Books on Demand GmbH, Norderstedt

ISBN: 9783750483750

Copyright © 2019 Helmut Zell

Alle Rechte vorbehalten.

Dieses Buch basiert auf dem Buch des Autors, das 2004 beiVerlag Dr. Müller in Düsseldorf unter dem Titel „So steigern Sie ihre Aufmerksamkeit und Ihr Konzentrationsvermögen. Grundlagen – Strategien – Übungen“erschienen ist. Es wurde für die jetzige Ausgabe grundlegend überarbeitet und aktualisiert.

Inhalt
  1. Aufmerksamkeit und Konzentration. Herausforderungen im Alltag und Beruf
  2. Aufmerksamkeit und Konzentration in der Theorie
  3. Wir konstruieren uns unsere Welt – mit Aufmerksamkeit
  4. Die Quellen der Aufmerksamkeit: Sinne – Körper – Gedächtnis
  5. Die 5 Funktionen der Aufmerksamkeit
  6. Aufmerksamkeitsstörungen
  7. 7 Ansätze zur Verbesserung Ihrer Aufmerksamkeit und Konzentration
    1. Aufmerksamkeit und Konzentration üben
    2. Entspannungsübungen
    3. Meditation
    4. Arbeitstechniken einsetzen
    5. Psychische Probleme reduzieren
    6. Körperliche Leistungsfähigkeit steigern
    7. Lebensumstände ändern
  8. So machen Sie Ihr Projekt zu Verbesserung Ihrer Aufmerksamkeit
  9. Literatur und Links
Wie Sie dieses Buch mit Gewinn lesen

Dieses Buch ist für Menschen geschrieben, die Probleme mit ihrer persönlichen Aufmerksamkeit und Konzentration haben. Ich habe mich bemüht, das Phänomen der individuellen Aufmerksamkeit von den verschiedensten Seiten umfassend zu beleuchten. Dabei stellt Konzentration nur einen, wenn auch einen besonders wichtigen Operationsmodus der Aufmerksamkeit dar.

Wir werden in den theoretisch orientierten Kapiteln 2 bis 5 die Phänomene und Begriffe Bewusstsein und Aufmerksamkeit von wissenschaftlich-theoretischer Seite betrachten, und zwar sowohl aus psychologischer als auch aus gehirnbiologischer Sicht. Mir scheint es wichtig, dass Sie als Leser diese Hintergründe kennen. Allerdings müssen Sie diesen Theorieteil nicht unbedingt lesen, um die Ausführungen der praxisorientierten Kapitel 6 bis 8 zu verstehen.

Dort ist Ihre Aktivität gefragt. Das heißt, Sie werden einen umso größeren Nutzen von diesen Seiten haben, je aktiver Sie sich mit dem Stoff auseinandersetzen. Lesen allein genügt nicht. Ein tieferes Verständnis werden Sie nur dann entwickeln können, wenn Sie anhand der gestellten Fragen ihr Verständnis reflektieren und die vorgeschlagenen Übungen machen. Theorie und Praxis gehen Hand in Hand. Ein zentrales methodisches Element des Buches ist die Rückkopplung. Verzichten Sie nicht auf die Feedbacks, die Sie durch die zahlreichen Selbst-Tests bekommen können. Prüfen Sie auch, ob und wie Sie die vorgestellten Praxistipps für Ihr Leben anwenden können. Ihr Gewinn durch das Buch wird umso größer sein, je intensiver Sie die Übungen machen. Am Ende sollen Sie anhand der vorgestellten Veränderungsmöglichkeiten und Übungen Ihr eigenes Projekt zur Verbesserung Ihres Aufmerksamkeitsverhaltens und Ihres Konzentrationsvermögens konzipieren – und natürlich auch durchführen. Dabei ist es nicht notwendig, sich allzu eng an die Vorschläge zu halten. Ihre Persönlichkeit und Ihre besonderen Bedingungen erfordern möglicherweise Variationen und Modifikationen. Wenn Sie das Buch gemeinsam mit Ihrem Partner bzw. Partnerin durcharbeiten, haben Sie den großen Vorteil, dass Sie sich über Erfahrungen und Beobachtungen austauschen können, eine Selbsterfahrung für beide und ein Gewinn für die Partnerschaft.

1. Aufmerksamkeit und Konzentration. Herausforderungen im Alltag und Beruf

Konzentrationsschwierigkeiten und ihre Folgen

Abbildung 1-1. Störungen und ihre Überwindung

Fällt es Ihnen manchmal schwer, sich auf eine Aufgabe beruflicher oder privater Art zu konzentrieren? Leiden Sie unter Ihrer Unkonzentriertheit? Sind Sie fahrig, nervös, lassen sich von Kleinigkeiten ablenken? Entfalten Sie oft hektische Betriebsamkeit – und kommen mit Ihrer Arbeit und mit Ihrem Lernen doch nicht recht voran? Und im Privatleben, wo Ruhe und Entspannung sein könnten: Auch hier Unruhe, Hektik und nervende Kleinigkeiten?

Konzentrationsstörung: Stellen Sie sich vor, Sie sitzen vor Ihrem Fernsehapparat und wollen die Tageschau sehen. Doch heute ist der Apparat etwas unruhig: Erst sehen Sie die ARD, dann wird zu einem anderen Programm gewechselt, dann wird wieder zur ARD zurück geschaltet. Sie sehen eine kurze Sequenz der Nachrichten, dann kommt ein Privatsender mit seiner Werbeeinblendung, ab und zu wackelt das Bild. Und noch dazu verändert es seinen Kontrast, wird scharf, dann wieder verschwommen. Glauben Sie, Sie können in dieser Weise die Nachrichten der Tagesschau verfolgen? Vermutlich nicht. Deshalb werden Sie den Fernsehtechniker anrufen oder Sie werden schon in den nächsten Tagen aus dem Elektrohandel einen neuen Apparat holen.

Was hat dies alles mit Konzentration zu tun? Die Analogie besteht darin, dass wir unser Bewusstsein als einen Bildschirm verstehen können, auf dem visuelle, akustische Eindrücke oder Erinnerungen und Zukunftspläne abgebildet werden. Wenn auf diesem Bildschirm die Inhalte unkontrolliert wechseln, das Bild unscharf wird, die Farbe sich ändert, usw. – wie können wir dann arbeiten, lernen oder uns entspannen?

Arbeitsstörungen

Globalisierung und verschärfter Wettbewerb führen in den Büros und Fabriken zu hohem Leistungsdruck und enormer Arbeitsbelastung. Die Beschäftigten, vom Manager bis zum Arbeiter in der Produktion, müssen in der Lage sein, sich über lange Zeit zu konzentrieren und die geforderte Leistung erbringen, ohne „burnout“ zu erleiden. Gleichzeitig steigt außerhalb der Fabriken und Büros die Reizüberflutung. Werbeabteilungen der Unternehmen, Politiker, Fernsehen und Radio versuchen mit immer neuen Reizen unsere Aufmerksamkeit zu erregen und zu fesseln. Jeder ist mit einer verwirrenden Vielfalt an Eindrücken konfrontiert, die es immer schwieriger machen, die eigene Energie und Aufmerksamkeit für die Aufgaben und Dinge einzusetzen, die ihm wirklich wichtig sind. Mangelnde Konzentrationsfähigkeit führt zu Stress, was die ganze Problematik nur weiter verschlimmert. Und häufig müssen wir wieder und wieder die gleichen Aufgaben erledigen. Diese Routine kann unsere Aufmerksamkeit nicht mehr fesseln und Langweile und Unaufmerksamkeit stellen sich ein.

Lernschwierigkeiten

Unsere Lehrer klagen darüber, dass sich Kinder nicht mehr konzentrieren können. Übersteigen diese Symptome ein gewisses Maß und treten sie zusammen mit Hyperaktivität auf, werden sie von Psychologen und Medizinern als Aufmerksamkeits-Defizit- und Hyperaktivitäts-Störung (ADHS) diagnostiziert. Für Lehrer und Eltern ein großes Problem, dem therapeutisch sowohl mit Psychotherapie als auch mit Medikamenten begegnet wird. Doch auch unterhalb dieser als krankhaft diagnostizierten Aufmerksamkeitsstörungen haben viele Schüler, Studierende und Erwachsene in Fort- und Weiterbildungskursen Schwierigkeiten, ihre Aufmerksamkeit beim Lernstoff zu halten.

Schwierigkeiten mit Menschen

Wer unaufmerksam ist, wird Schwierigkeiten im sozialen Umgang bekommen. Gelingende Kommunikation setzt voraus, dem Gegenüber über längere Zeit zuhören, seine Körpersignale wahrnehmen und die Gedanken auf das Gespräch konzentrieren zu können. Eine zerstreute, durch innere Dialoge abgelenkte Aufmerksamkeit erschwert die Verständigung mit anderen. Menschen ziehen sich von jemandem zurück, bei dem sie das Gefühl haben, nicht wahrgenommen und nicht verstanden zu werden.

Gedächtnisprobleme

Viele Menschen leiden unter einem schlechten Gedächtnis, vergessen Namen, Termine und Erlerntes. Deutlich wird dies schon allein an der großen Zahl der angebotenen Gedächtnistrainingskurse. Die dort vermittelten Memorierungstechniken werden jedoch denen nicht helfen, die Informationen nicht oder nur oberflächlich wahrnehmen, weil sie unaufmerksam sind und sie aus diesem Grund nicht richtig in ihren Erinnerungsspeicher aufnehmen. Da Dinge mit einer gewissen Intensität wahrgenommen werden müssen, um später wieder erinnert werden zu können, sind also Aufmerksamkeit und Konzentration auch eine zentrale Voraussetzung für ein gutes Gedächtnis.

Schlafstörungen

Viele Menschen klagen über Schlafstörungen. Deshalb finden die Schlaftabletten, Beruhigungs- und Schlaftees der Apotheken und Drogerien einen großen und steigenden Absatz. Nach der Hektik des Tages mit all den Alltagssorgen gelingt es vielen Menschen nicht, einzuschlafen oder die ganze Nacht ungestört durchzuschlafen. Die Aufmerksamkeit bleibt wach, Probleme und Pläne kreisen im Kopf, der Körper kommt nicht zur Ruhe und der Schlaf stellt sich nicht ein. Besser mit der eigenen Aufmerksamkeit umgehen zu können, wäre für Menschen mit dieser Schwierigkeit hilfreich.

Nervosität

Viele Menschen klagen über Nervosität. Selbst Menschen, die ihren Mitmenschen ein Bild der Ruhe und Gelassenheit vermitteln, klagen über innere Unruhe und mangelnde Konzentrationsfähigkeit.

Stress

Stress stellt heute ein Problem dar, mit dem viele Menschen zu tun haben. Gerade in Zeiten der wirtschaftlichen Krise fühlen sich immer mehr Menschen von Stress geplagt: Für die einen an ihren Arbeitsplätzen in den Büros und Fabrikhallen, wo der sich verstärkende Wettbewerb zu starkem Arbeitsdruck für die Mitarbeiter führt. Die andern, nämlich die vielen Millionen Arbeitslose, sind einer anderen Art von Stress ausgesetzt: Die Sorge um die eigene wirtschaftliche Zukunft und die ihrer Familien – das sind existenzielle Dinge, die zwangsläufig mit Stresssymptomen einhergehen. Stress führt zu einer flackernden nervösen Aufmerksamkeit.

Erschöpfung

Der Begriff des Burn-out-Syndroms geistert seit Jahren durch die Medien. Gemeint sind damit chronisch anhaltende Erschöpfungszustände, meist hervorgerufen durch berufliche Überlastungen. In doppelter Hinsicht ist dieses Syndrom mit unserem Thema der Aufmerksamkeit verknüpft: Einerseits kann man sich in einem erschöpften Zustand kaum oder gar nicht konzentrieren. Zum andern kann einem gerade eine mangelnde Konzentrationsfähigkeit das Leben schwer machen und so eine Erschöpfung verursachen oder zumindest fördern.

Vorteile besserer Aufmerksamkeit und Konzentration

Maybrit Illner, eine der bekanntesten und erfolgreichsten deutschen TV-Moderatorinnen, antwortete in einem Interview auf die Frage, was sie selbst an sich schätzt, mit: „Meine Konzentration und Aufmerksamkeit“.1

Ein gutes Konzentrationsvermögen haben Sie dann, wenn Sie sich über lange Zeit auf die Arbeit oder Lernaufgaben konzentrieren können. Störende Eindrücke in Form von Geräuschen, körperlichen Empfindungen und visuellen Ablenkungen blenden Sie aus. In einem konzentrierten Zustand werden Sie die Eindrücke Ihrer Umwelt intensiv und klar wahrnehmen. Ihre Arbeit macht Ihnen keine Mühe und Sie erreichen gute Ergebnisse in kurzer Zeit. „Konzentrierte Arbeit – das gilt für die geistige ebenso wie für die körperliche Arbeit – erfolgt im Wesentlichen selbstvergessen.“2 Ein gutes Konzentrationsvermögen hat den Vorteil, dass Sie zügig den Einstieg in die Arbeit finden und Ihre ganze Energie über lange Zeit darauf richten können.

Konzentration verlangsamt die Zeitwahrnehmung. Man meint, mehr Zeit zu haben. Wenn durch die intensive Konzentration der Subjekt-Objekt-Unterschied verschwindet, geht die Arbeit leicht von der Hand. Keine störenden Gedanken aus dem Gedächtnis hemmen den Arbeitsablauf. Die Arbeit fließt – ohne Angst, ohne Besorgnis, ohne Zögern und ohne nervöse körperliche Anspannung. Auch konzentriertes Arbeiten und Lernen verbraucht Energie. Nach konzentrierter Arbeit werden Sie müde sein, aber nicht nervös-müde, sondern entspannt-müde, zumal wenn Sie mit Ihrem Arbeitsergebnis zufrieden sein können. Die Fähigkeit, Ihre Aufmerksamkeit steuern zu können, ermöglicht Ihnen, sich zu entspannen und neue Energie zu tanken.

Können wir Aufmerksamkeit und Konzentration lernen?

Nachdem wir die Folgen von Aufmerksamkeits- und Konzentrationsstörungen dargestellt haben, stellt sich die Frage, ob man eine bessere Aufmerksamkeit und ein besseres Konzentrationsvermögen überhaupt lernen kann? Und wenn ja, wie?

Einen konzentrierten Zustand allein durch einen bloßen Willensentscheid herstellen zu wollen, ist schwierig. Daher ist die während der Schulzeit oft gehörte Aufforderung „Jetzt konzentriere dich doch endlich!“ meist vergeblich. Bemühen und bewusste Selbstaufforderung kann zwar manchmal helfen, oft aber halt nicht.

Rolling Thunder, ein nordamerikanischer Schamane, sagt dazu: „Mir scheint, dass die Chance, unseres eigenen Ichs und unserer persönlichen Bestimmung bewusster zu werden, bei guter Gesundheit zu bleiben und unsere Bestimmung zu verwirklichen, weitaus größer wäre, wenn wir wüssten, wie psychische und physische Zustände bewusst und selbstständig zu steuern sind.“3

In manchen Situationen dämmert uns, dass wir ganz spezifische eigene Bewertungs- und Aufmerksamkeitsmuster verinnerlicht haben. Dann ahnen wir die Begrenztheit unserer Wahrnehmung und uns kommt der Verdacht, dass da etwas ist, das wir nicht oder nicht vollständig sehen. Blinde Flecken. Denn das, was wir wahrnehmen, ist abhängig davon, wie wir wahrnehmen. „Anders wahrnehmen bedeutet Anderes wahrnehmen“.4 Wenn wir in unserem beruflichen und privaten Leben Schwierigkeiten mit unserer Aufmerksamkeit und unserer Konzentration haben, entsteht der Wunsch, uns besser konzentrieren zu können und unsere Aufmerksamkeit besser steuern zu können. Doch dazu müssen wir unsere tief verinnerlichten Wahrnehmungsmuster ändern und um neue Fähigkeiten erweitern.

Können wir das denn überhaupt? Wir begegnen zwei sich widersprechenden Antworten. Buckingham und Clifton etwa vertreten in ihrem Buch „Entdecken Sie Ihre Stärken“ sehr entschieden die These, dass das Individuum in seiner Grundstruktur unveränderlich ist. Mit den Ergebnissen ihrer umfangreichen empirischen Erhebungen untermauern sie ihre These, dass es Menschentypen mit ganz spezifischen Begabungen gibt. Diese Begabungen seien jedoch weitgehend unveränderlich. Doch diese Menschentypen seien nicht besser oder schlechter, nur anders. Alle würden benötigt. „Ihre Signatur-Talente sind jene, in denen Sie führend sind. Situationsunabhängig filtern sie Ihre Welt, zwingen Sie, sich auf gewisse, immer wiederkehrende Weise zu verhalten.“5 Aus der Unveränderlichkeit der Talente entwickeln Buckingham und Clifton die logische Empfehlung: Suche dir, in dieser so vielfältigen Welt, den Platz, der dir die Aufgaben stellt, die deinem Begabungsmuster entsprechen, und werde glücklich und erfolgreich. Die Autoren sprechen sich entschieden dagegen aus, dass Menschen versuchen sollten, ihre persönlichen Begabungsprofile etwa durch Trainingsmaßnahmen zu ändern. Solche Bemühungen seien nicht nur völlig nutzlos, sondern sogar kontraproduktiv.

Aber nichts spricht dagegen, diese Möglichkeit zu nutzen, also uns in dieser Welt den Platz zu suchen, der von seinen Anforderungen her unserem persönlichen Begabungs- und Aufmerksamkeitsprofil weitestgehend entspricht.

Doch nun zur anderen Möglichkeit, nämlich dem Weg der individuellen Veränderung und der persönlichen Evolution. So ganz neu ist dies nicht, denn weise Männer und Frauen, sowohl im Abend- als auch im Morgenland, haben schon immer auf diesen Weg hingewiesen. „Die alten Meister und Seelenführer wollten, dass die Menschen ihre Blockaden und Vorurteile, beziehungsweise ihre Art der Wahrnehmung erkennen, d.h. ihre Angewohnheit, das Leben aus einem erstarrten Blickwinkel zu betrachten und zu gestalten. (...) Es geht darum, diese Leidenschaften zu überwinden und zu lernen, die größere Wirklichkeit gewissermaßen objektiv wahrzunehmen.“6 Die Welt, so wie sie uns erscheint, ist ja nur das Ergebnis unserer ganz spezifisch eigenen Sichtweise. Somit kann uns eine Veränderung der Wahrnehmungsmuster eine neue Sicht auf die Welt erschließen.

Für einen Erwachsenen ist es zwar schwierig, seine Persönlichkeit zu ändern, jedoch nicht unmöglich. Csikszentmihalyi (sprich: Tschick Sent Mihaji) beschreibt den Veränderungsbedarf so: „Wer seine Persönlichkeit verändern will, muss lernen, seine Aufmerksamkeit in neue Bahnen zu lenken. Er muss lernen, andere Dinge wahrzunehmen und sie anders wahrzunehmen.“7 Der Weg zu persönlicher Veränderung, so auch das Verändern von Aufmerksamkeits- und Konzentrationsmustern, führt über das Lernen. Dabei geht es nicht um einen Wissenszuwachs über abstrakte Inhalte, sondern darum, durch aktive Lernübungen eingefahrene Verhaltensmuster zu ändern. Die meisten Evolutionstheoretiker gehen von einem vertikalen Stufenschema aus, wobei der Übergang von einer Stufe zur anderen durch Lernen erfolgt. Im psychologischen Bereich findet sich ein solches Stufenschema bei Piaget, der dieses für die kognitive Entwicklung von Kindern und für die menschliche Ontogenese nachweist, oder für die moralisch-ethische Entwicklung bei Lawrence Kohlberg. In der Motivationstheorie begegnet uns die Bedürfnispyramide nach Maslow, die von der ersten Stufe der Grundbedürfnisse bis zur fünften Stufe der Selbstverwirklichung reicht.8 Ein Stufenschema begegnet uns auch bei Jürgen Habermas, der aufbauend auf Kohlberg eine Theorie der siebenstufigen Moralentwicklung von Gesellschaften formuliert. Neuere Autoren, die diese Vorarbeiten weiter entwickeln, sind beispielsweise Ken Wilber, Robert Kegan und Jochen Röpke. Charakteristisch für jedes Stufenschema ist die Annahme, dass sich Entwicklung nicht kontinuierlich vollzieht, sondern in klar von einander abgegrenzten und aufeinander aufbauenden Stufen. Wir werden auf dieses Stufenkonzept zurückkommen, wenn wir Aufmerksamkeitslernen behandeln.


1 General-Anzeiger vom 9. Mai 2003 zur 150sten Folge ihrer Sendung.

2 Negt, Oskar / Kluge, Alexander: Geschichte und Eigensinn, Frankfurt a.M. 1981, S. 134

3 Boyd, Doug: Rolling Thunder, 1981, S. 49f.

4 Röpke, Jochen: Der lernende Unternehmer, Marburg 2002, S. 14

5 Buckingham, Marcus / Clifton, Donald, O.: Entdecken Sie Ihre Stärken Jetzt. Das Gallup-Prinzip für individuelle Entwicklung und erfolgreiche Führung. Frankfurt 2002 S. 151.

6 Rohr, Richard / Ebert, Andreas: Das Enneagramm. 1993, S. 24

7 Csikszentmihalyi, Mihaly, Kreativität, 1997, S. 511

8 Maslow, Abraham, H.: Motivation und Persönlichkeit, Rowohlt Taschenbuch Verlag, Reinbek bei Hamburg, 1981 (Original 1954)

2. Aufmerksamkeit und Konzentration in der Theorie

Was ist Aufmerksamkeit?

Aufmerksamkeit wird in vielen Disziplinen angesprochen. Beispielsweise in der Neurobiologie von Gerhard Roth, von Glasersfeld und Maturana im Konstruktivismus, bei Broadbent und Bateson in der Psychologie, in der Gestalttheorie und im Buddhismus und Zen. Auffallend ist die sich gegenwärtig vollziehende Konversion zwischen fernöstlichen Philosophien und moderner Wissenschaft.

"Ob in der Religion, der Politik, der Werbung oder der asiatischen Kampfkunst – überall versucht man, sich die Kraft der Aufmerksamkeit zunutze zu machen." Erving Polster9

Obwohl um die Aufmerksamkeit der Menschen mit allen Techniken und Tricks geworben wird, wird sie selbst nur selten zum Gegenstand der Betrachtung gemacht. Dies erscheint auf den ersten Blick merkwürdig. Es mag damit zu tun haben, dass Aufmerksamkeit ein sehr eigenartiges Phänomen ist, das sich einer klaren Beschreibung entzieht. Je mehr man über sie nachdenkt, umso verschwommener wird sie.10

Eines Tages sagte ein Mann aus dem Volk zu Zen-Meister Ikkyu:Meister, wollt Ihr mir bitte einige Grundregeln der höchsten Weisheit aufschreiben?Ikkyu griff sofort zum Pinsel und schrieb:Aufmerksamkeit“. „Ist das alles?fragte der Mann,wollt Ihr nicht noch etwas hinzufügen?Ikkyu schrieb daraufhin zweimal hintereinander:Aufmerksamkeit. Aufmerksamkeit“. „Nun, meinte der Mann ziemlich gereizt,Ich sehe wirklich nicht viel Tiefes oder Geistreiches in dem, was Ihr gerade geschrieben habt“. Daraufhin schrieb Ikkyu das gleiche Wort dreimal hintereinander:Aufmerksamkeit, Aufmerksamkeit, Aufmerksamkeit. Halb verärgert begehrte der Mann zu wissen:Was bedeutet dieses WortAufmerksamkeitüberhaupt?Und Ikkyu antwortete sanft:Aufmerksamkeit bedeutet Aufmerksamkeit.11

Diese Aussage des Zen-Meisters mag vielleicht seinen Besucher zur Erleuchtung geführt haben, uns Westlern, die wir rationale Erklärungen zum Verstehen brauchen, hilft diese Aussage aber wenig.

Die beiden Begriffe Aufmerksamkeit und Bewusstsein entziehen sich der üblichen wissenschaftlichen Analyse. Das wird umso klarer, je länger man sich mit der Thematik beschäftigt. Man steht dann plötzlich vor einem Berg philosophischer Grundsatzfragen, die zwar über Jahrhunderte in der abend- und morgenländischen Philosophie diskutiert, aber nie schlüssig und – vor allem – für uns Nicht-Philosophen nicht verständlich beantwortet wurden. Man bekommt dann irgendwann auch Zweifel am praktischen Nutzen der Philosophie, der Psychologie und der Wissenschaftstheorie. Offenbar ist es nicht damit getan, in einem philosophischen oder psychologischen Lehrbuch eine der gängigen Definitionen für Bewusstsein und Aufmerksamkeit nachzulesen. Und es entsteht die Einsicht, dass es sich bei diesen Begriffen um etwas zutiefst Subjektives handelt, über das man sich mit anderen zwar austauschen kann, aber dass doch jeder seine eigene Vorstellung für dieses Phänomen finden muss. Die nachfolgenden Seiten möchten Sie dazu anzuregen, dieses Verständnis für sich zu finden. Versuchen wir es gemeinsam mit einer Analogie:

Da ist eine kleine Person, die in ihrem Stübchen rumkramt. Geschäftig läuft sie im Zimmer rum, schaut mal da nach, dann dort. Dann läuft sie wieder zum Fenster, schaut hinaus, sieht etwas. Sie springt wieder zurück zu den Regalen, kramt zwischen den Brettern, beginnt in den Büchern zu blättern, läuft wieder zum Fenster, ruft etwas hinaus. Zurück wieder ins halbdunkle Zimmer, öffnet sie vermoderte Kisten, kramt in staubigen Gegenständen, manche schon sehr zerfallen, kaum erkennbar. Jetzt geht sie wieder zum Fenster, reicht etwas raus, bekommt etwas zurück. Dieses verstaut sie in einer anderen Kiste. Manchmal kramt sie sehr lange in ihren Kisten. Besinnung nennt sie es. Dann versucht sie Ordnung zu schaffen im Zimmer, sortiert um. Packt die Kisten neu. Dabei wirbelt sie viel Staub auf. Mal hält sie sich für lange Zeit am Fenster auf, gibt Zeichen nach draußen, spricht, nimmt Dinge herein, reicht anderes hinaus. Die kleine Person stellt die Aufmerksamkeit dar. Das Fenster sind die Sinne, die Regale mit den Büchern repräsentieren das Gedächtnis.

Bewusstsein und Wahrnehmung

Wie der Begriff Aufmerksamkeit lässt sich der Begriff Bewusstsein im allgemeinen Sprachgebrauch meist unproblematisch verwenden. Schwierig wird es erst, wenn man versucht, den Inhalt des Begriffs Bewusstsein präzise zu bestimmen.

Marvin Minsky, Professor am Massachusetts Institute of Technology (MIT) und einer der Wegbereiter der Kognitionspsychologie und der Künstlichen Intelligenz, bemerkt dazu: „Etwas Seltsames liegt in der Beschreibung des Bewusstseins: Was immer der Mensch ausdrücken will, er scheint es einfach nicht klar sagen zu können. Es ist nicht so, als wären wir verwirrt oder unwissend. Vielmehr kommt es uns so vor, als wüssten wir genau, was geschieht, könnten es aber nicht richtig beschreiben. Wie kann etwas nur so nahe scheinen und doch immer jenseits unserer Reichweite bleiben?“ (Minsky, Marvin: Mentopolis)

Bewusstsein ist immer auf etwas gerichtet. Bewusstsein als solches können wir nicht erreichen. Immer ist es mit Objekten verknüpft – mit Gegenständen und Ereignissen der Umwelt oder mit Elementen der inneren Welt. Bewusstsein hat immer etwas ‚im Sinn’. Es gibt also kein Bewusstsein als solches, sondern nur Bewusstsein von etwas.

Der Gehirnbiologe Gerhard Roth unterscheidet Aktual- und Hintergrundbewusstsein und ordnet ihnen folgende Elemente zu:12

Aktualbewusstsein Hintergrundbewusstsein
Sinneswahrnehmung von Vorgängen aus der Umwelt und des Körpers Psychische Identität und Kontinuität
Meinigkeit des eigenen Körpers
Mentale Zustände wie Denken, Vorstellen und Erinnern
Emotionen, Affekte, Bedürfnisse
Autorenschaft und Kontrolle der eigenen Handlungen und mentalen Akte
Verortung des Selbst in Raum und Zeit
Unterscheidung zwischen Realität und Vorstellung

Doch wir fragen weiter: Wie ist denn der Zusammenhang zwischen Ich und Bewusstsein? Bin ich mein Bewusstsein? Oder ist das Bewusstsein nur ein Teil des Ichs? Oder ist gar das Ich nur ein Teil des Bewusstseins? Jemand sagt: „Im Mittelalter hatten die Menschen ein magisches Bewusstsein“. Gemeint ist, dass die Menschen an Geister und Zauber glaubten. Aber hier kommt ein ganz anderes Verständnis von Bewusstsein zum Ausdruck.

Zwei Grundkategorien lassen sich bei den vielen Definitionen jedoch unterscheiden: Zum einen Bewusstsein als Wahrnehmung, zum anderen Bewusstsein als Speicherinhalt.

Bewusstsein
Wahrnehmungsbewusstsein Speicherbewusstsein
Das, was uns im Moment
bewusst ist
Gedächtnisinhalte, die abgerufen
werden können

Wir werden im folgenden Bewusstsein im Sinne von Wahrnehmungsbewusstsein verstehen, also das, was uns zu einem Zeitpunkt bewusst ist, was wir wahrnehmen, was wir sehen, hören, denken, riechen oder erinnern.

Wahrnehmung = Bewusstsein

Vorstellen kann man sich das als die Bilder, die von einem Projektor auf eine weiße Leinwand geworfen werden. Die Inhalte können von innen aus dem Gedächtnis kommen, oder sie werden durch die Sinnesorgane von außen aufgenommen. Das Bewusstsein selbst ist bei dieser Deutung passiv.

Die Aufmerksamkeit steuert die Wahrnehmung und damit das Bewusstsein. Sie entscheidet, was an Reizen und unbewusster Wahrnehmung ins Bewusstsein geholt wird. Die Aufmerksamkeit steht damit zeitlich vor der Wahrnehmung. Insofern ist die Wahrnehmung von der Aufmerksamkeit abhängig.

Unbewusste Wahrnehmung – unbewusste Gedächtnisinhalte

Bei Sigmund Freud ist das Bewusstsein eine Instanz oder ein Teil der Persönlichkeit mit bestimmten Inhalten, und das Unbewusste ein anderer Teil der Persönlichkeit mit anderen Inhalten. Das Bewusstsein ist dem Individuum zugänglich, d. h. es kann auf diese Inhalte zugreifen. Sein Unbewusstes dagegen ist dem Menschen verborgen. Es enthält angstvolle oder schmerzhafte Erinnerungen, die durch einen Verdrängungsprozess dorthin weggesperrt worden sind.

Doch auch unbelastende Gedächtnisinhalte sind nicht immer ohne Weiteres zugänglich – zum Leidwesen vieler Schüler. „Wann war die Schlacht im Teutoburger Wald?“ „Wann war Cäsar Herrscher in Rom?“ Durch längeres Nachdenken lassen sich diese Inhalte wieder ins Bewusstsein holen – oder auch nicht. Nach dieser Vorstellung handelt es sich sowohl beim Bewusstsein als auch beim Unbewussten um eine Art Speicher.

Wir nehmen mehr wahr als uns bewusst wird. Wir sehen, hören, riechen und schmecken vieles, was wir gar nicht bemerken. Manchmal hat man das Gefühl, man hätte etwas Bestimmtes wahrgenommen, kann aber nicht genau sagen, was es denn war. Das war eine Wahrnehmung am Bewusstsein vorbei, eine unbewusste Wahrnehmung. Erst wenn die Aufmerksamkeit aus den vielen unbewussten Wahrnehmungen einzelne Inhalte herausfiltert und sie ins Bewusstsein bringt, nehmen wir sie wahr.

Auch Gefühle können unbewusst bleiben. Beispielsweise kann ein Schmerz unregistriert und somit unbewusst bleiben, wenn er eine gewisse Grenze nicht überschreitet und die Aufmerksamkeit gerade von einem anderen starken Reiz absorbiert ist. Das Unbewusste aber hat es doch bemerkt. Solche unterschwelligen Sinneswahrnehmungen spielen in unserem Alltagsleben eine wichtige Rolle.

Wir müssen also unterscheiden zwischen dem Unbewussten als Wahrnehmung und dem Unbewussten als Speicherinhalt. Damit kommen wir zu folgendem Schema:

Das Bewusste Das Unbewusste
Bewusstsein als
Speicher
Gedächtnisinhalte,
die abgerufen werden
können. Daran
können wir uns
erinnern.
Gedächtnisinhalte,
die nicht oder nur
schwer zugänglich
sind.
Bewusstsein als
Wahrnehmung
Wahrnehmungsbewusstsein
als das, was
uns im Moment
bewusst ist
Man nimmt mehr
unbewusst als
bewusst wahr. Die
Aufmerksamkeit
entscheidet, was ins
Bewusstsein geholt
wird.

Die Aufmerksamkeit steuert die Wahrnehmung

Soll unter dem Begriff Aufmerksamkeit ein Prozess oder ein Zustand verstanden werden? Selbst in der Fachliteratur werden beide Begriffsinhalte verwendet, mitunter innerhalb eines Aufsatzes. Um dieser Verwirrung zu entgehen, wollen wir unterscheiden:

Abbildung 2-1. Aufmerksamkeit als Prozess und als Ergebnis

Es ist die Aufmerksamkeit, die in einem zeitlich ablaufenden Prozess die Wahrnehmung steuert und die Eindrücke selektiert. Die Aufmerksamkeit bestimmt, ob jetzt eine Erinnerung oder ein äußerer Eindruck auf die Leinwand geholt wird, sie wählt zwischen angenehmen und unangenehmen Eindrücken. Man könnte vermuten, dass sie die angenehmen Dinge bevorzugt. Doch oft werden gerade unangenehme Dinge auf die Leinwand geholt. Aufmerksamkeit ändert die Richtung, stärkt oder schwächt die Eindrücke.

Unsere Wahrnehmung hat nur begrenzte Kapazität: Wir können nicht alles, was um uns und in uns vorgeht, wahrnehmen. Wir können allerdings im Zeitablauf ein Objekt nach dem anderen wahrnehmen. Die Begrenztheit unserer Aufmerksamkeit deutet schon darauf hin, dass Mechanismen für eine Ökonomisierung und Optimierung der Aufmerksamkeit notwendig sind. Diese Steuerungs- und Regelungsprozesse der Aufmerksamkeit laufen kontinuierlich, selbst im Traum. Sie bestimmt, was uns an Sinneseindrücken und an Erinnerungen bewusst wird, oder – um ein Bild zu verwenden – auf unserer inneren Leinwand abgebildet wird.

Doch wie erfolgt die Selektion? Nach welchen Kriterien werden die Objekte der Wahrnehmung gewählt und nach welchen Mechanismen erfolgt die Aufmerksamkeitssteuerung? Überwiegend arbeitet unsere Aufmerksamkeit automatisch. Diese Strukturmuster der Aufmerksamkeit bleiben uns meist unbewusst. Doch wir können unsere Aufmerksamkeit – in begrenztem Maße – bewusst und willentlich steuern.

Aufmerksamkeit = (bewusste und unbewusste) Steuerung der Wahrnehmung

Sie steht einen Sekundenbruchteil vor der Wahrnehmung und bestimmt, was wir von dieser Welt sehen – und was nicht. Sie bestimmt, was aus der Vielzahl der potenziell wahrnehmbaren Eindrücke ausgewählt und im Bewusstsein dargestellt wird. Die Aufmerksamkeit bestimmt die Wahrnehmung, nämlich „Was ich wahrnehme“.

Aufmerksamkeit und Wahrnehmung sind also unterschiedliche und wechselseitig voneinander abhängige Funktionen: Die Wahrnehmung bestimmt die Aufmerksamkeit in der Weise, dass der gegenwärtig wahrgenommene Inhalt wesentlich Einfluss darauf nimmt, welcher Inhalt als Nächstes von der Aufmerksamkeit selektiert wird; und die Aufmerksamkeit bestimmt, auf welches Objekt sie sich richtet, also was wahrgenommen wird, was Inhalt des Bewusstseins wird. Wir haben also einen zirkulären Prozess, wobei die Aufmerksamkeit der Wahrnehmung zeitlich um Sekundenbruchteile vorausgeht.

Aufmerksamkeitsmuster als Teil des prozessualen Gedächtnisses

Im deklarativen Gedächtnis sind Wissensinhalte gespeichert, wie „Wie heißt die Hauptstadt von Frankreich?“ oder „Wie groß ist der Abstand des Monds von der Erde?“ Deklarative Gedächtnisinhalte sind in der Weise immer unbewusst, als sie nicht im Aktualbewusstsein stehen. Sie können aber bei Bedarf aktualisiert werden. Dabei gibt es Inhalte, die sehr leicht und schnell an die Oberfläche kommen, z. B. „Wie heiße ich?“, während andere Inhalte eine Zeit des Nachdenkens erfordern und wieder andere vollständig vergessen worden sind.

Im prozessualen Gedächtnis dagegen sind ererbte oder erlernte Verhaltensmuster gespeichert, wie z. B. Gehen, Schreiben, Fahrrad fahren und auch die Muster des Aufmerksamkeitsverhaltens. Das Gedächtnis speichert Prozessstrukturen für Handlungen, kognitive Operationen und natürlich auch die Prozessmuster unserer Aufmerksamkeit. Das Gedächtnis ist also nicht nur ein passiver Informationsspeicher, sondern bestimmt die Art und Weise, wie wir die Welt wahrnehmen.

Prozessuale Gedächtnisinhalte werden im Alltagsgeschehen in der Regel nicht bewusst. Gehen, Stehen, Sprechen funktioniert üblicherweise automatisch und unbewusst. Nicht die Inhalte des Sprechens, aber die Technik des Sprechens erfolgt automatisch. Man muss sich nicht überlegen, wie man seine Zunge bewegen muss, um ein „O“ zu sprechen. Aufmerksamkeitsprozesse laufen somit weitgehend unbewusst ab. Wir können sie jedoch ins Bewusstsein holen, indem wir sie aufmerksam beobachten. Beim Gehen etwa können wir unsere einzelnen Schritte beobachten: Wie und wann heben wir den einen Fuß, wo befindet sich da der andere, wie treten wir auf, welche Bewegung machen wir dazu mit dem Körper? All diese Abläufe sind ja gespeichert, denn sonst könnten wir ja nicht gehen – und nicht wahrnehmen. Aber diese Prozessmuster sind uns nicht bewusst.

Wir haben es mit zwei Formen des Unbewussten zu tun:

Abbildung 2-2. Bewusste und unbewusste Aufmerksamkeit

Für eine Veränderung unserer Aufmerksamkeit bedeutet dies, dass wir uns dieser Muster bewusst werden müssen, um sie willentlich steuern zu können.

Die Aufmerksamkeit von bewusst-willentlich bis unbewusstunwillentlich
bewusst unbewusst
willentlich Man muss sich seiner Aufmerksamkeit bewusst sein, um sie willentlich steuern zu können. Ist man sich der Aufmerksamkeit nicht bewusst, lässt sie sich auch nicht bewusst steuern.
unwillentlich Bewusste Wahrnehmung der unwillentlichen und automatischen Aufmerksamkeit Dies ist der Normalfall im Alltag.

Besonders gering ist die Möglichkeit, willentlich auf die instinktgeprägten Teile der Aufmerksamkeit Einfluss zu nehmen, die auch nach Tausenden von Jahren zivilisatorischer Prozesse weiterhin wirksam sind. Wir können sie uns allerdings bewusst machen. Diese instinktgesteuerte Aufmerksamkeit spricht etwa auf sexuelle Reize an, aber auch bestimmte Gefahrensignale werden stark mit Aufmerksamkeit bedacht. Diese genetisch oder instinktiv gesteuerte Aufmerksamkeit ist beim Menschen weniger bedeutsam als bei den Tieren. Bei ihnen sind die Mechanismen der Aufmerksamkeit, etwa die Selektionskriterien, weitgehend festgelegt. Die Sinnesorgane der Tiere wählen aus den vielfältigen Ereignissen einer komplexen Umwelt bestimmte Schlüsselreize aus. Diese Reize führen über den instinktgesteuerten Reiz-Reaktionsmechanismus zu einem genetisch oder durch Prägung festgelegten Verhalten. Doch selbst das Aufmerksamkeitsverhalten von Tieren ist trainierbar. Man denke nur an Wach- oder Spürhunde.

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