Es ist nicht gut, mit Horst unter einem Dach zu wohnen. Das merken seine Nachbarn, seine Frau und Töchterchen Shirley-Lucienne nur zu rasch. Denn Horst ist der deutsche Mr. Bean und sorgt für Chaos bei allem, was er tut!
Schlage gähnend die Augen auf. Ein Fernseher läuft. Eine Uhr zeigt Mitternacht.
Erinnerung kommt auf: Fernseher und Uhr gehören mir. Heiße Horst und wohne im vierten Stock.
Schalte Flimmerkiste aus und tappe ins Schlafzimmer.
Das Ehebett ist leer. Helga, meine Frau, ist vor zwei Jahren mit einem Netz in der Hand Brötchen holen gegangen und bis jetzt nicht wiedergekommen. Muss ja eine lange Schlange vor der Kasse sein! Möchte da nicht anstehen. Frauen haben eben eine Mordsgeduld. Kann man nur staunen, echt.
Schlage die Steppdecke zurück und bemerke fette schwarze Spinne.
Lasse Steppdecke fallen und springe drei Schritte zurück. Weiter geht nicht, denn da ist der Kleiderschrank.
Schweiß sammelt sich auf meiner Stirn. Schiebe mich mit dem Rücken an der Schrankfront entlang und bringe so Meter um Meter zwischen mich und Bett.
Bin endlich an der Schlafzimmertür. Werfe sie hinter mir zu und stehe zitternd im Flur.
Mein Schlafzimmer, das mir so gute Dienste geleistet hat, ist verseucht, von einem achtbeinigen Monster so mir nichts dir nichts besetzt.
Von wegen! Einen Teppichklopfer in der Rechten, trete ich wie ein Mann zurück ins Schlafzimmer und lüpfe mit dessen Stiel aus sicherer Entfernung die Steppdecke.
Die Spinne ist nicht mehr da. Nicht auf den Dielen, nicht an Wänden oder Decke, nicht im Vorhang, nicht in den Gardinen. Andere Verstecke fallen mir auch nach längerem Nachdenken nicht ein. Wo steckt das Viech?
Der Schweiß auf meiner Stirn besinnt sich der Schwerkraft und strömt mir Nase und Wangen hinab.
Wage nicht, mich zu rühren. In jedem Spalt, in jeder Ecke kann das Untier stecken. Schleicht es sich eben lautlos an mich heran? Lässt es sich eben von der Decke an einem Faden auf mich herab? Vielleicht krabbelt es gleich unter meinen Kragen!
Mit einem Aufschrei klopfe ich mich am ganzen Körper ab.
So viel ich auch klopfe, es fällt keine zerquetschte Spinne zu Boden.
Ich kann hier nicht schlafen. In jeder Scheune, ja. Im billigsten Zelt, von mir aus. Draußen im Garten, kein Problem. Aber nicht mehr hier, wo mir dieses Scheusal beim Schnarchen in den Mund oder sonst wohin krabbeln kann! Es schüttelt mich, wenn ich nur daran denke.
Nehme den Teppichklopfer in die Linke. Drehe den Kopf wie ein Rundum-Radar und observiere in einem fort Fußboden, Decke und Wände. Öffne mit der Rechten die erste Tür des Kleiderschranks. Zerre alle acht Koffer hervor, die ich besitze. Öffne der Reihe nach alle anderen Türen und Fächer. Stopfe in Rekordzeit meine sieben Sachen in die acht Koffer.
Nehme dann, den Teppichklopfer weiterhin in der Linken, den vordersten Koffer in die Rechte und trage ihn, einen zweiten Koffer mit dem rechten Bein vor mir her schiebend, ins Bad. Die Türschwellen stören ein wenig, aber mit ein wenig Gewalt geht alles. Blicke dabei wiederholt ängstlich über die Schulter, aber die Spinne scheint wasserscheu und kommt nicht mit.
Stelle den ersten Koffer mit dem Griff nach oben dicht an die Fliesen gegenüber der Badewanne und den zweiten Koffer auf den ersten.
Mache das Ganze noch dreimal und habe endlich meine Sachen im Bad, das jetzt ziemlich verstellt ist. Wollte eigentlich je vier Koffer übereinander stellen, aber der erste Stapel stürzte, kaum dass er anderthalb Meter hoch war, ein. Jetzt verengt eine Reihe von vier Koffern, auf denen jeweils ein anderer thront, den ohnehin schmalen Gang. Kaum dass ich mich noch waschen kann. Helgas Sachen müssen in die Küche.
Hole vorher Hammer und nagle die Türschwellen wieder fest. Will mich eben Helgas Sachen widmen, da klingelt es Sturm. An der Wohnungstür, nicht unten am Hauseingang.
Helga besitzt einen Schlüsselbund. Sie kann das nicht sein. Schade. Bekomme in letzter Zeit immer öfter Appetit auf frische Brötchen. Die gibt es früh um zehn, wenn ich aufstehe, nämlich nicht mehr.
Meine Tochter Shirley-Lucienne, die in die zweite Klasse geht, steht zwar früh um halb sieben auf und könnte Brötchen holen gehen, packt statt dessen aber lieber den Ranzen. Aber wenigstens kommt sie jeden Tag nach der Schule zurück nach Hause und geht abends um acht von allein zu Bett.
Gute Erziehung und Vorbildwirkung sind eben alles, denke ich und lächle stolz.
Vor der Wohnungstür steht auch richtig Egon aus der Wohnung direkt unter mir.
Egon beschwert sich lautstark über ein infames Poltern, Klopfen und Schaben, das er angeblich seit geraumer Zeit vernimmt und das ihm und seiner Frau den Schlaf raubt.
Höre gar nicht richtig zu und drehe mich immer wieder nach der Spinne um. Die bleibt weiterhin außer Sicht.
„Nein“, sage ich, „ich habe kein Poltern, Klopfen und Schaben gehört. Das heißt ... etwas hat mich vorhin aus dem Nickerchen im Fernsehsessel geschreckt. Stimmt, da war was. Jetzt, wo du es sagst. Kommt sicher von oben.“ Deute dabei auf die Wohnung über mir. „Leute gibt es! Nehmen einfach keine Rücksicht. Mitten in der Nacht, also so was!“
Egon aus dem dritten Stock stapft aufgebracht hoch zu Franz aus dem fünften Stock.
Höre noch wütendes Dauerklingeln und schließe die Tür. Widme mich endlich den Sachen meiner Frau und schiebe ganze Wäschekörbe voll mit dem Fuß aus dem Schlafzimmer über den Flur in die Küche, während ich abwehrbereit den Teppichklopfer hochhalte.
Die Türschwellen stören schon wieder. Ärgere mich, Hammer und Nägel vorhin so voreilig weggeräumt zu haben. Aber auch jetzt hilft ein wenig Gewalt.
Endlich ist alles in der Küche. Dass ich am Morgen noch ein Spiegelei braten kann, glaube ich nicht. Weiß weder, wie ich an die Pfanne noch in den Kühlschrank kommen soll. Küchen werden wie Badezimmer viel zu klein geplant. Doppelt so groß sein müssten die. Aber der Kleiderschrank im Schlafzimmer, der ist leer. Natürlich muss auch er in Sicherheit. Habe keine Lust, mir einen neuen zu kaufen, bloß wegen einer Spinne!
Will eben damit beginnen, da klingelt es wieder an der Wohnungstür.
Diesmal ist es Karl aus der Wohnung zwei Etagen unter mir, der etwas von „unerträglichem Lärm“ und „nicht schlafen können“ flucht.