Fellowes, Jessica Die Schwestern von Mitford Manor – Dunkle Zeiten

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Aus dem Englischen von Andrea Brandl

 

Für meine Schwester Cordelia und meine Nichte Elody

 

© Jessica Fellowes 2019

Titel der englischen Originalausgabe:

»The Mitford Scandal«, Sphere, an Imprint of Little, Brown Book Group, London 2019

© der deutschsprachigen Ausgabe:

Pendo Verlag in der Piper Verlag GmbH, München 2021

Covergestaltung: u1 berlin / Patrizia Di Stefano

Covermotiv: PhotoAlto/Michael Mohr / Getty Images; Elisabeth Ansley / Trevillion Images

 

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1928

Kapitel 1

Der Tanzball im Stadthaus der Familie Guinness an einem Dienstagabend im Juni, auf dem Höhepunkt der Londoner Ballsaison, begann ganz normal, vorhersehbar. Keiner konnte ahnen, dass er mit einem Todesfall enden würde.

Louisa arbeitete als Aushilfe in der Küche am Grosvenor Place – vorübergehend, wie sie sich häufig in Erinnerung rief. So ehrenhaft eine Anstellung in einem Haushalt wie diesem sein mochte, hatte sie ihre Tage als Dienstbotin eigentlich endlich hinter sich lassen wollen. Aber es ging nun mal nicht anders, von irgendetwas musste die Miete schließlich bezahlt werden. Nach einem scheinbar endlosen Winter stand der Hyde Park mittlerweile in voller Blüte, ganz wie die Debütantinnen, die sich eifrig durch die Saison tanzten, ebenso zart und bezaubernd wie die herrlich bunten Blumen überall in der Stadt. Die Jagd der jungen Damen der besseren Gesellschaft nach einem geeigneten Heiratskandidaten kümmerte Louisa herzlich wenig; dass ihr die damit einhergehenden Anlässe über einige Monate eine zusätzliche Verdienstquelle bescherten, kam ihr dagegen mehr als gelegen.

Die Gastgeberin, Lady Evelyn, hatte für diesen Anlass das Haus im mittelalterlichen Stil geschmückt, mit Wildblumensträußen in Zinngefäßen anstelle der langstieligen Rosen, die normalerweise die Speiseräume der Villen von Mayfair zierten. An die Decken waren rußgeschwärzte Balken genagelt worden, und die Räume wurden von trüben, kerzenförmigen Glühbirnen erhellt. In den Kaminen glomm statt eines lodernden Feuers lediglich eine qualmende Glut, deren warmer Schein selbst dem faltigsten Witwen-Dekolleté noch einen sanften Schimmer verlieh. Von der Haushälterin losgeschickt, begab sich Louisa über die Hintertreppe nach oben und durch die tapetenbespannte Tür, um den Diener zurückzupfeifen, der viel zu früh eines der Tabletts mit den Pflaumen im Speckmantel hinaufgetragen hatte. Die Köstlichkeit sollte als »Frühstück« um ein Uhr morgens serviert werden. Allerdings war es erst kurz vor Mitternacht, und Louisa bemühte sich, so unauffällig wie möglich den Diener in einem der weitläufigen, schwach erleuchteten Räume rund um die Eingangshalle zu finden, in denen sich unzählige Gäste tummelten. Sie durchquerte gerade die Bibliothek, als sie eine Gestalt ausmachte, die sie innehalten ließ: Nancy Mitford, gemeinsam mit ihrer jüngeren Schwester Diana.

Es war mehrere Jahre her, seit Louisa die beiden das letzte Mal gesehen hatte, und während Nancy noch genauso aussah wie damals, war Diana kaum wiederzuerkennen: Ihre Schönheit, die sich in Mädchenjahren allenfalls vage angedeutet hatte, war zu einem wahren Meisterwerk aus sanften Pinselstrichen in Rosé und Crème erblüht. Die beiden unterhielten sich angeregt mit einem Mann und bemerkten ihr einstiges Kindermädchen, das sich hinter der Säule versteckte, nicht. Vielleicht hätte Louisa hinübergehen und die beiden Mitford-Mädchen begrüßen sollen, doch sie wirkten so selbstsicher und strahlend, und Louisa wollte nicht, dass ihre früheren Schützlinge sie in Dienstmädchenuniform sahen. Ihrer Kenntnis nach war Louisa nach London gegangen, um dort als moderne, erfolgreiche, unabhängige junge Frau zu leben – eine Illusion, die sie mit ihren Briefen an Nancy noch untermauert hatte.

»Wären Sie ein Keks«, sagte Nancy gerade zu dem Mann, »dann zweifellos ein Ingwerplätzchen.«

»Wie kommen Sie denn darauf?«

»Auf den ersten Blick wirken Sie bekömmlich und gesund, allerdings knackt es beim Reinbeißen, und der Abgang ist ziemlich scharf.«

Lächelnd nippte er an seinem Gin-Cocktail. »Ich denke, damit kann ich leben. Sie dagegen wären ein Schokoladeneclair. Jeder Bissen ist himmlisch, richtet aber pures Chaos an.«

»Ich weiß nicht recht, ob ich schockiert oder entzückt über diese Einschätzung sein soll.«

»Die perfekte Erwiderung.«

Diana drückte den Rücken durch und hob den Kopf, um ihren Schwanenhals zur Geltung zu bringen. »Und was wäre ich, Mr Meyer?«

Louisa sah zu, wie er sie eingehend musterte, ehe er antwortete: »Ein Florentiner. Schön anzusehen, aber sehr spröde.«

Diana löste sich aus ihrer Pose und trat einen Schritt zurück. »Ich bin wirklich nicht sicher, ob ich …«

»Psst! Sieh nur. Da ist Bryan Guinness.« Nancy wies mit dem Kinn auf einen schlanken jungen Mann auf der anderen Seite des Raums, der übertrieben betont auf eine Frau mit einem Hörrohr am Ohr einredete.

Diana schnappte sich eine Sektschale vom Tablett eines vorbeikommenden Dieners. »Na und?«

»Sei nicht so begriffsstutzig. Du hast den ganzen Sommer mit ihm getanzt, und jeder Idiot kann sehen, was du für ihn empfindest.« Nancy nahm Diana das Glas aus der Hand. »Und damit ist jetzt Schluss. Du bist erst siebzehn, und zwei Gläser Champagner sind mehr als genug für dich.«

In gespielter Empörung bleckte Diana die Zähne, gab sich jedoch geschlagen. »In fünf Tagen werde ich achtzehn, und er ist ein hervorragender Tänzer, deshalb steht er so oft auf meinem Kärtchen, aber … na gut, du hast recht. Ich gehe hinüber, um ihn zu begrüßen.« Sie schlenderte davon. Louisa zog sich tiefer in die Schatten zurück. Eigentlich sollte sie schleunigst von hier verschwinden, dennoch bewog sie etwas, stehen zu bleiben und zu lauschen.

Nancy sah ihrer Schwester mit einem abfälligen Schnauben hinterher, dann hielt sie abrupt inne.

»Was ist los? Schmollen Sie etwa?« Ein schockierter Ausdruck lag auf Mr Meyers Gesicht, Louisa hatte jedoch den Verdacht, dass er besonders dick auftrug.

»Lassen Sie das. Es ist schon demütigend genug, eine jüngere Schwester zu haben, deren Schönheit ganz London schamlos bewundert, auch ohne einen Ehemann so reich wie Krösus an ihrer Seite – wohingegen mir noch nicht einmal jemand einen Antrag gemacht hat. Aber Muv würde das ohnehin nicht erlauben.«

»Wieso denn nicht?«

»Zu viel Geld. Verdirbt den Charakter.«

»Nun ja, ich wüsste jedenfalls, wie ich …«

»Jaja, wissen wir. Trauben und Chaiselongues. Sie sind so was von provinziell.«

Einen Moment lang herrschte peinliche Stille, ehe er das Thema zu wechseln versuchte. »Ist das nicht eine ganz grauenhafte Party? Was meinen Sie?«

»Ach, ich weiß auch nicht. Die üblichen Verdächtigen eben. Oh, sehen Sie nur, da drüben ist Evelyn Waugh.« Nancys Züge erhellten sich. »Ein junger, aufstrebender Schriftsteller. Aber das habe ich leider bereits geschrieben. Eigentlich sollten ja die Mulloneys hier sein. Die sind immer für eine Story gut.«

»Wer ist das?«

»Kate und Shaun Mulloney, ein sehr attraktives und sehr amüsantes Paar.« Sie seufzte. »Allerdings gibt es schon jetzt leider nicht mehr über sie zu erzählen, dabei dauert die Saison noch ein paar Wochen.« Mürrisch ließ sie die Mundwinkel wieder nach unten sacken.

Seine Körpergröße und seine schlanke Figur in dem gut geschnittenen Anzug mochten zwar durchaus die Blicke auf Mr Meyer lenken, sein Gesicht jedoch war trotz seiner ebenmäßigen Züge nichtssagend und keineswegs erinnerungswürdig. Louisa überlegte, ob sie ihn schon einmal irgendwo gesehen hatte oder ob sein Allerweltsgesicht es sie lediglich glauben machte. Sie verfolgte, wie er den Blick durch den Raum schweifen ließ und die Namen der Gäste herunterratterte. »Prinzessin Mary, Lady Lascelles, der Duke und die Duchess of Abercorn, die Duchess of Devonshire … ihr Kleid ist wunderschön, andererseits sollte es das wohl auch sein, schließlich ist sie …«

»… die Obersthofmeisterin von Königin Mary«, stimmte Nancy mit ein.

Er lachte leise. »Wieso die reichste Frau Englands einer Arbeit nachgehen muss, ist mir ein Rätsel. Die Duchess of Portland, die Duchess of Rutland …« Er verstummte.

»Was sie tut, ist ja keine Arbeit im herkömmlichen Sinne, sondern es ist schlicht die bedeutendste Aufgabe für eine Frau im königlichen Haushalt.« In dieser Erwiderung erkannte Louisa auf Anhieb Nancys Vater. So heftig die Unstimmigkeiten zwischen ihnen in manchen Punkten sein mochten, sprachen sie in Fragen des höfischen Protokolls mit einer Stimme.

»Verbindlichsten Dank, Ma’am.« Mr Meyer zog seinen imaginären Hut. »Wäre ich die reichste Frau Englands, würde ich den ganzen Tag auf besagter Chaiselongue liegen und mich von einem willigen, hübschen Adonis in Toga mit Trauben füttern lassen, statt um eine königliche Dörrpflaume herumzuscharwenzeln.«

Nancy erwiderte nichts darauf. Sie schien all seine Abfälligkeiten längst in- und auswendig zu kennen.

»Ich sollte mich allmählich ans Telefon begeben«, sagte sie stattdessen. »Mein Redakteur scharrt bestimmt schon mit den Hufen. Keine Ahnung, wie wir etwas Brauchbares zu Papier kriegen sollen. Und dann werde ich mit Bryan reden. Vielleicht gelingt es mir ja, ein wenig Sand ins Getriebe zu streuen.«

Sie ging davon, vermutlich um sich nach einem Telefon umzusehen und bei dem Gesellschaftsmagazin anzurufen, das, wie Louisa wusste, sie netterweise ein paar Kolumnen schreiben ließ. Allerdings hatte sie, wie sie Louisa gestanden hatte, bei Weitem noch nicht genug Geld mit ihren Veröffentlichungen verdient, um die gelangweilte Überdrüssigkeit ihrer Freunde zu rechtfertigen, die sich betont verschlossen zeigten, sobald sie in ihre Nähe kam.

Mr Meyer vergrub die Hände in den Hosentaschen und schlenderte sich selbst überlassen ziellos durch den Ballsaal. Louisa folgte ihm nicht, denn sie hatte endlich den gesuchten Diener erspäht.

 

Im Dienstbotenbereich im Untergeschoss des Hauses herrschte nicht minder hektisches Treiben. Zwar waren die leisen Jazzklänge auch hier zu hören, doch niemand vom Personal hatte die Zeit, stehen zu bleiben und ihnen zu lauschen. Ein steter Strom aus eigens für den Abend engagierten Dienern hastete mit Silbertabletts bewaffnet die Treppen hinauf und hinunter, um Champagner zu servieren oder die leeren Gläser in die Küche zurückzubringen. Die zweite Köchin und eine Handvoll Küchenmädchen hatten das Abendessen für die Familie und einige Freunde vor dem Ball zubereitet und wieder abgeräumt, aber auch für sie war der Abend längst nicht vorüber, denn nun galt es, das Frühstück vorzubereiten. Bleche voller Speckstreifen warteten darauf, im Ofen geröstet zu werden, und ein Küchenmädchen stand über einer riesigen Schüssel mit hundertfünfzig Eiern, die sie aufschlagen sollte. Auf dem hohen Holztisch in der Mitte des Raums lagen riesige Butterstücke, die portioniert werden mussten, außerdem Brotlaibe, die in Scheiben geschnitten und getoastet werden würden. Eine der Küchenhilfen rührte ständig in einem riesigen Topf voll safrangelbem Kedgeree, einem Reisgericht mit Fisch und Eiern, damit der Reis nicht am Boden kleben blieb. Im Raum herrschte eine brüllende Hitze, dazu schufen das Klappern der Töpfe und Pfannen, die immer wieder abgewaschen werden mussten, und lautstark gebellte Anordnungen eine ohrenbetäubende Lärmkulisse.

Es war also kein Wunder, dass Louisa als Einzige das Klopfen an der Hintertür wahrnahm. Sie sah sich um, da sie aber weder die Haushälterin noch die Köchin entdecken konnte, trat sie selbst zur Tür und öffnete. Ein Mann stand vor ihr, die Hände tief in den Manteltaschen vergraben, den Porkpie-Hut trotz der frühsommerlichen Wärme fest auf den Kopf gedrückt, und blickte sie eindringlich an. Er schien ein anständiges Bad bitter nötig zu haben, und Louisa überlegte, ob sie eine Münze hatte, mit der sie ihn abwimmeln könnte, doch der Mann bettelte weder um Brot noch um Bares. »Ich bin ein Freund von Ronan«, nuschelte er stattdessen.

Louisa musterte ihn verwirrt. »Wie bitte?«

Auch er schien durcheinander zu sein. »Sind Sie nicht Rose?«

Louisa fragte sich, wer Rose sein mochte – sie kannte nicht jeden der Dienstboten mit Namen –, als sich ein Mädchen an ihr vorbeischob. »Danke, Miss«, sagte sie, »das ist für mich.« Im ersten Moment rührte Louisa sich nicht von der Stelle, aber das Mädchen sah den Mann an und sagte: »Ich bin Rose«, ehe sie ihr Wort wieder an Louisa richtete. »Danke, Miss.« Sie war jünger als Louisa und traute sich unübersehbar nicht, sie einfach wegzuschicken, dennoch lag es auf der Hand, dass sie sie nicht hierhaben wollte.

»Natürlich.« Louisa wandte sich zum Gehen, drehte sich jedoch noch einmal um, gerade noch rechtzeitig, um zu sehen, wie der Mann Rose ein kleines Päckchen übergab, das sie eilig unter ihrer Schürze verschwinden ließ.

Wenig später rief Mrs Norris, die Haushälterin, zwei Dienstmädchen zu sich, die mit Gläsern voll beladene Tabletts auf ihren dünnen Ärmchen balancierten. Unter ihren Augen lagen dunkle Ringe – die beiden waren bereits seit halb sechs Uhr früh auf den Beinen und hatten das Haus für die Feierlichkeiten vorbereitet. Mrs Norris seufzte. »Ihr beide geht jetzt zu Bett, Mädchen. Ich brauche euch gleich morgen früh wieder, um Ordnung zu machen.«

»Danke, Mrs Norris«, erwiderten sie artig und stellten die Tabletts neben der Spüle ab. Die Haushälterin nickte Louisa als wohlwollendes Zeichen des Respekts kurz zu, ehe sie die Küche verließ. Louisa betrachtete die Schar von Dienstboten, die allesamt ihren Tätigkeiten nachgingen, und lächelte in sich hinein. Ja, der Verdienst kam ihr durchaus gelegen, doch auch die Gesellschaft war ihr durchaus willkommen.

Ihr Blick fiel auf die beiden Mädchen, die ihrer über der Eierschüssel stehenden Kollegin zuzwinkerten, während die eine mehrere Pflaumen im Speckmantel stibitzte. Prompt kassierten sie einen empörten Tadel der zweiten Köchin – »Oi, die sind für den jungen Mr Guinness« –, ehe sie den Dienstbotenaufgang hinaufstürmten. Ihr Kichern versetzte Louisa einen Stich. Die Tage unbeschwerter Freundschaft mit einer anderen Hausangestellten lagen lange zurück.

 

Trotz ihrer müden Füße sprangen die beiden Mädchen, beflügelt von der Musik und dem Stimmengewirr der Gäste, munter die Hintertreppe hinauf. An einer Stelle konnten sie die Damen in ihren prachtvollen, mit Perlenschnüren besetzten Abendkleidern sehen, die beim Tanzen so schön glitzerten. Dot stieß Elizabeth in die Seite. »Stell dir bloß vor, wie es wäre, so ein Kleid zu haben«, raunte sie und blickte wie gebannt auf ein mit Gold- und Silberlamé verziertes Prachtstück. Grinsend verbiss sich Elizabeth ein Kichern.

Im vierten Stock stießen sie auf ihre gemeinsame Freundin Nora, ein Küchenmädchen, das sich ebenfalls auf dem Weg in die Dienstbotenquartiere machte. Einen Moment lang standen die drei im Treppenhaus und lauschten den gedämpften Klängen der Musik, ehe Elizabeth zu erzählen begann, was Dot und sie im Ballsaal beobachtet hatten. »Ich glaube, wir haben sogar den Prince of Wales gesehen.«

»Im Leben nicht«, erwiderte Nora und knuffte sie in den Oberarm, obwohl ihre weit aufgerissenen Augen verrieten, dass ihr eine Frage auf der Seele brannte. Hatten sie? Oder hatten sie nicht? Vielleicht ja, vielleicht nein. Die Herrschaft war jedenfalls reicher, als sich einer von ihnen vorstellen konnte, und es kamen die feinsten Leute durch die Eingangstür hereinspaziert, die tagtäglich auf Hochglanz poliert werden musste.

»Wir können sie doch beobachten«, meinte Elizabeth mit einer Kopfbewegung auf das breite, von einem Geländer umgebene Oberlicht auf dem Treppenabsatz. »In der Mitte ist ein kleines Loch. Da!«

Die beiden anderen Mädchen beugten sich über das Geländer. »Von hier sehen wir jedenfalls nichts.« Nora schmollte. Sie war müde und hungrig, außerdem ärgerte sie sich, weil sie vom Geschehen nichts mitbekommen hatte, so als wäre sie zum Regal Cinema in Marble Arch gegangen und gezwungen worden, vor der Tür zu warten, während sich drinnen alle vor Vergnügen über den Kinofilm auf die Schenkel schlugen.

Mit ihren achtzehn war Dot älter als die anderen Hausmädchen und fühlte sich ein wenig verantwortlich für sie. Einige waren gerade einmal vierzehn, wenn sie in den Haushalt kamen, und vermissten ihre älteren Schwestern schmerzlich – zumeist hatten die sie großgezogen, während ihre Mütter mit den Babys beschäftigt waren. Dot gefiel sich in der Rolle der Älteren, Erfahrenen, die ihnen Disziplin, aber auch Zuneigung entgegenbrachte und beim Erwachsenwerden zur Seite stand. Sie öffnete das Geländertürchen.

Nora schlug sich die Hand vor den Mund und rief: »Was machst du da?«

»Keine Angst«, erwiderte Dot. »Ich halte mich einfach am Geländer fest. Wir können uns ein Stück hinauslehnen und durch das Loch gucken. Willst du denn nicht den Prince of Wales sehen?«

»Aber er ist doch gar nicht da«, stieß Nora hervor, die den Tränen nahe war. »Was, wenn Mrs Norris hochkommt?«

»Tut sie nicht«, wiegelte Elizabeth ab. »Sie ist beschäftigt.«

Die Hände fest um das Geländer gelegt, trat Dot auf Zehenspitzen durch das Türchen. Plötzlich wurde ihr heiß. Schweißperlen bildeten sich auf ihrer Stirn, die sie mit dem Ärmel abwischte. Ihr Gesicht war blasser als das elfenbeinfarbene Seidenband ihrer Haube. Mit entschlossener Miene folgte Elizabeth ihr. Nora hoffte inbrünstig, dass eine der beiden einen Rückzieher machte, damit auch sie unbeschadet aus dieser Zwickmühle herauskam. Ein Geräusch ließ sie aufmerken. Sie wandte sich um und sah ein weiteres Dienstmädchen heraufkommen, das jedoch nicht dem Haushalt angehörte. Sie konnte nur hoffen, dass es das Trio nicht verraten würde.

Dot ging in die Hocke und drehte sich, eine Hand immer noch um das Geländer, die andere auf das Oberlicht gelegt, nach vorn. Die Schemen unter dem Milchglas bewegten sich, schienen umherzuflattern wie Glühwürmchen im Dunkeln. Ein winziger Schrei entfuhr ihr, als sich ihre Hand für einen Moment vom Geländer löste, doch sie verstummte sofort und umfasste es fester, so resolut, als würde sie ein Ofengitter schrubben.

Elizabeth war an ihrer Seite, kurz davor, sich mit einer Hand auf dem Glas abzustützen. Die Musik vibrierte in ihren Ohren, als sie sich vorbeugten, um einen Blick auf die Männer und Frauen unter ihnen zu erhaschen, die rauchten und lachten, lauter als die Hyänen im Londoner Zoo.

 

Um halb eins hieß es in der Küche, das Frühstück sei bald fertig. Die zweite Köchin schickte Louisa ein weiteres Mal nach oben, damit sie die Diener informierte, dass sie gebraucht würden, denn das Kedgeree sollte gemeinsam mit dem Rührei serviert werden.

In der Eingangshalle, in der sich auch die Treppe zur Küche und den anderen Dienstbotenräumen im Untergeschoss befand, herrschte ein stetes Kommen und Gehen von Gästen, die entweder von anderen Partys in Mayfair und Knightsbridge eintrafen oder sich auf den Weg dorthin machten – das typische bunte Treiben eines Abends auf dem Höhepunkt der alljährlichen Ballsaison. Kaum oben angekommen, erblickte Louisa zu ihrer Überraschung Rose, das Dienstmädchen von vorhin, das kurz mit jemandem sprach, den sie kannte: Clara Fischer, eine von Nancys Freundinnen von früher. Die bildhübsche Schauspielerin im Stil einer Clara Bow gehörte zu den wenigen Menschen aus Nancys Dunstkreis, die stets ganz normal mit Louisa geredet und ihr nicht nur Anweisungen entgegengebellt hatten. Louisa sah zu, wie Rose zwischen den Gästen verschwand und Clara ihr Glas einem Mann reichte, während sie in ihrem Abendtäschchen kramte. Er hatte aus dem Gesicht frisiertes Haar und strahlend saphirblaue Augen, die er jedoch kein einziges Mal auf Clara richtete; stattdessen ließ er den Blick unablässig umherschweifen. Louisa beschloss, dass dies nicht der richtige Moment war, um Miss Fischer zu begrüßen: Die Amerikanerin hätte zwar gewiss nichts dagegen gehabt, von einer Dienstbotin angesprochen zu werden, bei ihrem Begleiter war Louisa sich jedoch nicht ganz so sicher. Gerade als sie sich auf die Suche nach weiteren Hausdienern machen wollte, sah sie, dass Nancy auf die beiden zutrat. Louisa hörte sie »Shaun, Darling!« rufen, woraufhin er um ein Haar die beiden Gläser in seinen Händen fallen ließ. Er musste dieser zuvor erwähnte glamouröse Gentleman sein.

Auch jetzt erschien es Louisa unpassend, von ihrem einstigen Schützling entdeckt zu werden. Daher wandte sie sich ab und ging durch den Ballsaal, wo sie einen oder zwei Diener fand und nach unten schickte, ehe sie einen Salon betrat, der den Damen als eine Art Warteraum diente, wenn ihre Kärtchen für die nächsten Tänze noch nicht voll waren. Dank der cremefarben gestrichenen Wände und der Milchglasscheibe des Oberlichts war es hier heller als im Rest des Hauses. Von der Decke hing ein Kronleuchter an einer langen Kette, dessen Glasverzierungen aussahen, als würden sie in der Luft schweben.

Trotz des Stimmengewirrs und der Musik glaubte Louisa ein Knacken von oben zu hören, gefolgt von einem spitzen Schrei. Sie hob den Blick, und zu ihrer Verblüffung nahm sie Schatten durch das Milchglas wahr, mehr als einen, noch dazu zu große, als dass es sich um die Hauskatzen hätte handeln können. Waren das etwa Menschen? Das Glas wäre doch kaum dick genug, um das Gewicht eines Erwachsenen zu tragen. Hektisch sah Louisa sich um, ohne genau zu wissen, was sie zu erspähen hoffte – etwas, um die Gestalten im Notfall aufzufangen? Sollte sie eine Warnung rufen? Sie wollte keine Szene machen, vielleicht war es ja ein Diener, der etwas reparierte, und es wäre furchtbar peinlich, wenn sie …

Unwillkürlich war Louisa einen Schritt nach hinten getreten, als jemand ihren Arm packte. Es war Mr Meyer, der ihren Namen natürlich nicht kannte. »Vorsicht«, warnte er, ehe er, ihrem Beispiel folgend, nach oben schaute und einen erschrockenen Laut ausstieß. »Was ist das?«

»Ich weiß es nicht.« Louisas Puls raste.

Bevor einer von ihnen noch etwas sagen konnte, gab es einen berstenden Knall, gefolgt von einem Regen aus Glasscherben, während Hände hochgerissen wurden, Männer schützend die Arme um nackte Damenschultern schlangen, ehe das grauenvollste Geräusch ertönte – der dumpfe Knall eines menschlichen Körpers, der auf dem Boden aufschlug.

Ein junges Dienstmädchen. Tot.

Über ihnen klammerte sich ein zweites Hausmädchen an den Kronleuchter, die Augen fest zusammengekniffen, den Mund zu einem stummen Schrei aufgerissen, während ihr das Blut über das kreidebleiche Gesicht strömte.

Kapitel 2

Im ersten Moment standen alle wie versteinert da und blickten erschüttert auf das reglos inmitten der Glasscherben liegende Dienstmädchen, den grotesk verdrehten Körper, das Blut, das aus einer tiefen Kopfwunde auf den Fußboden strömte. Minutenlang war der Salon noch immer erfüllt von der Musik und dem Stimmengewirr der anderen Gäste, das in ungeminderter Lautstärke aus dem Ballsaal herüberwehte, ehe der Lärm allmählich verebbte und schließlich vollends erstarb, als sich die ersten Umstehenden aus ihrer Erstarrung lösten. In der nachhallenden Stille stürzten mehrere Personen zu dem Dienstmädchen, jemand breitete einen Mantel über ihm aus, Rufe nach einem Krankenwagen wurden laut, außerdem solle jemand nach oben laufen, die Haushälterin rufen und Mr Guinness informieren. In all dem Aufruhr und Chaos rannten Dienstboten und Gäste nach oben, um das andere Dienstmädchen zu retten – es hatte sich an den Scherben verletzt und krallte sich mit vor Angst steifen Fingern an der Kette des Kronleuchters fest. Vereinzelt waren Frauen in Tränen ausgebrochen, eine musste in ein angrenzendes Zimmer geführt werden, wo sie sich von einem hysterischen Anfall erholen konnte. Das Geschnatter setzte wieder ein, lauter sogar als zuvor, nur die Musik blieb gedämpft.

Bryan Guinness, ein schmal gebauter Mann im Smoking mit dunklen Augen und einer auffallend hohen Stirn in einem ansonsten wohlproportionierten Gesicht, war das erste Familienmitglied, das auf die Hilferufe aus dem Salon reagierte. Er kam angelaufen, drückte einem Freund sein Glas in die Hand und kniete neben der Leiche nieder, anscheinend ohne sich darum zu sorgen, dass sich die Scherben durch seine Hosenbeine bohren und er sich die Knie verletzen könnte. »Was ist passiert? Was ist passiert?«, fragte er wieder und wieder und musterte nacheinander die bleichen Gesichter der umstehenden Frauen und Männer.

Ein älterer Herr packte ihn entschlossen beim Ellbogen und zog ihn auf die Füße. »Es scheint, als sei das Oberlicht zerbrochen, als die beiden Mädchen darauf traten, um einen Blick auf die Party zu werfen.«

»Ist sie tot?«

Der Mann nickte.

»Armes Mädchen.« Bryan verzog schmerzerfüllt das Gesicht.

Wenige Minuten später waren auch seine Eltern zur Stelle, begleiteten ihn hinaus und ermunterten die anderen Gäste, ihnen zu folgen. Zwei Diener wurden angewiesen, bei der Toten auszuharren, bis der Krankenwagen eintraf, was zum Glück nicht allzu lange dauerte. Sie sollten dafür sorgen, dass die Leiche weggebracht wurde, ebenso wie das verletzte Dienstmädchen, das trotz der dicken Decke, die man ihm um die Schultern gelegt hatte, am ganzen Leib zitterte. Lady Evelyn und Walter Guinness standen unterdessen an der Tür, um die Gäste unter wortreichen Entschuldigungen für die unglücklichen Umstände und den verursachten Schrecken zu verabschieden.

 

Guy Sullivan konnte über die Atmosphäre kühler Gelassenheit nur staunen, als er den Salon mit dem schwarz-weißen Marmor am Ort des Geschehens im Haus am Grosvenor Place betrat. Obwohl ihm zumindest die Schmach erspart blieb, wie seine Kollegen in der wollenen Ganzjahresuniform während der heißen Sommermonate schmoren zu müssen, war ihm auch in seinem Anzug mächtig warm geworden. Über ihm waren die Spuren des zerborstenen Oberlichts immer noch deutlich zu sehen, nur der Kronleuchter war mittlerweile abgenommen worden, weshalb die Kette lose von der Decke baumelte. Ansonsten wirkte alles, als wäre nichts passiert, schon gar kein tragischer Todesfall. Das Haus war blitzsauber, die Sonne schien durch die Fenster, und überall standen Blumenarrangements. Während sein Vorgesetzter, Detective Inspector Stiles, Mr Guinness befragte, wurde Guy durch die Dienstbotenquartiere im Untergeschoss und über die Hintertreppe hinauf in den vierten Stock geführt. So ein Dienstbotenleben bestand im Grunde aus nichts als einem endlosen Treppauf, Treppab, dachte er. Eine eingehendere Untersuchung des Geländers um das Oberlicht hatte nichts Verdächtiges ergeben, vielmehr machte es einen stabileren Eindruck als jedes Gefängnistor. Guy studierte die Liste der Gäste, die am Abend des Vorfalls anwesend gewesen waren, als sein Blick auf zwei Namen fiel – die ehrenwerten Nancy und Diana Mitford, wohnhaft 26 Rutland Gate.

Mehr als zwei Jahre waren vergangen, seit er sie zuletzt gesehen hatte, damals im Zuge der Ermittlungen in einem Mordfall im Haus ihrer Eltern in Oxfordshire. Eigentlich war er nicht in offizieller Funktion dort gewesen, hatte aber den Übeltäter entlarvt, und der Erfolg hatte ihm zur raschen Versetzung ins Morddezernat der Londoner Polizei verholfen. Diana war damals ein fünfzehnjähriges Mädchen gewesen, Nancys Bekanntschaft hatte er hingegen bereits einige Jahre zuvor gemacht, als sie als Debütantin erste Schritte auf dem gesellschaftlichen Parkett unternommen hatte, in Begleitung ihrer Anstandsdame, dem Kindermädchen der Redesdales, Louisa Cannon.

Louisa. Obwohl er lange nichts mehr von ihr gehört hatte, stockte ihm beim Gedanken an sie der Atem. Er verstand nicht ganz, wie sie sich aus den Augen verlieren konnten. Über Jahre hinweg waren sie Freunde, wobei er stets darauf gehofft hatte, es würde sich mehr daraus entwickeln. Dabei hatten sie sich unter reichlich unseligen Umständen kennengelernt, als Louisa aus einem fahrenden Zug gesprungen war, um ihrem Onkel Stephen, einem brutalen Rohling und Ganoven, zu entkommen. Dabei hatte er auf Anhieb erkannt, was für ein bildhübsches Geschöpf sich unter den schäbigen Kleidern und dem zerknautschten Hut verbarg, selbst in ihrer misslichen Lage. Auch den bemerkenswerten Kampfgeist der jungen Frau bewunderte er. Ein Mordfall hatte sie einander nähergebracht, und dann hatte sie das Schicksal ein zweites Mal zueinandergeführt. Obwohl sie ihn schier zur Verzweiflung getrieben hatte und er sich auch nach Jahren der Freundschaft nie ganz darüber im Klaren gewesen war, was er ihr bedeutete, hatten sie doch nie gänzlich die Verbindung verloren, zumindest bis vor Kurzem.

Soweit Guy wusste, hatte Louisa vorgehabt, ihre Stellung im Haushalt von Lord und Lady Redesdale aufzugeben, um nach London zurückzukehren und dort ihr Glück zu versuchen. Sie war zu ehrgeizig gewesen, um sich mit einem Leben als Dienstbotin abzufinden. In Ermangelung einer anderen Adresse hatte Guy ihr nach Mitford Manor, dem Mitford’schen Familiensitz, der eigentlich Asthall Manor hieß, geschrieben, in der Hoffnung, dass seine Briefe an sie weitergeleitet werden würden, sollte sie sich dort nicht mehr aufhalten. Doch er erhielt nie eine Antwort, daher musste er davon ausgehen, dass sie seine Briefe entweder nicht erhalten oder aber beschlossen hatte, sie zu ignorieren. Wahrscheinlich hatte sie längst einen anderen kennengelernt und war verheiratet, wollte es ihm aber nicht sagen. Das wäre verständlich, schließlich hatte er keinen Hehl aus seinen Gefühlen für sie gemacht, ohne sicher sein zu können, dass sie sie erwiderte.

Ein kräftiger Schlag auf die Schulter riss ihn aus seinen Grübeleien. »Nun gut, zurück aufs Revier. Wir sollten schleunigst einen Bericht verfassen und alles für die offizielle Untersuchung vorbereiten. Mehr als zwei, drei Tage wird es nicht dauern, schätze ich.«

Obwohl sich DI Stiles’ Hand wie die Pranke eines Bären anfühlte, war er groß und sehr schlank. Er trug stets einen hellgrauen Anzug mit einem pastellfarbenen Hemd dazu. Der Kontrast zwischen ihnen hätte nicht größer sein können: Zwar waren beide Männer etwa gleich groß und von ähnlicher Statur, das war aber auch schon alles an äußerlicher Übereinstimmung. Guy trug eine runde Brille mit dicken Gläsern und hatte ein herzliches Lächeln, Stiles frisierte sein silbergraues Haar mit so viel Pomade aus dem Gesicht, dass es glänzte, und sein Schnäuzer sah wie aufgemalt aus. Es ging das Gerücht, der Mann, mit dem er zusammenlebe, sei gar nicht sein Bruder. Guy konnte ihn gut leiden, hauptsächlich, weil er kein arroganter Schnösel war, obwohl er durchaus so aussah. Tatsächlich hegte Stiles für alles eine Abneigung, was auch nur annähernd nach Snobismus roch, und er hatte Guy ins Herz geschlossen. Während der vergangenen Monate hatte sich so etwas wie eine inoffizielle Partnerschaft zwischen den beiden entwickelt, wobei Guy nicht sicher war, ob dieser Umstand hauptsächlich daher rührte, dass er größere Bereitschaft zeigte als Stiles, die lästige Laufarbeit zu erledigen, vor allem wenn Stiles Pläne für die Abendgestaltung hatte.

»Es macht Ihnen doch nichts aus, wenn ich Ihnen meine Notizen überlasse, oder, alter Knabe? Ich muss in einer halben Stunde im Dog and Duck sein. Pflichtprogramm«, sagte Stiles in dieser Sekunde prompt.

»Kein Problem, Sir.« Guy wusste, dass dies sein Stichwort war, den Ort des Geschehens zu verlassen und alleine in ihr Büro zurückzukehren.

 

Am nächsten Tag saß Guy an seinem Schreibtisch im Revier in der Pavilion Road in Knightsbridge, wohin er mit seiner Beförderung zum Detective Sergeant versetzt worden war, und tippte pflichtschuldig seine eigenen und Stiles’ Notizen ab. Alles deutete auf einen tragischen, aber eindeutigen Unglücksfall hin. Früher am Morgen hatte Guy das zweite Dienstmädchen, Elizabeth, befragt, das den Unfall überlebt hatte. Die junge Frau wirkte immer noch völlig verstört, allerdings konnte ihr nichts vorgeworfen werden. Sie hatte geschildert, dass sie und Dot unbedingt einen Blick auf die prachtvollen Roben der anwesenden Damen hatten werfen wollen und daher auf das Oberlicht geklettert waren, um durch ein Loch zu spähen. Normalerweise wären sie gleich wieder zurückgeklettert und hätten ihren Spaß gehabt, aber nun hatte ihr kleines Abenteuer einen tödlichen Ausgang genommen. Nora, das dritte Mädchen, bestätigte Elizabeths Aussage. Allerdings erwähnte sie etwas, was Guy nicht mehr aus dem Sinn gehen wollte: Sie hatte ein viertes Dienstmädchen die Treppe heraufkommen sehen, welches sie nicht gekannt habe. »Sie hat nicht zum fest angestellten Personal gehört«, erklärte Nora. »Wahrscheinlich gehörte sie zu dem Personal, das von einem anderen Haushalt für den Abend ausgeliehen wurde. Aber deshalb verstehe ich nicht, was sie dort oben zu suchen hatte. Danach habe ich sie nicht mehr gesehen.« Wer auch immer das Mädchen gewesen sein mochte, sie könnte eine wichtige Zeugin sein. Guy würde noch einmal sämtliche Namen auf der Liste durchgehen, die die Haushälterin ihm gegeben hatte, was einiges an Zeit in Anspruch nehmen würde. Mehr als sechzig Hausangestellte hatten an dem Abend bei den Guinness gearbeitet, die Hälfte davon lediglich für diesen speziellen Anlass. Andererseits bekäme er wohl kaum die Genehmigung für eine genauere Untersuchung, da der Vorfall höchstwahrscheinlich als gewöhnlicher Unfalltod ohne Hinweis auf verdächtige Umstände deklariert werden würde.

DI Stiles trat zu ihm, einen Zettel mit der Telefonnummer eines Pubs namens Queen Victoria in Yorkshire in der Hand, und meinte, er solle dort anrufen und eine Nachricht für Mr Albert Morgan unter Angabe einer Uhrzeit hinterlassen, zu der jener Herr ihn zurückrufen sollte. »Ich habe die Nummer bekommen, weil ich ja die Ermittlungen im Todesfall des Dienstmädchens leite, habe aber jetzt einen Termin außer Haus«, erklärte Stiles zwinkernd. »Sie übernehmen das doch für mich, oder?«

Guys Neugier war geweckt. Er rief die Nummer an, und um zwölf Uhr hatte er Mr Morgan an der Strippe. Der erklärte ihm wortreich und mit ausgeprägtem Akzent, dass er bloß ein einfacher Bauer sei, der mit den Londonern nichts weiter am Hut habe, bis Guy ihn drängte, ihm zu verraten, worum es denn gehe.

»Um meine Tochter. Rose. Sie ist verschwunden. Ihre Mum und ich haben nichts von ihr gehört, und bei der Arbeit ist sie auch nicht erschienen. Jemand aus diesem großen Haus, wo sie arbeitet, hat angerufen und wollte wissen, ob sie heimgekommen sei, aber das ist sie nicht.«

Guy notierte sich die Einzelheiten: Rose stand seit einem Jahr im Dienst bei einer gewisse Lady Delaney in deren Haus am 11 Wilton Crescent, allerdings war sie vor ein paar Tagen weggegangen, um bei der großen Feier einer anderen Familie auszuhelfen. »Die Haushälterin hat uns gesagt, bei der Party sei es zu einem tragischen Unfall gekommen, bei dem ein Dienstmädchen verunglückt sei. Es ist zwar nicht unsere Rose, das wissen wir schon, aber seitdem wurde sie nicht mehr gesehen.« Die Stimme des Vaters klang brüchig, doch er fing sich rasch wieder. »Es sieht ihr gar nicht ähnlich, dass sie uns nicht Bescheid gibt, wo sie steckt. Sie weiß, dass wir uns immer Sorgen um sie machen, weil sie jetzt in der Großstadt lebt. Sie soll nur erfahren, dass sie jederzeit nach Hause kommen kann und wir nicht böse auf sie sind. Sie ist ja erst siebzehn, noch ein halbes Kind.«

Guy beteuerte, er werde alles daransetzen, seine Tochter wiederzufinden. »Bestimmt geht es ihr gut, Mr Morgan. Ich melde mich. Kann ich unter dieser Nummer anrufen, wenn ich Sie erreichen will?«

»Aye. Jemand gibt mir Bescheid, und ich oder die Missus rufen dann zurück. Auf dem Hof haben wir kein Telefon. Normalerweise hab ich nicht viel am Hut mit den Dingern, aber jetzt bin ich doch froh drum.«

Guy dankte ihm und versicherte noch einmal, alles in seiner Macht Stehende zu unternehmen. Insgeheim fragte er sich, ob seine Zuversicht, dass Rose in Sicherheit war und es ihr gut ging, tatsächlich gerechtfertigt war. Betrübt schüttelte er den Kopf und legte den Hörer auf. Der Alltag als Polizist hatte ihn gelehrt, dass das Leben kurz und überaus brutal sein konnte. Obwohl er stramm auf die dreißig zuging, war Guy immer noch unverheiratet und wohnte in seinem Elternhaus; zu groß war die Sorge um die Frage, wie seine Mutter den Alltag alleine bewältigen sollte. Sein Vater lebte zwar noch, litt jedoch unter einer zunehmenden geistigen Umnachtung, sodass sie ihn, halb verrückt vor Angst, kaum eine Minute alleine lassen konnte, weil die Gefahr bestand, dass er unbemerkt das Haus verlassen und alleine draußen durch die Straßen irren würde. Guy war als letzter der vier Söhne noch zu Hause und verschaffte ihr dadurch die eine oder andere Verschnaufpause, um Einkäufe zu erledigen oder mal eine Nachbarin zu besuchen.

Seine Mutter liebte ihn von Herzen und wünschte sich nur das Beste für ihn. Vielleicht war es an der Zeit, etwas gegen die Leere in seinem Innern zu unternehmen und sich seinen Platz im Leben zu suchen. Es war höchste Zeit, endlich zu heiraten. Und er wusste genau, wen er bitten wollte, seine Frau zu werden.

Kapitel 3

Gut zwei Wochen nach der Party im Hause Guinness stand Louisa auf dem Bürgersteig vor der Albert Hall und wünschte, sie hätte einen leichteren Mantel angezogen. Am liebsten wäre sie über die Straße gelaufen, hätte sich die Schuhe von den Füßen gestreift und die Strümpfe ausgezogen, um barfuß über den Rasen zu schlendern. Nach einem feuchten Juni hatte ein brütend heißer Juli begonnen, der die ganze Stadt zu lähmen schien. Gleichzeitig freute sie sich darauf, Nancy und Diana wiederzusehen. Sie blickte auf ihre Uhr und lächelte. Schon jetzt waren die beiden zehn Minuten zu spät dran.

Über fünf Jahre lang war Louisa ihr Kindermädchen gewesen, hatte jedoch Anfang 1926 ihre Stellung aufgegeben. Sie wollte ihre Karriere in London verfolgen, jener Stadt, die sich seit Kriegsende dramatisch verändert hatte und wo es neue und bessere Arbeitsplätze für ihresgleichen gab, als die Generation ihrer Mutter sie sich je hätte vorstellen können. Louisa hatte ein möbliertes Zimmer in Chelsea gemietet, ganz in der Nähe ihres alten Viertels, allerdings war Mrs Cannon längst zu Louisas Tante nach Suffolk gezogen. Ihr Vater war vor vielen Jahren gestorben, und auch sonst war kaum noch jemand aus ihrer Jugend in London, mit Ausnahme von Jennie, die sie jedoch nur selten sah, vor allem seit sie verheiratet und Mutter geworden war.

Anfangs hatte Louisa praktisch jede Gelegenheitsarbeit angenommen, die sie kriegen konnte, um sich nicht in einer festen Stellung in einem Haushalt zu verdingen, für den Fall, dass sich etwas Interessanteres fand. Ursprünglich hatte sie sich für den Polizeidienst beworben, allerdings war sie rasch und ohne viel Federlesens abgelehnt worden: In jüngeren Jahren hatte sie sich die eine oder andere Verfehlung zuschulden kommen lassen, vor allem unter dem Einfluss ihres Onkels Stephen, doch Louisa hoffte darauf, dass ihre Ausrutscher entweder nicht aktenkundig waren oder beim Auswahlverfahren – in Anbetracht ihrer Unterstützung während der polizeilichen Ermittlungen in mehreren Fällen – unter den Tisch fallen würden. Aber ihre Hoffnungen entpuppten sich als vergeblich. Kurz überlegte sie, die »Gleich und gleich erkennt sich gut«-Theorie als Pluspunkt in die Waagschale zu werfen, verkniff es sich aber, weil es vermutlich ohnehin nicht ziehen würde. Beschämt hatte sie sich zurückgezogen, bis sie endlich eine Stellung als Näherin in einem Modesalon in Mayfair fand, wo sie mit zwei anderen jungen Frauen im Hinterzimmer die Änderungen der Kleidungsstücke reicher Kunden vornahm. Eigentlich war die Arbeit nicht so übel. Sie hatte ihre Freiheiten, brauchte nicht länger Nanny Blors oder Lady Redesdales Erlaubnis, um das Haus zu verlassen, und nach all den Jahren in den ländlichen Cotswolds stand ihr London als aufregendes und heißes Pflaster mit zahllosen Nachtclubs, Restaurants, Galerien und Museen offen, ganz zu schweigen von den Kinos und Theatern.

Allerdings ging sie nur selten aus, weil es viel zu viel Geld kostete, und selbst wenn sie über die Mittel verfügt hätte, wäre es ihr unschicklich vorgekommen, alleine loszuziehen. Ohne Begleitung konnte sie unmöglich im Restaurant essen oder einen Nachtclub aufsuchen. Und je seltener sie das Haus verließ, umso schlimmer wurde es. Mit ihren mittlerweile sechsundzwanzig hatte sie das Gefühl, das Beste versäumt zu haben, was das Leben einer Frau zu bieten hatte.

Als sie einmal ihre inzwischen recht betagte Mutter besuchte – sie hatte Louisa erst spät bekommen, nachdem sie und ihr Ehemann jede Hoffnung auf ein eigenes Kind längst aufgegeben hatten –, bestürmte diese sie mit Fragen, wann sie denn endlich heiraten würde. »Keine Ahnung, Ma«, antwortete Louisa mit mühsam bezähmter Verärgerung. »Ich habe noch keinen Mann kennengelernt, mit dem ich mein Leben verbringen möchte.«

»Was ist denn aus diesem Polizisten geworden, von dem du früher immer erzählt hast?«

Guy Sullivan. Er war ein guter, anständiger Mann, und Louisa hatte ihn sehr gemocht. Allerdings hatte sie sich wegen der Ablehnung für die Polizeiausbildung so geschämt – sie hatte vorgehabt, ihn zu überraschen, indem sie in Uniform einfach vor seiner Tür stand und klingelte –, dass sie den Kontakt abbrach. Zwar schrieb er ihr ein paarmal, doch sie antwortete nie darauf. Wahrscheinlich hatte er sie längst vergessen. Und sollte er noch einmal versuchen, sie zu finden, würde er ohnehin scheitern, weil er vermutlich nicht wusste, dass mittlerweile nicht mehr Mitford Manor, sondern Swinbrook House der Mitford’sche Familiensitz war. Trotz allem vermisste sie ihn.

Louisa wählte eine andere Taktik. »Außerdem könnte ich nicht arbeiten, wenn ich verheiratet wäre.«

»Aber natürlich könntest du arbeiten«, schnaubte Ma. »Das habe ich doch auch getan, mein ganzes Leben lang.«

Louisa schwieg. Sie konnte ihrer Mutter nicht erklären, dass sie mehr als nur irgendeine Beschäftigung wollte. Nein, sie träumte von einer richtigen Karriere, einer Aufgabe, die sie forderte, ihr neue Horizonte eröffnete, ganz egal, welche. Ihre Mutter hatte jahrzehntelang als Wäscherin geschuftet, ihr Vater als Kaminfeger – Mr Black und Mrs White hatten sie und Jennie die Cannons immer genannt –, und Louisa war sehr stolz auf sie, doch für sich selbst wünschte sie sich etwas Besseres. Die Arbeit hatte ihre Eltern ausgelaugt und verbittern lassen. Die Jahre im Dienst von Lord und Lady Redesdale hatten Louisa hingegen eine Vorstellung davon gegeben, dass das Leben voller Möglichkeiten stecken konnte, zudem hatten sich mit dem Ende des Kriegs viele Chancen aufgetan, auch für ihresgleichen: Die Vergangenheit war Vergangenheit, und die neuen Zeiten boten die Gelegenheit, alles anders zu machen. Und vieles hatte sich verändert, das ließ sich nicht abstreiten. In den Straßen herrschte dichter Verkehr, so dicht, dass man beinahe Angst um die Schutzmänner auf den Kreuzungen haben musste, die mit ihren langen weißen Ärmelstulpen Automobile, Busse und Laster dirigierten. In praktisch jedem Haus gab es einen Telefonanschluss, und an nahezu jeder Straßenecke stand eine rote Telefonzelle, sodass man überallhin telefonieren konnte, selbst nach Amerika. Viele Frauen gingen arbeiten und nicht nur als Haushaltshilfe oder Verkäuferin, sondern als Sekretärin oder Telefonistin in großen Firmen mit Belegschaften, die sich aus zahlreichen männlichen und weiblichen Angestellten gleichermaßen zusammensetzten. Und manche Frauen vollbrachten unglaubliche Dinge: Erst vor wenigen Tagen hatte Amelia Earhart als erste Frau in einer Passagiermaschine den Atlantik überquert. Louisa hatte die Fotos der zum Abschied in die Kamera winkenden Flugpionierin in der Zeitung gesehen, unglaublich glamourös in ihrer Pilotenkluft mit der ledernen Mütze, der Fliegerbrille und den weiten Hosen, die aussahen, als hätten sie selbst Flügel. Zwar hatte sie die Maschine nicht selbst gesteuert, aber zumindest hinter dem Piloten gesessen, und höchstwahrscheinlich würde sie beim nächsten Mal das Kommando übernehmen. Am liebsten wäre Louisa von ihrem Kinositz aufgesprungen und geradewegs durch die Leinwand hindurch an Miss Earharts Seite getreten, um mit ihr gemeinsam die Fokker F. VII zu besteigen. In Wirklichkeit war sie nie weiter als bis ins französische Dieppe gekommen, mit der Fähre, um dort mit den Mitford-Mädchen die Ferien zu verbringen.

Und genau deshalb hatte Louisa auch sofort zugesagt, als sie eine Nachricht von Nancy erhielt, in der sie ihr mitteilte, sie und Diana hielten sich für die Ballsaison in London auf und würden sich gern mit Louisa treffen. Natürlich kamen sie wieder einmal zu spät. Der Vater der Mädchen, Lord Redesdale, war ein wahrer Pünktlichkeitsfanatiker – er behielt sogar während der Sonntagspredigt die Uhr im Auge und gab dem Pfarrer ein Zeichen, wenn er seine zehn Minuten auch nur um eine Sekunde überzog –, deshalb war es eine Art Rebellion, dass seine Töchter sich über verabredete Uhrzeiten hinwegsetzten, sobald er nicht in der Nähe war. In diesem Moment hielt der 9er-Bus an, und Louisa machte Nancy in der Menge der aussteigenden Fahrgäste aus.

Die älteste der Mitford-Töchter schien unverändert: Sie war nicht sehr groß, aber schlank und trug ein elegantes zartrosa Kleid mit einem dünnen Sommermantel in einem etwas dunkleren Ton darüber, die beide knapp unterhalb des Knies endeten. Ihre Augenbrauen waren lang und sehr schmal gezupft, und das kecke Funkeln in ihren großen, an den äußeren Winkeln leicht nach unten gebogenen Augen verhinderte, dass ihre Züge allzu lieblich wirkten. Dianas Anblick hingegen verschlug Louisa den Atem, nun, da sie sie aus der Nähe sah, im Gegensatz zu dem Ball vor Kurzem. Ihr Kinn war leicht gerundet, ihr Kiefer markant, doch statt das Gesicht plump wirken zu lassen, verlieh es ihr eine fast wikingergleiche Stärke, nicht zuletzt in der Kombination mit der modischen, bis knapp unter die Ohrläppchen reichenden Bobfrisur. Ihre Züge waren perfekt proportioniert und symmetrisch, mit eisblauen Augen und blondem Haar, die noch zu dem Bild einer imposanten Galionsfigur beitrugen. Trotz der Lebhaftigkeit ihrer Bewegungen strahlte sie eine souveräne Ruhe aus. Sie war der glatte Kiesel, der in den Tiefen eines Sees versank, wohingegen Nancy den sich kräuselnden Wellen ringsum glich.

»Lou-Lou!«, rief Nancy, als sie auf Louisa zukamen, und kniff die Augen gegen die Sonne zusammen. »Kommen wir zu spät, Darling?«

Geschlagene fünfundzwanzig Minuten.

Louisa schüttelte den Kopf. »Kein Problem. Ich freue mich so, dass wir uns wieder einmal sehen. Miss Diana, Sie sehen ja so …«

»Sag nicht ›erwachsen‹.« Diana schnitt eine Grimasse. »Seit Wochen kriege ich pausenlos zu hören, wie sehr ich in die Höhe geschossen sei.«

»Na gut, ich verkneife es mir. Trotzdem freue ich mich, Sie beide zu sehen.«

»Ich mich auch«, erwiderte Diana. »Schon komisch, was? Jetzt, wo du nicht mehr als unser Kindermädchen arbeitest, ist es fast, als wärst du eine von uns.«

Louisa hatte keine Ahnung, was sie darauf erwidern sollte, doch zum Glück schaltete sich Nancy, die sensiblere der beiden, ein und wechselte das Thema. »Lasst uns einen Spaziergang nach South Kensington machen«, schlug sie vor. »Dort ist ein süßes kleines Café, wo wir eine Tasse Tee trinken können. Ich fürchte, wir sind noch nicht allzu lange auf den Beinen.«

»Wir waren tanzen«, schwärmte Diana. »Bis in die frühen Morgenstunden. Muv war völlig erschöpft, als wir nach Hause kamen.«

»Oh, in Wirklichkeit findet sie es herrlich«, sagte Nancy. »Schließlich zwingt sie keiner, aufzubleiben und auf uns zu warten. Und mit meinen vierundzwanzig bin ich ja schon eine alte Jungfer und reif genug, um als Anstandsdame einzuspringen.«

»Ich bin nicht überzeugt, ob sie dir zutraut, dass du mich so am Zügel hältst, wie sie es tut.«

Es war eine wahre Freude, den Schwestern zuzuhören und wie die Argumente wie der Ball bei einem Tennismatch zwischen den beiden hin- und herflogen. Nancy hatte schon immer die spitzere Zunge gehabt, doch Diana hatte inzwischen gelernt, ihr Paroli zu bieten. Gerade als sie ein Stück die Exhibition Road hinuntergegangen waren, ertönte ein lautes »Hi!«. Ein junger Mann lehnte sich aus dem hinteren Fenster eines schwarzen Bentleys, der neben der Bushaltestelle angehalten hatte.

»Das ist Bryan Guinness«, sagte Nancy. »Ich sollte ihn begrüßen.«

»Ich denke, ich bin diejenige, wegen der er angehalten hat.« Dianas Wangen färbten sich rosa, während sie zügigen Schrittes auf den Bentley zumarschierte, um ihre ältere Schwester abzuhängen, die sich, wie Louisa bemerkte, alle Mühe gab, sich ihre Verärgerung nicht anmerken zu lassen. Diana beugte sich zum Wagenfenster und redete kurz mit Mr Guinness, ehe er – genauer gesagt, sein Chauffeur – davonfuhr.