Buch
Die junge Lehrerin Breen Kelly ist unzufrieden: Der Job macht ihr keinen Spaß, und selbst ihr bester Freund Marco schafft es kaum noch, sie zum Lachen zu bringen. Als sie erfährt, dass ihr Vater, der sie und ihre Mutter vor Jahren verlassen hat, eine gewaltige Summe Geld für sie angelegt hat, kündigt sie spontan, um den Sommer in dessen Heimat Irland zu verbringen. Zwischen den grünen Weiten der Insel und in einem lauschigen Cottage besinnt sie sich auf sich selbst und erlangt neuen Mut. Als eines Tages ein süßer Welpe vor ihrer Tür auftaucht, folgt sie dem Tier und landet in einer anderen Welt – einer Welt, in der nicht nur ihr wahres Schicksal, sondern auch ein sehr attraktiver Mann auf sie wartet …
Autorin
Nora Roberts wurde 1950 in Maryland geboren. Ihren ersten Roman veröffentlichte sie 1981. Inzwischen zählt sie zu den meistgelesenen Autorinnen der Welt: Ihre Bücher haben eine weltweite Gesamtauflage von über 500 Millionen Exemplaren. Auch in Deutschland erobern ihre Bücher und Hörbücher regelmäßig die Bestsellerlisten. Nora Roberts hat zwei erwachsene Söhne und lebt mit ihrem Ehemann in Maryland.
Unter dem Namen J. D. Robb veröffentlicht Nora Roberts seit Jahren ebenso erfolgreich Kriminalromane.
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Nora Roberts
Mondblüte
Roman
Deutsch von Uta Hege
Die Originalausgabe erschien 2020 unter dem Titel »The Awakening« bei St. Martin’s Press, an imprint of St. Martin’s Publishing Group, New York.
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Copyright © der Originalausgabe 2020 by Nora Roberts
Published by arrangement with Eleanor Wilder
Dieses Werk wurde vermittelt durch die Literarische Agentur
Thomas Schlück GmbH, 30161 Hannover
Copyright © 2021 der deutschsprachigen Ausgabe
by Blanvalet Verlag, in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,
Neumarkter Str. 28, 81673 München
Redaktion: René Stein
Umschlaggestaltung und -motiv: © Johannes Wiebel | punchdesign,
unter Verwendung von Motiven von Shutterstock.com
(BLESKY; visual-journey; Jason Wilde)
Satz: Uhl + Massopust, Aalen
LH ∙ Herstellung: sam
ISBN: 978-3-641-27475-7
V001
www.blanvalet.de
Meinem aufgeweckten Jungen Colt,
der unserem Leben
zusätzliches Licht und Liebe schenkt.
Eine Lüge, die halb wahr ist,
ist die schwärzeste von allen.
ALFRED, LORD TENNYSON
Denk nicht, ich sei das Ding noch,
das ich war.
WILLIAM SHAKESPEARE
Feine Nebelfäden stiegen silbrig schimmernd aus dem grünen Wasser in den ruhigen grauen Himmel auf, während im Osten schon das erste zarte Morgenrot mit angehaltenem Atem darauf wartete, hinter den Hügeln aufzusteigen und die Welt mit seinem warmen Glanz zu überziehen.
Keegan O’Broin stand in der kühlen Dämmerung am Ufer des Gewässers und verfolgte reglos, wie der Tag anbrach. Ein Tag des Wechsels und der Wahl, der Hoffnung und der Macht.
Ebenfalls mit angehaltenem Atem wartete er darauf, seine Pflicht zu tun, und hoffte, spätestens am Mittag wieder auf dem Hof zu sein. Natürlich warteten dort jede Menge Arbeit und das nächste Training, aber dort war er nun mal zu Hause, und dort fühlte er sich wohl.
Als das Signal ertönte, zog er seine Tunika und seine Stiefel aus. Sein Bruder Harken und an die sechshundert anderer junger (und auch nicht mehr ganz so junger) Leute aus verschiedenen Ecken ihres Landes taten es ihm gleich.
Sie kamen aus dem Süden von Talamh, wo die Frommen ihre geheimen Gebete sprachen, aus dem Norden, wo das Meer der Stürme tobte und der Schutz der Küste in den Händen ihrer besten Krieger lag, aus dem Osten mit der Hauptstadt und hier aus dem Tal im Westen, wo seine Heimat war.
Ihr Anführer war tot. Er hatte sich geopfert, um die Welt zu retten, und wie es geschrieben stand, berichtet und gesungen würde, würde hier an diesem Ort, an diesem Tag, auf diese ganz besondere Art ein neuer Anführer bestimmt.
Natürlich würde Harken niemals Taoiseach werden wollen. Zwar machte es den Zwölfjährigen stolz, dass er als Jüngster zu dem Wettstreit zugelassen war, aber er war mit Leib und Seele Bauer, und im Grunde waren dieser Tag, die vielen Leute und der Kopfsprung in den See für ihn einfach ein großer Spaß.
Und Keegan selber würde heute ein Versprechen halten, das er einem Sterbenden gegeben hatte, einem Mann, für den er wie ein Sohn gewesen war, nachdem die Götter seinen eigenen Vater heimgerufen hatten, einem Mann, dem Talamh seinen Sieg über die Macht, die sie hätte versklaven wollen, zu verdanken hatte, auch wenn er in diesem Kampf gefallen war.
Er hatte sicher nicht den Wunsch, das Schwert des Taoiseach aus dem See zu holen, doch er hatte diesem Mann sein Wort gegeben, also würde er sich so wie all die anderen Jungen, Mädchen, Männer und Frauen in die Fluten stürzen.
»Na los, Keegan!« Der junge Harken grinste und ließ seine rabenschwarzen Haare in der Frühlingsbrise wehen. »Das wird sicher lustig, und wenn ich der neue Taoiseach werde, lege ich als Erstes fest, dass eine Woche lang im ganzen Land geschlemmt, getanzt und wild gefeiert wird.«
»Und wer wird dann die Schafe hüten und die Kühe melken?«
»Wenn ich Taoiseach werde, mache ich das einfach selbst. Ich trauere auch um ihn«, erklärte Harken und schlang einen Arm um Keegans Schultern, weil er wusste, dass der Tod des letzten Anführers ihm wirklich naheging. »Er war ein Held und wird für immer unvergessen sein, aber wir haben diese Schlacht gewonnen, und heute wird ein neuer Anführer bestimmt. Genauso würde er es haben wollen, und genauso muss es sein.« Er blickte sich mit himmelblauen Augen in der Menschenmenge um. »Wir ehren dadurch ihn, alle, die vor ihm kamen, und jeden, der noch kommen wird.« Entschlossen rammte er seinem Bruder einen Ellenbogen in die Seite und verlangte: »Also hör gefälligst auf zu grübeln. Schließlich wird bestimmt nicht einer von uns beiden mit Cosantoir in den Händen wieder an die Oberfläche kommen. Wahrscheinlich wird es Cara, weil sie besser schwimmt als eine Nixe, oder Cullen, denn der hat schließlich wochenlang geübt, unter Wasser die Luft anzuhalten.«
»Das passt zu ihm«, murmelte Keegan schlecht gelaunt, denn Cullen war zwar ein hervorragender Krieger, doch das Zeug zum Clanchef hätte er ganz sicher nicht. Statt nachzudenken, stürzte er sich lieber blindlings in die Schlacht.
Keegan war mit seinen vierzehn Jahren ebenfalls Soldat. Er hatte Blut vergossen, und er kannte das damit einhergehende Gefühl der Macht, doch ihm war klar, dass Nachdenken genauso wichtig wie das Schwert, der Speer und der geschickte Umgang damit war.
Vielleicht war es sogar noch wichtiger. Das hatten ihm sein Vater und der Mann, der ihn wie einen Sohn behandelt hatte, beigebracht.
Als er mit Harken und so vielen anderen, die aufgeregt wie Elstern plapperten, am Ufer stand, bemerkte er, dass seine Mutter Tarryn sich durch das Gedränge schob.
Er wünschte sich, sie würde heute tauchen, denn er kannte niemanden, der sich so gut wie sie darauf verstand, einen Streit zu schlichten, und in der Lage war, ein Dutzend Dinge gleichzeitig zu tun. Harken hatte ihre Freundlichkeit geerbt, ihre Schwester Aisling ihre Schönheit, und er selbst hoffte, dass er selbst zumindest einen Teil der Klugheit mitbekommen hatte, die sie ein ums andere Mal bewies.
Tarryn blieb bei Aisling stehen – die statt mit ihren Brüdern, die sie momentan verachtete, mit ihren Freundinnen zusammenstand. Sie legte eine Hand unter ihr Kinn, küsste ihr die Wangen, sagte irgendwas, worüber ihre Tochter lächelte, und wandte sich dann ihren Söhnen zu.
»Ein Grinsen und ein Stirnrunzeln«, bemerkte sie, zerzauste Harken sanft das dunkle Haar und zupfte spielerisch an Keegans langem Kriegerzopf, der über seine linke Schulter fiel. »Vergesst nicht die Bedeutung dieses Tags. Er soll uns einen und uns sagen, wer und was wir sind. Was ihr hier tut, haben andere schon vor über tausend Jahren getan. Und die Namen aller, die das Schwert gefunden haben, standen bereits fest, bevor sie auf die Welt gekommen sind.«
»Wenn das Schicksal schon bestimmt hat, wer der neue Clanchef werden soll, können wir uns den ganzen Aufwand doch auch sparen. Dann müsstest du als jemand, der in die Vergangenheit und Zukunft blickt, doch wissen, wer der neue Taoiseach werden wird«, beschwerte Keegan sich.
»Das kann ich nicht, weil sich der neue Taoiseach selbst dafür entscheiden muss, das Amt zu übernehmen.« Wie vorher Harken legte sie den Arm um Keegans Schultern und sah aus genauso leuchtend blauen Augen wie ihr Jüngster durch den Nebelschleier auf den See.
»Ihr habt euch dafür entschieden, in den See zu springen oder nicht? Und wer das Schwert entdeckt, muss sich dafür entscheiden, es auch zu ergreifen«, klärte Tarryn ihre Söhne auf.
»Es wäre doch bestimmt niemand so dumm, das nicht zu wollen«, wunderte sich Harken. »Schließlich würde jeder Taoiseach werden wollen.«
»Ein Clanchef wird geehrt, trägt aber gleichzeitig auch die Last von uns allen auf seinen Schultern. Und da er bereit sein muss, die Last zu tragen, sollte er sich überlegen, ob er tatsächlich das Schwert ergreifen will. Und jetzt seid still, denn da kommt Mairghread«, mahnte sie und gab den beiden Jungen jeweils einen mütterlichen Kuss.
Mairghread O’Ceallaigh, früher einmal selbst Taoiseach und die Mutter ihres letzten, allzu jung verstorbenen Clanchefs, hatte ihre schwarze Trauerkleidung abgelegt und trug ein schlichtes weißes Kleid und einen Anhänger mit einem Stein, der rot wie ihre Haare war.
Stein und Haare sahen aus, als würden sie in Flammen stehen und die dünne Nebelwand verbrennen, die sie durchschritt. Sie trug ihr Haar so kurz wie eine von den Feen, die in ihrem Gefolge an den See geströmt gekommen waren. Die Menge teilte sich, und ehrfürchtige Stille breitete sich aus.
Keegan kannte sie als Marg, die Frau, die in dem kleinen Haus im Wald nicht weit von ihrem Hof zu Hause war. Die Frau, die einem Jungen, wenn er Hunger hatte, Honigkuchen schenkte und ihn mit Geschichten unterhielt. Eine mächtige und couragierte Frau, die für Talamh gekämpft und einen hohen Preis dafür entrichtet hatte, dass der Kampf gewonnen worden war.
Er hatte sie im Arm gehalten, als sie Tränen um den Sohn vergossen hatte, denn er hatte Wort gehalten und ihr selbst die Todesnachricht überbracht. Obwohl sie schon gewusst hatte, dass er nicht mehr am Leben war.
Er hatte sie im Arm gehalten, bis die Frauen gekommen waren, um ihr beizustehen. Und dann, obwohl er ein Soldat und Mann war, hatte er sich tiefer in den Wald begeben und dort selbst um diesen ganz besonderen Mann geweint.
Jetzt aber sah sie wieder stark und prachtvoll aus und rief in ihm dieselbe Ehrfurcht wie in allen anderen wach.
Sie trug den Stab, das uralte Symbol der Herrschaft, dessen rabenschwarzes Holz im Licht der Sonne glänzte, die inzwischen stärker als der Nebel war.
Die Schnitzereien schienen zu pulsieren, und im Inneren des Drachenherzensteins an der Spitze wirbelte die ganz besondere Macht, die ihm verliehen war.
Und als sie sprach, verstummte selbst der Wind.
»Mit Blut und unter großen Opfern haben wir den Frieden wiederhergestellt. Wir haben unsere und dadurch auch alle anderen Welten immer schon beschützt. Wir haben uns entschieden, so zu leben, wie wir leben. Von den Dingen, die das Land, das Meer, die Fey uns geben, und all diese Dinge gleichzeitig zu ehren. Wir haben wieder Frieden, und wir werden dieses Land wieder erblühen lassen, bis die nächste Zeit des Blutvergießens und der Opfer kommt. Heute wird, wie es geschrieben steht, berichtet und gesungen wird, ein neuer Clanchef aus den Fluten steigen, und wir alle werden Talamh und dem Taoiseach, der das Schwert im See der Wahrheit findet und den Stab des Rechts von mir entgegennimmt, die Treue schwören.«
Sie warf den Kopf zurück und sah zum Himmel auf, und Keegan war sich sicher, dass die klare, starke Stimme bis zum Meer der Stürme und noch darüber hinaus zu hören war:
»Wir wenden uns an diesem Ort zu dieser Stunde
an die Quelle unserer Macht,
auf dass der Auserwählte dieser Runde
sich entscheidet, seine Pflicht zu tun und zukünftig die Fey bewacht.
Auf dass die Hand, die gleich das Schwert ergreift, so weise sei, so stark und treu,
dass sich das ganze Land daran erfreu.«
Ein Strudel bildete sich im blassgrünen Wasser, und die letzten Nebelschwaden wogten hin und her.
»So sei es.«
Mairghread reckte den Stab, und alle liefen los. Ein paar der Jüngeren lachten oder juchzten, während sie ins Wasser sprangen, und die Leute, die am Ufer standen, feuerten sie an.
Auch Harken rannte los, doch Keegan blieb wie angewurzelt stehen. Er dachte an den Eid, den er geleistet, und an die Hand, die seine Hand während der letzten Augenblicke hier in dieser Welt umklammert hatte, aber schließlich stürzte er sich ebenfalls ins kalte Nass.
Ein paar der anderen schimpften oder lachten oder tauchten sofort wieder zitternd an der Wasseroberfläche auf, er aber wusste, dass das völlig sinnlos wäre, und verschloss den Teil, der die Gedanken von den anderen hören konnte, um sich ganz auf sich zu konzentrieren.
Er hatte es dem Mann versprochen, an dem Wettstreit heute teilzunehmen, bis zum Grund des Sees zu tauchen und das Schwert zu ergreifen, falls er es dort fand.
Er dachte an die vielen Male, wenn er nur zum Spaß mit seinem Bruder und der Schwester in den See gesprungen war, um glatte Steine auf dem weichen Grund zu suchen, und genauso machte er es diesmal auch.
Er sah die anderen, die noch tiefer als er selbst, auf seiner Höhe oder höher tauchten, und er wusste, dass der See sie an die Oberfläche drücken würde, wenn die Luft in ihren Lungen nicht mehr reichte, denn es stand geschrieben, dass niemand zu Schaden kommen würde, der an diesem Tag ins Wasser ging.
Trotzdem war das Wasser aufgewühlt und wirbelte um ihn herum. Inzwischen waren der Grund und die besonderen, glatten Steine, die dort lagen, gut zu sehen.
Und dann sah er die Frau. Sie schwebte schwerelos dahin, weshalb er sie zunächst für eine Nixe hielt. Dabei nahmen die Meerjungfrauen gewohnheitsmäßig gar nicht an dem Wettstreit teil, denn sie beherrschten die Meere, und das reichte ihnen aus.
Dann wurde ihm bewusst, dass er nur ihr Gesicht und ihre Haare sah. Sie waren rot wie die von Marg, doch länger, und sie breiteten sich fächerförmig um sie herum aus. Und ihre Augen waren grau wie Rauch, und irgendwie kam es ihm vor, als hätte er sie schon mal irgendwo gesehen. Aber er kannte dieses Mädchen nicht. Er kannte alle jungen Frauen aus dem Tal, doch dieses Mädchen war ihm fremd.
Und gleichzeitig seltsam vertraut.
Dann konnte er sie plötzlich klar und deutlich hören wie zuvor Marg am Strand.
Er hat auch mir gehört. Doch dies ist deine Aufgabe. Das wusste er, und das weißt du.
Das Schwert sprang ihm fast von allein in die Hand. Er spürte sein Gewicht und seine Kraft und sah den hellen Glanz, den es umgab.
Natürlich hätte er es einfach fallen lassen und so tun können, als hätte er es nie gesehen. Den Göttern und Geschichten zufolge lag die Entscheidung ganz allein bei ihm.
Er hat an dich geglaubt. Das Mädchen sah ihn reglos an.
Er lockerte den Griff, denn das Gewicht, die Kraft, der Glanz, es war zu viel für ihn. Er konnte kämpfen, reiten, fliegen, aber andere in die Schlacht zu führen oder den Frieden zu wahren, das hatte er niemals gelernt.
Die herrlichen Gravuren in dem Schwert pulsierten, und der rote Stein am Griff sah aus, als würde er in Flammen stehen. Dann lockerte er seinen Griff, das Silber wurde matt, und die Flamme flackerte, als würde sie im nächsten Augenblick erlöschen wollen.
Ich soll mich frei entscheiden können?, ging es Keegan durch den Kopf. Das war ja wohl totaler Schwachsinn, denn die Ehre ließ ihm keine Wahl.
Also wies er mit der Spitze des vermaledeiten Schwertes dorthin, wo die Sonne Diamanten auf der Wasseroberfläche tanzen ließ.
Und die Erscheinung – denn inzwischen war ihm klar, dass sie nicht echt sein konnte – lächelte ihn an.
Wer bist du?, fragte er.
Das müssen wir beide noch herausfinden.
Pfeilschnell trug ihn das Schwert nach oben. Es durchschnitt das Wasser und die Luft, und als die Klinge in der Sonne blitzte, brach am Ufer lauter Jubel aus.
Dann tat er das, was die Geschichte ihm befahl. Er fiel im dichten, feuchten Gras vor Mairghread auf die Knie.
»Ich würde dir das Schwert und das, wofür es steht, mit Freuden überlassen, weil es keine würdigere Trägerin für diese Waffe gibt«, erklärte er, wie es damals auch ihr Sohn getan hatte.
»Meine Zeit ist abgelaufen«, antwortete sie und legte eine Hand auf seinen Kopf. »Und deine Zeit bricht heute an.« Entschlossen nahm sie seine Hand, verhalf ihm wieder auf die Beine, und als er sie ansah, raunte sie ihm leise zu: »Genauso habe ich es mir gewünscht.«
»Aber warum? Ich weiß nicht, wie …«
Bevor er seinen Satz beenden würde, küsste sie ihn sanft auf die Wange und erklärte: »Du weißt viel mehr, als du denkst.« Dann übergab sie ihm den Stab. »Nimm, was ab heute dir gehört, Keegan O’Broin.«
Als er den Stab ergriff, machte sie einen Schritt zurück. »Und jetzt tu deine Pflicht.«
Bei diesen Worten wandte er sich all den anderen Gesichtern zu und schämte sich der Furcht, die er in seinem tiefsten Inneren empfand.
Keegan musste und würde seine Ängste überwinden, denn er hatte angenommen, als die Wahl des Schwerts auf ihn gefallen war. Er reckte, so wie vorher Marg, den Stab des Rechts hoch über seinen Kopf, damit die Menge das Pulsieren des Drachenherzens sah.
»Mit diesem Stab wird es Gerechtigkeit für alle hier in Talamh geben«, rief er den Menschen zu und hielt die hellglänzende Waffe in die Luft. »Und mit diesem besonderen Schwert wird ganz Talamh beschützt. Ich bin Keegan O’Broin. Ab heute werde ich mit allem, was ich bin und jemals sein werde, im Dienst der Täler, Hügel, Wälder, Gletscher und vor allem sämtlicher Bewohner dieses Landes stehen. Ich werde für das Licht stehen und für Talamh, und wenn die Götter es so wollen, gebe ich dafür mein Leben hin.«
Die Menge brach erneut in lauten Jubel aus, und über all dem Lärm erklärte Marg: »Das hast du gut gemacht, mein Junge. Ja, das hast du wirklich gut gemacht.«
So hob Talamh den jungen Taoiseach auf sein Schild und schlug dadurch ein weiteres Kapitel dieses Landes auf.