Guter Geist ist trocken.

Schwierigkeiten mit dem Aufhören, S. 98.

© Eberhard Blanke

1. Auflage, 2018

Herstellung und Verlag:

BoD – Books on Demand GmbH, Norderstedt

ISBN 978-3-7460-0529-4

Vorwort

Der Soziologe Niklas Luhmann ist nicht nur für seine wissenschaftlich abstrakten und darin vielfach kontraintuitiven Formulierungen, sondern auch für seine anschaulichen und intuitiv verständlichen Bonmots bekannt.

Die in diesem Bändchen versammelten Zitate des Bielefelder Systemtheoretikers nehmen beide Stilistiken in den Blick, wobei hier schwerpunktmäßig eher solche Beispiele ausgewählt wurden, die den typisch luhmannschen Humor zu kolportieren in der Lage sind. Man könnte daher auch versucht sein, die von Luhmann vielfach benutzte sprachliche Form der kognitiven Dissonanz in Verbindung mit nahezu unmittelbarer Plausibiltät als luhmannesk zu charakterisieren.

Das Prinzip der Auswahl richtet sich mehr oder weniger zufällig nach den Fundstellen, die sich mir im Laufe meiner Lektüre der Schriften von Niklas Luhmann als zitationsfähig und -würdig angeboten haben. Zugleich danke ich insbesondere Fabian Gartmann, Dr. Georg Raatz und Dr. Frank Uhlhorn für manche Hinweise auf entsprechende Textstellen. Dabei greift der Ambitus der mitgelieferten Quellenlage auf etwas mehr als 50 Schriften Luhmanns zurück, die im Literaturübersicht zusammengestellt sind. Die entsprechenden Verweise bei den Zitaten beschränken sich auf Kurztitel. Die Abfolge der Texte ergibt sich aus den alphabetisch geordneten Stichworten, die den Zitaten entnommen sind. Einen Überblick dazu verschafft das Stichwortregister am Ende. Meiner Frau Ulrike danke ich für die Korrekturlesung.

Dem Leser und der Leserin wünsche ich neben neuen Einsichten in sinnhaft gegebene Weltzustände auch die eine oder andere informative Überraschung im Hinblick auf Zusammenhänge, die erst aufgrund der Beschreibung zutage treten, denn: »Die Begrifflichkeit konstituiert das, worüber gesprochen wird.«1 Zudem mag diese kleine Sammlung dazu anregen, die eigene Lektüre der Schriften Niklas Luhmanns weiter zu vertiefen.


1 Luhmann, Niklas (1991/2003): Soziologie des Risikos, S. 14.

Absicht

Handeln durch Absichten zu erklären, das funktioniert in konkreten Fällen ganz gut, und zwar als Auslöser von Kommunikation. Ein Junge fragt seinen Vater: »Warum liest du immer diese merkwürdigen Zahlen in der Zeitung?« Der Vater kann dann nicht gut antworten: »Aus Versehen.« Er wird vielleicht erklären: »Das sind Börsenberichte, das interessiert mich.« Und wenn gefragt wird: »Warum?«, wird er vielleicht noch sagen: »Die Börse kann nicht lügen.« Es bleibt rätselhaft, aber der Kontext, das Milieu (Grathoff) hat Struktur, und die ist der Tatsache verdankt, daß man nicht gut bestreiten kann, das, was man tut, absichtlich zu tun, auch wenn man Absichten falsch deklarieren und Absichten durch vorgetäuschte Absichten verbergen kann.

System und Absicht der Erziehung, S. 192.

Alkoholprobleme

Auch wird die Fähigkeit des Individuums zu rationalem Entscheiden trotz aller Einschränkungen immer noch überschätzt […] Das liegt nicht zuletzt daran, dass die Personen als Individuen beteiligt sind, dass sie beobachten, wie sie selbst und andere behandelt werden und dass alle Personalplanung wie eine self-fulfilling/self-defeating prophecy wirkt. Es wird beobachtet, dass es eine Beratung für Alkoholprobleme gibt; aber auch: ob es bei der bloßen Beratung bleibt, und auch: ob die entsprechenden Programme auch in den oberen Etagen des Systems angewandt werden oder nicht.

Organisation und Entscheidung, S. 284.

Allein

Wer abweicht, muß damit rechnen, allein zu bleiben.

Funktionen und Folgen formaler Organisation, S. 69.

Alles falsch

Schließlich ein letzter Punkt. Wenn man das Konzept eines autonomen oder autopoietischen Systems ernst nimmt, müsste das System eigentlich die eigene Negation enthalten. Ein System ist nicht perfekt autonom, nicht self-containing, wenn es die eigene Negation nicht enthält. Und damit stellt sich die Frage, ob diese Theorie einen Platz hat, wo sie sich selbst negieren kann. Ich muss hierzu auf Erfahrungen mit meinem Zettelkasten zurückgreifen. Einige von Ihnen wissen, dass ein Apparat mit zigtausenden von Zetteln existiert, auf denen ich immer alles aufschreibe, was mir interessant und möglicherweise verwendbar scheint, der ziemlich groß ist und der jetzt ungefähr 40 Jahre alt ist. In diesem Kasten befindet sich ein Zettel, auf dem steht, dass alle anderen Zettel falsch sind. Das Argument, das alle Zettel widerlegt, ist somit auf einem der Zettel festgehalten. Wenn ich den Kasten jedoch aufziehe, verschwindet dieser Zettel, oder er bekommt eine andere Nummer und sucht sich einen anderen Platz. Sie können sich vorstellen, dass ich unter fünfzig- oder sechzigtausend Zetteln diesen entscheidenden nicht suchen kann, umso weniger, wenn er jederzeit die Möglichkeit hat, wie ein Joker in eine andere Position zu springen. Das ist der Grund, weshalb ich Ihnen auch in dieser Vorlesung nicht deutlich machen kann, warum alles falsch ist, sondern Ihnen dies als Überlegungsaufgabe für die Festtage überlassen muss. Ich hoffe, dass Sie mir im neuen Jahr das Argument bringen, das ich im Kasten nicht finden kann. (Abschied in die Weihnachtsferien.)

Einführung in die Systemtheorie, S. 193-194.

Alternativessen

Die klassische Frage nach dem »Wesen« der Religion kann denn auch von verschiedenen Beobachtern verschieden beantwortet werden. Stellt man die Frage so, und das heißt: von außen, kann die Unterscheidung der Religion verschieden getroffen werden, oft orientiert an den Sinngehalten, die man als Religion qualifiziert sehen möchte. Für den einen gehört schon das Alternativessen in der Mensa dazu, für den anderen nicht. Bleibt man bei der Wesensfrage und bei einer gleichsam ontologischen Behandlung des Problems, ist unter heutigen gesellschaftlichen Bedingungen ein religiöser Pluralismus nicht zu vermeiden – und dies nicht nur im Sinne einer Mehrzahl von Religionen mit je ihren Anhängern, sondern auch im Sinne eines Dissenses darüber, was überhaupt Sinngehalte als religiös qualifiziert.

Die Religion der Gesellschaft, S. 57.

Anfang

Der Anfang ist nicht Ausrottung, er ist Ausschließung des Dritten zur Einrichtung einer systemeigenen Logik. Er sichert das ungleiche Wachstum des Gleichen und eine mehr oder weniger gute Ernte.

Die Homogenisierung des Anfangs, S. 135.

Angst

Ein Gesunder wird krank, ein Haus brennt ab, ein Vater verhält sich nicht als Vater. Solche mit Strukturbildung unvermeidlich verbundenen Enttäuschungen bilden ein Doppelproblem je nach der zeitlichen Beziehung zum Ereignis: Soweit Enttäuschungen als Möglichkeit antizipiert, aber nicht konkret voraussehbar sind, erzeugen sie Angst. Soweit sie gelegentlich faktisch eintreten, erzeugen sie Unsicherheit in bezug auf die Geltung und Verläßlichkeit konkret enttäuschter Erwartungen. Bei Angst handelt es sich also um das Problem der Unbestimmbarkeit von Enttäuschungen bestimmter Erwartungen, bei Unsicherheit um die Unbestimmtheit der Erwartungen, die angesichts einer bestimmten Enttäuschung gelten sollen.

Funktion der Religion, S. 117.

Apfel

Laute durch Sichtbares zu ersetzen beruht dann auf der Vorannahme, daß der Gegenstand der Bedeutung unverändert bleibt, d. h. daß ein Apfel ein Apfel bleibt und sich nicht in einen Computer verwandelt, wenn wir über ihn sprechen oder schreiben.

Die Form der Schrift, S. 354-355.

Arbeitsstelle

Jede Organisation besteht aus Handlungen. Kein Mensch kann aber Handeln, ohne selbst dabei zu sein. Er bringt sich selbst, seine Persönlichkeit, mit an die Arbeitsstelle. Die Organisation fordert ihm jedoch nur spezifische Leistungen ab. Seine Gefühle und seine Selbstdarstellungsinteressen werden dabei kaum beansprucht. Sie lungern während der Arbeit funktionslos herum und stiften Schaden, wenn sie nicht unter Kontrolle gehalten werden.

Spontane Ordnungsbildung, S. 43.

Argumentation

Die Argumentationstheorie geht darüber hinaus. Sie evaluiert Argumente im Hinblick auf ihre Überzeugungskraft für den Kommunikationsprozeß, im Hinblick also auf ihre Durchschlagskraft in der Kommunikation. Dies mag in vielen Fällen leicht einzuschätzen sein: In der Verordnung steht zwar nur, daß der Hund an die Leine muß; aber niemand wird ernsthaft zweifeln, daß dann auch der Herr an die Leine muß.

Das Recht der Gesellschaft, S. 341-342.

Artischocke

Unterschiedliche Ausprägungen von Mitgliedschaft [in der Kirche; EB] – das wird die Form, mit der auf die unzureichende Bestimmtheit der Mitgliedschaftsbedingungen reagiert werden kann. Nach dem Prinzip der Artischocke wird die gleiche Form gestaffelt, und erst im Inneren findet man die feineren, reichhaltigeren, wohlschmeckenderen Blätter.

Funktion der Religion, S. 299.

Aufrichtigkeit

Einmal in Kommunikation verstrickt, kommt man nie wieder ins Paradies der einfachen Seelen zurück (auch nicht, wie Kleist hoffte, durch die Hintertür). Dies wird typisch am (erst für die Neuzeit aktuellen) Thema der Aufrichtigkeit vorgeführt. Aufrichtigkeit ist inkommunikabel, weil sie durch Kommunikation unaufrichtig wird. Denn Kommunikation setzt die Differenz von Information und Mitteilung und setzt beide als kontingent voraus. Man kann dann sehr wohl auch über sich selbst etwas mitteilen, über eigene Zustände, Stimmungen, Einstellungen, Absichten; dies aber nur so, daß man sich selbst als Kontext von Informationen vorführt, die auch anders ausfallen könnten. Daher setzt Kommunikation einen alles untergreifenden, universellen, unbehebbaren Verdacht frei, und alles Beteuern und Beschwichtigen regeneriert nur den Verdacht. […] Die Gründe für dieses Paradox der Inkommunikabilität liegen darin, daß der Verstehende auf Seiten des Kommunizierenden Selbstreferenz voraussetzen muß, um an ihr Information und Mitteilung scheiden zu können. Deshalb wird in jeder Kommunikation die Möglichkeit mitgeteilt, daß Selbstreferenz und Mitteilung divergieren. Ohne diesen Hintergrund wäre die Kommunikation nicht zu verstehen, und ohne Aussicht auf Verständnis würde sie gar nicht stattfinden. Man kann sich irren, man kann den anderen täuschen; aber man kann nicht davon ausgehen, daß es diese Möglichkeit nicht gäbe.

Soziale Systeme, S. 207-208.

Auschwitz

Eine andere Praxis verwendet das Schema Reden/ Schweigen normativ oder gar kommandierend. Andere werden zum Schweigen gebracht. Man kann es einfach anordnen. Das ist paradox, denn das gerade macht das Schweigen zur Kommunikation, zur Mitteilung, daß man einen Befehl ausführt (gleichgültig, ob man es nicht sowieso bevorzugen würde, einem derart anmaßenden Verhalten gegenüber zu schweigen). Die Gefängnisse dienen, dem kommunikativen Paradox ausweichend, der Beschränkung der Kommunikation durch Manipulation der Körper. Die Tötung erreicht dasselbe mit mehr Radikalität und mehr Sicherheit. Der Getötete kann dann nicht mehr das Verbot übertreten und trotzdem reden. Und zuletzt Auschwitz – der bisherige Schlußpunkt dieser Strategie – mit dem Riesenschwall emotional und finanziell profitablen Redens darüber, der darauf folgte, weil man in der Gesellschaft nicht anders damit umgehen kann.

Reden und Schweigen, S. 19.

Beerdigung

Manche Mitglieder vermeiden jede Interaktion (scil. mit der Kirche bzw. ihren Amtsträgern) und benutzen ihre Mitgliedschaft erst, wenn feststeht, daß keine Interaktion mehr in Betracht kommt: bei ihrer Beerdigung.

Die Funktion der Religion, S. 300.

Begreifen

»Begreifen« soll hier einfach heißen: Selektivität beurteilen können. Das ist nur möglich, wenn eine begrenzte Zahl von möglichen Varianten mit im Blick steht. »Der Einzelne« wird groß geschrieben. Der Duden irrt. Es heißt »die« Peleponnes. Der Duden irrt. Im Übrigen heißt es auch nicht: Athen hat schlechtes Klima, sondern: Athen haben schlechtes Klima. Es kommt nicht nur darauf an, was richtig und was falsch ist, sondern mehr noch darauf, gegen welche anderen Möglichkeiten dies entschieden wird.

Systeme verstehen Systeme, S. 99.

Begriffe

Die Begrifflichkeit konstituiert das, worüber gesprochen wird.

Soziologie des Risikos, S. 14.

Beobachter

Ein Beobachter, der bemerkt, daß sein Gegenstand ein selbstreferentielles System ist, bemerkt damit zugleich, daß dieser Gegenstand tautologisch und paradox konstituiert ist, also beliebig und gar nicht operieren kann, also nicht beobachtbar ist. Der Beobachter eines selbstreferentiellen Systems entdeckt damit die eigene Paradoxie: die Beliebigkeit und die Unmöglichkeit einer Beobachtung. Aus dieser Verlegenheit hilft er sich mit der Unterscheidung von natürlichen und artifiziellen Beschränkungen heraus, angewandt auf das System, das er beobachtet. Er kann dann sehen, daß dies System nicht sehen kann, was es nicht sehen kann. Für ihn kann als kontingent erscheinen, was im System selbst notwendig und unersetzbar ist. Er kann mit dieser Prämisse einer gleichsam supramodalen, beobachtungsnotwendigen Unterscheidung von notwendig und kontingent sich selbst entparadoxieren, indem er seiner Beobachtung einen operationsfähigen Gegenstand gibt. Und er kann dies in einer Weise tun, die Lernmöglichkeiten für diesen Gegenstand impliziert, nämlich zumindest die Möglichkeit einer Verschiebbarkeit der Grenzlinie zwischen natürlichen und artifiziellen Beschränkungen vollständiger Selbstreferenz.

Ökologische Kommunikation, S. 37.

Ein Beobachter kann nicht sehen, was er nicht sehen kann. Er kann auch nicht sehen, daß er nicht sehen kann, was er nicht sehen kann.

Reden und Schweigen, S. 10.

Denn auch der Beobachter zweiter Ordnung ist ein Beobachter und fällt also selbst in den Bereich der Gegenstände, die er beobachtet.

Soziologie des Risikos, S. 35.

Beobachtung

Die Beobachtung zweiter Ordnung verändert alles.

Die Kunst der Gesellschaft, S. 112.

Bewusstsein

Ein Beobachter kann also hohe strukturierte Interdependenzen zwischen psychischen und sozialen Systemen erkennen. Und trotzdem: die psychische Selektivität kommunikativer Ereignisse im Erleben der Beteiligten ist etwas völlig anderes als die soziale Selektivität; und schon bei einer geringen Aufmerksamkeit auf das, was wir selber sagen, wird uns bewußt, wie unscharf wir auswählen müssen, um sagen zu können, was man sagen kann; wie sehr das herausgelassene Wort schon nicht mehr das ist, was gedacht und gemeint war, und wie sehr das eigene Bewußtsein wie ein Irrlicht auf den Worten herumtanzt: sie benutzt und verspottet, sie zugleich meint und nicht meint, sie auftauchen und abtauchen läßt, sie im Moment nicht parat hat, sie eigentlich sagen will, und es dann ohne stichhaltigen Grund doch nicht tut. Würden wir uns anstrengen, das eigene Bewußtsein wirklich in seinen Operationen von Gedanken zu Gedanken zu beobachten, würden wir zwar eine eigentümliche Faszination durch Sprache entdecken, aber zugleich auch den nicht kommunikativen, rein internen Gebrauch der Sprachsymbole und eine eigentümlich-hintergründige Tiefe der Bewußtseinsaktualität, auf der die Worte wie Schiffchen schwimmen, aneinandergekettet, aber ohne selbst das Bewußtsein zu sein; irgendwie beleuchtet, aber nicht das Licht selbst.

Was ist Kommunikation?, S. 118-119.