Für das Mädchen, das ohne Gutenachtgeschichte nicht einschläft
Für einen Autor ist es leicht, den vielfältigen Zauber von Büchern zu preisen. Hier allerdings schreibe ich als Leser. Dieses Buch ist der Versuch einer liebevollen Antwort auf die Frage, warum ein Buch so viel mehr ist als bedrucktes Papier und Lesen weit mehr als ein Hobby, ein Zeitvertreib oder die Aneignung von Wissen. Es ist eine Feier der kleinen Glücksmomente, in denen viele von uns schwelgen, selbst wenn wir uns dessen nicht bewusst sind; das genussvolle Stöbern zwischen den Seiten, der Geruch von Buchhandlungen und das Lesen im Bett.
Die Entstehung dieses Buches verdanke ich dem zufälligen Fund eines anderen Buches in einem Pub. In seiner Essaysammlung Delight erhebt J.B. Priestley, ein selbsternannter Querulant, sein Glas auf alle guten Dinge in der Welt. So schreibt er sich hinaus aus der Trostlosigkeit des tristen und grauen Großbritanniens der Nachkriegszeit. In kurzen Texten teilen wir seine Freude am »Einkauf im Tante-Emma-Laden«, »Wie man Staatsdiener erschreckt«, am »Geräusch eines Fußballs«, »Sonntagszeitungen auf dem Land«, »Rauchen in der Badewanne« und 109 weiteren Themen.
Priestley wollte seine Leser daran erinnern, dass es immer einfache Freuden im Leben gibt, wie düster es um uns herum auch aussehen mag. In unserer zynischen, abgestumpften Welt voller verstörender Nachrichten und Internet-Trolle, einer Welt, die um ein Vielfaches schneller und extremer ist als die Priestleys, ist diese Botschaft einmal mehr vonnöten. Viele von uns finden solchen Trost in Büchern.
Die folgenden Texte sind Liebeserklärungen an das Buch als physisches, beinahe lebendiges Objekt und die mit ihm verbundenen Rituale. Sie zeigen, was Bücher und Lesen für den Einzelnen bedeuten und was wir daran schätzen, von den leuchtenden Farben der Geschichten aus unserer Kindheit zum leisen Trost, den wir als Erwachsene in stürmischen Zeiten in Büchern finden. Bücher sind Notausgänge, die allen offenstehen, und hier soll daran erinnert werden, auf welche Weise und warum.
Der lange prophezeite schleichende Tod des Buches scheint ferner denn je und dies der rechte Moment, sich der zahlreichen, manchmal unscheinbaren Weisen zu erfreuen, auf die Bücher uns glücklich machen. Darüber hinaus verdient das Buch ein ungeteiltes Lob, was dieser kleine Band hoffentlich leistet; Bücher stehen nach wie vor im Zentrum von Gesellschaft, Erziehung und Kultur. Sie sind widerstandsfähig und befinden sich manchmal dort, wo technologischer Wandel stattfindet – E-Books sind eine geniale Erfindung und bieten viele ganz eigene Freuden – und wo soziale Trends ihren Anfang nehmen. Und sie helfen aus so mancher Verlegenheit in Fragen des Weihnachtsgeschenks.
Bücher sind heute greifbarer – und damit demokratischer – als jemals zuvor. Vor diesem Hintergrund mögen die folgenden privaten Schwelgereien allgemeine Erfahrungen ansprechen, die Sträfling und Richter, Büchereinarren und Besitzer einer eigenen Bibliothek gleichermaßen teilen. Man lese sie, denke über seine eigenen Erfahrungen nach, und vertiefe sich in das nächste Buch …
»Für meinen geliebten Ehemann. 16. August 1936.« »In Liebe, Betty, Xmas ’49.« »Für Sarah, möge es dich begleiten. In Liebe, Mum und Ron.« Alle diese Widmungen befinden sich in der oberen linken Ecke der Umschlaginnenseite. Es scheint beinahe so, als wüssten die Wörter, dass sie dort nicht hingehören, und als versuchten sie, sich von der Seite zu stehlen. Die Handschrift ist stets geschwungen – das Wort »Ehemann« wie mit einer Luftschlange gelegt; »Xmas« wie der Kondensstreifen eines Kunstfliegers –, und die Tinte ist kohlschwarz oder blassblau.
Die Botschaften sind feierlich und liebevoll, obwohl häufig in der schlichten und reservierten Sprache ihrer Zeit. Manchmal spürt man, wie Tinte und Feder den nicht zu Herzergießungen neigenden Schenkenden beflügelt haben: »Für meinen geliebten Thomas zum Geburtstag, dein Vater.« Es gibt auch Insiderwitze, die wir nie verstehen werden, und flüchtige Schatten individueller Biographien.
Das Rätsel hinter solchen Widmungen macht einen bedeutenden Teil ihres Reizes aus. Wir reisen zurück zu dem Zeitpunkt, an dem dieses Buch ausgewählt und verschenkt wurde, eine eigene Geschichte neben der des Buches, nur werden wir nie ihr Ende erfahren. Hat Thomas sich über das Buch gefreut? Hat der geliebte Ehemann seines überhaupt gelesen? Hat es Sarah begleitet, und an welchen Ort? Viele sind mit einem genauen Datum versehen, sodass wir sie ihrer jeweiligen Epoche zuordnen können – jede Widmung an einen Sohn zwischen 1900 und 1914 ist besonders ergreifend –, aber dennoch können wir nur rätseln, was danach passierte. Gefiel den Empfängern das Buch, und haben sie es an Freunde weiterverliehen? Wie viele andere Leser hat es glücklich gemacht? Handelte es sich vielleicht nicht um das gewünschte Buch, voller Ungeduld am Weihnachtstag ausgepackt und mit vermeintlicher Begeisterung in den Händen gehalten? Wie ist es im Antiquariat oder im Warenlager eines Onlinehändlers gelandet? Hat sein Besitzer es bis zu seinem Tod und der Haushaltsauflösung geschätzt? Oder wurde es über die Jahre weitergereicht, wie ein Straßenmusikant ohne festen Wohnsitz?
Diese Zeitmaschinen aus Papier trösten uns, zeigen uns, dass ein Buch ein eigenes Leben besitzt und wir nun daran teilhaben. Sie fügen beim Kauf eines alten Buches ein weiteres Element des Genusses hinzu und schaffen eine zeitlose Verbindung zwischen dir und einem längst verstorbenen Leser. Ihr beide teilt nun ein nie zu lüftendes Geheimnis. Eure Leben mögen gänzlich getrennten Welten angehören und sind doch durch die gleiche Tinte und den gleichen Schriftzug miteinander verbunden.
Wenn man das nächste Mal ein Buch verschenkt, nehme man sich die Zeit für eine kurze Widmung an den Empfänger. Denn es ist auch ein Gruß an jemanden, der noch gar nicht geboren ist.
In den Häusern, die ich als Kind besuchte, gab es sehr wenige Bücher. In den meisten, darunter auch in meinem Elternhaus, gab es ein oder zwei Regalböden mit Büchern, gewöhnlich in einem Esszimmerschrank hinter Glas, als seien sie nicht zum Lesen, sondern bloß zum Anschauen da. In beliebiger Reihenfolge befanden sich darunter ein einbändiges Lexikon, eine Bibel, ein Wörterbuch, mehrere Romane von Jilly Cooper, ein paar Fotobände zum Zweiten Weltkrieg, eine Geschenkkassette noch ungelesener Bücher mit Pappeinband, Titel über Diäten, wie man eine Midlifecrisis überwindet und kurzlebige Hobbys, ein müder Atlas und ein großformatiges Jahrbuch zu einer Fernsehserie der BBC.
Die Menschen, denen diese Regale gehörten – meine Eltern und die Freunde meiner Eltern –, waren kurz nach dem Zweiten Weltkrieg geboren. Damals kaufte man keine Bücher, sondern man lieh sie sich aus. Leihbüchereien waren notwendige und nützliche Einrichtungen, während das Wohnzimmer für Porzellanfiguren und den Fernseher da war, nicht zum Angeben. Vielleicht ist das der Grund, warum ich als Erwachsener auf überbordende Regale und das Sammeln von Büchern fixiert bin – zu Hause hatten wir keine Bücherregale, heute füllen sie zwei ganze Räume. Für meine verhätschelte Generation sind sie in etwa das, was Toiletten im Haus für frühere Generationen waren. Vielleicht bin ich aber auch bloß ein neugieriger Mensch.
Ich weiß, dass ich nicht allein bin und dass genau in diesem Moment Menschen vor fremden Bücherregalen stehen und einen besseren Einblick in das Wesen ihres Besitzers bekommen, als dies durch ein Gespräch möglich wäre. Diese Regale sind wie eine Biographie, denn die Titel, so sehr man sich auch dagegen sträubt, verraten viel über ihren Eigentümer. Das ist weder besonders unfair noch unheimlich: Welch besseren Weg kann es geben, um festzustellen, ob eine neue Liebelei es wert ist, sich mit ihm einzulassen, oder um ein Thema für das Gespräch mit seinem Gastgeber zu finden? Vielleicht möchte der Gastgeber sogar, dass man seine Regale näher in Augenschein nimmt – eine Bibliothek kann eine demonstrative Zurschaustellung von Intelligenz und Weltläufigkeit sein.
Wer ein Haus oder eine Wohnung betritt, wünscht sich, einige Zeit allein vor dem Bücherregal verbringen zu können. Das Angebot eines Drinks, besonders dann, wenn seine Zubereitung einige Zeit dauert, ist ein willkommener Anlass, sich genauer umzusehen. Sollte der Gastgeber selbst am Herd stehen, bleibt alle Zeit der Welt zum Stöbern. Bis er oder sie sich an den Abwasch macht, ist ein umfassendes Charakterbild erstellt.
Man überfliegt die Regale und lässt wie eine Katze in einem Fish-&-Chips-Imbiss die Masse der Bücher auf sich wirken, zieht in rascher Folge zwei oder drei Titel aus dem Regal. Vielleicht wird man grün vor Neid oder seufzt sehnsüchtig angesichts einer beinahe vollständig nach dem Alphabet sortierten Bibliothek oder einer üppigen Sammlung orangefarbener Penguin-Classics-Ausgaben. Besitzt man mindestens ein halbes Dutzend Titel selbst, stehen die Vorzeichen für Freundschaft oder mehr gut.
Der Gastgeber findet einen bei seiner Rückkehr mit strahlendem Gesicht vor, weil man ein vertrautes Buch entdeckt hat. Das ist die wahre Freude, nicht das Herumstöbern und die Suche nach Charaktermerkmalen. Man hat einen Mitreisenden gefunden, und es gibt eine Vielzahl von Welten, die man gemeinsam besuchen kann, ohne auch nur vom Sofa aufstehen zu müssen. Und das Beste ist, am Ende des Abends wird einem der neue Freund zum Abschied vielleicht ein oder zwei Bücher ausleihen wollen, von denen er sicher ist, dass sie einem gefallen werden. Sollten sie je zurückgegeben werden – »Wer ein Buch verleiht, ist ein Narr, und wer es zurückgibt, ein noch größerer« lautet ein arabisches Sprichwort –, dann vermutlich nicht so bald. Und wenn doch, ist die Freude ihres Besitzers umso größer.
Lesen ist erfreulicherweise frei von allem Klimbim. Es ist eine einfache Beschäftigung, für die man keine Ausrüstung oder Hilfsmittel braucht, nur ein Buch und etwas gestohlene Zeit. Selbst das einzige gewöhnliche Zubehör – das Lesezeichen – ist verzichtbar.
Lesezeichen sind die fehlenden Socken der Literatur, die ständig auf unerklärliche Weise verloren gehen. Mir sind sie alle abhandengekommen: Lesezeichen mit Quasten, Lesezeichen mit Perlenbändchen, Lesezeichen mit Shakespeare-Zitaten, Lesezeichen mit aufgedruckter Zeitleiste, Lesezeichen aus Stoff, Leder und sogar ein kunstvoll bemaltes aus Holz. Mit den unzähligen Lesezeichen aus Buchhandlungen, die ich verlegt habe, könnte man eine ganze Kathedrale pflastern.
Glücklicherweise macht es großen Spaß, jeden nur erdenklichen flachen Gegenstand spontan als Lesezeichen zu benutzen. Zugfahrscheine zum Beispiel sind großartige Lesezeichen, genau wie die Werbebeilagen aus Zeitungen, Speisekarten vom Schnellimbiss, Geburtstagskarten am Geschenkpapier und sogar Strom- oder Gasrechnungen. Es gibt auch die Möglichkeit, die Seite mit einem Eselsohr zu markieren, indem man sie an der Ecke umknickt, sodass es aussieht wie ein halbes Sandwich aus der Puppenküche. Dies jedoch verletzt ein ungeschriebenes ehernes Gesetz, ein Buch nicht zu beschädigen, man lässt es auch nicht aufgeschlagen und umgedreht auf dem Nachttisch liegen, weil das dem Buchrücken schadet und unter Umständen Seiten knicken. Einige von uns finden das aber auch akzeptabel und sogar reizend, wie einen persönlichen Fußabdruck oder den Strich, mit dem man die Größe eines Kindes im Türrahmen markiert, und der nie weggewischt werden darf.
Alles das entspringt der Furcht, die entsprechende Stelle im Buch zu verlieren, wenn man weiterlesen möchte. Ebenso soll es verhindern, eine Seite oder einen Abschnitt noch mal zu lesen, wo es so viele andere Bücher auf der Welt gibt, die als Nächstes gelesen werden möchten (bedauerlicherweise macht auch die Lektüre unter Alkoholeinfluss ein Zurückblättern am nächsten Tag unumgänglich). Natürlich kann man versuchen, sich die jeweilige Seitenzahl zu merken. Es hat einen Moment von Spannung, sich die Zahl zu merken und dann festzustellen, dass man tatsächlich richtig liegt. Vielleicht ist es sogar Anlass für eine kleine Feier. Den strengen Prozess der Lektüre dem Zufall zu überlassen, erinnert daran, dass der Leser das Kommando führt. Ungeachtet des Regiments der Seitenzahlen, wird das Buch durch die Launen und Unstetigkeit seines Lesers zu etwas Flüchtigem und selig Vergänglichem. Zufallslesezeichen sind wie Sandburgen auf der Autobahn.
Nehmen wir an, es sei einer dieser ganz und gar verfahrenen Tage: undichte Schuhe, die geschmierten Brote zu Hause vergessen, verstopfte Straßen und eine endlose Besprechung am Nachmittag. Eine Besprechung, die einen in eine existentielle Krise stürzt oder in der man still vor sich hindämmert, und deren einziger Trost darin besteht, Strichmännchen zu zeichnen oder Beispiele für den unsäglichen Wirtschaftsjargon aus dem Mund des Vorgesetzten zu notieren. Auf dem Heimweg den Zug verpasst, das gesuchte Produkt im Supermarkt ausverkauft, Kinder, die nicht einschlafen wollen, Streit mit dem Partner und zuletzt noch ein defekter Warmwasserboiler. Und dennoch naht mit jeder Sekunde die Rettung.
Den ganzen Tag über und während der abendlichen Strapazen begleitet dich das Versprechen einer nächtlichen Zufluchtsstätte. Du, dein Bett und ein Buch: ein himmlisches Refugium. Und