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© 2017 Robert Saltzman
Titel der Originalausgabe: The Ten Thousand Things
© 2019 Markus Prummer der deutschsprachigen Ausgabe
Übersetzung: Markus Prummer
Lektorat: Clemens Ottawa, Sophie Völsgen
Layout und Cover: Michael Kobler
Herstellung und Verlag: BoD – Books on Demand GmbH, Norderstedt
ISBN: 9783750472266
Sich selbst zu studieren heißt, sich selbst zu vergessen.
Sich selbst vergessen heißt, von den zehntausend Dingen erleuchtet werden.
— Eihei Dōgen (1200-1253)
Die Raserei des Wunsches, zu einer Schlussfolgerung zu kommen, ist eine der tödlichsten und unfruchtbarsten Manien, die die Menschheit befallen hat. Jede Religion und jede Philosophie hat vorgegeben, Gott zu besitzen, die Unendlichkeit zu messen und das Rezept für Glück zu kennen. Welch Hochmut und welch Nichtigkeit! Ich sehe im Gegensatz dazu, dass die größten Genies und die größten Werke nie zu Schlussfolgerungen gekommen sind.
— Gustave Flaubert
Demut ist keine sonderbare Gewohnheit der Zurückhaltung, sondern eher wie eine unhörbare Stimme, ein selbstloser Respekt vor der Realität...
— Iris Murdoch
Von Dr. Robert Hall
Wenn ich mir vorstelle, jemandem etwas mitzugeben, der zum ersten Mal die Seiten dieses Buches aufschlägt, dann würde ich das Folgende sagen, "Du wirst gleich einen authentischen und unglaublich luziden Bericht darüber lesen, wie es ist, in dieser Welt als erwachtes Wesen zu leben und gleichzeitig als Persönlichkeit mit all den üblichen Eigenheiten und Gewohnheiten eines individuellen Selbst zu funktionieren."
Roberts Art, sein Verständnis der menschlichen Existenz aus der Sicht einer erwachten Persönlichkeit zu beschreiben, ist eine Offenbarung. Sein Buch wirft einen frischen Blick auf die Fragen, die sich jedem stellen, der sich mit diesen Dingen tiefergehend auseinandersetzt; Fragen nach freiem Willen, Selbstbestimmung, Schicksal, Wahlfreiheit, und wer wir überhaupt sind.
Ich glaube, dass das ein "bahnbrechendes Buch" ist. Roberts Schreibstil über so schwierig greifbare Themen wie Gewahrsein und Bewusstsein ist ehrlich, prägnant und zutreffend. Seine Fähigkeit, seine Erfahrungen des Lebens in einer Realität zu beschreiben, die sich von konventionellen Denkweisen deutlich unterscheidet, ist auf brillante Weise ungewöhnlich.
Bei der ersten Begegnung mit Robert Saltzmans Werk erinnerte ich mich an dieselben Gefühle der Entdeckung, Freude und Aufregung, die ich auch bei Alan Watts' Weisheit des ungesicherten Lebens, Krishnamurtis Einbruch in die Freiheit und Chögyam Trungpas Spirituellen Materialismus durchschneiden empfand.
Die Klarheit seines Geistes scheint in jedem Satz dieses Buches durch. Seine Fähigkeit, die kompliziertesten Verzweigungen und Feinheiten des erwachten Bewusstseins deutlich werden zu lassen, ist so frei von konventionellem, überladenem Denken, so frei von gewohnten Phrasen, so frei vom schalen Beigeschmack des religiösen Dogmas und der üblichen Art und Weise, von so schwierigen Dingen zu sprechen, dass sich dieses Buch für mich als eine gänzlich neue und illuminierte Darstellung des erwachten Bewusstseins hervortut; einem erwachten Verständnis dessen, was es heißt, ein Mensch zu sein.
Frage: Hi, Robert. Wie wirkt sich das Erwachen aus psychologischer Sicht auf das persönliche Verhalten aus? Ich erinnere mich an eine Konversation, in der du einen "sechs Jahre andauernden Kater" erwähntest, während dessen sich, trotz der plötzlichen Erwachenserfahrung, die du gehabt hast, das narzisstische Verhalten von "Robert" fortzusetzen schien.
Ich habe Leuten zugehört, die ähnliche Erfahrungen beschreiben. Eine meiner Lieblingserklärungen stammt von einem Engländer namens Rupert Spira, der sagt, dass die alten Gewohnheiten des Denkens, Fühlens und Wahrnehmens als getrenntes Selbst ein Leben lang andauern können, sogar nachdem man erkannt hat, dass das abgetrennte Selbst eine Illusion ist.
Shinzen Young, ein in Amerika geborener Meditationslehrer, der einen großen Einfluss auf mein Denken hatte, erwachte, nachdem er als Mönch in Japan gelebt hatte, doch auch er kämpfte noch 35 Jahre nach seiner Identitätsverschiebung weiter gegen Marihuana-Sucht und Prokrastination.
Ich würde niemals erwarten, dass irgendeine plötzliche Erfahrung zu sofortigen Verhaltensänderungen führen würde, aber glaubst du, dass deine Erfahrung dein Verhalten auf positive Weise verändert haben könnte?
F2: Robert, du scheinst ein harter Kritiker von Religion und Spiritualität zu sein, einschließlich nicht nur der alten Buchreligionen, sondern auch der New-Age-Spiritualität, Neo-Advaita und ähnlichem. Hast du das vor dem Erwachen auch schon so empfunden, oder hat die Erfahrung des Erwachens zu dieser Skepsis geführt?
Robert: Das Wort "wach" kann auch jenseits der üblichen Unsicherheit, was dieses oder jenes Wort wirklich bedeutet, problematisch sein. Erstens scheint "wach" eine Art unveränderlichen Zustand zu bezeichnen, einen fixen Zustand, in dem sich die erwachte Person befindet, doch das ist meiner Erfahrung nach nicht so. Zweitens klingen Worte wie "erwacht" und "erleuchtet" ziemlich grandios für eine Perspektive, die recht natürlich wirkt – so natürlich, würde ich sagen, als würde man nach einem Mittagsschlaf die Augen öffnen und sich ganz lebendig und bewusst fühlen. Bevor ich also zu den Fragen komme, sollte ich meine Verwendung des Wortes "wach" klarstellen.
Immer, wenn ich darüber nachdenke oder es bemerke, befinde ich mich hier. Wenn ich "hier" sage, meine ich damit im visuellen Zentrum einer scheinbaren Welt des Sichtbaren; im auditorischen Zentrum einer scheinbaren Welt der Klänge; im taktilen Zentrum einer scheinbaren Welt der Texturen usw. Die Gesamtheit dieser sensorischen Informationen, deren Großteil meist unbemerkt bleibt, wird von Moment zu Moment zu einer Erfahrung der "Welt" zusammengefügt. Ich kann dieses Zusammenfügen nicht machen, genauso wenig wie ich Nahrung verdauen oder Blut zirkulieren lassen kann. Ich habe keine Wahl in dieser Angelegenheit. Wenn ich aus dem Schlaf erwache, ist die Welt als nahtlose Anfertigung da, die nicht mein Verdienst ist. Ich weiß auch nicht, was diese Welt "wirklich" ist oder woher meine Erfahrung mit ihr kommt.
Da ich die Welt weder mache, noch, trotz der Dogmen von Religion und Spiritualität, irgendetwas über ihre Quelle weiß, weiß ich nicht und kann auch nicht wissen, was "ich" – ein Merkmal dieser Welt – bin.
Erwachen bedeutet für mich also das Ende der "Spiritualität" angesichts des unbestreitbaren Verständnisses, dass alle Vermutungen zu "meinem Selbst" (das englische myself wird im Laufe des Werkes als "ich selbst", "mein Selbst" und den abgeleiteten Formen wiedergegeben – Übers.) nicht genügen und nicht genügen können, um irgendetwas abschließend zu erklären. In jedem Moment befinde ich mich hier als scheinbarer Bewusstseinsfokus, ohne mich jemals dafür entschieden zu haben, ohne zu wissen, was ich "wirklich" bin und ohne es wissen zu müssen. Ich bin mir sehr wohl bewusst, dass das, was ich sehe und fühle, sozusagen zusammengebraut ist, aber diese Welt ist die Welt, die ich habe und so lebe ich, als ein scheinbarer Bestandteil dieser meinen Welt, in ihr und mit ihr – nicht in einer Welt der Vermutungen, Annahmen und der Mystik über absolute Wahrheiten, sondern hier und jetzt. Das ist es, was ich mit "wach" meine.
Ich habe Rupert Spira einmal im Radio gehört, der sowohl sachlich als auch demütig über seine Erfahrung des Erwachens zu sprechen schien, was für meine Begriffe beides gute Zeichen sind. Wie du weißt, habe ich eine abrupte Verschiebung des Fokus erlebt, die mich eine Zeit lang sprachlos machte, in der ich nicht mehr anders konnte als lachend nackt auf dem Boden herumzusitzen. Ich lachte, weil der Witz auf meine Kosten ging. "Das ist doch offensichtlich. Das war immer schon da. Wie konnte ich das übersehen?" Ich nehme an, ich lachte auch aus Erleichterung über diese plötzliche Befreiung.
Ich habe über die Folgen dieses Ereignisses berichtet, das die Schwierigkeit mit sich brachte, die Spaltung zwischen dem mysteriösen, unbekannten "Ich selbst" und der gewöhnlichen, konventionellen Person in Einklang zu bringen, deren egozentrischer Standpunkt und meist neurotische Persönlichkeit fast ganz wie zu erwarten ausgefallen waren. Diese Spaltung musste ausgesöhnt werden, da beide Figuren im selben Körper lebten und den gleichen Mund zum Sprechen benutzten.
Ich erinnere mich nicht, einen sechsjährigen Kater erwähnt zu haben, aber ich nehme an, dass sich das auf eine schwere Krankheit bezieht, an der ich 1990 erkrankte, knapp sechs Jahre nach dem ersten Durchbruch von dem wir hier sprechen. Diese Krankheit traf mich kurz vor der Eröffnung einer Ausstellung und einer Signierstunde, über die ich mich recht aufgeblasen und selbstgefällig fühlte. Bei der Veranstaltung selbst war ich zu krank, um es zur Eröffnung zu schaffen. Ich habe das gesamte Trara verpasst.
Während der folgenden Monate der Verzweiflung und der Genesung stellte ich fest, dass trotz der abrupten Erfahrung des Erwachens, die sich völlig real und unbestreitbar anfühlte, immer noch ein tief sitzender Egoismus über meine Arbeit als Künstler in mir wohnte; als wäre ich der Macher dieser Arbeit, trotz des Wissens dass das "Ego-Ich" überhaupt nichts machte. Da war sie also in aller Deutlichkeit zu sehen: die Spaltung.
Ich nehme an, dass Rupert und Shinzen gemeint haben, dass man sich der Limitierungen des gewöhnlichen "Ich selbst" bewusst werden kann und das dann doch auf irgendeine Art vergisst, als ob man sich auf der emotionalen Ebene selbst hinters Licht führen würde und sich vorstellt, Geistesgaben wie Wollen und Entscheiden zu besitzen – Geistesgaben, von denen man schon zuvor bemerkte, dass sie nicht existierten. Es reicht anscheinend nicht aus, "aufzuwachen". Das Erwachen muss erst von jenen Anteilen der Persönlichkeit absorbiert werden, die sich nur langsam anstecken lassen, isoliert wie sie sind durch die Gewohnheiten und Bedürfnisse des Eigeninteresses. Die Suchenden der Erleuchtung scheinen sich oft vorzustellen, dass das Erwachen die plötzliche und absolute Vernichtung des "persönlichen Selbst" bedeuten würde, aber so ist es in meiner Erfahrung nicht. Das Erwachen, sage ich, endet nie und die Persönlichkeit genauso wenig.
Persönlichkeit! Niemand kann sich für die entscheiden, mit der er oder sie leben muss, ebenso wenig wie wir uns unseren Körper, die Umstände unserer Geburt und Erziehung oder alles andere aussuchen können. Die Persönlichkeit kommt wie Schicksal über uns und sie wird auf natürliche Weise zum Ausdruck gebracht und gelebt. Nach meinem Verständnis kommen Änderungen an diesem automatischen Ausdruck nur durch äußere Einflüsse zustande. Veränderungen gehen einher mit den "Handlungen" des gesamten Universums und gehorchen nicht den Wünschen eines scheinbaren "Entscheiders". Was bringt den vermeintlichen Entscheider schließlich dazu, überhaupt eine Veränderung zu wollen? Wo entsteht dieser Wunsch?
Für mich ist ein scheinbares persönliches Selbst immer noch vorhanden, es hat jedoch die Autorität über seine Urteile, Gewissheiten und Lieblingsansichten eingebüßt. Auch die übliche intensive Identifikation mit der persönlichen Geschichte und Autobiographie, als ob man die Vergangenheit oder zumindest ein kleines Stück davon besitzen würde, ist ausgefallen. Ich sage nicht, dass ich mich nicht an frühere Erfahrungen erinnern könnte, sie haben vielmehr ihre Macht verloren, die Gegenwart zu beeinflussen und zu konditionieren. Wenn ich von Vergangenem spreche, fühlt es sich gänzlich so an, als würde ich über jemand anderen sprechen.
Ohne seine Gewissheiten und seine gewohnheitsmäßige Anhaftung an Selbsterfüllung und Selbstrechtfertigung hat das persönliche Selbst nirgendwo eine solide Basis, um sich niederzulassen. Wenn es Wut gibt, dauert sie nur einen Moment an. Wenn es Lust gibt, hält sie nur für einen Moment an. Solche Gefühle werden weder rationalisiert und in Bezug auf die Vergangenheit erklärt, noch dadurch aufrechterhalten, dass sie zu einer Geschichte verwebt werden von der man sich vorstellt, dass sie in eine visualisierte Zukunft übergeht. Für mich sind Gefühle nicht auf diese Weise verbunden. Man lebt wirklich immer nur hier und jetzt, nicht aus freier Wahl, sondern einfach nur, weil es so ist.
Niemand hat angemessene Worte gefunden, um dies zu erklären, oder zumindest bin ich nie auf welche gestoßen. D.T. Suzuki sagte, "Erleuchtung ist wie Alltagsbewusstsein, nur ein paar Zentimeter über dem Boden." Wie bereits erwähnt, scheint mir das Wort "Erleuchtung" recht prätentiös zu sein. Dennoch ist das Bild Suzukis gut brauchbar, da es sowohl die Gewöhnlichkeit des gesamten Unterfangens beschreibt, als auch das Gefühl, leichtfüßig durch diese Welt der alltäglichen Angelegenheiten zu schreiten, die einfach nur das sind, was sie sind, wann sie es sind, egal was irgendjemand über sie denkt.
Was die Versöhnung der Spaltung zwischen der sozial konstruierten Person und dem Erwachen von Augenblick zu Augenblick betrifft, nähern sich diejenigen mit religiösem Hintergrund dieser Angelegenheit manchmal über den Bezug zur Tradition. Für einen erwachenden Christen zum Beispiel könnte die Erfahrung, die ich als Wahllosigkeit bezeichne (die Dinge sind so, wie sie sind und können in diesem Moment nicht anders sein), durch die Worte "Vergib ihnen, Herr, denn sie wissen nicht, was sie tun" (Vergib ihnen, denn sie haben keine Wahl) illustriert werden.
Allerdings ist es eine Sache, das Erwachen im Hinblick auf den Fachjargon und die Symbolik der eigenen traditionellen Erziehung zu verstehen, eine vermeintlich heilige Haltung nachzuahmen oder eine religiöse Idee mit der Erwartung anzunehmen, dass eine solche Imitation zum Erwachen führen würde, ist jedoch eine ganz andere. Letzteres ist sicher eine vergebliche Hoffnung, meine ich. Anderen zu folgen wird nicht dazu führen, mein Selbst und die Welt als das Mysterium zu sehen, das sie sind. Ganz im Gegenteil. Erwachen ist, wenn du nicht imitierst.
Ich weiß, dass einige Suchende, sowohl im Osten als auch im Westen, danach streben, Erlösung oder Befreiung zu finden, indem sie versuchen, sich selbst zu realisieren, entsprechend ihren bestehenden Vorstellungen eines höheren Wesens – einer Art Imitatio Dei –, allerdings sieht diese Art der "Erlösung" für mich eher wie Selbsthypnose aus, nicht wie Erwachen.
Aus meiner Sicht operieren entscheiden und wählen, wenn überhaupt, nur in einem begrenzten, mehr fiktiven als realen Bereich. Wenn man erkennt, dass es so etwas wie freien Willen tatsächlich nicht gibt, verschwindet die Möglichkeit, Verantwortungen, Beschuldigungen und Vorwürfe zuzuweisen. Keine Wahl impliziert keine Schuld. Das ist Vergebung. Und niemand entscheidet sich für das Vergeben.
Skeptizismus ist nicht das richtige Wort für meine Apathie gegenüber Religion und Spiritualität. Seit ich die Leere in den vermeintlichen Antworten auf absolute Fragen gesehen habe, klassifiziere ich diese Antworten als Elemente in der Domäne des haltlosen magischen Denkens. Magisches Denken interessiert mich überhaupt nicht. Null. Ich weiß nicht, ob ein bewusstes, übergreifendes Prinzip oder ein sogenanntes "höchstes Wesen" existiert oder nicht und es ist mir egal. Ich weiß, was ich genau jetzt aus dieser gegenwärtigen Perspektive weiß und das ist herzlich wenig.
Ich weiß nichts über letzte Wahrheiten: nichts über die Unterwerfung unter den Willen Gottes, wie im Christentum und im Islam; nichts über die Realisierung der eigenen Identität mit Brahman, wie im Hinduismus; nichts darüber, was passiert, wenn man stirbt und nichts darüber, wie all dies hierher kam. Nichts. Das einzige, was ich kenne, ist der sich ständig verändernde Fluss von Wahrnehmungen, Gefühlen und Gedanken in diesem Strom des Bewusstseins, einschließlich des gewohnten, wiederkehrenden Gedankens, der "Ich selbst" genannt wird. Und ich weiß, dass das wahrgenommene Ich selbst diesen Strom weder erschafft noch abseits davon steht.
Spirituelle Gläubige vielerlei Glaubensrichtungen behaupten mit unverbürgter Sicherheit, dass sich ein höheres Wesen von diesem Strom abhebt. Dieses angeblich bewusste Wesen – ob der Brahman des Hinduismus oder der Gott des Christentums, des Islams und des Judentums – wird als dauerhaft, ewig und grenzenlos bezeichnet. In meinem eigenen Herzen aber weiß ich nicht, ob irgendetwas dauerhaft ist, geschweige denn was "dauerhaft" in der Weite dieses Universums überhaupt bedeuten würde; auch nicht innerhalb des kleinen Teils, dessen wir uns tatsächlich bewusst sind. Ich habe keinen Grund, an irgendetwas Dauerhaftes zu glauben. Noch bezweifle ich es. Ich weiß es einfach nicht, und dieses "Nicht-Wissen" ist ein fester Bestandteil dessen, was ich als "wach" bezeichne.
Um es einfach auszudrücken, soweit wir alle wissen, erzeugt niemand diesen Strom des Bewusstseins, diesen Fluss der Wahrnehmungen, Gefühle und Gedanken, der in jedem Moment "ich selbst" ist. Du kannst dir einreden, dass "Gott" diesen Strom erzeugt, doch das Umhängen eines Namens um das Unverständliche trägt nichts dazu bei, das eigentliche, vordergründige Mysterium der Lebendigkeit zu illuminieren oder zu erklären – die erstaunliche Tatsache des Seins selbst, vor Konzepten über die vermeintliche Quelle dieser Lebendigkeit.
Ob es ein höheres Wesen gibt oder nicht, ist sowieso nebensächlich. Unabhängig davon, was du glaubst oder nicht, bist du unbestreitbar hier. Jeder Moment ist einzigartig in seiner Soheit – seinem essentiellen Charakter – und er kommt und geht wie ein Blitz. Wer weiß, was, wenn überhaupt irgendetwas, diese Soheit erzeugt? Wir sind hier ohne zu wissen. Jeder Moment ist, was er ist, wann er es ist, nicht wahr?
Die unkritische Übernahme von Ideen, die in vermeintlich numinösen Schriften zu finden sind, die aus angeblich sachkundigen Erfahrungsberichten gewonnen wurden, oder die aus der Vermählung von psychologischer Bedürftigkeit mit Vermutung entstanden sind, wird "Glaube" genannt. Ich bin weit, weit entfernt von so was. Aus meiner Sicht ist Glaube nur ein anderes Wort – ein besser klingender Begriff – für Gutgläubigkeit. Im Erwachen sieht man, dass Konzepte über absolute Wahrheiten nur durchziehende Gedanken in wechselhaften menschlichen Geistern sind, nicht "Wahrheit".
Der Strom des Bewusstseins wird nicht umsonst als Strom bezeichnet, er hört nie auf zu fließen. Du möchtest vielleicht weiterhin an das glauben, was du im Moment glaubst, aber das Festhalten an Ideen – inklusive der Ideen darüber, wer und was du bist – bedeutet nicht, dass du sie behalten kannst. Das ist es was Heraklit meinte, als er bekanntlich sagte, "Alles bewegt sich fort und nichts bleibt. Man kann nicht zweimal in denselben Fluss steigen”.
Vermutung und Annahme mögen im Tagesgeschäft hie und da ein wenig Eis brechen, sie können aber nicht sinnvoll auf absolute Angelegenheiten angewendet werden. Wen kümmert’s, wenn jemand Behauptungen aufstellt über was sein könnte, werden könnte, oder gar was das "Substrat" der Realität ist oder die "primäre Ursache" von allem, was wir sehen? All das kann diskutiert und verneint werden, doch man kann diesen Moment und alles, das er enthält, nicht verneinen. Vielleicht gibt es keine "primäre Ursache". Muss es eine primäre Ursache für dieses Geschehen geben?
Wenn jemand Freude oder Bedeutung in der religiösen Praxis findet, dann ist das für mich in Ordnung. Ich laufe nicht durch diese Welt und kritisiere alles. Aber da du nach meiner Erfahrung fragst, muss ich antworten, dass "Spiritualität" nichts mit ihr zu tun hat und dass die Übernahme unbegründeter spiritueller Überzeugungen keineswegs einen Weg zum Verständnis eröffnet, sondern ihn vielmehr zu behindern scheint.
Wenn ein berühmter Guru zu dir sagt, "Du bist nicht das Denken", was könnte das bedeuten? Warum solltest du einer solchen Aussage glauben? Würde es die Aussage wahr machen, wenn der Guru charismatisch ist oder viele Anhänger hat? Wenn die Aussage dich in irgendeiner Weise einfach anspricht, macht es das dann wahr? Gibt es wirklich ein "Du", das nicht Denken ist, das trotzdem irgendwie Worte verstehen kann, sie für wahr und den Sprecher für "erleuchtet" befinden und ihn folglich zu einer unfehlbaren Quelle machen? Oder ist "Du bist nicht das Denken" lediglich eine weitere Idee im Denken, die du im guten Glauben annimmst oder weil dir gefällt, wie sie klingt?
Ich habe keinen Fliegenschiss von Interesse an Annahmen, Vermutungen, oder Glaubensinhalten jeglicher Färbung – nicht weil der eine oder andere Glaube sich als falsch erwiesen hätte, oder weil ich Atheist oder Materialist wäre, sondern weil dieser Moment für sich selbst ausreichend ist, ohne dass ich irgendetwas glauben müsste.
Irgendwann während meiner langsamen Genesung von der Krankheit, die mir die Trennung zwischen dem undefinierbaren Mysterium-Selbst und dem konventionellen Ego-Selbst zeigte, verlor ich den Wunsch, meine Karriere in der Kunstwelt fortzusetzen. Ich war der Eitelkeit und der übertriebenen Selbstdarstellung auf allen Seiten überdrüssig, mir wurde die Gesellschaft der meisten Künstler bis auf wenige Ausnahmen verleidet und ich musste oft bis zum Exzess trinken, bevor ich an den Eröffnungen meiner eigenen Ausstellungen teilnehmen konnte. Nun war ich damit fertig. Ich ging zurück in Ausbildung, promovierte in Psychologie und begann meine Arbeit als Psychotherapeut. Ich nehme also an, dass das eine Verhaltensänderung ist, wenn du das gemeint hast.
Heutzutage, würde ich sagen, stellt nichts von alledem auch nur die geringste Schwierigkeit dar. Wie jeder andere Mensch habe ich eine nicht auserwählte, aber eine von Natur und Umwelt auferlegte Geschichte und Persönlichkeit. Es ist, was es ist. Niemand hat Schuld und ich urteile nicht.
F: Für viele von uns kann der Wahrheit ins Auge zu sehen beängstigend sein. Der scheinbare Verlust des Gespürs für die Grenzen meines persönlichen Selbst, meines konditionierten Selbst, fühlt sich wie das ultimative Opfer an. Das kann uns ganz schön erschrecken, aber wenn wir offen für die Wahrheit sein wollen, müssen wir uns dem stellen. Konditioniertes Denken käme aus der Mode, wenn man Wahrheit finden würde, denn Erwachen bedeutet, konditioniertes Denken und konditionierte Weisen abzulehnen.
Im Wesentlichen ist der Mensch theoretisch offen für die unbegrenzte Wahrheit. In dieser Phase ist sich an die gehegten Konditionierungen zu halten zu schmerzhaft und da ist die Hilfe eines Freundes wie Robert unschätzbar wertvoll. Zum Zeitpunkt an dem ich dieses Opfer akzeptiere, spreche ich mit niemandem mehr darüber und ich bin sicher, dass alle recht glücklich darüber sind, dass ich die Klappe halte! Danke, Robert.
A: Sehr gerne geschehen. Ist doch schön, kein Besserwisser mehr zu sein, oder? Deine Dankbarkeit erinnert mich an die Wertschätzung, die ich für meinen verstorbenen Mentor Walter Chappell empfunden habe. Eine solche Person im Leben zu treffen, ist ein echtes Geschenk, obwohl es, wie eine schöne Rose, eine Art dorniges Geschenk ist.
F2: Shen Hui hat gesagt: "Es gibt einen Unterschied zwischen Erwachen und Befreiung. Das Erwachen ist plötzlich, aber die Befreiung kommt danach allmählich." Würdest du das bitte kommentieren?
A: Shen Hui hat das gut formuliert. Bevor man aus der Trance des Werdens erwacht, praktiziert man Meditation oder was auch immer, in der Hoffnung, etwas Erwünschtes zu erreichen. Mit dieser Erwerbseinstellung ist "Praxis" eine Aktivität, das Ausführen eines Rituals, das Leute ohne Praxis nicht haben. Man könnte etwa sagen, "Meine Praxis ist es, mindestens dreißig Minuten am Morgen zu meditieren und dreißig vor dem Schlafengehen." In der alltäglichen Welt des Überlebens und des Lebensunterhalts sind solche Bemühungen vielleicht notwendig und werden belohnt, doch auf dem Gebiet, von dem Shen Hui spricht, wird nichts durch Anstrengung gewonnen oder verloren. In jedem Moment sind die Dinge einfach so, wie sie sind, egal ob "ich" es mag oder nicht.
Dieses Verständnis ist nichts, was in einer imaginären zukünftigen Zeit nach ausreichender "Praxis" "realisiert" werden könnte. Es ist die einfache Erkenntnis der mysteriösen und unbeschreiblichen Soheit dieses Moments. In dieser Erkenntnis gibt es keinen Gedanken an Meditation, keine Praxis der Meditation und weder einen Meditierenden noch einen Macher von sonst irgendetwas. Die gesamte Erfahrung, diese bestimmte Sichtweise zu sein, von der man gelernt hat, sie als "Ich selbst" zu bezeichnen, fühlt sich unendlich mysteriös, nicht erwählt und unergründlich an. Was genau willst du angesichts dessen praktizieren?
Einer meiner Freunde ist ein ehemaliger Zen-Mönch, der nach dem Hochschulabschluss den Großteil seiner Zwanziger damit verbrachte, zehn Stunden am Tag mit dem Gesicht zur Wand zu sitzen. Fast zehn Jahre lang, zehn Stunden am Tag, in einem Raum mit anderen Mönchen sitzen, still und voneinander abgewandt und auf die Wände starren. Ich fragte ihn, was er aus dieser extremen Praxis gelernt hat. Mein Freund hat Sinn für Humor und seine Antwort war scherzhaft, wenngleich auch ein wenig trocken und ironisch: "Oh, ich bin ziemlich gut im auf Wände starren geworden."
Vor Jahren lernte ich eine weltberühmte buddhistische Lehrerin kennen, deren Bücher Bestseller sind und die Hörsäle und Kurszentren füllt. Innerhalb weniger Augenblicke, nachdem sie Hallo gesagt hatte und ohne jegliche Einleitung, fragte sie mich: "Also, was ist deine Praxis?". Da wir uns gerade erst getroffen hatten, wirkte die Frage anmaßend und unter Druck setzend. Ihre Strategie der Identifikation mit der Methode nannte Chögyam Trungpa "spirituellen Materialismus", welcher auf der Idee beruht, dass es etwas zu erreichen gibt und dass man es durch Anstrengung erreicht.
"Ich?" antwortete ich, "ich habe keine Praxis." Ihr war im Voraus gesagt worden, dass ich "etwas wüsste", aber als ich sagte, dass ich keine Praxis hätte, schwand ihr Interesse.
Wie Shen Hui sagte, ist Erwachen nicht allmählich, sondern unmittelbar und plötzlich. Es geht nicht um Praxis. Auf einmal siehst du, dass du nichts tust. Nichts entscheidest. Nichts auswählst. Außer in der Fantasie gibt es kein wählendes/entscheidendes "Ich selbst". Diese Fantasie verblasst und hinterlässt keinen Ausweg vor dem unvermeidlichen, unaufhörlichen Strom des Bewusstseins. Die alten Geschichten gelten nicht mehr. In jedem Moment sind die Dinge so, wie sie sind und können nicht anders sein, ob es dir gefällt oder nicht.
Was immer du fühlst, denkst und siehst, bist du. Es gibt keine Wahl in der Sache, keine Flucht vor dir. Das ist es, was ich mit dem Wort "Erwachen" meine – ein plötzliches Bewusstsein, ganz unbestreitbar, dass alles, was du siehst, fühlst und denkst, du bist.
Die Grenze zwischen dem Selbst und dem anderen löst sich auf. Das scheinbare "Andere" befindet sich nicht irgendwo "da draußen", sondern wird aus deinen Wahrnehmungen, deinen Gefühlen, deinen Gedanken konstruiert. Du siehst, was du siehst. Das ist alles, was du siehst. Und dieses Sehen bist du.
Du glaubst vielleicht an einen kosmischen Plan, doch wenn du das tust, ist dieser Glaube du selbst und sagt nichts darüber aus, ob es wirklich einen solchen Plan gibt. Wie könnte ein Mensch wissen, ob es diesen Plan gibt oder nicht? Aufgrund welcher Beweise? Mit welcher Befugnis? Trotzdem sind sich unzählige Menschen eines solchen Planes sicher und viele behaupten sogar zu wissen, was dieser Plan ihnen abverlangt.
Vielleicht glaubst du an einen Gott oder Götter, doch sagt das nichts über eine tatsächliche Gottheit aus. Wenn du darauf vertraust, dass "Gott" über dich wacht, deine Gebete hört und deine Taten beurteilt, dann ist das dein Glaube an die Existenz eines solchen Gottes. Es wäre möglich, dass weder diese Gottheit, noch irgendeine andere Art von höherem bewussten Wesen existiert (Ich sage nicht, dass es so ist; ich spreche nicht von Atheismus hier).
Der Gottesglaube wurde dir in den Geist injiziert, mindestens durch willkürliche kulturelle Osmose, oder, noch wahrscheinlicher, durch Osmose plus absichtliche Einprägung durch Bezugspersonen, die vor dem Alter der Vernunft begann. Dieser Glaube wurde demnach in dein Denken gelegt – in all unser Denken –, was nicht deine Schuld ist. Nichts ist deine Schuld. Du hast weder diesen Glauben noch sonst irgendetwas anderes je erwählt. Keine Wahl, keine Schuld.
Sobald das Glaubenssystem eines kosmischen Plans oder eines höheren Wesens in den Geist eingespeist wurde und dort Wurzeln schlägt, widersteht es jeder sukzessiven Entwurzelung. Die inneren Strukturen spiritueller Überzeugungen bieten einen standhaften Widerstand gegen die bewusste und reflektierte Eliminierung, inklusive der Punkte:
Dieser Widerstand gegen die Entwurzelung des Glaubens ist das, worauf Shen Hui hindeutete. Gewissheiten, insbesondere solche, die früh im Leben installiert wurden, fühlen sich möglicherweise wie unentbehrliche Teile des emotionalen "Unterstützungssystems" an. Wie mir eine aus der Korrespondenz bekannte Freundin kürzlich sagte: "Ohne meinen Glauben an Jesus wäre ich ganz auf mich allein gestellt, um mit meinem Schmerz fertig zu werden."
Ideen wie diese schlagen Wurzeln durch absichtliche Pflege, allmähliche Konditionierung und forcierte Indoktrination, die ihrem Wesen nach unkritische Akzeptanz lehrt – du sollst solche Überzeugungen über den "Glauben" schlucken – und so ist es in der Folge unwahrscheinlich, dass die Vernunft allein, wenn sie später angewendet wird, sie wieder auflöst. Wie die Jesuiten sagen, "Gib mir ein Kind, bis es sieben Jahre alt ist und ich gebe dir den Mann." Wenn sie einmal so tief eingebettet sind, kann nur ein plötzlicher Blitz des Verständnisses solche Überzeugungen als die Fabrikationen entlarven, die sie sind. Wie wenn du das Licht in einem abgedunkelten Raum einschaltest, siehst du plötzlich und dieses Sehen wirkt sofort. In der Frage, die Shen Hui "Erwachen" nennt, gibt es kein halbes Erwachen. Du kriegst, was du kriegst, sobald du es kriegst – hundertprozentig oder gar nicht.
Alles, was du wirklich weißt, ist, dass "mein Selbst", der scheinbare Bewusstseinsfokus, den du "ich" nennst, immer hier zu sein scheint. Abseits davon sind die Vorstellungen darüber, was "ich" ist oder nicht, reine Vermutungen, keine Fakten. Äußerungen über absolute Wahrheiten können nie bewiesen, sondern lediglich leichtgläubig akzeptiert werden – als angenommene "Wahrheit" durch den Glauben an eine angebliche Autorität, die Konditionierung der Kindheit, den Respekt vor der Tradition, angeblich "unfehlbare" Schriften oder die Verlautbarungen eines "realisierten Wesens".
Glaube wird nur dann gebraucht, wenn es an Fakten mangelt. Fakten sind Fakten und benötigen keinen Glauben. Wenn Glaubensüberzeugungen so behandelt werden, als wären sie Tatsachen, entsteht eine Art Selbsthypnose, die ich magisches Denken nenne. Wenn du magisch über das Absolute nachdenkst, oder Nicht-Dualität, oder Selbst-Realisierung, oder Karma und Kausalität, dann sage ich, bist du nicht wach, sondern hypnotisiert. Du weißt nichts über diese Dinge. Du hast irgendwann von ihnen gehört und das Gesagte akzeptiert. Die Übernahme und ständige Wiederholung solcher Dogmen führt zu einem Trancezustand der Gutgläubigkeit. Deine Überzeugungen sind lediglich deine Überzeugungen, weil du ihnen glaubst, was nichts über ihre Faktizität aussagt. Absolut nichts. Null.
Beim Erwachen geht es nicht darum, gehegte Überzeugungen schrittweise auszusieben, um an den "wahren" festzuhalten und die "falschen" zu beseitigen. Was die absoluten Wahrheiten betrifft, weißt du nicht, was wahr ist und auch sonst niemand weiß es. Die Traditionen der "Spiritualität" beruhen auf einer Reihe glatter Behauptungen, die weder falsifizierbar noch in irgendeiner Weise nachweisbar sind und die sich immer im zwielichtigen Bereich jener Aussagen befinden, die nie zu Tatsachen werden. Der erwachende Geist interessiert sich nicht dafür; er hat kein Interesse daran, nach dem zu suchen, was andere sagen, spirituell erreicht zu haben.
Im Erwachen fliegt das Geschwafel und der ganze Kram einfach direkt aus dem Fenster und es gibt keinen stufenweisen Prozess dabei. Plötzlich haben Vermutungen keinen Sinn mehr und Aussagen zu absoluten Angelegenheiten werden unglaubwürdig, egal aus welcher Quelle sie stammen. Für einen Geist, der frei von Glauben ist, ist was ist, das was es ist, unabhängig von den Auslegungen, die andere versuchen, dieser Lebendigkeit aufzuzwingen. Jeder Moment ist ein einmaliger, nie wiederkehrender Augenblick sui generis, ein Moment für sich genommen, ein unbeschriebenes Blatt.
Der erwachende Geist sagt: "Ich habe keinen Grund zu glauben, was irgendjemand zu absoluten Fragen sagt. Keinen einzigen. Diese Menschen sind Menschen wie ich. Sie haben ihre Ideen. Ich sage nicht, dass sie falsch sind, aber ich möchte diese Lebendigkeit, diese Soheit für mich selbst untersuchen – nicht indem ich versuche, die Aussagen anderer zu bestätigen und nicht indem ich von der Weltanschauung eines anderen ausgehe –, sondern ganz ohne Vorurteile, als unbeschriebenes Blatt."
Das bedeutet nicht, vermeiden zu müssen, was der Buddha zu sagen hatte, oder Trungpa, den ich gerade erwähnt habe, oder andere. Aber es lohnt sich ihre Fragen kennenzulernen, nicht ihre Antworten. Wenn du an ihren Antworten festhältst, wirst du nicht das tun, was sie selbst getan haben, nämlich die Erklärungen anderer Menschen gänzlich loszulassen. Ohne dieses Loslassen bleibt man für immer ein Anhänger oder Nachahmer – lediglich ein Schüler, hypnotisiert durch den Glauben an gehörte Worte und an wie diese gehört wurden.
In der Geschichte des Buddha (der natürlich kein Buddhist war) geht es nicht darum, an irgendetwas zu glauben, sondern um die totale Loslösung von Dogmen und Unterstützungen jeglicher Art zugunsten einer radikalen, unbelasteten Suche im eigenen Geist – als unbeschriebenes Blatt.
F2: Robert, könntest du bitte ein wenig mehr darüber sagen, was du mit "Ich praktiziere unaufhörlich weiter" meinst?
A: Nun, ich habe das Wort "Praxis" als Antwort auf eine Frage verwendet. In Wirklichkeit habe ich außer einer freimütigen Offenheit für jeden Moment keine Praxis. Ich wollte darauf hinweisen, dass ich nicht vergessen kann – auch wenn ich es versuchen würde – , dass ich nicht nur die Welt unvermeidlich aus einem Blickwinkel sehe, sondern dass das sogenannte "Ich" sonst nichts ist als ein Blickwinkel, der in diesem Moment einzigartig für "mich" ist. Das ist es, was "ich" ist – ein Blickwinkel. Ohne Blickwinkel gibt es keinen "Robert". Und dein "Ich" besteht aus einem anderen Blickwinkel, ohne den es kein "Du" gibt. Keiner von uns sieht die Welt so, wie sie tatsächlich ist.
Des Weiteren sieht nicht nur keiner von uns die Welt, wie sie tatsächlich ist, es hat vielmehr keiner von uns auch nur die geringste Ahnung davon, was "die Welt so zu sehen, wie sie tatsächlich ist" überhaupt bedeuten würde. Die Erfahrung, wie es wäre oder sich anfühlen würde, "die Welt so zu sehen, wie sie tatsächlich ist", ist buchstäblich unvorstellbar. Wie der Biologe J.B.S. Haldane sagte: "Mein eigener Verdacht ist, dass das Universum nicht nur seltsamer ist, als wir annehmen, sondern seltsamer, als wir überhaupt annehmen können". Ich beabsichtigte eben diese Seltsamkeit zu evozieren, als ich Barnaby Barratts Ausspruch zitierte, dass "das geäußerte 'Ich' nie genau das denkt, was es denkt zu denken, und nie nur einfach das ist, was es zu sein denkt".
Die Verwendung des Wortes "ich" scheint unvermeidlich. Beachte trotzdem, dass sich das Wort "ich" überhaupt nicht auf etwas Festes bezieht, sondern auf einen Fluss, der sich jeder Beschreibung entzieht und nie festgemacht oder dazu gebracht werden kann, sich auf die eine oder andere Weise zu verhalten.
Inmitten dieses Flusses enthält jeder Moment etwas, das gesehen, gefühlt oder gedacht werden kann, doch dieses "Etwas" ist nie einfach das, was wir über es denken und schon gar nicht das, was wir uns vorstellen, dass es sei oder sein sollte. Wenn man zu dieser Tatsache erwacht, wird man leben, ohne tatsächlich zu wissen, was irgendetwas "wirklich" ist, ohne zu erwarten, es zu wissen und ohne die Notwendigkeit jede scheinbare Sinnlosigkeit und Leere mit spirituellen Überzeugungen befüllen zu müssen. Wenn dir das Wort "Praxis" gefällt, dann ist es das, was es für mich bedeutet.
F3: Aber, Robert, es gibt viele Geschichten von Menschen, die zu einem tatsächlichen Wissen gekommen sind, nicht durch Logik oder jedenfalls nicht durch Logik allein, sondern durch innere Erfahrung. Die Hindus nennen sie Jnanis, was soviel bedeutet wie "Wissende". Was hältst du von denen?
A: Das Verb "wissen" kann so vieles bedeuten. Das ist Teil unserer Konversation hier. Es ist klar, dass die Bedeutung dieses Wortes davon abhängt, wo man die Grenzen und die Gültigkeit des "Wissens" absteckt. Ich habe mich mit Leuten unterhalten, die sich Jnanis nennen und einiges über ihr Wissen gehört von dem sie ohne jeden Zweifel überzeugt zu sein scheinen. Ich habe einige Berichte über Nisargadatta gelesen, dem hochgeschätzten Jnani aus dem 20. Jahrhundert. Aus meiner Sicht ist diese Art von Wissen dem ähnlich, was die Bibel als das Erkennen einer Frau bezeichnet, also Sex mit ihr zu haben.
OK, du hast die Nacht mit ihr verbracht und du nennst es "sie kennenlernen". Du weißt, was du erlebt hast, aber du kennst diese Frau nicht und das wirst du auch niemals tun. Du hast keine Möglichkeit, sie zu kennen. Du kennst dich und das ist das Limit. Du kennst deine Eindrücke dieser Frau – deine Bilder von ihr –, nicht ihre "Wahrheit".
Auf dieselbe Weise kennst du, trotz aller Ansprüche an Jnana, das "höchste Wesen" nicht und weißt auch nicht ob sich die Worte "höchstes Wesen" auf irgendetwas anderes als auf ein kulturelles Schlamassel beziehen, mit dem du vor dem Alter der Vernunft indoktriniert wurdest und das du jetzt auf das projizierst, was du "die Welt" nennst. Das ist natürlich mein Standpunkt. Ich verstehe, dass du deinen eigenen hast.
Du sagst, dass Gewahrsein oder Bewusstsein den menschlichen Körper und alles andere erzeugt. Du sagst es, aber du weißt es nicht. Du bist vielleicht davon überzeugt. Doch überzeugt zu sein ist nicht dasselbe wie wissen, nicht auf meinem Radar. So wie ich wissen definiere, könnte Bewusstsein – soweit du weißt – auch gar nicht außerhalb von Körper und Gehirn existieren können und insofern ein Epiphänomen sein – sozusagen ein Nebeneffekt eines entwickelten Nervensystems. Das ist kein Materialismus oder Reduktionismus. Ich behaupte nicht, dass Gehirne Bewusstsein verursachen oder produzieren. Weit gefehlt. Ich weiß es einfach nicht. Doch wenn es so wäre, wenn das Bewusstsein nicht der Schöpfer des Nervensystems und von allem anderen wäre, sondern ein Epiphänomen – eine Begleiterscheinung – genügend entwickelter Nervensysteme (oder sogar nicht-biologischer Informationssysteme von erforderlicher Komplexität), könnte die Welt so erscheinen, wie sie es jetzt tut und ihr Jnanis hättet keine Möglichkeit, den Unterschied zu erkennen.
Deshalb sage ich, dass die Betrachtung eines Mannes oder einer Frau als "realisierte Wesen" reines Blabla ist, ein totaler Abtörner. Sag mir zuerst mal, wovon die großen "Heiligen" nichts wissen.
Ich werde häufig gefragt, warum ich sage, dass spirituelle Lehre meistens ein Ego-Trip, eine Art Goldesel oder beides ist. Damit will ich nicht die gewöhnliche Weisheit herabsetzen, wie sie einem Menschen, der bereit ist, sie zu hören, vermittelt werden kann. Die kann ein Geschenk sein. Wenn ich Ego-Trip oder Goldesel sage, beziehe ich mich auf die Art der Lehre, die behauptet, eine großgeschriebene WAHRHEIT zu lehren – die "Wahrheit" über absolute Angelegenheiten, über "Gott", darüber, was "ich" ist, darüber, was Bewusstsein ist, oder darüber, was nach dem Tod passiert. Es gibt keine Weisheit in diesem Gerede, sage ich, denn es handelt sich um unbegründete Vermutungen, die angetrieben werden durch psychologische Bedürfnisse, Gewohnheiten und Stammesbräuche, nicht durch Beweise.
Von meiner Warte wirkt diese Art der "Lehre" schrecklich begrenzt, da sie den kulturell konditionierten menschlichen Geist direkt in den Mittelpunkt stellt und beispielsweise die Liebe, die eine menschliche Empfindung/Erfahrung ist (wir sagen ja nicht, dass eine Hausfliege die andere liebt), zur "Wahrheit" hochstilisiert.
Diese Anthropozentrik erinnert mich sehr an den Standpunkt des Altertums, wie an den von Ptolemäus, der, als er sich vorstellte, dass die Erde das Zentrum des Universums wäre, eine ganze komplexe Geschichte über die Bewegungen der Himmelskörper konstruierte, die eigentlich überhaupt keine Faktengrundlage hatte. Diese Geschichte, so falsch sie auch war, hielt sich über 1500 Jahre. Noch heute sind bestimmte Christen und andere Bibelgläubige verärgert über eine Kosmologie, die die Erde und den Menschen nicht in den Mittelpunkt des Universums stellt.
Ein Mensch, sage ich, ist der Mittelpunkt von nichts anderem als seinem eigenen Blickwinkel. Menschen verbringen ihr gesamtes Leben damit, sich gegenseitig zu gratulieren, eine ultimative, übergreifende "Wahrheit" erblickt zu haben. Das ist das Paradies der Narren. Man kann vernünftig über Altruismus, Selbstaufopferung, Liebe, Mitgefühl und dergleichen als menschliche Erfahrungen sprechen, doch wenn es tatsächlich eine übergreifende "Wahrheit" gibt, kann sie sicherlich nicht nur aus dem bestehen, was scheinbar aus menschlicher Sicht existiert, noch können wir erwarten, dass sie dem menschlichen Verständnis zugänglich ist.
Wir Menschen sehen nur den winzigsten Teil des Universums, der Großteil bleibt für uns unsichtbar. Wie egoistisch, eingebildet, selbstgefällig und selbstzufrieden es da wirkt, von WAHRHEIT in Großbuchstaben zu sprechen. Wenn ich so reden würde, würde ich mir danach den Mund mit Seife ausspülen wollen.