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Ricarda Huch

Deutsche Geschichte

In drei Bänden

Ricarda Huch

Deutsche Geschichte

In drei Bänden

Veröffentlicht im Null Papier Verlag, 2020
EV: Atlantis Verlag G. m. b. H. Berlin, 1934, 1937, 1949
Umschlag: Gerard ter Borch: Friede von Münster
1. Auflage, ISBN 978-3-962817-72-5

null-papier.de/693

null-papier.de/katalog

Inhaltsverzeichnis

Band I – Rö­mi­sches Reich Deut­scher Na­ti­on

Ein­lei­tung

Bo­ni­fa­ti­us

Die ers­ten Ka­ro­lin­ger und die Päps­te

Karl der Gro­ße

Die Deut­schen und das Chris­ten­tum

Das Klos­ter

Der Adel

Die Ot­to­nen

Bi­schö­fe

Frau­en

Der Nor­den

Im­pe­ra­to­ren

Hein­rich IV. und Gre­gor VII.

Hein­rich IV. und die Städ­te

Wel­fen und Stau­fer

Kai­ser und Papst

Aus­gang

Die Kreuz­zü­ge

Die Ko­lo­ni­sa­ti­on

Die letz­ten Ho­hen­stau­fer

Kauf­leu­te

Städ­te

Die Ju­den

Die Ju­den und der Wu­cher

Ket­zer

Die hei­li­ge Eli­sa­beth und der Deut­sche Or­den

Geis­ti­ges Le­ben

Al­bert Ma­g­nus

Der Rhei­ni­sche Bund

Ste­din­ger, Frie­sen, Dith­mar­schen

Schlach­ten

Die Eid­ge­nos­sen­schaft

Der falsche Fried­rich

Lud­wig der Bayer

Spra­che und Na­tio­na­li­tät

Die Mys­ti­ker

Karl IV.

Ter­ri­to­ri­al­fürs­ten

Ös­ter­reich

Zunft­kämp­fe

Städ­te­bün­de

Das Kon­zil zu Kon­stanz

Die Han­se

Sieg­mund im Reich und im Os­ten

Die Re­for­ma­ti­on des Kai­sers Sieg­mund

Gu­ten­berg

Un­ter­gang des Deut­schen Or­dens

Die Auf­lö­sung

Band II – Das Zeit­al­ter der Glau­bens­spal­tung

Ein­lei­tung: Der Zu­sam­men­bruch der mit­tel­al­ter­li­chen Wel­t­an­schau­ung

Der Zu­stand des Rei­ches im 15. Jahr­hun­dert

Drei Freun­de

Der Streit um das Bis­tum Bri­xen

Hu­ma­nis­ten und Mön­che

Reuch­lin und die Dun­kel­män­ner­brie­fe

Die Reichs­re­form

Die Kir­chen­re­form

Kul­tur

Rit­ter

Luther

Die The­sen

Von Hei­del­berg bis Leip­zig

Die Kai­ser­wahl

Hut­ten und Luther

Worms

Der Pro­phet

Neue Kir­che

Luther und Eras­mus

Sickin­gens und Hut­tens Ende

Der Bau­ern­krieg

Pa­via

Der Abend­mahlss­treit

Die Wie­der­täu­fer

Frau­en

An­fech­tun­gen

Ei­ni­gungs­ver­su­che

Die Be­frei­ung des Ad­lers

Der Schmal­kal­di­sche Krieg

Der Augs­bur­ger Re­li­gi­ons­frie­den

Tod

Auf­schwung der ka­tho­li­schen Kir­che

Cal­vin und der Ab­fall der Nie­der­lan­de

Geld­wirt­schaft

Faust

Die He­xen­ver­fol­gun­gen

Der Aus­bruch des Drei­ßig­jäh­ri­gen Krie­ges

Der Krieg im Reich

Das große Ster­ben

Der West­fä­li­sche Frie­den

To­le­ranz

Wis­sen­schaft

Ös­ter­reich

Im Nor­den

Aus­klang

Band III – Un­ter­gang des Rö­mi­schen Rei­ches Deut­scher Na­ti­on

Ein­lei­tung

Le­via­than

Der Fürs­ten­staat

Stän­de und Städ­te

Kampf ge­gen das Haus Ös­ter­reich

Bran­den­burg

Do­mi­ni­um ma­ris Bal­ti­ci

Der Rhein­bund

Lud­wig und Leo­pold

Lud­wigs ers­ter Raub­krieg

Der hol­län­di­sche Krieg

Geg­ner Frank­reichs

Un­garn und Tür­ken

Straß­burg

Um­schwung

Der spa­ni­sche Erb­fol­ge­krieg

Auf­schwung Russ­lands

Leib­niz

Athe­is­mus und Ma­chia­vel­lis­mus

Deis­mus

Die Ein­heit des Abend­lan­des

Frei­mau­rer

Or­tho­do­xie und Pie­tis­mus

Preu­ßen

Das Recht im ab­so­lu­tis­ti­schen Staat

Wirt­schaft

Fried­rich der Gro­ße

Die Krie­ge um Schle­si­en

Mon­tes­quieu und Eng­land

Wan­del der Spra­che

Die deut­schen Men­schen

Bau­ern­be­frei­ung

Sach­sen

Wien

Kir­che und Staat in Ös­ter­reich

Die Tei­lung Po­lens

Ös­ter­reich und Preu­ßen

Frei­heit

Pe­sta­loz­zi und Mö­ser

Die Zau­ber­flö­te

Kos­mo­po­li­tis­mus und Pa­trio­tis­mus

Un­ter­gang des Rei­ches

Der Macht­staat

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Band I – Römisches Reich Deutscher Nation

Einleitung

Das Rö­mi­sche Wel­treich liegt in Trüm­mern, aber es ist nicht tot. Es lebt ein ge­stei­ger­tes Le­ben, seit es nicht mehr Wirk­lich­keit ist; denn es ist Idee ge­wor­den. Ei­nem Lie­de gleicht es, das in das Ohr ei­nes Schla­fen­den dringt und ihm wun­der­ba­re Träu­me er­zeugt. Nichts, das man am Tage hört, tönt so laut, so hin­rei­ßend; er­in­nert man sich wa­chend sei­ner auch nicht deut­lich, so bleibt man doch sei­ner un­ver­gleich­li­chen Schön­heit be­wusst, die ewi­ge Sehn­sucht er­regt. Es hob das Herz wie ein Schlacht­ge­sang, strah­lend von Ma­je­stät und Tri­umph, es durch­bohr­te das Herz mit fei­er­li­cher Trau­er wie ein Cho­ral. Wel­t­herr­schaft und Chris­ten­tum wa­ren dar­in ver­schmol­zen, Im­pe­ri­um sine fine de­di – End­los dau­re das Reich, das ich gab. Die Ver­kün­di­gung Ju­pi­ters, des Va­ters der Göt­ter und Men­schen, durch die Vir­gil dem Rö­mer­reich un­end­li­che Dau­er ver­heißt, schlug in einen ge­wal­ti­gen Ak­kord zu­sam­men mit den Wor­ten des Herrn, auf wel­che die Kir­che ih­ren An­spruch auf Un­ver­gäng­lich­keit grün­det: Tu es Pe­trus – Du bist Pe­trus, und auf die­sen Fel­sen will ich bau­en mei­ne Ge­mein­de, und die Pfor­ten der Höl­le sol­len sie nicht über­wäl­ti­gen. Göt­ter­wor­te üb­ten bin­den­den Zau­ber, beug­ten die sieg­rei­chen Söh­ne Ger­ma­ni­ens un­ter Rom in Trüm­mern.

Man­che von den Ger­ma­nen hat­ten Rom ge­dient, man­che hat­ten sich ihm un­ter­wor­fen, an­de­re es be­kämpft, es be­siegt, alle glaub­ten an das Rö­mi­sche Reich. Es war eine von Gott er­rich­te­te Ord­nung, von Gott da­durch be­glau­bigt, dass er in­ner­halb die­ses Rei­ches Fleisch ge­wor­den war, au­ßer­halb des­sen das Cha­os der Hei­den­welt bran­de­te, und Rom war sein Haupt. Ro­ma sanc­ta, Roma ae­ter­na. Es war der Sitz der Cäsa­ren ge­we­sen, es war jetzt der Sitz der Päps­te, es konn­te ver­fal­len und ver­öden, es blieb der ma­gi­sche Punkt, durch den die Erde mit den Göt­tern ver­bun­den war. Die Ger­ma­nen wa­ren reich an Ge­gen­wart und Zu­kunft, aber Rom, wenn es auch da­nie­der­lag, be­saß einen Schatz über alle Schät­ze, es be­saß ge­form­te Ver­gan­gen­heit. Alte Kul­tur ist Schwer­kraft, die den Men­schen un­wi­der­steh­lich an­zieht; je nä­her er der Na­tur steht, de­sto wil­li­ger beugt er sich ih­rem ver­gilb­ten Glan­ze. Ver­schie­de­ne ger­ma­ni­sche Völ­ker grün­de­ten Rei­che, die über­ra­schend auf­blüh­ten, ei­ni­ge ver­gin­gen so rasch, wie sie ent­stan­den wa­ren, alle glaub­ten ohne Wur­zel im Zu­fäl­li­gen der ei­ge­nen Kraft zu schwe­ben, bis sie un­ver­gäng­lich gött­li­chen Rechts­grund im Rö­mi­schen Wel­treich fan­den.

Bonifatius

Sel­ten ist es den Men­schen ver­gönnt, aus ei­ge­nem Geis­te eine Tat von dau­ern­der Be­deu­tung zu tun; ein dazu Au­ser­wähl­ter war Win­fried Bo­ni­fa­ti­us, der die Kir­che des Fran­ken­rei­ches dem Papst un­ter­warf. Wie viel Um­wäl­zen­des die Jahr­hun­der­te den bri­ti­schen In­seln ge­bracht ha­ben, der An­gel­sach­se des 8.Jahr­hun­derts war dem Eng­län­der der neu­en Zeit ähn­lich: tat­kräf­tig, sach­lich, streng kirch­lich, ohne fromm zu sein, groß­ar­tig in sei­nen Ent­wür­fen, im Or­ga­ni­sie­ren, so­dass man den jun­gen Mönch des Klos­ters Nutscel­le gern zu di­plo­ma­ti­schen Ge­schäf­ten ver­wen­de­te. Es wür­de ihm an Ehren und Ein­fluss in der Hei­mat nicht ge­fehlt ha­ben; aber ihn be­weg­ten grö­ße­re Ge­dan­ken. Er ging aus von dem Wun­sche, die Frie­sen zu be­keh­ren, nichts Fern­lie­gen­des für ihn, denn von den Iren und An­gel­sach­sen war größ­ten­teils die Mis­si­on un­ter den ger­ma­ni­schen Stäm­men des Fest­lan­des aus­ge­führt wor­den. Die kel­ti­schen Iro­schot­ten, die Urein­woh­ner der In­seln, ge­hör­ten der al­ten bri­ti­schen Mönchs­kir­che an, die den Ver­fall des Rö­mi­schen Rei­ches über­dau­ert hat­te, die An­gel­sach­sen der von Papst Gre­gor I. ge­pflanz­ten bi­schöf­li­chen Kir­che. In der bri­ti­schen Mönchs­kir­che be­stan­den al­ler­lei von der Papst­kir­che ab­wei­chen­de Ge­bräu­che, wie dass die Ehe­lo­sig­keit der Geist­li­chen bei ih­nen kein Ge­bot war, haupt­säch­lich aber wa­ren sie, wenn sie auch mit dem rö­mi­schen Papst in Be­zie­hung stan­den, doch un­ab­hän­gig von ihm, in­dem der Be­griff der Fort­pflan­zung der gött­li­chen Pries­ter­wei­he durch den rö­mi­schen Bi­schof bei ih­nen nicht galt. Die Ge­ring­schät­zung, mit wel­cher die An­gel­sach­sen auf die Mönchs­kir­che her­ab­sa­hen, hat­te ver­mut­lich ih­ren Grund mehr dar­in, dass sie über­haupt die un­ter­wor­fe­ne Ras­se ver­ach­te­ten, als in den Ei­gen­hei­ten ih­rer Ver­fas­sung. Man­gel an Bil­dung konn­te man den Iro­schot­ten kaum vor­wer­fen, die so­gar Grie­chisch ver­stan­den und lehr­ten; es war wohl mehr et­was Re­gel­lo­ses, Schwei­fen­des, Fan­tas­ti­sches in ih­rem We­sen, was die An­gel­sach­sen ab­stieß. Der säch­si­sche Stolz war bei den An­gel­sach­sen noch ge­stei­gert; Win­fried war von vor­neh­mer Ab­kunft, dazu per­sön­lich durch das Macht­ge­fühl ei­nes über­ra­gen­den Geis­tes und un­beug­sa­men Cha­rak­ters ge­ho­ben. Die Be­keh­rung der Frie­sen war eine Auf­ga­be der Zeit, zu­erst vom Erz­bi­schof von York ver­sucht, der bei ei­ner Rom­rei­se an die frie­si­sche Küs­te ver­schla­gen war, wäh­rend der Fran­ken­herr­scher Pi­pin von He­ris­tall und des­sen Sohn Karl sie mit dem Schwert zu un­ter­wer­fen trach­te­ten. Der krie­ge­ri­sche An­griff ver­dop­pel­te die Wi­der­spens­tig­keit der Frie­sen ge­gen die Glau­bens­bo­ten; denn der neue Gott stell­te sich of­fen­sicht­lich dar als der Gott von Fein­den, die ih­rer Frei­heit nach­stell­ten. Ein Sieg Pi­pins hat­te zu­nächst Er­folg: der Frie­sen­häupt­ling muss­te einen Teil sei­nes Lan­des ab­tre­ten und eine Toch­ter ei­nem Soh­ne Pi­pins, Grim­sald, zur Frau ge­ben. Der an­gel­säch­si­sche Mis­sio­nar Wil­li­brord war Pi­pin als Ge­hil­fe will­kom­men, er grün­de­te das Klos­ter Ech­ter­nach, stell­te sich dem rö­mi­schen Papst vor und wur­de von die­sem zum Erz­bi­schof von Ut­recht ge­weiht, dem­sel­ben Ort, wo Rad­bod, der Frie­sen­häupt­ling, sei­nen Sitz hat­te. Die­ser ra­sche Er­folg war nicht von Dau­er: Grim­sald wur­de auf der Rei­se zu sei­nem er­krank­ten Va­ter in der Kir­che von Lüt­tich von ei­nem Frie­sen er­mor­det, der, wie man glaub­te, ein Be­auf­trag­ter Rad­bo­ds war. Als bald dar­auf Pi­pin starb, fiel das er­ober­te Ge­biet ab. So war die Lage, als Win­fried, etwa fünf­und­drei­ßig Jah­re alt, sich dem ver­schüt­te­ten Werk zu wei­hen be­schloss. Er fuhr nach Fries­land hin­über und hat­te eine Un­ter­re­dung mit Rad­bod; da­bei muss er den Ein­druck un­über­wind­li­chen Wi­der­stan­des emp­fan­gen ha­ben, denn er kehr­te bald in sein Klos­ter zu­rück, nicht um sei­nen Plan auf­zu­ge­ben, son­dern um ihn an­ders an­zu­pa­cken. Win­fried war nicht ein Glau­bens­bo­te, wie Co­lum­ban, Gal­lus, Pir­min ge­we­sen wa­ren, die das Feu­er ih­res Glau­bens auf die Hei­den zu über­tra­gen wuss­ten, die Mensch und Tier durch die frem­de Rede be­zau­ber­ten, auch mit der Faust drein­schlu­gen, wenn das Wort nicht ver­fing; Win­fried war ein Ari­sto­krat, dem es mehr auf Kul­tur als Re­li­gi­on an­kam, den das Un­ge­ord­ne­te mehr be­lei­dig­te als das Un­christ­li­che. Als ein rech­ter Eng­län­der sah er die Re­li­gi­on als Teil der staat­li­chen Ord­nung an und be­schloss, sein Be­keh­rungs­werk nicht als ein Aben­teu­rer gleich­sam von un­ten aus im Her­zen des Vol­kes, son­dern von oben und au­ßen her, als Or­ga­ni­sa­ti­on an die Hand zu neh­men, aus­ge­hend von der Spit­ze der Kir­che, dem rö­mi­schen Papst. Nach­dem er die eben er­hal­te­ne Abts­wür­de nie­der­ge­legt hat­te, ging er nach Rom, um sich vom Papst die Voll­macht zur Mis­si­ons­pre­digt zu ho­len. Auch die Rom­rei­se war et­was Zeit­ge­mä­ßes, sie wur­de von den bri­ti­schen In­seln aus mit Vor­lie­be un­ter­nom­men. Geist­li­che und welt­li­che Per­so­nen, männ­li­che und weib­li­che folg­ten dem Zuge nach der Haupt­stadt der Welt, nach dem hei­li­gen Son­nen­lan­de. Dort war, wie in un­se­ren Ta­gen, eine Ko­lo­nie von Frem­den, dort mach­te man in­ter­essan­te Be­kannt­schaf­ten, dort trank man, ge­löst vom All­tag, aus ei­nem Le­bens­stro­me, der über fa­bel­haf­ten Rui­nen vol­ler als an­ders­wo rausch­te. Die vier Päps­te, die Bo­ni­fa­ti­us er­leb­te, Gre­gor II., Gre­gor III., Za­cha­ri­as und Ste­phan III., wa­ren ihm ge­gen­über die Läs­si­ge­ren, wenn sie auch auf sei­nen Plan, die frän­ki­sche Kir­chen­hier­ar­chie auf­zu­bau­en, wil­lig ein­gin­gen. Als Haupt der Chris­ten­heit sich füh­lend, moch­ten sie den­ken, die Bar­ba­ren­rei­che wür­den ih­nen oh­ne­hin ein­mal als zei­ti­ge Frucht in den Schoß fal­len, zum Teil wa­ren sie mit­tel­mä­ßi­ge Leu­te, die nicht den im­mer­tä­ti­gen Geist des großen An­gel­sach­sen hat­ten. Die Ei­gen­schaf­ten und Zu­stän­de des Nor­dens wa­ren ih­nen we­nig be­kannt, die Schär­fe der Ab­nei­gung Win­frieds ge­gen die iri­schen Mön­che und ihre Mis­si­on, ge­gen die ver­welt­lich­ten frän­ki­schen Bi­schö­fe fühl­ten sie nicht mit. An­de­rer­seits wa­ren sie ge­wöhnt, von den ger­ma­ni­schen Chris­ten als Schieds­rich­ter und Wis­sen­de in un­zäh­li­gen Fra­gen des Staa­tes, der Kir­che, der Sit­te an­ge­ru­fen zu wer­den. Sie wa­ren die In­ha­ber der Tra­di­ti­on, von ih­nen glaub­te man er­fah­ren zu kön­nen, was gül­tig war. Nach­dem Win­fried dem Papst Gre­gor II. förm­lich ge­hul­digt und von ihm einen Ko­dex des ka­no­ni­schen Rech­tes emp­fan­gen hat­te, un­ter­warf sich der stol­ze Sach­se dem Ur­teil des rö­mi­schen Bi­schofs mit er­staun­li­cher Selb­st­über­win­dung. In den meis­ten Fäl­len wa­ren die Ent­schei­dun­gen der Päps­te so ver­stän­dig, dass sie ohne wei­te­res ein­leuch­te­ten; aber in dem ka­no­ni­schen Ge­setz zum Bei­spiel, wo­nach geist­li­che Ver­wandt­schaft, näm­lich die Pa­ten­schaft bei dem­sel­ben Kin­de, ein Ehe­hin­der­nis bil­det, konn­te er, ob­wohl er sich Mühe gab, be­greif­li­cher­wei­se kei­nen Sinn fin­den. Wie soll­te er de­nen, die un­ter die­ser Be­stim­mung zu lei­den hat­ten, den Grund ih­res Lei­dens be­greif­lich ma­chen? Da der Papst dar­auf be­stand, schluck­te er den Bis­sen ohne Sinn hin­un­ter. Wenn es sei­nen Be­griff von Re­li­gi­on an­ging, wenn er sah, wie in Rom heid­nischer Aber­glau­be un­ge­rügt sein We­sen trieb, konn­te er aber auch die Un­ter­wür­fig­keit ab­wer­fen und den Papst we­gen sei­ner un­zei­ti­gen Duld­sam­keit ab­kan­zeln, wie wenn er der Herr wäre. Aus­ge­stat­tet mit der Voll­macht des Paps­tes hat der Apos­tel in Thü­rin­gen und Hes­sen das heid­nische Volk be­kehrt, Klös­ter ge­grün­det und mäch­tig die hei­li­gen Ei­chen vor den ent­setz­ten Au­gen ih­rer Ver­eh­rer ge­fällt; aber die Or­ga­ni­sa­ti­on und die Be­leh­rung der Ge­bil­de­ten la­gen ihm mehr. Für die­se hat­te sei­ne Er­schei­nung et­was Blen­den­des, na­ment­lich für die ge­bil­de­te oder nach Bil­dung stre­ben­de Ju­gend. Als er auf sei­nen Rei­sen im Non­nen­klos­ter Pfal­zel bei Tri­er ein­kehr­te, des­sen Äb­tis­sin eine En­ke­lin des Mero­win­ger­kö­nigs Da­go­bert II. war, be­stand ihr fünf­zehn­jäh­ri­ger En­kel Gre­gor dar­auf, dem Frem­den zu fol­gen; eben­so schloss sich ihm der jun­ge Bayer Sturm an. Die Ju­gend wuss­te sich nichts Schö­ne­res, als die­sem Man­ne, der un­ent­wegt ein ho­hes Ziel ver­folg­te, der al­les Nied­ri­ge ver­ab­scheu­te, und der durch Nied­ri­ges un­be­rühr­bar zu sein schi­en, zu die­nen. Am liebs­ten wa­ren ihm als Mit­ar­bei­ter sei­ne Lands­leu­te, die auf sei­nen Wink be­geis­tert aus den an­gel­säch­si­schen Klös­tern her­bei­ström­ten. Un­ter ih­nen war eine Ver­wand­te, Lio­ba, de­ren Mut­ter, wäh­rend sie schwan­ger war, ge­träumt hat­te, sie tra­ge eine Glo­cke un­ter dem Her­zen, die zu läu­ten be­gin­ne. Da sie klug und be­gabt war, sich lie­ber mit Le­sen, Schrei­ben und Dich­ten als mit Hand­ar­beit be­schäf­tig­te, übergab man sie ei­nem Klos­ter; Bo­ni­fa­ti­us mach­te sie zur Äb­tis­sin des Klos­ters Tau­ber­bi­schofs­heim. Man lieb­te sie we­gen ih­rer zar­ten Lieb­lich­keit; doch ging sie fes­ten Schrit­tes ih­ren ein­sa­men Weg. Sei­nen Jün­gern ge­gen­über war Win­fried ein gü­ti­ger, wenn auch viel for­dern­der Herr, ge­gen die, wel­che sich ihm nicht un­ter­war­fen oder die er als schäd­lich an­sah, war er ein un­nach­gie­bi­ger Ver­fol­ger. Er hass­te die ho­hen Geist­li­chen, die, wie das bei den Fran­ken nicht sel­ten war, ein welt­li­ches Le­ben führ­ten, und die­je­ni­gen, die den rö­mi­schen Ka­non ver­war­fen oder ir­gend­wie von ihm ab­wi­chen. Was für Kämp­fe und Rän­ke statt­fan­den, ist uns nicht im ein­zel­nen über­lie­fert; aber ge­wiss ist, dass sei­ne Be­stre­bun­gen auf man­cher­lei Wi­der­stand stie­ßen. Es war leich­ter, in den noch heid­nischen Ge­gen­den Klös­ter zu grün­den, dort ge­eig­ne­te Vor­ste­her ein­zu­set­zen, Kir­chen zu bau­en, als da, wo sich schon ei­gen­ar­ti­ges Le­ben in Kir­chen und Klös­tern ent­fal­tet hat­te, dies in eine ein­heit­li­che Ord­nung ein­zu­bin­den. Ge­wald, Erz­bi­schof von Mainz, hat­te Karl­mann, den Bru­der Pi­pins, der mit die­sem ge­mein­schaft­lich re­gier­te, in den Sach­sen­krieg be­glei­tet und war ge­fal­len. Des­sen Sohn Ge­wi­lieb, beim Tode des Va­ters Laie, emp­fing rasch die Wei­hen, um sein Nach­fol­ger wer­den zu kön­nen; sein Le­ben än­der­te er des­we­gen nicht. Der neu aus­bre­chen­de Krieg gab ihm Ge­le­gen­heit, sei­nen Va­ter zu rä­chen: er for­der­te den Sach­sen, der Ge­wald ge­tö­tet hat­te, zu ei­ner Un­ter­re­dung auf, und als der Ge­ru­fe­ne er­schi­en, brach­te er ihn um. Win­fried fand, dass Krieg und Mord kein Ge­schäft für christ­li­che Bi­schö­fe sei; aber die frän­ki­schen Bi­schö­fe wa­ren ge­wohnt, ihre Wür­de als ein kö­nig­li­ches Amt zu be­trach­ten, des­sen kirch­li­che Sei­te nur die zu­fäl­lig From­men pfleg­ten. Schließ­lich setz­te Win­frieds Ei­fer durch, dass Ge­wi­lieb auf ei­ner Synode ab­ge­setzt wur­de; be­straft wur­de er nicht, son­dern setz­te sein welt­lich präch­ti­ges Le­ben auf sei­nen Gü­tern fort. Auch die Geg­ner der Leh­re und der Or­ga­ni­sa­ti­on warf Bo­ni­fa­ti­us nach lan­gen Kämp­fen mit Här­te nie­der, nur mä­ßig un­ter­stützt vom Papst und von den frän­ki­schen Herr­schern.

Karl Mar­tells Groß­tat, die Zu­rück­wer­fung der Sa­ra­ze­nen nach Spa­ni­en, mach­te ihn zum Hel­den des ger­ma­nisch-ro­ma­ni­schen Abend­lan­des, die Kir­che be­trach­te­te ihn, der ge­walt­tä­tig mit dem Kir­chen­gut ge­schal­tet hat­te, um sei­ne Ge­folgs­leu­te be­loh­nen zu kön­nen, mit scheu­er Ab­nei­gung. Win­fried ließ sich einen Schutz­brief von ihm aus­stel­len, da er ein­sah, dass sich ein sol­cher in strah­len­den Ta­ten aus­ge­präg­ter Ruhm nicht über­se­hen ließ und dass es klü­ger sei, ihn zur Be­fes­ti­gung der ei­ge­nen Stel­lung zu be­nüt­zen; aber die bei­den Gro­ßen wa­ren zu an­ders ge­ar­tet und hat­ten zu ver­schie­de­ne Wege vor­ge­schaut, als dass sie sich freund­schaft­lich hät­ten be­rüh­ren kön­nen. Wenn Win­fried den Hof mied, tat er es si­cher nicht, um den Ver­füh­run­gen aus­zu­wei­chen, die für ihn kei­ne wa­ren, son­dern um als ein Herr nicht dem Herr­scher be­geg­nen zu müs­sen, der sich als den Hö­he­ren be­trach­tet hät­te, und der si­cher der Mäch­ti­ge­re war. Als lan­ge nach Win­frieds Tode sei­ne Freun­din Lio­ba ei­ner drin­gen­den Ein­la­dung der Kai­se­rin Hil­de­gard folg­te, bat die Äb­tis­sin ihre freund­li­che Gast­ge­be­rin, in­dem sie sie un­ter Trä­nen um­arm­te, sie so­fort wie­der zu ent­las­sen; so sehr wirk­te Win­frieds Ver­hält­nis zu den frän­ki­schen Herr­schern im Her­zen der ihm Er­ge­be­nen nach. Aus­schal­ten ließ sich die Mit­wir­kung der Herr­scher bei den kirch­li­chen Din­gen nicht, sie be­rie­fen die ers­ten großen Synoden, die auf An­re­gung des Bo­ni­fa­ti­us statt­fan­den. Als auf ei­ner Synode des Jah­res 747 die an­we­sen­den Bi­schö­fe und Geist­li­chen die Me­tro­po­li­tan­ver­fas­sung an­nah­men, eine Ur­kun­de über den or­tho­do­xen Glau­ben aus­stell­ten und sie dem Papst über­sand­ten, konn­te er sein Ziel als er­reicht be­trach­ten. Die Ein­heit der Kir­che im Auf­bau und im Glau­ben un­ter dem Papst war her­ge­stellt.

Trotz­dem war der stol­ze Mann nicht be­frie­digt. Tie­fe Trau­rig­keit las­te­te oft auf ihm wie ein kör­per­li­cher Schat­ten. Er fühl­te sich im Be­zirk sei­ner Wirk­sam­keit in der Frem­de, an­ge­fein­det, nicht rich­tig ge­wer­tet. Sein Wunsch, das Erz­bis­tum Köln zu er­lan­gen, wo er den Frie­sen nahe ge­we­sen wäre, wur­de ihm nicht er­füllt, weil die dor­ti­ge hohe Geist­lich­keit ihn ab­lehn­te, an­statt des­sen be­kam er Mainz, das er nicht ge­wollt hat­te. Mehr hing sein Herz an dem Klos­ter Ful­da, das er selbst ge­grün­det und dem Papst un­mit­tel­bar un­ter­stellt hat­te, wo­mit jede Mög­lich­keit kö­nig­li­cher Ein­grif­fe aus­ge­schal­tet war. In die­ser An­stalt soll­te die stren­ge Re­gel des hei­li­gen Be­ne­dikt herr­schen, nach wel­cher das Klos­ter einen selbst­stän­di­gen Wirt­schafts­be­zirk zu bil­den hat­te, wo alle er­for­der­li­che Ar­beit von den Klos­ter­brü­dern selbst, ohne Hil­fe die­nen­der Lai­en ge­leis­tet wür­de. Der Ort, wo spä­ter das Klos­ter Hers­feld ent­stand, den Win­frieds Schü­ler Sturm zu­erst aus­ge­wählt hat­te, er­schi­en un­ge­eig­net, weil zu nah am heid­nischen Ge­biet ge­le­gen; so wan­der­te der Ab­ge­sand­te wei­ter durch som­mer­li­che Bu­chen­wäl­der, bis ihn ei­nes Ta­ges ein Tal von be­son­de­rer Lieb­lich­keit fes­sel­te. Da war der Bo­den wie eine Wie­ge ge­stal­tet, die den Men­schen he­gend um­fas­sen will, und Hü­gel und sanf­te Berg­kup­pen zo­gen einen schüt­zen­den Ring dar­um; da führ­te ein ge­sel­li­ger Fluss das kla­re Was­ser her­bei, das fast wie die Luft zur Er­hal­tung des Le­bens not­wen­dig ist, da gab es au­ßer dem Holz der Wäl­der Ba­salt und Sand­stein als Ma­te­ri­al zum Bau des Got­tes­hau­ses. Nach­dem Karl­mann, da­mals noch Re­gent in Ober­hes­sen, das ge­wünsch­te Ge­biet ge­schenkt hat­te, wur­de die Er­rich­tung des Klos­ters in An­griff ge­nom­men. Von ei­nem Hü­gel her­ab sah Win­fried, al­ternd und zu­wei­len der un­be­que­men Rei­sen, der bit­te­ren Kämp­fe und der ei­ge­nen Lei­den­schaf­ten müde ge­wor­den, den em­si­gen Män­nern zu und dem Er­wach­sen des klei­nen Rei­ches, wo er für eine Zeit lang we­nigs­tens Zuf­lucht und Hei­mat und bald viel­leicht die ewi­ge Ruhe fin­den wür­de. Von der al­ten Kir­che und dem al­ten Klos­ter, die sei­ne Au­gen sa­hen, ist nichts üb­rig­ge­blie­ben, das fest­li­che Ba­rock des heu­ti­gen Doms ist un­end­lich fern von dem erns­ten, glü­hen­den, welt­über­win­den­den Geist der Stif­ter des ers­ten. Ein­zig die ka­ro­lin­gi­sche Rotun­de der Mi­chae­lis­kir­che, ein­sa­mer Fremd­ling, der in un­ver­ständ­li­cher Zun­ge re­det, hat eine Spur da­von er­hal­ten.

Als Win­fried etwa sieb­zig Jah­re alt war, kör­per­lich sehr hin­fäl­lig, mit schnee­weißem Haa­re, so schil­dert ihn ei­ner, der ihn da­mals sah, er­griff ihn wie­der der Wunsch sei­ner Ju­gend, den Frie­sen das Wort Got­tes zu pre­di­gen. Er hat­te da­mals den Plan zu­guns­ten ei­nes an­de­ren auf­ge­ge­ben, aber es scheint, dass er ihn nie aus den Au­gen ver­lo­ren hat­te. Vi­el­leicht be­trach­te­te er die Frie­sen als einen be­son­ders nah­ver­wand­ten Stamm und ihr Land als sei­nem Vol­ke be­son­ders zu­ge­hö­rig; denn von dort sol­len die An­gel­sach­sen aus­ge­zo­gen sein, um Bri­tan­ni­en zu er­obern, wor­auf die Frie­sen in das ver­las­se­ne Ge­biet ein­dran­gen. Da­mals hat­te er eben das Man­nes­al­ter er­reicht, und sein Werk lag vor ihm, er woll­te das Le­ben er­hal­ten, das sei­nem Wer­ke ge­weiht war; jetzt war es an­ders. Sein Werk war ge­tan und soll­te ge­krönt wer­den durch den Mär­ty­rer­tod. Die, wel­che die Nach­fol­ge des Herrn ge­lobt hat­ten, sehn­ten sich da­nach, zu ster­ben wie er, gleich­sam mit ihm, wie Ge­folgs­leu­te mit ih­rem Her­zog. Trotz­dem zog er nicht aus wie ein ein­fa­cher Glau­bens­bo­te, der mit kei­nem an­de­ren Schild als sei­nem Glau­ben sich in den Ra­chen der Höl­le wagt; son­dern er reis­te als der Kir­chen­fürst, der Le­gat des Paps­tes, um­ge­ben von ei­nem zahl­rei­chen be­waff­ne­ten Ge­fol­ge, mit al­ler­lei Rei­se­ge­päck, auch Bü­chern, als der höchs­te Geist­li­che Ger­ma­ni­ens, der sich ei­ner ent­fern­ten, noch un­si­che­ren Ge­mein­de zei­gen will. Zu­gleich aber, ent­spre­chend der zwie­fa­chen Rich­tung sei­nes Geis­tes, schick­te er sich an wie zum ge­wis­sen Tode, als wis­se er, dass der Tod seit dem An­fang sei­nes Le­bens dort an der frie­si­schen Küs­te stän­de und ihn er­war­te­te. Be­vor er ab­reis­te, nahm er in Mainz Ab­schied von sei­nen Ge­treu­en und ließ auch Lio­ba kom­men, um sie noch ein­mal zu se­hen und sei­nen Freun­den zu emp­feh­len. Er traf die Be­stim­mung, dass er in Ful­da be­stat­tet sein wol­le, und dass, wenn Lio­ba einst ge­stor­ben sein wür­de, ihr Leich­nam zu dem sei­ni­gen in sei­nen Sarg ge­legt wer­de. Die er im Le­ben sich fern­ge­hal­ten hat­te, ge­treu dem stren­gen Ge­bot, dem er sich un­ter­stellt hat­te, riss er im Tode an sich, in sei­nem her­ri­schen Sinn si­cher, dass sie so oder so die Sei­ne war, ihm fol­gend in der Ent­sa­gung, ihm fol­gend im bes­ten eins wer­den der Lie­be. Dies Her­vorflam­men ei­ner ein Le­ben lang zu­rück­ge­hal­te­nen Lei­den­schaft moch­te für die Jün­ger des al­ten Man­nes et­was Er­schre­cken­des ha­ben; sie schwie­gen, aber sie ge­trau­ten sich nicht, als Lio­ba ge­stor­ben war, sei­nen Be­fehl aus­zu­füh­ren. Je­doch hiel­ten sie die zar­te Freun­din des Hei­li­gen so hoch, dass ihr als der ein­zi­gen Frau ge­stat­tet wur­de, im Klos­ter Ful­da als Gast emp­fan­gen zu wer­den. Sie wur­de auf dem Pe­ters­ber­ge bei­ge­setzt; wäh­rend Win­frieds Lei­che, wie un­gern auch Mainz auf die Über­res­te sei­nes großen Erz­bi­schofs ver­zich­te­te, sei­nem Wil­len ent­spre­chend nach Ful­da über­führt und in der Kir­che des Klos­ters be­stat­tet wur­de. Die Biblio­thek be­wahrt das aus dem Dom­schatz über­nom­me­ne Buch auf, mit dem Bo­ni­fa­ti­us in un­will­kür­li­cher Be­we­gung wie mit ei­nem Schild den Streich des Mör­ders ab­zu­weh­ren such­te, und das die Spu­ren des ihm gel­ten­den Schwert­hie­bes trägt.

Denn der Erz­bi­schof fand mit 52 Beglei­tern den er­sehn­ten Tod; es war, als wenn der Him­mel, der dem ord­nen­den Herr­scher bei­ge­stan­den hat­te, auch sei­nen Op­fer­mut be­stä­ti­gen woll­te. Die Son­ne ei­nes hei­te­ren Som­mer­mor­gens war eben auf­ge­gan­gen, und Bo­ni­fa­ti­us er­war­te­te bei sei­nen Zel­ten frie­si­sche Chris­ten zur Fir­mung, als eine Schar frie­si­scher Män­ner die Frem­den über­fiel, wahr­schein­lich mehr von Rau­blust als von Glau­bens­hass an­ge­trie­ben. Eine Frau be­rich­te­te spä­ter, dass sie ge­se­hen habe, wie der Erz­bi­schof, den Arm mit dem Buch er­ho­ben, den To­dess­treich emp­fing.

Die ersten Karolinger und die Päpste

Bei der Be­kämp­fung der Ara­ber hat­te Karl Mar­tell die Lan­go­bar­den zu Bun­des­ge­nos­sen. Die gu­ten Be­zie­hun­gen zu die­sem ger­ma­ni­schen Vol­ke zu pfle­gen war na­tür­lich, und Karl hielt an der lan­go­bar­den­freund­li­chen Po­li­tik auch dann fest, als sich ihm Ge­le­gen­heit bot, eine ent­ge­gen­ge­setz­te zu ver­fol­gen. Es ge­sch­ah näm­lich, dass der Lan­go­bar­den­kö­nig Ai­stulf den großen Ge­dan­ken fass­te, sei­ne Herr­schaft über ganz Ita­li­en aus­zu­brei­ten, von dem au­ßer Rom nur ein Zip­fel im Sü­den und Ve­ne­dig im Nord­os­ten mehr dem Na­men nach als tat­säch­lich noch zum Ost­rö­mi­schen Reich ge­hör­ten. Er er­ober­te Ra­ven­na und mach­te sich da­durch den rö­mi­schen Papst zum Fein­de, der sich als Herr Roms und als sol­cher, wenn er es auch nicht aus­sprach, als Herr Ita­li­ens fühl­te. Nach­dem die letz­ten Kai­ser Rom auf­ge­ge­ben hat­ten, über­nah­men die Bi­schö­fe von Rom den Schutz der Ewi­gen Stadt, und ihre kirch­li­che Stel­lung, ihr sitt­li­ches Über­ge­wicht wuch­sen un­merk­lich mit der See­le der Wel­t­herr­sche­rin zu­sam­men. Nicht alle Päps­te wa­ren sich des­sen be­wusst, und nicht alle konn­ten den An­spruch, den das Be­wusst­sein ver­lieh, ver­tre­ten; aber es war eine Tat­sa­che, die sich im­mer gel­tend mach­te: weil sie Rom in­ne­hat­ten, muss­ten sie Nach­fol­ger der rö­mi­schen Cäsa­ren sein, weil sie das Haupt der Kir­che wa­ren, die die Welt um­fas­sen soll­te, muss­ten sie das Reich bis zu den Gren­zen der be­wohn­ten Erde aus­zu­deh­nen su­chen; aus ei­nem zwie­fa­chen Grun­de muss­ten sie sich zu Her­ren der Welt be­stimmt glau­ben. Ein un­ge­heu­res Herr­scher­be­wusst­sein war die Schick­sals­ga­be von Män­nern, die als Kir­chen­häup­ter nicht nur kei­ne welt­li­che Macht be­sa­ßen, son­dern welt­li­che Macht ge­ring­schätz­ten, mit dem Wort al­lein Füh­rer der See­len sein soll­ten. Wenn der Kö­nig der Lan­go­bar­den Kö­nig von Ita­li­en wur­de, muss­te er Rom zu sei­ner Haupt­stadt ma­chen; muss­te das Haupt der Welt zum Haupt Ita­li­ens, der Papst in die Stel­lung ei­nes dem Kö­nig un­ter­ge­ord­ne­ten Bi­schofs her­ab­ge­drückt wer­den. Wie soll­te er sich der he­randrän­gen­den Ge­fahr er­weh­ren? Zwei christ­li­che Mäch­te ka­men in Be­tracht: der Kai­ser in By­zanz, der als Nach­fol­ger der rö­mi­schen Kai­ser An­sprü­che auf Ita­li­en hat­te, und der Kö­nig des frän­ki­schen Rei­ches. Zu der Zeit, als Gre­gor der Gro­ße zwi­schen den Schwer­tern der Lan­go­bar­den leb­te, wie er selbst sag­te, wur­de die Ober­herr­schaft des Kai­sers von By­zanz noch an­er­kannt, eine Lo­cke­rung trat durch einen Zwie­spalt in der Leh­re ein, in­dem in By­zanz der Bil­der­dienst ver­bo­ten wur­de, wäh­rend zwar Gre­gor die An­be­tung der Bil­der ver­warf, sie aber zur Be­leh­rung des Vol­kes be­hal­ten woll­te. Nicht nur die­ser Ge­gen­satz je­doch, son­dern ge­ra­de der zu Recht be­ste­hen­de Herr­schafts­an­spruch der ost­rö­mi­schen Kai­ser be­wog die Päps­te, den Schutz der Fran­ken vor­zu­zie­hen: sie schie­nen eher in der Lage, Rom zu hel­fen, aber we­ni­ger in der Lage, Rom zu be­herr­schen. Nicht zwar an die ohn­mäch­ti­gen Mero­win­ger, die die Kö­nigs­kro­ne tru­gen, wand­te sich Gre­gor III., son­dern an den mäch­ti­gen Haus­mei­er Karl Mar­tell mit der Bit­te, ihm Schutz ge­gen die Lan­go­bar­den zu ge­wäh­ren, wo­ge­gen er ihm ver­sprach, ihn zum rö­mi­schen Kon­sul zu ma­chen, eine Wür­de, mit der die Schutz­herr­schaft über Rom ver­bun­den war. Trotz der wie­der­hol­ten in­stän­di­gen Bit­ten Gre­gors zog Karl, wie es scheint ohne Be­sin­nen, das Bünd­nis mit den Lan­go­bar­den der Freund­schaft mit dem Papst vor, durch­aus ein Mann der Tat, der die na­he­lie­gen­den Auf­ga­ben kühn und groß­ar­tig voll­brach­te, den kei­ne in­ne­re Be­zie­hung mit der Kir­che ver­band. An­ders wa­ren sei­ne Söh­ne Pi­pin und Karl­mann; sie wa­ren von Kir­chen­män­nern er­zo­gen, und ihr In­ter­es­se um­spann­te wei­te­re Ge­bie­te. Bei­de wa­ren lie­bens­wür­di­ge und her­vor­ra­gen­de Per­sön­lich­kei­ten, Karl­mann leich­ter vom Ge­fühl hin­ge­ris­sen, Pi­pin be­son­ne­ner, tat­kräf­tig, groß­mü­tig, ein sym­pa­thi­scher Mensch und schöp­fe­ri­scher Staats­mann. Vor die­sel­be Fra­ge ge­stellt wie sein Va­ter, ent­schied er im ent­ge­gen­ge­setz­ten Sinn. Der ers­te Schritt zu ei­ner en­ge­ren Be­zie­hung zum Papst ging von ihm aus, in­dem er zwei Ge­sand­te, den Bi­schof Bern­hard von Würz­burg und den Abt Ful­rad von St. De­nys, nach Rom schick­te, da­mit ihn Papst Za­cha­ri­as, ein klu­ger Grie­che, zur Füh­rung des Kö­nigs­ti­tels be­rech­tigt er­klä­re. Man könn­te mei­nen, die förm­li­che Rich­tig­stel­lung ei­nes Ver­hält­nis­ses, das große Ta­ten be­grün­det hat­ten, hät­te kei­nes päpst­li­chen Gut­ach­tens be­durft; al­lein ab­ge­se­hen da­von, dass Pi­pin die Ei­fer­sucht, den Neid und die Treu­lo­sig­keit sei­ner Gro­ßen kann­te, liegt es im Men­schen, dass er das Be­dürf­nis hat, sich und sein Da­sein nicht nur auf die ei­ge­ne Kraft und Ge­walt, son­dern auf einen Rechts­grund zu stüt­zen und mit der Ver­gan­gen­heit zu ver­bin­den. Der Gläu­bi­ge wie der Ungläu­bi­ge, sie wol­len nicht nur be­sit­zen, son­dern mit Recht be­sit­zen, der Un­ter­lie­gen­de fühlt sich noch als Sie­ger, wenn er sich als Ver­tre­ter des Rech­tes, ei­ner hö­he­ren Ent­schei­dung in ei­ner an­de­ren Re­gi­on be­trach­ten kann. Ei­nen welt­li­chen Herrn konn­te Pi­pin als Schieds­rich­ter nicht gel­ten las­sen; aber das Ur­teil des rö­mi­schen Bi­schofs, des Haup­tes der christ­li­chen Kir­che wür­de all­ge­mein als Got­tes­ur­teil auf­ge­fasst wer­den. Doch wur­de die Ant­wort des Za­cha­ri­as, es sei bil­lig, dass der­je­ni­ge, der die Macht habe, auch den Kö­nigs­ti­tel füh­re, und Pi­pin sei des­halb als Kö­nig zu krö­nen, nur als ein für Pi­pins Ge­wis­sen wich­ti­ges Gut­ach­ten an­ge­se­hen und als eine Wei­sung an die frän­ki­sche Geist­lich­keit, die als Groß­grund­be­sit­zer von aus­schlag­ge­ben­der Be­deu­tung war; die Kö­nigs­wahl fand nach al­ter ger­ma­ni­scher Sit­te durch das Heer statt. Da­nach wur­de Pi­pin in Sois­sons von den Bi­schö­fen ge­salbt; man nimmt an, dass Bo­ni­fa­ti­us da­bei tä­tig war.

Papst Za­cha­ri­as stand in gu­ten Be­zie­hun­gen zu den Lan­go­bar­den; nach sei­nem Tode griff Ai­stulf den Plan der Erobe­rung Ita­li­ens wie­der auf und nahm Ra­ven­na ein. Papst Ste­phan II. wand­te sich zu­erst brief­lich an Pi­pin und trat dann die Rei­se über die Al­pen an, um als Schutz­fle­hen­der vor dem Kö­nig zu er­schei­nen, eine Rei­se, die dop­pelt schwie­rig war, weil sie durch das feind­li­che lan­go­bar­di­sche Ge­biet ging. Pi­pin war ent­schlos­sen, den ihm vom Papst ge­wie­se­nen Weg ein­zu­schla­gen; aber er stand da­mit ziem­lich al­lein. Un­ver­ges­sen war sei­nes Va­ters lan­go­bar­den­freund­li­che Po­li­tik, dar­an woll­ten nicht nur vie­le frän­ki­sche Gro­ße, son­dern auch Pi­pins Frau, die Kö­ni­gin Ber­tra­da, und sein Bru­der Karl­mann fest­hal­ten. Karl­mann hat­te die Re­gie­rung schon seit meh­re­ren Jah­ren nie­der­ge­legt, war nach Rom ge­gan­gen und Mönch ge­wor­den; man nimmt an, dass er im Klos­ter durch ein Mit­glied der kö­nig­li­chen Fa­mi­lie für die Lan­go­bar­den ge­won­nen war. Die Sa­che war ihm so wich­tig, dass er über die Al­pen ging, um Pi­pin per­sön­lich zu be­ein­flus­sen. Trotz so vie­ler und ge­wich­ti­ger Ge­gen­wir­kun­gen be­harr­te Pi­pin auf sei­nem Wil­len: er emp­fing Ste­phan eh­ren­voll, ließ sich, sei­ne Frau und sei­ne Söh­ne von ihm sal­ben und ver­sprach ihm Schutz nicht nur in sei­ner au­gen­blick­li­chen Not­la­ge, son­dern auch für künf­ti­ge Zei­ten. Ste­phan ver­lieh ihm den Ti­tel ei­nes Pa­tri­ci­us Ro­ma­norum, den der Kö­nig seit­dem führ­te. Auf sei­nem Wege nach Ita­li­en nahm Pi­pin sei­ne Frau und sei­nen Bru­der mit sich bis Vi­enne, wo er sie zu­rück­ließ, und wo Karl­mann im fol­gen­den Jah­re starb. Pi­pin be­la­ger­te Ai­stulf in sei­ner Haupt­stadt Pa­via und zwang ihn, auf Ra­ven­na und die so­ge­nann­te Pen­ta­po­lis, fünf Städ­te von Ri­mi­ni bis An­co­na, zu ver­zich­ten; als Ai­stulf bald dar­auf sei­nen An­griff auf das päpst­li­che Ge­biet er­neu­er­te, wie­der­hol­te er sei­nen Kriegs­zug mit Er­folg. Die Schlüs­sel der zu­rück­ero­ber­ten Städ­te, die den päpst­li­chen Du­kat aus­mach­ten, ließ Pi­pin am Gra­be des hei­li­gen Pe­trus nie­der­le­gen zu­gleich mit ei­ner Ur­kun­de, in wel­cher er sei­nem Ver­spre­chen ge­mäß die Schen­kung die­ses Ge­bie­tes an den Hei­li­gen Stuhl aus­sprach.

Dies be­deu­tungs­vol­le Er­eig­nis fand zu der Zeit statt, als Bo­ni­fa­ti­us starb. Pi­pin nahm den Fa­den auf, den der An­gel­sach­se an­ge­spon­nen hat­te, so­dass nun staat­lich und kirch­lich das frän­ki­sche Reich in eine enge Ver­bin­dung mit Rom ein­ge­tre­ten war. Man kann nicht um­hin, sich vor­zu­stel­len, dass es auch an­ders hät­te kom­men kön­nen, da ja die Ent­wick­lung, die tat­säch­lich sich voll­zog, durch­aus nicht all­ge­mein ge­for­dert wur­de, son­dern, so­weit sie per­sön­lich be­dingt war, haupt­säch­lich nur von zwei her­vor­ra­gen­den Män­nern ge­tra­gen wur­de. Wenn die Lan­go­bar­den Ita­li­en zu ei­nem Reich zu­sam­men­ge­fasst hät­ten, wie an­ders wäre das Schick­sal Deutsch­lands, das Schick­sal Ita­li­ens, das Schick­sal Eu­ro­pas ge­wor­den. Man könn­te sich den­ken, dass schon da­mals ein Gleich­ge­wicht na­tio­na­ler Staa­ten sich hät­te her­aus­bil­den kön­nen; man könn­te ge­neigt sein, die Nie­der­la­ge der Lan­go­bar­den, ei­nes so reich­be­gab­ten ed­len ger­ma­ni­schen Stam­mes zu be­kla­gen. Das Lied vom Rö­mi­schen Wel­treich er­tön­te lau­ter als die Stim­men der ein­zel­nen Völ­ker, es er­füll­te das Abend­land. Und lässt man die Er­eig­nis­se und Ge­stal­ten des Mit­tel­al­ters an sich vor­über­zie­hen, so zwei­felt man nicht, dass die tat­säch­li­che Ent­wick­lung die­je­ni­ge war, die der Mensch­heit ge­ra­de durch das tra­gi­sche Ver­hält­nis zwi­schen Papst und Kai­ser, durch den über­mensch­li­chen Um­riss ih­rer Zie­le den reichs­ten Ge­halt an großen Ide­en und vor­bild­li­chen Ge­stal­ten ge­ben konn­te.

Karl der Große

Nach Pi­pins Tode, der wie sein Va­ter jung starb, sieg­te noch ein­mal der po­li­ti­sche Ge­dan­ke des Karl Mar­tell, näm­lich der An­schluss an die Lan­go­bar­den. Ber­tra­da reis­te selbst nach Ita­li­en; und wenn sie auch Rom nicht mied, wo sie an den hei­li­gen Stät­ten be­te­te, so war doch ihr haupt­säch­li­cher Zweck, die Ver­mäh­lung ih­res äl­tes­ten Soh­nes mit ei­ner Toch­ter des Lan­go­bar­den­kö­nigs De­si­de­ri­us zu be­trei­ben, die auch wirk­lich voll­zo­gen wur­de. Das fes­tig­te zu­gleich die Ver­bin­dung mit Bay­ern, da Thas­si­lo, der Her­zog von Bay­ern, mit ei­ner Schwes­ter der jun­gen Frau ver­hei­ra­tet war. Papst Ste­phan äu­ßer­te sei­nen Zorn über die­se Wen­dung in ei­nem Schrei­ben, das bald zäh­ne­flet­schend grim­mig, bald ölig mil­de den bom­bas­ti­schen Stil trägt, der in der Kanz­lei der Ku­rie üb­lich wur­de. Er be­zeich­ne­te die Ver­bin­dung Karls mit ei­ner Lan­go­bar­din als aus ei­ner Ein­flüs­te­rung des Teu­fels ent­stan­den, von der Nie­der­tracht selbst aus­ge­heckt, die Lan­go­bar­den als ein stin­ken­des, aus­sät­zi­ges, treu­lo­ses Volk, ja über­haupt nicht ein­mal Volk. Wahn­sinn sei es, wenn der edle Kö­nig des ruhm­vollen Fran­ken­lan­des sich durch eine sol­che Ver­bin­dung be­fle­cke. Zum Schluss droh­te er, wenn die Hei­rat trotz sei­ner Ab­mah­nung zu­stan­de käme, dem Schul­di­gen mit dem Bann­fluch, durch den er mit­samt den üb­ri­gen Gott­lo­sen dem Teu­fel und dem ewi­gen Feu­er zum Ver­bren­nen über­ant­wor­tet wer­den wür­de. Vi­el­leicht war Karl von An­fang an ge­gen die ei­ge­ne Über­zeu­gung dem Wil­len der Mut­ter ge­folgt, viel­leicht be­sorg­te er, was auch wirk­lich ge­sch­ah, dass sich Papst und Lan­go­bar­den nun­mehr zu sei­nem Scha­den mit­ein­an­der ver­stän­di­gen wür­den: nach ein­jäh­ri­ger Ehe schick­te er dem De­si­de­ri­us sei­ne Toch­ter zu­rück, die ver­mut­lich kei­ne wär­me­re Nei­gung in ihm er­weckt hat­te. Aus die­ser schrof­fen Tat hät­ten be­denk­li­che Ver­wick­lun­gen in­ner­halb der Fa­mi­lie ent­ste­hen kön­nen, wenn nicht Karl­mann, der wie einst sein gleich­na­mi­ger Oheim zu Ber­tra­da hielt, plötz­lich ge­stor­ben wäre, etwa zu glei­cher Zeit auch Ste­phan. Sei­nem Nach­fol­ger Ha­dri­an I. wur­de das wi­der­na­tür­li­che Bünd­nis mit den Lan­go­bar­den, das Ste­phan aus Not und Trotz ein­ge­gan­gen war, sehr bald drückend, und er wand­te sich hil­fe­su­chend an Karl. Nun war der Au­gen­blick ge­kom­men, wo Karl das Pro­blem mit dem Schwer­te lö­sen konn­te; er führ­te ein Heer über die Al­pen, be­sieg­te und ent­thron­te De­si­de­ri­us und zwang ihn, in ein Klos­ter zu ge­hen. Karl trat als Kö­nig in die durch die Ab­set­zung des De­si­de­ri­us frei ge­wor­de­ne Stel­le ein, ohne üb­ri­gens in der Lage des Lan­go­bar­den­vol­kes et­was Nen­nens­wer­tes zu ver­än­dern, au­ßer dass er all­mäh­lich die Lan­go­bar­den, die ihm un­zu­ver­läs­sig er­schie­nen, auf ver­ant­wor­tungs­vol­len Pos­ten durch frän­ki­sche Gra­fen oder Her­zo­ge er­setz­te. Er war Nach­bar des Paps­tes in Ita­li­en ge­wor­den, nicht mehr nur der ent­fern­te Schutz­herr, der zu Hil­fe kam, wenn er ge­ru­fen wur­de, und nach ge­ta­ner Ar­beit sich wie­der zu­rück­zog.

Zu­nächst er­wuch­sen dar­aus kei­ne Schwie­rig­kei­ten. Der rö­mi­sche Stadt­a­del war eine Geg­ner­schaft des Paps­tes, die ihn im­mer noch des frän­ki­schen Schut­zes be­dürf­tig mach­te. Leo III., Ha­drians Nach­fol­ger, wur­de von sei­nen rö­mi­schen Fein­den so ver­folgt, dass er sich und sein Schick­sal Karl völ­lig über­ant­wor­te­te. Er such­te ihn in Pa­der­born auf, wo der Kö­nig Hof hielt. Karl lieb­te die­sen Ort am Fuße des Teu­to­bur­ger Wal­des, der ihm zu ei­ner Stät­te des Ruhms wie kaum ein an­de­rer wer­den soll­te; denn hier emp­fing nach drei­ßig­jäh­ri­gen er­bit­ter­ten Kämp­fen sein ge­fähr­lichs­ter, sein größ­ter Geg­ner, der Sach­se Wi­du­kind, die Tau­fe. Er moch­te Au­gen­bli­cke ha­ben, wo das Rau­schen des Eich­wal­des ihm wie ein Got­tes­wort des Frie­dens klang, das das ver­gos­se­ne Blut sühn­te. An Stel­le der Sal­va­tor­kir­che, die im Sach­sen­krie­ge zer­stört war, hat­te er nahe dem Quell der Pa­der einen Dom aus Stein er­rich­tet, der den Zeit­ge­nos­sen präch­tig er­schi­en; er wur­de 200 Jah­re spä­ter durch eine Feu­ers­brunst ver­nich­tet. Er war noch nicht vollen­det, als Papst Leo zum Ge­dächt­nis sei­ner An­we­sen­heit einen Al­tar dar­in weih­te. Was sich sonst an Häu­sern in Pa­der­born vor­fand, war ver­mut­lich aus Holz und ziem­lich dürf­tig; wenn aber der Ort dem Ita­lie­ner nicht son­der­lich im­po­nier­te, so tat es doch die Men­ge ge­rüs­te­ter Krie­ger, die ihn emp­fing, und vor al­lem der Kö­nig selbst im meer­grü­nen Man­tel mit dem edel­stein­ge­schmück­ten Schwert und dem Dia­dem, wie er sich an Fest­ta­gen trug. Trotz der An­kla­ge, die auf dem Papst las­te­te, wo­bei es sich haupt­säch­lich um Mein­eid und Ehe­bruch han­del­te, emp­fing ihn Karl mit al­len Ehren, um­arm­te und küss­te ihn, von vorn­her­ein ent­schlos­sen, ihn für un­schul­dig zu hal­ten. Man nimmt an, dass bei die­ser Be­geg­nung die Krö­nung des Kö­nigs zum rö­mi­schen Kai­ser be­re­det wur­de; sie war die Ge­gen­ga­be des Paps­tes für den Schutz, den Karl ihm ge­währ­te. Den­noch scheint es, dass der Kö­nig, als ihm Leo am Weih­nachts­ta­ge des Jah­res 800 in der Ba­si­li­ka des hei­li­gen Pe­trus die Kro­ne auf­setz­te, über­rascht war; er hat spä­ter ge­sagt, dass er nicht in die Kir­che ge­gan­gen sein wür­de, wenn ihm das Vor­ha­ben des Hei­li­gen Va­ters be­kannt ge­we­sen wäre. Die Grün­de da­für ken­nen wir nicht; es ist mög­lich, dass er fürch­te­te, sich durch die­sen Akt die Feind­schaft des ost­rö­mi­schen Kai­sers zu­zu­zie­hen, mög­lich auch, dass er vor­ge­zo­gen hät­te, sich selbst zu krö­nen, wie er denn vor sei­nem Tode sei­nem Sohn Lud­wig be­fahl, sich die Kro­ne aufs Haupt zu set­zen und sich Kai­ser und Au­gus­tus nen­nen zu las­sen. Die­sen Ti­tel führ­te er selbst seit der Krö­nung in Rom.

Die Über­tra­gung der Cäsa­ren­wür­de auf den Fran­ken­kö­nig war ein Er­eig­nis von un­ge­heu­rer, ein­schnei­den­der Be­deu­tung; aber da sie nicht ein neu­es Ver­hält­nis schuf, son­dern ei­ner all­mäh­lich vollen­de­ten Ent­wick­lung Aus­druck gab, emp­fand sie Karl wohl als et­was Selbst­ver­ständ­li­ches. Das Wel­treich be­stand, es war die Form, in der seit Jahr­hun­der­ten die Men­schen leb­ten. Durch die Ent­ste­hung des großen frän­ki­schen Rei­ches war By­zanz an den Rand ge­drängt, der mäch­ti­ge Ger­ma­nen­fürst als tra­gen­de Säu­le in die Mit­te des Wel­trei­ches ge­rückt. Von ihm strahl­te schaf­fen­de Kraft nach al­len Sei­ten aus; der Ti­tel ver­lieh ihm nichts, be­sie­gel­te nur das, was war. Die Mög­lich­keit künf­ti­ger Ver­wick­lun­gen und Ge­fah­ren, die aus der Be­zie­hung zum rö­mi­schen Papst ent­ste­hen konn­ten, wird ihn nicht ernst­lich be­un­ru­higt ha­ben; dazu leb­te er zu sehr in der Fül­le der Zeit.

Karl der Gro­ße war ei­ner der Be­ru­fe­nen, die das Zu­sam­men­ge­hö­ri­ge, aber Ve­rein­zel­te zu ei­nem le­ben­di­gen Gan­zen ord­nen, und die von den dank­ba­ren Völ­kern, de­ren Ge­schich­te sie be­grün­det ha­ben, wie Halb­göt­ter ver­ehrt wur­den. Sei­ne Vor­fah­ren hat­ten das große Werk vor­be­rei­tet, Thü­rin­gen, Schwa­ben, Bay­ern fand er be­reits mit den Fran­ken ver­ei­nigt, auch die Sach­sen und Frie­sen hat­te Pi­pin schon zu un­ter­wer­fen ver­sucht. Was ihn vor je­nen aus­zeich­ne­te, war, dass er dem neu­ge­schaf­fe­nen Kör­per eine ge­mein­sa­me Ord­nung, einen ge­mein­sa­men Sinn und Geist gab.

Zu den Bü­chern, die Karl mit Vor­lie­be las, ge­hör­te der Got­tes­staat des hei­li­gen Au­gus­ti­nus. Der edle Schwung, der es er­füllt, die un­er­schüt­ter­li­che Über­zeu­gung ei­nes durch An­la­ge und Bil­dung über­le­ge­nen Geis­tes ma­chen die Wir­kung, die es jahr­hun­der­te­lang aus­ge­übt hat, ver­ständ­lich, mehr noch viel­leicht die Ein­fach­heit und doch auch Viel­deu­tig­keit der Ge­dan­ken­gän­ge. Schon in dem ers­ten Brü­der­paa­re der Mensch­heit, in Kain und Abel, so sieht Au­gus­ti­nus den Sinn der Ge­schich­te, spal­te­te sie sich in zwei Rei­che, in ein sol­ches, das Gott an­ge­hört, und in ein sol­ches, das den Men­schen folgt, mensch­li­chen Be­gier­den, mensch­li­cher Ein­sicht, mensch­li­chen Zwe­cken. Das Reich Got­tes steht in­ner­halb der Mensch­heit ge­gen­über der Welt oder dem Rei­che der Men­schen, das durch­aus nicht etwa des Ver­stan­des, der Bil­dung, der Tu­gend er­man­gelt, aber auf mensch­li­che und ir­di­sche Zwe­cke be­schränkt ist und zwei­fel­haf­te ir­di­sche Genüs­se durch ewi­ges Ver­der­ben er­kauft. Das Reich Got­tes ruht auf dem Glau­ben und ge­winnt das ewi­ge Le­ben, es be­ginnt hie­nie­den in Hoff­nung und ent­fal­tet sich drü­ben im Schau­en.

Au­gus­ti­nus wuss­te, dass nicht alle, die sich Chris­ten nann­ten, Chris­ten wa­ren, aber die Kir­che, die das Wis­sen von Gott und den gött­li­chen Din­gen lehr­te, der zu sei­ner Zeit alle Chris­ten an­ge­hör­ten, ohne die die Nach­fol­ge Chris­ti als nur von ein­zel­nen ver­wirk­licht ohne Halt und ohne Dau­er ge­we­sen wäre, fiel ihm zu­sam­men mit dem Got­tes­staa­te, wäh­rend der heid­nische Staat die­je­ni­gen um­fass­te, die sich der Gna­de Got­tes ent­zo­gen. Der Ge­dan­ke lag nahe, Kir­che und Staat über­haupt als Got­tes­staat und Men­schen­staat oder Welt ein­an­der ent­ge­gen­zu­set­zen; man konn­te aber auch den Schluss zie­hen, dass zwi­schen Kir­che und dem in­zwi­schen christ­lich ge­wor­de­nen Staat kein Un­ter­schied mehr be­ste­he und nur die ge­sam­te Hei­den­schaft als gna­den­lo­ses, der Ver­damm­nis ge­weih­tes Reich auf­zu­fas­sen sei. So sah es Karl der Gro­ße an; sein Reich soll­te ein Got­tes­reich sein, das als sol­ches die Kir­che ehr­te und schütz­te und ihre Leh­re ver­brei­te­te. Ver­gleicht man ihn mit Bo­ni­fa­ti­us, so tritt die Frei­heit und das Schöp­fe­ri­sche sei­nes Geis­tes be­wun­de­rungs­wür­dig her­vor. Er ließ sich gern be­leh­ren, ver­zich­te­te aber nie auf ei­ge­nes Ur­teil. In Be­zug auf man­che kirch­li­chen Fra­gen, zum Bei­spiel auf den Bil­der­dienst, hat­te er an­de­re An­sich­ten als der Papst. Zu­wei­len war er der­je­ni­ge, der die Rich­tung gab. Er hat­te eine durch Er­le­ben und Nach­den­ken ge­won­ne­ne Über­zeu­gung. Wenn er sich auch als Schirm­herr der Kir­che und des christ­li­chen Glau­bens fühl­te, so ver­folg­te er doch An­ders­den­ken­de nicht. Al­ler­dings zwang er mit Här­te den Sach­sen das Chris­ten­tum auf; das war ein Mit­tel zur Ei­ni­gung der Stäm­me, und die strengs­ten Stra­fen konn­ten so­fort ge­mil­dert wer­den, wenn der Schul­di­ge sei­ne Zuf­lucht zur christ­li­chen Kir­che oder zu ei­nem christ­li­chen Pries­ter nahm. Wäh­rend Bo­ni­fa­ti­us Be­den­ken trug, mit ei­nem Chris­ten, den er nicht für ganz recht­gläu­big hielt, der im Ge­rings­ten vom rö­mi­schen Ka­non ab­wich, zu spre­chen und zu es­sen, trat Karl der Gro­ße in freund­schaft­li­che Be­zie­hung zu Ha­run al Ra­schid, sam­mel­te er die al­ten Volks­lie­der, in de­nen die Ger­ma­nen die Ta­ten ih­rer Hel­den ver­herr­licht hat­ten.

Der Cha­rak­ter des Got­tes­rei­ches soll­te sich nicht nur durch den Schutz der Kir­che, son­dern durch die vom Kö­nig aus­flie­ßen­de Ge­rech­tig­keit er­wei­sen. Die Sage er­zählt, dass in Zü­rich, in ei­nem dem Müns­ter ge­gen­über­lie­gen­den Hau­se, wo der Kai­ser zu woh­nen pfleg­te, eine Glo­cke an­ge­bracht war, da­mit je­der Recht­su­chen­de sich bei Karl mel­den kön­ne. Ei­nes Ta­ges läu­te­te dort eine Schlan­ge, um ge­gen eine Krö­te zu kla­gen, die sich auf ihre Eier ge­setzt habe. Sie be­schenk­te den Kai­ser, der ihr zu ih­rem Rech­te ver­half, aus Dank­bar­keit mit ei­nem wun­der­kräf­ti­gen Stein, des­sen er sich oft be­dien­te. So ver­deut­lich­te sich das Volk die Ge­rech­tig­keits­lie­be sei­nes großen Kö­nigs, der auch den Ge­rings­ten in sei­nem Recht schütz­te. Im Um­fas­sen­den sei­nes Geis­tes zeig­te sich sein Ge­nie. Kein Ge­biet war ihm fremd, keins ver­nach­läs­sig­te er; er för­der­te die Bau­kunst, die Dicht­kunst, die Mu­sik, die Schu­le, die Land­wirt­schaft, er war groß als Ge­setz­ge­ber, als Ver­wal­ter, als Rich­ter, als Guts­herr, im Krie­ge. Nichts war ihm zu klein, nichts zu fern­ab. Als die nie feh­len­de Un­ter­la­ge großer Ge­nia­li­tät be­saß er eine un­er­schöpf­li­che Tä­tig­keit. Er war im­mer er­füllt von großen Ge­dan­ken, im­mer mit ih­rer Aus­füh­rung be­schäf­tigt, im­mer voll Teil­nah­me an na­hen und fer­nen, großen und klei­nen Er­eig­nis­sen. »Lasst uns heu­te et­was Denk­wür­di­ges un­ter­neh­men«, so lässt ihn die Über­lie­fe­rung täg­lich spre­chen, »da­mit man uns nicht ta­de­le, weil wir den Tag mü­ßig ver­bracht ha­ben.«

Sei­ne zeit­ge­nös­si­schen Ver­eh­rer ha­ben uns Karls Äu­ße­res ge­schil­dert: die kräf­ti­ge, hoch­ge­wach­se­ne Ge­stalt, den fes­ten Gang, die männ­li­che Hal­tung, die großen, leuch­ten­den Au­gen. Sei­ne Stim­me war hell und nicht stark, er sprach gern und viel und war im­mer fröh­lich, wie er denn auch Froh­sinn um sich her lieb­te. Im­mer durch die In­ter­es­sen sei­nes rie­si­gen Rei­ches be­wegt, leb­te er doch voll un­ge­teil­ter Hin­ga­be mit sei­ner Fa­mi­lie und sei­nen Freun­den. Je­der Frau, die er lieb­te, je­dem sei­ner Kin­der, je­dem sei­ner Freun­de ge­hör­te sein Herz ganz. Jah­re­lang leb­te er in glück­li­cher Ehe mit der Schwä­bin Hil­de­gard, die all­ge­mein ver­ehrt wur­de, und die ihm drei Söh­ne und drei Töch­ter ge­bar. Sei­ne Kin­der lieb­te er so sehr, dass er sie im­mer, selbst auf Rei­sen, um sich ha­ben woll­te, und wie der maß­lo­se Kö­nig des deut­schen Mär­chens ließ er sei­ne Töch­ter nicht hei­ra­ten. Doch gönn­te er den schö­nen und lei­den­schaft­li­chen Mäd­chen ein be­glücken­des Lie­bes­le­ben und hielt ihre Kin­der wie recht­mä­ßi­ge En­kel. Nach dem Tode der Hil­de­gard hei­ra­te­te er Fa­stra­da aus ost­frän­ki­schem Stam­me, de­ren un­güns­ti­gem Ein­fluss es zu­ge­schrie­ben wur­de, dass er ein ein­zi­ges Mal bei Ge­le­gen­heit ei­ner Ver­schwö­rung zu über­trie­be­ner Här­te sich hin­rei­ßen ließ. Für sei­nen über­mä­ßi­gen, für die Re­gie­rung ver­häng­nis­vol­len Schmerz bei ih­rem Tode ent­deck­te man, so er­zählt die Sage, eine ma­gi­sche Ur­sa­che in ei­nem Ring, den sie am Fin­ger trug. Der Erz­bi­schof Tur­pin zog ihn der To­ten ab, und die Nei­gung des Kö­nigs ging auf ihn über, bis der geist­li­che Herr den Ta­lis­man in einen Teich bei Aa­chen ver­senk­te. Seit­dem pfleg­te der Kai­ser, in Trau­er und Traum ver­sun­ken, stun­den­lang an die­sem Teich zu sit­zen; das be­zau­ber­te Ge­wäs­ser, zum Teil ver­schüt­tet, be­fin­det sich am Ran­de der Stadt in der Nähe der Fran­ken­burg, ei­nem düs­te­ren, efeu­um­rank­ten Ge­bäu­de, das die Stel­le der al­ten Kö­nigs­burg be­zeich­nen soll.

Kei­nes an­de­ren ger­ma­ni­schen Hel­den Bild ist so far­ben­bunt, so viel­sei­tig präch­tig von der Sage auf­ge­fan­gen. Im­mer er­scheint er in ihr von Freun­den und Ge­fähr­ten um­ge­ben, im­mer freund­lich, furcht­los, über­le­gen, groß­mü­tig, aber auch zu­wei­len streng und ver­nich­tend. Not­ker der Stamm­ler, der nach Karls Tode aus münd­li­cher Über­lie­fe­rung von ihm er­zählt, nennt ihn nicht nur den wei­sen, den mil­den, den sieg­rei­chen, son­dern auch den schreck­li­chen, den furcht­ba­ren Karl, aber das eine eben­so be­wun­dernd wie das an­de­re. Nicht ohne Strö­me von Blut zu ver­gie­ßen hat er sein Reich ge­grün­det. Die Sach­sen aber, die am meis­ten durch ihn ge­lit­ten hat­ten, tru­gen es ihm nicht nach; auch für sie war er der Ur­quell al­les Gu­ten und Gro­ßen im Reich, das Ur­bild ei­nes ger­ma­ni­schen Hel­den­kai­sers.

Die Deutschen und das Christentum

Man möch­te gern wis­sen, was von Staat und Kir­che ge­sch­ah, um die Sach­sen zu be­keh­ren, wie die Be­keh­rung wirk­te, was für ein Chris­ten­tum es war, das ge­lehrt und das auf­ge­nom­men wur­de. Ein schö­ner Brief des An­gel­sach­sen Al­kuin an Kai­ser Karl gibt zu ver­ste­hen, dass die Be­keh­rer haupt­säch­lich for­dernd auf­tra­ten, in­dem sie den Zehn­ten zur Er­hal­tung der Kir­che auf­er­leg­ten, der, wie es scheint, mit Här­te ein­ge­trie­ben wur­de. Es sei bes­ser, mein­te Al­kuin, den Zehn­ten als den Glau­ben zu ver­lie­ren, es sei auch nicht er­wie­sen, ob die Apos­tel ge­wollt hät­ten, dass der Zehn­te ge­ge­ben wer­de. Wä­ren die Neu­ge­tauf­ten spä­ter reif im Glau­ben ge­wor­den, möge man ih­nen ein so schwe­res Ge­bot zu­mu­ten, zu­nächst sol­le man sie die Heils­wahr­hei­ten leh­ren und ih­nen mit Wer­ken der Barm­her­zig­keit nä­her­zu­kom­men su­chen. Ohne Zwei­fel hat­te Al­kuin ge­hört, wie die Sach­sen sich be­klag­ten, dass die Re­li­gi­on des Got­tes der Lie­be für sie nur Be­drückung be­deu­te; wuss­te er, dass für die Pre­digt nicht ge­nü­gend ge­sorgt war. An den Erz­bi­schof Arn von Salz­burg schrieb er, der Kai­ser habe den bes­ten Wil­len, aber er habe nicht ge­nug Leu­te, die von der Lie­be zur Ge­rech­tig­keit be­seelt wä­ren, es gäbe eben mehr Die­be als Pre­di­ger, und mehr Men­schen such­ten das Ihre als das Gött­li­che.

Über­all und zu al­len Zei­ten sind von den Men­schen, die ein Ge­setz aus­füh­ren sol­len, vie­le, ja die meis­ten vol­ler Män­gel und Schwä­chen, so­dass der Wil­le des Ge­setz­ge­bers sel­ten rein zur Gel­tung kommt. Das­sel­be un­güns­ti­ge Ver­hält­nis von Gu­ten, Min­der­gu­ten und Schlech­ten be­steht na­tür­lich in al­len Schich­ten des Vol­kes und be­stand bei den zu Be­keh­ren­den wie bei den Sie­gern. Der Art der Be­keh­rung ent­sprach die Ge­sin­nung, mit wel­cher die Tau­fe emp­fan­gen wur­de, wie die fol­gen­de An­ek­do­te er­zählt. Als ein­mal um Os­tern fünf­zig Hei­den zu­gleich sich zur Tau­fe mel­de­ten, wa­ren am Hofe des Kai­sers nicht so vie­le lei­ne­ne Ge­wän­der vor­rä­tig, mit de­nen man die Täuf­lin­ge zu be­schen­ken pfleg­te, und die feh­len­den wur­den schnell aus gro­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­