The Comfort Book

Matt Haig

The Comfort Book

Gedanken, die mir Hoffnung machen

Aus dem Englischen von Hella Reese

Knaur eBooks

Inhaltsübersicht

Über Matt Haig

Matt Haig, Jahrgang 1975, ist ein britischer Autor. Seine eigenen Erfahrungen mit Depressionen und Angststörungen sind auch stets ein zentrales Thema in seinen Büchern. Bei dtv sind von ihm zuletzt die Romane »Ich und die Menschen« (2014) und »Wie man die Zeit anhält« (2018) sowie die Sachbücher »Ziemlich gute Gründe, am Leben zu bleiben« (2016) und »Mach mal halblang« (2019) erschienen. Matt Haig lebt mit seiner Familie in Brighton.

Glauben Sie nicht, daß der, welcher Sie

zu trösten versucht, mühelos unter den

einfachen und stillen Worten lebt,

die Ihnen manchmal wohltun. […]

Wäre es aber anders, so hätte er

jene Worte nie finden können.

 

Rainer Maria Rilke

Briefe an einen jungen Dichter

Ein Wort vorab

Manchmal schreibe ich etwas auf, um mich selbst zu trösten. Erkenntnisse aus schwierigen Zeiten. Gedanken. Betrachtungen. Listen. Beispielhaftes. Etwas, an das ich mich erinnern möchte. Etwas, was ich von anderen Menschen erfahren habe. Oder etwas, was ich aus dem Leben anderer Menschen gelernt habe.

Es ist ein seltsames Paradox, dass wir die deutlichsten und tröstlichsten Lektionen des Lebens erst dann lernen, wenn wir ganz unten sind. Andererseits denken wir auch erst dann besonders intensiv an Essen, wenn wir hungrig sind, und wir denken erst dann intensiv an Rettungsinseln, wenn wir über Bord gegangen sind.

Hier sind also einige meiner Rettungsinseln. Jene Gedanken, die mich über Wasser gehalten haben. Ich hoffe, dass einige davon auch dich ans rettende Ufer bringen.

Eine Anmerkung zur Struktur des Buches

Dieses Buch ist so chaotisch wie das Leben selbst.

Es besteht aus einer Menge kurzer Kapitel und einigen längeren. Es enthält Listen und Lebensweisheiten und Zitate und Erfahrungsberichte und noch mehr Listen und hier und da sogar ein Kochrezept.

Es beruht auf persönlicher Erfahrung, lässt sich aber auch immer wieder von allem Möglichen inspirieren – von Quantenphysik und Philosophie über Filme, die ich mag, bis hin zu alten Religionen und Instagram.

Wie du dieses Buch liest, liegt ganz bei dir. Du kannst vorn anfangen und es bis zum Ende durchlesen, oder du kannst hinten anfangen und am Anfang enden, oder du kannst es einfach irgendwo mittendrin aufschlagen.

Du kannst Knicke in die Seiten machen. Du kannst Seiten herausreißen. Du kannst es einer Freundin oder einem Freund leihen (vielleicht nicht gerade, wenn du Seiten herausgerissen hast). Du kannst es neben deinem Bett aufbewahren oder neben die Toilette legen. Du kannst es aus dem Fenster werfen. Alles ist erlaubt.

Zufällig hat sich allerdings doch eine Art Leitmotiv ergeben: das Verbundensein. In gewisser Weise sind wir alle Dinge. Und Dinge stehen miteinander in Verbindung. Der Mensch mit dem Menschen. Ein Moment mit dem nächsten. Schmerz mit Freude. Verzweiflung mit Hoffnung.

In schwierigen Zeiten brauchen wir eine besonders innige Art von Trost. Etwas Elementares. Einen verlässlichen Halt. Einen Felsen, an den wir uns klammern können.

Diese Art von Trost tragen wir bereits in uns. Aber manchmal brauchen wir ein bisschen Unterstützung, um das zu erkennen.

Teil 1

Baby

Stell dir dich als Baby vor. Du betrachtest dieses Baby und denkst dir, dass nichts fehlt. Dieses Baby ist vollkommen. Sein Wert ist ihm angeboren, vom ersten Atemzug an. Sein Wert hängt nicht von äußeren Umständen ab wie Reichtum oder Aussehen oder von politischen Einstellungen oder Beliebtheit. Es ist der unschätzbare Wert eines Menschenlebens. Und dieser Wert bleibt uns, selbst wenn wir es im Laufe des Lebens gern einmal vergessen. Wir bleiben genauso lebendig und genauso menschlich wie am Tag unserer Geburt. Wir müssen einfach nur leben. Und hoffen.

Du bist das Ziel

Du musst dich nicht ständig selbst optimieren, um dich lieben zu können. Liebe verdient man nicht erst dann, wenn man ein bestimmtes Ziel erreicht hat. In unserer Welt herrscht viel Druck, aber lass dir davon nicht das Mitgefühl mit dir selbst abdrücken. Du bist liebenswert auf die Welt gekommen, und du bleibst es wert, geliebt zu werden. Gehe liebevoll mit dir um.

Nichts ist stärker als eine kleine Hoffnung, die niemals aufgibt.

Was mein Dad zu mir sagte, als wir uns einmal im Wald verlaufen hatten

Vor langer Zeit haben mein Vater und ich uns einmal in Frankreich in einem Wald verlaufen. Ich war damals etwa zwölf oder dreizehn Jahre alt. Jedenfalls war es vor der Ära, als die meisten Menschen ein Handy besaßen. Wir machten dort Urlaub, die Art von einfachem, bürgerlichem Urlaub auf dem Land ohne Meer in der Nähe, die mir nicht so recht einleuchtete. Wir waren also im Tal der Loire und sind zum Joggen aufgebrochen. Nach einer guten halben Stunde dämmerte meinem Dad etwas: »Oh, sieht ganz danach aus, als hätten wir uns verlaufen.« Wir sind im Kreis gelaufen und haben versucht, den Pfad wiederzufinden, aber vergeblich. Mein Dad fragte zwei Männer – Wilderer – nach dem Weg, und die beiden schickten uns in die falsche Richtung. Mein Dad geriet sichtlich in Panik, obwohl er sich bemühte, es vor mir zu verheimlichen. Wir waren nun schon seit Stunden im Wald unterwegs, und uns beiden war klar, dass meine Mum sich bereits schreckliche Sorgen machte. In der Schule hatten wir gerade die biblische Geschichte von den Israeliten durchgenommen, die in der Wildnis umgekommen waren, und ich konnte mir leicht ausmalen, dass uns ein ebensolches Schicksal bevorstand. »Wenn wir einfach immer geradeaus gehen, werden wir hier wieder herauskommen«, sagte mein Dad.

Und er hatte recht. Schließlich hörten wir Autos und erreichten eine Hauptstraße. Wir waren fast achtzehn Kilometer von unserem Dorf entfernt, aber zumindest hatten wir nun Wegweiser. Wir waren nicht mehr umgeben von Bäumen. An diese Strategie muss ich oft denken, wenn ich nicht mehr weiterweiß – buchstäblich oder im übertragenen Sinn. Ich habe während eines Zusammenbruchs daran gedacht. Als ich immer wieder Panikattacken hatte, die nur von depressiven Phasen abgelöst wurden, als mein Herz vor Angst hämmerte, als ich kaum noch wusste, wer ich war, und nicht wusste, wie ich weiterleben sollte. Wenn wir einfach immer geradeaus gehen, werden wir hier wieder herauskommen. Einen Fuß vor den anderen zu setzen, ohne die Richtung zu ändern, wird dich weiter bringen, als im Kreis herumzurennen. Unbeirrt einfach weiterzugehen – darum geht es.

Es ist okay

Es ist okay, völlig fertig zu sein.

 

Es ist okay, von seinen Erlebnissen gezeichnet zu sein.

 

Es ist okay, ein einziges Chaos zu sein.

 

Es ist okay, die Teetasse mit dem Sprung zu sein. Genau die weiß nämlich eine Geschichte zu erzählen.

 

Es ist okay, sentimental zu sein und überspannt und bittersüße Tränen zu weinen bei Liedern und Filmen, die man eigentlich gar nicht mögen sollte.

 

Es ist okay, das gut zu finden, was du gut findest.

 

Es ist okay, etwas aus buchstäblich keinem anderen Grund zu mögen als dem, dass du es magst, und nicht etwa, weil es cool ist oder intelligent oder weil andere es mögen.

 

Es ist okay, dass Menschen auf dich zugehen. Du musst dich nicht so verausgaben, dass du niemandem mehr gerecht wirst. Du musst nicht immer die Person sein, die auf andere zugeht. Manchmal darfst du dir auch zugestehen, darauf zu warten, dass jemand auf dich zugeht. Die großartige Autorin Anne Lamott hat es einmal so formuliert: »Leuchttürme hasten nicht ständig über die ganze Insel, um Schiffe zu retten; sie stehen einfach da und leuchten.«

 

Es ist okay, nicht jeden Sekundenbruchteil bestmöglich zu nutzen.

 

Es ist okay, so zu sein, wie du bist.

 

Es ist okay.

Macht

Marc Aurel, römischer Kaiser und Stoiker, hat Folgendes erkannt: »Der Schmerz wird nicht von etwas Äußerem verursacht, sondern davon, wie du ihn bewertest; und es steht in deiner Macht, dein Urteil jederzeit zu widerrufen.«

Ich liebe dieses Zitat, weiß aber aus eigener Erfahrung, dass es bisweilen nahezu unmöglich ist, diese Macht in sich selbst zu entdecken. Wir können nicht einfach mit den Fingern schnipsen und, sagen wir mal, Kummer oder Stress bei der Arbeit oder Sorgen um unsere Gesundheit loswerden. Wenn wir uns im Wald verlaufen haben, wird unsere Angst vielleicht nicht vom Wald selbst ausgelöst oder davon, dass wir uns in besagtem Wald verlaufen haben. Doch weil wir uns tatsächlich im Wald verlaufen haben, fühlt es sich so an, an käme unsere Angst genau daher.

Es ist hilfreich, uns vor Augen zu führen, dass unsere Welt von unserer Sichtweise bestimmt wird. Die äußeren Umstände müssen sich gar nicht ändern, damit unsere Sichtweise sich ändern kann. Der Wald, in dem wir uns befinden, ist ein Wald im übertragenen Sinn. Manchmal gelingt es uns nicht, einen Ausweg zu finden, aber wenn wir unsere Sichtweise ändern, können wir auch unter den Bäumen leben.

An sich ist nichts weder gut noch schlimm

Bei einem Zusammentreffen mit seinen Kumpels von der Universität, Rosencrantz und Guildenstern, sagt Hamlet: »An sich ist nichts weder gut noch schlimm; das Denken macht es erst dazu.« Das meint er nicht im positiven Sinne.

Shakespeares Prinz ist übel gestimmt und depressiv. Und das mit Fug und Recht. Er spricht über Dänemark und darüber, dass die ganze Welt ein Gefängnis sei. Für ihn ist Dänemark tatsächlich ein Gefängnis, physisch und psychisch. Aber ihm ist auch bewusst, dass seine Sichtweise daran einen gewissen Anteil hat. Und dass weder die Welt noch Dänemark an und für sich schlimm sind. Sie sind schlimm aus seiner Sicht. Sie sind schlimm, weil er denkt, dass sie schlimm sind.

Äußere Umstände sind neutral. Sie werden erst in dem Moment als positiv oder negativ bewertet, in dem wir sie wahrnehmen. Letzten Endes liegt es an uns, wie wir auf diese Umstände reagieren.

Das ist natürlich nicht immer einfach, aber es hat etwas Tröstliches zu wissen, dass es möglich ist, jeden Umstand auf vielerlei Weise zu betrachten.

Es verleiht uns außerdem Macht, weil wir der Welt, die wir nicht im Geringsten kontrollieren können, nicht mehr auf Gedeih und Verderb ausgeliefert sind. Ausgeliefert sind wir bloß unserem Verstand, den wir möglicherweise verändern und weiterentwickeln können, wenn wir uns anstrengen und entschlossen genug sind. Unser Verstand mag Gefängnisse errichten, aber er hält auch die Schlüssel bereit.

Veränderung findet wirklich statt

Wir haben ständig Schlüsselerlebnisse. Oder vielmehr: Die Zeit beschert uns ständig Schlüsselerlebnisse. Weil Zeit Veränderung bedeutet.

Und Veränderung ist das Wesen des Lebens. Der Grund dafür, Hoffnung zu haben.

Neuronale Plastizität ist die Art und Weise, wie sich die Struktur unseres Gehirns durch unsere Erfahrungen verändert. Niemand ist dieselbe Person wie vor zehn Jahren. Wenn wir etwas Furchtbares erleiden, ist es hilfreich, sich vor Augen zu führen, dass nichts von Dauer ist. Sichtweisen wandeln sich. Wir werden zu unterschiedlichen Versionen unserer selbst. Die schwierigste Frage, die mir je gestellt wurde, ist diese hier: »Wie kann ich für andere Menschen lebendig bleiben, wenn ich niemanden habe?« Die Antwort ist: Bleibe lebendig für die anderen Versionen deiner selbst. Für die Menschen, die du treffen wirst, ja, ganz bestimmt, aber auch für die Menschen, die du sein wirst.

Zu sein heißt loszulassen

Sich selbst zu verzeihen macht die Welt zu einer besseren Welt. Du kannst kein guter Mensch werden, wenn du glaubst, dass du ein schlechter Mensch bist.