Impressum
© 2019 Die Gruppe 48 e.V. (Hrsg)
vertreten durch Dr. Hannelore Furch, 1. Vorsitzende
Cover & Layout:
© 2019 Jutta Schütz & Dr. Hannelore Furch
Redaktion: © 2019 Dr. Hannelore Furch
Korrektorat: © 2019 Dr. Uta Oberkampf
Foto (writer icon): © 2019 aeroking - fotolia.com.
Flügelobjekt: Rosemarie Bühler (Beschreibung siehe Seite →)
Buchsatz: © 2019 Jutta Schütz
www.jutta-schuetz-autorin.de
Jury:
Henry Kersting, Dr. Marina Linares, Ingo Mirus, Kurt Nickel,
Dr. Uta Oberkampf, Dr. des. Friederike Römhild
© 2019 Herstellung und Verlag:
BoD – Books on Demand GmbH, Norderstedt
ISBN 978 3749493241
Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über www.dnb.de abrufbar.
Als im Frühjahr 2017 das Telefon bei mir klingelte und Hannelore Furch, heute Vorsitzende der Gruppe 48 e.V., die Idee eines Literaturwettbewerbs nach dem Vorbild der legendären „Gruppe 47“ um Schriftsteller Hans Werner Richter vorstellte, konnte sie nicht ahnen, dass sie es mit einem eingefleischten Mathematiker zu tun hatte, der nicht für sich in Anspruch nimmt, etwas von Literatur zu verstehen. Mit Hartnäckigkeit, aber auch mit einer ansteckenden Euphorie und einem klugen Konzept überzeugten Furch und ihre Kollegen mich schließlich, mit meiner Stiftung zur Förderung des bürgerschaftliches Engagements das neue Format eines Literaturwettbewerbs mit Publikumsvotum und Preisvergabe zu unterstützen. Denn was die Vereinsmitglieder und Literaturbegeisterten ehrenamtlich auf die Beine stellen, ist nicht nur klassisches bürgerschaftliches Engagement, sondern trägt überdies auch dazu bei, mit einem Angebot Sprachtalente zu entdecken und zu fördern. 2019 werde ich den Literaturwettbewerb zum dritten Mal mit Preisgeldern für die sechs Finalisten unterstützen und ich muss sagen, auch als Mathematiker habe ich viel Freude an den hochkarätigen Vorträgen gehabt.
Erstmals legen die Veranstalter eine Anthologie auf mit den Texten der Preisträger und weiteren qualitätsvollen Beiträgen der Teilnehmerinnen und Teilnehmer, um damit auch den Mut und die Kreativität der Künstler zu belohnen, die es nicht ins Finale geschafft haben. Sie als Leser haben damit die wunderbare Möglichkeit, noch mehr gute deutschsprachige Literatur zu genießen. Ich begrüße diese Initiative sehr und wünsche Ihnen viel Spaß beim Lesen.
Ihr Jürgen Rembold
Dr. Jürgen Rembold Stiftung zur Förderung des bürgerschaftlichen Engagements
Die 2011 von Dr. Jürgen Rembold gegründete Stiftung fördert gemeinnützige Initiativen, die bürgerschaftliches Engagement und damit gemeinwohlorientiertes Handeln anstoßen und unterstützen aus den unterschiedlichsten Bereichen wie zum Beispiel Kunst und Kultur, Bildung und Erziehung, Jugend- und Altenhilfe, Wissenschaft und Forschung sowie Umwelt- und Naturschutz.
Weitere Informationen finden Sie auf Facebook und unter
www.remboldstiftung.de
Mit unseren jährlichen Literaturwettbewerben möchten wir die deutschsprachige Literatur fördern und talentierten Autoren eine Chance geben, sich mit ihren Texten im Literaturbetrieb zu etablieren. Gerade bei der Menge der literarischen Titel, die Jahr für Jahr produziert werden, bedarf es vieler Systeme zum Herausfiltern förderungs- und preiswürdiger Texte. Wir verstehen uns als eines dieser Filtersysteme und beschränken uns auf die Gattungen Prosa und Lyrik. Unseren Blick richten wir vorzugsweise auf Texte, die sich einmischen - literarisch hochwertig, auf eine unverkennbare, eigene Art ihres möglichst noch unbekannten Urhebers.
Zu unserem Wettbewerb 2019 reichten uns 521 Autoren ihre Textbeiträge ein. Wir danken allen Autoren, denn die Anthologie besteht aus ihren Texten. Unser Dank gilt auch den Jurymitgliedern für ihre große ehrenamtliche Leistung, die sie mit dem Sichten, Lesen, Beurteilen und Auswählen der Texte erbracht haben. Das Auswahlverfahren ist stets anonymisiert und schließt auch das Verfahren zur Ermittlung der Text-Beiträge für unsere jährliche finale Wettbewerbsveranstaltung ein. Sie findet in diesem Jahr am 08.09.2019 statt und wie in den Vorjahren in Rösrath, in der Bildungswerkstatt von Schloss Eulenbroich. Mit den Geldern unserer beiden Sponsoren, der Dr. Jürgen Rembold Stiftung für das bürgerschaftliche Engagement und Dr. Uta Oberkampf (alias Uta Harst), beide mit Sitz in Rösrath, können wir am Wettbewerbstag Preisgelder von insgesamt 8.000 Euro vergeben. Wir bedanken uns dafür bei unseren Sponsoren.
Die sechs Text-Beiträge der Finalrunde des Wettbewerbs 2019 sind in dieser Anthologie vertreten und wurden eingereicht von folgen-den Autoren(innen): Reimer Boy Eilers, Mechthild Bordt-Haakshorst und Tobias Pagel (Lyrik), Selim Özdogan; Alexandra Lüthen und Peter Coon (Prosa). Mit den Wettbewerbstexten weiterer Autoren bietet unsere Anthologie eine große Auswahl an Themen und ihrer literarischen Verarbeitung.
Hannelore Furch
Die Gruppe 48 e.V., 1. Vorsitzende
„Wir haben uns der Förderung guter deutscher Literatur verschrieben“, steht auf der Homepage des Literaturvereins „Die Gruppe 48“. Die Ausschreibungsbedingungen fordern Texte, die „literarisch anspruchsvoll sind“.
Was ist damit gemeint?
Die Kritik an der Inhalts- und Formlosigkeit der deutschen Gegenwartsliteratur wird von verschiedensten Seiten geäußert. Schuld daran habe der Literaturbetrieb selbst, der immer mehr einer Verkaufsbörse gleiche.
Bei der Gründung der Gruppe 48 waren sich die Mitglieder einig, dass Literatur mehr sein sollte, als ein leicht konsumierbarer Wegwerfartikel, in Schreibschulen passend gemacht für den Allerweltsgeschmack.
Die Frage bleibt: Was ist gute Literatur?
Objektive Kriterien dafür zu finden, ist schwer. Dieter Gelfert nennt in seinem Ratgeber als Kriterien unter anderen Welthaltigkeit und Authentizität. Das sind frag-würdige Begriffe. Die Welt in ihrer Komplexität und Vielschichtigkeit beschreibend sichtbar werden zu lassen, ist nur ausschnittweise möglich, wenn ihre Darstellung authentisch sein soll.
Dafür braucht es Schöpferkraft, die nicht in Schreibschulen erworben werden kann. Dafür braucht es Eigenständigkeit sowohl in der Behandlung des Sujets als auch der dafür verwendeten Sprachmit-tel; eine unverwechselbare Eigen-Art des Schreibens also, das im-mer wieder den „Grenzpunkt der Worte“ ( Schopenhauer ) in Erfahrung bringen will, um den „Horizont für den Tag“ ( Handke ) zu bestimmen. So kann ein Verdichten entstehen, das gleichzeitig die gewohnten Sichtweisen aufzubrechen vermag.
In der Antike gab es für diesen Vorgang das Bild des geflügelten Pferdes, das der Dichter besteigt, um von dieser erhöhten Position aus horizonterweiternd ins Offene blicken zu können. Aus dieser Haltung zu schreiben ist ein waghalsiges Unternehmen, in dem bei der Schilderung des Vorder-Gründigen immer ahnungsweise auch das Ab-Gründige mitschwingen kann, als eine
„Balance zwischen Wissen und Nichtwissen“ ( Elias Canetti )
Uta Oberkampf
Die Gruppe 48 e.V., Sponsorin und Vorsitzende der Jury
Flügelobjekt von Rosemarie Bühler
Abguss der griechischen Bronzestatue des Kyniskos
Akademisches Kunstmuseum Bonn
Foto: Jutta Schubert
Ich greife zur Feder
Und wende das Blatt.
Wird es mich tragen?
( aus „Ikaria“ )
Es ist das Blut. Es soll fließen. In meinem Körper.
Du schlägst mich. Mit der Faust auf meinen Arm. Oben. Wo Stoff ist.
Mein Blut bleibt unter der Haut. Aber es fließt nicht mehr. An der Schlagstelle sammelt es sich. Mein Blut hält an. Meine Oma hat immer gesagt: Innehalten. Sie meinte damit: Ruhig werden. Nachdenken. Nichts tun. Mein Blut hält inne.
Je nachdem wie du mich schlägst: Ist es mal mehr Blut. Mal weniger. Das sich sammelt unter der Haut. Meine Haut ist weich. Ganz weich und dünn. Sie tut ihr Bestes. Sie nimmt den Schlag an. Sie reißt nicht deswegen. Nicht am Arm. Der Arm ist dazu gedacht. Auszuhalten. Er ist stark und kann sich heben. Er ist weich und kann was nehmen.
Mit meinem Arm mache ich dir Kaffee. Mit meinem Arm hebe ich deine Sachen auf. Mit meinem Arm greife ich nach der Katze. Ich trage sie ins Bad. Du magst sie nicht. Ich sperre sie ein.
Es sind hier Katzenhaare. Sagst du. Katzenhaare überall. Überall sind Katzenhaare. Diese Scheiß-Katzenhaare. Du weißt es doch. Sagst du.
Ich weiß es schon. Ich habe gesaugt. Aber du hast Recht. Alle Haare erwischt man nicht. Sie können fliegen. Die Katzenhaare.
Katzen sind so. Sie sind frei und wild und können fliegen. Sie legen sich überall hin. In die Sonne auf das Fensterbrett. In den Korb mit der frischen Wäsche. Und wenn keiner hinguckt: fliegen sie.
Ich hab das schon gesehen. Ich kann so gucken, dass keiner merkt, dass ich gucke. Ich bin eine unsichtbare Seherin. Ich seh die Katze fliegen. Glaub mir.
Deine Scheiß-Katze interessiert mich nicht. Sagst du. Du spinnst doch. Sagst Du. Mit deiner fliegenden Katze. Du bist so dumm. Koch Kaffee. Aber einen richtigen. Nicht wieder so eine Plörre. Und mach Zucker rein. Zwei Löffel. Nicht umrühren. Du weißt doch wie ich meinen Kaffee will. Du weißt doch wie du es machen sollst. Das weißt du doch, oder? Sagst Du. Du fragst nicht. Weil: ich weiß es ja wirklich.
Ich hole das Zucker-Glas aus dem Schrank. Ich nehme den Löffel aus dem Fach. Da liegen die Löffel. Klein und glänzend. Sie liegen nebeneinander. Still in Reihe.
Ich nehme einen. Und noch einen. Ich weiß jetzt nicht. Zwei Löffel Zucker. Was heißt das? Zweimal löffeln mit einem Löffel? Oder willst du zwei Löffel?
Es ist eine schwere Frage. Ich stehe vor der Schublade. In jeder Hand einen Löffel. Das Zucker-Glas sagt nichts. Es bewegt sich nicht. Es bleibt still und zu. Ich weiß die Antwort nicht.
Was ist mit dem Kaffee? Fragst Du. Und lauter: Wo bleibt mein Kaffee, Du Kuh?
Zwei Löffel Zucker? Rufe ich zurück.
Wie blöd kann man sein? Brüllst du. Zwei! Löffel! Zucker! Soll ich es Dir schreiben?
Deine Stimme zuckt durch die Zimmer. Meine Haut kribbelt. Sie macht sich warm. Meine Haut weiß mehr als ich. Ich reibe mit der Hand über meinen Arm. Ich zieh den Ärmel bis zur Hand. Der Löffel fällt mir aus den Fingern. Es klirrt. Sehr laut. Sehr, sehr laut.
Was machst du da? Deine Stimme ganz nah. Du stehst in der Tür. Die Küche hat kein Fenster. Sie ist das Ende meiner Wohnung.
Du klickerst am Lichtschalter. An. Aus. An. Aus. An. Aus. Immer schneller. Meine Augen blinzeln. Die Haut an den Augen brennt. Weiter oben tut es weh. Nicht weinen. Nicht weinen. In meinem Hals ist es eng. Dabei stehst du immer noch in der Tür. Hinter mir ist das Brett. Es drückt in meinen Rücken.
Was ist mit meinem Kaffee? Klick-Klack. An-aus-an.
Der Zucker ist alle. Sage ich. Es tut mir leid.
Das Klicken hört auf. Als du gerade bei Hell bist. Kein Zucker? Bist du sicher?
Ich nicke. Es kann kein Wort nach draußen. Der Hals ist zu eng dafür.
Warum bekomme ich keinen Zucker? Hat die Katze ihn gefressen oder was? Schreist Du.
Ich schüttele den Kopf. Ich halte mich an dem Brett fest. Hinter mir. Ich drücke mich nach hinten. Ich spüre hinter mir das Glas mit Zucker. Ich kann jetzt hier nicht weg. Du darfst das Glas nicht sehen.
Die Katze darf keinen Zucker. Sage ich jetzt doch.
Mit einer Hand greife ich zu der Kaffee-Maschine. Die Tasse lässt sich gut nehmen. Die Tasse tanzt. In meiner Hand. Ich halte sie dir hin. Meine Finger wollen zu mir zurück. Aber sie müssen in der Mitte zwischen uns bleiben. Kaffee kann nicht fliegen. Wie Katzen. Kaffee muss gehalten werden. Er steht nicht in der Luft.
Du guckst auf die Tasse. Im hellen Licht.
Halt die Tasse still. Sagst Du. Du verschüttest meinen Kaffee. Halt die Tasse still. Du verschüttest meinen Kaffee! Brüllst Du. Und die Tasse macht einen Hopser.
Mein Kaffee ohne Zucker! Weil die Scheiß-Katze hier alles frisst! Sagst Du sehr leise. Deine Stimme ist Gefahr. Mein Fell sträubt sich. Ich habe nicht mal Fell. Ich wünschte, ich…
Der Kaffee ist heiß in meinem Gesicht. Der Rest von mir ist kalt. Der Rest von mir rutscht auf den Boden. Der Rest von mir kauert sich.
So. Sagst du. Kein Zucker, ja? Das ganze Glas ist voll. Dann sollst du etwas davon haben! Das ‚haben‘ brüllst du wieder. Der Rest von mir spürt Zucker rieseln. Wie früher Sand. Wie früher Sand. Sand. In Sommern ohne Kaffee. Nur mit Eis.
Du ziehst an meinem Arm. Mein ganzer Körper hängt daran. Schwer. Ruhe ist unten. Schmerz zieht nach oben. Ich kann so nicht stehen. Ich stehe halb. Halb bleibe ich sitzen. Der Zucker bleibt hängen. Unter meiner Nase. Über meinem Mund. Meine Zunge schmeckt: Salzig. Süß.
Heiß und hell. Die Kante Deiner Hand. Süßsalzig tropft es rot auf den Boden.
Bist du jetzt zufrieden? Deine Stimme schneidet die Luft. He, sag was! Ob du zufrieden bist!
Ich schüttele den Kopf. Ich nicke. Es ist eine komische Bewegung. Mein Kopf hängt oben.
Du Wackeldackel. Sagst Du. Was jetzt, hä, was jetzt? Jetzt kannst du wieder heulen. Du heulst doch die ganze Zeit.
Deine Hand immer noch an meinem Arm. Greift die Haut. Greift den Muskel. Greift den Knochen.
Alarm – Alarm – Alarm gibt mein Blut. Fließt bis zur Druckstelle. Sammelt sich unter den Kuppen deiner Finger.
Na los, steh auf. Steh schon auf.
Der Kaffee macht einen schwarzen See. Ein Krümelboot schwimmt vom Ufer los. Es hängt noch an der Fliese fest. Jetzt! Geschafft. Das Krümelboot treibt in die Mitte des Kaffee-Sees. Ich gucke wie bescheuert. Sind da auch kleine Enten? Ich kann es nicht genau sehen. In meinen Augen ist Zucker und Salz.
Jetzt kommt der Boden näher. Jetzt bin ich nah dran. Und seh die kleinen, kleinen Enten. Enten-Mama schwimmt. Die Enten-Küken hinterher. Es wird dunkel. Es wird hell. Der Kaffee ist schon ganz kalt von den Fliesen. Zucker fällt in den Kaffee. Kaffee berührt meine Wange. Dein Fuß tritt in meine Seite. Der Fuß macht kein Geräusch. Meine Mitte ist zu weich. Das Geräusch kommt aus mir. Wie Luft aus einem alten Ball. Weiter nichts.
Du verlierst die Lust an mir. Das ist immer so. Es macht keinen Spaß, wenn ich nur so herumliege. Das habe ich gelernt.
Deine Wut tanzt noch. Sucht etwas zum Greifen. Eine Tasse fliegt auf den Boden. Es reicht dir nicht. Du willst etwas, das lebt.
Die Sohle deines Schuhs knirscht. Auf Zucker. Auf Scherben. Dann nicht mehr. Im Wohnzimmer ist Teppich. Ich sehe den Abdruck des Schuhs. Kaffeeschwarz. Mit jedem Schritt schwächer. Es gibt alte Abdrücke. In Teebraun. In Weinrot. Das Weinrot ist blau geworden mit der Zeit.
Wohin gehst du? Ich stemme mich hoch. Der Arm tut weh. Mein Körper ist schwer. Vor allem da wo dein Fuß war. Aber dein Weggehen macht was mit mir. Alarm. Alarm. Alarm. Wohin gehst du? Die Wohnungstür bleibt leise. Du gehst nicht hinaus. Dahinter ist nur noch das Schlafzimmer. Ohne Tür. Das Bad hat eine Tür. Sie hakt. Man muss sie heben damit sie aufgeht. Das Scharnier klemmt. Das Scharnier kreischt. Da gehst du nicht rein. Da ist die Katze.
Ich stehe jetzt. Nicht die Katze. Nicht. Die. Katze. Jedes Wort ein Schritt. Ich bin zu spät. Die Tür zum Bad ist auf. Das Bad hat ein Fenster. Davor steht mein Waschmittel. Das Waschmittel fällt in die Wanne.
Ich höre das Fenster quietschen. Du keuchst. Du hältst die Luft an. Die Katze bekommt dir nicht. Die Katze bekommst Du nicht. Nicht die Katze. Nicht die Katze.
Du greifst nach der Katze. Ich kann dein Greifen hören. Die Katze faucht. Die Katze schreit.
Nein. Das ist nicht die Katze. Du schreist. Du sollst doch nicht atmen bei der Katze. Das weißt du doch. Die ganzen Haare. Sie können dich verletzen. So feine, weiche Haare.
Du verdammtes Vieh! Na warte! Raus hier! Ich krieg dich! Das war das letzte Mal! Du Scheißkatze!
Und dann brüllst du. Etwas Weiches fliegt gegen die Fliesen. Es landet auf den Füßen. Es lässt sich nicht greifen. Es wird das Bad nicht verlassen. Es wird dich wieder beißen. Es faucht. Wild mit weichen Haaren. Die Haare schweben durch die Luft. Du hast ihr das Fell zerrissen. Das wird dich töten.
Dein Brüllen hustet. Dein Schrei niest. Deine Hand wischt über deine Augen. Reibt Katzenspucke hinein. Du weinst ja.
Die Katze braucht mich nicht. Sie macht es allein. Sie faucht und kackt gleichzeitig in die Wanne. Ich rieche es. Die Katze kackt, wenn sie böse ist. Ich weiß das.
Du niest und niest und niest. Du nimmst einen letzten Anlauf. Doch alles, was du noch zu greifen bekommst: ist eine Waschmittel-Flasche. Sie fliegt aus dem Fenster.
Ich habe die Wohnungstür aufgemacht. Ich stehe dahinter. Du siehst mich nicht. Du siehst nur Luft im Treppenhaus. Luft ohne Gestank und Katzenhaare. Du stürmst dorthin. Ich sehe dein Gesicht. Es sieht schlimmer aus als meins.
Du stürzt zum Fenster im Treppenhaus. Es lässt sich nicht öffnen. Du fluchst und rennst die Treppe nach unten.
Ich schließe die Wohnungstür. Ich halte mich fest an der Klinke. So lange, bis die Hand an der Klinke wieder meine Hand ist. Die Katze ist nicht mehr im Bad. Ich nehme Klopapier und hebe den Katzendreck auf. Ich spüle ihn runter. Das Fenster lasse ich auf. Später.
Die Schritte sind schwer. Ich. Muss. Gar. Nichts. Ich. Will. In. Die. Küche.
Da sitzt die Katze auf dem Boden. Mit der Nase stupst sie in die Pfütze. Katzenzunge. Raue Katzenzunge stippt in die Pfütze.
Du sollst doch keinen Zucker. Sage ich zur Katze. Lieb. Sie hört auf damit.
Na komm. Sage ich. Ich räume auf. Die Küche. Dann mich. Dann gehe ich einkaufen. Zucker und Waschmittel und Öl für die Scharniere.
Später fahre ich mit der Katze zum Tierheim.
Ich komme mit zwei Katzen zurück.
Autorin der Endausscheidung
Alexandra Lüthen, 1977 in Westfalen geboren, lebt und arbeitet als Schriftstellerin in Berlin. In ihren Texten geht es um die nackten Bereiche des Lebens: Geburt, Sexualität und Tod.
Sie schreibt Prosa und Kurzprosa, Essays und Fachtexte und ist mehrfache Preisträgerin für Literatur in Einfacher Sprache. Ihre Kurzprosa wurde in diversen Wettbewerben ausgezeichnet und veröffentlicht. Der Erzählband „Bärenzart – Geschichten über die Liebe“ erschien im Passanten-Verlag und 2019 folgte „Allen eine Chance – Warum wir Leichte Sprache brauchen“ im Duden-Verlag.
Ich habe Deutsch gelernt und ich habe gelernt zu schweigen. Je mehr ich rede, desto weniger verstehen mich die Menschen. Je mehr sie wissen, desto weniger wollen sie glauben. Es ist, als würden sie versuchen, mich als Betrügerin zu entlarven.
Allein dieser Blick, wenn ich sage: Aus Afrika.
Ich sage nicht, wie leid ich es bin zu hören, wie süß sie meinen Akzent finden. Ich wünschte, ich hätte keinen. Ich muss lernen noch besser zu sprechen, aber trotzdem werde ich nie eine von ihnen werden.
Als ich noch kein Deutsch konnte, war es einfacher. Ich habe nichts gesagt und keiner hat mich angesehen, als wäre ich ein Dreieck unter lauter Kreisen. Jetzt sehen alle nur Ecken und glauben, es seien Dornen, Stacheln und Lügen. Jede Antwort zieht eine neue Frage nach sich und nie ist jemand zufrieden.
Nicht gut genug. Ich habe gelernt zu schweigen. Wenn ich Afrika sage, sehen die Leute nur, dass ich weiß bin. Wenn ich den Mund aufmache, hören sie nur Frankreich. Wenn ich Heimat sage, glauben sie, Heimat hätte eine Farbe, die zu einem passen muss. Wie man dunkelblau nicht zu schwarz anzieht und rosa nicht zu rot und gestreift nicht zu gepunktet. Heimat ist kein Kleid. Heimat ist die Luft, die mich umfängt, wenn ich in Bouaké aus dem Flugzeug steige. Heimat ist, wenn mir keiner sagt, dass ich tanze, als würde ich Schwarze nachmachen. Heimat ist eine Wohnung ohne Schimmel an den Wänden, in der ich mir nicht ein Zimmer mit meinem Bruder teilen muss, in der es nicht immer kalt ist, weil unsere Mutter nicht genug Geld hat. Heimat ist, nicht dauernd Fragen gestellt zu bekommen, nur weil man nicht in das Bild passt, das ein anderer sich schon gemacht hat. Die Fragen sind wie Buntstifte, die sie mir zum Ausmalen geben, aber in ihrem Kopf haben sie schon ein fertiges Farbfoto.
Ich habe Deutsch gelernt und ich habe gelernt zu schweigen. Die Menschen wollen etwas wissen über den Weg, über die Grenzen, die wir zu Fuß überquert haben, über die Schlepper, über die Lager, wie viele Toiletten es für wie viele Menschen gab, über das Regime, die Rebellen, über ISIS, über mein Kopftuch, über die Bomben. Ich bekomme Komplimente für mein Deutsch, ich werde gefragt, ob ich Rassismus erlebe, ich höre Entschuldigungen dafür, dass die Rechten in diesem Land uns nicht wollen, und ich soll erklären, warum es im Islam so viele Fanatiker gibt.
Und das sind nur die Leute, die mit mir sprechen, die mich nicht beschimpfen und beleidigen und hinter meinem Rücken reden, weil sie glauben, ich würde sie ohnehin nicht verstehen. Das sind nur die Leute, die glauben, sie würden sich für mich interessieren, für mich, meine Integration und dafür, dass ich mich wohl fühle hier. Das sind nur die Leute, die es gut mit mir meinen.
Es ist nicht die Sprache, die fehlt. Es ist nicht die Fremdheit, von der sie sprechen. Mein Herz blutet, sobald jemand Heimat sagt. Mein Herz blutet, weil sie Worte finden, die die wunden Stellen meines Herzens berühren, Worte, die sie selbst nicht verstehen.
Als wäre ich nicht immer in der Fremde gewesen, als hätte ich nicht immer schon dagesessen und mich gefragt, warum ich von allen getrennt bin. Als wäre ich nicht immer in der Fremde gewesen, auch dort, wo alle die Sprache meiner Eltern sprechen. Als wäre ich nicht auch dort fremd gewesen, wo ich mit allen eine gemeinsame Herkunft, Geschichte und Kultur hatte. Als hätte ich mich dort nicht jeden Tag gefragt, wieso ich nicht dazugehöre. Als hätte ich dort etwas gehabt, das mich mit den anderen verband.
Wonach habe ich mich gesehnt? Heimat. Obwohl es so aussah, als wäre ich schon dort. Wohin konnte ich mich wenden? Wer hätte mich verstanden? In welcher Sprache?
Als hätte ich die Sehnsucht mitgebracht von hier nach da, als könnte ich gar nicht anders. Als wäre die Sehnsucht kein Gepäck, sondern ein Raum in meinem Herzen, der leer ist, vollkommen leer. Oder ein Buch mit weißen Seiten, auf denen jede Schrift in jeder Sprache sofort verblasst.
Niemand möchte von meiner Suche in den Augen der Menschen hören. Es muss jemanden geben, der versteht, ich kann es fühlen, ich weiß es, aber ich finde ihn nicht. Niemand will wissen, wie sich diese Einsamkeit anfühlt. Alles, was sie wollen, ist eine Sprache, in der sie mir ein paar Fragen stellen können, eine Sprache, in der sie ein paar Antworten erhalten. Alles, was sie wollen, ist auf einer Seite zu stehen, die sie für die richtige halten. Sie wollen die Melodie nicht hören, die mein Herz noch im Schlaf zum Weinen bringt. Niemand will die schwarzen Tränen sehen, niemand will wissen, wie sich ein Herz immer verschlägt und nie zusammenfindet mit einem anderen.
Sie reden mit mir, und aus dem, was sie gelesen und gelernt haben, glauben sie etwas zu verstehen. Aber wie kann man verstehen, dass jemand ein Gefäß ist, ein Gefäß für Einsamkeit, Sehnsucht, Musik, Regen, Dunst und Traurigkeit?
Ich habe Deutsch gelernt und ich habe gelernt zu schweigen. Wer versteht schon, dass wir zufrieden damit waren, arm zu sein? Wer versteht schon, dass man in einem Land leben kann, in das man nicht gehört, das einem aber zur Heimat wird? Wer versteht schon, dass man eine Grenze überquert und die Menschen immer noch dieselbe Sprache sprechen? Wer versteht schon, dass ich Afghanin bin, mich aber nicht an dieses Land erinnern kann, weil ich drei war, als meine Mutter mit uns geflohen ist? Wer versteht schon, dass man in Afghanistan Farsi spricht und im Iran auch? Wer versteht schon, dass ich weder anders ausgesehen noch anders gesprochen habe als meine Freundinnen in der Schule?