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Impressum
Veröffentlicht im Selbstverlag 2019
Alle Rechte bei der Autorin
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Foto der Autorin: Kerstin Stecher
Herstellung: BOD – Books On Demand GmbH, Norderstedt
ISBN: 978-3-7494-9318-0
Für Andreas
„Ein Mensch, der leidet, bevor es nötig ist, leidet mehr als nötig".
Seneca (4 v. Chr. - 65 n. Chr.), römischer Philosoph u. Dichter
Unter dem Motto '#MeToo' kam es, ausgehend von den USA und inzwischen weltweit zu gewisser Berühmtheit gelangt, in jüngerer Zeit zu einer Protestbewegung des weiblichen Geschlechts. Initiiert hatten sie Betroffene, die sich öffentlich dazu bekannten, Opfer sexueller Übergriffe von Männern geworden zu sein.
Ein unappetitliches Thema, denn wer befasst sich schon gern mit den Po- und Busen-Grapschereien, gar den erschlichenen wenn nicht erpressten oder erzwungenen Beischlafszenarien einiger sexbesessener, teils alternder, vor allem aber einflussreicher und somit mächtiger Männer, die in Medien, Kultur, Wissenschaft und Politik, überall dort, wo männliche Dominanz all zu oft noch das Geschehen bestimmt, einschlägig auffällig werden? Hätten die Frauen, denen ein solches Übel widerfuhr, da nicht besser geschwiegen?
Im Gegenteil, der Schritt der Betroffenen an die Öffentlichkeit war ein notwendiger. Nur dadurch war etwas zu verändern! Zollen wir ihnen also Respekt, nicht zuletzt auch, weil 'immer die Gefahr besteht, dass etwas von dem Dreck, in den man dabei reingezogen wird, an einem hängen bleibt', wie es eine meiner Gesprächspartnerinnen, mit denen wir in der Folge noch Bekanntschaft machen werden, ausdrückte. Jahre, bevor sich #MeToo formierte, hatte ich nämlich bereits begonnen, Episoden aus dem Leben mir bekannter oder zufällig begegneter Frauen, die sie mir freimütig erzählten, aufzuzeichnen und zu sammeln.
All diese Frauen hatten, auf die eine oder andere Art, unter übergriffigen Männern – teils Partnern, teils Fremden – gelitten. Und nicht nur Kerle vom Kaliber eines Harvey Weinstein, dessen sexuelle Appetenz die #MeToo-Frauen an den Pranger stellten, waren in den Berichten vertreten. Mehrfach war auch vom eher unauffälligen Mann die Rede, dem Drama im Verborgenen, das auf sein Konto ging.
Denn Übergriffigkeit ist ein weit zu fassender Begriff! Dass sie selbst in eher 'alltäglicher', nichtsexueller Version das Risiko langwieriger seelischer Traumata wie auch der Zerrüttung, des Scheiterns von Beziehungen bergen kann, Frauen, die es nicht schaffen, sich rechtzeitig zu lösen, um ihre besten Jahre betrügt, andere gebrochen und womöglich in finanzieller Not zurück lässt, macht bereits die nachfolgende, begrenzte Auswahl an Leidensgeschichten deutlich.
Ihre Wiedergabe, die mir bei geänderten Namen von Personen, teils auch Orten des Geschehens, freundlicherweise von denen, die sie erlebten, gestattet war, zeigt, dass der Machtmissbrauch gewisser Männer gegenüber Frauen – und um Machtausübung geht es beim Übergriff in der Regel – offensichtlich nicht auszurotten ist.
Keine Frage, es gibt Männer (wie auch Frauen), die das andere Geschlecht zutiefst hassen, eine gravierende psychische Störung, die fachärztlicher Hilfe bedarf und womit die im vorliegenden Kontext erörterten Entgleisungen männlichen Verhaltens im Umgang mit Frauen nichts zu tun haben. Allerdings, auch diese legen nach Erkenntnissen der Psychoanalyse gewisse neurotische Tendenzen bei manchem Übergriffigen nahe. Fälle körperlicher Übergriffe, nur schwer erträgliche Tragödien, wovon lt. Medien derzeit angeblich jede vierte Frau in Deutschland betroffen ist, habe ich bewusst von meiner Liste gestrichen.
Wichtig ist mir, auch dies noch anzumerken: Keiner der von mir befragten Frauen ging es darum, den Mann als solchen herabzuziehen, ihn und seine Werte zu zerstören, wie es die Autorin Simone de Beauvoir in ihrem derzeit wieder viel zitierten Emanzipationswälzer 'Das andere Geschlecht' Frauen ihrer Generation nachsagte. Auch von nicht erfülltem Sex im 'heterosexuellen Geschlechtsverkehr' oder einem 'Frustrationspotential', wie es die Journalistin Svenja Flaßpöhler dem weiblichen Geschlecht und insbesondere wohl den Frauen der #MeToo-Bewegung, in denen sie offensichtlich mehr Täterinnen als Opfer sieht, in einer SPIEGEL-Ausgabe vom 30. Juni 2018 unterstellte, konnte bei keiner meiner Gesprächspartnerinnen die Rede sein.
Die #MeToo-Bewegung betreffend, wird es das Verdienst ihrer Initiatorinnen bleiben, dass Übergriffe von Männern auf Frauen im Sinne sexueller Belästigungen künftig nicht mehr nur 'Kavaliersdelikte' sind, sondern Straftaten. Dennoch, weiblicher Fanatismus könnte die Initiative viel Glaubwürdigkeit kosten. So sorgte #Me-Too kürzlich etwa dafür, dass man die 'Träumende Therese', Darstellung eines der Kind-Modelle des Malers Balthus, aus dem Metropolitan Museum of Art in NewYork, wo sie viele Jahre unbeanstandet hing, entfernte. Kunst-Zensur durch #MeToo in den Staaten? Wie viel entspannter sind dagegen doch die Frauen Europas, die kein Problem damit zu haben schienen, 'Therese' im Rahmen einer Balthus-Ausstellung in Basel, wo man sie jüngst zeigte, zu bewundern!
Sehen wir uns also an, was uns einige Opfer übergriffiger Männer nachfolgend berichten. Einer jeden dieser Episoden, ihrer Evidenz, ist mein persönlicher Kommentar beigefügt. Er kann jedoch keineswegs den Experten-Rat ersetzen, beziehungsweise, sollte nicht als solcher missverstanden werden.
Irene McGill
Ehrlich, als mir Elke dieses unheimliche Erlebnis berichtete, lief es mir eiskalt über den Rücken!
Elke wohnt nicht weit von mir. Trotzdem kannte ich sie bis dahin nur flüchtig. Sie ist groß, eine schlanke Brünette, attraktiv, betucht. Den schicken Lamborghini ihres verstorbenen Mannes, der in ihrer Garage steht, fuhr sie nicht mehr, seit sie einen Unfall damit hatte, nutzte seither die Dienste eines Taxiunternehmens. Das häufige Hin und Her dieser Wagen in unserer Straße, wenn sie zu ihren Besorgungen fuhr, war für uns Anwohner bald ein gewohntes Bild Eines Tages aber blieben die Taxis aus und ich machte mir so meine Gedanken, was wohl der Grund dafür sei. War die Frau vielleicht weggezogen, auf Weltreise gegangen? Doch dann traf ich sie zufällig an einer Bushaltestelle, und wir kamen ins Gespräch.
Neugierig, wie ich nun mal bin, sprach ich sie da auch gleich auf die Sache mit den Taxis an. Sie zuckte regelrecht zusammen, meinte, sie wolle nicht unhöflich sein, aber darüber spreche sie nicht. Natürlich stachelte das meine Neugierde noch mehr an – ich wollte hinter ihr 'Geheimnis' kommen! Da sie mir sympathisch war, lud ich sie kurzerhand zu einem Kaffee auf meine bescheidene Terrasse ein, und tatsächlich, sie kam! Mit der Zeit wurden unsere kleinen Kaffeeklatsche, mal bei mir, mal bei ihr, zum wöchentlichen Ritual. Und natürlich war die Vertrautheit auch bald so weit gediehen, dass Elke ihre Hemmungen überwand, mir, was sie quälte, verriet. Und folgendermaßen hat sie es mir, nahezu wörtlich, berichtet.
„Es war schon immer mein Albtraum gewesen: Ich hätte im Dunklen, irgendwo draußen, telefoniert, und der Taximann hätte mich sitzen lassen!
Nun war es passiert!
Ich war mit dem IC in die mir fremde Stadt gekommen, weil es dort diesen Spezialisten für Senkfüße gibt, hatte meinen Arzttermin absolviert und bis Geschäftsschluss eingekauft. Und dann, es war einer dieser herrlichen Herbsttage, hatte ich nicht widerstehen können, vor meiner Heimfahrt noch zu dieser Burg hinauf zu steigen, die da am Rand der Stadt so verlockend auf einem Hügel steht.
Du weißt, ich bin keine üble Fußgängerin. Im passenden Schuhwerk und mit den richtigen Einlagen ist mir kein Weg zu weit. Diesmal aber trug ich, pure Eitelkeit, ein Paar nagelneuer Pumps, auf deren halsbrecherischen Absätzen ich es nur im Zehenstand über das mittelalterliche Pflaster geschafft hatte. Jetzt waren meine Füße so geschwollen, dass sie mir fast die Schuhe sprengten–jedes Knöchelchen bohrte sich mir ins Fleisch!
In meiner Not hatte ich für den Rückweg ein Taxi rufen wollen, dann aber festgestellt, dass der Akku meines Smartphons leer war. Wie hab ich aufgeatmet, als ich da im Burghof einen dieser alten Münzfernsprecher entdeckte, mein Kleingeld gerade noch für den Anruf reichte! Doch dann ließ man mich warten.
Anfangs blieb ich noch gelassen, obwohl es schon dämmerte. Manchmal verfranst sich ja so ein Kerl, da heißt es, geduldig sein. Bald aber, nach Einbruch der Dunkelheit, ließ ich meinem Ärger freien Lauf. Wenn er nur endlich käme, der Idiot! Wieder kramte ich in meiner Handtasche, in der Hoffnung, vielleicht doch noch ein paar Münzen darin zu finden, um wegen des Taxis nachzufragen. Aber nicht ein einziger Cent war mir geblieben! Nicht auszudenken, wenn ich jetzt ins Tal hinuntersteigen, mich den ganzen Weg zur Stadt hinüberquälen, müsste – auf diesen Stöckeln, in solcher Finsternis, mit dem schweren Gepäck!
Ich stellte meine Einkaufstüten ab. Schon der Gedanke, sie wieder aufzunehmen, bereitete mir Pein. Und durch welchen der Eingänge war ich wohl auf den verdammten Burghof gekommen? Ob ich den richtigen Weg nach unten überhaupt wiederfinden würde, bei all den Treppchen, den Abzweigungen, die ich heraufgestiegen war?!
Ich trat zur Burgmauer, sah über die Brüstung auf die dunkle Ebene hinab, in der, weit fort, jetzt die Lichter funkelten. Wie konnte ich nur eine solche Torheit begehen! Einige Münzen zum Telefonieren müsse man immer bei sich tragen, hatte mich meine Mutter schon ermahnt, damals, als man Kindern noch keine Smartphons gab... Schließlich gab ich die Hoffnung auf. Eine Stunde über die Zeit – da kam kein Taxi mehr! Doch dann... hob sich dort nicht ein Schatten gegen den dunklen Himmel ab, bewegte sich auf mich zu...?! Tatsächlich, da kam jemand! Ich musste diese Person ansprechen! Vielleicht hatte die Mitleid, gab mir die paar Münzen fürs Telefon, oder nahm mich ein Stück im Auto mit?
Der Schatten kam näher, lautlos, auf weichen Sohlen. Jetzt hatte er mich fast erreicht. Es war ein Mann, nicht groß. War er behindert, ein Krüppel, hatte gar einen Buckel? Oder waren es doch nur seine Schultern, die er unnatürlich nach oben zog? Sein Kopf steckte tief dazwischen, als sei er ohne Hals... Sein Gesicht konnte ich nicht erkennen, aber es kam mir vor, als sei es nicht das sympathischste.
„Entschuldigen Sie", sagte ich in die Dunkelheit hinein, „ich habe mit meinen letzten Münzen telefoniert, aber der Idiot von Taximann hat mich sitzen lassen! Ob Sie mir ausnahmsweise einmal mit etwas Kleingeld helfen könnten?" Die Bitte fiel mir nicht leicht.
Der Schatten schwieg. Ein Stummer? Nein, jetzt sprach er. Sonderbare Stimme, dünn und brüchig. „Kann ich nicht!", tönte es zu mir herüber. „Hab kein Kleingeld dabei!" Täuschte ich mich, oder war der Mann ungehalten, so unwirsch, wie er klang?
„Sind Sie mit Ihrem Wagen hier oben?", fragte ich hoffnungsvoll.
„Nein, nicht mit meinem Wagen! Besitze keinen!", antwortete der Schatten.
„Ist diese Burg bewohnt?", versuchte ich es erneut. „Ich meine, vielleicht könnte mir hier sonst jemand weiterhelfen?"
„Ich wohne hier!" Er stand jetzt dicht neben mir, so dicht, dass ich ihn roch.
Ach, sagte ich mir, er also bewohnt das alte Gemäuer! Eine Art Burgwart? Aber gefällig ist er nicht! „Tja, dann muss ich wohl!", murmelte ich, griff nach meinen Tüten. Jetzt mit dieser Last, auf meinen Stöckeln, den wunden Füßen, die steilen Treppen hinab zu müssen, im Finstern, über das bucklige Pflaster...
„Ich könnte Ihnen die Tüten abnehmen, Sie hinunter führen!", sagte der Schatten. Wieder klang es nicht sonderlich freundlich.
Ich zögerte. Der Mann war doch unheimlich! Irgendwie nicht normal! Sollte ich wirklich...? In meinen Füßen stach es mich jetzt wie mit Messern. „Oh", hab ich da geflötet, „das ist aber ausgesprochen nett!" Eine Hand berührte meine, kalt und knochig, schob sich in die Tragegriffe der Tüten.
„Hier lang! Über den Hof!" Nun griff er sogar meinen Arm! Ich sah überhaupt nichts mehr, tastete mich auf Zehenspitzen voran, bemüht, mit meinen Absätzen nicht in den Spalten zwischen den Steinen stecken zu bleiben. Er ging schneller als ich, nachtwandlerisch fast, bog mal nach hier, mal nach dort ab, schwenkte dabei, wie ich schemenhaft sah oder auch nur ahnte, meine Tüten.
„Wie viele Höfe dies alte Gemäuer hat, wie verwinkelt es ist!", bemerkte ich beklommen.
„Ich könnte Ihnen einen Kaffee machen, bevor wir runtersteigen!", erklärte, ohne darauf einzugehen, der Schatten.
Einen Kaffee? Von diesem Menschen? In welche Räuberhöhle würde der mich schleppen...? „Nein danke!", rief ich in beginnender Panik. „Ich darf meinen Zug nicht verpassen!"
„Aber der Zug Richtung Süden geht erst in zwei Stunden, da bleibt genügend Zeit!", ertönte es höhnisch neben mir.
Woher weiß der, dass ich nach Süden will?, schoss es mir durch den Kopf. Kann der hellsehen? „Nein, wirklich nicht!", rief ich hektisch. „Mir ist jetzt nicht nach Kaffee!"
„Aber Sie kommen doch kaum noch voran, gute Frau!" Jetzt klang die Stimme nicht nur höhnisch, sie klang böse!
Schiere Angst hatte mich gepackt. „Wo ...wohnen Sie denn?", stammelte ich zitternd. Ich musste Zeit gewinnen, einen Ausweg finden, ihn irgendwie besänftigen...
„Gleich hier!" Wieder packte er meinen Arm, grob diesmal, zog mich unerbittlich, fast gewaltsam jetzt, hinter sich her. Ich hörte ihn einen Schlüssel im Schloss drehen, ein Knarren und Knirschen... Anscheinend wurde eine sehr alte Bohlentür aufgestoßen... Meine wunden Füße trugen mich fast nicht mehr... Es würde keine Rettung geben, keinen Zeugen...
„So machen Sie doch endlich Licht!", schrie ich, steif vor Angst.
„Hier gibt's kein Licht!", höhnte mein Peiniger mitleidlos.
Dann hörte ich es. „Alpha vier! Alpha vier! Wo stecken Sie denn?!", tönte es nicht weit von mir durch die Dunkelheit.
„Mein Taxi!", rief ich, wie aus einem bösen Traum erwacht und so laut ich nur konnte, dass es der Mann in der Funkzentrale hören musste. Und dann, als mir der Groschen gefallen war, voller Zorn: „Und jetzt schalten Sie gefälligst Ihre Scheinwerfer ein und fahren mich, verdammt noch mal, nach unten!"
„Gewiss!", konterte der Unheimliche hämisch. Sein Gesicht, als ich es dann im Widerschein des Armaturenbretts erkennen konnte, war dem des Glöckners von NotreDame im gleichnamigen Film nicht unähnlich, allerdings ohne dessen dort besungene 'sinceritá'... Im Gegenteil, ein fieses Grinsen hatte das Scheusal um den Mund, als es hinzufügte: „Ich bin ja auch nur dieser Idiot von Taximann!"
Wie gesagt, auch für mich eine gruselige Geschichte! Obwohl sie schon über ein Jahr zurück lag, als Elke mir davon erzählte, war sie noch nicht darüber hinweg, litt ganz erheblich unter deren Folgen. Die Ärmste bestieg seither kein Taxi mehr - größere Einkäufe ließ sie sich ins Haus liefern - und klagte über anhaltende Schlafstörungen wegen sich wiederholender Albträume, in denen man sie durch finstere Gemäuer jage. Vor allem aber wollte sie jetzt immer vor Einbruch der Dunkelheit in ihrem Haus sein, wo sie dann auch gleich Fenster und Türen sicherte. Sie war überzeugt, der Taxifahrer hätte sie in dem Verließ, zu dem er sie gezerrt hätte, 'abgemurkst', wäre ihm nicht der Funkspruch dazwischen gekommen, und, panisch geradezu, dass er noch immer hinter ihr her sei!
Gerade Letzteres war schon etwas sonderbar. Der schauerliche Vorfall hatte sich ja doch in einer weit entfernten Stadt ereignet und für den Taxifahrer war sie eine völlig Unbekannte geblieben. Wie hätte der Mann sie, wenn er es denn gewollt hätte, da weiter verfolgen können? Ihr Verhalten entbehrte daher jeglicher Logik. Doch eben dies ist ja so typisch für unsere Angst - rein rational können wir sie, ohne Hilfe von außen, kaum steuern. Mit anderen Worten, Elke hatte eine massive Paranoia entwickelt, die sie einen erheblichen Teil an Lebensqualität kostete!
Mir selber stellte sich der zweifellos gruselige Vorfall, nachdem wir ihn mehrfach diskutiert hatten, aus einiger Distanz und nüchtern betrachtet, allerdings weniger 'kriminalistisch', wenn auch nicht weniger übel dar. Vermutlich war der Fahrer noch bei Tageslicht fernab der Stelle, wo sich Elke befand, zur Burg gekommen, hatte daher seine Scheinwerfer nicht eingeschaltet. Da sie nicht, wie wahrscheinlich zu erwarten gewesen wäre, am Burgeingang stand, hatte er sie auf dem weitläufigen verwinkelten Areal mühsam suchen müssen, worüber es dunkel geworden war.
Und genau in dem Augenblick, als er sie bei der Burgmauer fand, war ihr verhängnisvolles Wort vom 'Idioten' gefallen!
Stinksauer über die zeitraubende Suche, und dann auch noch von ihr beleidigt – das war wohl zu viel für diesen Mann. Um sie zu strafen, wurde er übergriffig, versetzte Elke in Todesangst! Dass es gewissen Männern Freude wenn nicht Lust bereitet, Frauen zu ängstigen, ist kein Geheimnis, man denke nur ans Stalken. Vor allen Dingen aber verschafft es Macht! Vom russischen Präsidenten Putin etwa erzählt man sich die Anekdote, er hätte zu einem schwierigen Gespräch mit der nicht in jedem Fall leicht um den Finger zu wickelnden deutschen Bundeskanzlerin, um deren Hundephobie er wusste, seinen Labrador mitgebracht...
Was Elke betrifft, so habe ich sie hauptsächlich mit dem Argument überzeugen können, dass im Fall eines Verbrechens an ihr doch sofort der Verdacht auf den Fahrer gefallen wäre, der ja den Auftrag hatte, sie zu holen. Ihr geht es, nebenbei, inzwischen gut – sie steigt sogar wieder in Taxis. Nur, in einer ihr fremden Stadt auf hohen Hacken auf eine Burg zu steigen, den Schwachsinn, sagt sie, begehe sie bestimmt kein zweites Mal!
Sie war etwa Mitte sechzig und hatte die beneidenswerte Pfirsich-Haut der korpulenten Frauen. Ich musste mich schmal machen auf meinem Platz neben ihr, auf einem Flug in die Staaten, während ich in einer Ausgabe des 'Playboy' blätterte Gerade hatte ich eine dieser Seiten aufgeschlagen, die einen immer ein wenig mit ihren all zu makellos gepixelten Frauenfotos deprimieren, da sprach mich meine Sitznachbarin an.
„Ob Sie es glauben oder nicht", meinte sie mit Blick auf meine Lektüre, „aber so rank und schlank war ich auch einmal!"
Wir wechselten noch einige belanglose Worte, bevor ich mich wieder in meinen Lesestoff vertiefte. Später, im Flughafengebäude von Anchorage, liefen wir einander erneut über den Weg. Da wir beide auf unsere Anschlussflüge warten mussten, ließen wir uns auf zwei Sitzen nebeneinander nieder, stellten uns vor. Frau B., wie ich sie hier nennen will, besorgte sich dann einen Cocktail. Und der löste ihr wohl die Zunge, fing sie doch plötzlich an, über ihre Ehe zu sprechen. Ihr verstorbener Mann, klagte sie, habe ihr das Leben zerstört! Eine Verzweifelte, in der Tat, die mir ihr ganzes Elend dann, wie folgt, erzählte.
„Kennen gelernt hab ich Ludwig, meinen späteren Mann, während des Studiums. Er hatte als Hauptfach Kunstgeschichte gewählt, ich selbst studierte Chemie. Beide wollten wir zunächst ins Lehrfach. Ludwig sah blendend aus, ein sogenannter 'womanizer'. Wo immer es Mädels gab – Ludwig war der Hahn im Korb! Viele der Kommilitoninnen waren in ihn verschossen. Auch mir hat er natürlich gefallen, doch nie hätte ich mir träumen lassen, dass er sich schließlich für mich entschied! Sicher, ich war schlank und konnte mich sehen lassen, doch die Hübscheste war ich nicht!
Meine Eltern waren gegen die Verbindung. Mein Freund sei ein loser Vogel, meinten sie. Wie recht sie doch hatten!