Buch
Rom 1952: Die junge, aus armen Verhältnissen stammende Ruby kann ihr Glück kaum fassen. Sie hat eine Rolle in einem Audrey-Hepburn-Film ergattert. Plötzlich ist ihr Traum, eines Tages eine berühmte Schauspielerin zu werden, zum Greifen nah. Bei den aufregenden Dreharbeiten in der Ewigen Stadt verliebt sich Ruby in ihren charmanten Schauspielkollegen Niccolò Mancini. Doch nach einem schicksalhaften Ausflug an den Comer See muss sie Italien und Niccolò verlassen … Hollywood, Gegenwart: Am Tag der Hochzeit verlässt die junge Kostümdesignerin Ariana Ricci ihren untreuen Verlobten. Sie findet Zuflucht bei ihrer Großtante Ruby, einer berühmten Schauspielikone. Ruby schlägt Ariana zur Ablenkung eine gemeinsame Reise vor: Sie will sie endlich in das Geheimnis ihrer Vergangenheit einweihen. Am malerischen Comer See beginnt für die beiden Frauen ein Sommer, der alles verändert …
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sowie zu lieferbaren Titeln der Autorin
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Jan Moran
Sterne über dem
Comer See
Roman
Aus dem Amerikanischen
von Stefanie Retterbush
Die amerikanische Originalausgabe erschien 2021 unter dem Titel »Hepburn’s Necklace« bei Sunny Palms Press, Beverly Hills.
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Deutsche Erstveröffentlichung Mai 2021
Copyright © der Originalausgabe 2021 by Jan Moran
Published by Arrangement with Jan Moran
Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2021
by Wilhelm Goldmann Verlag, München,
in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,
Neumarkter Str. 28, 81673 München
Dieses Werk wurde vermittelt durch die
Literarische Agentur Thomas Schlück GmbH, 30161 Hannover
Umschlaggestaltung: UNO Werbeagentur, München
Umschlagmotive: FinePic®, München
Redaktion: Waltraud Horbas
KS · Herstellung: kw
Satz: KompetenzCenter, Mönchengladbach
ISBN: 978-3-641-26484-0
V001
www.goldmann-verlag.de
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PROLOG
Comer See, März 2010
Ruby trat so nahe an den felsigen Abgrund, wie sie es nur wagte, und eine stille Freude erfüllte sie beim Anblick des schimmernden tiefblauen Wassers weit unten in dem von Grün umwachsenen Fjord. Schaute man nach Norden, wo die Grenze zwischen Italien und der Schweiz lag, sah man schneebedeckte Gipfel in den Himmel ragen. Auf beiden Seiten des Sees scharten sich sattgrüne Palmen, Tannen und Maulbeerbäume um kleine Dörfchen, die sich an den Fuß der steilen Felswände schmiegten, umgeben von einem Meer aus gelben Narzissen und lila Krokussen.
Ruby reckte das Kinn in die Breva, den nachmittäglichen Wind, der über den Comer See wehte, und fuhr sich mit der Hand durch die langen dunkelroten Haare. Ihre Friseurin war zwar eine echte Zauberin und traf ihre natürliche Haarfarbe immer sehr genau, aber die wallende, glänzende Mähne von früher, der sie auch ihren Spitznamen zu verdanken hatte, war das schon lange nicht mehr.
Als kleines Mädchen hatte sie so leuchtend rubinrot schimmernde Haare gehabt, dass ihre Mutter sie immer nur Ruby nannte. Ein liebevoller Kosename, der sie ihr ganzes Leben lang begleiten sollte; Lucille Eunice war aber auch einfach zu umständlich zu rufen. Später dann hatte Ruby den Mädchennamen ihrer Mutter als Künstlernamen angenommen: Raines. Sie fand, das klang mondän und extravagant. Nicht wie der Familienname ihres Vaters, Smith, den ihr Agent viel zu gewöhnlich für eine aufstrebende Filmschauspielerin fand.
Während die kleine, private Reisegruppe aus pensionierten Filmveteranen hinter ihr munter weiterplapperte, verlor sie sich in ihren Erinnerungen. Sie dachte daran, wie es sich angefühlt hatte, als Niccolò die Arme um sie gelegt hatte, damals, genau hier, just an dieser Stelle in Bellagio. Mit starken Händen hatte er ihre schmale Taille umfasst. Bei der Erinnerung daran wurde sie von einem zarten, köstlichen Gefühl erfüllt. Ihre Liebe zu ihm war nie erloschen, noch nicht einmal verblasst.
Eine Liebe wie diese, das wünschte sich Ruby von ganzem Herzen auch für ihre Nichte Ariana. Und fürchtete doch, Ariana könnte die Gelegenheit dazu einfach verstreichen lassen.
Niccolò. Liebster. Im Sommer 1952 hatten sie sich kennengelernt, am Filmset von Ein Herz und eine Krone, der ihr bis heute der Liebste von all ihren vielen Filmen war. Sie konnte nie genug bekommen von der Geschichte der eigensinnigen, entlaufenen Prinzessin, die aus ihrem goldenen Käfig ausbricht, um ein paar verzauberte Tage in Rom zu verbringen, und dabei zum ersten Mal die wahre Liebe erlebt. Mit diesem Film war Audrey Hepburn über Nacht zum Weltstar geworden, und in gewisser Weise hatte er auch Rubys Filmkarriere überhaupt erst ins Rollen gebracht.
Sie legte die Hand an die kleine Kuhle am Hals und strich nachdenklich über den abgegriffenen silbernen Anhänger, den Audrey ihr damals geschenkt hatte. Ihre Großzügigkeit hatte Ruby sehr gerührt, aber nicht nur deshalb hing sie an dem Schmuckstück.
Dieser Sommer war für immer in ihren Gedanken, wie eine Filmspule in ihrem Kopf – und doch so ganz anders als die Version, die immer im Kino lief.
Es war im Juni 1952 …
In einem weit schwingenden himmelblauen Rock mit frisch gestärkter schneeweißer Bluse und einem flott geknoteten Tüchlein um den Hals – mit besten Grüßen vom Chef der Kostümabteilung – saß Ruby auf der Spanischen Treppe in Rom und streckte die langen Beine aus. Hinter ihr, oberhalb der Steintreppe, ragte das imposante Hassler auf – das Grandhotel, in dem Audrey Hepburn, Gregory Peck und Eddie Albert abgestiegen waren.
In der Sommerhitze hatte Ruby die Ärmel ihrer Bluse weit nach oben gekrempelt, wie der Garderobier sie angewiesen hatte, und versuchte, sich auf das Skript in ihrem Schoß zu konzentrieren. Sie musste noch den Text für ihre kleine Szene auswendig lernen.
Ruby legte die Hand auf den Bauch. Ihr Magen schien sich so fest verschlungen zu haben wie die Bulin-Knoten, die ihr Vater ihr zu Hause auf der Ranch in Texas beigebracht hatte. Da war sie nun und lebte das Leben, das sie sich immer erträumt hatte. Eine richtige Rolle mit Text, in einem Film! In Italien! Sie konnte ihr Glück kaum fassen. Dieses unbeschreibliche Abenteuer hatte Ruby allein ihrer Mutter zu verdanken.
Gleich unterhalb der Stufen auf der Piazza beriet sich Mr Wyler gerade mit seinem Regieassistenten. Miss Hepburn und Mr Peck nutzten die Drehpause zur Entspannung, während die Maske ihre Frisuren richtete und das Make-up auffrischte. Kameramänner und Beleuchter überprüften Geräte und Beleuchtung. Von oben beugten sich Menschen über die Geländer und gafften, während sich der Rauch ihrer Zigaretten in der warmen Luft kräuselte. Das lebhafte Geplauder würde schnell wieder verstummen, wenn erst wieder gefilmt wurde.
Ein Schatten fiel auf ihren Text.
»Buongiorno, Signorina.«
Ruby schirmte die Augen mit einer Hand ab und schaute auf, geradewegs in die unglaublichsten blauen Augen, die sie je gesehen hatte, gerahmt von dichten, dunklen Wimpern und betont von markanten Augenbrauen. Hohe Wangenknochen, glänzend schwarze, gelockte Haare, die ein ausdrucksstarkes Gesicht rahmten … Ruby fand, es musste der wohl attraktivste Mann sein, der ihr je über den Weg gelaufen war.
»Hi«, krächzte sie. Ihr Hals war wie zugeschnürt.
»Americana?«
»Ich komme aus Texas. Wir waren mal eine Republik. Zehn Jahre lang.« Stumm schalt sie sich: Was rede ich denn da? Schon seit ihrer Ankunft in Rom war sie verschreckt wie ein nervöses Kaninchen.
Ein Lächeln spielte um die vollen Lippen des jungen Mannes. »Ich bin Niccolò. Darf ich mich zu Ihnen setzen? Wir könnten zusammen unseren Text durchgehen«, fügte er hinzu und schlug sein Skript auf.
»Ruby. Erfreut, Sie kennenzulernen.« Seine Stimme klang so melodisch, dass ihr ganz anders wurde. »Wo haben Sie denn so gut Englisch gelernt?«, fragte sie.
»Ein bisschen von meinen Eltern, aber das meiste aus dem Kino. Amerikanische Filme, englische Filme. Ich finde es unglaublich, diesen Leinwandzauber, der einen so in seinen Bann zieht. Ich wollte immer schon schauspielern – und schreiben. Solange ich denken kann. Vielleicht haben wir da eine Gemeinsamkeit.« Er berührte beim Sprechen ganz leicht ihre Schulter. »Und nun sind wir hier, mittendrin, und helfen mit, die Menschen zu verzaubern.«
Ruby nickte und brachte kaum ein Wort heraus. Was dieser Niccolò da sagte, empfand sie genauso. Es war, als spräche er ihr aus der Seele. »Ja, da haben wir wohl etwas gemeinsam.«
Ruby blinzelte in die leichte Brise. Dieser Sommer hatte ihr ganzes Leben auf den Kopf gestellt. War das wirklich schon so lange her? Die Jahre vergingen wie im Flug. In nächster Zeit hatte sie einige dringende, unaufschiebbare Angelegenheiten zu erledigen – vor denen sie sich schon seit Langem drückte.
Der junge italienische Fremdenführer legte ihr sachte eine Hand auf den Arm. »Signora Raines«, sagte er mit sanfter, respektvoller Stimme, und sein linkes Auge zuckte dabei ganz leicht. »Sie sind extrem dicht am Abgrund. Würden Sie bitte einen Schritt zurücktreten? Wir würden Sie nur ungern verlieren.«
»Ich habe mein ganzes Leben lang in Extremen gelebt, Matteo. Und das hier wäre doch ein atemberaubend schöner Ort zum Sterben, nicht?« Doch als Ruby merkte, wie nervös der junge Mann war, trat sie brav einen Schritt zurück, und ihre elfenbeinweiße seidene Marlenehose flatterte im Wind. »Aber nicht heute, versprochen.«
Matteo war sichtlich erleichtert. Ließe er einen weltberühmten amerikanischen Filmstar in den Abgrund stürzen, würde er sich wohl einen neuen Job suchen müssen. Aber was für eine furiose, dramatische Schlagzeile das gäbe! Star am Abgrund: Ruby Raines stürzt sich von Alpengipfel.
Wobei das, worauf sie gerade standen, eigentlich mehr ein lombardischer Hügel war. Reizend, aber nicht halb so spektakulär.
Ihr Fremdenführer wandte sich wieder an die kleine Reisegruppe. »Wenn der Comer See Ihnen irgendwie bekannt vorkommt, könnte das an Filmen wie Casino Royale und Ocean’s Twelve liegen, die zum Teil hier gedreht wurden.«
Ruby klopfte mit ihrem eigens angefertigten Gehstock – ein reich verziertes Ding, aus duftendem Zedernholz gefertigt, mit einem rubinäugigen silbernen Adler als Handgriff, das sie bei einem Heimatbesuch in Texas in Auftrag gegeben hatte – energisch auf den Boden. Die Presse hatte sie früher gerne als »feurige Texanerin« bezeichnet und sie mit Maureen O’Hara und Katharine Hepburn verglichen. Damals hatte sie gerade ihren ersten Western gedreht, Tagebuch einer Pionierin, an der Seite eines bekannten Cowboy-Film-Helden.
Der Kerl war so zudringlich gewesen, dass sie die vom Drehbuch vorgegebenen Ohrfeigen sehr genossen hatte. Er hatte sich jede einzelne davon redlich verdient, aber auch die hatten ihm das selbstzufriedene Grinsen nicht aus dem Gesicht wischen können. Nicht einmal, als sie rund um den Globus für ihre Rolle Auszeichnungen als Beste Darstellerin gewonnen hatte. Diese Genugtuung war ihr immerhin geblieben.
Entschieden schüttelte Ruby die Erinnerungen an damals ab und stemmte ihren Gehstock gegen einen Felsvorsprung. Wobei Spazierstock irgendwie eleganter klingt. Auch wenn es nicht ganz stimmte … Und das alles nur wegen eines ungeschickten Schrittes von der Bordsteinkante, zu Hause in Palm Springs, bei dem sie sich den Knöchel verstaucht hatte.
Wirklich, sie war doch noch nicht so alt und tatterig, dass sie einen Krückstock brauchte.
Doch Ariana hatte darauf bestanden, dass sie ihn mitnahm. »Als kleine Hilfe, damit du das Gleichgewicht besser halten kannst, Tante Ruby.«
»Meinem Gleichgewicht geht es ausgezeichnet, herzlichen Dank«, hatte Ruby brüsk erwidert, auch wenn ihr insgeheim das Herz aufging, weil Ariana sich so rührend um sie kümmerte. Ihre entzückende Nichte mit den rotblonden Haaren hatte ein Herz aus Gold. Nur war sie leider oft viel zu nett.
Ruby setzte die Spitze ihres Gehstocks auf den steinigen Boden. Hier, genau hier, haben Niccolò und ich gestanden und uns unsere gemeinsame Zukunft erträumt. Träume, so groß wie das unendlich weite Himmelszelt über ihnen, gespannt zwischen schneebedeckten Berggipfeln.
Aber wir waren so jung, so naiv.
Schauspielerin zu werden war immer ihr Traum gewesen, schon seit sie ihren allerersten Film, Die Wildnis ruft, in einem alten verstaubten Kino gesehen hatte. Über eine Stunde lang war ihre Mutter mit dem verrosteten Pick-up, den sie auf der Ranch hatten, über holperige Straßen gerumpelt. Sie hatten sogar ihren Sonntagsstaat getragen. Ihre Mutter hatte ihr eigens ein neues rot kariertes Vichykleid mit blauen Paspeln genäht.
Vom ersten Flimmern auf der Leinwand an war Ruby der Zelluloidsaga rettungslos verfallen und stellte sich vor, selbst der kleine Junge aus dem Film zu sein. Jahre später hatte ihre Mutter ihrer Schwester Vivienne, die in Hollywood wohnte und zufällig einen Talentsucher kannte, aus einer Laune heraus ein paar Fotos von Ruby geschickt. Angefleht hatte ihre Mutter Rubys Vater, ihr dieses eine kleine Abenteuer zu gönnen, ehe sie heiratete und eine eigene Familie gründete. Und dann, ehe sie sich versah, hatte Ruby in einem Greyhound-Bus nach Hollywood gesessen.
Ruby schwankte ein wenig am Hang und richtete sich mithilfe ihres Gehstocks wieder auf. Die Vergangenheit erschien ihr oft präsenter als die Gegenwart. In letzter Zeit ertappte sie sich gelegentlich dabei, dass sie Unwichtiges vergaß. Einen Termin oder den Namen einer neuen Bekanntschaft. Aber eigentlich gar nicht mal so übel für eine junggebliebene Dame gewissen Alters, sagte sie sich. Nie würde sie zugeben, auch nur einen Tag älter zu sein als neunundsechzig, zumindest nicht vor der Presse. Sie fühlte sich nicht alt. Nur manchmal, wenn an regnerischen Tagen die Gelenke verräterisch knackten.
Aber an das, was damals in Italien passiert war, erinnerte Ruby sich noch ganz genau. In Gedanken schwelgte sie in zuckersüßen Erinnerungen und hob das Gesicht mit geschlossenen Augen genießerisch in die warmen Sonnenstrahlen. Gleich darauf zupfte sie jemand am Ärmel, und sie drehte sich um.
»Scusi, Signora.« Matteo stand schon wieder neben ihr.
Mit hochgezogenen Augenbrauen sah Ruby ihn an. »Ich kann Ihnen versichern, ich habe nicht vor, mich umzubringen. Weder jetzt noch in der nahen Zukunft.«
Ihr Fremdenführer lachte leise. »Ehrlich gesagt, wollte ich bloß mal einen Augenblick für mich allein sein. Manchmal vergisst man, wie wunderschön die eigene Heimat eigentlich ist.« Schweigend ließ er den Blick über den windgepeitschten See schweifen, dann wandte er sich wieder zu ihr um. »Hat Rom Ihnen gefallen?«
Dort hatte ein anderer Fremdenführer die Gruppe begleitet. »Hat es. Ich habe ein wichtiges Kapitel meines Lebens in der Erinnerung noch einmal aufleben lassen können. Eine winzige Rolle, in meinem allerersten Film. Mit Audrey Hepburn und Gregory Peck. Aber Sie sind vermutlich zu jung, um ihn zu kennen.«
»Vacanze Romane oder Ein Herz und eine Krone, wie Sie wohl sagen würden.« Matteo grinste und schirmte die Augen mit einer Hand gegen die Sonne ab. »Der erfreut sich hier noch immer großer Beliebtheit. Das muss eine unbeschreibliche Zeit gewesen sein.«
Ruby lächelte. Aber ganz anders, als du glaubst … Sie schlang sich das smaragdgrüne Tuch, das im Wind flatterte, um den Hals und sagte: »War es. Das war der erste Hollywood-Film, der hier in Italien an Originalschauplätzen gedreht wurde. Es waren zauberhafte Wochen, ganz Rom schien vor Aufregung zu brummen wie ein Bienenstock. Und wir waren eine wunderbare Truppe, talentierte Schauspieler und ein tolles Team. Gregory Peck kannte natürlich jeder. Er war damals schon ein Superstar. Er hat auch in dem ersten Film mitgespielt, den ich je gesehen habe, Die Wildnis ruft.«
»Und wer hat Regie geführt?« Matteo nahm sie sachte am Ellbogen, um sie zu stützen.
»William Wyler – Willie nannten seine Freunde ihn, aber am Set war er Mr Wyler«, sagte Ruby. »Er ist das Risiko eingegangen, die Hauptrolle mit einer beinahe unbekannten Schauspielerin zu besetzen, die bis dahin nur in England gearbeitet hatte. Ein Herz und eine Krone war Audrey Hepburns großer Durchbruch. Mr Wyler hat gleich gewusst, dass sie das Zeug dazu hat, ein ganz großer Stern am Hollywood-Himmel zu werden.« Ruby hielt kurz inne. »Sie fehlt mir sehr. Ich habe sie am Set angehimmelt. Audrey war nicht nur eine begnadete Schauspielerin, sondern auch eine wunderbare, warmherzige junge Frau.«
Matteo lächelte, als er das hörte. »Wenn ich das anmerken darf, Sie scheinen mir viel zu jung, um in diesem Film mitgewirkt zu haben.«
»Jetzt schmeicheln Sie mir aber.« Ruby lachte. »Ich war gerade siebzehn, aber dieser Film hat mir den Weg zum Erfolg geebnet. Und als Ein Herz und eine Krone dann in die Kinos kam, bin ich nach Hause zu meiner Familie in Texas gefahren und habe ihn mir gemeinsam mit ihnen allen angeschaut.« Amüsiert schüttelte sie den Kopf. »In ein paar Szenen war ich als Statistin zu sehen. Sie können sich gar nicht vorstellen, wie frenetisch meine ganze Verwandtschaft gejohlt und gejubelt hat, sobald ich auch nur ganz kurz zu sehen war.«
Ihre Mutter war völlig aus dem Häuschen gewesen, aber ihrem Vater war es ganz und gar nicht recht, dass sie nun urplötzlich Schauspielerin sein sollte. Ihre Mutter Mercy hatte ihn wochenlang beschwatzen und umschmeicheln müssen, damit er Ruby ziehen ließ.
»Haben Sie in Rom auch einige der alten Drehorte des Films besichtigt?«, wollte Matteo wissen.
»Aber ja«, antwortete Ruby und hakte sich bei ihm unter, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren. »Wir haben den Palazzo Colonna besucht, diesen prunkvollen Adelspalast, wo die letzte Szene von Ein Herz und eine Krone gedreht wurde. Ich bin die Via Margutta entlanggeschlendert, ein schmales Kopfsteinpflastergässchen, wo sich die Künstlerateliers aneinanderreihen, und habe sogar die kleine Wohnung gefunden, in der Joe im Film gewohnt hat. Und dann habe ich in einem Café mit Blick auf das Castel Sant’ Angelo und den Tiber gegessen. Vielleicht erinnern Sie sich an die Kulisse. Das war die Szene mit dem Handgemenge auf dem Kahn, in der Audrey dem Polizisten eins mit der Gitarre überzieht.«
»Sie müssen Spaß gehabt haben.«
Ruby lachte leise. »Es war eine lange, heiße Drehnacht. Ich war als Statistin in einer Szene dabei, als eine der Tänzerinnen. Wir waren alle todmüde, uns war heiß, und nachdem Audrey und die anderen Schauspieler am Ende der letzten Aufnahme ins Wasser gefallen waren, sind wir alle zu einem nächtlichen Bad im Tiber hinterhergesprungen. Ja, wir hatten Spaß.«
»Klingt mehr nach Sommerferien als nach Arbeit«, meinte Matteo und stimmte in ihr Lachen ein.
»Ja, das stimmt wohl.«
In Rom war Ruby auch heimlich von der Gruppe desertiert, um die kleine Pension zu suchen, in der sie damals während der Dreharbeiten gewohnt hatte. Davor angekommen war sie andächtig stehen geblieben und hatte hinaufgeschaut in den oberen Stock, zu dem sonnigen Zimmerchen, das damals ihres gewesen war. Das Haus war längst renoviert, aber die schmale Treppe, auf der sie und Niccolò einander lachend nachgejagt waren, schien unverändert. Mit der Hand fuhr sie über den abgewetzten Lauf des Holzgeländers und konnte das helle, fröhliche Gelächter von damals beinahe hören.
Matteos Handy summte, aber er drückte den Anruf weg. »Ich würde gerne noch mehr von damals hören, aber das war unser Aufbruchsignal. Vielleicht möchten Sie heute beim Abendessen noch ein wenig mehr erzählen?«
»Liebend gerne«, erwiderte sie lächelnd.
»Es wird wohl einen Moment dauern, bis ich all meine Schäfchen beisammenhabe«, meinte Matteo.
»Dann warte ich so lange hier, wenn’s recht ist.« Sie klopfte mit dem Gehstock auf die Erde. »Keine Sorge. Ich stehe mit beiden Füßen fest auf dem Boden.«
So sehr Ruby Rom auch liebte, der Höhepunkt ihrer Reise war ganz ohne Frage der Lago di Como – der Comer See – oder Lario, wie der lateinische Dichter Vergilius den beindruckenden y-förmigen See genannt hatte. Seine grandiose Schönheit hatte die Jahrhunderte unbeschadet überdauert.
Ruby glaubte die Schönheit dieser malerischen Gegend beinahe greifen zu können. Bellagio thronte auf der Spitze des Triangolo Lariano, des Lariano-Dreiecks. In ihrer Erinnerung funkelten die Lichter an den Hängen ringsum abends wie Diamanten im Mondlicht. Beiderseits umarmte der See den Ort mit seinen anmutigen Armen, während Pirole ihre Lieder trällerten.
Ruby hielt das Gesicht in den Wind, der über den See wehte und den Duft unzähliger Gärten mit sich brachte.
Ihr Blick schweifte über das Wasser, und sie sah Villen aus vergangenen Jahrhunderten, die sich ans Ufer schmiegten. Auf der einen Seite lag das Örtchen Tremezzo mit der entzückenden Villa Carlotta. Weiter südlich waren Cernobbio zu sehen und die unvergleichliche Villa d’Este. Aber ihren Blick zog es unwiderstehlich hinüber zum anderen Ufer, zur kleinen comune Varenna mit ihrer bescheidenen Kirche, deren hoch aufragender Glockenturm weithin erkennbar war.
So viele Erinnerungen.
Ruby rieb sich die Arme und wandte sich ab. Sie konnte nicht allzu lange hinschauen.
Gewiss musste eine Göttin auf den Comer See herabgelächelt haben, lange bevor Menschen seine atemberaubende Schönheit bewunderten. Eine Erinnerung schoss Ruby durch den Kopf, und sie musste daran denken, wie Niccolò den Lago di Como beschrieben hatte.
Die Kultur der Schönheit. La cultura del bello.
Ruby hatte ihr Herz vor langer Zeit an diesem See verloren. Danach hatte sie ihr Leben der Schauspielerei verschrieben. Theater, Film, Fernsehen. Ihr Künstleragent Joseph Applebaum hatte alles auf eine Karte gesetzt und dafür gesorgt, dass sie gleich im Anschluss mehrere Filme hintereinander drehen konnte. Neben ihren Filmrollen hatte Ruby mit ihrem Gesicht außerdem für Kosmetik- und Modelinien geworben und in einer sehr erfolgreichen Fernsehserie mitgespielt, und ganz nebenbei unzählige Preise und Auszeichnungen eingeheimst. Selbst ihre Parfumkampagne hatte ihr einen Clio Award eingebracht. Und noch heute stand sie gelegentlich vor der Kamera.
»Wenn Ariana das nur erleben könnte«, wisperte Ruby in die sanfte Brise. Ariana war eigentlich ihre Großnichte, aber Ruby nahm es damit nicht so genau, weil sie fand, dass sie das unnötig alt machte – und der schöne Schein war schließlich alles in ihrer Branche.
Als Kind hatte Ariana in Rubys Kleiderschränken gespielt und dabei ein ausgezeichnetes Auge für Mode und Kostümdetails entwickelt. Aber Arianas Mutter war strikt dagegen gewesen, dass ihre Tochter Modedesign studierte. Mari war eine taffe Frau, in deren Augen nur ein Abschluss in Naturwissenschaften, Wirtschaft oder Technik wirklich zählte.
Als Mari sich also standhaft geweigert hatte, Arianas Modestudium zu finanzieren, war Ruby ihrer Nichte beigesprungen und hatte Ariana, Maris Protesten zum Trotz, das Studium am Fashion Institute of Design and Merchandising in Los Angeles bezahlt, wo die junge Frau regelrecht aufgeblüht war.
Inzwischen arbeitete Ariana für ein Filmstudio und schuftete oft bis spät in die Nacht für einen Chef, der sie zum Dank beschimpfte und heruntermachte. Und ihr sogenannter Freund war auch nicht viel besser.
Es gab nichts, was Ruby nicht getan hätte für Ariana, ihr Herzenskind, das sie mehr liebte als ihr eigenes Leben. Könnte Ariana doch nur sehen und einsehen, wie talentiert sie wirklich war und wie bedingungslos sie geliebt wurde. Ruby konnte nicht anders, sie musste versuchen, Arianas Leben wieder auf den richtigen Weg zu bringen. Ihr letztes Geschenk für Ariana sollte ihr Lebensglück sein.
Doch wie nur?
Mit der Macht der Verzweiflung wünschte Ruby sich, sie könnte mit ihren Liebsten alles wieder in Ordnung bringen. Der Tod ihrer Schwester Patricia im vorigen Jahr – und der letzte Wille, den sie hinterlassen hatte – zwangen Ruby, lange Aufgeschobenes endlich anzugehen. Das war sie Mari schuldig – und ihrer süßen Ariana, die ihre alte Tante Ruby liebte, wie sie war, und nicht die Technicolor-Rollen, die sie auf der Leinwand spielte. Den größten Teil dieser heiklen, delikaten Angelegenheit hatte ihre Schwester Patricia Ruby überlassen.
Rubys Hand wanderte zu ihrem Hals, und sie musste an den Brief denken, den sie so oft gelesen hatte, dass sie ihn auswendig kannte wie einen einstudierten Rollentext.
Meine liebe Ruby,
wenn du das hier liest, ruhe ich längst in Frieden. Noch während ich dies niederschreibe, ringe ich mit meiner Diagnose, aber ich dachte mir, ich sollte wohl gewisse Vorkehrungen treffen, solange ich noch kann. Ich bin dir für immer dankbar für alle Entscheidungen, die du für mich wirst treffen müssen. Aber ich habe noch eine etwas persönlichere Bitte; eine Angelegenheit, zu der ich mich einfach nicht durchringen kann. Ich habe einen Brief und einige persönliche Gegenstände in einem Bankschließfach hinterlegt. Es ist nur für Maris Augen bestimmt. Ich überlasse dir, Ruby, die Entscheidung, wie, wann und sogar ob du ihr den Schlüssel dazu aushändigen willst. Sei nicht zu hart mit ihr. Sie ist genauso ein Dickschädel wie du und hat dein weiches Herz.
Meine liebe Schwester, wir beide haben gemeinsam harte, herzzerreißende Zeiten durchgestanden. Ich bin dir aus tiefstem Herzen dankbar für alles, was du uns gegeben hast – nicht nur mir, sondern der ganzen Familie. Du bist auf ewig in meinem Herzen. Aber nun zu den Einzelheiten …
Matteo winkte Ruby. Wie eine kleine versprengte Schafherde strömte die Reisegruppe auf den Minibus zu. Zeit zu gehen. Sie warf sich das Tuch über die Schulter und marschierte mit großen Schritten zum Bus.
»Signora Raines, darf ich.« Matteo reichte ihr die Hand, um ihr hineinzuhelfen.
»Grazie, Matteo. Untadelige Manieren.« Und dann bedachte sie ihn mit einem strahlenden Lächeln, reichte ihm hoheitsvoll die Hand und raffte den Rock, streckte eins der langen Beine aus und bestieg den Bus wie eine königliche Karosse.
Matteo lächelte, und Ruby senkte den Blick und neigte den Kopf, wie Mr Wyler es ihr damals gezeigt hatte. Ein Auftritt wie eine Königin. Der berühmte Regisseur war bekannt dafür gewesen, nicht allzu viele Worte zu machen, und umso mehr hatte sie jedes einzelne davon aufgesaugt. Meist waren seine Anweisungen ganz einfach. Noch mal, noch mal. Oder diesmal noch besser. Sie verehrte ihn, und im Laufe vieler Jahre waren sie enge Freunde geworden.
Matteo hielt ihre Hand und strahlte über das ganze Gesicht.
Ruby lächelte. Sie hatte es immer noch drauf.
Dann setzte Matteo sich ans Steuer, und sie fuhren los. Gedankenverloren schaute Ruby aus dem Fenster und erfreute sich an der vorbeiziehenden Szenerie. Oleander, Rosen und Bougainvilleas blühten in Hülle und Fülle. Auf einer schmalen Straße unweit des Sees hielt Matteo kurz den Wagen an. Versteckt hinter einer niedrigen Steinmauer, halb überwachsen von wild wucherndem Jasmin und einem Meer aus rosa Kletterrosen, lag eine Villa mit Tonziegeldach wie aus einer anderen Zeit. Den steinernen Torbogen zierten die gemeißelten Worte Villa Fiori.
Fiori. Blumen.
Die Blumenvilla. Gab es etwas Romantischeres?
Ihr Blick blieb an dem kleinen gelben Schild hängen, das an das Holztor genagelt war. Vendesi. Darunter war eine Telefonnummer gekritzelt.
Ruby traf es wie ein Schlag. Wie damals, als sie das erste Mal im Scheinwerferlicht gestanden hatte. Sie beugte sich vor. »Mein lieber Matteo, wären Sie so nett, eben diese Telefonnummer für mich zu notieren?«
»Das Haus braucht eine Menge Arbeit, Signora, aber ich mache gerne ein Foto für Sie.« Er wies auf das Handy in der schicken Leopardenhülle, das sie in der Hand hielt. »Posso?«
»Grazie.«
Matteo lenkte den Wagen an den Straßenrand, und sie gab ihm das Handy. Während er draußen Fotos machte, verrenkte sie sich fast den Hals, um einen Blick auf das Anwesen zu erhaschen. Steinmauern. Hohe Fenster. Ein verwunschener Garten. Es war faszinierend. Aber in ihrem Alter, ermahnte sie sich, musste das ein schöner Traum bleiben.
Oder nicht?
Ihr Fremdenführer stieg wieder in den Bus und gab ihr das Handy zurück. »Bellissima«, sagte er und drückte überschwänglich einen Kuss auf seine Fingerspitzen. »Nun haben Sie ein paar schöne Fotos zur Erinnerung.«
Die Sonne schien Ruby durchs Fenster warm ins Gesicht. Der Bus schlängelte sich die gewundene Bergstraße entlang, und der regelmäßige Schwung der Serpentinen wiegte sie bald in einen seligen Schlummer.
1952 …
Nebeneinander auf der Spanischen Treppe sitzend, gleich neben Töpfen mit üppig blühenden lila Bougainvilleas, probten Ruby und Niccolò abwechselnd den Text ihrer kleinen Szenen. Ruby staunte über Niccolò, der seine Zeilen immer anders vorbrachte. Er verstellte die Stimme, versuchte es mit anderen Tonlagen, veränderte Gesichtsausdruck und Gestik, womit er den ganzen Ton der Szene zu färben vermochte und sie nicht selten zum Lachen brachte.
Nachdem Ruby einige unterschiedliche Ansätze für ihre Rolle probiert hatte, gab sie schließlich auf und fächelte sich mit dem Skript frische Luft zu. Dann krempelte sie die Ärmel ihrer weißen Bluse noch ein bisschen weiter nach oben und lockerte das um den Hals geknotete Tuch.
»Heute ist es noch heißer als sonst«, stöhnte Niccolò. »Wie wär’s, wollen wir uns ein Eis holen?«
»Klingt verlockend.« Ruby stand auf. Auch die anderen am Set gönnten sich eine kleine Verschnaufpause.
Niccolò nahm ihre Hand und führte sie ein dicht bevölkertes gepflastertes Trottoir entlang. Er hielt ihre Hand ganz fest und selbstverständlich in seiner, als sei es das Natürlichste der Welt, mit ihm Händchen zu halten, und immer, wenn er sie berührte, wurde Ruby ganz kribbelig.
Sie kamen an einem kleinen Restaurant vorbei, aus dessen offener Tür es verführerisch duftete – frisch gebackenes Brot, italienische Kräuter und überbackener Käse. Genüsslich schnuppernd blieb Ruby kurz stehen.
»Wie kommst du zu Ein Herz und eine Krone?«, erkundigte Ruby sich, nachdem sie eine ganze Weile nebeneinander hergelaufen waren. Sie hatte mitbekommen, dass viele Mitglieder der Filmcrew schon bei anderen Produktionen zusammengearbeitet hatten.
»Ich bin zu einem Vorsprechen gegangen«, antwortete Niccolò. »Ich habe in der Schule Theater gespielt, und meine alte Lehrerin hat mich ermutigt hinzugehen und es zu versuchen. Sie fand, das sei meine große Gelegenheit. Und du?«
»Eigentlich war das bloß ein Jux«, erklärte Ruby. »Meine Tante wohnt in Los Angeles, und sie kennt einen Talentsucher. Aus einer Laune heraus hat meine Mutter ihm ein paar Fotos von mir geschickt. Die haben dem Agenten wohl gefallen, also bin ich mit dem Zug von Texas nach L.A. gefahren, damit er mich kennenlernen kann. Und was glaubst du, am nächsten Tag hat er mich gleich zum Vorsprechen geschickt!« Sie schüttelte den Kopf und konnte ihr Glück noch immer kaum fassen. »Ich weiß nicht, ob ich besser war als die anderen Mädchen, aber der Besetzungschef meinte, ich hätte genau den Look, den sie suchen. Mein Agent hat dann ein paar Schauspielstunden für mich bezahlt, und ehe ich mich versah, stieg ich schon in ein Schiff nach Italien. Das ist alles so aufregend.«
Ruby war ganz hin und weg gewesen – vor allem, weil ihr Vater sie doch tatsächlich nach Italien hatte gehen lassen. Ihre Mutter hatte ihn angefleht, Ruby diese kleine Abenteuerreise zu gestatten, ehe sie nach seinen Plänen heiraten und Kinder bekommen sollte. Hätte ihre Mutter doch nur mitkommen können, aber die Überfahrt nach Italien war für sie unerschwinglich. Für Rubys Schiffspassage hatte ihre Mutter den Sparstrumpf ausgeleert, den sie immer mit dem Geld aus dem Eierverkauf gestopft und ganz hinten im Schrank versteckt hatte. Davon kaufte Mercy Smith ihrer Tochter auch eine Kamera und Film, damit sie festhielt, was ihre Mutter nie mit eigenen Augen zu sehen bekommen würde. Ruby versprach hoch und heilig, mit recht vielen Bildern im Gepäck zurückzukommen.
Niccolò blieb vor einem schmalen Laden stehen, vor dem auf der Straße ein Schild stand, das verkündete: Gelato fatto in casa.
»So gut wie selbstgemacht«, versicherte Niccolò und zog den Kopf ein, als er unter die Markise trat. »Salve, come va?«, sagte er zu dem Eisverkäufer, der ungefähr in ihrem Alter sein musste.
»Bene«, entgegnete der Junge.
Während die beiden sich in gewehrfeuerschnellem Italienisch unterhielten, das Ruby nicht verstand, schweifte ihr Blick über die Wannen mit den köstlichsten Eiscreme-Verlockungen, die sie je gesehen hatte.
An Ruby gewandt fragte Niccolò schließlich: »Was möchtest du? Limone, fragola, cioccolato, pistacchio?«
»Was ist denn fragola?«, fragte sie.
Grinsend wies Niccolò auf eine Wanne mit rosaroter Eiscreme. »Erdbeere. Und das ist Pistazie.«
»Ich kann mich einfach nicht entscheiden«, seufzte sie. »Das sieht alles ganz köstlich aus, aber Pistazie muss ich auf jeden Fall probieren.«
Niccolò sagte etwas zu dem Jungen, der daraufhin verschiedene Eissorten in ein Waffelhörnchen löffelte. »So kannst du mehrere Sorten probieren«, erklärte er. »Wenn es dir nichts ausmacht, teilen wir uns einfach alles.«
Die übervollen Hörnchen in der Hand balancierend schlenderten sie die strada entlang, bis sie an einen Brunnen kamen, wo sie stehen blieben und sich setzten. Hier war die Hitze des Tages leichter erträglich.
Nachdem Ruby jede Geschmackrichtung in den beiden Hörnchen gekostet hatte, fragte Niccolò schließlich: »Und, welches ist deine Lieblingssorte?«
Am liebsten hätte sie gerufen du, aber stattdessen sagte sie brav: »Pistazie. Die mag ich am liebsten.«
»Besser als amerikanische Eiscreme?«
»Anders«, antwortete sie. »Aber schrecklich lecker.« Ihr Hörnchen fing in der Hitze an zu tropfen, und rasch leckte sie die köstlichen Tropfen auf.
Niccolò lachte. »Komm her.«
Ruby spürte etwas Kaltes an der Nasenspitze.
»Mi permetta«, rief er und küsste sie auf die Nase. »Wie ein kleiner Hund, was?«
Ruby prustete vor Lachen, und dann schmierte sie ihm mit dem Finger einen Streifen Erdbeereis über die Nase. Unter Grimassen und wildem Augenverdrehen versuchte er, es mit der Zunge abzulecken. Schließlich wischte sie ihm das Eis kichernd mit einer Serviette ab.
Das sanfte Schaukeln des Busses brach ab, und Ruby regte sich auf ihrem Sitz.
»Scusi, Signora«, rief Matteo. »Wir sind am Hotel.«
»Ich muss wohl kurz eingenickt sein.« Blinzelnd setzte Ruby sich auf.
»Signora, per favore.« Matteo stand an der offenen Tür, bereit, ihr aus dem Wagen und die kleinen Trittstufen hinunterzuhelfen. Bellagio war mit seinen schmalen Gässchen, die steil bergab zum See führten, eher für Fußgänger ausgelegt.
Ruby stieg aus dem Wagen. Sie wollte noch nicht auf ihr Zimmer. Ein eisgekühltes Getränk auf der Terrasse wäre jetzt genau das Richtige, dachte sie bei sich und straffte beim Hineingehen die Schultern. Sie war zwar einen Kopf größer gewachsen als ihre Mutter, aber Mercy Smith hatte Ruby immer eingeschärft, hoch erhobenen Hauptes durchs Leben zu gehen. Selbst jetzt hatte sie die Worte ihrer Mutter noch im Ohr. Bei ihrer Geburt hatte ihre Mutter den Namen Mercy bekommen – Mercy Raines –, weil an diesem Tag ein sintflutartiger Wolkenbruch wie eine Gnade des Himmels der schier endlos erscheinenden Dürre ein glückliches Ende gesetzt hatte. Ganz gleich, wie düster es auch aussehen mochte, ihre Mutter sah immer den Silberstreif am Horizont.
Kerzengerade stolzierte Ruby durch die marmorne Eingangshalle.
Vor Jahren hätten ihr hier womöglich Paparazzi aufgelauert, aber die Zeiten waren längst vorbei. Sie warf das lange Ende ihres Tuchs über die Schulter und ging mit großen Schritten durch das Foyer zu einem Tisch auf der Terrasse mit Blick über den See. Die Aussicht war so herrlich, dass sich ihr Herz schmerzhaft zusammenzog. Im Laufe der Jahre hatte sie die eine oder andere Romanze erlebt, aber nie wieder hatte sie einen Mann kennengelernt wie Niccolò.
Ein Kellner trat an ihren Tisch, und Ruby bestellte einen Bellini mit Prosecco.
»Pane e olio?«, fragte der Kellner.
»Grazie.«
Während Ruby an der herrlich erfrischenden Mischung aus Schaumwein und Pfirsichpüree nippte, besah sie sich die Fotos, die Matteo für sie mit dem Handy gemacht hatte. Auf einem war das Zu-verkaufen-Schild zu sehen, auf den anderen die Villa und die Gärten. Vielleicht war der Gedanke doch gar nicht so abwegig.
Beherzt riss sie ein kleines Stück vom duftenden Rosmarinbrot ab, das der Kellner gebracht hatte, und tunkte es in Olivenöl. Köstlich. Versonnen betrachtete sie die Bilder und überlegte, dass alles auch ganz anders hätte kommen können. Sie hätte mit Niccolò in genau dieser Villa mit Blick über den See wohnen können. Sie trank noch ein Schlückchen von ihrem Cocktail und spann die Geschichte in Gedanken weiter, stellte sich ihre gemeinsamen Kinder vor, Segeln auf dem See, gemütliche Abendessen mit Blick auf die Alpen. Wie sie sich unter dem klaren, sternenfunkelnden Himmel oder in verregneten Nächten liebten.
Eine Geschichte. Nur eine Geschichte. Eine, die nicht hat sein sollen.
Seufzend trank Ruby noch ein Schlückchen. Wäre sie nicht Schauspielerin geworden, dann ja vielleicht Schriftstellerin. Und doch war sie stolz auf ihre Arbeit. Und darauf, ihren Liebsten (und dem einen oder anderen mehr) finanziell ein wenig unter die Arme greifen zu können.
Das Stück Land ihrer Eltern im Texas Hill Country war zwar nicht annähernd so groß wie die benachbarte Hillingdon Ranch, aber Ruby hatte ihren Eltern darauf ein schönes neues Haus gebaut. Und eine neue Scheune. Und sie hatte ordentlich Geld in die Ranch gesteckt und auch ihre Schwester und ihren Mann unterstützt, wo immer es nötig war. Wobei das ja eigentlich, genau genommen, nur recht und billig war.
Ruby blinzelte die Tränen weg, die ihr beim Gedanken an all die vielen alten Erinnerungen in den Wimpern hingen. Sie alle waren nicht mehr. Ruby hatte für ihre Familie getan, was sie konnte. Damals hatte sie eine Entscheidung treffen müssen, an der sie fast zerbrochen wäre. Aber ihr war nichts anderes übrig geblieben, auch wenn es ihr beileibe nicht leichtgefallen war.
Sie hatte ihren Eltern versprechen müssen, die Ranch nicht zu verkaufen. Nach deren Tod war Ruby aber doch nicht mehr so oft dort gewesen, wie sie es eigentlich vorgehabt hatte, also hatte sie die Ranch kurzerhand in eine gemeinnützige Stiftung umgewandelt, die benachteiligten Kindern aus der Stadt einen sicheren Hafen bot, um mal hinauszukommen und das einfache Landleben und die unverfälschte Natur kennenzulernen. Als ihre Nichte noch jünger gewesen war, war Ruby oft mit Ariana hingefahren. Sie hatten lange Ausritte unternommen und Grillabende veranstaltet, mit Fleisch, so zart, dass es vom Knochen fiel, und unter den Sternen kampiert, die sich dort nachts am Himmel drängten.
Unvermittelt begann ihr Handy zu summen, und Ruby schreckte auf. Bestimmt Stefano, ihr Hausdiener in Palm Springs. Wobei es in Kalifornien noch unverschämt früh war. Bestimmt trank er gerade seinen ersten Kaffee oder strampelte sich im Fitnessstudio um die Ecke ab. Sie schaute auf die angezeigte Nummer und musste lächeln. Ariana.
»Hallo, Süße.«
»Gut, dass du drangegangen bist, Tante Ruby.« Ariana klang freudig erregt. »Ich bin so aufgeregt, ich habe kaum geschlafen. Du wirst es nicht glauben, aber Phillip und ich werden endlich heiraten.«
Sollte Ruby sich jetzt für ihre Nichte freuen? Ariana wusste ganz genau, was sie von Phillip hielt.
»Er hat dir einen Antrag gemacht?«, fragte Ruby, um ein bisschen Zeit zu schinden. Selbstredend.
»Ja, und wir heiraten auch ganz bald. In der kleinen Kirche in Studio City, da, wo du früher oft warst.«
»Die ist ganz hübsch«, brummte Ruby nachdenklich.
»Ein anderes Paar hat wohl abgesagt, weshalb wir kurzfristig einen Termin bekommen haben. Wie schnell kannst du wieder hier sein?«
»Sag mir, wann ihr heiratet, und ich bin da.« Die Reisegruppe konnte auch ohne sie nach Venedig weitergondeln.
Ariana nannte ihr das Datum, dann schien sie zu zögern. »Und ich fände es schön, wenn du mich zum Altar führst.«
»Mit dem allergrößten Vergnügen, aber warum fragst du nicht deine Mutter?«
»Habe ich ja versucht«, sagte Ariana. Sie klang gekränkt und aufgebracht. »Mom hat wieder ihre Heiratshasstirade vom Stapel gelassen und sich darüber ausgelassen, was die Ehe doch für eine altmodische, überflüssige, überkommene Institution ist. Bloß, weil sie selbst geschieden ist, heißt das doch noch nicht, dass jede Ehe gleich von vornherein zum Scheitern verurteilt ist. Sie weigert sich jedenfalls, sich den Tag freizunehmen.«
»An der Wall Street zu arbeiten ist knallhart, vor allem in den oberen Etagen«, murmelte Ruby. Ein vergeblicher Versuch, ein wenig zu beschwichtigen. Mari war nach ihrer Scheidung noch immer furchtbar verbittert, aber es brach Ruby das Herz, dass ihr das den Blick dafür verstellte, wie sehr ihre Tochter sie brauchte. »Liebes, es wäre mir eine Ehre und ein Vergnügen, dich zum Altar zu führen.«
Nachdem Ruby schließlich aufgelegt hatte, schüttelte sie ungläubig den Kopf. Arianas Mutter hatte nach der Scheidung eine unüberwindbar hohe steinerne Mauer um ihr Herz gebaut. Bei Rubys älterer Schwester Patricia, Maris Mutter, hatten sich im selben Jahr die ersten Anzeichen ihrer Alzheimer-Erkrankung gezeigt. Da war Ariana noch ein kleines Grundschulkind gewesen. Patricia war die Betreuung ihrer Enkeltochter bald schon nicht mehr zuzutrauen gewesen. Frustriert und doch fest entschlossen, noch einmal ganz von vorne anzufangen, hatte Mari einen Job in New York angenommen.
Wie um die Scharte ihrer gescheiterten Ehe wieder auszuwetzen, hatte Mari Ricci sich in die Arbeit gestürzt und sich langsam, aber unaufhaltsam nach oben gekämpft. Inzwischen war sie eine erfolgreiche Investmentbankerin. Ruby bewunderte ihren Einsatz und ihren Ehrgeiz, aber der Erfolg und die unvermeidlichen Überstunden belasteten die ohnehin schon angespannte Beziehung zu ihrer Tochter.
Zuerst kümmerte sich Maris Haushälterin um die Kleine. Aber schon bald war Mari ständig auf Geschäftsreisen, weshalb sie ihre Tochter schließlich in ein Internat gesteckt hatte. Auf Rubys Bitte hin – und ihr Angebot, die gesamten Schulgebühren zu übernehmen – hatte Mari sich überreden lassen, sie auf ein ruhig gelegenes Internat unweit von Los Angeles zu schicken.
Als Ariana irgendwann keine Lust mehr gehabt hatte, ständig nach New York zu fliegen, um ihre Mutter zu besuchen, hatte Ruby ihr ganzes Leben um die Schulferien ihrer Nichte geplant. Ihre Nichte bekam ein eigenes Zimmer in Rubys Haus in Palm Springs, nur eine Autostunde von ihrer Schule entfernt.
Vielleicht hatte Ruby Ariana ein bisschen zu sehr verwöhnt, aber Patricia hätte es nicht anders gewollt. Wen, außer ihrer überehrgeizigen, karriereorientierten Mutter, hatte Ariana denn schon? Arianas Freund, dieses selbstverliebte große Baby Phillip, zählte für Ruby jedenfalls nicht. Auch wenn die beiden nun allem Anschein nach heiraten wollten. Phillip war ein überambitionierter Filmemacher, dem die Karriere wichtiger war als alles andere im Leben – auch als Freunde und Familie. Ruby befürchtete, dass auch Ariana das zu spüren bekommen würde.
War Ruby als junges Mädchen jemals so ehrgeizig gewesen? Natürlich, sie hatte ja keine andere Wahl gehabt, aber die Menschen um sie herum waren ihr immer wichtiger gewesen als der Beruf. Selbst als sie die schwerste Entscheidung ihres Lebens hatte treffen müssen, hatte sie die Familie über alles andere gestellt.
Phillips vielen Fehlern zum Trotz hätte Patricia gewollt, dass Mari zur Hochzeit ihrer Tochter ging.
Ruby nippte an dem kühlen Glas. War es wirklich schon beinahe ein Jahr her, seit Patricia gestorben war? Sie musste blinzeln, weil ihr beim Gedanken daran die Tränen kamen. Ihre Schwester war die Einzige, die noch gewusst hatte, welchen Preis Ruby einst für ihren Erfolg gezahlt hatte.
Verstohlen tupfte sie sich die Augenwinkel mit einer Stoffserviette. Körperlich war Patricia zwar noch bei ihnen gewesen, aber ihr Wesen hatte die Krankheit ihr schon Jahre zuvor entrissen.
Beinahe ein Jahr. Patricia hatte ihr eine verantwortungsvolle Aufgabe übertragen – und mit ihr die Entscheidung, diese anzunehmen oder abzulehnen. Den Schlüssel zu dem Bankschließfach trug sie immer noch in der Handtasche mit sich herum. Ruby wusste nicht ganz genau, was in dem Schließfach war, konnte es sich aber denken. Das letzte Jahr war ihr zwischen den Fingern zerronnen, und kein Tag war ihr als der richtige erschienen, die Geschichte, die sich vor so langer Zeit ereignet hatte, endlich zu erzählen.
Ruby trank noch einen Schluck von ihrem Bellini. Dann griff sie zum Handy und suchte die Nummer in New York heraus, die sie brauchte. Sie tippte und wartete.
Eine junge Frau meldete sich. »Mari Riccis Büro.«
»Könnte ich bitte mit Mari sprechen?«
»Wer spricht denn da?«
»Ruby Raines.«
Gestotter am anderen Ende der Leitung. »Entschuldigen Sie bitte, das klang gerade, als hätten Sie … Ganz egal. Wie war bitte der Name?«
»Sie haben ganz richtig gehört«, erklärte Ruby sehr charmant. »Mari ist meine Nichte.« Die ihre Assistentin offensichtlich nicht ins Bild gesetzt hat.
»Bestimmt hat sie einen Augenblick Zeit für Sie, Mrs Raines. Eigentlich nimmt sie gerade keine Anrufe entgegen, aber ich sage ihr, dass Sie dran sind.«
»Ach, warum überraschen wir sie nicht einfach?«
»Prima Idee. Einen Augenblick bitte, Mrs Raines.«
Es dauerte nicht lang, bis ihre Nichte dranging. Ihre Stimme klang spröde und kurz angebunden. »Mari Ricci, ja bitte?«
»Mari, hier ist Ruby. Ariana hat mir gerade die großartigen Neuigkeiten erzählt.«
Entnervtes Seufzen von Mari. »Lass uns später darüber reden.«
»Später kommt selten oder nie«, entgegnete Ruby. Sie musste versuchen, irgendwie zu vermitteln. »Kommst du bitte zur Hochzeit? Sie wäre überglücklich, wenn du sie zum Altar führst.«
»Wäre sie nicht so chaotisch und hätte das alles ein bisschen besser organisiert und im Voraus geplant, wäre ich gekommen«, erklärte Mari spitz. »Aber ich werde dieses egoistische Verhalten nicht auch noch belohnen.«
»Mari, es ist ihre Hochzeit.« Ruby musste sich zusammenreißen, um nicht die Beherrschung zu verlieren. Hatte Mari denn gar kein Herz? Sie versuchte es abermals. »Ohne dich fehlt etwas. Und Ariana würde das ihr ganzes Leben lang nicht mehr vergessen. Du willst doch deine Entscheidung nicht irgendwann bereuen.«
»Ich bereue so einiges«, gab Mari scharf zurück. »Dass ich ihren Vater geheiratet habe zum Beispiel. Aber diese Entscheidung wird nicht dazu gehören. Und außerdem, die Scheidungsrate liegt inzwischen bei, was, fünfzig Prozent? Wenn nicht sogar noch höher. Und nein, ich verspüre nicht den unwiderstehlichen mütterlichen Drang, bei der Hochzeit meiner Tochter dabei zu sein. Sie ist eine erwachsene Frau. Sie kriegt das schon alleine hin. Und außerdem, sie hat ja dich.«
»Mari, Liebes, ich wünschte, du wärst nicht immer noch so wütend.« Ruby hielt den Atem an.
»Ich bin nicht wütend. Ich bin realistisch. Ariana kommt auch ohne mich zurecht, und ich habe feste Termine mit Klienten, die das nicht tun. Und jetzt muss ich wieder an die Arbeit. Du kannst dir gar nicht vorstellen, was hier los ist.«
»Aber, Mari …« Klick. Seufzend legte Ruby das Handy auf den Tisch. Wenigstens hatte sie es versucht. Sie würde Ariana lieber nicht sagen, dass sie mit ihrer Mutter gesprochen hatte. Warum dem armen Kind zweimal wehtun?
Ruby trank noch einen Schluck von ihrem Cocktail. Die liebe Ariana. Könnte sie ihre Großnichte doch bloß für eine Weile hierherlocken, bevor es zu spät war.
Für sie alle.
Aber vielleicht blieb ihr noch eine andere Möglichkeit. Die Villa Fiori ging ihr nicht mehr aus dem Kopf. Sie hob die Hand und winkte dem Kellner, der sofort an ihren Tisch kam.
»Würden Sie bitte den Concierge für mich holen?«, bat Ruby ihn. »Ich habe eine dringende Bitte.«