Do not whine
Do not complain
Work harder
Spend more time alone
Joan Didion
Also: Ich halte es für überbewertet, mit siebenundzwanzig zu sterben. Ich denke, Jimi Hendrix und Janis Joplin haben da wirklich einen Fehler gemacht. Mit siebenundzwanzig fängt alles erst an, die ganze Jugend ergibt erst Sinn, wenn man lang genug durchhält, um sie hinter sich gebracht zu haben. Im Nachhinein von allem erzählen, das ist doch das eigentlich Geile. Dann ist alles nur noch Anekdote und Nostalgie und nicht Weltschmerz und Anstrengung.
Jimi Hendrix hatte einen Lebenstraum, er wollte eine Art universelle Sprache der Musik erfinden. Er ist gestorben, bevor er sich diesen Traum erfüllen konnte. Er ist gestorben, bevor er erkennen konnte, dass diese Idee vor allem keck klingt, aber nicht umsetzbar ist, so wie luxuriöses Camping oder deutscher Antifaschismus. Jimi Hendrix ist mit siebenundzwanzig Jahren gestorben, herrje, natürlich blieb sein Lebenstraum unerfüllt, er hat es vermutlich nicht mal geschafft, einmal im Leben ordentlich seine Steuererklärung zu machen und festzustellen, dass es eine finanzielle Verlustrechnung ist, eine Gitarre pro Konzert zu verbrennen. Janis Joplin hat bis heute eine Karriere als Konterfei in Hard Rock Cafes, das muss ja wirklich jeder selbst wissen, es gibt jedenfalls diese Geschichte über sie, wie sie auf der After-Show-Party ihres eigenen Konzerts im Central Park in New York traurig war, weil irgendein Kerl nicht mit ihr nach Hause gehen wollte. Sie soll dann später am Abend Patti Smith auf einem Hotelzimmer vollgejammert haben, was man sich wie eine Szene vorstellen kann, bei der man nicht unbedingt dabei gewesen sein will, Joplin jedenfalls: sehr aufgelöst, dass sie keinen Erfolg bei Männern hat, another night alone, soll sie zu Smith gesagt haben, und wie absolut kacke müssen die Zwanziger sein, dass man ein Konzert im Central Park gibt und danach traurig auf einem Hotelzimmer liegt, weil irgendein Kerl einem nicht unters Shirt wollte, es muss doch besser als das werden, siebenundzwanzig darf auf keinen Fall das Ende sein. Mit siebenundzwanzig ist jeder Haarschnitt immer noch nur eine Phase. Ganz langsam macht sich die Einsicht breit, dass man nicht sein ganzes Leben lang die Möglichkeit haben wird, sich für Zeug, das man tut, im Nachhinein zu schämen, irgendwann ist man richtig erwachsen, und dann endet die Ära, in der man sich später noch lustig entschuldigen darf für Dinge, die man getan hat, für T-Shirts und Beziehungen und witzige Piercings, die man zum Ende des Studiums einfach für eine hochemotionale Idee hielt, man steht so auf der Kippe zum richtigen Erwachsenensein, in den ersten Jahren nach der Volljährigkeit war das noch eine niedliche Pose, nicht zu wissen, wie man einen Ölwechsel macht oder eine Hühnersuppe, langsam ist es nur noch albern, die Leute lassen einen das spüren, langsam sollte man mal Verantwortung übernehmen für dieses lächerliche Leben, das man sich da im Laufe der letzten Jahre zusammengeklöppelt hat, für die Wohnungen, die man bezieht, die Straßen, durch die man fährt, und die Städte, die man hasst, irgendwann darf man nicht mehr einfach nicht kochen können und selbst gedrehte Zigaretten als Kern des eigenen Charakters ausgeben, da muss mehr kommen, und das, was da ist, muss dann auch hinterfragt und verteidigt werden, es wird ja ohnehin wahnsinnig viel hinterfragt, und das hat dann auch sicher seine Richtigkeit, und deswegen kommt irgendwann zwangsweise der Moment, in dem man entscheidet, dass jetzt auch mal gut ist, dann bezieht man mit großer Ernsthaftigkeit eine Wohnung und richtet sie ein, lernt, was das Wort toxisch auf Menschen bezogen bedeutet, und sortiert ein paar Freunde aus, hängt Bilder auf und sagt Partys ab, und dann fühlt sich alles an wie der Abend nach einer Beerdigung, wenn alle Gäste gegangen sind und es zum ersten Mal seit langer Zeit ruhig wird und man mit komischen Gefühlen alleine ist und sich denkt, ah, achso, scheiße. Dann fängt es an. Nicht das Leben, sondern viel eher, so zu tun, als wüsste man, was das Leben ist, so lange bis es einem passiert, sehr wissend nicken während Trennungen und Umzügen und Toden und Geburten, klar, so haben wir das immer schon gemacht. Das klingt alles anstrengend, es wird aber sicher super gewesen sein. So im Nachhinein betrachtet.
Erwachsene Menschen reden über ihre Jugend, als sei es dieses schillernde Ding gewesen, als wäre danach nichts Tolleres gekommen, Dir steht die ganze Welt offen, sagen sie, und das stimmt natürlich, aber es ist eben auch wahr, dass kein Mensch, der einigermaßen alle Gefühle beieinander hat, ernsthaft möchte, dass ihm die ganze Welt offensteht. Das scheinen Erwachsene zu vergessen, diese Hektik, diesen Stress, denn die scheiß Welt steht ja nicht einfach offen, sie drängt sich auf, später erzählt ist das sicher aufregend, wenn es gerade passiert, aber einfach nur irre anstrengend. Um irgendwann einer von den Erwachsenen werden zu können, der nostalgisch verklärt, wie Jungsein war, muss man Jungsein erst mal hassen und anfangen, die Welt zu zwingen, endlich nicht mehr offenzustehen, halt dein Maul, Welt, lass mich in Ruhe Döner essen, und dann sortiert man Stück für Stück die Sachen aus, die man nicht haben will, so lange, bis nur das bleibt, was man vielleicht nicht braucht, dessen Existenz man aber zumindest rechtfertigen kann, natürlich ist das lästig, herrje, alles ist lästig, das Machen, vor allem aber das Nichtmachen, das sagen die Alten einem ja ständig, und man kann so gut wegignorieren, dass sie leider recht haben. Nichtmachen ist die Hölle, deswegen steht man in seinen Zwanzigern so entsetzlich betriebsam in der Gegend rum, als gäbe es auch nur einen einzigen wichtigen Brief, der einen in diesem Kalenderjahr noch erreicht, jedenfalls zwingt man die Welt, endlich nicht mehr so unerträglich offen zu sein, und zwar tut man das mit Methode. Diese spezielle Form von Weltschmerz, diese empirisch sich aufdrängende Arroganz, zu glauben, dass man überall hinkönnte, wenn man nur wollte, die ist ja nicht bei allen jungen Leuten da, das ist das große Generationenmissverständnis, diese große Erzählung von den jungen Leuten, wie sie absichtlich ihre Turnschuhe kaputt laufen und sich verklemmt aufgeregt durch die Welt schleppen, in Wahrheit ist das nur ein Gefühl, das höchstens eine Handvoll junger Leute in jeder Generation wirklich verkörpern, das sind diese entsetzlich deutschen Vorstadtkinder mit ihren Tupperdosen voller Gurkenscheiben, die ganze scheiß Kindheit eine einzige abgeschnittene Brotkruste, wer so groß wird, empfindet den Tatort natürlich als krass, und diese Deutschen, die haben den Weltschmerz, und auf diese Deutschen wird natürlich gehört, und sie sind wichtig, und diese Deutschen tun alles mit brutaler Methode, so wie man das immer schon gemacht hat, es bietet sich also Folgendes an: Man geht vom Kleinsten zum Größten. Man betreibt einmal Inventur im ganzen Leben, man fängt bei sich zu Hause an, auf dem beschissenen Parkett in der ekelhaft hellen Altbauwohnung, geht weiter in die beschämend schöne Straße, und zuletzt guckt man auf die Stadt, in der man natürlich aus Absicht wohnt, das guckt man sich alles an, entscheidet, was davon dableiben darf, man zählt alles einmal durch und sucht Begründungen für die Anwesenheit von Designerstühlen und Erbschuld, nach dem Grund für das Ende von Mietverträgen und Lieben, das kann man also dann alles erklären und rechtfertigen, zumindest kann man so tun, zumindest kann man endlich mal wieder über sich selbst nachdenken, und dann steht die scheiß Welt nicht mehr offen, und dann ist endlich Ruhe.
Wäre das hier eine gute Geschichte, würde all dieser Kram passieren, der im echten Leben immer höchstens fast passiert. Ich würde immer mal wieder rauchend an Bars stehen, dabei sehr jung aussehen, bestimmt würde auch an Seen gestanden und auf Bürgersteigen gesessen, an irgendeinem Punkt würde ich mit einer halben Flasche Grauburgunder durch meinen komplett bescheuerten Stadtteil laufen, die Herleitung dieser, na ja, sagen wir mal Anekdote, wäre natürlich frech und ein wenig absurd, so wie das Leben mit siebenundzwanzig eben frech und absurd zu sein hat, was für eine Scheiße.
Es wäre alles deutlich einfacher, wenn die Geschichten, die junge Leute angeblich erleben, nicht immer so irre einfühlsam wären, so voller Erkenntnis in Elternhäusern und Liebeskummer auf Autobahnen, Großwerden ist meistens langweilig, oft stößt man sich an Tischkanten oder steht im Supermarkt und weiß nicht, ob es sich wirklich lohnt, den teuren Risottoreis zu kaufen, oder ob es nicht doch niemand merkt, wenn man wie immer Milchreis nimmt. Währenddessen fühlt man sich kein bisschen so, wie Jugend in Filmen immer aussieht, man denkt auch daran, dass die einzige Gewissheit, die man hat, die ist, dass die Leben von den Leuten, die so irre spannend im Internet aussehen, die nämlich, die Fotos posten von sich vor geschlossenen Bars, man weiß, dass deren Leben langweiliger und dümmer und vor allem ungeputzter sind als das eigene. Man weiß das. Und trotzdem bleibt an der Supermarktkasse dann so ein furchtbarer Restzweifel an sich selbst, genährt durch die Erkenntnis, dass die anderen Leute sich am Ende für den echten Risottoreis entschieden haben und einfach zu jeder Tageszeit elegante Menschen sind, selbst wenn niemand zuguckt. Wenn man siebenundzwanzig ist, wollen einem erwachsene Menschen brachial vermitteln, dass man gerade die Zeit seines Lebens haben sollte, aber die meiste Zeit meines Lebens verbringe ich damit, nicht zu wissen, was ich auf Netflix gucken soll.