Cover

Zum Buch:

Shetland – das heißt Schafe und Natur, unbarmherziges Wetter, enge Bindungen und althergebrachte Lebensweisen. Hier, in dem Tal auf einer kleinen Insel, hat David sein ganzes Leben verbracht, wie vor ihm sein Vater und sein Großvater. Hier will Sandy eine neue Heimat finden, hier hat Alice nach dem Tod ihres Mannes Zuflucht gesucht. Aber die Zeiten ändern sich, Menschen sterben oder ziehen weg, und David fragt sich, wie die Geschichten und Traditionen seines Tals weitergeführt werden sollen, während andere zweifeln, ob sie jemals dazugehören werden.

Im Wind und der gleißenden Sonne und den Stürmen vom Atlantik bietet das Tal auf dieser abgelegenen Insel Gemeinschaft wie Einsamkeit, es liegt an den Menschen, sich zu entscheiden. Und der schottische Autor Malachy Tallack, der in Shetland aufgewachsen ist, kommt den Menschen hier sehr nahe, auf vollkommen unspektakuläre Art. Sein beeindruckender Debütroman zeigt: Die Geschichte des kleinen Tals birgt die ganze Welt.

Zum Autor:

Malachy Tallack ist Schriftsteller, Singer-Songwriter und Journalist. 2014 gewann er den New Writers Award des Scottish Book Trust und 2015 die Robert Louis Stevenson Fellowship. Mit seinem ersten Buch »60 Degrees North« kam er auf die Shortlist des Saltire First Book Award, das zweite, »Von Inseln, die keiner je fand«, wurde 2016 bei der Verleihung der Edward Stanford Travel Writing Awards als Illustrated Travel Book of the Year ausgezeichnet. Beide Bücher beschäftigen sich mit Nature Writing, Geschichte und Memoir. Sein Debütroman »Das Tal in der Mitte der Welt« kam 2018 auf die Shortlist des Highland Book Prize und wurde für den Royal Society of Literature Ondaatje Prize nominiert. Malachy Tallack ist in Shetland aufgewachsen und lebt zurzeit in Dunblane.

Zum Übersetzer:

Klaus Berr, geb. 1957 in Schongau, Studium der Germanistik und Anglistik in München und Wales, ist der Übersetzer von u. a. Charles Chadwick, Michael Crichton, Lawrence Ferlinghetti, Noah Gordon, Will Self und Tim Winton.

Malachy Tallack

Das Tal in der Mitte der Welt

Roman

Aus dem Englischen

von Klaus Berr

Luchterhand

Die Originalausgabe erschien 2018 unter dem Titel

The Valley at the Centre of the World bei Canongate Books Ltd., Edinburgh.

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Copyright © der Originalausgabe 2018 Malachy Tallack

Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2021

Luchterhand Literaturverlag in der

Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,

Neumarkter Straße 28, 81673 München

Umschlaggestaltung: semper smile, München

Covermotiv: © DEEPOL by plainpicture; Shutterstock/GraphiTect

Satz: Buch-Werkstatt GmbH, Bad Aibling

ISBN: 978-3-641-24628-0
V002

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facebook.com/luchterhandverlag

Für Thea und Malin

Samstag, 31. Oktober

An diesem Vormittag musste Sandy Emmas Vater beim Schlachten helfen. Die Lämmer waren so weit, und der Tag war trocken. Letzte Woche hatte er versprochen, ihm zur Hand zu gehen, zu tun, was getan werden musste. Aber da hatte er noch nicht gewusst, dass Emma nicht mehr da wäre.

Er schüttete sich Müsli in eine Schüssel und setzte den Kessel auf. Er aß am Tisch, trank seinen Kaffee dann stehend am Fenster. Von dort sah er das Tal vor sich ausgebreitet, das braune Band des Bachs, das sich durch die Biegung des Tals schlängelte. Stare zankten sich auf dem Steinmäuerchen in einer Ecke des Gartens. Schafe grasten und tratschten auf der angrenzenden Weide. Vor Maggies Haus am Ende der Straße meldete sich ein junger Hahn in der Welt zurück. Dahinter rutschte das Tal ins Meer. Ein Hauch Salz auf der Fensterscheibe ließ alles weiter weg aussehen, als es sein sollte.

Gestern war Emma gegangen, mit einer Tasche Klamotten und ein paar Sachen aus dem Bad. Ihre Zahnbürste war nicht mehr da. Ihr Shampoo und ihr Conditioner. Die Haarbürste vom Nachtkästchen. Der kleine Stift Lippenbalsam. Sie komme nächste Woche wegen des Rests, hatte sie gesagt, und danach, wer weiß? Sie wolle sich eine Wohnung auf dem Festland suchen – wahrscheinlich wieder in Edinburgh –, und in der Zwischenzeit werde sie bei einer Freundin in Lerwick unterkommen.

Der Zeitpunkt war eine Überraschung gewesen, nicht, dass sie ging. Sie redeten seit Monaten darüber, immer mal wieder, bis Emma keine Lust mehr hatte zu reden. Am Ende war es schwer zu sagen, wessen Entscheidung es gewesen war. Die Fäden dieser Unterhaltungen waren immer wirrer und unzusammenhängender geworden. Abschneiden schien der einzige Ausweg zu sein. Und obwohl Emma den Schnitt machte, war es Sandy gewesen, der den Knoten erst zugezogen hatte. Er hatte selbst dafür gesorgt, dass er verlassen wurde.

Nach dem Packen war Emma die wenigen hundert Meter zum Haus ihrer Eltern gefahren, um ihnen zu sagen, dass sie wegging. Davor hatte ihr gegraut, das wusste er. Vor der Enttäuschung ihrer Eltern. In der Stunde, während ihr Auto in der Einfahrt vor Kettlester stand, war Sandy unruhig. Er wollte dabei sein, um sich selbst zu verteidigen, alles aus seiner Sicht zu erklären. Aber er wusste nicht so recht, ob er es erklären konnte. Und es stand ihm nicht zu. Also wartete er einfach, rang die Hände und starrte auf den Boden.

Die Küchenuhr tickte – eine amerikanische Ogee-Standuhr mit einem Segelschiff vorne drauf. Früher hatte sie Sandys Großvater gehört, jetzt gehörte sie Sandy. Emma hasste die Aufdringlichkeit ihres Klangs, aber er hörte ihn gern. Wenn er in Gedanken woanders und das Geräusch getilgt war, hielt Sandy manchmal inne und horchte, um es wiederzufinden, als wäre es neu. Das holte ihn sofort in Raum und Zeit zurück.

Er bewegte sich, versuchte, die Schultern zu lockern. Er rollte sie ein paarmal und bewegte den Kopf hin und her. Die Nacht hing noch an ihm wie feuchte Wolle, aber der Gang die Straße hoch würde helfen. Er würde ihn wach machen. Sandy stellte die Tasse auf das Abtropfblech und nahm den Overall vom Haken an der Tür. Auch eine Jacke nahm er mit, für alle Fälle. Draußen war die Luft ruhiger und stiller, als er erwartet hatte. Es war einer dieser Vormittage, an denen man Leute am anderen Ende des Tals reden hören könnte, falls dort jemand war, der redete. Sandys Stiefel klapperten über den Asphalt, und die Scheide mit dem Messer in seiner Tasche scheuerte bei jedem Schritt.

»Das ist mein Zuhause«, hatte Emma gesagt, als sie ihn das erste Mal zu ihren Eltern mitgenommen hatte. Mit großer Geste hatte sie alles umfasst, was sie sehen konnten, und gelacht. Das war der Ort, an dem sie aufgewachsen war, der Ort, den sie am besten kannte, und der Ort, an den sie zurückkehren wollte, auch wenn sie ihm das noch nicht gesagt hatte. Aber bei diesem ersten Mal, als sie miteinander vor dem Haus gestanden hatten, die Gerüche aus der Küche ihrer Mutter im Rücken, konnte er nicht sehen, was sie sah. Hügel, Felder, Schafe, Vögel: Mehr gab es in diesem Tal nicht, und er verband nichts damit. »Gehen wir rein«, sagte er. »Es ist kalt.«

Sein eigenes Zuhause hätte vielleicht fünfundzwanzig Kilometer weit weg sein können, in dem grauen ehemaligen Sozialblock in Lerwick, in dem er seine Kindheit verbracht hatte und in dem sein Vater noch immer lebte. Oder es hätte die Wohnung in Edinburgh sein können, die er mit einem anderen teilte. Er hatte noch nie viel darüber nachgedacht. Die Frage schien einfach nicht wichtig.

Er und Emma lernten sich kennen, als sie beide Mitte zwanzig waren und in der Großstadt lebten. In der Schule waren sie in verschiedenen Jahrgängen gewesen, und sie hatten unterschiedliche Freundeskreise. Er hatte ihren Namen schon früher gehört, so war es hier in der Gegend eben, aber mehr wusste er über sie nicht. Sie war ein winziger Teil eines Bilds, das ihm nicht mehr sehr am Herzen lag. Bis, nach ihrem Kennenlernen, sein Herz sich ihr zuwandte.

»Wir sind wie durch ein Gummiband mit den Inseln da verbunden«, hatte sie ihm einmal gesagt. »Man muss entscheiden, wie man damit umgeht. Entweder du gehst weg und dehnst dieses Gummiband, bis es langsam schlaff wird und du freier atmen kannst, oder du gibst einfach nach. Lässt dich wieder herziehen. Lässt dich nach Hause holen.« Damals hatte er sie ausgelacht. Seit er in den Süden gegangen war, hatte er dieses Ziehen nie gespürt. Kein einziges Mal. Das Ziehen hatte immer in die andere Richtung gewirkt, weg von dem Ort, an dem er angefangen hatte.

Aber zwei Jahre nach seinem ersten Besuch in dem Tal war er wieder hier gelandet, zusammen mit Emma. Dieses Haus war sein Zuhause geworden, und drei Jahre lang war es ihr gemeinsames Zuhause gewesen. Und jetzt war sie weg.

David stand am Eingang zum Schuppen, ein Becken mit warmem Seifenwasser in den Händen. Er stellte es auf die Werkbank, drehte sich um und nickte Sandy zu.

»War schon früh wach, hab die Lämmer noch vor dem Frühstück reingeholt.«

»Das ist gut«, sagte Sandy. »Wie viele müssen wir machen?«

»Heut nur acht. Hab später noch was zu erledigen. Den Rest können wir morgen machen, wenn’s bei dir geht. Sonst schaff ich es auch selber, wenn du was anderes vorhast.«

Sandy zuckte die Achseln. »Morgen ist gut.« Die Tiere auf dem Viehwagen drängelten nervös. »Bist du so weit?«

»Ja«, sagte David und ging zum Anhänger. Er blieb stehen, als hätte er etwas vergessen, und legte Sandy dann eine Hand auf die Schulter. »Tut mir leid, Junge«, sagte er und nickte noch einmal. »Tut mir wirklich leid.« Er drehte sich um, öffnete die Riegel und ließ die Rampe herunter. »Ich bin so weit, wenn du es bist.«

David trat einen Schritt zur Seite, als Sandy das Gatter ein Stück öffnete und in den Viehwagen stieg. Die Lämmer waren inzwischen sechs Monate alt, stämmig und stark, und sie drückten sich an die Rückwand, alle Augen auf ihn gerichtet. Anfangs war keine Panik zu spüren, nur eine angespannte Erwartung, als er auf sie zuging, um sich ein Tier auszusuchen. Noch ein Schritt, und sie stoben auseinander. Ein Bock mit Stummelhörnern wollte rechts an ihm vorbei. Er packte ihn bei den Schultern und schleifte ihn zum Gatter. Dort nahm David einen Vorderlauf in jede Hand und führte das Tier zum Schuppen, während Sandy sich zum nächsten umdrehte. Diesmal eine Zibbe.

Das zweite Lamm zwischen die Knie geklemmt, kam er aus dem Anhänger und schloss das Gatter hinter sich. Er stand da und wartete auf das, was jetzt kam. Irgendwie fühlte es sich falsch an, nicht hinzuschauen, als würde er sich durch das Wegschauen vor einer Schuld drücken, die rechtmäßig seine war.

Davids Bewegungen hatten etwas Bedachtes, einen bewussten Respekt vor jedem Schritt, der jetzt kam. Alles lag da, wo er es brauchte, alles war bereit. Er beugte sich vor, nahm den Bolzenschussapparat und drückte sich das Lamm an den Körper. Sandy drehte den Kopf des Tiers, das er hielt, und bedeckte ein Auge mit der Hand, wie David es ihm gesagt hatte. »Man weiß ja nie«, hatte er zur Erklärung hinzugefügt. »Man weiß ja nie.«

Bei den nächsten Schritten gab es kein Zögern. Davids Hand schloss sich um den Auslöser, und es knallte, kaum lauter als bei einem Champagnerkorken. Aus dem Lamm wurde etwas anderes. Es versteifte sich und zuckte, als seine Nerven krampften, die Hinterläufe schlugen in die Luft. David zog sein Messer tief durch die Kehle des Tiers und drückte den Kopf nach hinten, um es ausbluten zu lassen. Sandy merkte, dass er den Atem angehalten hatte, und er entspannte sich, als das dunkle Blut fächerförmig auf den Betonboden spritzte. Als das Sprudeln und Zucken aufgehört hatte, schnitt David tiefer, nahm den Kopf ab und legte ihn hinter sich auf den Boden. Er hob den Kadaver aus der Blutlache heraus.

»Okay, das nächste.«

Als Sandy mit dem lebenden, atmenden Tier in den Händen nach vorn schlurfte, war ihm bewusst, dass es nur noch ein paar Sekunden zu leben und zu atmen hatte. Er war nicht sentimental, aber er war auch nicht immun gegen den Ernst dessen, was gerade passierte. Besser tat man es hier, als sie in den Schlachthof in der Stadt zu schleifen, sagte David immer. Und er hatte recht. Auf diese Art war alles ruhiger und ehrlicher. Dennoch spürt Sandy eine Schwere im Bauch, als er David das Tier übergab, dann einen Schritt zurücktrat und zuschaute.

Als beide Tiere tot dalagen, nahmen die Männer je eines und trugen sie, die Vorderläufe in der einen Hand, die Hinterläufe in der anderen, in den Schuppen. Sie legten sie so auf die geschwungenen Lattenbänke neben der Tür, dass die Läufe zur Decke zeigten. David schüttelte sein Messer im Wasserbecken, wischte die Klinge ab und wusch sich die Hände. Sandy zog sein eigenes Messer aus der Tasche, drehte und inspizierte es.

»Ist es scharf genug?«, fragte David.

»Sollte es.«

Obwohl Sandy diese Arbeit schon öfter gemacht hatte, fühlte er sich nicht souverän. An vieles musste gedacht werden, und er wartete, bis David angefangen hatte, bevor er sich selber daranmachte, schaute zu und imitierte die Bewegungen des Älteren. Er entfernte die Füße und die unteren Läufe. Die Gelenke brachen mit einem Knirschen, wie beim ersten Biss in einen Apfel. Er wusch die Klinge, hob dann die Haut am Brustbein an und setzte einen Schnitt, zuerst in die eine Richtung, auf den Hals zu, dann in die andere, zum Bauch. Dann hob er den Felllappen, den er direkt vor sich hatte, an und drückte das Messer darunter. So zog er die Haut vom Fleisch, wie das Etikett von einem Päckchen. Er legte das Messer weg, drückte die rechte Faust in die Tasche, die er so geschaffen hatte, und fuhr mit den Knöcheln an der Verbindung entlang, zuerst sanft, dann fester, er weitete die Tasche, bis seine ganze Hand hineinpasste. Es war heiß und feucht da drin, unter dem Vlies, und Sandy hatte das Gefühl, in etwas Intimes, Verbotenes einzudringen, wovor ihn die Hitze warnte. Er spürte den Umriss der Rippen an seinen Fingern, die feste Wölbung des Körpers. Und als er tiefer hineingriff, mit sanftem Druck auf die steifen Grate der Wirbelsäule zuarbeitete, gab er sich große Mühe, nur an das zu denken, was er tat, nicht, was er getan hatte.

Als er mit der einen Seite fertig war, ging er um die Bank herum und machte dasselbe mit der anderen, löste das Lamm aus sich selbst, bis er den Freiraum erreichte, den er bereits geschaffen hatte. Seine Knöchel brannten vor Anstrengung, und er hielt kurz inne, bevor er weitermachte, schnitt und zog, bis er das Fell völlig gelöst hatte und das Tier nackt auf der Bank lag.

Sandy schaute zu David hinüber und beobachtete die schnellen, perfekten Bewegungen seiner Hände. Er versuchte, es ihm nachzumachen, hob die dünne Membran an, die die Bauchhöhle umspannte, und trennte sie sorgfältig ab, wobei er die Klinge so hielt, dass die Schneide von den vorquellenden Eingeweiden wegzeigte. Ein fettiger, fauliger Geruch drang aus dem Innern, und das verschlungene Gewirr tauchte auf, zart und grässlich. Genau hier kann alles schiefgehen, dachte er. Hier drin ist alles, was man nicht aufschneiden will: eine pralle Blase und ein voller Darm. Er schnitt von der Leiste bis zum Brustbein, dann höher bis zum Hals, wobei er das Brustbein durchtrennte. Das Tier öffnete sich.

David hatte Emma nie beigebracht, wie man ein Lamm tötet und ausnimmt. Auch seiner älteren Tochter Kate nicht. Er war kein Traditionalist durch und durch, hier aber schon: Männer brachten es ihren Söhnen bei, deshalb brachte er es Sandy bei. Vielleicht stellte er sich vor, dass dieses Wissen weitergegeben würde, an seinen eigenen künftigen Enkel, obwohl er so einen Gedanken nie laut aussprach. Doch jetzt, an diesem Tag, wurde die Vereitelung dieses unausgesprochenen Gedankens für Sandy offensichtlich, und vielleicht auch für David. An diesem Tag waren sie nur Nachbarn. Das Begreifen dieser Veränderung stand zwischen ihnen, während sie schweigend ihre Bänke umkreisten, wie einsame Tänzer.

»Bist du fertig?«, fragte David.

»Fast. Bin gleich bei dir.«

David ging zu dem Schrank an einer Seitenwand und holte sich eine Handvoll Metallhaken. Er durchstach die hinteren Beinsehnen seines Lamms und steckte jeweils einen Haken hinein. Sandy nahm das Metall in die Hände und hob das Lamm so hoch, wie er konnte. David griff mit der Hand hinein, schnitt die dunkle Leber und das Herz heraus und legte sie beiseite. Er durchtrennte das Zwerchfell, schnitt Luft- und Speiseröhre ab, zog dann die Eingeweide heraus und warf den Darm in einen Plastikeimer zu seinen Füßen. Schließlich wurden die Nieren entfernt, die von einem geronnenen Fettklumpen umgeben waren.

»Okay, häng’s auf«, sagte David, »und dann machen wir das Ganze noch mal.«

Als sie fertig waren, hingen acht Körper von der Stange an der einen Wand des Schuppens, rosig und dunkelrot und weiß marmoriert. Jetzt war alle Wärme aus ihnen entwichen, jeder Hinweis auf das Leben, das eben erst geendet hatte. Sie waren fest und steif. In ein paar Tagen wären sie schon zerteilt und lägen in Davids Tiefkühltruhe. Und auch in seiner, hoffte Sandy.

Die beiden Männer putzten die Sauerei weg, stopften Häute und Därme und Köpfe in schwarze Säcke, schabten den gelierten Blutschlick draußen weg und schrubbten den fleckigen Boden mit Reinigungsmittel. Dann standen sie zusammen in der Tür und schauten hinaus über den Hausacker und das Tal, als eine Pfeilformation Gänse flügelschlagend über ihre Köpfe hinwegzog, die Luft in ihren Federn ein Wimmern. Sie sahen den Vögeln nach, die südlich nach Treswick flogen.

David drehte sich zu Sandy um. »Willst du einen von diesen Köpfen mit nach Hause nehmen?«, fragte er. »Damit du Gesellschaft hast.«

Sandy ließ den Witz kurz zwischen ihnen hängen und genoss dessen Unbeholfenheit. Dann lachte er.

»Nee, ich komm schon zurecht.«

David nickte feierlich. »Wenn du es sagst.«

Sandy bemerkte einen Blutspritzer auf dem Gesicht des Älteren und hatte das Bedürfnis, es ihm zu sagen oder ihn mit dem Ärmel seines Pullovers wegzuwischen. Aber es war unwichtig. Er war der Einzige, der es je sehen würde.

»Kommst du dann morgen wieder?«, fragte David. »Sind nur noch ein paar, aber deine Hilfe könnt ich schon noch mal brauchen.«

»Ja. Ich komm wieder.«

»Gut. Ich sag Mary, sie soll mehr zum Abendessen kochen. Du kannst dann mit uns essen. Komm so gegen zehn, wenn’s dir recht ist.«

Sandy lächelte und nahm sich einen Beutel mit zwei Lebern und zwei Herzen darin. Das klare Plastik klebte an seinen schmierigen Händen. »Bis morgen dann«, sagte er, ging die Auffahrt hoch und hinaus auf die Straße.

*

»Liebling, ich setz schon mal die Kartoffeln auf. Schau zu, dass du in zwanzig Minuten wieder da bist, okay?«

»Schon gut«, rief David. Er suchte im Dielenschrank nach etwas, dann war er verschwunden. Die Haustür ging auf und zu. Ein kalter Windhauch kam in die Küche, und Mary stellte sich näher an den Herd. Ihr Mann hatte so eine Art, Sachen mitzubekommen, ohne dass er zuzuhören schien. Früher irritierte sie das, jetzt aber nicht mehr. Sie wusste, dass er rechtzeitig zum Essen zurück sein würde.

Die Geräusche und Gerüche des Kochens füllten die Küche, und Mary war mittendrin. Mit den Händen in den Taschen ihrer Schürze stand sie da. Alles war fertig oder so gut wie. Jetzt konnte sie nur noch warten. Fünf, vielleicht zehn Minuten lang konnte sie einfach die Hände ruhen lassen.

Fast ihr ganzes Leben lang hatte sie Freizeit nicht gekannt. Zwei Mädchen aufziehen, arbeiten, alle mit Essen versorgen: Keine Zeit hatte sich je frei angefühlt. Und wenn sie mal eine Pause machte, was sie hin und wieder tun musste, hatte sie in diesen Augenblicken immer ein schlechtes Gewissen, als gehörten sie nicht rechtmäßig ihr, sondern wären einem anderen gestohlen, einem, der sie mehr verdient hatte. Wenn sie einmal innehielt und sich mit einer Tasse Tee in der Hand hinsetzte, überfielen sie sofort Gedanken an alles, was sie stattdessen tun könnte und tun sollte. Das Wohnzimmer musste gesaugt, das Bad musste geputzt, Essen musste gekocht, Wäsche gewaschen werden. Sie ärgerte sich nie über die Arbeit, die anfiel – schließlich hatte sie sich dieses Leben ausgesucht –, aber sie hasste es, wie sie ihre Gedanken steuerte, als hätte sie einen Polizisten in sich.

Als sie David heiratete, hatten sie eine Übereinkunft getroffen: Er würde den Hof bearbeiten, sie das Haus. Es war eigentlich keine geschäftliche Vereinbarung, eher ein gegenseitiges Einvernehmen. Sie hatten jeder einen Job nebenher – er im Ölterminal, sie an der Grundschule in Treswick, mit dem Auto zehn Minuten entfernt –, und das war beiden sehr recht. Die Tiere interessierten Mary nicht sonderlich. Zumindest nicht, solange sie lebten. Sie half im Gemüsegarten, wenn sie gebraucht wurde, Kartoffeln ernten oder was gerade getan werden musste, und sie kümmerte sich um die Pflanzen in den Blumenbeeten. Ansonsten arbeitete sie fast nur im Haus. Seit über zwanzig Jahren wirkte diese Arbeit endlos, eine Liste, von der nie etwas gestrichen werden konnte.

Dann verließ Kate das Haus, und Emma ging in den Süden, um zu studieren, und alles änderte sich. Überschüssige Zeit schlich sich an sie heran, als hätte sie schon die ganze Zeit im Haus gelauert. Ohne Vorwarnung gab es immer wieder Situationen, in denen nichts Dringendes zu erledigen war, und dann suchte sie nach einer nützlichen Beschäftigung. Das Haus wurde sauberer, als es je gewesen war. Der Garten noch unkrautfreier.

Doch als Mary im letzten Sommer in Rente ging, löste die Struktur, um die herum ihr Leben gekreist hatte, sich auf. Ihre Tage wurden weite Räume, die man füllen musste. Sie musste noch lernen, das zu tun, lernen, es zu genießen. Vielleicht war sie jetzt glücklicher als je zuvor, es war schwer zu sagen. Sie wusste nicht mehr, wie es sich angefühlt hatte, als die Kinder noch jünger waren. Vielleicht hatte sie zu viel zu tun gehabt, um viel zu fühlen. Sie war einfach da gewesen, sie lebte und war, was sie arbeitete.

Die Kartoffeln begannen, im kochenden Wasser zu hüpfen und zu poltern. Mary drehte die Flamme kleiner, setzte sich dann an den Tisch und kaute an den Fingernägeln. Sie dachte an Emma, und ihre Gedanken kreisten um diese brandneue Abwesenheit. Bis gestern Abend hatte ihre Tochter gleich nebenan gewohnt. Jetzt war sie in Lerwick, und wie es aussah, würde sie bald noch sehr viel weiter weg sein – einen Flug, eine Meeresüberquerung entfernt. Zu denken, dass Emma weg war, fiel ihr schwer. Zu denken, dass sie unglücklich, allein war, fiel ihr schwer. Emmas Traurigkeit war von der ihrer Mutter nicht zu unterscheiden. Mary wollte die Hand nach ihr ausstrecken und sie halten, als wäre sie sechs Jahre alt, als wäre sie gestürzt und hätte sich das Knie aufgeschlagen, als gäbe es etwas, irgendetwas, das eine Mutter tun konnte. Aber es gab nichts. Ihre Tochter war kein kleines Mädchen mehr, und sie brauchte Marys Hilfe nicht. Jetzt nicht mehr. Sie traf ihre eigenen Entscheidungen, machte ihre eigenen Fehler, und ihre Mutter musste untätig dasitzen und warten, hilflos wie ein Kind neben einem weinenden Elternteil.

Mary hatte gesehen, dass Sandy heute Morgen gekommen war, aber sie war nicht hinausgegangen, um hallo zu sagen. Solange er da war, hatte sie das Haus nicht verlassen. Nicht, weil sie wütend war. Sondern weil sie irgendwie Angst hatte, ihn in ihre Traurigkeit mit hineinzuziehen. Ihr Mitleid war noch zu eng mit ihrem eigenen Verlustgefühl verbunden, und es gab Fragen der Loyalität, die beantwortet oder zumindest gestellt werden mussten.

Sie stand auf, um noch einmal nach den Kartoffeln zu schauen. Sie machte sich zu viele Sorgen. Sie hatte sich schon immer zu viele Sorgen gemacht. David schüttelte nur den Kopf, wenn er sah, wie sie die Stirn in Falten legte, grübelte, ihre Zeit verschwendete. Sie fürchte immer das Schlimmste, sagte er, und vielleicht hatte er recht. Im schlimmsten Fall kam es selten zum Allerschlimmsten. Heute war ein schlechter Tag, und morgen vielleicht auch noch. Aber bald kamen wieder bessere Tage, das wusste sie.

Die Haustür ging, und sie hörte David in der Diele, er zog die Stiefel aus, hängte seine Jacke auf und öffnete den Reißverschluss seines Overalls. Jetzt würde er die Ärmel seines Pullovers aufkrempeln, um sich die Hände zu waschen. Sie hörte ihn seufzen, dann ging die Badtür zu. Sie nahm die Kartoffeln vom Herd und goss sie im Spülbecken ab.

Beim Essen redeten sie nicht viel, und über Emma sagten sie kein Wort. Sie aßen einfach nur und waren dankbar für die Gesellschaft des anderen. Reden würden sie später, das wusste Mary, wenn der Tag vorüber war und die Müdigkeit sie näher zusammenbrachte. Sie stand auf und räumte die Teller ab. David nippte an dem Glas Wasser vor sich.

»Willst du Tee?«, fragte sie.

»Ja, das wär wunderbar.«

Mary setzte den Kessel auf und öffnete den Kühlschrank. Sie zögerte und starrte hinein. Etwas störte sie. Es dauerte ein paar Sekunden, bis es ihr wieder einfiel. »Oh, Scheiße! Ganz vergessen. Mittags hat Maggie angerufen. Die Milch ist ihr ausgegangen, und ich hab versprochen, ihr ein Pint vorbeizubringen. Das ist Stunden her. Inzwischen dürfte sie mich verfluchen.«

»Ist doch gar nicht deine Art, so was zu vergessen.«

»Nein, ist es nicht.« Mary schüttelte den Kopf und nahm einen Karton Milch aus dem Kühlschrank. »Ich geh jetzt gleich«, sagte sie. »Dauert nicht lang. Kannst du bitte den Abwasch übernehmen?«

David nickte. »Ja. Und ich setz den Kessel wieder auf, wenn du heimkommst.« Mary lächelte und ging zur Haustür. Sie nahm ihre Handschuhe vom Tisch in der Diele und ging dann hinaus zum Auto. Der Abend war klar und kalt und so gut, wie man es sich Ende Oktober erhoffen konnte. Ein Meer aus Sternen drehte sich über dem Tal, als Mary zu Maggie ans Ende der Straße fuhr. Ihre Scheinwerfer schnitten durch die Dunkelheit und verhüllten alles außerhalb ihrer Reichweite.

Maggie war alt – inzwischen ging sie schon auf die neunzig zu – und hatte keine Familie in der Nähe, die nach ihr sehen konnte. Eine Schwester, Ina, lebte in Neuseeland, und eine Nichte ebenfalls. Aber sie hatte keine eigenen Kinder, und ihr Ehemann Walter war schon lange tot. Für ihr Alter ging es ihr sehr gut. Sie war fast immer gesund gewesen, und sie brauchte kaum Hilfe im Alltag. Aber so unabhängig, wie sie wollte, war sie nicht. David hatte ihren Grund schon vor mehr als fünfzehn Jahren übernommen, als sie das Herz und die Kraft dafür verlor. Maggie kannte er länger als jeden anderen. Er war im Tal aufgewachsen, wie sie auch, und er betrachtete sie nicht unbedingt als Mutter, dachte Mary, aber doch als einen sehr wichtigen Teil seines Lebens. So gut wie jeden Tag schaute er oder sie nach ihr, ob es ihr gut ging, ob sie irgendetwas brauchte. David hielt sie über seine Arbeit mit den Schafen auf dem Laufenden, und Mary erzählte ihr jeden Klatsch, den sie für erzählenswert hielt. Maggie hörte noch immer gern »das Neueste«, wie sie es nannte. Sie wusste gern Bescheid über die Leben, die ihr eigenes umkreisten.

In Gedanken noch woanders, bemerkte Mary erst beim Anhalten vor dem Haus, dass etwas nicht stimmte. Normalerweise war es nach Einbruch der Dunkelheit hell erleuchtet wie ein Schiff, da Mary nie irgendetwas ausschaltete, wenn sie von einem Zimmer ins andere ging. Aber heute Abend wirkte es leer. Mary war erleichtert, als sie beim Aussteigen sah, dass eine einzelne Lampe durchs Wohnzimmerfenster schien. Maggie ist also da, dachte sie, schläft wahrscheinlich in ihrem Sessel am Feuer. Doch als sie die Haustür öffnete, eintrat und »Hallo, ich bin’s nur« rief, wie sie es immer tat, fand sie das Wohnzimmer leer. Sie schaltete das große Licht im Gang ein und stieg die Treppe hoch. Oben klopfte sie leise an die Schlafzimmertür und öffnete sie dann, um hineinzuschauen. Das Zimmer war leer, das Bett ordentlich gemacht. Sie ging durchs ganze Haus und öffnete abwechselnd jede Tür, doch Maggie war nicht da.

Mary überlegte sich, was passiert sein konnte. Als sie zuvor miteinander telefoniert hatten, war alles noch in Ordnung gewesen. Sie hatten nicht darüber gesprochen, dass irgendjemand sie abholen würde, und seit Stunden war kein Auto mehr die Straße hinuntergefahren. Maggie hatte schon seit Jahren kein Auto mehr, sie selbst konnte also nirgendwohin gefahren sein. Mary ging wieder zur Vordertür hinaus und schaute zu Terrys Haus hinüber. Dort brannte Licht, und sie fuhr die gut hundert Meter, klopfte und trat ein. Da war sie bereits in Panik. Terry saß mit Sandy im Wohnzimmer, sie tranken Bier. Zuerst schaute Mary die beiden nur an, dann sah sie sich im Zimmer um, als könnte die alte Frau dort irgendwo sein, in irgendeiner Ecke kauern. Als sie dann sprach, spürte sie eine Enge in der Brust.

»Habt ihr sie gesehen?«, fragte sie. »Maggie meine ich. Habt ihr Maggie gesehen?«

»Nicht vor kurzem«, sagte Terry.

»Ich auch nicht«, fügte Sandy hinzu. »Ich meine, seit dem Nachmittag nicht.«

»Heute Nachmittag? Wann am Nachmittag?«

»So gegen drei«, sagte Sandy. »Sie war auf der Strandweide, nicht weit vom Haus entfernt.«

»Und du hast sie nicht zurückkommen sehen?«

»Nein. Um drei hab ich sie nur zufällig gesehen. Danach nicht mehr. Ich hab einfach angenommen, dass sie wieder nach Hause gegangen ist.«

»Na ja, aber zu Hause ist sie nicht!« Marys Stimme war lauter, als sie beabsichtigt hatte. »Wir müssen nach ihr suchen«, sagte sie.

»Bist du sicher, dass das nötig ist?«, fragte Terry.

»Nein, ich bin nicht sicher«, sagte Mary. »Ich weiß es nicht. Aber ich glaube schon. Ich werde jetzt David anrufen.«

Die beiden Männer zogen ihre Stiefel an und folgten Mary nach draußen. Sie zitterte, als die kalte Luft nach ihren Wangen und Händen griff.

Nur ein paar Minuten später kam Davids Pick-up die Straße herunter, und die drei standen schweigend neben dem Tor und warteten, dass man ihnen sagte, was sie tun sollten. Mary roch den Alkohol an ihnen, und auch wenn es unsinnig war, ärgerte sie sich doch über ihre Verantwortungslosigkeit. Trinken! Gerade heute Abend!

David hielt neben dem Haus, schaltete den Motor ab und öffnete die Tür, stieg aber nicht aus. Sam, sein alter Border Collie, saß im Fußraum des Beifahrersitzes, mit offenem Maul und aufgestellten Ohren. David schnappte sich drei Taschenlampen und schaltete sie nacheinander an und wieder aus, nur zur Sicherheit. »Na«, sagte er, »dann wollen wir mal nachschauen. Ist wahrscheinlich mit einer Freundin irgendwohin, aber schauen sollten wir schon. Und wenn sie bis zwölf nicht zu Hause ist, ruf ich die Küstenwache an, mal sehen, was die denken.«

Er wandte sich an Sandy. »Du hast sie also am Strand gesehen?«, fragte er.

»Ja, und sie war schon halb durch die Weide. Aber das war vor vier oder fünf Stunden.«

»Okay, also wenn einer von uns am Strand entlanggeht, können die anderen zwei durch die Weide gehen und rüber bis Burganess. Wir laufen einfach herum und schauen, was wir finden. Mary, vielleicht solltest du bei ihr im Haus bleiben, falls sie zurückkommt, von wo immer sie war. Bringt nichts, wenn wir über den Hügel latschen, wenn sie zu Hause vor dem Fernseher sitzt.«

David schaute zum Meer hinüber.

»Okay, Terry, wenn du am Strand entlanggehst, von dem Ende da, das wär gut. Wenn du uns brauchst, versuch’s auf meinem Handy oder lass die Taschenlampe ein paarmal aufblitzen, dann kommen wir runter.«

Er streckte die Hand aus und legte sie Mary an die Wange, während Sandy neben ihm einstieg, dann fuhren sie los bis zum Ende der Straße. Mary sah zu, wie die Männer den Pick-up verließen, durch das Tor und auf die dunkle Wiese gingen, zusammen mit dem Hund, der ihnen vorauslief. Eine Weile hörte sie sie noch, das Rascheln ihrer wasserdichten Jacken und das Schmatzen ihrer Stiefel auf dem weichen Boden. Stimmen waren allerdings nicht zu hören. Sobald David gesagt hatte, was zu sagen war, hielt er den Mund.

Die beiden Lichtkegel der Taschenlampen huschten in die eine und die andere Richtung über die Wiese, überquerten dann den Bach und folgten der Landzunge nach Burganess. Das dritte Licht sah sie irgendwo hinter Maggies Haus am Strand entlangschwingen. Sie traute Terry nicht besonders, vor allem nicht, wenn er getrunken hatte, aber sie hoffte, er nahm seine Aufgabe ernst. Sie fuhr zu Maggies Haus zurück und ging hinein. Durchs Westfenster des Wohnzimmers konnte sie die Taschenlampen sehen, deren merkwürdige, unnatürliche Bewegungen die Nacht durchstachen.

Dieses Tal war seit fast fünfunddreißig Jahren Marys Zuhause, und in der ganzen Zeit war Maggie ein Teil dieses Orts gewesen, eigentlich nicht weniger als die Felder, der Bach und die Straße selbst. Mary dachte zurück an den Tag, als sie zum ersten Mal in diesem Haus gewesen war, kurz bevor sie und David heirateten. Sie wurde ins Tal gebracht, um die Leute kennenzulernen. Sie wurde von Haus zu Haus geführt wie eine Kuriosität oder eine Zirkusnummer, damit alle sie sehen und mit ihr reden und danach untereinander über sie tratschen konnten, wenn sie wieder weg war. Sie besuchten Jimmy und Catherine, Davids Eltern, anschließend Maggie und Walter hier, fuhren dann zum Red House, um Willie kennenzulernen, und schließlich zu Joan in Kettlester, wo sie jetzt wohnten. Natürlich hatte sich in diesem Haus viel verändert. Ende der Achtziger hatten sie es renoviert und modernisiert, mit einer brandneuen Küche und einem zweiten Bad. Aber unter alldem war es immer noch erkennbar. An den Wänden hingen dieselben Bilder, die Möbel und Verzierungen waren dieselben. Es war sogar noch der alte Geruch, den sie von diesem allerersten Tag in Erinnerung hatte: ein dichter, tröstender Geruch, nach Handcreme und Staub und Seife und Suppe.

Als die Tür aufging, schreckte Mary hoch, und das Herz hämmerte in ihrer Brust. Es war David, noch in Jacke und Hut und Stiefeln. Er schaute seine Frau an und wandte dann den Blick ab.

»Und, habt ihr sie gefunden?«, fragte Mary und versuchte, zuversichtlich zu klingen. David trat von einem Fuß auf den anderen, schaute zu Boden und schließlich zu Mary.

»Ja, wir haben sie gefunden.«

Samstag, 23. Januar