Schampus für alle

Guido Knopp


In Zusammenarbeit mit Mario Sporn

Schampus für alle

ALDI – eine deutsche Geschichte

FISCHER E-Books

Inhalt

Über Guido Knopp

Prof. Dr. Guido Knopp war jahrzehntelang der Chefhistoriker des ZDF. Er gilt als der wohl populärste Historiker Deutschlands. Sein Name ist untrennbar verbunden mit erfolgreichen TV-Formaten wie »Die Deutschen«, »History« und »Hitlers Helfer«, die allesamt auch internationale Buch-Bestseller wurden.

Seine Arbeit stellt Guido Knopp unter das Motto »Aufklärung braucht Reichweite«. Die gelungene Verknüpfung von exakt recherchierter und spannender Information begeisterte weltweit ein großes Publikum. Seine Bücher, meist Bestseller, sind in bislang 52 Sprachen übersetzt. Zweimal war Guido Knopp »Sachbuchautor des Jahres«. Knopps Arbeit wurde mit zahlreichen nationalen und internationalen Preisen und Auszeichnungen gewürdigt, darunter dem Bayerischen, Deutschen und Österreichischen Fernsehpreis oder dem Bundesverdienstkreuz.

2013 trat Guido Knopp beim ZDF in den offiziellen Ruhestand und ist seitdem als freier Publizist, Moderator, Produzent und Autor tätig.

 

Weitere Informationen finden Sie auf www.fischerverlage.de

Über dieses Buch

Die beiden Brüder Karl und Theo Albrecht schaffen ein nachkriegsdeutsches Wirtschaftswunder. Aus einem kleinen Krämerladen im Herzen des Ruhrgebiets formen sie einen miliardenschweren Weltkonzern. Mit niedrigen Preisen und äußerst schmalem Sortiment, in dem jeder Artikel ein Schnelldreher ist, locken sie die Kunden ins Geschäft. Mitte der 70er-Jahre gibt es schon kaum eine deutsche Stadt mehr, die keinen ALDI-Markt hat. Doch die permanente Kostenminimierung geht zu Lasten von Mitarbeitern, Lieferanten und der Umwelt. Dennoch hat das System ALDI mehr als 60 Jahre lang Konsumverhalten und Esskultur der Deutschen wesentlich geprägt. Der Aufstieg der Albrechts erzählt deshalb auch von unserem Land.

Impressum

Erschienen bei FISCHER E-Books

 

© 2021 S. Fischer Verlag GmbH, Hedderichstraße 114, D-60596 Frankfurt am Main

 

Covergestaltung: Andreas Heilmann und Gundula Hissmann, Hamburg

Coverabbildung: getty images

 

Abhängig vom eingesetzten Lesegerät kann es zu unterschiedlichen Darstellungen des vom Verlag freigegebenen Textes kommen.

Dieses E-Book ist urheberrechtlich geschützt.

ISBN 978-3-10-491012-3

Aldi: Diese vier Buchstaben stehen für das noch immer mächtigste Handelsimperium Deutschlands – und für sagenhaften Reichtum. Die Erben beider Aldi-Unternehmen, Süd und Nord, sind mit einem gemeinsamen Vermögen von rund 40 Milliarden Euro die noch immer reichsten Deutschen. Es ist ein Reichtum, den wir alle mitgeschaffen haben: Fast 90 Prozent der Deutschen haben schon einmal in einem Aldi-Markt eingekauft.

Die beiden rätselhaften Aldi-Gründergestalten, die Brüder Karl und Theo Albrecht, stehen für ein eigenes nachkriegsdeutsches Wirtschaftswunder, das nur auf den ersten Blick verblüfft. Was trieb sie an? Wie schafften sie es, aus einem kleinen Krämerladen im Herzen des Ruhrpotts einen milliardenschweren Weltkonzern zu formen? Antworten gibt dieses Buch.

Jahrzehntelang wird Aldi von zwei Phantomen regiert: Karl und Theo. Beide scheuen die Öffentlichkeit – sicher auch als Reaktion auf einen spektakulären Entführungsfall: 17 Tage lang war Theo Albrecht Ende 1971 in der Hand von Geiselgangstern, die für seine Freilassung schließlich sieben Millionen D-Mark erpressten. Der Entführte wollte diese Kosten anschließend am liebsten von der Steuer

Wer über die Albrechts schreiben will, stößt auf eine nahezu undurchdringliche Mauer – bis heute. Noch immer wird das von den beiden Gründerfiguren aufgestellte Schweigegelübde nur selten durchbrochen. Für dieses Buch konnten dennoch Gespräche mit einigen Weggefährten der Albrechts geführt werden. Auch wurden die wenigen schriftlichen Zeugnisse und Beschreibungen ihrer Karrieren, die an die Öffentlichkeit gelangten, ausgewertet.

Mit dem Tod von Theo Albrecht 2010 und Karl 2014 endete nicht nur eine Ära, sondern auch das legendäre Schweigen der Familie. Stattdessen kommt es vor Gerichten heute zu erbitterten Gefechten um das liebe Geld.

Das Geheimnis der Albrechts ist ihre Antwort auf die Frage: Wie werde ich reich? In den Trümmerjahren der Nachkriegszeit übernehmen die Brüder den Laden der Mutter in Essen und machen aus der Not eine Tugend. Mit extrem niedrigen Preisen locken sie trotz eines äußerst schmalen Sortiments die Kunden ins Geschäft – die Discount-Idee ist geboren. Schon bald nennen sie hunderte, dann tausende Läden ihr Eigen: ALDI – das Kürzel aus »Albrecht Discount« – wird zum Synonym für den preisgünstigen Einkauf und später sogar »Kult«. Denn Geiz wird geil.

Mehr als 60 Jahre lang hat das System Aldi

Der ungewöhnliche Aufzug schien auch einer Polizeistreife, die zufällig im VW-Bus vorbeikam, seltsam vorzukommen. Die Beamten bremsten ihren Wagen ab und rollten einige Meter im Schritttempo neben den Männern her. Die Gesetzeshüter waren sich unschlüssig: Sollten sie den beiden ungewöhnlichen Fußgängern auf den Zahn fühlen oder nicht? Nach einigem Hin und Her siegte schließlich die Bequemlichkeit – die Beamten zogen den Sitz im warmen Auto vor, statt in die kühle Novembernacht hinauszutreten und ihren Dienst zu verrichten. Es würde alles schon seine

Wochenlang hatten sie zuvor Albrechts Lebensgewohnheiten erkundet, ihm immer wieder vor seinem Essener Privathaus und hier vor der Hertener Firmenzentrale aufgelauert. Dabei waren ihnen mehr als einmal Zweifel gekommen: Sollten sie wirklich den Richtigen an der Angel haben? Denn dieser unscheinbare Mann hatte so gar nichts von einem Superreichen an sich. Sein Anwesen lag zwar in einem Essener Villenviertel, ließ jedoch jeden Anschein von Protz vermissen. Seine Mercedes-Limousine steuerte er stets selbst und stellte den Wagen vor seiner Firma immer auf dem gewöhnlichen Parkstreifen ab. Jeden Tag erschien er pünktlich zum Dienst und verließ immer als einer der Letzten das Büro. Irgendwelche Exaltiertheiten oder Extravaganzen – Fehlanzeige.

Bereits in der Woche zuvor hatten sie zweimal Anlauf genommen, das große Ding durchzuziehen, doch immer waren ihnen Skrupel gekommen, und sie hatten ihr Vorhaben in letzter Minute abgebrochen. Nun aber sollte es gelingen.

Misstrauisch musterte Kron den neben ihm Sitzenden. Wieder kamen ihm Zweifel. Aus der Nähe betrachtet, machte der Mann noch weniger her als von Ferne. Die beiden Gangster hatten sich für ihre Begegnung mit dem

Ein Mann, der schon damals ein Phantom war – genau wie sein zwei Jahre älterer Bruder Karl, mit dem Theo Albrecht gemeinsam den Discounter Aldi aufgebaut hatte. Aldi – ein deutsches Imperium, mit einem Stellenwert im Einzelhandel wie Volkswagen oder Mercedes Benz in der Automobilindustrie. Heute ist »Aldi« eine der wertvollsten Marken Deutschlands. Aldi – das war Deutschland. Schlichte Läden, wo stets alles ordentlich war und sich immer am gleichen Platz befand. Einfach, vernünftig und zuverlässig, wie deutsche Autos oder deutsche Fußballer. Aldi – das war der Berti Vogts unter den Supermärkten. Und ein Exportschlager: Wie die Fernsehkrimis um Kommissar Derrick, die weltweit in mehr als 100 Ländern ausgestrahlt wurden, eroberte Aldi Europa, die USA und Australien – etwas langweilig und bieder, aber dafür rechtschaffen und solide: typisch deutsch.

Doch der Aufstieg zum weltweit tätigen Big Player vollzog sich weitgehend im Verborgenen. Als die deutsche

Aber wo damals andere »Kapitäne der Wirtschaft« mit dicker Zigarre und Schampus für die bunten Blätter posierten, machten sich die Albrechts rar: keine öffentlichen Auftritte, keine Reden, keine Fotos, erst recht keine Interviews. Sie waren weder gefeierte Mäzene, wie Kaufhauskönig Helmut Horten, noch Ehrenkonsuln wie Quelle-Chef Gustav Schickedanz, und schon gar keine Playboys, wie der Industriellenspross Gunter Sachs. Die beiden Brüder waren zeitlebens verschwiegen, unerbittlich verschwiegen – nicht erst seit der Entführung Theo Albrechts. Als das Imperium zu groß wurde, teilten sie es zunächst in zwei Hälften und dann weiter in immer unübersichtlichere Strukturen, mit dem einen Ziel: einen Einblick von außen möglichst zu verhindern. Manch Beobachter scherzte, man könne eher mit einem Foto des Yetis rechnen als mit einem der Albrechts.

Wo Fakten fehlen, blühen Mythen. Bald machten Gerüchte über den außergewöhnlichen Reichtum der Brüder die Runde. Jahrelang führten sie die – freilich nur auf Schätzungen beruhende – Rangliste der wohlhabendsten Deutschen an, wurden vom Wirtschaftsmagazin »Forbes« einige Zeit lang sogar zu den zehn reichsten Menschen der Welt gerechnet. Trotz ihres sagenhaften Vermögens seien sie aber auffallend knauserig gewesen, hieß es immer wieder. Ihre Firma hätten sie dabei selbst dann noch wie den

Die Familie Albrecht

Eine gängige Legende zur Familiengeschichte der Albrechts nämlich lautet folgendermaßen: Bergmann – natürlich, im Ruhrpott – sei Vater Albrecht gewesen, ehe er wegen einer »Staublunge« seinen Beruf habe aufgeben müssen und nur noch hustend und röchelnd am Ofen habe sitzen können. Seine Frau sei daraufhin gezwungen gewesen, einen kleinen Krämerladen aufzumachen, der die Familie aber mehr schlecht als recht ernährt habe, so dass die Kinder Karl und Theo schon früh bittere Not kennengelernt hätten. Dies sei ihr Antrieb gewesen, es später allen zu zeigen – vor allem den Handelsketten, die den kleinen Kaufleuten schon damals das Wasser abgegraben hätten. So weit, so gut. Aber stimmt das wirklich?

Spurensuche in Schonnebeck. Auf der Huestraße, der zentralen Verkehrsachse des Essener Stadtteils, gab es bis

Schon nach einem Jahr aber mischte sich die große Politik ins private und berufliche Leben der jungen Familie Albrecht. Als die Welt am 28. Juni 1914 von der Ermordung des österreichisch-ungarischen Thronfolgers Franz Ferdinand und seiner Frau Sophie durch einen bosnischen Serben in Sarajevo erfuhr, dachte kaum jemand an einen großen

Auch Karl Albrecht wurde als Soldat eingezogen. Seine Ehefrau musste den Laden jetzt allein schmeißen. An der sogenannten »Heimatfront« folgte auf die Kriegsbegeisterung tiefe Ernüchterung. Mangelwirtschaft und Hunger bestimmten den Alltag. Seit August 1914 hielt die britische Flotte die deutschen Häfen blockiert – auch, um die Bevölkerung auszuhungern und damit ihren Widerstandswillen zu brechen. In der Folge schossen die Nahrungsmittelpreise in die Höhe. Die wichtigsten Lebensmittel waren nur noch gegen Bezugsscheine oder in öffentlichen Volksküchen zu erhalten. »Wer hamstert, gehört ins Zuchthaus«, spottete der Volksmund, »wer aber nicht hamstert, ins Irrenhaus.« Die Steckrübe, eigentlich als Viehfutter angebaut, musste fehlende Naturalien ersetzen. Auch Klöße, Koteletts oder Pudding wurden mangels Alternativen aus Kohl gefertigt. Es gab Butterersatz aus gefärbtem Quark,

Es gibt keine Aufzeichnungen, wie Anna Albrecht die Herausforderung meisterte, sich in dieser Notzeit über Wasser zu halten. Doch sie hatte Glück, dass Ehemann Karl unversehrt aus dem Feld zurückkehrte – im Gegensatz zu über zwei Millionen anderen deutschen Männern. Auch der Inhaber eines deutlich größeren Tante-Emma-Ladens direkt nebenan war gefallen. Die Albrechts nutzten die Chance, kauften Haus und Geschäft, und waren nun dort angekommen, wo sich bis unlängst die Aldi-Verkaufsstelle 001 befand.

Man lebte jetzt in einer Republik. Der Kaiser hatte abgedankt, der alte Obrigkeitsstaat war gefallen, eine Demokratie westlichen Musters auf den Weg gebracht. Doch der neue Staat trug schwer an seinem Erbe. Rechtsgerichtete Kritiker verbreiteten die Legende von einem »Dolchstoß« der Linken in den Rücken des »im Felde unbesiegten Heeres«. Der sogenannte Friede von Versailles gab dann den besiegten Deutschen die Alleinschuld am verlorenen Krieg. Versailles war objektiv nicht jenes Schanddiktat, als das es im geschlagenen Deutschen Reich empfunden wurde:

1923 stürzten die Nachbeben von Versailles den Staat von Weimar in seine bislang schwerste Krise. Auf die Reparationssumme von 132 Milliarden Goldmark hatte sich das besiegte Land verpflichten müssen. Nach wiederholten Versuchen, bei den Zahlungen alliierte Zugeständnisse zu erwirken, und wegen stockender Sachlieferungen forderte Frankreich jetzt mit Gewalt ein, was die Deutschen angeblich nicht freiwillig herausgeben wollten. Im Januar besetzten belgische und französische Truppen das Ruhrgebiet, um ihre Ansprüche direkt zu befriedigen. »La Ruhr« – das größte Ballungszentrum Europas – war auch für Frankreich mehr als ein Ort, an dem Kohle abgebaut und Erz verhüttet wurde. Es stellte einen Mythos dar. Wer hier herrschte, bestimmte über die wirtschaftliche Stärke des Deutschen Reichs.

Ein Sturm der Entrüstung ging durch alle Schichten der deutschen Bevölkerung. An ein militärisches Vorgehen war allerdings nicht zu denken in dem abgerüsteten Land. So entschied sich die Regierung zu einem »passiven

Diese »Hyperinflation« hatte zur Folge, dass die Gehaltszahlungen sofort in Waren umgesetzt wurden. Am Ende verlor das Geld stündlich seinen Wert. Die Arbeitnehmer schleppten ihr Gehalt in Körben und Koffern durch die Straßen. Auf den Wochenmärkten und in den Geschäften konnte man mitverfolgen, wie auf den Schiefertafeln binnen kurzer Zeit mehrmals die Preise für Gemüse, Kartoffeln, Eier oder Butter erhöht wurden. Bald standen absurde Summen auf den Banknoten, oft nur noch aufgestempelt. Manch ratlose Zeitgenossen tapezierten ihre Wände mit den Geldscheinen oder heizten damit ihre Öfen an. Der Geldumlauf brach zusammen. Hersteller von industriellen oder landwirtschaftlichen Gütern gaben keine Waren mehr heraus, man kehrte zur urtümlichen Tauschwirtschaft zurück, was sich im Alltag aller Bevölkerungsschichten spiegelte.

Essen-Schonnebeck war in diesen frühen Jahren noch eher ländlich geprägt und kein wirklicher Arbeiterstadtteil. Zwar umzingelten ihn große Schachtanlagen wie mehrere Gruben der Zeche »Zollverein«, »Friedrich Ernestine« oder »Bonifacius«, doch ein Ort voller Industrielärm, rauchender Schlote und Abraumhalden war Schonnebeck nie. Sicherlich gehörten auch Bergmannsfamilien zur Kundschaft der Albrechts in ihrem damals typischen »Nachbarschaftsladen«. Hier wurde noch jeder Kunde persönlich

Zwei Brüder als Stammhalter

Und sie nahmen nun die durch den Krieg unterbrochene Familienplanung in Angriff. Für die damalige Zeit waren sie – mit je 33 Jahren – schon ziemlich spät dran. Im Februar 1920 kam ihr erster Sohn zur Welt, nach dem Vater Karl genannt. Im März 1922 folgte Theodor, von allen nur Theo gerufen. Alles spricht dafür, dass die Albrecht-Brüder nicht in bitterer Armut, sondern in bescheidenem, kleinbürgerlichem Wohlstand aufwuchsen. Zwar erzählte Karl Albrecht in dem bereits erwähnten Interview im Jahr 2014 davon, dass die Familie durchaus mit spitzem Bleistift rechnen musste und er schon als 14-Jähriger im Auftrag der Mutter Schulden bei säumigen Kunden habe eintreiben müssen, aber daraus zu schließen, dass die Familie

Auch andere Tatsachen sprechen für ein solides finanzielles Fundament des elterlichen Geschäfts. So ist überliefert, dass die Familie Anfang der 1930er Jahre mehrfach ihre Ferien – als »Sommerfrische«, wie man damals sagte – in einer Bauernhof-Pension im Hochsauerland verbrachte, vier Bahnstunden von Essen entfernt. Dabei blieb die Mutter mit den Kindern wohl immer mehrere Wochen in Lüdingheim, einem Weiler mit lediglich drei Gehöften, während sich der Vater um das Geschäft kümmerte und nur für das Wochenende nachkam. Als sich ein Ortschronist Jahrzehnte später an die Albrecht-Brüder wandte und sie nach ihren Erinnerungen an diese Zeit fragte, antworteten die sonst so zugeknöpften Brüder unerwarteterweise sogar per Brief. Sie hätten gute Erinnerungen an den Aufenthalt in Lüdingheim, schrieben beide unisono. Den Ort habe man gewählt, weil es im Sauerland schön und die Entfernung nach Essen nicht allzu groß gewesen sei. Und, ganz Aldi-typisch: »Das soll nicht verschwiegen werden: Ihr Haus hatte damals ein wirklich gutes Preis-Leistungsverhältnis. Das hat Mutter mehrfach betont«, so Karl Albrecht.

Die Zeit vertrieben sich die Jungen beim Fußballspiel mit dem Sohn der Wirtsleute, beim Floßbau am nahe gelegenen

Welche Schulen die beiden Albrecht-Brüder besuchten und welche Noten sie mit nach Hause brachten, welche Unterrichtsfächer ihnen Freude machten und welche nicht, wissen wir nicht. Immerhin dürfen wir vermuten, dass sie zumindest ordentlich zu rechnen gelernt haben. Nach Lage der Dinge beschränkte sich ihre Schulbildung auf die zehnklassige Mittelschule. Damit fiel zumindest ein Teil ihrer Schulzeit in die Jahre des »Dritten Reichs«.

Der 30. Januar 1933 war wohl der deutsche Schicksalstag des 20. Jahrhunderts. Es war ein Tag, der nicht zwangsläufig war. Denn scheitern musste die Weimarer Republik

Zwischen Hitler und den Deutschen gab es lange eine Teilidentität der Ziele. Der Einmarsch ins Rheinland, die Einverleibung Österreichs, die Besetzung des Sudetenlandes wurden von den meisten Zeitgenossen enthusiastisch akklamiert. Solche »Blumenkriege« waren populär. Die Deutschen außerhalb der Grenzen »heim ins Reich« zu holen,

Wie sie zum Hitlerstaat standen, darüber haben beide Albrechts nie ein Wort verloren. Sie gehörten zu jener Jugend, von der Hitler 1938 tönte, dass sie nichts anderes lerne, »als deutsch denken, deutsch handeln«. Mit zehn Jahren, so der Diktator, gehöre sie ins Jungvolk, mit 14 in die Hitlerjugend, dann in den Arbeitsdienst und die Wehrmacht. »Und sie werden nicht mehr frei ihr ganzes Leben!« Es ist anzunehmen, dass die katholisch verwurzelten Albrechts diesem totalen Anspruch des Regimes eine gehörige Portion Skepsis entgegensetzten. Viele Katholiken erwiesen sich eher als resistent gegen die Verblendung durch braune Glaubenssätze als der Rest der Gesellschaft. Und alle Beobachter bezeugten die tiefe Religiosität der Familie. Der sonntägliche Kirchgang blieb bis ins hohe Alter ein unverrückbarer Pflichttermin im Leben beider Albrecht-Brüder. Ob sie in der NS-Zeit dennoch Mitglied der HJ oder des Jungvolks wurden, ob sie freudig mitmachten beim Marschieren unter flatternden Fahnen, bei Sonnenwendfeiern und Lagerfahrten, oder ob sie womöglich zu den Unauffälligen gehörten, die ihre Zeit irgendwie über die Runden brachten, ist nicht bekannt. Noch 1935 war nur die Hälfte aller Jugendlichen in der HJ organisiert, Pflicht wurde die Mitgliedschaft erst 1939. Somit könnten beide auch um den HJ-Dienst herumgekommen sein.

Karl und Theo im Krieg

Wieder einmal machte jedoch ein Krieg allen Plänen der Familie einen Strich durch die Rechnung. Als der lange vorbereitete Waffengang 1939 kam, gab es freilich – anders als 1914 – bei den meisten Soldaten und in der Bevölkerung keine Kriegsbegeisterung. Erst die schnellen Siege und die propagandistisch wirksame Betonung des »Blitzkrieg«-Konzepts sorgten für Zuversicht. Nach den Erfolgen gegen Polen, Norwegen, Holland und Belgien gelang schließlich der Triumph über Frankreich im Juni 1940. Damit schien die Scharte von Versailles ausgewetzt. Die Niederlage des sogenannten »Erbfeindes« verlieh Hitler die Aura der

1940 wurde Karl zum Wehrdienst eingezogen, ein Jahr später auch Theo. Karl hat 2014 in seinem einzigen Interview andeutungsweise über diese Zeit gesprochen. Er gehörte zu jenen drei Millionen deutschen Soldaten, die nach dem Willen des Diktators im Rahmen des Unternehmens Barbarossa »Lebensraum im Osten« erobern sollten. Am 22. Juni 1941, kurz nach drei Uhr morgens, rollte die gewaltige deutsche Angriffsmaschine an. Auf einer Breite von 1600 Kilometern stießen die deutschen Truppen vom besetzten Polen aus in Richtung Osten vor. Der blitzartige Schlag überraschte die Sowjets völlig, die Verbände der Roten Armee wurden förmlich überrollt. Karls Einheit gehörte zur Hauptstreitmacht des Feldzugs, der Heeresgruppe Mitte. Ihre massierten Panzer- und Luftstreitkräfte sollten eine Bresche über Minsk und Smolensk in Richtung der sowjetischen Hauptstadt Moskau schlagen. Der Krieg im Osten war jedoch nicht nur ein militärischer Schlagabtausch, sondern vor allem auch ein Eroberungs- und Vernichtungsfeldzug gegen »Bolschewismus und Judentum«. Zwar blieb der systematische Massenmord Sondereinsatzgruppen vorbehalten, aber auch die Wehrmacht wurde in Verbrechen verstrickt. Sollte Karl Albrecht Zeuge von solchen Mordaktionen geworden sein, so hat er wie die allermeisten anderen Kriegsteilnehmer darüber geschwiegen.

Im Sommer 1942 sah es so aus, als sollte die Wehrmacht noch einmal das Heft des Handelns in die Hand bekommen. Doch der Sturmlauf Richtung Kaukasus endete in der Katastrophe: In Stalingrad wurde eine ganze deutsche Armee ausgelöscht. 300000 Soldaten waren angetreten, die Stadt an der Wolga zu erobern, 90000 marschierten Ende Januar 1943 in langen grauen Kolonnen in Gefangenschaft. Nur 6000 sollten nach Jahren der Entbehrungen in sowjetischen Lagern die Heimat wiedersehen. Psychologisch war die Schlacht von Stalingrad ein tiefer Einschnitt. Nach ihr begann das blinde Vertrauen der Deutschen in ihre Führung zu schwinden. Fortan konnten nur Märchen von neuen Wunderwaffen die verstörten Volksgenossen bei der Stange halten.

Karl Albrecht machte im weiteren Verlauf des Krieges den Rückzug im Osten mit. 2014 erzählte er, einmal habe ihn

Auch über die Kriegserfahrungen von Theo Albrecht ist nur wenig bekannt. Von ihm heißt es, er habe in einer Nachschubeinheit des »Deutschen Afrikakorps« (DAK) gedient. Mit dem DAK wollte Hitler dem verbündeten italienischen Diktator Mussolini aus der Patsche helfen, der ab Sommer 1940 versucht hatte, sein »Imperio Romano« auf afrikanischem Boden auszubauen. Doch schon bald war die italienische Offensive in britischen Stellungen hängen geblieben. Der großspurige »Duce« musste seinen deutschen Bundesgenossen kleinlaut um Beistand bitten. Hitler sagte Hilfe zu. Das großzügige Angebot war nicht uneigennützig: Eine drohende Kapitulation des Verbündeten mit all ihren Auswirkungen musste unbedingt verhindert werden. So kämpften ab Februar 1941 hunderttausende deutsche Soldaten unter der Sonne Nordafrikas. Panzergeneral Erwin Rommel, der »Wüstenfuchs«, jagte seine Männer einmal quer durch Nordafrika bis nach Ägypten. Der Sieg schien zum Greifen nah, doch letztlich waren die deutschen Linien überdehnt. Nachschubeinheiten wie der von Theo Albrecht gelang es kaum, mit dem raschen Vormarsch der Panzer über Tausende Wüstenkilometer Schritt zu halten, die

Welche Rolle spielten die Kriegserlebnisse für die beiden Brüder? Im Falle Karl Albrechts scheint die als wundersam empfundene Errettung aus den Kriegswirren seine ohnehin vorhandene Gottesfürchtigkeit verstärkt zu haben. Für Theo jedoch, so berichten Vertraute, habe die Zeit beim Kommiss einen ganz praktischen Nutzen gehabt: Unter erschwerten Bedingungen Nachschub zu organisieren, große Mengen Verpflegung und Material zu kalkulieren, zu ordern und zu verteilen, eine straff geführte Logistikkette zu dirigieren, das habe sich als beste Schule für sein zukünftiges Leben erwiesen.

Zeitenwende 1945. Im zerstörten und besiegten, besetzten und geteilten Deutschland hieß das: Ende des totalen Sterbens, des brutalen Bombenkriegs, des Massenmords in den Lagern. Die meisten Deutschen waren dennoch nicht in der Lage, sich als »Befreite« zu empfinden. Das galt nur für eine Minderheit – die Opfer und die Opponenten des Regimes. Die Mehrheit aber sah den 8. Mai als Stichtag des Zusammenbruchs, der Niederlage. Denn sie hatten sich nicht selbst von Hitler trennen können, vielfach gar nicht