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© 2019 Dieter Gerhard
Herstellung und Verlag:
BoD – Books on Demand GmbH, Norderstedt
ISBN 978-3-7494-9254-1
Hallo, dies ist die Geschichte einer Tanne, dessen wissenschaftlicher Name Abies ist, Kosename Abi oder wie die Spanier sagen Árbol de la Esperanza, Baum der Hoffnung.
Sie ist eine immergrüne Pflanze, bei der man sagt, dass sie Lebenskraft verkörpert. Ein erdgebundenes Gehölz, das nicht allzu trockenen Boden liebt, am besten leichten Lehmboden und mit einer Pfahlwurzel und starken Seitenwurzeln ausgestattet ist, um auch bei stärkeren Winden nicht das Gleichgewicht zu verlieren.
Kaum geboren, befindet sie sich auch schon mit Artgenossen ihres Gleichen in der Schule, in einer Baumschule, wo sie ihre eigenen Bildungsreformen haben, wo sie erzogen und gepflegt werden, wo man sie auf ihre zukünftige Aufgabe vorbereitet und wo sie irgendwann dann auch ihren Abschluss machen können. Eine ganz bestimmte Sorte dieser Spezies erhält sogar einen Studienplatz in einem hochherrschaftlichen Garten oder in einem anderen grünen Fortsatz eines Hauses.
Zur allgemeinen Pflege benötigt es keine Pflanzenschutzmittel. Hier wurde zur Baumpflege eine umweltschonende Methode eingesetzt, nämlich Schafe, Shropshire-Schafe aus England. Sie fressen das Unkraut zwischen den Bäumen, aber knabbern - im Gegensatz zu andern Schafrassen - nicht die Bäume selber an. Eine für den Plantagenbesitzer praktische und für die Schafe gute Eigenschaft.
Der Grundstein des irdischen Lebens einer Tanne ist immer der Akt der Zeugung. Das war an einem Tag im April. Mit einer Apparatur, die sich Bodenfräse nennt, wurde ein Acker für die Neubepflanzung vorbereitet. Alte Baumstümpfe und -wurzel, die sich noch im Boden befanden, wurden dabei zermahlen, der Boden aufgelockert und somit das sogenannte Pflanzbett errichtet. Eine Art hochgerüstetes Kinderzimmer für Babybäume.
Der nun abspielende Vorgang und auch die nachfolgenden Abläufe, könnte man insgesamt als Empfängnis bezeichnen oder als modernes Zivilisationsgebaren, als ein fest in das Alltagsleben eingebundenes Ritual.
Die Konzeption erfolgte durch weise Menschen aus dem Land zwischen den Meeren, einer aufgehenden Sonne am Firmament und einigen Hirten einer Baumschule auf einem geheiligten Feld: auf einem Acker.
Hierbei spielt das Wetter eine wichtige Rolle. Der Boden darf nicht zu feucht und der Wind nicht zu stark sein. Jedes Detail zählt. Die pflanzlichen Embryonen waren vorher durch Austrocknung in eine Art vorläufige Wartestellung gehalten worden, in ein untätiges, verträumtes Dasein, in einem Dornröschenschlaf, der nun zu Erwachen gilt.
Zärtlich mit leicht schwebender Hand, wurden nun die Keimzellen für die schönste Hauptsache der Welt dem Boden zugefügt, wo sie miteinander verschmelzen und eine entwicklungsfähige Zelle bilden konnten.
Dann noch eine letzte sanfte Berührung des Saatbettes durch den Pflanzer, was seinen Puls und den Blutdruck noch mal in die Höhe schnellen ließ und somit den Akt der Einmündung besiedelte.
Hier lagen nun die Samen dicht bei dicht auf einem Acker, wie in einem Swinger Club, wurden von der Außenwelt abgeschottet, um sich ihr Tun hinzugeben. Was dort vor sich geht, blieb der Allgemeinheit bisher verborgen.
In den ersten Wochen entwickelten sich die Embryonen rasch. Für den Erdboden geht nun der Zustand der Entwicklung einer Pflanze mit großer Umstellung einher, was zwar nicht zu einer ausgeprägten Übelkeit und zu Erbrechen führte, aber mit Wasser, Wärme und Sauerstoffzufuhr verbunden war und so zur Weiterentwicklung des Embryos führte.
Schon bald stellt sich der Erdboden auf die Keimung ein und die Empfindlichkeit der Erdkruste nahm zu, meist einhergehend mit einem Spannungsgefühl. Die Oberfläche hatte sich verhärtet als die ersten Risse entstanden, die sogenannten Dehnungsstreifen, die aufgrund der Dehnung des Bodens auftraten.
Dann - nach Tagen der Ungeduld - endete die Schöpfung des Nachwuchses durch Hervorbringen eines süßen Geheimnisses. Der Stamm einer Pflanze hatte die Oberfläche durchbrochen und sich empor erhoben. Aus einem Keimling ist nun ein Sämling geworden, eine Jungpflanze, ein Babybaum.
Das Ergebnis war dann Monate nach der Aussaat zu sehen und auch die Form des Baumes erkennbar. Ein weicher Stamm mit einer länglichen eiförmigen Knospe an der Spitze und zierlich darunter befindlichen, weichen, harzfreien kleinen Nadeln ließen nun erkennen, dass hier eine Abies nordmanniana, eine Nordmanntanne heranwuchs, ein Weihnachtsbaum.
Die Samen für Nordmanntannen stammen aus dem Kaukasus, aus der Grenzregion zur russischen Föderation. Im Gegensatz zu der mitteleuropäischen Tanne, wo sich die Nordmann mit der Weißtanne bestäubt, dadurch zu einer Mischtanne wird, die nicht nur schneller nadelt, sondern auch nicht so dicht und gerade wächst, gibt es im Kaukasus keine Weißtannen, sodass die Nordmann reinrassig und damit der perfekte Baum zu Weihnachten ist.
Immer mit den Gedanken, dass das Damoklesschwert an nur einem einzigen Pferdehaar über ihnen hängen würde, stürzen sich kaukasische Zapfenpflücker in Lebensgefahr, denn die Zapfen mit den wertvollen Samen befinden sich in der Krone des Baumes, teilweise in über fünfzig Metern Höhe und die, die werden dann per Hand gepflückt.
Doch bevor es der perfekte Baum fürs Wohnzimmer wird, vergehen noch viele Jahre und bis dahin braucht es noch viele Tricks und vor allem einen hochwertigen humos ähnlichen leichten Sandboden.
Ein Jahr nach der Aussaat mussten sie umziehen, die Minitannen brauchten mehr Platz. Mithilfe einer Pflanzmaschine, wo jeder einzelne Baum in ein Schaufelrad geklemmt wird, der die Tannen dann selbstständig in die Erde pflanzt, bekamen sie einen neuen Standort, wo sie langsam heranwuchsen.
Nach annähernd drei weiteren Jahren, zogen sie dann ein letztes Mal um. Mit einer Größe von ungefähr fünfzehn Zentimetern waren sie nun zu einem kleinen Bäumchen herangewachsen und reif für den Weiterverkauf an den Christbaum-Produzenten, wo sie dann die letzten Jahre zu einem perfekten Baum heranwachsen können.
Mit einem Klemmbandroder wurde geerntet. Das ist eine Maschine, wo Klemmbänder über Federdruck gespannt werden - die so ähnlich aussehen wie Keilriemen - und so die Bäumchen vorsichtig, gleichmäßig und präzise, leicht rüttelnd aus der Wiege heben.
Das anschließende Vorsortieren der Pflanzen bestimmt dann darüber, welches kleines Bäumchen zum Weihnachtsbaumproduzenten gelangt und welche nicht. Es ist wie das Aschenputtel-Prinzip: die guten ins Töpfchen, die schlechten ins Kröpfchen. Oder wie die Eröffnung eines Tribunals, die Verlesung der Anklageschrift, die Eröffnung des Hauptverfahrens, der Ablauf des Hauptverfahrens sowie die Beendigung mit der Urteilsverkündung.
Da es sich um ein Naturprodukt handelt, ist nicht jeder Baum wie der andere, sodass eine gewisse Ausschussware unumgänglich ist. Ein Anspruch, der dem Kunden gegenüber erfüllt werden muss.
Aus Erfahrung wissen die Weihnachtsbaumproduzenten, dass es auf einen optimalen Pflanzzeitpunkt ankommt, wo das Bäumchen wieder in die Erde kommt. In schnurgeraden Reihen werden sie in Abständen von einem Meter gepflanzt, Platz genug, um sich nach allen Seiten ausbreiten zu können.
Eine gute Witterung mit trockener Bepflanzungszeit und mit in Kürze darauffolgenden Regen wäre ökonomisch, denn dann kann das Wachstum beginnen, das heißt die Wurzeln werden mit Feuchtigkeit versorgt und hätten damit einen guten Start.
In zirka acht Jahre werden die Bäume eine Größe von etwa ein Meter siebzig bis zwei Meter haben und dann ideal für den Platz vor dem Kamin sein.
Doch bis dahin bedarf es noch einiger Tricks. So muss ein Weihnachtsbaumproduzent schon bei einem kleinen Baum wissen, wie er in ein paar Jahren zur Ernte aussehen soll. Dafür unterliegt der Baum einer Schönheitsoperation, ein chirurgischer Eingriff ohne medizinische Indikation.
Ein Beauty-Ritual, das nicht nur Pflicht, sondern auch Vergnügen bedeutet. Mit einer Heckenschere kamen sie daher, die Schönheits-Chirurgen, um ihr gesamten Können zur Schau zu stellen, den Formschnitt. Ihnen ist nichts Menschliches fremd und gegen ihr mutiges Herz ist die Loyalität ein Muss. Durch den Formschnitt werden die Triebe des letzten Jahres entfernt.
Es ist der erste entscheidende Arbeitsschritt auf einer Weihnachts-Baumschule, damit der Baum seine ideale Traumfigur erhält, nämlich rund und pyramidal. Ein Blick von oben auf den Baum hernieder, lässt sofort erkennen, an welcher Seite mehr entfernt werden muss und an welcher Seite weniger.
Da Nadelbäume die Eigenschaft haben, ab dem fünften und sechsten Standjahr der letzten Verpflanzung, übermäßig lange Mitteltriebe zu bilden, was zu einem nackten Aussehen des Baumes führen kann oder gar zu einem Giraffen-Baum, werden die Triebe mit einer Topstopp-Zange gezwickt. Damit wird das Höhenwachstum des Leittriebes zunächst gebremst, damit der Baum buschiger, dichter, voller und so ein ausgewogener Abstand zwischen den Astgrenzen erreicht wird. Eine wichtige Maßnahme für einen perfekten Baum.
Natürlich kann auch mal ein Schnitt daneben gehen, wobei dem oft ein erstauntes "Hoppla" vorausgeht und der Baum dann entsprechend noch weiter verjüngt wird.
Im November beginnt die Hochsaison, der Schulabschluss naht, das heißt, in Kürze werden viele Bäume in einem Alter zwischen zehn und vierzehn Jahren, die allgemeinbildende Baumschule verlassen.
Dazu wurden sie mit farbigen Etiketten versehen, die einmal die Größe und Qualität bezeichnen und außerdem den Mitarbeitern der Baumschule zeigen, wer reif für die Ernte ist.
Es herrscht die Ruhe vor dem Sturm. Für den nächsten Morgen ist der erste Tag für die Ernte vorgesehen.
Bereits zu früher Stunde rückten sie an, die Männer in Schutzkleidung mit den Motorsägen. Für sie gilt es, eine fünfstellige Anzahl an Bäumen zu fällen, sie einzunetzen und an einem Platz am Feldweg zwischenzulagern, wo sie später vom Traktor abgeholt werden.
Die Motorsäge röhrt, Holzspäne schoss in die Luft und dann … dann kippte auch Abi mit den anderen Nordmanntannen um.
Ein ganz besonderes Produkt ist der Weihnachtsbaum im Topf. Sie werden zusammen mit dem Wurzelballen aus der Erde gehoben und in einen Topf gesetzt. Eine alternative, wenn man ohnehin noch etwas Platz im Garten hat.
Allerdings ist das Anpflanzen nicht immer mit Erfolg gekrönt, da zum einen beim Ausstechen des Baumes die wichtige Pfahlwurzel angegriffen wird und zum anderen der Baum die Weihnachtszeit in der warmen Stube nicht so gut verkraftet.
Abgeholzt und eingenetzt lag nun auch Abi mit seinesgleichen am Wegesrand und wartete auf den Transport zu dem Händler, der letztendlich den Baum an den Endverbraucher bringt und damit Familien glücklich machen wird.
Und dann kamen sie auch schon, mit zwei Traktoren. Einer zog zwei Anhänger hinter sich her, der andere war mit einem Auslegearm und einer Greifzange am Heck bestückt. Mit ihr werden die Tannen aufgenommen und für den Weitertransport auf die Anhänger verfrachtet. Allerdings darf die Greifzange beim Fassen nicht ganz geschlossen werden, da man sonst die Zweige beschädigen könnte.
Auf dem Hof des Weihnachtsbaumproduzenten wartete bereits der Großhändler, der wiederum seine Abnehmer beliefern muss.
Zusammen mit anderen Bäumen landete nun Abi auf einen Marktplatz, umringt von Butiken, Cafés und Supermärkten. Hinter einer Absperrung, die an vier Seiten geschlossen war und auf Sockelfüßen standen, wurden sie zur platzsparenden Lagerung im Netz belassen und aufgestapelt.
Hier beginnt nun die Geschichte.
Die erste Nacht verbrachte Abi inmitten diverser anderer Weihnachtsbäume. Gestapelt übereinander lagen sie da und fristeten erst mal ihr Dasein. Ab und zu wurden einige vom Stapel genommen, das Netz entfernt, am Boden aufgestampft, um die Zweige auseinanderfallen zu lassen. Dabei drehte der Verkäufer die Bäume im Kreis und achtet auf kahle Stellen, auf vertrocknete Äste am Ende des Stamms, die er dann noch wegschnitt. Zu guter Letzt, wurde an den Stammenden einiger Bäume jeweils ein Holzkreuz aufgenagelt, um sie dann aufzustellen.
Sie dienten als Anschauungsobjekte und sollten helfen, den passenden Weihnachtsbaum für den Kunden zu finden. Jeder hat da so seine eigene Vorstellung, der eine möchte lieber einen kleinen, zarten Baum, der andere bevorzugt eine große, kräftige Tanne.
Doch damit der Christbaum auch perfekt aussieht, lassen sich viele was einfallen. So gibt es Leute, die Löcher in den Stamm bohren, um die Lücken des Baumes mit einem Zweig zu füllen. Meist sind es diejenige welche, die auf dem letzten Drücker ihren Baum kaufen, weil sie der Meinung sind, ein Schnäppchen zu machen. Doch da die Auswahl bis dato stark gemindert ist, sind die restlichen Bäume nicht mehr die Makellosesten. Das mindert zwar den Preis, erfordert aber wiederum dann den Kauf von teurem Schnittgut, um den Baum damit aufzufüllen.
Zurzeit ist es noch friedlich, der große Stress fängt erst nächste Woche an, dann wenn der dritte Advent naht.
Das Wetter ist nicht gerade freundlich, es weht ein kühler Wind. Besonders nachts sind gegenwärtig Temperaturen von unter null zu erwarten. Plötzlich waren Geräusche zu hören. Etwas schlich behutsam über die noch in Netzen gelagerten Tannen und versuchte sich zwischen den einzelnen Bäumen hindurch zu zwängen.
Ein total behaartes Wesen kam gekrochen, mit großen Augen, spitzen Ohren und einer kaum vernehmbaren Nase. Es drehte sich dreimal um sich selbst, legte sich dann nieder und schloss die Augen. Dem Anschein nach handelte es sich um ein junges Tier, denn es war klein und zierlich.
Am nächsten Morgen lag das Wesen immer noch eingerollt da. Sein kleiner Bauch hob sich auf und ab. Ab zu und zu zuckte es mit der Pfote, so, als wenn es unmittelbar jemanden gegenübersteht und mit einer peitschenartigen Bewegung dem eine Ohrfeige verpasste.
Plötzlich wurde es wach. Es schlug die Augen auf und streckte die Nase in die Luft. Jetzt erst erkannte man, um was für ein Wesen es sich handelte. Es war eine Katze, eine zimtfarbene Katze mit einer M-förmigen Zeichnung auf der Stirn und einem etwas traurigen Gesichtsausdruck.
»Hallo, wer bist du denn?«, fragte Abi, der noch eingenetzt im Stapel mit seinesgleichen lag.
»Ich bin eine Katze, das sieht man doch wohl, oder?«
»Äh … du bist eine richtige Katze?«
»Ja was meinst du denn, vielleicht ein Pferd, dass Bäume hochreiten kann?«
»Wie heißt du denn?«
»Tommy, warum?«
»Nur so. Ich bin eine Nordmanntanne. Man bezeichnet mich auch, als ein Baum der Geschenke bringt. Schon bald werde ich mit bunten Kugeln, Kerzen, Lametta, Strohsternen und vielleicht sogar mit kleinen Süßigkeiten geschmückt in einem warmen Wohnzimmer stehen und eine ganze Familie mit meinem Aussehen erfreuen.«
»Das ist schön für dich«, bemerkte Tommy
»Und was wirst du machen?«
»Ich weiß noch nicht. Bisher habe ich mit meinen Geschwistern bei meiner Mama gelebt. Schön war es da gewesen, aber plötzlich waren meine Geschwister weg und Mama hatte sich nicht mehr um mich gekümmert. Kurz darauf verstarb sie dann auch noch und ich musste lernen, Nahrung zu finden. Plötzlich auf eigenen Füßen zu stehen, das war schon eine harte Zeit.«
»Du musst nicht traurig sein. Du kannst bei mir bleiben.«
»Bei dir? Du wirst bald in einer warmen Wohnung sein und ich? Ich lebe weiterhin auf der Straße. Weißt du, was es heißt auf der Straße zu leben, von Hunden gejagt und von Menschen mit dem Fuß gestoßen zu werden und immer wieder die Worte "Hau ab" zu hören?«
»Nein, das weiß ich nicht. Aber hier wird dich keiner mit Füßen stoßen und solange ich hier bin, wirst du einen warmen Schlafplatz haben.«
Etwas mutlos setzte Tommy sich auf das Ende eines Baumstammes, auf einen, der über die Anderen besonders weit herausragte und schnaufte tief durch. Es war noch dunkel. Die ersten Füße mit dicken Winterstiefeln liefen am Bauzaun vorbei. Leicht fing es an zu schneien und langsam legten sich die weißen Flocken auf seinem Fell nieder. Er schüttelte sich und das kalte Nass viel zu Boden.
»Danke«, sprach Tommy nach geraumer Zeit, »aber ich habe jetzt erst einmal Hunger.«
»Wo kriegst du denn was zu essen her?«
»Ach weißt du, im Moment sind überall Märkte, wo Menschen essen und Reste in den Abfalleimer werfen. Es ist nicht schön so zu leben, aber was soll ich machen? Das Leben ist schwierig und hart. Wenn man dir Zitronen gibt, dann versuch Limonade daraus zu machen.«
»Kommst du wieder?«
»Mal sehen.«
»Tschüss Tommy.«
»Mhm.«
Die Katze verschwand. Still war es geworden und auch schon bald wurde es Hell. Der Verkäufer kam, öffnete das Vorhängeschloss einer Kette, die zwei Bauzäune zusammen hielt und sprach:
»Guten Morgen meine lieben Weihnachtsbäume. Schön wieder bei euch zu sein.«
Er hatte ein Strahlen in den Augen, als ob er guter Dinge war. Dabei lächelte er und hatte einen zuversichtlichen freudigen Gesichtsausdruck. Dann schaute er sich um, reckte sich mit beiden Armen ausgiebig nach allen Seiten und beschnüffelte die Luft.
»Man ihr riecht immer so gut«, sprach er dann weiter, »so nach Fichte, Tanne und Kiefer; nach aromatischen würzigem Harz, angenehmen duftenden Waldaroma und Citrus-Früchten; nach Glühwein, Lebkuchen und Kerzen. Ich könnte mich so den ganzen Tag in euch hineinlegen.«
Dabei zog er unter einem Stapel von Tannen den Verpackungstrichter hervor, ein Gerät, wo Tannenbäume eingenetzt werden, um sie für den Transport besser zu handle.
Es wurde Vormittag. Die ersten Kunden des Tages kamen, streiften zwischen den Tannen und Fichten umher, trafen eine Vorauswahl, wägten dann wieder ab, diskutierten und verschwanden dann wieder, manchmal mit Baum und manchmal auch ohne.
Eine ältere Dame schaute sich um. Sie suchte einen kleineren Baum, den man auf einen Tisch stellen konnte. Es dauerte lange, bis sie einen einigermaßen geeigneten Baum fand.
»Sehr schön, der könnte mir gefallen«, sprach sie. »Doch an der einen Seite könnte er etwas voller sein.«
»Kein Problem«, entgegnete der Verkäufer, sortierte einige aus und holte dann eine fast zwei Meter hohe Tanne hervor. Er schlug sie mehrmals auf den Boden auf, drehte sie im Kreise und sprach dann weiter:
»Und wie ist es damit?«
»Junger Mann, ich hatte doch gesagt einen Kleinen für den Tisch. Der ist doch viel zu groß für mich.«
»Das weiß ich gnädige Frau. Aber gefällt er ihnen bis …, na sagen wir mal bis hierher?«
Dabei stieß er mit der Handkante mittig gegen den Stamm des Baumes und ließ ihn dabei im Kreise drehen.
»Der ist schon schön gewaschen, ja der könnt mir gefallen.«
»Gut dann schneide ich ihn hier ab.«
»Ja aber …«
»Keine Angst«, unterbrach er sie. »Sie kaufen nicht den kompletten Baum, sondern nur die Hälfte. Demzufolge zahlen sie auch nur den halben Preis, nicht mehr als wie sonst ein kleiner Baum kosten würde.«
»Aber die andere Hälfte können sie doch nicht mehr als Weihnachtsbaum verkaufen, dann machen sie doch Verlust.«
»Nicht wirklich. Die Zweige der unteren Hälfte kann ich als Schnittgrün verkaufen und damit habe ich dann wieder meinen vollen Preis, na ja so halbwegs zumindest.«
»Ach was sind sie nur bescheiden«, entgegnete die Dame.