Die Freiheit ist immer die Freiheit des Andersdenkenden.
Rosa-Luxemburg
(Die Russische Revolution)
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Herstellung und Verlag: BoD – Books on Demand GmbH, Norderstedt
ISBN: 9783752678482
Am 13. Juli 1977 gingen in New York um 21.36 Uhr die Lichter aus.
Horden marodierten, plünderten Geschäfte, setzten ganze Häuserblocks in Brand. Der finanzielle Schaden reichte in die Milliarden.
Und Eheleute - sie hatten sich nichts mehr zu sagen, der Fernseher hatte Mattscheibe - begaben sich ins Bett. Und neun Monatespäter war der Babyboom sichtbar. Heißt es.
Die Pandemie nach dem Ende des Ersten Weltkriegs, die Spanische Grippe, raffte je nach Zählweise zwischen 25 und 50 Millionen dahin. Der Erste Weltkrieg soll dagegen „nur“ 20 Millionen Tote gehabt haben.
Man hatte keine wirksamen Medikamente gegen die Spanische Grippe, erst recht keine Impfung. Es blieb die Quarantäne bis alle Überlebenden immun waren.
Pandemien wie der Schwarze Tod, Pest, Pocken, Fleckfieber gab es in der Geschichte immer wieder. Die Bevölkerung wurde dezimiert, die kräftigsten überlebten. Arbeitskräfte wurden knapp, sie konnten deswegen bessere Einkommen aushandeln. Die Schere zwischen Armen und Reichen schloß sich so lange, bis es wieder einen Überhang an Arbeitskräften gab.
Giovanni Boccaccios Il Decamerone ist vielleicht noch in Erinnerung: Im Sommer des Jahres 1348 wütet die Pest in Florenz – Boccaccio beschreibt alles sehr detailliert und manches erinnert an unser derzeitige Pandemie.
Sieben junge Frauen und drei jungen Männer (von wegen männliche Dominanz), fliehen aus Florenz in ein nahe gelegenes Landgut. Begleitet werden sie von ihren Bediensteten. Die zehn jungen Leute erzählen sich in zehn Nächten hundert Geschichten mit denen sie die Leidenschaften und das Leben feiern: Liebeserzählungen, Überlebenserzählungen, sinnliche Erzählungen.
Die alte heilige Zahl Zehn ist das Gliederungsgerüst – an die Zehn Gebote erinnern wir uns manchmal – Ungläubige nennen sie lieber die Zehn Verbote. Boccaccio orientierte sich wohl an Dantes Göttliche Komödie, die in hundert Gesänge gegliedert ist. Damals galt die Hundert als vollkommene Zahl.
Boccaccio`s Novellensammlung ist eine frühe literarische Aufarbeitung der Quarantäne durch Flucht vor einer Epidemie, einer Pandemie.
Die Geschichten in Il Decamerone haben oft eine erotische Essenz, besonders der Klerus, Nonnen, Patres, zu alte Ehemänner und sinnliche junge Frauen bekommen da ihr Fett weg.
Deswegen landete Il Decamerone auf dem Index der verbotenen Bücher. Der italienische Dominikaner Savonarola ließ alle Exemplare, die er erlangen konnte, verbrennen – es nutzte nichts.
Erzähle ich heute eine solche Geschichte, heißt es naserümpfend „Du mit deinen Fantasien“ oder zumindest „ Träum nur weiter“.
Die vor über 100 Jahren erschienene Novelle „Tod in Venedig“ von Thomas Mann kennt die Cholera: Seine Figur Aschenbach verfällt der obsessiven Liebe zu dem Jungen Tadzio, verbindet sein Schicksal mit dem der untergehenden Stadt und dieser stirbt konsequenter Weise dort.
Jetzt haben auch wir eine Pandemie. Den Coronavirus, korrekt Covid-19. Und sind freiwillig-unfreiwillig zu Hause eingesperrt.
Also wieder Quarantäne auch wenn sich inzwischen alles gelokkert. Abstand und Masken sind angesagt. Statt sich des Über-Lebens zu freuen, rottet man sich gegen die vermeintliche Beschneidung der bürgerlichen Freiheiten zusammen.
In manchen Familien nahmen die Aggressionen bis hin zu körperlicher Gewalt zu. Für andere wurde es eine Zeit der Hinbesinnung, der Umbesinnung, der Hirnbesinnung, der Wie-derbesinnung, der Endbesinnung, vielleicht auch der Schlußbesinnung.
Ja, Rückbesinnung auf sich selbst. Was ist wichtig, was ist unwichtig? Vieles was als wichtig erscheint wird plötzlich unwichtig. Und das was als wichtig zurückbleibt, auf das dann voll und ganz konzentrieren.
Die Katholiken haben für das Insichgehen die Exerzitien. Und wir Ungläubigen? Nein, nicht die Isolation - die Quarantäne. Aber sie ist reversibel. Aber was machen wir mit und in dieser Zeit?
Dank der Digitalisierung und der Kommunikation mit Flatrate verfestigen sich Formen des Home-Office, der bürofernen virtuellen Kommunikation und internationalen Treffen, des digitalen Feierabend-Biers in neuer Gemeinschaftsform, des Lernens außerhalb von Schule und Universität. Diese Pandemie bringt – man darf es nicht laut sagen – auch einen Innovationsschub für Familie, Schule, Universität und Büro. In die zwischenmenschliche Kommunikation. Und einen Schub in Sachen nachbarschaftliche Hilfe und Fürsorge.
Trotz der digitalen Zeiten ganz altmodisch Giovanni Boccaccio´s Geschichten lesen, vorlesen, nacherzählen? Seine Erzählungen sind für viele langweilig geworden, im Netz gibt es Deftigeres zu lesen und zu sehen. Und dank Telefonflatrate und Videotelefonie gibt’s lustvollen Telefonsex. Erzählt und vorgelesen wie bei Boccaccio wird nicht mehr. Warum eigentlich nicht? Warum nicht beim digitalen Feierabend-Wein oder Feierabend-Bier? Immerhin: Ensemblemitglieder des Deutschen Theaters in Berlin lesen im Netz jeden Abend eine Novelle aus dem Decamerone vor.
Ich nehme meinen Lyrikband vor „Wir sind Fremde. Fast überall“.
Naja, Lyrik – wer liest die schon? Es soll mehr Lyriker als verkaufte Lyrikbände geben. Aber vielleicht findet man mit Covid-19 wieder zur Literatur zurück – sei sie gedruckt, sei sie digital.
Ich jedenfalls habe begonnen, meinen Lyrikband zur dritten und erweiterten und neu betitelten Auflage zu überarbeiten. Ich kompiliere weitere Texte aus meinem chronologischen Monatebuch „Emotionen“ (das ich so nicht zur Veröffentlichung freigeben werde).