Wind-, Solar- und Kernkraftwerke .
Aus der Erinnerung eines aktiven Zeitzeugens.
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© 2016 Gerd Eisenbeiss
Herstellung und Verlag
BoD – Books on Demand, Norderstedt
ISBN 9783741291982
Die in diesem Buch zusammengestellten Texte und Interviews sind in den letzten Jahren als persönliche Erinnerungen entstanden. Es mag für Dritte interessant sein, weil ich als Zeitzeuge beteiligt war
- sei es als Beamter im Bundeskanzleramt und Forschungsministerium 1973-1990
- als Programmdirektor und Vorstand großer Forschungszentren 1990 bis 2006
- oder als Berater der EU-Kommission bis 1982-2008.
Zu Beginn meines Berufslebens war ich als Physiker auch mit Atomphysik und Kerntechnik wissenschaftlich befasst mit zahlreichen Veröffentlichungen und einigen Patenten. Das wird eingangs des 8. Kapitels über die Kernenergie-Kontroverse geschildert.
Über viele Jahre von 1968 bis 1979 stand die Kernenergie im Mittelpunkt meines Berufslebens. Die hier wiedergegebene Geschichte der Kernenergie-Kontroverse berichtet u.a. von meiner Rolle als Erfinder und Verantwortlicher für den Bürgerdialog Kernenergie der Bundesregierung, der die Kontroverse durch Information und Dialog lösen sollte, aber letztlich erfolglos blieb.
In dieser Rolle verfasste ich zentrale Informationsmaterialien für den Dialog, die die gesamte Energietechnik und -politik einschließlich der Energieeinsparung und der beginnenden Entwicklung erneuerbarer Energiequellen behandelten.
Damals begann ich, vor allem in der Windenergie eine Hoffnung auf saubere und erschwingliche Stromversorgung zu sehen. So war ich 1972 erfreut, die Referatsverantwortung für rationelle und erneuerbare Energie übernehmen zu dürfen. In diese Zeit bis 1989 fallen wichtigen Entwicklungsphasen sowohl der Solar- wie auch der Windkraft, insbesondere der Durchbruch deutscher Windanlagen zu energiewirtschaftlicher Relevanz durch das von mir erfundene Breitentestprogramm mit den ersten 100 MW als Forschungsprojekt. Davon handelt das 5. Kapitel „Windenergie – von der Forschung zum Milliardenmarkt“. Wie die Entwicklung der Photovoltaik begann und zum Erfolg wurde, wird in einem Interview der Zeitschrift GAIA mit Prof. Adolf Goetzberger und mir beleuchtet (6. Kapitel „Photovoltaik“).
Mit meinem Wechsel 1990 vom Forschungsministerium in das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) übernahm ich die Verantwortung für die dortigen Energieprogramme zu beispielsweise Verbrennungstechnik und Brennstoffzellen sowie insbesondere thermischen Solarkraftwerken, wie in 7. Kapitel „Solarthermische Kraftwerke“ beschrieben.
In all diesen Jahren arbeitete ich nicht nur an den entsprechenden Energieforschungsprogrammen der EU mit, sondern saß auch in zahlreichen Kuratorien und Beiräten deutscher Solarinstitute, in deren Verbundorganisation (heute FVEE, Forschungsverbund Erneuerbare Energien) ich 1990 bis 2006 insgesamt 5 mal Jahressprecher war.
1996 erhielt ich den Solarpreis der Deutschen Gesellschaft für Sonnenenergie DGS für „strategische Weitsicht“, was sich insbesondere auf meine Rolle beim Durchbruch der Windkraft in Deutschland bezog.
In dieser Zeit änderte sich auch für mich das Rationale hinter der Entwicklung der erneuerbaren Energien; Versorgungsängste und klassischer Umweltschutz trat deutlich hinter die Notwendigkeit eines effektiven Klimaschutzes zurück. Mein weithin anerkannter Vorschlag für einen unbürokratischen, marktwirtschaftlichen Klimaschutz durch handelbare Kohlenstoff-Zertifikate wurde vielfach veröffentlicht, unter anderem von der Süddeutschen Zeitung, der Frankfurter Rundschau und Fachzeitschriften, leider aber politisch nicht aufgegriffen (9. Kapitel „Klimaschutz – konsequenter und billiger“).
2001 folgte ich dem Ruf in den Vorstand des Forschungszentrums Jülich, zuständig für Energie- und Materialforschung, wozu unter anderem Photovoltaik, Brennstoffzellen, Kraftwerkskomponenten, Kernfusion und nukleare Sicherheit gehörten. Für die Photovoltaik (vgl. 6. Kapitel „Photovoltaik“) konnte ich insbesondere im Rahmen meiner ministeriellen Zuständigkeiten viel tun. Als ich damals in den 80er Jahren bemerkte, dass diese Technologie viel zu früh der Industrie überlassen worden war, habe ich für mehr Institutsforschung gesorgt, unter anderem im Forschungszentrum Jülich, aber auch im Fraunhofer-Institut in Freiburg und im Helmholtz-Zentrum Berlin.
In all diesen Jahren war mir ein besonderes Anliegen, die Energieprobleme ganzheitlich als komplexes soziales System zu sehen, in dem nicht nur die technologischen Einzelteile zusammenpassen, sondern eben als Energiesystem auch in die gesellschaftliche und wirtschaftliche Realität passen müssen. Dazu gebe ich 2 aktuellere Interviews im 3. Kapitel „Zum Verhältnis von Politik und Gesellschaft zu Technik am Beispiel des Ausstiegs aus der Kernenergie“ sowie im 4. Kapitel zu „Zukunftsfragen“ wieder. Da diese Interviews zwar wesentliche Fragen abdecken, aber doch auf wenige Aspekte beschränkt bleiben, habe ich im 2. Kapitel „Das Energiesystem des 21. Jahrhunderts“ meine Sicht zum Zeitpunkt des Erscheinens dieses Büchleins eingefügt.
Es hat mein Engagement für die erneuerbaren Energien sowie rationelle und sparsame Energieverwendung zu keiner Zeit behindert, dass ich mich unverändert immer wieder zur Verantwortbarkeit der Kernenergienutzung in Deutschland bekannt habe. Daran haben auch die Katastrophen in Russland oder Japan nichts geändert; allerdings muss ich als Demokrat anerkennen, dass diese Haltung in Deutschland nicht mehr mehrheitsfähig ist und daher auch nicht mehr wirtschaftlich sinnvoll umgesetzt werden könnte.
Also sind wir auf eine erfolgreiche Realisierung der Energiewende angewiesen. Da aber sieht es nicht so gut aus. Überraschend gibt es neue Widerstände auch gegen die zuvor gefeierten und geforderten „erneuerbaren“ Strategien, sobald sie in Baumassnahmen konkret werden.
Vielleicht liegt der Wert dieses Büchleins daran, sich immer mal wieder mit der Geschichte der Energiepolitik und der Technologien zu befassen, um besser zu verstehen, dass es auch in der Energiefrage keine Stunde null gibt, wo alles neu ist, sondern eine prägende Kontinuität auch bei Wendemanövern.
Gerd Eisenbeiß, Bonn im Oktober 2016
Es ist sicher vermessen, die Zukunft der Energieversorgung über ein ganzes Jahrhundert vorhersagen zu wollen. Aber ich möchte mir am Ende eines langen Berufslebens im Bereich Energie, Politik und Gesellschaft das Vergnügen nicht versagen, einige Bemerkungen zu Wahrscheinlichkeiten zu wagen.
Seit langem habe ich in zahllosen öffentlichen Auftritten zwei Thesen vertreten, die ich auch für die Zukunft als zentral sehe:
1)Die solare Logik, d.h. die langfristig zwingende Einsicht, dass nicht rohstoffliche Ressourcen die Basis der Energieversorgung bleiben können, sondern dass nur die im Wesentlichen von der Sonne kommenden Energieströme zur Verfügung stehen werden
2)Die all-elektrische Welt, d.h. dass alle Energieverbrauchsformen elektrisch bedient werden, insbesondere auch der Verkehr und die Raumwärme exzellent gedämmter Gebäude.
Natürlich wird ein langer, langsamer Wandlungsprozess dahin führen, keine Energiewende nach deutschem Rezept, weil diese zu viel in zu kurzer Zeit will. Diese Sicht hat zur Folge, dass es einen Klimawandel geben wird, der die in Paris 2016 gesetzten Temperaturgrenzen deutlich überschreiten wird – mit katastrophalen Folgen, die dann den Wandlungsprozess beschleunigen werden.
Warum wird es so kommen? Weil die bestimmenden gesellschaftlichen Bedingungen weltweit jene Energieformen fördern, die in Anbetracht von Entwicklungsrückständen und Armut auf Sicht billiger sind oder auch nur scheinen, also Kohle, Öl und Erdgas.
Jene Wohlstandsgesellschaften, die sich mit Idealismus in beschleunigte Wendemanöver stürzen wie zurzeit Deutschland, die zudem die wirtschaftliche Kraft habe, lange Defizitphasen überhöhter Energiepreise zu tragen, werden selten bleiben. Viele Milliarden von Menschen außerhalb Europas und Nordamerikas werden andere Prioritäten setzen als national selbstlosen Klimaschutz. Dagegen wird der klassische Umweltschutz vor noxisch-toxischen Emissionen wie Schwefel- und Stickstoffoxiden sowie Feinstaub durchaus zur treibenden Kraft – einer Kraft, die zunehmend auch als ökonomisch vernünftig und geboten erkannt wird.
Hauptkriterium wird also für noch lange Zeit der kurz- und mittelfristige Kostenfaktor sein. An diesem Kriterium wird sich das Verbreitungsschicksal der einzelnen technologischen Optionen entscheiden.
Da sind zunächst Öl und Erdgas. Über deren weitere Kostenentwicklung weiß ich so viel und so wenig wie all die irrenden Experten der Vergangenheit. Mir scheint allerdings, dass auch die maßvollen Einspar- und Substitutionseffekte in den Hauptverbrauchsländern Preisexzesse weniger wahrscheinlich machen; auch die Rivalitäten zwischen den Ölstaaten dürften weiterhin dämpfend wirken. Solange das Gas reichlich und billig fließt, wird man in Europa und USA den Kohleverbrauch reduzieren, was dem Klimaschutz zugutekommt. Sollte es aber insbesondere beim Gas anders kommen, ist ein switch back zur Kohle unter Kostenaspekten anzunehmen.
Kernenergie wird wahrscheinlich auch weiterhin keine wesentliche Rolle in der Weltenenergieversorgung spielen. Nur ganz wenige der technologisch kompetenten demokratischen Staaten sind noch industriell und nutzend in Kernenergie engagiert; sie nehmen zurzeit wahr, dass allein die Kosten neuer Kernkraftwerke viel höher sind als geplant. So werden vermutlich fast nur undemokratische, autoritär regierte Staaten neue Kernkraftwerke bei sich oder in anderen Ländern bauen. Diese Kernkraftwerke dürften schon deshalb weniger teuer sein als die französischen EPR, weil Einsprüche und Verzögerungen durch Bürger nicht geduldet werden – hoffentlich (denn ich weiß darüber nichts) sind sie nicht auch noch unsicherer im Design. Auch wird immer deutlicher, dass Demokratien große Probleme haben, die Entsorgung friedlich zu organisieren.
Kernfusion bleibt noch für Jahrzehnte eine offene Option. Dabei sind die Fortschritte in der Fusionsphysik zwar beeindruckend, aber für eine energiewirtschaftliche Versorgungsrolle wird es noch lange keine technisch befriedigende Reaktor-Technologie geben. Heute haben wir mit Wind, Sonne und Wasserstoff ein Referenzsystem für eine Vollversorgung, deren recht hohes Kosten-Niveau wir in etwa kennen. Meine persönlichen Zweifel, ob Fusionsstrom dieses Niveau wird erreichen oder unterbieten können, sind mit der Zeit eher gewachsen als gesunken. Selbst hochkompetente Fusionsoptimisten sehen kommerzielle Fusionsreaktoren erst lange nach der Mitte des Jahrhunderts am Versorgungsnetz.
Unter den erneuerbaren Stromquellen ist die Windenergie die attraktivste; sie hat längst weltweit hohe Wachstumsraten auf immer noch niedrigem Niveau von etwa 5% der Welt-Stromerzeugung. Ihr Erfolg ist weltweit und auch in Deutschland einer gewissen Fehlsteuerung zu verdanken, die der Liberalisierung der Strommärkte zu-zuordnen ist. Solange nämlich wenig Windstrom in die von Kohle-, Gas- und Kern-kraftwerken stabilisierten Netze fließt, drückt die Windenergie ihre externen Kosten den anderen Netzversorgern auf.
Diese externen Kosten beruhen auf der Unstetigkeit des Windes bis hin zu großräumigen Flauten. Wenn prozentual viel Windstromkapazität vorhanden ist, sind diese Kosten nicht mehr zu vernachlässigen. Eine wesentlich auf fluktuierenden Stromquellen beruhende Versorgung kommt dann nicht mehr ohne Speicher oder Reservekapazitäten aus, deren Kosten zuzurechnen sind.
Bei nüchterner Betrachtung, die in der deutschen Energieszene nicht immer beliebt ist, muss man auch darauf hinweisen, dass die Stromversorgung auf Basis thermischer Kraftwerke relativ dezentral ist – nicht nur, weil die Kraftwerke bei den Verbrauchszentren gebaut wurden, sondern weil die Verbrauchszentren nahe der Kraftwerke expandiert haben. Bei der Windenergie ist es nicht nur in Deutschland so, dass die windreichen Regionen und die Verbrauchszentren weit auseinander liegen; d.h. dass der Aufwand für lange Transportleitungen den reinen Erzeugungskosten ebenfalls zuzurechnen ist.
Ich will mit diesen Hinweisen nicht die Rolle der Windenergie in Deutschland schlecht machen, sondern bei der Abschätzung, wie sich andere Gesellschaften demnächst energetisch orientieren werden, auf die wahren kurzfristigen Kosten aufmerksam machen – entsprechend meiner Überzeugung, dass weithin kurzfristige Kosten entscheidungsrelevanter sind als Langfrist-Vorteile.
Das Gesagte gilt noch mehr für die hochgeschätzte Photovoltaik, deren enorme Verbilligung beeindruckt. Es bleibt aber gegenüber Windenergie der zusätzliche, kostenerhöhende Fakt, dass Photovoltaik nachts gar nichts und im Winter kaum etwas bringt – im Gegenteil: die scharfen Mittagsspitzen im Sommer sind ein zusätzliches Problem. Der Photovoltaik-Nutzer mit Panels auf einem deutschen Dach, wie auch ich, merkt davon nichts, weil er alle Probleme auf die Netzgemeinschaft abwälzt. Das werden übrigens andere Länder bis zu einer gewissen Obergrenze ebenso organisieren, solange der Kosteneffekt wegen der geringen PV-Kapazitäten vernachlässigbar ist. Sollte aber Photovoltaik von heute 1% in die Größenordnung von 30% der jährlichen Stromproduktion kommen, könnte keine Gesellschaft diese Form von Bevorzugung tolerieren.
Da diese Zusammenhänge zwischen erneuerbaren Stromquellen und Speicher-aufwand unübersehbar sind, braucht die Solare Logik technologisch und kosten-mäßig überzeugende Speicher in allen Zeit-Kategorien von Sekunden bis zum Sommer-Winter-Ausgleich. Die technologisch zentrale Herausforderung ist dabei die Batterietechnik, weil sie darüber entscheiden wird, ob Elektro-Fahrzeuge zu erträglichen Kosten akzeptiert werden. Ich halte für wenig wahrscheinlich, dass sich in eng vernetzten Industrieländern dezentrale Batteriespeicher in Verbindung mit Photovoltaik durchsetzen werden, zumal eine Netzkostenvermeidung durch totale Trennung vom Netz unrealistisch erscheint. Mir scheint der Wunsch, sich vollständig vom Versorgungsnetz trennen zu wollen, ideologisch in der Ablehnung von „Atom- und Kohlekonzernen“ begründet – eine Motivation, die anderswo so nicht existiert und auch in Deutschland irgendwann aus der Mode kommen wird. Dagegen kann es in Flächenländern ohne dichtes Stromnetz wirtschaftlich attraktiv sein und bleiben, Batteriespeicher zur dezentralen, netzfernen Vollversorgung zu nutzen.
Nachdem es seit einem Jahrhundert immer wieder schwärmerische Visionen von Wasserstoff