Meditation für das 21. Jahrhundert
Aus dem Englischen
von
Annette Charpentier
Ullstein
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Die Originalausgabe erschien 2019 im Verlag Yellow Kite, einem Imprint von Hodder & Stroughton, Hachette UK
Allegria ist ein Verlag der Ullstein Buchverlage GmbH
ISBN 978-3-8437-2351-0
© der deutschen Ausgabe Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 2020
© der Originalausgabe 2019 by Gelong Thubten
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Für
Akong Tulku Rinpoche
und meine Mutter
Im Juni 2009 verließ ich nach vier Jahren ein Meditationsretreat. Eine intensive Zeit lag hinter mir, die ich mit zwanzig anderen Mönchen geteilt hatte. Wir lebten in einem abgelegenen alten Bauernhaus auf der Insel Arran vor der schottischen Küste. Dort waren wir von der Außenwelt völlig abgeschnitten, wir hatten weder Handys noch Internet oder Zeitungen. Das Essen brachte ein Verwalter, der außerhalb der Klostermauern lebte. Unser striktes Programm bedeutete, täglich zwölf bis vierzehn Stunden zu meditieren, vorwiegend allein in unseren Zimmern – und das ging so vier Jahre lang, Tag für Tag. Nur zu den Mahlzeiten und in den kurzen Pausen zwischen den einzelnen Meditationssitzungen durften wir uns ein wenig unterhalten, doch im zweiten Jahr gelobten wir, fünf Monate lang völlig zu schweigen, und alles wurde noch intensiver.
Ich hatte vorher noch nie so lange Zeit in einem Retreat verbracht und fand es erst sehr schwer. Ich weiß noch, wie ich es mit einer Operation am offenen Herzen bei vollem Bewusstsein verglich: Man wird mit seinen schmerzvollsten Gedanken in eine Ecke gedrängt, ohne die Möglichkeit zur Ablenkung oder Flucht zu haben.
Diese Art Retreat ist eine sehr radikale Methode in der Meditationslehre, die in vielen tibetisch-buddhistischen Klöstern praktiziert wird. Die vollständige Hingabe in langen Sitzungen zwingt den Meditierenden dazu, sich mit der eigenen Gedankenwelt intensiv auseinanderzusetzen. Damals erlebte ich die unglücklichste Phase in meinem ganzen Leben, aber letztendlich hat sie mich gelehrt, was Glück bedeutet. Denn ich lernte, dass man sich für das Glücklichsein entscheiden kann und Glück etwas ist, zu dem wir den Zugang in uns selbst finden können.
Wir Mönche hatten keine Ahnung, was draußen in der Welt vor sich ging. Zu dieser Zeit veränderten sich mehrere Dinge, die großen Einfluss auf unsere Kultur hatten: lebensverändernde Technologien wie das Smartphone, Twitter, YouTube und Facebook, oder auch große historische Ereignisse wie die Wahl von Barack Obama, die Finanzkrise und der Arabische Frühling. Alle paar Monate kam der Leiter des Retreats zu Besuch und deutete uns ein paar dieser Neuigkeiten an: Es gebe nun etwas mit Namen Facebook, wo Leute einen bitten, sich mit ihnen anzufreunden, und es wäre einem zu peinlich, dazu Nein zu sagen. Wir haben ihn bei dieser Erzählung nur verwundert angestarrt.
Als ich zurück in die »normale« Welt kam, fiel mir als Erstes auf, wie schnell alles geworden war. Alles und jedermann um mich herum bewegte sich rasend schnell. Jeder hatte ein Smartphone – der BlackBerry hatte inzwischen Dinosaurier-Status. In London kam ich mir vor wie in einer »Zombiewelt«. Mir schien, als würden sich alle wie in hypnotischer Trance bewegen, die Gesichter über diese kleinen Bildschirme gebeugt. In den Londoner U-Bahn-Stationen waren die Werbeplakate neben den Rolltreppen durch Digital-Tafeln ersetzt worden, und mir wurde beim Vorbeirollen ganz schwindlig. Die Menschen »draußen« waren sich der Veränderung vielleicht nicht bewusst, aber mein jahrelanger Rückzug gab mir einen völlig anderen Blick darauf, wie sehr sich alles aufgeheizt hatte. Auch die allgemeine Stimmung hatte sich verändert: Die meisten Nachrichten wurden nun in aufgeregtem Ton vorgetragen, Horrorgeschichten dominierten, die ununterbrochen auf den Handys angezeigt wurden und einem keinen Rückzug mehr erlaubten. Unser Verhältnis zu Informationen hat sich im 21. Jahrhundert vollständig gewandelt: Wir wissen viel zu viel. Die Art, wie wir Informationen aufnehmen – in flüchtigen kleinen Häppchen, wenn wir »scrollen« und »swipen« –, hat verändert, wie wir die Realität verarbeiten.
Was mir nach meiner Klausurzeit besonders auffiel, war, wie bedacht alle auf einmal darauf waren, »glücklich« zu sein. Dieses Bedürfnis hatte einen neuen Höhepunkt erreicht – doch gleichzeitig fühlten sich die Menschen unzufriedener. Als ich schließlich begann, mich wieder mit den Dingen auseinanderzusetzen, wurde mir klar, dass die Welt dringend mehr Meditation brauchte, und zwar nicht als eine Form von Luxus, sondern um zu überleben. Immer dringlicher stellte ich Fragen, was echtes, dauerhaftes Glücklichsein tatsächlich bedeutet. Ich spürte eine tiefe Verpflichtung, Meditation in den verschiedensten Bereichen zu lehren: in Schulen, Universitäten, Krankenhäusern, Rehabilitationszentren für Drogenabhängigkeit, Gefängnissen, aber auch in globalen Tech-Firmen und an Arbeitsplätzen mit hohem Stresslevel.
Ich stellte fest, dass viele Menschen eine Art von Glück suchen, das nur eine flüchtige Empfindung ist: Ein »High« – ein Energieschub ins Herz wie nach einer Injektion. Aber der scheint nie lange anzudauern, und wenn dieses Hochgefühl vorbei ist, dann verzehren sie sich nach dem nächsten.
Wir leben in Zeiten, in denen es als so wichtig gilt, sich ständig gut zu fühlen. Wir lechzen nach einem »Kick« wie nach einem Zuckerschub, schleppen uns auf diese Weise aber nur von einer Begeisterung zur nächsten, bestrebt danach, unsere Sinne immer weiter zu stimulieren, manchmal alle auf einmal.
Vieles von dem, was wir essen und trinken, erzeugt ein unmittelbares, aber falsches Hochgefühl: Zucker, chemische Zusätze, Kaffee, »Soulfood« in Form von Kohlehydraten … Mitten am Nachmittag fühlen wir uns auf einmal unfassbar müde, und dann greifen wir zur Tafel Schokolade und / oder einem Kaffee, damit wir uns schnell besser fühlen. In einer Anzeige für eine Chips-Marke heißt es: »Einmal gepoppt, nie mehr gestoppt.« Und natürlich bringen uns die Inhaltsstoffe dieses Produkts dazu, die ganze Packung auf einmal zu futtern. Doch finden wir dabei jemals eine lang anhaltende Befriedigung?
Vergleicht man das heutige Film- und Fernsehprogramm mit dem von früher, stellt man vor allem einen Unterschied fest: Es gibt viel mehr aufregende, schnelle Bilder, die die Sinne stimulieren. Filme, Fernsehprogramme, Werbespots und Musikvideos zeigen oft Hunderte von Einstellungen innerhalb von nur zwei Minuten, und der Grund dafür ist vor allem der, dass wir auf diese Weise nicht so leicht davon abgelenkt werden und süchtig nach der schnellen Stimulierung unserer Sinne bleiben. Ein alter Schwarz-Weiß-Film, bei dem die Kamera lange bei einer einzigen Einstellung verweilt, kommt uns heute langweilig vor; wir nennen es »Arthouse«, aber viele Zuschauer erreicht es nicht. Wir fühlen uns stattdessen von Unruhe und Schnelligkeit angesprochen – ein Spiegelbild unseres Lebens.
Die sozialen Medien erzeugen einerseits Verbundenheit, gleichzeitig jedoch auch eine tief sitzende Isolation. Versunken in unsere kleinen Bildschirme, scrollen wir durch die Fotos von anderen beim Frühstück, während wir das eigene essen, und finden es immer langweiliger, einfach nur still zu sitzen und den Moment wahrzunehmen. Es fällt uns schwer, etwas einfach zu erleben und dabei wahrzunehmen; stattdessen sehnen wir uns selbst bei der köstlichsten Mahlzeit danach, fernzusehen, auf den sozialen Medien unterwegs zu sein oder Musik zu hören. Sehr schnell empfinden wir etwas als langweilig und wenden uns deshalb rasch dem nächsten Erlebnis zu – aber wir kommen nie richtig bei einem an. Wir sind süchtig nach »Likes« geworden, dem neuesten glänzenden Gegenstand oder nach allem, von dem wir hoffen, dass es uns Befriedigung verschafft. Wir fühlen uns müde, unser Körper wird von den Stresshormonen Cortisol und Adrenalin durchflutet. Unsere Körper werden von toxischen Chemikalien überschwemmt, die uns weiter anheizen, aber dann machen sie uns doch nur noch müder und schließlich krank. Doch wir wollen mehr. Das Verlangen lässt sich nicht stoppen, und wir setzen einen endlosen Kreislauf fort, wo nichts mehr wirklich zufrieden macht, weil die Gedanken schon auf dem Sprung zur nächsten Befriedigung sind. Es ist wie ein unstillbarer Hunger, während wir uns ständig fragen: Wann wird das alles für mich richtig und gut? Wann fühle ich mich endlich zufrieden? Was liegt als Nächstes an? Ist das nun Glück?
Der entscheidende Stoff im Gehirn bei dieser Art von Glück ist Dopamin, aber interessanterweise steigt der Pegel dieses Stoffes an, noch bevor wir das bekommen, was wir wollen. Dann sinkt er sofort wieder ab. Wenn wir gerade in ein Stück Kuchen beißen wollen oder uns für eine Party fertig machen, sind wir so aufgeregt wie vor einer Jagd, aber sobald wir tatsächlich vom Kuchen abbeißen, sinkt der Dopaminspiegel ab. Tiere erleben einen starken Anstieg von Dopamin kurz vor der Fütterung. Der aufregende Teil ist immer: »Es wird geschehen …«, »Wenn ich reich bin …«, »Wenn ich den richtigen Partner finde …«, »Wenn ich endlich die ersehnte Figur habe …« Aber wir kommen nie an, denn indem wir immer gleich zum Nächsten schauen, erreichen wir nie das eigentliche Ziel, nämlich glücklich zu sein. Es gibt immer ein »falls«, ein »wenn« oder ein »weil«, was uns vom Glück fernhält.
Unser ganzes Leben lang haben wir an den Mythos geglaubt, dass man Glück »erreichen« kann, und wenn wir nur die äußeren Umstände hinbekommen, dann würden wir glücklich sein. Aber das ist kein Glück, es ist Sklaverei.
Wir nehmen an, dass uns sowohl Glück als auch Leid von außen zustoßen. Dabei sind unsere Gedanken und Reaktionen die wirklich bestimmenden Faktoren. Wenn man davon ausgeht, dass zwei oder mehr Menschen selbst durch die gleiche Situation nicht immer gleich glücklich oder unglücklich werden, dann zeigt das, dass wir bei Glück über eine geistige Erfahrung in uns selbst reden und nicht über die Dinge um uns herum.
In diesem Buch wird es darum gehen, dass wir uns wieder nach innen wenden und die Glücksquelle finden, die in uns selbst liegt. Statt eines flüchtigen Gefühls, das wir vielleicht ab und zu spüren, ist Glück für mich eine Fähigkeit, die wir erlernen können. Ich betrachte Glück als das Ergebnis von geistigem Training, und ich glaube, dass wir alle die Veranlagung dazu in uns tragen. Mithilfe von Meditation und Achtsamkeit können wir uns entscheiden, glücklich zu sein, ganz egal wodurch. Doch ohne diese Werkzeuge bleiben wir Opfer des ununterbrochenen »Was wäre wenn«-Gedanken.
Natürlich gibt es viele Menschen auf dieser Welt, die ein extrem schweres Leben haben, in dem der Gedanke an Glück unglaublich fern ist. Vielleicht bleibt einem dann nichts anderes übrig, als zu überleben, aber sobald man wieder ein wenig Luft zum Atmen hat, kann die Meditation einen mächtigen Schutz bilden, falls irgendwann wieder schwere Zeiten anstehen. Sie hilft, seelische Resilienz aufzubauen, die einen dazu befähigt, selbst die schwierigsten Situationen durchzustehen.
Wie fühlt sich Glück eigentlich an? Wenn wir uns vollständig in der Gegenwart befinden, ohne den Drang, über die Vergangenheit nachzugrübeln oder uns über die Zukunft Sorgen zu machen. Wir leben im Moment und fühlen uns vollständig. Wenn wir wirklich glücklich sind, ist das ein Gefühl von Freiheit. Wir sind frei von Wünschen und anderen Konflikten. Wir sind davon befreit, Glück überhaupt zu wollen. Wenn wir dieses Glück suchen, ist da dieser Hunger, das Gefühl von Unvollständigkeit. Wir sind dann gefangen in der Erwartung, das zu bekommen, was wir wollen, und der Angst, es nicht zu bekommen. Wir fühlen uns in dieser Unsicherheit gefangen. Wir denken, wir könnten nur dann glücklich sein, wenn wir all unsere Ziele erreicht haben, was aber bedeutet, dass sich unser ganzes Leben nur in der Zukunft und nicht im Augenblick abspielt.
Unsere Gedanken sind meistens nicht frei. Gedanken und Emotionen fachen einen Sturm in uns an, dem wir schnell unterliegen können. Von einem Augenblick zum anderen finden wir uns in einen Konflikt mit der Realität verwickelt und wünschen uns ständig, die Dinge wären anders, besser. Doch Glück bedeutet, seine Gedanken und Emotionen zu beherrschen und die Dinge so zu nehmen, wie sie sind; es bedeutet, dass wir uns zurücklehnen sollten und nicht mehr versuchen, die äußeren Umstände zu manipulieren. Wenn wir lernen, tief mit dem gegenwärtigen Augenblick verbunden zu bleiben, auch wenn wir vor Schwierigkeiten stehen, und wenn wir unsere Gedanken dahin lenken, nichts zu verurteilen, erkennen wir in uns selbst eine ungeheuer große Quelle des Glücks. Dann stellen wir vielleicht auch fest, wie oft wir nach Erfüllung nur durch äußere Dinge suchen.
Wenn wir uns jemanden in einer perfekten Situation vorstellen, in der sich diese Person völlig glücklich fühlt, und wir ihren Geist dann genauer betrachten, ist klar: Diese Person ist frei. Dieses Gefühl von Vollkommenheit und Ruhe, ohne Ehrgeiz oder Angst, ist ein seelischer Zustand. Üblicherweise denken wir also, wie wir festgestellt haben, dass uns »Dinge« von außen glücklich machen können, also warum schalten wir nicht einfach dieses Zwischenstadium aus und wenden uns schnurstracks dem tatsächlichen Glück zu?
Ich habe dieses Buch geschrieben, weil ich Menschen unbedingt dabei helfen will zu erkennen, dass sie sich für das Glück entscheiden können. Ich will ihnen zeigen, dass man es durch die Kraft der Meditation erreichen kann. Meditation hilft uns, einen Zugang zu finden zu dem Ort in uns, der sich wie ein tiefer Brunnen anfühlt, gefüllt mit erfrischendem Wasser, das wir trinken können, wann immer wir wollen.
Statt uns zu fühlen, als würde unser Leben außer Kontrolle geraten – durch all den Stress, die Einsamkeit und Unzufriedenheit, die unsere Gedanken beherrschen –, können wir eine innere Verbundenheit entdecken und so auch in hektischen Situationen zentrierter werden. Unser Glück und unsere Probleme gründen beide auf unseren Gedanken, aber die meisten Menschen gehen mit wenig Bewusstsein für ihre eigene Gedanken- und Gefühlswelt und deren wahres Potenzial durchs Leben. Wenn wir in dieser Welt einen Sinn finden wollen, müssen wir unsere eigenen Gedanken verstehen lernen. Meditation und Achtsamkeit sind mächtige Instrumente, um eine solche allumfassende Revolution von innen zu erreichen.
Es gibt viele falsche Vorstellungen über Meditation und Achtsamkeit, und ich hoffe, dieses Buch wird Ihnen dabei helfen, diese Dinge zu klären.
›Ich würde gerne meditieren, aber in meinem Leben
ist zu viel los.‹
Viele Menschen denken, dass es bei der Meditation darum geht, den Geist zu beruhigen und stillzulegen, und sie denken, ihr Leben sei viel zu hektisch dafür. Doch die vielen Gedanken, die uns beschäftigen, spielen für die Meditation überhaupt keine Rolle; es geht nicht darum, den Geist zu leeren oder Gedanken auszublenden oder in eine Art Trance zu verfallen – das funktioniert meistens nicht und hat auch keinen Wert. Die Meditation verändert die Beziehung zu unseren Gedanken und Gefühlen; sie zielt nicht darauf ab, sie loszuwerden.
Andere betrachten Meditation als eine Art Eskapismus, der mit ihrem hektischen Leben nicht viel zu tun hat. Oder als eine Methode, Stress zu reduzieren und Traurigkeit von sich fernzuhalten, wie bei einer Diät oder einem Besuch im Fitnessstudio, um das Gewicht unter Kontrolle zu bekommen. Andere halten Meditation sogar für völlig egoistisch. Vielleicht entstehen diese Mythen einfach durch mangelnde Information oder falsche Annahmen. Denn Meditation ist keine Wellness-Übung: Sie verbindet uns mit unserem Wesen und zeigt uns, wer wir wirklich sind. Dieses Bewusstsein ist der Schlüssel zu allem, und das derzeit wachsende Interesse an Achtsamkeit in unserer Kultur spiegelt vielleicht einen neuen Schritt in der menschlichen Evolution: Denn Lebensformen entwickeln sich als eine Reaktion auf die Umwelt, und aktuell scheint es, als dränge uns unsere so unter Druck gesetzte Welt regelrecht dazu, für unser eigenes Überleben zu meditieren.
Auch ich besitze mittlerweile ein Smartphone und bin an etwa dreihundert Tagen im Jahr unterwegs. Ich bin in das rasante Tempo unseres Lebens eingebunden, und wenn ich nicht jeden Tag meditieren würde, wüsste ich nicht, wie ich damit zurechtkäme. Aber das Meditieren hat mir auch dabei geholfen, etwas über Glück zu verstehen.
Ziel dieses Buches ist es, Ihnen zu helfen, Glück zu erreichen, indem wir die Meditation ins Zentrum unseres Alltags rücken – eben nicht nur, um schnell Stress zu reduzieren und mehr Kontrolle über Gedanken und Gefühle zu gewinnen, sondern vor allem, um das große Potenzial unseres Geistes für bedingungsloses Mitgefühl und innere Freiheit zu entdecken. Das Glück ruht in Ihnen und wartet.
Der buddhistischen Philosophie zufolge sind wir auf einer tiefen Ebene darauf programmiert, glücklich zu sein; Glück ist sozusagen auf unserer Festplatte gespeichert. Der wahre Grund für unsere Fähigkeit zum Glück liegt in unserer Natur. Deshalb fühlen wir, dass alles seine Ordnung hat, wenn wir glücklich sind; Leid fühlt sich dagegen an wie eine Unterbrechung darin, wie die Dinge eigentlich sein sollten. Letztendlich sind wir mehr als bloß unsere Probleme und unsere Sorgen, und vielleicht ist die Tatsache, dass Sie zu diesem Buch gegriffen haben, ein erstes Zeichen dafür, dass Sie tief in sich bereits das Gefühl haben, dass Sie dieses tiefe Glück, das in Ihnen schlummert, erreichen können.
Wir haben im ersten Kapitel erfahren, dass echtes Glück in Wahrheit Freiheit ist. Freiheit ist uns Menschen am allerwichtigsten – wir wollen nicht von anderen kontrolliert werden, und wir wissen, dass uns die Freiheit zusteht, das zu tun oder zu sein, was immer wir wollen; Freiheit ist etwas, für das wir kämpfen, und als Gesellschaft haben wir dabei wichtige Schlachten gewonnen. Wir leben in einer Welt der freien Wahlmöglichkeiten und können uns in vielen (leider nicht allen) Erdteilen so kleiden, sprechen und denken, wie wir wollen. Wir leben in einer »freien Gesellschaft«, aber sind wir tatsächlich jemals wirklich frei? Wir halten uns für »freidenkende« Individuen, dabei ist unser Geist überhaupt nicht richtig frei.
Denn wo ist unsere Freiheit, wenn unsere Gedanken in Richtungen wandern, die wir nicht wollen, und wir nicht tun, was wir wirklich möchten? Wir werden von unseren Gedanken und Gefühlen angekettet und haben offenbar nur wenig Kontrolle über sie. Wir verlieren uns in Launen, schmerzlichen Erinnerungen oder Sorgen um die Zukunft; eigentlich würden wir diese Gedanken lieber loswerden, wissen aber nicht, wie wir das schaffen können. Uns zu konzentrieren fällt uns schwer, denn unsere Gedanken schwirren ständig hier- und dorthin, und manchmal bleiben wir in den unangenehmen Gefühlen auch einfach stecken. Oft fühlt es sich so an, als würden wir nicht wirklich am Steuer sitzen, wenn unsere Gedanken kreuz und quer gehen.
Man muss sich aber bewusst machen, dass wir keinen dieser Gedanken und Gefühle immer haben; es handelt sich vielmehr um einen ständig wechselnden Strom mit Tausenden Veränderungen täglich. Aus Sicht der Meditation ist das ermutigend, denn wir können Methoden erlernen, die uns dabei helfen, diesen Gedanken- und Gefühlsfluss bewusst zu steuern. Denn unsere Gedanken und Gefühle sind im Grunde einfach Gewohnheiten, und wir sind in der Lage, neue und positive zu entwickeln und weniger anfällig für die negativen zu werden.
Wissenschaftler diskutieren in letzter Zeit häufig den Begriff »Neuronale Plastizität«, um dieses Phänomen zu beschreiben. Es ist das Potenzial des Gehirns, durch wiederholte Übung, etwa durch Meditation, neue neuronale Verbindungen zu schaffen und dadurch bleibende Veränderungen zu bewirken. Wir sind dazu fähig, auf diese Weise eine Vielzahl neuer Gewohnheiten einzurichten, negative Gedanken zu verlernen und dadurch dauerhafte Verbesserungen zu erreichen.
Ich habe selbst erlebt, dass einige meiner schmerzlichsten und destruktivsten Gewohnheiten, die mir zu schaffen machten, sich durch mein Meditationstraining radikal veränderten. Ich litt beispielsweise unter starkem Selbsthass, und der ist mittlerweile fast völlig verschwunden. Ich fand es auch sehr nützlich zu lernen, einfach mal einen Schritt zurückzutreten und zu beobachten, was sich im Kopf so abspielt. Momentan bin ich dabei zu lernen, mich nicht allzu leicht im Strudel geistiger Aktivitäten zu verlieren und hinter allem einen freien Raum zu entdecken. Wenn wir herausfinden, dass unser Geist größer ist als all unsere Probleme, erkennen wir, dass wir tief in uns alle das Potenzial haben, wahrhaft glücklich zu sein.
Ich finde es faszinierend, dass wir unsere eigenen Gedanken und Gefühle beobachten können. Wenn wir beispielsweise wütend, ängstlich oder traurig sind, wissen wir gewöhnlich, dass wir wütend, ängstlich oder traurig sind – wir erleben, wie wir uns fühlen. Aber wenn es einen Teil in unserem Gehirn gibt, der weiß, dass wir wütend sind, dann ist jener Teil sicherlich nicht wütend – wie sollte er die Wut sonst erkennen?
Es gibt daher einen Teil in unserem Gehirn, unserem Geist, der stets frei ist.
Wenn wir unter etwas leiden, wenn wir emotionalen Schmerz empfinden und vor Schwierigkeiten stehen, identifizieren wir uns gewöhnlich vollständig mit jenem schmerzlichen Teil unseres Seins. Er wird zur übergreifenden Realität. Doch wenn wir dann meditieren, können wir lernen, uns mit jenem Teil des Gehirns zu identifizieren, der dieses Gefühl beobachtet; wir können entdecken, dass der Hintergrund sämtlicher Erfahrungen weiträumig und frei ist. Jenes übergreifende Bewusstsein ist wesentlich größer als aller Schmerz und Kummer, die uns so oft zu überfluten scheinen.
In alten Meditationstexten finden sich häufig Metaphern, in denen der Geist mit dem Himmel verglichen wird, und unsere Gedanken und Gefühle sind dabei die Wolken. Der Himmel ist grenzenlos und ohne Zentrum oder Schranken. In diesem Himmel gibt es alle möglichen Wolken – dichte Sturmwolken, wattebauschähnliche Wölkchen, zarte Zirruswolken und so weiter. Sie alle sind ein natürlicher Teil des Himmels – aber der Himmel ist größer. Die Meditationslehre vergleicht damit die makellose Offenheit und Weiträumigkeit des geistigen Bewusstseins, das größer ist als das Kommen und Gehen der Gedanken und Gefühle.
Unser Hauptproblem ist, dass wir dieses Bewusstsein nicht erkennen. Wir verirren uns zwischen unseren Gedanken und Gefühlen, sind verloren in den Wolken. Meditation hilft uns dabei, uns mit unserem Bewusstsein zu verbinden. Es geht nicht darum, die Gedanken loszuwerden, sondern darum, eine breitere Perspektive zu gewinnen. Die Tatsache, dass es diesen Teil in unserem Gehirn gibt, der sich selbst beobachten kann, legt nahe, dass unser wahres Wesen Freiheit ist. Und wir wissen jetzt, dass Freiheit Glück bedeutet.
Ich glaube, viele Menschen betrachten Meditation schlicht als eine Methode, Stress abzubauen, doch sie ist vielmehr ein Weg, uns mit unserem Wesen zu verbinden, das vollständige Freiheit und Glück bedeutet. Ein tibetisches Wort für Meditation ist »gom«, was wörtlich »sich vertraut machen« bedeutet. Wir machen uns also vertraut mit unserem Bewusstsein, jener Fähigkeit, uns selbst zu beobachten.
Mein Meditationslehrer hat mich oft ermahnt, mich selbst nicht so ernst zu nehmen, und damit meinte er, dass ich mich oft zu sehr an diese Wolken klammerte. Wolken sind keine festen Objekte. Stellen Sie sich vor, Sie sitzen in einem Flugzeug, und wenn Sie aus dem Fenster schauen, sehen Sie die Wolken unter sich. Sie wirken wie dichte Watte, dick und fest. Wenn ein Flugzeug zur Landung ansetzt, denken manche Kinder, dass es nun mit diesen Wolken zusammenstößt, aber wir wissen ja, dass sie trotz ihres festen Aussehens völlig substanzlos sind. Unter dem Ansturm unserer Gedanken und Emotionen verspannen wir uns ebenfalls in einer Art Angst davor, dass wir mit ihnen zusammenstoßen, weil wir sie für real halten und entsprechend reagieren. Wenn man so mit seinen Gedanken und Gefühlen umgeht, hat das negative Folgen.
Oft denken wir, dass unsere Gedanken und Gefühle von außen in unseren Kopf dringen. Das drückt sich in dem Satz aus: »Das kam mir so in den Kopf.« Aber von woher sollten sie kommen? Laden wir etwa Gedanken und Gefühle von irgendeiner virtuellen Festplatte herunter? Natürlich nicht. Um zu erkunden, wie geistige Aktivität entsteht, können wir uns einer anderen Metapher bedienen. Bei der wird der Geist mit einem Ozean verglichen und die Wellen mit unseren Gedanken und Gefühlen. Die Wellen sind ein integraler Bestandteil des Meeres, sie kommen und gehen. Wir könnten lernen, die Dinge ruhen zu lassen und im Bewusstsein verharren – uns im Ozean treiben lassen –, statt uns von den Wellen hin und her schleudern zu lassen. Darum geht es beim Meditieren. Wenn sich im Ozean eine Welle aufbaut, trennt sie sich etwa vom Rest des Wassers und bleibt in der Luft hängen? Nein, die Welle ist bloß ein natürlicher Ausdruck des Ozeans, und auf gleiche Weise sind unsere Gedanken und Gefühle bloß ein Teil unseres Geistes. Wenn wir das Bewusstsein »sein« könnten, etwa wie ein Ozean, würde sich das Leben ganz anders anfühlen. Ansonsten werden wir zum Spielball der Wellen und stets von dem kontrolliert, was sich gerade im Kopf abspielt.
Das Herz leuchtet, wird aber von Schleiern verhüllt,
die nicht zu seinem Wesen gehören.
– Buddha
Wenn unser Geist tief in uns mehr ist als bloße Gedanken und Gefühle, dann bedeutet das Freiheit – und damit vollständiges Glück. Je vertrauter wir damit werden, umso besser erkennen wir, dass der Geist grundsätzlich gut ist. Jenseits all unserer Probleme geht es uns gut. Das ist die Bedeutung des Wortes Buddha. Buddha bedeutet grundsätzliche, angeborene Güte, die Reinheit in unserem Kern.
Unser angeborenes Potenzial zu Glück und Freiheit existiert auch auf körperlicher Ebene. Das wird zunehmend von Neurowissenschaftlern diskutiert – es gilt nun als Tatsache, nicht mehr als Aberglaube. Die Arbeit der Neurowissenschaftlerin Candace Pert ist in diesem Bereich besonders interessant. Pert hat als Erste die Rezeptoren für Opioide und Endorphine entdeckt, die natürlichen körpereigenen Stoffe, die gegen Schmerzen wirken. Dies führte sie zu dem berühmten Satz: »Wir sind fest verdrahtet mit dem Glück.« Unser natürlicher Zustand ist es, uns gut zu fühlen – so sind wir eben angelegt.
nicht
Das mag widersprüchlich klingen, aber jedes Mal, wenn wir ein negatives Gefühl erleben, kann man das als Beweis dafür betrachten, dass unser wahres Potenzial für Glück grenzenlos ist. Damit meine ich, dass wir bei einer negativen Emotion frustriert sind und sofort nach etwas suchen, das uns wieder besser fühlen lässt. In Wirklichkeit aber ist nichts gut genug für uns, denn unsere Wünsche sind grenzenlos. Stattdessen sollten wir das wahre Glück erschließen, und das ist nur möglich, wenn wir in Einklang mit unserer inneren Freiheit leben. Nichts in dieser Welt kommt diesem »fest verdrahteten Glück« in uns gleich.