Ralph Schroff
Im Südwesten Kretas
Drei Monate in den weißen Bergen
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Inhaltsverzeichnis
Titel
Vorwort
Kreta im Oktober 2010
Kreta im Mai 2014
Die weißen Berge
Freude am Laufen
Die lange Anreise von München nach Chora Sfakion 08.09.-10.09.
Ankunft in Chora Sfakion
Unser Zimmer im Hotel Alkyon
Die Taverna Lefka Ori
Der Strand Vrisi
Das Dorf der kurzen Wege
Läuferische Herausforderungen
Heirat 14.09.
Kafeneio
Kantina
Trauzeuge
Chania 20.09.
Ein Sommertag in Chora Sfakion
Aradena und Anopolis 22.09.
Frangokastello 24.09.
Samaria 25.09.
Die letzten Tage mit den Kindern
Zorba
Loutro und Marmara 03.10.
Mesohori
Chania 06.10.
Sonnige Oktobertage
Aradena - Marmara – Loutro 12.10.
Umzugspläne
Chania und Rethymno 15.10.
Griechisch
Loutro – Finikas 17.10.
Laufen auf der Straße nach Anopolis
Anopolis – Loutro 19.10.
Unterhaltungen im Kafeneio
Vertigo-Lauf 21.10.
Giorgis und Giorgos und das Lefka Ori
Imbros – Schlucht 22.10.
Miniaturkapellen, Straßenschilder und Katzen
Chora Sfakion – Loutro 26.10.
Cafe Faros
Illangas- Schlucht 27.10.
Bücher
Anopolis – Agios Ioannis - Kallikrates 28.10.
Urlaubsläufe
Anopolis – Livaniana – Finikas – Loutro 30.10.
Zeitenwende
Umzug 01.11.
Lefka Ori: Sougia – Omalos – Theriso 02.11.
Komboloi
Chania 03.11.
Vrisses und Hochzeiten
Novembertage und die Taverna Nikos
Chania – Kallikrates 07.11.
Der letzte Abend im Lefka Ori
Der lange Weg nach Athen 08.11.
Plaka
Marathon 11.11.
Akropolis
Von Athen nach Sfakia
Zwei Wochen in Chora Sfakion
Die letzten Tage in den weißen Bergen 28.11. – 01.12.
Vier Tage in Chania – Archontiki Hotel 01.12. – 05.12.
Zwei Tage in Heraklion - Hotel Iraklio 05.12. – 07.12.
Impressum neobooks
Die sagenumwobene Insel Kreta ist die größte griechische und fünftgrößte Insel des Mittelmeers, dehnt sich 260 Kilometer von Ost nach West aus und ist zwischen zwölf und sechzig Kilometer breit. Der griechischen Mythologie zufolge ist sie der Geburtsort des Göttervaters Zeus und lange vor den Griechen und Römern war sie Heimat einer Hochkultur, die immer noch viele Geheimnisse für sich behält. Die Minoer bevölkerten die Insel vor Tausenden von Jahren, errichteten Städte und Paläste und weder weiß man genau warum diese Zivilisation untergegangen ist, noch war es bisher möglich ihre Sprache vollständig zu entschlüsseln.
Drei Gebirgszüge durchziehen die Insel von West nach Ost. Die Lefka Ori, das Ida-Gebirge und das Dikti-Gebirge trennen die Südküste von der Nordküste, welche wesentlich dichter besiedelt ist. Mehr als die Hälfte der 650.000 Kreter lebt in den Ballungsräumen der drei größten kretischen Städte Heraklion, Rethymno und Chania. Auch der Tourismus hat sich mehr an den Sandstränden der Nordküste entlang ausgebreitet, während sich die Südküste ein wenig Ursprünglichkeit bewahrt hat. Die Insel liegt wie eine Barriere vor den Inseln Griechenlands, gut 160 Kilometer vor dem griechischen Festland. Trotz ihrer mehr als dreihundert Sonnentage im Jahr ist es nicht ausschließlich eine Sonneninsel. In den Gebirgen kann es empfindlich kalt werden und im Winter sind nicht nur ihre Gipfel schneebedeckt. Sie sind stellenweise schwer zugänglich und waren in den vergangenen Jahrhunderten sowohl Ausgangsort als auch Rückzugsort kretischer Aufstände. In der heutigen Zeit ist der Tourismus der mit Abstand wichtigste Wirtschaftszweig Kretas. Daneben ist die Landwirtschaft ein bedeutender Erwerbszweig geblieben und Kreta weiterhin in der Lage, sich selbst zu versorgen. Vor allem der Olivenanbau ist traditionell wichtig auf der Insel, die zu den größten Olivenölexporteuren der Europäischen Union gehört. Des Weiteren sind Wein- und Gemüseanbau sowie die Viehzucht bedeutsam. Die Arbeitslosigkeit auf Kreta ist geringer als im griechischen Durchschnitt und sie genießt einen an gesamtgriechischen Maßstäben gemessenen relativen Wohlstand.
In den Achtziger Jahren hat Karen eine der längeren Überseeerfahrungen von Neuseeländerinnen gemacht und acht Jahre lang immer wieder, mal länger, manchmal über Winter auf Kreta gelebt und gearbeitet. Es ist ihre Sehnsuchtsinsel und Chania ihre Lieblingsstadt, in der sie einen großen Teil ihrer Zeit auf Kreta verbracht und sich wie zu Hause fühlt hatte. 2010 haben wir in unserem ersten gemeinsamen Urlaub auf Kreta zwei so schöne Wochen verbracht, dass wir dies 2014 wiederholt haben. Das hat zu dem Wunsch geführt, einen längeren Urlaub auf dieser einzigartigen Insel verbringen zu können, den wir uns 2018 erfüllen konnten. Als Aufenthaltsort für diesen Urlaub fiel unsere Wahl auf Chora Sfakion, da dieser malerische Hafenort zum einen nicht zu weit von Chania entfernt gelegen und zum anderen noch nicht zur Gänze vom Massentourismus vereinnahmt worden ist. Es ist mittlerweile nicht mehr so abgeschieden, aber trotz einiger Hotels, Tavernen und einem steten Touristenstrom ein traditionelles kretisches Dorf geblieben. Viele Anekdoten und Legenden ranken sich um Sfakia, das selbst für kretische Verhältnisse eine eigene Welt ist, durch die weißen Berge getrennt von der restlichen Insel. Zum ersten Mal sah ich Chora Sfakion als wir 2010 die Straße von Anopolis hinuntergefahren sind. Tief unten lag ein pittoresker Hafenort, wie einem Bilderbuch entsprungen. Vier Jahre später sind wir wiedergekommen, haben dort drei Nächte verbracht und die Gastfreundschaft und den Raki zu schätzen gelernt.
Heraklion ist die Hauptstadt Kretas, ihr Geschäftszentrum und Eingangstor zur Insel und in der Mitte der Nordküste gelegen, während Chania ihr kulturelles Zentrum ist, auch an der Nordküste gelegen, aber hundertfünfzig Kilometer weiter westlich mit einem kleinen Flughafen und einem größeren Hafen. Viele enge Gassen durchziehen ihre Altstadt und verwandeln sie in ein schwer durchschaubares Labyrinth, ohne dass dieses allerdings groß genug wäre, um sich darin dauerhaft verlieren zu können. Es ist eine weltoffene Stadt und ein idealer Ausgangspunkt, um Kreta kennenzulernen.
Schon unsere ersten beiden Urlaube waren ein Heimkommen für Karen gewesen und eine Gelegenheit, mir ihre Insel, die ihr so viel bedeutet, zu zeigen. Es ist eine zu große Insel, um sie in einem Urlaub kennenzulernen, was die Frage aufwirft, wo man beginnen soll und was man sehen und erleben will.
In unserem ersten Kreta-Urlaub sind wir auf Karens Spuren gewandelt und sie hat mir ihre Insel gezeigt. Wir haben unseren Urlaub in einem Hotel in Chania begonnen, das in ein altes Kloster eingebettet war und vier Jahre später der Gentrifizierung zum Opfer gefallen ist und zu einem Luxushotel umgebaut worden war. Obwohl nur fünf Minuten vom Hafen entfernt, liegt es abseits in Kasteli wohin sich nur wenige Touristen verirren. Die ersten Tage hat mich Karen mit der Altstadt Chanias vertraut gemacht, wobei es mir vor allem der Hafen angetan hat, der zudem eine willkommene Orientierungshilfe in dem Straßengewirr der Altstadt ist. Jeden Morgen bin ich von unserem Hügel in Kasteli zu ihm hinuntergegangen, um dort den ersten Kaffee des Tages zu trinken, die Ruhe des Hafens und den Reiz der Umgebung zu genießen. Vom Hafen aus hat mich Karen mit der restlichen Altstadt vertrauter gemacht, wir sind durch enge Einkaufsstraßen gegangen und haben einige der ursprünglichen Läden mit traditionellen kretischen Produkten aufgesucht. Sie hat mir die imposante Markthalle gezeigt und anschließend haben wir uns in einem Kafeneio nebenan niedergelassen, um uns von den Anstrengungen des Tages zu erholen. Wir sind dem Hafen entlang gegangen, haben die umliegenden Gebäude betrachtet und waren in verschiedenen Tavernen zum Abendessen. Außerdem bewunderten wir die mächtigen Befestigungsanlagen und haben den Blick von einem Hügel auf die Altstadt Chanias genossen, aus welcher Minarette und Kirchtürme herausragen. Häufig hat es mich zum Hafen gezogen der besonders am Morgen eine friedliche Atmosphäre ausstrahlt als könne ihm die tägliche Touristeninvasion Chanias nichts anhaben. Die Weite des Hafenbeckens, der Leuchtturm weit draußen, die Moschee am Hafenbecken und die gewaltigen Arsenale. Daneben sind wir durch schmale Gassen flaniert und haben einige der engen Einkaufsstraßen aufgesucht. Karen hat mich auf verschiedenen Wegen, auf denen ich mich hätte verlieren können, durch die Stadt geführt und wir haben viele der alten kleinen Wohnhäuser in den engen Gassen betrachtet. Manche neben Ruinen stehend, andere neben renovierten Häusern, viele mit wunderbaren Details, die meisten mit Balkonen, andere mit offenen Türen und Fenstern, ein Leben zwischen Tür und Angel.
Nach ein paar Tagen haben wir uns ein Auto gemietet und Karen hat angefangen mir die Umgebung zu zeigen. Den ersten Ausflug unternahmen wir nach Rethymno, das knapp sechzig Kilometer östlich von Chania liegt. Es ist eine lebendige Universitätsstadt und besitzt eine pittoreske Altstadt mit herrlichen Wohnhäusern, die teilweise aufwändig renoviert sind und denen Chanias in Nichts nachstehen. Es macht Spaß durch die Stadt zu spazieren und am Hafen entlangzuschlendern. Auf dem Rückweg gingen wir zu der Fortezza von Rethymno, die malerisch oberhalb der Altstadt am Meer liegt. Es ist eine großartige Festung mit imposanten Außenmauern und hat man einen fabelhaften Blick über den venezianischen Hafen und die Stadt.
Der nächste Ausflug führte uns nach Omalos und mich zum ersten Mal in die weißen Berge. Nachdem wir durch die Orangenhaine der Ebene gefahren sind, ging es hinauf in die Berge, die Straße wurde kurvenreicher und kletterte hinauf zur Hochebene von Omalos die mich auf Anhieb begeisterte. Die grünen Wiesen breiteten sich vor uns aus und wurden von den weißen Bergen ringsherum eingerahmt, der blaue Himmel über uns. Wir durchquerten die Ebene bis wir am südlichen Ende auf den Parkplatz der Samaria-Schlucht gestoßen sind. Als wir dort aus dem Auto gestiegen sind, war es merklich kühler als in Chania und man fühlte, dass die Hochebene gut eintausend Meter über dem Meer liegt. Im Oktober ist die Schlucht zwar noch offen, aber da die meisten Touristen um diese Tageszeit auf ihrem Weg nach Agia Roumeli sind, war es sehr ruhig. Wir gingen ein wenig herum, schauten uns die Umgebung an und spähten in die Schlucht hinein. Die Landschaft ist atemberaubend, die hohen Bergspitzen und das tiefe Tal, die Ruhe und Kühle um uns herum. Ich hatte damals noch keine Kenntnis der Bedeutung der Samaria-Schlucht, war aber fasziniert von der schier unendlichen Weite des Omalos-Plateaus. Mein erster Eindruck der weißen Berge, die ich am nächsten Tag noch besser kennenlernen sollte, als wir über Vrisses hinauf in die Lefka Ori gefahren sind. Es ist eine eindrucksvolle Fahrt durch eine magische Landschaft auf spektakulären Straßen mit herausragenden Ausblicken. Zunächst der lange Anstieg hinauf nach Kares, anschließend durch die Ebene von Askifou, bevor die Straße nach dem Dorf Imbros in sechsundzwanzig engen Serpentinen steil zur Südküste Kretas abfällt mit traumhaften Ausblicken allerorten. Wenn man weiter der Küste entlang fährt, kommt man zu einem kleinen Ort am Meer von welchem eine weitere faszinierende Straße hinauf nach Anopolis führt. Sie gewinnt auf zehn Kilometern gut sechshundert Höhenmeter in engen Serpentinen und außer uns sind an diesem Morgen lediglich ein paar Ziegen darauf unterwegs. Durch die Hochebene von Anopolis hindurch führt sie nach Aradena, das seit Jahrzehnten verlassen zu sein scheint. Häuser zu Ruinen verfallen, Wege die lange niemand mehr genutzt hat und einzig die Kirche geweißt und gut erhalten. Anschließend sind wir auf dieser traumhaften Straße wieder hinuntergefahren, an dem kleinen Hafenort vorbei weiter nach Frangokastello. Dort hat mir Karen das nächste Kastro des Urlaubs gezeigt, welches wesentlich kleiner als jenes von Rethymno ist und mit seinem Charme ein wenig verloren in dieser Ebene zwischen dem Meer und den Bergen steht.
Über Imbros und Vrisses ging es zurück nach Chania, welches wir kurz darauf hinter uns gelassen haben und nach Archanes weiter gezogen sind. Eine Kleinstadt, die auf der Insel für ihren Wein bekannt ist und in der es trotz der Nähe zu Knossos keine Hotels gab, was mich einigermaßen verwunderte. Es ist eine liebevoll restaurierte Ortschaft mit engen Gässchen, malerisch am Berg gelegen und einer lebendigen Plateia mit Tavernen und Kafeneia um sie herum. Wir verbrachten drei abwechslungsreiche Tage in einer ungewöhnlichen Villa und machten einen Ausflug nach Knossos. Obgleich die Stätte von Arthur Evans etwas unkonventionell ausgegraben worden ist, bleibt es ein faszinierender Ort und in seiner Einzigartigkeit beeindruckend. Man gewinnt eine Ahnung, wie die Anlage einst ausgesehen haben könnte, staunt über das Alter des Bauwerks und bewundert die Größe des Palastes, seine eindrucksvollen Details, Tausende von Jahren alt. Wir hatten das Glück, den Palast nahezu ungestört bewundern und in ihm umherwandern zu können und waren beeindruckt von dieser untergegangenen Epoche, welche dieses großartige Bauwerk erschaffen hat. Eine Zivilisation, von welcher wir nur wenig wissen, die lange verborgen war, bis Knossos Ende des neunzehnten Jahrhunderts wiederentdeckt worden ist. Ein weiterer Ausflug führte uns zum Nikos Kazantzakis Museum in Myrtia. Er ist der bedeutendste Schriftsteller Kretas und ein vielseitig interessierter Autor mit einem abwechslungsreichen Leben, aus dem heraus ein vielschichtiges Werk entstanden ist. Dieses informativ und liebevoll eingerichtete Museum bringt einem sein Leben und Werk näher und es war ein Vergnügen einige Zeit hier verbringen zu dürfen.
Anschließend begaben wir uns auf einer reizvollen Nebenstraße zur Südküste Kretas. Einerseits wollten wir uns ein Bild der Landschaft abseits der Schnellstraße machen und zum anderen eine Ahnung der Topographie Kretas erhalten. Unterwegs hielten wir in einem Dorf für ein Frühstück an. Während wir in dem Kafeneio saßen, hörten wir draußen Dudelsackmusik, von der wir nicht wussten, ob sie schottisch oder kretisch war, sahen uns verwundert an und waren unsicher, ob wir nicht etwa unter Halluzinationen litten. Nach dem Dorf wurde die Straße schmaler, wie sie höher stieg und folgte landschaftlich malerisch einem Grat mit Blicken in alle Richtungen. Wir waren allein in dieser Gebirgslandschaft und nur Ruhe und Stille um uns herum. Dann fing sie an den Grat zu verlassen, führte nach unten und wurde enger wie unebener. Je weiter wir abwärts fuhren, desto mehr ähnelte sie einem Pfad und war schon lange nicht mehr asphaltiert. Mehr oder weniger große Steine und Felsbrocken lagen verstreut herum und unsere Reisegeschwindigkeit war auf wenig mehr als Schritttempo reduziert, was an einigen Stellen abenteuerlich schnell war. Uns beschlich ein mulmiges Gefühl und wir hegten ernste Zweifel, ob wir auf diesem Weg, der inzwischen mehr einem trockenen Flussbett glich, weiterkommen würden, aber umzudrehen schien keine Alternative zu sein. Vorsichtig tasteten wir uns weiter und kamen an einem Hirten vorbei, der uns auf seinen Stock aufgestützt verwundert, zweifelnd anschaute und nachblickte, was den letzten Rest unserer Zuversicht erschütterte. Aber nach einer weiteren langen Weile wurde der Weg zu unserer unendlichen Erleichterung besser und wir fanden uns auf einer Straße wieder.
An der Südküste verbrachten wir drei Nächte in Mirthos, einem Touristenort der vor allem unterhalb des Dorfes Mithi liegt, in dem Karen einst einige Jahre gelebt und gearbeitet hat und an den sie viele Erinnerungen hegt. Es ist eine kretische Ortschaft, die vom Oliven- und Weinanbau lebt und unbeachtet von der Tourismusindustrie auch heute noch weitestgehend in sich und den Bergen ruht. Karen hat mich durch Mithi geführt, mir ihr altes Haus gezeigt und als Touristenattraktion eine Schlucht in der Nähe, bevor wir uns in einem Kafeneio in der Abgeschiedenheit und Ruhe der Ortsmitte bei einer Erfrischung davon erholt haben. Des Weiteren machten wir eine Rundreise durch die umliegenden Berge und lernten Terza und Ierapetra kennen, wo wir uns ein kleines Kastell, direkt am Meer gelegen anschauten und auf der Promenade ein reizendes Abendessen hatten. Mirthos ist ein lebendiges Ressort, an der Promenade reihen sich Hotels, Pensionen und Tavernen aneinander, bis ein Strand zum Verweilen einlädt und das Meer zum Baden. Im Ort gibt es neben touristischen Unternehmungen auch weiterhin Geschäfte des täglichen Bedarfs. Wir kauften die ersten Dakos meines Lebens in der dortigen Bäckerei, alternativ angehauchte Restaurants laden zum Verweilen ein und abends ist es ein überraschend geselliger Ort.
Verzaubert hat uns aber das Dorf Terza, was nicht einfach ist, da man es zuerst finden muss. Karen kannte es von früher und hatte die Idee, die fünf Kilometer auf der zweifelhaften Straße, welche stellenweise einem schlechten Feldweg gleicht, von Mirthos nach Terza zu fahren. Als wir die Ortschaft erreichten, mussten wir aufpassen, sie nicht gleich wieder zu verlassen, winzig wie sie ist. Es sind nicht mehr als zwei Tavernen zur linken am Meer und ein paar Häuser auf der rechten Seite der Straße. Als wir langsam hindurchfuhren, reichte ein Mann Karen einen Basilikumzweig durch das offene Autofenster, worauf wir uns entschieden eine Rast einzulegen. Wir ließen das Auto an einem Parkplatz stehen, gingen zur Taverna zurück und gönnten uns eine Erfrischung. Ein sonniger Nachmittag im Oktober und die Liegen am Strand sahen zu einladend aus. Wir fragten, ob wir unsere Getränke mit an den Strand nehmen könnten, worauf sie uns sagten: This is Terza, you can do whatever you want. Wir folgten der Einladung und verbrachten einige erholsame Stunden an diesem warmen Nachmittag in der Nachmittagssonne.
Am Ende unseres Urlaubs sind wir in einem weiten Bogen über Ierapetra, Kritsa, Lato und Agios Nilolaos zurück Richtung Heraklion gefahren, um von dort Kreta für diesen Urlaub hinter uns zu lassen. Karen kannte Kritsa und meinte, es wäre einen Abstecher wert, ein malerisches Dorf mit kleinen Läden und traditionell kretischem Handwerk. Wir wanderten durch das Dorf, hatten ein Frühstück in einem Kafeneio, das von einem Iren betrieben wurde und wollten schon weiter auf den Weg nach Heraklion, als wir ein Schild nach Lato sahen. Warum wir dorthin gefahren sind, nachdem wir bisher alle Schilder zu archäologischen Stätten ignoriert hatten, weiß niemand. Wir sind hinauf gefahren, haben auf einem leeren Parkplatz geparkt, zahlten ein paar Euro an einem Kassenhäuschen und waren überrascht und fasziniert. Ein liebevoll freigelegter Ort aus kretischer Vorzeit in malerischer Lage auf einem Grat gelegen, von dem man zu beiden Seiten einen herrlichen Blick über die Landschaft hatte. Untergegangene Welten, versunkene Zivilisationen. Außer uns zeigte an diesem Vormittag niemand Interesse dafür. Wir kletterten ungestört durch die freigelegten Gebäude, saßen auf den Rängen des Theaters und bewunderten die Landschaft, in die sich der Ort natürlich einfügt. Um uns herum frische klare Luft und nichts von dem Pomp von Knossos, weder Fremdenführer noch Touristenbusse – nur wir beide in der Stille des Berges. Es war ein zauberhaftes Dorf und die Vorstellung, dass einst vor Tausenden von Jahren Menschen hier ihr Leben verbracht hatten, hat etwas Faszinierendes, das mühelos jedes Wissen ersetzt.
Vier Jahre später kamen wir im späten kretischen Frühling für zweieinhalb Wochen zurück nach Kreta. Nachdem wir in Heraklion gelandet waren, sind wir mit dem Bus nach Chania gefahren, um dort die erste Woche zu verbringen und übernachteten abermals in asteli. Dieses Jahr war es der erste Urlaub, in dem ich auch gelaufen bin und Chania ist ein reizvoller Ort für entspannende Läufe am Morgen. Man kann zum Hafen hinunterlaufen, der Küste entlang in die eine oder andere Richtung, kann sich in den engen Gassen der Altstadt verirren oder zu dem botanischen Garten und dem Stadion hinauslaufen und eine Runde auf der Tartanbahn drehen. Im Unterschied zu unserem letzten Kreta-Urlaub sind wir jeden Abend in das Restaurant Tamam gegangen,welches ein altes Lieblingslokal von Karen ist, was dort durchaus für Erstaunen gesorgt hat, aber wir genossen die Atmosphäre, das gute Essen und die zunehmend herzlicher werdende Gastfreundschaft. Wir erkundeten die Altstadt, genossen die frühlingshafte Atmosphäre und hatten ein paar angenehme Stunden in dem archäologischen Museum Chanias. Unser Zimmer in der Pension ging auf einen Garten hinaus, der von einer alten Befestigungsmauer umgeben war, was mich vor das Rätsel stellte, welchen Sinn eine Befestigungsmauer inmitten der Stadt ergab. Es war auch faszinierend auf unseren Spaziergängen an modernen Gebäuden vorbeizugehen, die neben archäologischen Ausgrabungen, an alte Befestigungsmauern angelehnt waren oder neben zu Ruinen verfallenen Häusern standen. Chania ist voller alter Geschichte und hat nie aufgehört mich zu verzaubern. Früher oder später stößt man auf noch ältere Steine, was kann man wie freilegen und ausstellen und wie neue Häuser auf diesen alten Steinen bauen. Viele alte Häuser folgen einem uralten Plan, der sich längst nicht mehr jedem erschließt oder welcher verschieden interpretiert wird. Neue weite Straßen mit modernen Geschäften wechseln sich mit alten engen Gassen ab. Bausubstanz die Jahrhunderte überdauert hat und darüber etwas bröselig geworden ist, steht neben aufwändig renovierten Häusern. Chania wartet an jeder Ecke mit neuen Überraschungen auf und man weiß nie, was einen erwartet.
Mit einem Leihauto machten wir wieder ein paar Ausflüge in die nähere Umgebung. Der Erste führte uns auf die Halbinsel Akrotiri, die Chania von Souda trennt. Dort sahen wir uns zunächst den Strand von Stavros an. Eine weite Bucht, das Meer war ruhig und wir machten einen entspannenden Strandspaziergang in der Frühlingssonne, wobei nichts darauf hindeutete, dass wir uns an einem der beliebtesten Sommerausflugsziele Chanias befanden. An diesem Strand wurden einst Teile des Films Zorba gedreht mit dem markanten Berg im Hintergrund, der als Kulisse für den Tanz der beiden Hauptdarsteller in der Schlussszene diente. Wir schauten uns um, genossen die Weite der Landschaft und fuhren nach Agia Triada weiter, was ein entzückendes Kloster ist, das uns mit seiner Erhabenheit und Anmut verzauberte. Schon vom Parkplatz aus entfaltet es seine Magie. Man kommt durch die Tore und sieht seine Innenanlagen, die verschachtelten ineinander übergehenden Innenhöfe. Wir sahen es uns allen Blickwinkeln aus an, wandelten darin herum, stießen auf immer neue Überraschungen und nahmen uns alle Zeit der Welt hierfür. Die prächtige Kirche mit ihrem verschwenderischen Dekor, ihren Ikonen und den Deckenmalereien, der Weinkeller mit dem langen Tisch und der Blick von den Außenmauern über die Weite der umgebenden Landschaft hinweg mit ihren Olivenhainen darin. Es waren faszinierende Stunden als wären wir in eine andere Welt eingetaucht. Auf dem Weg zurück nach Chania sind wir zu dem Denkmal und Grabstätte von Eleftherios Venizelos auf dem Hügel Profitis Ilias abgebogen, haben aber vorrangig die grandiose Aussicht über Chania bewundert. Man hat einen einmaligen Blick auf die Küste vor Chania und sieht den prachtvollen venezianischen Hafen vor der eindrucksvollen Kulisse des Häusermeers der Altstadt Chanias. Ein fantastischer Blick für die Ewigkeit, der Hafen elegant wie anmutig, man sieht die östlichen Verteidigungsanlagen und kann die Arsenale erahnen, wenn man darum weiß. Wie ließen unsere Blicke schweifen und bewunderten die Aussicht auf die zauberhafte Stadt.
Der nächste Ausflug war eine kurzweilige Rundfahrt in die andere Richtung, erst nach Westen, dann der Küste entlang nach Süden und wir haben uns das Nonnenkloster Moni Chrisoskalitissis sowie den bekannten Strand von Elafonisi angesehen. Auf der Heimfahrt sind wir in einer Taverna an einer Flussbiegung eingekehrt, wo wir einen höchst unterhaltsamen Nachmittag verbracht haben, mit einem guten Mittagessen in einem Garten an einem Fluss gelegen. Was die Taverna unvergessen werden ließ, war ihre Weinprobe. Karen wollte ein Glas Wein mit ihrem Mittagessen trinken, konnte sich aber nicht entscheiden, weshalb ihr drei verschiedene Rotweine zum Probieren angeboten wurden: von einem dunklen, fast schwarzen Rotwein über einen dunkelroten bis zu einem helleren Roten. Alle drei Gläser waren großzügig eingeschenkt, Karen hat gekostet, miteinander verglichen und sich am Ende erwartungsgemäß für den schwarzen Wein entschieden, der so gut war, dass ein weiteres Glas nicht genug war. Es wurde sich rührend um uns gekümmert, die Bedienung hatte viel Freude an Karens Weinprobe, sich über Karens Begeisterung für den schwarzen Wein gefreut und ihr zunehmend flüssigeres Kretisch bewundert. Wo sonst findet man solche Gastfreundschaft und Herzlichkeit?
Anschließend sind wir für drei Nächte in die weißen Berge nach Chora Sfakion gefahren, haben im Hotel Alkyon gewohnt und in der Taverna Lefka Ori zu Abend gegessen, welches die erste Taverna auf der rechten Seite ist, wenn man die Treppe von unserem Hotelzimmer zur Promenade hinuntergeht. Dort ließen wir uns am ersten Abend nichtsahnend unwissend wie wir waren nieder. Mitte Mai war es noch nicht warm genug um außen zu sitzen, aber innen saßen wir bequem, das Essen war reichhaltig und der Wein gut. Mit dem Nachtisch kam eine Karafaki Raki, der Kellner hatte ein Glas für sich dabei und hat mit uns angestoßen. Wir waren begeistert ob dieser Geste der Gastfreundschaft und sahen keinen Grund in den nächsten beiden Tagen andere Tavernen aufzusuchen. Ansonsten haben wir von dem Ort nur wenig gesehen, waren mit Ausflügen nach Aradena und Frangokastello zu beschäftigt, um uns in die Idylle fallen zu lassen, von der wir nicht wussten, dass sie existierte.
Wir sind weiter der Küste entlang nach Terza gefahren, dem winzigen Dorf mit zwei Tavernen und einem Apartmentgebäude, in dem wir drei wunderbare Tage verbrachten und einen weinseligen Nachmittag in Mithi. Nachdem Karen mir Mithi und die Schlucht bei dem Ort bereits vor vier Jahren gezeigt hatte, sind wir dieses Jahr in das Kafeneio gegangen, das sich in der Ortsmitte unter einem mächtigen Baum befindet. Karen hat den örtlichen Wein genossen und da das erste halbe Kilo so gut gemundet hat, gab es keinen Grund nicht auch ein zweites halbes Kilo zu trinken. In weiten Teilen Kretas ist es nachwievor üblich, den Wein nach Gewicht zu bestellen. Ob es die Höhenluft von Mithi war oder die besondere Güte des Weins, Karen ist zunehmend rührseliger geworden und es wurde ein denkwürdiger Nachmittag. Noch auf der Heimfahrt nach Terza hing sie ihren Erinnerungen nach. Dort angekommen, haben wir uns aus unerklärlichen Gründen, völlig ungewöhnlich dazu entschieden in der anderen Taverna des Dorfes zu Abend zu essen. Diese war kleiner, die Tische befanden sich auf dem Strand, wir saßen wunderbar an diesem warmen Abend am Strand und hatten ein reizendes Abendessen. Der Wirt gab sich alle Mühe, das Essen war frisch zubereitet und er hat uns Köstlichkeiten auf den Tisch gezaubert.
Nach Terza fuhren wir für drei Tage nach Archanes, diesmal auf der Schnellstraße, auf der man so schnell dort ist, dass man darüber vergessen könnte, wie gebirgig Kreta sein kann. Unser Apartment war in diesem Jahr spektakulär und auf zwei Ebenen konnten wir uns nach Lust und Laune ausbreiten. Im Eingangsbereich befindet sich ein unermesslich großes Wohn- und Speisezimmer mit einer großzügigen Küchenzeile, die Treppe hinunter sind das Badezimmer und unser Schlafzimmer, ebenfalls in Dimensionen, die wir weder gewohnt waren, noch für möglich gehalten hätten. Wie Karen dieses Apartment gefunden und auf was für einen Preis sie sich in der Vorsaison mit der Großmutter geeinigt hatte, hat sie mir nie verraten, meinte allerdings, es wäre deutlich günstiger gewesen als im Internet angeboten. Unsere Luxusherberge, in der wir uns mit unseren wenigen Habseligkeiten schier verloren. Allein der Balkon war größer als viele unserer Hotelzimmer und hatte einen herrlichen Blick über das Dorf und die gegenüberliegenden Berge. Archanes ist eine liebenswürdige Stadt, deren oberer Teil an einem Berg liegt, schmale Gassen kreuzen diesen und stammen aus Zeiten, als Automobile noch nicht das Stadtbild dominierten. Entsprechend anspruchsvoll gestaltet sich das Fahren und Parken, jeder Zentimeter wird ausgenutzt, zudem verliere ich in dem engen Labyrinth gerne die Orientierung, komme gelegentlich an Stellen heraus, an denen ich nie hatte sein wollen und vor allem nicht weiß wo ich mich befinde. Die einzige Orientierungshilfe ist die entzückende Stadtkirche mit ihrem Vorplatz, die das Häusermeer ein wenig strukturiert. Am Fuß des Berges erstreckt sich die Geschäftigkeit des unteren Dorfes, welches mehr Platz zur Entfaltung hat. Um die Plateia herum sind Tavernen und Kafeneia gruppiert. Hier pulsiert das örtliche Leben, treffen sich Kinder und Jugendlichen zum Fußballspielen, Männer in den Kafeneia und Familien in den Tavernen. Nachdem wir uns am ersten Abend für eine entschieden haben, sahen wir keinen Grund die anderen Abende nicht auch dort zu verbringen. Das Essen war gut, man saß gemütlich, überblickte die Plateia und wurde herzlich umsorgt. Zum Nachtisch bekamen wir eine großzügige Portion Loukoumades zum Raki serviert, in denen ich förmlich schwelgte. Mit jedem weiteren Abend wurde der Nachtisch, bei dem es sich um frittierte Hefeteigbällchen handelt, reichhaltiger und ich konnte mein Glück kaum fassen, bis uns am letzten Abend ein wahrer Berg dieser Köstlichkeiten serviert wurde. Was für eine unglaubliche Gastfreundschaft, wie kann man sich ihrer erwehren oder sie erwidern? Wenn man der Straße im Tal folgt, kommt man zu der Kirche des Ortes, eindrucksvoll mit den Bergen im Hintergrund und daneben dem liebevoll gestalteten archäologischen Museum. Archanes ist ein guter Ort, um sich zu entspannen, die Seele baumeln zu lassen oder sich in das Gleichmaß der Zeit fallen zu lassen. Wenn man etwas Lebendigkeit vor dem Zubettgehen wollte, konnte man eines der Kafeneia am Fuße des Berges aufsuchen und bei einer Karafaki Raki oder zwei den Abend ausklingen lassen. Man war daheim bei Freunden gut aufgehoben und ich empfinde Dankbarkeit, dass ich das in meinem Leben erfahren durfte, was einem so oft auf dieser Insel zuteil wird.
Im Südwesten von Kreta gelegen erheben sich die Lefka Ori eindrucksvoll und abweisend in die Höhe. Die Region ist dünn besiedelt und war lange nur schwer zugänglich. Auf einer Fläche vergleichbar mit dem Bodensee leben um die dreitausend Einwohner. Sie dehnen sich rund dreißig Kilometer von Ost nach West und zwanzig Kilometer von Nord nach Süd aus und sind das größte Gebirgsmassiv Kretas, fast fünfzig Gipfel sind höher als zweitausend Meter und ihre höchste Erhebung ist der Pachnes mit 2454 Metern. Mehrere Schluchten verlaufen in nord-südlicher Richtung, von welchen die Samaria sowohl die Bekannteste als auch Größte ist. Eine Eigenheit der weißen Berge ist, das mit der Schneeschmelze alles Wasser sofort im Boden versickert und daher kaum Vegetation gedeihen kann und es einer Hochwüste ähnelt. Sie wurden weder von den Venezianern noch den Türken jemals dauerhaft erobert, erheben sich festungsartig aus der Ebene oder dem Meer empor und nur wenige Straßen führen in die Lefka Ori hinein. Noch Mitte des letzten Jahrhunderts führte keine Straße von Imbros hinunter nach Chora Sfakion und Sfakia lag jahrhundertelang abgeschieden vom restlichen Kreta und war eine eigene Welt auf dieser Insel.
Oftmals hatten Aufstände und Unabhängigkeitskriege gegen die türkische Besatzung ihren Ursprung in Sfakia. Daskalogiannis, der Initiator des ersten großen kretischen Aufstandes gegen die osmanische Besetzung, stammt aus Anopolis, wo ihm bis zum heutigen Tag ein ehrendes Denkmal in der Mitte des Dorfes gewidmet ist, wie er auch auf der ganzen Insel verehrt wird. Die Kreter waren der türkischen Armee zahlenmäßig und waffentechnisch heillos unterlegen, machten dies zwar durch ihren Mut, Willen und Kenntnis der Umgebung wett, konnten aber errungene Stellungen nie dauerhaft halten. Nachdem der Aufstand 1771 gescheitert war, auch weil die versprochene Hilfe aus Russland ausgeblieben war, war die Rache der Türken an der Zivilbevölkerung furchtbar und ganze Ortschaften wurden zerstört und dem Erdboden gleichgemacht. Um noch Schlimmeres zu verhindern, hat sich Daskalogiannis in Frangokastello gestellt und dafür einen grauenhaften Preis bezahlt. Er wurde am 17. Juni 1771 in Heraklion im Beisein seines Bruders bei lebendigem Leibe gehäutet. Während des Aufstandes von 1821 schlugen die Kreten die Türken in mehreren Schlachten und fügten ihnen schwere Verluste zu. Es gelang ihnen aber nicht, die Kontrolle über die gesamte Insel zu erreichen, da sich die Türken stets in die befestigten Städte zurückziehen konnten und über gewaltige Ressourcen verfügten. Nachdem die Türken Anfang Juli 1821 auch in Sfakia schwere Verluste erlitten hatten und sich zurückziehen mussten, kamen sie im August mit einem weit überlegenem Heer zurück und führten einen massiven Vergeltungsfeldzug. Sie zerstörten, ja verwüsteten abermals weite Teile Sfakias nahezu vollständig. Sie brannten alle Dörfer und Ortschaften, durch die sie zogen, nieder und richteten unter der Bevölkerung, soweit diese sich nicht rechtzeitig in Sicherheit hat bringen können, ein furchtbares Blutbad an. Fünfzig Jahre nachdem Sfakia von den türkischen Truppen nach dem Daskalogiannis-Aufstand heimgesucht worden war, war es wiederum vollkommen zerstört und bezahlte erneut einen schrecklichen Preis für seine Rolle im kretischen Befreiungskampf. Nachdem der Aufstand 1830 erfolglos zu Ende gegangen war, fühlten sich die Kreter im Stich gelassen, beklagten mangelnde Unterstützung und während Griechenland seine Unabhängigkeit erhielt, blieb dies Kreta verwehrt.
In einer Reihe weiterer Aufstände gegen die osmanische Besetzung zwischen 1830 und 1898 war die Beteiligung Sfakias stets von immenser Bedeutung. Die kretische Zivilbevölkerung hatte ungemein unter der türkischen Besetzung zu leiden und sah sich ständigen Repressalien, Unterdrückungen und Misshandlungen ausgesetzt. Es gab keinerlei Sicherheiten und sie war der Willkür nahezu schutzlos ausgeliefert, sowohl auf dem Land wie in den Städten war es ein ständiger schwieriger Überlebenskampf. Die Vielzahl der Aufstände, besonders der letzte große von 1866, bei welchem es zu den tragischen Ereignissen von Moni Arkadi gekommen ist, führte schlussendlich dazu, dass der Druck auf die europäischen Großmächte größer wurde, etwas gegen die unhaltbaren Zustände auf Kreta zu unternehmen. Unter der Führung von Großbritannien, Frankreich, Italien und Russland wurde am 9. Dezember 1898 Kreta in die Unabhängigkeit entlassen. Zehn Jahre später schloss sich Kreta Griechenland an und wurde Teil des griechischen Staates.