entfaltung zu bringen. Es ist Zeit, den Montag zum Feiertag zu machen.

„Die Wirtschaft ist für den Menschen da und nicht der Mensch für die ­Wirtschaft.“

Götz W. Werner

Arbeit kann und soll Freude machen!

Der später detailliert beschriebene Engagement-Index der Firma Gallup zeigt Jahr für Jahr auf, dass erschreckend viele Menschen ihren Job nicht wirklich lieben und den täglichen Gang zur Arbeit eher als Last denn als Freude empfinden. In so vielen Stunden seines Lebens etwas zu tun, was keine Freude macht, ist eine Tragödie: Das Leben wird ausgelagert auf Feierabend, Wochenende und Ferien. Der im Grunde zynische Begriff der „Work-Life-Balance“ bringt es auf den Punkt: Arbeit wird als Gegenpol des Lebens gesehen. Entweder arbeiten wir, oder wir leben. Die Vision ist nun, dass das Leben auch während der Arbeit stattfindet – und Freude macht! Und um diese Vision Realität werden zu lassen, benötigen wir eine Transformation der Unternehmenskulturen.

Lösung für anstehende Probleme

Das neue Paradigma einer FLOW-Kultur mit Partnerschaft auf Augenhöhe, Vertrauen und Selbstorganisation ist der Königsweg für die Lösung 8anstehender Probleme wie Unsicherheit am Arbeitsplatz, Komplexität oder Stress – und es ist die beste Burnout-Prävention. Ohne die grundlegende Transformation der Denkhaltung in der Wirtschaft und ihren Unternehmen sind alle Maßnahmen nur Doping: Medikamente, welche die Symptome bekämpfen und bewirken sollen, dass die Bevormundung und der krankmachende Stress und Druck länger ertragen werden können.

Glücklicherweise gibt es schon eine ansehnliche Zahl von Unternehmen, die den Weg zu einer Kultur der Augenhöhe gefunden haben und mit einem völlig neuen Geist in der Arbeit sehr erfolgreich sind – nicht nur finanziell. Und dies ist keine naive Sozialromantik, es ist Realität. Diese Unternehmen sind zwar noch Exoten, aber es gibt sie wirklich. Wir müssen uns nicht damit abfinden, dass sich viele arbeitstätige Menschen von Wochenende zu Wochenende und von Ferien zu Ferien hangeln und ab 55 die Tage bis zur Pensionierung zählen.

Auch unser Planet wünscht sich Demokratie und Hierarchie­freiheit

Unsere Erde will beschützt und gut behandelt werden, und das geht nicht mehr mit dem alten Denken. Das alte Paradigma mit profitgetriebenen Konzernen und diktatorischen Machthabern ist auch für unseren Planeten eine Bedrohung: Die Katastrophe des brennenden Regenwaldes im Amazonasgebiet zeigte, dass hierarchische und undemokratische Systeme eine ernste Gefahr für das Wohl der Erde und ihrer Bewohnerinnen und Bewohner darstellen. Wenn ein einzelner Machthaber in Brasilien der Dezimierung des Regenwaldes Vorschub leisten kann, indem er nur die wirtschaftlichen Interessen ins Zentrum stellt, die illegale Abholzung und Brandrodung stillschweigend toleriert und dazu noch Hilfsgelder verweigert, ist das eine skandalöse Situation, die in echten demokratischen Strukturen undenkbar wäre.

Ist eine perfekte Hierarchiefreiheit nötig?

Das erste Etappenziel auf dem Weg zum neuen Paradigma ist, dass die Hierarchie zum Thema wird, und zwar sowohl in den Unternehmen als auch in unserer Gesellschaft. Dass dieses Thema auf den Tisch kommt, diskutiert wird, verhandelt wird. Dass Hierarchie transparent gemacht wird und wir uns nicht unbewusst in alten Mustern bewegen. Ist es zum Beispiel wirklich die einzige Lösung, dass die fachlich beste Person die Führung der Gruppe übernimmt? Oder dass die Chefin die Sitzungen leitet?

Die perfekte Hierarchiefreiheit ist ein Leitstern, der uns die Richtung angibt – für die meisten Unternehmen ist sie nicht das unmittelbare Ziel. 9Wichtig ist, dass wir jeden kleinen Schritt in diese Richtung feiern. Und gleichzeitig ist das neue Paradigma ein Gesamtpaket und nicht ein Ersatzteillager, aus welchem einzelne Elemente bestellt werden können. So wie keinem von uns bei einem medizinischen Eingriff in den Sinn kommt, nur den Chirurgen und den Operationssaal auszuwählen und die Anästhesie und die Operationsschwester abzulehnen.

Das neue Paradigma

Nur ein kleiner Prozentsatz der Unternehmen und ihrer Geschäftsleitungen weiß, dass das neue Paradigma einen großen Gewinn für die Firma, die arbeitstätigen Menschen und die ganze Gesellschaft bringt. Nun gilt es, das Wissen und die Erfahrung der New-Work-Pioniere in der gesamten Arbeitswelt bekanntzumachen. Unsere Aufgabe in der Zeit nach der Corona-Krise ist es, mit vereinten Kräften den notwendigen und anspruchsvollen Transformationsprozess bestmöglich zu unterstützen. Und dies nicht nur mit einer neuen Praxis, sondern in erster Linie mit einem neuen Glauben, der einen fundamentalen Wandel der Verhältnisse für möglich hält – nicht nur in großen Krisen.

Die Absicht dieses Buches ist, mit Fakten, Analogien und Belegen die Logik des neuen Paradigmas aufzuzeigen und Sie, liebe Leserinnen und Leser, für die FLOW-Kultur zu begeistern. Zu diesem Zweck werden blinde Flecken beleuchtet, Missverständnisse ausgeräumt, kollektive Pseudowahrheiten aufgedeckt, Konventionen in Frage gestellt, verborgene Zusammenhänge aufgezeigt und Brücken geschlagen – in der Hoffnung, dass immer mehr Menschen zu Botschaftern des neuen Paradigmas werden und sich immer mehr Firmen vom hierarchischen Modell befreien. Dieses hat lange gedient und beachtliche Erfolge gebracht – nun ist es an der Zeit, es mit einem besseren Modell ohne schädliche Nebenwirkungen abzulösen.

Die Entwicklung geht weg von einem materialistischen Weltbild und hin zu einem energetischen – wie in der Physik, wo der Fokus auf das Teilchen (Materie, grobstofflich) ergänzt wurde mit dem Fokus auf die Welle, die Schwingung (Energie, feinstofflich). Vom Messbaren zum Fühlbaren…

Es geht darum, dass wir das Ganze und nicht nur Teile davon sehen, dass wir zusammenfügen, wo wir trennten, dass wir hinter die Oberfläche blicken und dass wir unsere Haltung und Ausrichtung sowie unser Menschenbild hinterfragen und anpassen. Dieses Buch will dazu ermuntern, Veränderungen proaktiv anzugehen und den Wandel achtsam zu begleiten, statt starr am Alten festzuhalten und dann einen Systembruch zu erleiden.

10Das neue Paradigma braucht eine Brücke ins Business

Das neue Paradigma der Augenhöhe und Gleichwertigkeit aller Menschen ist nicht neu: Davon erzählen uns die Weisen schon seit Jahrtausenden. Aber bisher ist es von der Arbeitswelt abgetrennt. In den etablierten Wirtschaftskreisen herrscht Einigkeit, dass weder die Bergpredigt noch die Werte „Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit“ im Business etwas verloren haben. Diese Trennung zu überwinden und die Brücke zur Arbeitswelt zu schlagen ist das Ziel dieses Buches. Dabei geht es nicht um ein oberflächliches Hinzufügen von selbstorganisierten Teams oder agilen Methoden – es geht um ein grundsätzliches Neudenken von Arbeit und Menschsein. Es geht um einen neuen Mindset und eine neue Haltung.

Und auch für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ist Selbstverantwortung und Selbstorganisation nichts Neues. Privat leben wir das schon so, wir alle! Und das, was wir in unserem Privatleben praktizieren, geht auch im Business – es braucht nur den Raum und die Möglichkeit dazu. Die Wirtschaft ist gegenüber Politik und Privatleben arg im Hintertreffen und hat da einiges aufzuholen.

Im Privatleben, in der direkten Demokratie und in hierarchiefreien Unternehmen gibt es einen hohen Grad an Selbstbestimmung, in hierarchischen Unternehmen ist er bedenklich klein. Diese privat und

11politisch stark ausgeprägte Fähigkeit zur Selbststeuerung können sich Unternehmen dank einem neuen Denken und neuen hierarchiefreien Modellen in viel größerem Ausmaß zunutze machen!

Im Moment versuchen aber viele Unternehmen, ihre alte hierarchische Struktur beizubehalten und einfach eine neue Methode aufzupfropfen, oder sie gliedern ein neues Arbeitsmodell in eine separate Organisation aus. Das führt notgedrungen zu Verwerfungen, da die neuen Entwicklungen auf einen alten Mindset prallen, der nicht kompatibel mit den neuen Praktiken ist: Für diese braucht es auch ein neues Denken. Der Buchtitel „Hirn 1.0 trifft Technologie 4.0“ von Günthner und Dollinger veranschaulicht das treffend.

Theoretisch wäre es ideal, zuerst den Mindset zu transformieren und dann anschließend die Methode darauf auszurichten – so wie es bei Favi, Buurtzorg, Semco, Tele Haase oder dm-drogerie markt der Fall war: Zuerst war die Einsicht des Pioniers an der Spitze der Firma, dann folgte die Methode. Aber in den meisten Unternehmensleitungen existiert noch kein Mindset eines Jean-François Zobrist, Jos de Blok, Ricardo Semler, Christoph Haase oder Götz Werner, und wir haben weder die Zeit noch die Gelegenheit, diesen losgelöst vom Business zu entwickeln. Deshalb werden wir in der Praxis Mindset und Methode parallel entwickeln.

Der Lockdown während der Corona-Krise bewies auf eindrückliche Weise, dass das dezentrale Arbeiten vom Home-Office aus funktioniert – auch ohne Hierarchie und Führungskräfte. Und für Unternehmen, die von der Krise hart getroffen wurden, kann Hierarchiefreiheit ein Rettungsanker sein, denn ohne ein hierarchisches System sparen Firmen die teuren Führungskräfte ein und können so die schwierige finanzielle Situation besser meistern. Die von den Führungskräften ausgeführten Koordinationsaufgaben werden auf das Team verteilt, und die Bevormundung und Kontrolltätigkeit entspringen einer Misstrauenskultur, die hohe Kosten verursacht und die wir ohnehin hinter uns lassen wollen.