Cover

Buch

Seit Monaten fahndet das FBI erfolglos nach einem Terroristen. Die Zahl der Todesopfer steigt, doch der Mörder, der nur als »Green Man« bekannt ist, entkommt ein ums andere Mal. Jeder Angriff ist strategisch geplant, um ein Ziel zu zerstören, das die Umwelt bedroht. Und mit jedem Anschlag wächst die Schar seiner Anhänger. Tom Smith, ein junger, unerfahrener Datenanalyst beim FBI, glaubt etwas entdeckt zu haben, das alle anderen übersehen haben. Doch als er sich Amerikas gefährlichstem Mann nähert, muss er sich die Frage stellen: Was, wenn der Mann, den er um jeden Preis aufhalten will, in Wahrheit versucht, die Welt zu retten?

Autor

David Klass ist Schriftsteller und Autor von zahlreichen Hollywood-Drehbüchern. Derzeit arbeitet er an der Filmschule der Columbia University. Er lebt mit seiner Familie in New York City. Zu seinem Thriller Klima haben ihn Gespräche mit seiner Tochter über den Klimawandel inspiriert.

David Klass

KLIMA

Deine Zeit läuft ab

Thriller

Deutsch
von Thomas Bauer

Die amerikanische Originalausgabe erschien 2020 unter dem Titel »Out of Time« bei Dutton, an imprint of Penguin Publishing Group, a division of Penguin Random House LLC.


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Deutsche Erstveröffentlichung April 2021

Copyright © der Originalausgabe by David Klass

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in whole or in part in any form.

This edition published by arrangement with Dutton, an imprint of

Penguin Publishing Group, a division of Penguin Random House LLC.

Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2021

by Wilhelm Goldmann Verlag, München,

in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,

Neumarkter Str. 28, 81673 München

Umschlaggestaltung: UNO Werbeagentur, München

Umschlagmotiv: FinePic®, München

Redaktion: Heiko Arntz

An · Herstellung: kw

Satz: Uhl + Massopust, Aalen

ISBN: 978-3-641-26951-7
V005

www.goldmann-verlag.de

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Für Gabe und Maddy

Eins

Der Mann lag in der Dunkelheit am Rand des Kliffs und starrte durch ein Fernglas hinunter auf den vom Mond erleuchteten Snake River, der sich durch die Berge von Idaho zum Staudamm schlängelte. Trotz des farbenfrohen Spitznamens, den ihm die Medien gegeben hatten, war der Mann von den Stiefeln bis zur Kapuze schwarz gekleidet, und die Drohne vor ihm war ebenfalls schwarz, von ihren vier Propellern bis zu ihrer neun Kilogramm schweren Sprengladung. Er hatte den großen Quadrocopter über einen Zeitraum von drei Monaten in seiner Jagdhütte aus zusammengesuchten Einzelteilen gebaut. Jetzt stand er neben ihm auf dem Kliff wie ein stacheliger prähistorischer Vogel, der bereit war, sich auf seine nichtsahnende Beute zu stürzen.

Der Mann strich über die Bartstoppeln auf seiner Wange. Seit vier Tagen hatte er nicht mehr in einem Bett geschlafen, geduscht oder mit einem Menschen gesprochen. Er war mit seinem Van auf Nebenstraßen durch sieben Bundesstaaten gefahren, ohne ein Handy bei sich zu haben oder Kreditkarten zu benutzen, und er war nicht mehr im Internet gewesen, seit er sich von seiner Frau und den Kindern verabschiedet hatte und von seinem Haus in Michigan losgefahren war. Er hatte Lebensmittel, Wasser und Gas mitgenommen, weil es in jedem noch so kleinen Geschäft Überwachungskameras geben konnte, und sobald etwas aufgezeichnet wurde, entstanden Daten, auf die diejenigen Zugriff bekommen konnten, die ihn um jeden Preis ausfindig machen wollten. Er trug Fleece-Kleidung und darüber eine Schicht Nylon, um keine Körperwärme abzugeben, da er sich weniger als eine Meile von einem großen, ungeschützten Ziel entfernt aufhielt und mit Wärmebildsatelliten nach ihm gesucht wurde. Unter ihm fielen uralte Felsformationen – die ältesten freiliegenden Felsen auf der Erdoberfläche – steil in eine Schlucht ab, durch die der Snake River auf seiner tausend Meilen langen mäandernden Reise Richtung Westen nach Wyoming und in den fernen Pazifik floss. Als der Mann im silbrigen Mondlicht auf diese Landschaft hinabblickte, hatte er das Gefühl, in eine längst vergangene Zeit zurückzuschauen, als die Erde noch unschuldig und makellos war und die Menschheit noch nicht alles vermasselt hatte.

Für einen Moment überkam ihn eine große Traurigkeit und ein Gefühl von Sinnlosigkeit, und er war nahe daran, aufzugeben und zu seinem Zelt zurückzukehren. Im Gegensatz zu dem, was in dem psychologischen Porträt stand, das die forensischen Profiler des FBI erstellt und überall verbreitet hatten, legte er es nicht darauf an, erwischt zu werden. Wenn sie ihn fänden, würden sie ihn für den Rest seines Lebens einsperren. Vor Schmerzen hatte er keine Angst, aber ein Leben in Haft wäre für ihn die Hölle, und wenn er ihnen ins Netz ginge, würden sie auch seine Familie zerstören, die ihm alles bedeutete.

Er war sich völlig darüber im Klaren, dass jedes Mal, wenn er zuschlug, die Wahrscheinlichkeit zunahm, dass er einen Fehler machte. Die Taskforce »Green Man« zählte inzwischen mehr als dreihundert engagierte Bundesagenten, doppelt so viele wie damals bei der Jagd auf den Unabomber. Irgendwann würde er patzen und ihnen den Hinweis liefern, den sie brauchten, um ihn zu finden. Es war nur eine Frage der Zeit. Wenn er weiterhin Anschläge verübte, würde es irgendwann passieren. Wenn er aufhörte, hätten sie nur die Informationen, die sie jetzt schon besaßen. Es schien sinnlos, weitere Risiken einzugehen. Die Welt befand sich auf einem Selbstmordkurs, und er zweifelte stark daran, dass er irgendetwas tun konnte, um sie von diesem Kurs abzubringen. Das Klügste wäre gewesen, seine Mission zu beenden und die kostbare Zeit mit seiner Frau und seinen Kindern zu verbringen. Doch dann sah er die Scheinwerfer eines Jeeps aufleuchten, als ein Wachposten auf Nachtpatrouille über die Mauerkrone fuhr, und die Lichtpunkte, die sich auf dem einhundertzwanzig Meter hohen Staudamm bewegten, spornten ihn zum Handeln an.

Er nahm den Sender aus seinem großen schwarzen Rucksack, ließ ihn jedoch in dem Glasfasergehäuse, um keinen thermischen Fußabdruck zu erzeugen. Dann schaltete er ihn ein, und kurz darauf drehten sich die vier Rotoren der Drohne. Er überprüfte ein letztes Mal die Sprengladung – die zwanzig Stangen Plastiksprengstoff schmiegten sich eng an die Sprengkapsel.

Die große Drohne erhob sich vom Kliff, und der Mann bewegte gekonnt die beiden Steuerhebel, um das Rollen, Nicken und Gieren sowie die Geschwindigkeit zu korrigieren. Er lenkte sie von sich weg, über die Schlucht und den vom Mond erleuchteten Stausee, bis hin zu dem riesigen Staudamm. Dort ließ er sie langsam kreisen, als schwarzen Fleck vor dem Vollmond. Er hielt sie so weit oben, dass sie weder zu sehen noch zu hören sein würde. Die Nacht war ruhig und wolkenlos – eine Nacht, in der Gott in seinem herrlichen Himmel sehr präsent zu sein schien. Der Mann hielt einen letzten Moment inne, angesichts der Ungeheuerlichkeit der Zerstörung, die er gleich entfesseln würde, und der Toten, die es bedauerlicherweise geben würde.

Auch in diesem Punkt lagen die Profiler falsch: Er war kein Soziopath, er empfand sehr wohl Empathie, er hatte keinen Spaß am Töten. Außerdem machte er sich keine Illusionen, dass die Menschen, die gleich ihr Leben verlieren würden, irgendeine Verantwortung für die Existenz des Staudamms trugen. Die meisten von ihnen waren 1970, als er errichtet worden war, noch nicht einmal auf der Welt gewesen. Sie hatten einfach das Pech, in der Nacht seiner Zerstörung vor Ort zu sein. Ihm war bewusst, dass die Staudamm-Arbeiter ihren Job vor allem deswegen machten, weil der Lohn stimmte. Als er frisch aus Yale gekommen war, hatte er sich eine Zeitlang treiben lassen und ähnliche Jobs angenommen. Doch was getan werden musste, konnte er nun einmal nicht tun, ohne dabei Menschenleben zu opfern.

Der Mann senkte den Kopf und murmelte ein Stoßgebet. »Gott, vergib mir.« Dann bewegten seine Finger den rechten Steuerhebel und schickten die Drohne in einen steilen, meisterhaft kontrollierten Sturzflug. Er spürte den Adrenalinstoß, der jedes Mal mit dem Wissen einherging, dass es wirklich passieren würde, gepaart mit dem schuldbewussten Stolz, seine Kreation endlich mit ihrer Höchstgeschwindigkeit von sechzig Meilen pro Stunde fliegen zu sehen. Jedes zusätzliche Kilogramm Gewicht beeinträchtigte die Flugeigenschaften und verringerte die Geschwindigkeit. Er hatte Jahre gebraucht, um Drohnen zu konzipieren, die mit einer so schweren Sprengladung so schnell fliegen konnten.

Der Jeep hatte die Mitte der Mauerkrone erreicht, als er plötzlich anhielt. Hatte der Fahrer etwas gehört? Das war unwahrscheinlich, und außerdem war es ohnehin zu spät, es sei denn, er war Scharfschütze und geistesgegenwärtig genug, um innerhalb von zwei Sekunden einen Schuss abzufeuern. Wahrscheinlicher war, dass der Wachposten auf halber Strecke angehalten hatte, um eine Zigarette zu rauchen und die mondhelle Aussicht zu bewundern, so wie es auch der Mann selbst zuvor getan hatte. Eingerahmt von der Schlucht, vor dem Hintergrund des gewaltigen dunklen Monolithen der riesigen Betonmauer, platzte ein silberner Wasserstrahl aus einer Überlaufklappe und stürzte einhundertzwanzig Meter tief hinunter in den glänzenden Stausee.

Aber nichts passierte. Die Zeit stand still. Der Mann war sich sicher, dass irgendetwas schiefgelaufen sein musste. Wenn die Sprengvorrichtung nicht explodierte, würden sie die Drohne und die Bombe in die Hände bekommen. Damit würde er ihnen jede Menge Hinweise liefern. Der Mann geriet in Panik. Er dachte an Sharon, Kim und Gus und was mit ihnen geschehen würde, wenn sie ihn erwischten. Das Einzige, was er für sie tun konnte, war, ihnen den Albtraum eines Prozesses zu ersparen, deshalb trug er stets eine Selbstmordpille bei sich.

Er sah die Explosion, bevor er sie hörte. Eine Feuersbrunst verhüllte die stromabwärts gerichtete Seite des Staudamms von oben bis unten. Ein markerschütternder Knall – eine heftige Schallwelle – dröhnte durch die Schlucht. Der Staudamm stürzte nicht sofort in sich zusammen, doch damit hatte der Mann auch nicht gerechnet. Der Angriff auf das World Trade Center hatte mit erschreckender Klarheit gezeigt, dass eine Explosion ihr Ziel nicht unbedingt sofort zerstören musste – sie brauchte nur ausreichende strukturelle Schäden zu verursachen, dann vollendeten Gewicht, Druck und Schwerkraft das Werk der Zerstörung. Der Mann machte sich hier das gleiche Prinzip zunutze. Die Explosion brauchte nur die strukturelle Integrität des gewölbten Staudamms an einer entscheidenden Stelle zu schwächen, und Tausende Tonnen Snake-River-Wasser würden schon bald den Rest erledigen.

Für einige quälend lange Sekunden schien alles so zu sein, wie es vorher war. Die Feuersbrunst verzehrte sich selbst und verschwand. Der markerschütternde Knall hallte nach. Doch dann sickerten die ersten Rinnsale durch feine Risse, als ob über dem Stausee ein Dutzend neue Überlaufklappen gleichzeitig geöffnet worden wären.

Der Mann wartete nicht, bis der Fluss die Wand durchbrach. Er hatte keine Freude an Zerstörung und Tod, obwohl er alles monatelang geplant hatte. Er konnte bereits Lampen angehen sehen und Sirenen hören. In weniger als zwanzig Minuten würden Helikopter vor Ort sein. Er packte seine Sachen in seinen Rucksack, vergewisserte sich, dass er kein noch so kleines Stück Draht zurückließ, stieg auf sein Motorrad und raste durch die Nacht zu seinem Van, der ihn nach Hause zu den Menschen bringen würde, die er liebte.

Zwei

Tom kam fünf Minuten zu früh an der Hotelbar an, doch sein Vater saß schon da, mit einem halb ausgetrunkenen Glas Scotch, und sah auf seine Uhr. Als Tom sich ihm von hinten näherte, sagte er, ohne aufzublicken: »Ich dachte schon, du hast vielleicht ein heißes Date. Hätte es besser wissen sollen.«

Tom bemerkte den schmalen Spiegelstreifen über der Bar, in dem sein Vater den ganzen Raum überblicken konnte. Dem alten Mann entging nach wie vor nichts. Tom setzte sich neben ihn auf einen Barhocker. »Wie war dein Flug?«, fragte er und streckte ihm die rechte Hand hin. »Komm schon, Dad.«

Der väterliche Händedruck war fest und kurz – keine Geste der Intimität, sondern Vollzug eines männlichen Rituals, ähnlich einem militärischen Gruß. »Wie soll mein Flug schon gewesen sein, verdammt? Die dicke Frau neben mir hat bestimmt hundertfünfzig Kilo gewogen.«

»Dicke Leute müssen auch fliegen.«

Sein Vater grunzte skeptisch und genehmigte sich noch einen großen Schluck Scotch.

»Wie geht’s Mom?«

»Ich soll dich von ihr grüßen.«

»Was macht sie so?«

»Sie hat ihren Lesekreis.«

»Was lesen sie zurzeit?«

»Ich habe vergessen zu fragen.«

Tom winkte dem Barkeeper zu. »Vielleicht ist es was, das dich auch interessieren würde, und dann hättest du was, worüber du dich mit ihr unterhalten könntest.«

Sein Vater stellte seinen Scotch ab und sah ihm direkt ins Gesicht. Tom fiel auf, wie sehr er gealtert war. Sein ehemals dichtes schwarzes Haar war fast vollständig verschwunden, und der schüttere Rest war eher weiß als grau. Die Haut hing schlaff an seinen Wangenknochen, und er hatte die nervöse Angewohnheit, Hautfalten zwischen Daumen und Zeigefinger zu nehmen und an ihnen zu ziehen. Es war das mürrische Gesicht eines mürrischen alten Mannes, der mit seinem Leben unzufrieden war und sich nicht auf den Tod freute. »Versuchst du, witzig zu sein?«

Der Barkeeper kam zu ihnen, und Tom bestellte ein Craft-Bier.

»Trink wenigstens mit mir«, sagte sein Vater.

»Ich trinke doch mit dir. Ich habe gerade ein Bier bestellt. Meine Güte, Dad.«

»Wir können das Ganze auch bleiben lassen.«

Tom zwang sich, ruhig zu bleiben. »Hör zu, ich will mich nicht streiten. Ich freue mich, dich zu sehen. Und ich bin froh, dass du mich besuchen gekommen bist. Es tut mir leid, dass ich zu deinem Geburtstag nicht nach Florida kommen konnte. Gut siehst du aus.«

»Ich bin nicht gekommen, um dich zu besuchen.«

»Also schön. Ich bin froh, dass wir uns zufällig in dieser Bar getroffen haben. Wie geht’s dir? Wie lebt es sich mit Herzschrittmacher?«

»Mit so einer Frisur darfst du da erscheinen?«

Der Barkeeper brachte das Bier. Tom dankte ihm mit einem Nicken und trank einen Schluck. »Ich bin nicht bei den Marines, Dad.«

»Da kannst du von Glück reden«, sagte der ehemalige Marine-Corps-Captain.

Sie schwiegen eine Weile. Über der Bar hing ein Fernseher, auf dem ein Mixed-Martial-Arts-Kampf lief. Der eine Kämpfer erlangte die Oberhand, setzte sich auf seinen Gegner und begann, auf ihn einzuschlagen. »Ich vermisse das Boxen«, sagte sein Vater schließlich. »Dieser Mist hat dem Boxen den Garaus gemacht.«

»Die sind sehr geschickt. Diese Ellbogenschläge kommen aus dem Muay Thai.«

»Da ist mir Joe Frazier oder Roberto Durán zehnmal lieber.« Sein Vater trank seinen Scotch aus und winkte dem Barkeeper, damit er ihm nachschenkte. »Und«, sagte er, »wie gefällt’s dir?«

»Meinst du den Job?«

»Ich sehe dich, ehrlich gesagt, noch immer nicht beim FBI

»Vielen Dank. Ich habe gerade erst angefangen, aber bislang gefällt es mir gut.«

»Deine Mutter sagt, sie haben dich in eine große Taskforce gesteckt.«

»Erst vor einer Woche. Der Typ, der alles Mögliche in die Luft sprengt. Green Man.«

Sein Vater verzog das Gesicht, als hätte er einen unangenehmen Geschmack im Mund. »So nennen ihn die liberalen Medien.«

»Dad, jeder nennt ihn so.«

»Das soll ihn zum Helden machen.«

»Sogar Brennan nennt ihn so.«

»Für dich Mr Brennan.«

»Nein, für mich Assistant Director Special Agent Taskforce-Commander fleischgewordener Gott Brennan. Er nennt den Typen Green Man.«

»Jim Brennan ist ein guter Mann. Hast du ihn schon kennengelernt?«

»Die Taskforce besteht aus mehr als dreihundert Agenten. Er leitet die großen Briefings. Ich sitze ganz hinten und gebe mir Mühe, nicht zu laut zu furzen.«

»Dann weiß er also nicht, wer du bist?«

»Worauf willst du hinaus?«

Der Barkeeper schenkte Toms Vater großzügig nach, und dieser zog einen Zwanzigdollarschein aus seiner Brieftasche und strich ihn auf dem polierten Eichentresen glatt. »Ich könnte ihn mal anrufen.«

»O nein, Sir.«

»Es gibt verdammt viele Leute auf der Welt mit dem Namen Smith. Es würde ihn bestimmt interessieren …«

»Du hast dich um deine Karriere gekümmert, ich kümmere mich um meine.«

Sein Vater nickte und sah auf die Uhr. »Dann kümmere dich um deine Karriere. Ich muss zeitig ins Bett. Ich fahre morgen schon früh los.«

»Mom hat gesagt, du besuchst einen alten Freund.«

»Bill Monroe, falls du dich an ihn erinnerst. In Mitchellville.«

»Klar. Der hat doch immer diese schrecklichen Weihnachtspartys veranstaltet und sich als Weihnachtsmann verkleidet, und du und Mom habt euch jedes Mal mit Bourbon-Punsch betrunken.«

»Die Party ist zu Ende. Er hat fortgeschrittenen Prostatakrebs. Ich verabschiede mich.«

»Tut mir sehr leid, das zu hören.«

»Und, ist das Motiv schon bekannt?«

Tom sah ebenfalls auf seine Uhr. Es fühlte sich an, als hätte er eine halbe Stunde lang seinen Unmut unter Kontrolle gehalten, aber in Wirklichkeit waren erst fünf Minuten vergangen. »Welches Motiv?«

»Von dem grünen Wichser.«

Das Craft-Bier war nicht nach Toms Geschmack, zu süß, aber er trank trotzdem einen großen Schluck. »Die liberalen Medien bezeichnen ihn als Umweltaktivisten, der darauf aufmerksam machen will, wie wir unseren Planeten zerstören.«

»Und du kaufst ihm das ab?«

»Ich weiß, dass du das anders siehst, aber mein Job setzt grundsätzlich nicht beim Motiv an«, sagte Tom mit ruhiger Stimme. »Bei meiner Arbeit geht es hauptsächlich darum, Daten auszuwerten und Muster zu finden. Von vornherein ein Motiv im Kopf zu haben kann in die Irre führen. Ich versuche, objektiv zu sein und nicht über Beweggründe nachzudenken. Ich weiß, dass wir uns in dieser Hinsicht unterscheiden.«

»Damit du dir keine Gedanken um das Motiv zu machen brauchst?« Sein Vater trank seinen Scotch aus und stellte das Glas auf die Bar. »Vielleicht hast du in Wahrheit Angst, darüber nachzudenken?« Tom wusste, dass sie beinahe fertig waren und dass der alte Mann sich seine fieseste Attacke für den Schluss aufgespart hatte. »Du bewunderst ihn, nicht wahr?«

»Green Man?«

»Green Lantern. Superman. Batman. Green Man. In deinen Augen ist er ein Superheld.«

»Das ist eine Beleidigung, Dad, aber vor allem ist es nicht wahr.«

»Du und deine Schwester, ihr wart schon immer Ökospinner. Würdest du denn nicht gern die Welt retten?«

»Er hat einunddreißig Menschen auf dem Gewissen. Fünf davon Kinder.«

»Die Welt zu retten ist verdammt schwierig. Der Zweck heiligt die Mittel, oder etwa nicht? Wenn man fünf Kinder töten muss, um unseren Planeten zu retten, ist es das nicht wert? Komm schon, wir wissen beide, dass du seiner Meinung bist. Du bist dafür auf die Straße gegangen – öko hier, öko da. Green Man kämpft deinen Kampf, und er schlägt sich gut.«

»Ich sage jetzt gute Nacht, Dad. Du willst morgen in aller Frühe nach Mitchellville fahren …«

Tom wollte aufstehen, doch dann lag die schwere Hand seines Vaters auf seiner Schulter, und der alte Mann sprach in einem gedämpften, bekennerhaften Ton, den Tom bei ihm noch nie gehört hatte. »Ich habe das noch nie zu jemandem gesagt, aber insgeheim bewundern wir sie auch irgendwie. Wir jagen sie, und wir hassen sie, aber andererseits tun sie verbotene Dinge, die wir auch gerne tun würden, ohne dabei erwischt zu werden. Bis zu dem Tag, an dem wir sie verhaften, sind sie cleverer als wir und haben mehr Spaß als wir, und wenn wir nicht ein bisschen was von ihrer dunklen Seite hätten, würden wir sie nicht verstehen und könnten sie niemals schnappen. Stimmt’s?«

Tom schwieg ein paar Sekunden. Er war überrascht über dieses Geständnis seines Vaters. »Ja, stimmt«, gab er schließlich zu. »In gewisser Weise bewundere ich seine Ziele, auch wenn …«

»Ich habe dich verscheißert«, sagte der alte Mann selbstzufrieden. »Glaubst du wirklich, ich hätte die Serienmörder und die Vergewaltiger-Drecksäcke bewundert, die ich gejagt habe? Solchen Bockmist lassen FBI-Agenten in schlechten Filmen vom Stapel. Es gibt keinen einzigen Knochen in meinem Körper, der so sein wollte wie sie. Nie. Nicht für eine Sekunde. Aber wir haben jetzt festgestellt, dass du den Mann bewunderst, den du jagst, und schon allein aus diesem Grund wirst du ihn niemals erwischen.«

Toms Hand umfasste das Bierglas fester. »Ich werde ihn erwischen«, sagte er leise.

»Warum bist du nicht ins Silicon Valley gegangen, Tom? Du hattest doch Vorstellungsgespräche. Du bist auf lauter piekfeine Schulen gegangen. Du könntest richtig Kohle machen.«

»Ich verdiene genug. Dad, ich gehe jetzt.«

»Trink dein Bier aus. War das mir zu Ehren? Weil ich nicht mehr lang habe?«

»Unsinn, das ist doch lächerlich.«

»Du hast verdammt recht, es ist lächerlich. Wenn wir ehrlich sind, hast du dich nämlich immer einen Scheißdreck darum geschert, was ich tue. Und jetzt ist es eh schon zu spät. Leb dein Leben!«

Tom schüttelte die Hand von seiner Schulter ab. Er stand auf und sah seinen Vater an. »Es war nicht dir zu Ehren. Aber vielleicht tue ich es aus demselben Grund, aus dem du es getan hast. Um Verbrecher zu fangen. Das hat in unserer Familie schließlich Tradition, oder etwa nicht? Grandpa Vic. Onkel Will. Du. Und jetzt ich. Und er ist definitiv ein Verbrecher. Das Töten unschuldiger Menschen lässt sich nicht rechtfertigen, ganz egal, welchem Ziel es dient.«

Sein Vater erhob sich ebenfalls. Sie waren annähernd gleich groß, doch sein Vater überragte ihn noch immer um einen Zentimeter. »Schon möglich, dass das in unserer Familie Tradition hat. Gute Nacht, Tom. Sieh zu, dass du ab und zu ein Date hast und dich flachlegen lässt, und mach deine Mutter glücklich.«

Doch Tom sah an ihm vorbei zum Fernseher, wo eine Eilmeldung die Sportübertragung unterbrochen hatte. Auf dem Bildschirm war ein mondheller Fluss zu sehen, der sich durch eine dunkle, von Bergen gesäumte Schlucht und einen zerstörten Staudamm schlängelte, und Menschen, die in Krankenwagen und Hubschraubern abtransportiert wurden. Tom sah auf seine Uhr und dann wieder zum Fernseher. »Das war er.«

Sein Vater drehte sich um und richtete den Blick ebenfalls auf den Bildschirm. »Green Man? Woher willst du das wissen?«

»Die Staudämme am Snake River sind ein perfektes Ziel für einen Umweltterroristen. Sie haben die Wanderung wilder Lachse gestoppt, und es wird seit Jahren gegen sie geklagt. Sie sind ein wichtiger Teil der Infrastruktur, aber sie sind auch hochgradig symbolisch – genau das, wonach er sucht.«

»Du hast auf die Uhr geschaut«, stellte sein Vater fest. »Schlägt er immer zur gleichen Zeit zu?«

»Nein, tut er nicht.«

»Aber das Timing ist irgendwie wichtig? Es ist Teil seiner Handschrift?«

»Darüber kann ich nicht sprechen«, sagte Tom.

»Du kannst nicht mit mir darüber sprechen?«, wiederholte sein Vater, und plötzlich lag Wut in seiner Stimme. »Was zum Teufel soll das heißen? Als ob ich den Mund nicht halten könnte? Hör zu, du kleiner Scheißer …«

Doch Tom hörte seinem Vater nicht mehr zu. Er war auf die Bar geklettert und hatte die Lautstärke hochgedreht. Jetzt lauschte er dem Nachrichtensprecher, als dieser die ersten Opferzahlen nannte und erwähnte, dass eine sechsköpfige Familie auf einem Hausboot im Stausee unter dem Damm ertrunken war – Vater, Mutter und vier kleine Kinder.

Drei

»Der Sprengstoff wurde von einer großen Drohne zielgenau zu einem unteren Staumauerabschnitt des Boon Dam gebracht, den unsere Experten als kritisch einstufen. Selbst ein Top-Bauingenieur hätte keine geeignetere Stelle finden können.« Brennan machte eine Pause, um an seinem Kaffee zu nippen, und warf einen Blick auf die dreihundert Agenten auf Klappstühlen, von denen viele auf Laptops mitschrieben. Ihre Bildschirme leuchteten in der schummrigen Halle und warfen einen bläulichen Schein auf ihre Gesichter, der sie wie eine Armee von Kobolden aussehen ließ. »Bogenstaumauern besitzen eine Krümmung, damit der hydrostatische Druck des Flusses gegen den Bogen den Damm stabilisiert. Wenn der am stärksten belastete Punkt jedoch auf die richtige Weise beeinträchtigt wird, entsteht eine potenzielle strukturelle Schwäche, und Green Man hat das perfekt ausgenutzt. Wie viele von Ihnen wissen – und diese Information ist nicht für die Öffentlichkeit bestimmt –, timt er seine Anschläge nach der sogenannten ›Östersund-Uhr‹, einer Umwelt-Weltuntergangsuhr, die von einer radikalen Gruppe von Umweltaktivisten mit Sitz in Schweden betrieben wird. Angeblich berücksichtigt sie eine Vielzahl von Faktoren, unter anderem die Erderwärmung, und zählt die Zeit bis zu einem von den Aktivisten als ›Mitternacht‹ bezeichneten Moment hinunter, wenn der Schaden für unseren Planeten irreversibel sein wird. Ihre Uhr steht jetzt auf dreiundzwanzig Uhr dreißig, und die Explosion in Idaho ereignete sich exakt zum entsprechenden Zeitpunkt nach Mountain Standard Time.«

Auf dem großen Bildschirm hinter Brennan erschienen Fotos, die zeigten, was von dem Staudamm übrig war, und er konnte die Reaktion im Raum spüren und sogar ein paar Anwesende nach Luft schnappen hören. Es war eine Sache, die Details zu hören, aber eine andere, Schäden in Höhe von zwei Milliarden Dollar mit eigenen Augen zu sehen. »Mit anderen Worten, er hat sein Ziel vortrefflich ausgewählt, er hat gründlich recherchiert und genau in der Sekunde, die er vorher bestimmt hat, voll ins Schwarze getroffen.«

Die Armee der Kobolde spürte den Zorn ihres Anführers, und die Anspannung in der großen Halle nahm zu. »Wir vermuten, dass es sich um Plastiksprengstoff handelt – wahrscheinlich Semtex. In Anbetracht des Schadens müssen es mindestens acht Kilogramm gewesen sein. Es ist extrem schwierig, eine Drohne zu bauen, die eine so schwere Sprengladung transportieren und dabei so präzise fliegen kann.« Auf dem Bildschirm erschienen Fotos von mehreren winzigen schwarzen Bruchstücken, die im Beton gefunden und aus dem Stausee gefischt worden waren. »Bislang wurden nur wenige Fragmente der Drohne geborgen. Sie war mit einer Apparatur ausgerüstet, die unsere Bombenexperten ›Selbstmordkappe‹ nennen. Die Hauptladung Plastiksprengstoff hat den Staudamm zerstört, aber es gab noch eine kleinere Sprengstoffladung, die der Vernichtung der Drohne selbst, der Sprengvorrichtung und sämtlicher Sprengstoffspuren diente. Jeder Bombenbauer hinterlässt Spuren, Hinweise, aber die Selbstmordkappe hat alles ausgelöscht, was wir über Green Man hätten erfahren können.

Wie in den letzten fünf Fällen kam heute Morgen ein von Hand getippter Brief per Post bei einem großen städtischen Nachrichtenmedium an, adressiert an einen leitenden Redakteur, in dem der Verfasser sich zu dem Anschlag bekennt und seine Beweggründe erläutert. Bei der Stadt variiert unser Mann, aber heute Morgen waren es Manhattan und die New York Times. Sie können seinen Brief überall im Internet lesen, er hat sich längst wie ein Lauffeuer verbreitet. Aus verschiedenen Gründen sind wir sicher, dass es sich um Green Man handelt. Der Brief ist im gleichen logischen, umsichtigen Ton verfasst wie die anderen Bekennerschreiben. Green Man erläutert darin seine Beweggründe für die Sprengung des Staudamms und zieht die Schlussfolgerung, dass aktiver Widerstand angesichts der Umweltbedrohungen für unseren Planeten nicht nur gerechtfertigt, sondern eine moralische Verpflichtung ist. Unsere Forensiker sind mit dem Brief beschäftigt, der Briefmarke, der Schriftart, dem Papier. Aber bei den ersten fünf Bekennerschreiben hat uns das auch nicht weitergebracht. Wie in den anderen Briefen entschuldigt er sich am Ende für das, was er als ›tragischen kollateralen Verlust von Menschenleben‹ bezeichnet.«

Brennans barscher Tonfall wurde sanfter, wie immer, wenn er auf die Opfer zu sprechen kam. »Drei Arbeiter von Idaho Power & Gas wurden sofort getötet, zwei weitere Staudamm-Angestellte befinden sich in kritischem Zustand. Die Explosion hat den Damm so stark beschädigt, dass der Druck des Snake River ihn bersten ließ. Infolge der anschließenden Sturzflut kenterten im Stausee zwei Hausboote. Die Bewohner, zwei Familien, ertranken. Die Gesamtopferzahl liegt jetzt bei zwölf, sie wird aber voraussichtlich noch steigen. Vorläufige Schadensschätzungen liegen bei weit über zwei Milliarden Dollar, und der Snake River im Boon Canyon nimmt weitgehend wieder seinen natürlichen Lauf.«

Brennan gab ein diskretes Handzeichen, und im nächsten Moment ging die Deckenbeleuchtung an. »Wir haben siebzig Agenten vor Ort, und über zweitausend Mitarbeiter der örtlichen und der staatlichen Polizei sowie der Flughafensicherheit arbeiten mit uns zusammen und gehen jedem Hinweis nach. Die Fahndung wurde auf das ganze Land ausgeweitet und ist beispiellos in Bezug auf die Anzahl der Agenten und der zusätzlichen Ermittler sowie auf das kombinierte, vielfältige Fachwissen, das zur Anwendung kommt. Tatsache ist aber, er hat erneut zugeschlagen und ist entkommen. Fragen? Grant?«

Ein großer afroamerikanischer Agent in der ersten Reihe stand auf. »Sir, um die Drohne so genau zu ihrem Ziel lenken zu können, muss Green Man einen Platz in der ersten Reihe gehabt haben. Er muss nah dran gewesen sein, und er muss direkte Sicht auf die flussabwärts gerichtete Seite des Staudamms gehabt haben.«

»Auf der flussabwärts gelegenen Seite des Staudamms gibt es über dreißig Berge, Hochebenen und Kliffs, die ihm die nötige Nähe und Sicht ermöglicht hätten«, sagte Brennan. »Wir haben Forensik-Teams vor Ort, die sie unter die Lupe nehmen, aber bislang ohne Erfolg. Bei vielen von ihnen handelt es sich um harte Felsformationen, auf denen keinerlei Abdrücke zurückbleiben, und alles deutet darauf hin, dass er spezielle Bekleidung und Schuhe trägt und penibel darauf achtet, nichts zurückzulassen. Ja, Dale?«

Ein breitschultriger Mann in Khakihosen und blauem Jackett stand auf. »Der Boon Dam war eines der ungeschützten Ziele, die wir per Satellit überwachen. Hätte er nicht ein Wärmebild hinterlassen müssen, und hätte der Sender der Drohne nicht eine Hitzefahne ausstrahlen müssen?«

»Wir hatten einen direkten Überflug. Unser Auge am Himmel hat nichts erkannt. Er hat irgendeinen Weg gefunden, um es zu verbergen. Hannah? Welche Daten können wir Ihnen geben?«

Eine Asiatin mittleren Alters stand auf und sagte mit überraschend sonorer Stimme: »Dieser Teil von Nord-Idaho ist sehr ländlich. Nur eine Handvoll Flughäfen. Nur ein paar Fernstraßen. Nachdem er den Damm gesprengt hatte, musste er schnell das Weite suchen. Je mehr Aufnahmen wir von Kameras an Flughäfen, Tankstellen und Mautstellen aus den Stunden unmittelbar nach der Explosion bekommen können …«

»Er würde niemals auf einer Fernstraße fahren«, platzte eine Stimme aus dem hinteren Teil des Raums heraus.

Brennan hob die Hand. Er war ein großer Mann, und seine erhobene Handfläche sah aus wie ein Baseball-Fanghandschuh. »Sie da hinten, der gerade dazwischengeredet hat. Aufstehen.«

Alle im Raum drehten sich um und sahen, wie sich ganz hinten ein schlaksiger junger Mann mit zerzausten schwarzen Haaren, der aussah, als sollte er eigentlich noch aufs College gehen, unsicher erhob.

»Sie kommen mir nicht bekannt vor. Wie heißen Sie?«

»Tom Smith, Sir.«

»Habe ich Sie aufgerufen, Agent Smith?«

»Nein, Sir.«

»Hat Agent Lee gerade eine Frage gestellt?«

»Ja, Sir. Nun, sie hat nicht direkt eine Frage gestellt, aber sie war am Sprechen, Sir.«

»Aber jetzt sprechen Sie. Also, sprechen Sie weiter.«

»Ich wollte nicht respektlos sein, Sir. Aber Green Man nimmt keine größeren Fernstraßen. Zumindest dann nicht, wenn er auf einer Mission ist. Das würde er niemals tun. Er nutzt auch keine Flughäfen. Wahrscheinlich hat er sogar sein eigenes Benzin dabei.«

»Besitzen Sie übersinnliche Fähigkeiten, Agent Smith?«

»Wie bitte?«

»Sind Sie ein Hellseher?«

Einige Lacher ertönten. »Nein Sir. Aber ich …«

»Schade. Denn wenn Sie ein Hellseher wären, bräuchten wir nicht an tausend Dinge zu denken und gewissenhaft Informationen zu sammeln, die bei solchen Fällen schließlich zum Durchbruch führen. Setzen Sie sich, und halten Sie sich zurück. Hannah, wir haben bereits veranlasst, dass Sie diese Bilder bekommen, aber lassen Sie mich bitte wissen, falls uns irgendwelche Ansatzpunkte entgangen sind.«

»Ja, Sir«, sagte sie und setzte sich wieder.

»Wir sind hier fertig«, verkündete Brennan. »Die Medien machen sich längst darüber her. Für die ist das ein gefundenes Fressen. Und einige Nachrichtensender und Websites stehen kurz davor, ihn für seinen Massenmord als Helden zu feiern. Sie schreiben nur darüber, dass seine Tat dazu beitragen könnte, den pazifischen Lachs zurückzubringen. Dass dabei zwei Familien getötet wurden, fällt unter den Tisch. Die Namen der Opfer wurden noch nicht veröffentlicht, aber ich kann Ihnen jeden einzelnen davon nennen.«

Brennan trat vor, und seine Stimme war jetzt fast schmerzhaft leise. »Familie Terry aus Boise. Fred Terry und seine Frau Susan sowie ihr sechsjähriger Sohn Sam, der ertrunken in seinem Tigermuster-Pyjama gefunden wurde. Und Familie Shetley aus Riverton. Jack, von Beruf Arzt. Seine Frau Mary, die bei der Feuerwehr arbeitete. Und ihre vier Kinder, darunter ihr Ältester, Andy, dreizehn, auf dessen Facebook-Seite steht, dass er ein Ersthelfer-Held wie seine Mom werden will. Das war’s. Los, schnappen Sie diesen Mistkerl.«

Tom steckte seinen Laptop in die Computertasche und stand auf, ohne einem seiner Kollegen um ihn herum in die Augen zu sehen. Hinter ihm fragte jemand in spöttischem Flüsterton: »Hey, Hellseher?«, doch er drehte sich nicht um. »Gewinnen die Redskins dieses Wochenende? Kannst du mir das Ergebnis verraten?«

Gelächter ertönte. Tom hielt den Kopf gesenkt und steuerte auf den nächsten Ausgang zu.

Jemand versperrte ihm den Weg, und eine Stimme sagte im Befehlston: »Agent Smith.«

Tom blickte auf und sah den großen afroamerikanischen Agenten namens Grant, der eine Frage aus der ersten Reihe gestellt hatte. »Ja?«

»Commander Brennan will Sie sprechen.«

»Selbstverständlich«, sagte Tom. »Wann immer er …«

»Jetzt sofort.«