Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar
Utermöhlen, Ralf:
Was jede Führungskraft über Green Economy und nachhaltige Entwicklung wissen sollte. Nachhaltigkeitsmanagement in der Praxis.
1. Auflage - Braunschweig: WelfenAkademie Verlag, 2015
ISBN-13: 978-3-939301-02-8
Books on Demand GmbH
© WelfenAkademie Verlag
(Kontakt: verlag@welfenakademie.de)
Lektorat: Corina Angerer und Dr. Nadine Adrian
Alle Rechte vorbehalten. Ohne ausdrückliche Genehmigung des Verlages ist es nicht gestattet, das Buch oder Teile daraus auf fotomechanischem Wege (Fotokopie, Mikrokopie) zu vervielfältigen.
Viele aufstrebende Staaten erleben heute in sehr drastischer Weise, wie ungezügeltes Wirtschaften einhergehen kann mit gesundheitsgefährdender Luftbelastung, Abfallbergen und Rohstoffknappheit. Bilder aus den Metropolen in Indien oder Asien zeigen, dass die Wirtschaft an ihre Grenzen stößt, wo die Natur kollabiert. In vielen Staaten Afrikas geht wachsender Wohlstand mit besorgniserregendem Wassermangel einher.
Smog im Ruhrgebiet, vom Fischsterben gezeichnete Flüsse, überquellende Mülldeponien - all das hat Deutschland bereits vor vielen Jahren hinter sich gelassen. Von einer rundum heilen Welt sind wir jedoch auch hierzulande noch ein gutes Stück entfernt. Für alle Industrienationen gilt:
Unsere Art zu leben und zu wirtschaften zeigt sich als nicht mehr zukunftsfähig. Wenn wir unsere Wirtschaftsweise nicht ändern, dann berauben wir uns unserer Lebensgrundlage.
Längst sehen die Produzenten eine ausreichende Rohstoffversorgung als eines der Top-Risiken der Zukunft an. Mehr als jeder zweite Industriebetrieb fürchtet heute, die erforderlichen Rohstoffe für seine Produktion künftig nicht mehr zu erhalten. Neun von zehn Industrieunternehmen leiden bereits heute massiv unter den steigenden Rohstoffpreisen. Die sich deutlich abzeichnende Rohstoffklemme verursacht in der Wirtschaft einen hohen Handlungsdruck.
Es gibt eine Frage, die sollte sich jede Führungskraft mindestens einmal im Leben stellen:
Wie reich müssen wir als Nation sein, wenn wir es uns leisten können, zur Neige gehende Rohstoffe tonnenweise in den Müll zu werfen?
Recycling ist deshalb eines der wesentlichen Handlungsfelder der Green Economy und ökonomisch ebenso sinnvoll wie ökologisch.
Eine 100 % Kreislaufführung von Rohstoffen ist eine Vision, für die sich niemand zum Arzt schicken lassen sollte. Wir brauchen diese herausfordernden Ziele insbesondere für die industriellen Basis- und Sondermetalle, für die es bisher kein Nachhaltigkeitsmanagement gibt.
Es ist auch an der Zeit, Produkte bereits bei der Herstellung an den Anforderungen einer hochwertigen Wiederverwendung und Recyclingfähigkeit auszurichten. Der Konsument kann dies ganz wesentlich mitbestimmen, indem er seine Kaufentscheidungen stärker an Kriterien der Wiederverwendbarkeit ausrichtet.
Warum nicht öfter einfach nur „Nutzen“ statt „Besitzen“?
Ressourcenschutz, Ressourceneffizienz und Klimaschutz gehören heute zu den besonders dringlichen gesellschaftlichen Aufgaben. Natürliche Ressourcen sind Grundlage unseres menschlichen Seins und bilden das wichtigste Fundament unseres wirtschaftlichen Handelns und unseres Wohlstandes.
Der Verbrauch der Ressourcen ist zu hoch und muss absolut verringert werden.
Im Jahr 2050 werden voraussichtlich neun Milliarden Menschen auf unserer Erde leben - sie alle wollen Zugang zu Wasser, Energie, Rohstoffen. Ohne eine deutliche Steigerung der Ressourceneffizienz wird jedoch allein China im Jahr 2031 voraussichtlich rund 90 % der Weltproduktion an Papier und Stahl verbrauchen. Bei Rohöl wären es, rein rechnerisch, sogar 110 %.
Das bedeutet: Gelingt es uns nicht, Wachstum und Ressourcenverbrauch voneinander zu entkoppeln, benötigen wir bereits in wenigen Jahren eine zweite Welt!
Dr. Eric Schweitzer ist Vorstandsvorsitzender der ALBA Group plc & Co. KG und Präsident des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK)
Seit dem Jahr 1991 berate, überprüfe, auditiere und überwache ich Unternehmen aus Industrie, Handel und Dienstleistungen in Themen des Umweltschutzes und der Nachhaltigkeit. Fast alle denkbaren Branchen und Betriebe aller Größenordnungen habe ich dabei intensiv „von innen“ gesehen, großartige Erlebnisse gehabt, viele bereichernde Gespräche geführt, faszinierende und engagierte Menschen kennengelernt sowie phantastische Innovationen und Techniken erlebt und gesehen.
Eines jedoch ist mir immer aufgefallen: Viele Unternehmen sind - trotz aller Bemühungen und tiefgehender Berücksichtigung des Umweltschutzes und der Ressourceneffizienz - nicht ausreichend auf die zukünftigen Herausforderungen der nachhaltigen Entwicklung vorbereitet. Viele Führungskräfte haben die exorbitante Bedeutung des Trends „Nachhaltigkeit“ nicht erkannt und haben wenig tiefergehende Kenntnisse über dieses wichtige Thema, von dem die Zukunft vieler Branchen und damit die Zukunftsfähigkeit vieler Betriebe abhängt.
Daher habe ich mich entschieden, in einem Buch zusammenzufassen, was meiner Meinung nach jede Führungskraft über betrieblichen Umweltschutz und nachhaltige Entwicklung wissen sollte. Es handelt sich dabei nicht vornehmlich um ein Werk für erfahrene Umwelt- und Nachhaltigkeitsbeauftragte in Unternehmen. Adressaten sind vor allem vorausschauende Unternehmer und Führungskräfte anderer Bereiche wie Produktentwickler, Produktionsleiter, Marketingleiter, Personalchefs, Einkäufer und Mitglieder des Top-Managements, die von den Konsequenzen des Themas betroffen sind. Solch ein Buch liest sich nicht wie ein Roman, daher gebe ich an dieser Stelle eine Lesehilfe:
Der geneigte Leser sollte die Kapitel 1 bis 3 in der gegebenen Reihenfolge lesen: Kapitel 1 gibt eine kurze thematische Einführung. Danach beschreibt Kapitel 2 die Folgen von Klimawandel, Ressourcenendlichkeit und Umweltveränderungen als Rahmenbedingungen wirtschaftlichen Handelns. Ausgehend davon, wie das aktuelle Wirtschaftssystem und unsere Lebensstile die Umwelt verändern, wird dargelegt, wie sich hierdurch die Rahmenbedingungen für geschäftlichen Erfolg verändern. In diesem Kapitel beschreibe ich auch, was Unternehmen künftig nach meiner Einschätzung an weiteren Veränderungen erwarten müssen. Weil ich der festen Überzeugung bin, dass das beschriebene Modell zu einem Systemwechsel führen wird, der auch politische und soziologische Veränderungen gleichermaßen zur Basis und als Konsequenz hat, gehe ich in aller Kürze auch auf diese Aspekte ein.
Kapitel 3 beschreibt die Nachhaltigkeit in heutigen Unternehmensstrategien und liefert neben Definitionen eine Beschreibung bestehender Instrumente.
Kapitel 1, 2 und 3 bauen jeweils aufeinander auf; manche Aspekte, die in diesen Kapiteln angerissen sind, werden in späteren Kapiteln erneut aufgenommen und vertieft. Kleine Wiederholungen sind somit bewusst gesetzt, um Kapitel abgeschlossen verständlich zu machen.
Die Kapitel 4 und 5 sind gegliedert in Fachkapitel zu einzelnen Themen der nachhaltigen Unternehmensführung, die je nach aktuellem Interesse in einer beliebigen Reihenfolge lesbar sind. Kapitel 6 enthält die Ausführungen zur nachhaltigen Produktgestaltung und Kapitel 7 schließt mit Herangehensweisen zur Strategieänderung und Nachhaltigkeit als Führungsprinzip.
Jedes der themenspezifischen Kapitel endet mit einem Fazit mit Merkpunkten und einer Checkliste für Führungskräfte, um den Umsetzungsstand, Risiken und Chancen im eigenen Unternehmen prüfen zu können und daraus neue Strategieansätze zu entwickeln.
In diesem Buch stehen sicher Dinge und Fakten, die für manchen Leser neu sind oder in dieser Prägnanz und mit den Konsequenzen von ihm bislang nicht wahrgenommen wurden. Das Wesentliche aber ist die Zusammenstellung und die Darstellung der Zusammenhänge der nachhaltigen Entwicklung mit ihrem Einfluss auf Geschäftsmodelle, die Checklisten und die Möglichkeit daraus eine Strategie zu entwickeln.
Wer das Buch gelesen hat, bekommt Denkanstöße und vor allen Dingen mit den Checklisten praktische Tools, um zu prüfen, wie der Trend Nachhaltigkeit sein Unternehmen betrifft und um sich Orientierung zu verschaffen, ob das eigene Geschäftsmodell dem standhält.
Eines werde ich in diesem Buch mehrfach betonen: Ich bin ein überzeugter Verfechter von Umweltschutz und Nachhaltigkeit, aber auch überzeugter Unternehmer. Dies ist ein wirtschaftsfreundliches Buch und wenn die eine oder andere meiner Prognosen und Darstellungen Sie als Leser erschreckt, dann lenken Sie bitte Ihren Zorn nicht in Richtung des Überbringers der schlechten Nachricht, sondern überdenken Sie, was man ändern könnte oder sollte.
Nachhaltigkeit hat sich seit der Jahrtausendwende zu einem Schlagwort entwickelt. Ob in der öffentlichen Diskussion, der Tagespresse, Talkshows oder in Strategien von Unternehmen - das Wort taucht dauernd auf und wird von verschiedenen Diskutanten mal oberflächlich, mal behutsam, oft taktisch und meist auch PR-wirksam eingesetzt. Jedoch: Was bedeuten der Trend und die Notwendigkeit der nachhaltigen Entwicklung für Unternehmen? Was genau ist Nachhaltigkeit eigentlich und welche zukünftige Bedeutung hat das Thema für ein Unternehmen?
Nachhaltigkeit ist ein vielfältig verwendeter Begriff, der jedoch im eigentlichen Kern definitorisch eindeutig besetzt ist. Ursprünglich aus der Forstwirtschaft stammend (in seinem Werk „Sylvicultura oeconomica“; auf Deutsch „Nachhaltige Waldwirtschaft“, forderte der sächsische Beamte Hans-Carl von Carlowitz bereits 1713, nur so viel Holz zu schlagen, wie durch planmäßige Aufforstung, Säen und Pflanzen wieder nachwachsen konnte) gewann der Begriff für die breite Öffentlichkeit spätestens an Bedeutung, als die 1983 von den Vereinten Nationen ins Leben gerufene unabhängige Sachverständigenkommission „Weltkommission für Umwelt und Entwicklung (WCED = World Commission on Environment and Development)“ im Jahr 1987 ihren Zukunftsbericht „Unsere gemeinsame Zukunft“ veröffentlichte und im Schlusskapitel mit dem Titel „Handeln tut Not“ einen dramatischen Handlungsappell an die Weltöffentlichkeit richtete. Als „nachhaltig“ wird in dem Bericht eine Entwicklung bezeichnet „die den Bedürfnissen der heutigen Generation entspricht, ohne die Möglichkeiten künftiger Generationen zu gefährden, ihre eigenen Bedürfnisse zu befriedigen und ihren Lebensstil zu wählen.“ Weiter heißt es:
„Dauerhafte (nachhaltige) Entwicklung ist Entwicklung, die die Bedürfnisse der Gegenwart befriedigt, ohne zu riskieren, dass künftige Generationen ihre eigenen Bedürfnisse nicht befriedigen können. Zwei Schlüsselbegriffe sind wichtig:
und
„Dementsprechend müssen die Ziele wirtschaftlicher und sozialer Entwicklung im Hinblick auf die Dauerhaftigkeit definiert werden, in allen Ländern - Industrie- und Entwicklungsländern, marktorientierten oder zentral gelenkten.“1 Da die Kommission nach außen sehr stark durch die damalige Vorsitzende, die ehemalige norwegische Ministerpräsidentin Gro Harlem Brundtland, repräsentiert wurde, wird der Bericht oft „Brundtland-Bericht“ genannt, die zitierte Definition „Brundtland-Definition“.
Eine Zeit lang wurde die Nachhaltigkeit fälschlicherweise gleichgesetzt mit Umweltschutz und umweltschonendem Verhalten. Nachhaltigkeit ist jedoch deutlich mehr als Umweltschutz. Die Konsequenzen einer kapitalbasierten Marktwirtschaft implizieren neben physikalisch-biologisch-technischen Umweltveränderungen auch soziale Veränderungen, Zugangsbeschränkungen und unterschiedliche Möglichkeiten der Teilhabe an materiellen und immateriellen Gütern. In der aktuellen Sichtweise beinhaltet Nachhaltigkeit Gerechtigkeit nicht nur der Umwelt gegenüber sondern teilt sich in2:
Alle Fachleute sind sich einig, dass die Ziele einer nachhaltigen Entwicklung nur mit einem Paradigmenwechsel einhergehen können: Das gesamte ökonomische Handlungsgefüge und die bestehenden Regeln der Wirtschaft müssen und werden sich stark ändern. Viele Experten erwarten einen so starken Wandel der Rahmenbedingungen wirtschaftlichen Handelns, dass der Prozess als „große Transformation“ bezeichnet wird - dazu mehr im folgenden Abschnitt.
Dieser Prozess birgt gewaltige Risiken für heute noch erfolgreiche Unternehmen, birgt aber auch große Chancen. Unternehmen widmen sich dem Thema daher zunehmend. In der Vergangenheit wurden jedoch vielerorts in Unternehmen Strategie und Taktik durcheinander gebracht und die eigenen Ziele im Kontext der nachhaltigen Entwicklung nicht klar genug definiert bzw. die Unternehmensziele nicht oder nur zum Teil mit der nachhaltigen Entwicklung der Gesellschaft abgeglichen.
In vielen Unternehmen wurden oder werden Umweltmanagementsysteme implementiert und zu vollständigen Nachhaltigkeitsmanagementsystemen ausgebaut. Nach meiner Beobachtung bei Audits und Beratungsprozessen in mehr als 500 Unternehmen unterschiedlichster Größen und Branchen wirken diese Systeme oft nur punktuell, weil die strategische Zielsetzung nicht weit genug gesetzt wurde. Absicherung gegen Haftung, Einhaltung geltenden Rechts und Verbesserungen der Umweltleistung im Detail werden vielerorts - ohne Wichtigkeit in Abrede zu stellen - mit ökologischem oder nachhaltigem Verhalten verwechselt.
Um es an einem simplen Beispiel darzulegen: In den letzten Jahren sieht man häufig Kaffeemaschinen, die den Kaffee aus Einzelportionspatronen aus Kunststoff oder Aluminium aufbrühen, so dass pro Tasse Kaffee neben dem bei Kaffee ohnehin nicht unerheblichen „Water Footprint“ von 35 l pro Tasse3 und anderen Umweltauswirkungen auch Kunststoff- oder Aluminiumabfall anfallen- unter ein Gramm pro Tasse, aber eben viele tausend mal am Tag. Diese Innovation ist zwar ein wirtschaftlicher Erfolg, nachhaltig im definitorischen Sinne ist sie jedoch nicht, weil Aluminium und Kunststoff energieintensiv und aus endlichen Ressourcen hergestellt werden. Selbst wenn der Hersteller für die Einwegpatronen Recyclingmaterial einsetzt - nachhaltig ist das Produkt nach meiner Auffassung damit trotzdem noch nicht, einfach weil guter Espresso mit weniger Verpackungsabfall und weniger Energieaufwand herstellbar ist. In einem auf Nachhaltigkeit ausgerichteten Unternehmen sollte solch ein Produkt umgestaltet werden; welche Möglichkeiten es dazu gibt, lesen Sie im Kapitel 6 zur ökologischen und nachhaltigen Produktgestaltung.
Unternehmerische Nachhaltigkeit ist viel mehr als Umweltverbesserungen im Detail. Sie verlangt die Ausrichtung der gesamten Unternehmensstrategie auf ein sich veränderndes, nachhaltiges Marktumfeld und auf alle drei genannten Dimensionen der Nachhaltigkeit. Nach meiner persönlichen Überzeugung werden Unternehmen, die diesen Trend erkennen, nicht nur dauerhaft erfolgreicher sein als andere, sondern nur solche Unternehmen werden im künftigen Markt dauerhaft Bestand haben. Die Umweltveränderungen und insbesondere der Klimawandel, die Energiewende und der Wandel zu einer auf Nachhaltigkeit ausgerichteten Verbrauchergesellschaft werden die Märkte viel drastischer verändern, als viele Führungskräfte dies heute für vorstellbar halten.
An alle Führungskräfte, die sich auf diese Veränderungen einstellen und sich auch selber auf Veränderungen einlassen wollen, richtet sich dieses Buch.
1 Alle drei Zitate aus: WCED (1987)
2 Weizsäcker et al. (2007)
3 Chapagain, Hoekstra (2007)
Jede menschliche Aktivität hat in allen Phasen der menschlichen Geschichte zu einem Verbrauch von Ressourcen geführt. In vorindustriellen Zeiten mussten nachwachsende und endliche Ressourcen unter hohem manuellem Arbeitseinsatz mühsam gesammelt oder gewonnen werden, dies hat die Quantität der eingesetzten und verbrauchten Ressourcen naturgemäß eingeschränkt. Mit Beginn der Industrialisierung hat sich der Energie- und Materialeinsatz zunächst vermehrfacht, dann potenziert und er steigt immer weiter.
Die Menge der eingesetzten Faktoren Arbeit, Kapital und Boden bestimmt herkömmlicherweise die Höhe des wirtschaftlichen Ergebnisses. In einer aktualisieren Betrachtung der Wertschöpfungsketten müsste an Stelle des Produktionsfaktors Boden die Integration sämtlicher natürlicher Ressourcen erfolgen: Boden, natürliche Wasservorräte, saubere Luft bzw. die Erdatmosphäre, die Artenvielfalt, regenerative und nicht regenerative Energieträger, mineralische Rohstoffe - sprich alle Ressourcen, die auch ohne menschliche Aktivität auf der Erde vorhanden wären.4 Es ist eine lange evidente Tatsache, dass diese natürlichen Ressourcen nicht beliebig vermehrbar sind und sich nicht in gleichem Tempo regenerieren wie sie von anthropogener Aktivität abgebaut werden. Seit Beginn der Industrialisierung verhalten sich die expandierenden Unternehmen, aber auch Staaten und Konsumenten jedoch kontinuierlich so, als seien die natürlichen Ressourcen der Erde unerschöpflich.
Zunächst einmal: Warum auch nicht? Von Phasen der Kriege abgesehen geht es seit Beginn der Industrialisierung jeder Generation in den Industrienationen wirtschaftlich besser als den Generationen vorher. Das Leben ist permanent bequemer geworden, es ist hell und warm oder kühl wenn man es mag, alle notwendigen oder gewünschten Güter stehen - zumindest den privilegierten Menschen in den Industriestaaten - rund um die Uhr erschwinglich zur Verfügung. Dass dieser wirtschaftliche Aufschwung mit Umwelt- und Ressourcenverbrauch einherging, wurde und wird akzeptiert, weil es vielen Teilnehmern am wirtschaftlichen System, also Produzenten, Konsumenten und auch Staaten, permanent „besser“ geht. Zudem ist das Gesamtsystem Erde sehr groß, so dass der Gewinn an Lebenskomfort und Wohlstand weitaus spürbarer war als die Lasten der belebten und unbelebten Umwelt. Solange die Belastbarkeitsgrenzen des Systems fern sind oder vielleicht sogar weit ferner als das Ende der eigenen Lebensspanne, scheint die Belastung akzeptabel und wird billigend in Kauf genommen.
Zu den ersten öffentlichkeitswirksamen und außerhalb einer reinen Fachwelt publizierten Erkenntnissen, dass die „Grenzen des Wachstums“ nicht erst in ferner Zukunft zu erwarten sind, sondern in einem überschaubaren Zeitrahmen erreicht sein könnten, gehören der gleichnamige Bericht an den „Club of Rome“ aus dem Jahr 1972 5 sowie ein Buch mit dem einprägsamen Titel „Ein Planet wird geplündert“ aus dem Jahr 1975.6 Trotz zahlloser weiterer Erkenntnisse und einem vertieften naturwissenschaftlichen Verständnis der Öko- und Klimasysteme sowie derer Belastbarkeitsgrenzen sind zahlreiche Erkenntnisse beider Publikationen noch erstaunlich aktuell; auf den Punkt gebracht heißt es: Unser Wirtschaftssystem und unser Lebensstil sind nicht nachhaltig, wir leben eben nicht so, dass wir die Interessen der heute lebenden „schwächeren“ Erdbewohner und jene der künftigen Generationen auch nur annähernd berücksichtigen. Wir hinterlassen künftigen Generationen ein schweres Erbe und in vielen Belangen schlechtere Umweltbedingungen und schlechtere Voraussetzungen, als wir sie selber vorfanden, als wir geboren wurden.
Mittlerweile hat die Veränderung des Zustands der Umwelt ein Maß erreicht, welches für jeden verantwortungsbewusst Denkenden spürbar geworden ist. Es ist nicht Thema dieses Buches, die anthropogenen Umweltveränderungen und deren Folgen umfänglich und systematisch zu beschreiben und mit wissenschaftlichen Belegen zu unterfüttern, dies ist in diversen anderen Werken umfänglich erfolgt und sehr gut beschrieben worden. Um jedoch insbesondere die Kapitel im Buchteil, der sich um die ökologische Dimension der Nachhaltigkeit in der Unternehmensführung dreht, zu verstehen, muss man zumindest einen groben Überblick haben, an welchen Stellen sich die Umwelt durch menschliches Handeln und wirtschaftliche Aktivitäten verändert. Es gibt verschiedene Einteilungen, die Society of Environmental Toxicology and Chemistry (SETAC) hat in einer vielgenutzten Standardveröffentlichung für die Erstellung von Ökobilanzen die Umweltveränderungen in zehn sogenannten Umweltwirkungskategorien eingeteilt.7 Bei dieser Kategorisierung - die nur eine der möglichen ist - werden die anthropogenen Umweltbeeinflussungen nach Art der Auswirkungen eingeteilt. Die jeweiligen Einflussfaktoren, also zum Beispiel emittierte Schadstoffe, genutzte Ressourcen usw. können dabei die Umwelt teilweise jeweils gleich in mehreren Umweltwirkungskategorien schädigen:
1.
ABBAU NATÜRLICHER RESSOURCEN: Hierzu zählen alle fossilen Energieträger, aber auch mineralische Rohstoffe und nachwachsende Rohstoffe, die langsamer nachwachsen, als sie abgebaut werden. Einige Zahlen: Die Öl- und Erdgasreserven halten vielleicht noch 20, vielleicht noch 70 Jahre. Dass man die Zahl nicht genau benennen kann, liegt an neuen Funden bzw. neuen Methoden, die durch höhere Preise wirtschaftlicher werden, ist aber für die Aussage belanglos. Die Welt verbraucht aktuell in einem Jahr die Menge an fossilen Energieträgern, die in 470 Jahren angelegt wurden und die Reserven sind physikalisch endlich, es ist für eine nachhaltige Denkweise belanglos, ob diese Endlichkeit in 20 oder in 10 Jahren eintritt. Die geogenen Reserven an Phosphat, einem essentiellen Rohstoff für die Landwirtschaft, enden in ca. 110 Jahren, die Reserven an Kupfer werden in ca. 30 und an Nickel in ca. 40 Jahren zu Ende gehen.8 Auch der Raubbau an der belebten Natur zählt zu dieser Wirkungskategorie: Täglich werden zum Beispiel 55.000 ha Tropenwald vernichtet.9 (Zum Vergleich: Der Bodensee hat 53.800 ha und während Sie eine Stunde lang in diesem Buch lesen, gehen somit 23 km2Tropenwald unwiederbringbar verloren.)
2.
DER TREIBHAUSEFFEKT, (in internationaler Terminologie Greenhouse Effect) verursacht durch Substanzen mit einem messbaren Treibhauspotential bzw. Global Warming Potential (GWP). Täglich werden ca. 60 Millionen Tonnen Kohlendioxid emittiert. Kohlendioxid ist nicht das einzige Treibhausgas bzw. Greenhouse Gas (GHG); hinzu zählen auch Methan (vornehmlich auch Tierhaltung und Landwirtschaft), Distickstoffmonoxid und zahlreiche halogenierte Chemikalien, aber Kohlendioxid ist das GHG mit dem in Summe größten Anteil am messbaren Effekt. Seit dem Beginn der industriellen Revolution hat der Kohlendioxidanteil in der Atmosphäre um rund 35% zugenommen. Gemeinsam mit den anderen treibhausrelevanten Gasen führt dies zu einer Erhöhung der durchschnittlichen Oberflächentemperatur der Erde: Seit 1861 ist diese messbar, sie stieg im 20. Jhdt. um 0,6±0,2 °C10 und wird voraussichtlich bis 2100 je nach Entwicklung zwischen 1 und 3,5 Kelvin weiter ansteigen. In der Folge sind dramatische Klimaveränderungen und Wetterextreme spürbar, deren exakte ursächliche Zurückführung auf den Treibhauseffekt zwar wissenschaftlich schwierig, unter Experten aber kaum mehr strittig ist. Der Meeresspiegel stieg infolge im 20. Jhdt. zwischen 10 und 20 cm und steigt vermutlich zwischen 15 und 95 cm bis 2100. Die Vielfalt und Verbreitungsgebiete von Tierarten werden sich verändern, durch Zunahme von Gletscherschmelzen und mehr Flusseinträge gelangt mehr Süßwasser in das Nordpolarmeer und die gesamte ozeanische Zirkulation verlangsamt sich11 mit drastischen Auswirkungen auf das Wetter auch in Europa. Eine der besten und beispielhaftesten Schilderungen ist das Buch eines australischen Biologen, der sehr beispielhaft und einprägsam die Auswirkungen des Klimawandels auf die Biosphäre beschreibt und darstellt, welche Organismen für immer von der Erde verschwinden.12 Aber auch Sachgüter sind betroffen: Orte und Anlagen an der Küste werden erhöhter Sturm- und Überschwemmungsgefahr ausgesetzt, tauender Boden wird Verkehrswege, Gebäude und Infrastruktur schädigen. Einer der weltgrößten Rückversicherer berichtet: 13 „Die Zunahme der Naturkatastrophenschäden, in den vergangenen Jahrzehnten weltweit beobachtet und in den Schadenbelastungen der Versicherungswirtschaft gut dokumentiert, zählt zu den ersten und stärksten Indizien für den wachsen Einfluss der globalen Umweltveränderungen, die der Mensch verursacht. Darüber herrscht breiter Konsens sowohl in Wissenschaft und Wirtschaft wie auch in der Politik, den Medien und nicht zuletzt der Bevölkerung. […] Vergleicht man die Zahlen der vergangenen Jahrzehnte, wird die ganze Dramatik offenbar: Große Wetterkatastrophen traten in den 10 Jahren 1994 - 2003 fast 3-mal so häufig auf wie noch in den 1960er-Jahren. Die volkswirtschaftlichen Schäden stiegen inflationsbereinigt auf das fünffache, die versicherten sogar auf das zehnfache.“
In der Folge kommt es zu Sekundäreffekten sozialer Art und im Risikobereich. Auch sehr etablierte und konservative Institutionen sind mittlerweile von der Folgenschwere der Entwicklung überzeugt. So hat die Weltbank Ende 2012 einen Bericht veröffentlicht, der davor warnt, mehr als das sogenannte „2-Grad-Ziel“, also die Erwärmung um 2 Kelvin zuzulassen und davon ausgeht, dass sich die negativen Folgen potenzieren, wenn die durchschnittlich Erwärmung 4 Kelvin beträgt. Ernteausfälle mit Hungerfolgen in bestimmten Regionen, Wasserversorgungsengpässe in anderen Regionen und völkerwanderungsähnliche Migrantenströme bei der Aufgabe von zu oft überschwemmten küstennahen Regionen mit entsprechenden sozialen Effekten sind nur ein Teil der Aspekte, vor denen die Weltbank in ihrer Studie warnt.14
Das Planungsamt der deutschen Bundeswehr hat eine Studie zu Implikationen für Sicherheit und Stabilität im Nahen Osten und Nordafrika vorgelegt und kommt zu dem Schluss, dass in diesen ohnehin brisanten Regionen „die Hebel Wasser, Ernährung und landwirtschaftliche Entwicklung dabei am stärksten von den direkten Klimafolgen betroffen sind. Schon heute ist Wasser in der Region knapp und die Verfügbarkeit wird weiter abnehmen [...]. Besonders auf Grund klimainduzierter Krisen in der Landwirtschaft wird eine Abwanderung in urbane Räume für viele Menschen attraktiver“. Da die Städte in diesem Raum bereits ohnehin stark belastet sind, so die Studie, „könnten Städte im Kontext des Klimawandels auch zu Zentren humanitärer Krisen werden.“15 Der Klimawandel ist somit neben direkten Auswirkungen auf Ökosysteme ein sicherheitspolitischer Risikotreiber.
3.
ABBAU STRATOSPHÄRISCHEN OZONS, verursacht durch Emissionen von Substanzen mit einem Ozonabbaupotential; engl. Ozone depletion potential (ODP): Seit den sechziger Jahren vergrößert sich das „Ozonloch“, d.h. die Stellen, an welcher die schützende, UV-Licht filternde Ozonschicht in der Stratosphäre dünner geworden ist, permanent. Auslöser sind die jahrelangen Emissionen der nunmehr gebannten Fluorchlorkohlenwasserstoffe (FCKW) und der hieraus resultierende Ausstoß von Chlor in der Stratosphäre. Auch wenn Forscher aus den USA im Jahr 2003 erste Anzeichen für eine Erholung der Ozonschicht entdeckt haben: Der Abbau des oberen Teils dieser Schicht geschieht bislang nur weniger rasch als zuvor (Die Forscher werteten Daten von drei Satelliten der Weltraumagentur NASA und drei internationalen Bodenstationen aus. Dabei zeigte sich, dass der Abbau des oberen Teils der Ozonschicht in ca. 40 Kilometer Höhe über der Erdoberfläche seit 1997 verlangsamt ist. Die neue Untersuchung zeigte damit erstmals, dass der Stopp der FCKW-Produktion aufgrund des Protokolls von Montreal positive Auswirkungen hat.) Auch wenn damit die erste gute Nachricht seit Jahren in dieser Wirkungskategorie kam, sind die Wirkungen immer noch dramatisch: Bei Abnahme der Ozonschicht um 1 % nimmt statistisch die Anzahl der Hautkrebserkrankungen um 3-5 % zu, die Schädigung von Pflanzen führt zu Ernteeinbußen und die erhöhte UV-Strahlung führt zu Zerstörung von ozeanischem Phytoplankton, welches wiederum ein wichtiger Sauerstoffbildner im globalen System ist.
4.
SOMMERSMOG BZW. BILDUNG VON PHOTOOXIDANTIEN: Die Photooxidantienbildung die durch Lichteinwirkung auf Vorläufersubstanzen (Luftfremdstoffe) entsteht ist die Ursache für den sogenannten Sommersmog, der zu starken Beeinträchtigungen der Gesundheit und des Wohlbefindens führt: Bei intensiver Sonneneinstrahlung werden durch photochemische Reaktionen aus Luftschadstoffen, welche wiederum aus Straßenverkehr und industriellen Prozessen in die Luft gelangen (u.a. Stickstoffoxide, flüchtige organische Verbindungen ohne Methan (NMVOC), Aromaten) so genannte Photooxidantien wie Ozon und weitere Substanzen gebildet.
Als Maß zur Abschätzung des Oxidantienbildungspotentials wird der POCP-Wert herangezogen. Der POCP-Wert eines Schadstoffes ist ein relatives Maß für die Veränderung der Ozonkonzentration an einem Ort, wenn die Emission des betrachteten Schadstoffes um denselben Betrag geändert wird wie die Emission eines Referenz-Schadstoffes.
Ozon ist die Leitsubstanz des Sommersmogs, da es von der Konzentration und den Wirkungen her dominiert. Der Ozongehalt der Troposphäre stieg durch menschliche Aktivitäten um 36 % seit 1750. Eingeatmetes Ozon kann Schleimhäute reizen und Entzündungen hervorrufen. Deshalb warnt man auch vor sportlicher Aktivität und Belastung im Freien, der Ozonwert einen bestimmten Schwellenwert übersteigt. Symptome sind Schwindel, Kopfschmerzen und Müdigkeit. Besonders gefährdet sind Kinder, Allergiker und Asthmapatienten, gerade weil letztere ja sowieso schon Probleme mit den Atemwegen haben. Statistische Untersuchungen, auch der WHO, belegen, dass über die genannten Luftschadstoffe und die Photooxidantien eine messbare Steigerung der Mortalität entsteht, mehr hierzu im Kapitel 4.7.
5.
VERSAUERUNG VON BÖDEN UND GEWÄSSERN: Das Verbrennen fossiler Energieträger wie Kohle oder Öl setzt Stoffe wie Schwefeldioxid und Stickoxide frei, die in der Atmosphäre mit Wasser zu Säure reagieren und darüber zu einem Anstieg der Hydroniumionen-Konzentration im Regen führen. Die Säuren gelangen auf Pflanzen, Tiere, Sachgüter und in Böden. Neben den Stoffeinträgen aus Verbrennungsprozessen wirken Entnahmen von Erntegütern und Holzschlagung ebenfalls versauernd, da die Pflanzenmassen den Böden alkalische Substanzen (Calcium-, Kalium-, Magnesiumsalze) entziehen.
Die sauren Einträge führen zur Absenkung des pH-Wertes in den Umweltkompartimenten. Neben einer direkten Schädigung von Gebäuden und Denkmälern und Wäldern hat dies Folgen auf die Artenzusammensetzung, da bestimmte Organismen - Flechten, Moose, Regenwürmer, Schnecken; viele Fischarten usw. im sauren Milieu schlechter leben können. Neben den direkt betroffenen Organismen sind natürlich aufwärts in der Nahrungskette weitere Tiere betroffen, deren Nahrung abgängig ist.
Die Versauerung war in den achtziger Jahren des 20. Jahrhunderts ein Brennpunktthema, weil die Folgen optisch sichtbar waren („Waldsterben“) und die Menschen emotional und direkt in ihrer Lebensqualität berührte. Es ist zweifelsohne einer der wichtigsten Erfolge der Umweltschutzpolitik in Europa, dass sich seit dem die atmosphärischen Säureeinträge im Mittel von 2,0 auf 1,0 Kilomol Säureäquivalent je Hektar und Jahr halbiert haben.16 Abgasreinigungsanlagen in Kraftwerken und die Reduzierung des Schwefelgehaltes in Treibstoffen sind hierbei die wichtigsten Maßnahmen gewesen. Auch wenn damit Versauerung in Westeuropa nicht mehr das dringlichste Umweltproblem ist, weltweit ist es ein sehr akutes Problem und weltweite Versauerungseinträge beeinflussen auch die Situation in Europa.
6.
EUTROPHIERUNG UND GEWÄSSERVERSCHMUTZUNG: Die marinen Ökosysteme werden durch persistente Chemikalien und Nährstoffe aus Luft und Flüssen sowie Schifffahrt und Ölexploration einem extremen Stress ausgesetzt, der zu einer alarmierenden Reduzierung der Fischvorräte in den Weltmeeren geführt hat. Auch viele Binnengewässer sind überdüngt oder für den menschlichen Gebrauch nicht mehr vollständig geeignet. Derzeit haben etwa 1,2 Milliarden Menschen keinen permanenten Zugang zu sauberem Trinkwasser und 130 Millionen Menschen müssen sogar im täglichen Überlebenskampf nach trinkbarem Wasser suchen. In vielen Ländern liegen die Sickerverluste durch defekte Leitungen bei über 50 % der Wassermenge. Nur etwa 10 % aller Abwässer weltweit werden geklärt. Infolgedessen ist mangelnde Trinkwasserqualität die Todesursache für mehr als 5 Millionen Menschen jährlich. Heute leidet bereits ein Zehntel der Weltbevölkerung unter Wasserknappheit, im Jahr 2050 werden es Schätzungen zufolge rd. 4 Milliarden Menschen sein. Wassermangel ist in vielen Staaten ein Hemmschuh für die wirtschaftliche Entwicklung und Ursache für die Migration von Teilen der Bevölkerung bzw. für die zunehmende Landflucht.17 Die übermäßigen Nährstoffeinträge haben auch in Europa zu Veränderungen der Gewässerqualität geführt, zahlreiche Fischarten, aber auch Mikroorganismen im Makrozoobenthos sind schlicht verschwunden oder müssen mühsam wieder angesiedelt werden.
7. und 8.
HUMANTOXIZITÄT und ÖKOTOXIZITÄT: Es gibt zahlreiche Stoffe die humanoder ökotoxisch wirken und aus menschlichen Aktivitäten in die Umwelt gelangen. Zu nennen sind Schwermetalle, halogenierte organische Substanzen, Hormone und hormonartige Stoffe, Metaboliten von Medikamenten u.v.m. Für die Anwendung bislang existierender Methoden, die Wirkung von allgemein als "giftig" bezeichneten Stoffen in eine allgemeine Skalierung zu fassen, fehlt bislang die Datengrundlage. Zu diversifiziert ist die Situationsvielfalt: Um humantoxikologische oder ökotoxikologische Wirkungen bewerten zu können, sind viele einzelne Parameter zu betrachten: Gleichzeitiges Auftreten verschiedener Giftstoffe (und dadurch bedingte Synergismen und Antagonismen), Expositionsdauer, Konzentration, Abbaubarkeit bzw. Persistenz, Metabolisierung, Akkumulationspotential usw..
Viele schädliche Stoffe reichern sich in bestimmten Umweltkompartimenten (Gewässersedimente, Fettgewebe von Tieren, Klärschlamm etc.) an und gelangen auf diversen Wegen wieder in die Nahrungskette. Die Wirkungen sind vielfältig, sie gehen vom Aussterben einzelner Spezies über Mutationen und Krebserkrankungen bis hin zu Veränderungen der Fertilität von Tieren.
Berichte zur schädlichen Wirkung von Stoffen auf Mensch und Umwelt würden ein eigenes Buch füllen; an dieser Stelle soll nur festgehalten werden, dass Stoffe aus industriellen Prozessen und anderen menschlichen Aktivitäten in die Umwelt gelangen und dort immer dann eine Wirkung entfalten, wenn sie nicht sehr kurzfristig zu unschädlichen Stoffen abgebaut werden.
9.
EINGRIFF IN ÖKOSYSTEME UND LANDSCHAFTEN: Die intensive land- und forstwirtschaftliche Nutzung, die Zerschneidung und Zersiedelung von Landschaften, die Versiegelung von Flächen, Stoffeinträge und der Klimawandel beeinflussen ganze Ökosysteme und reduzieren die Artenvielfalt. Der Flächenverbrauch zeigt in allen Ländern dramatische Konsequenzen: Täglich nimmt das weltweit verfügbare Ackerland um 20.000 ha ab, auch in Deutschland sind wir von einer täglichen Flächenversiegelung von 87 Hektar betroffen, was schon ein Fortschritt ist, wenn man bedenkt, dass der Wert bis ca. 2004 bei 120 ha/Tag lag.18 Zwei Milliarden ha (das sind 15 % der eisfreien Landfläche) zeigen bereits Zeichen von Degenerierung. Zu groß ist hierbei der Verlust der biologischen Vielfalt: Täglich sterben zwischen 100 und 200 Tier- und Pflanzenarten aus. Nie seit dem Ende der großen Eiszeit vor 65 Mio. Jahren hat die Welt in so kurzer Zeit so viele Spezies verloren. Besonders spürbar ist der Artenrückgang und die Reduktion der Bestände auch in den Weltmeeren; die Überfischung, der Klimawandel und die Stoffeinträge haben zur Reduzierung der Fischbestände in allen Weltmeeren geführt. Die Welternährungsorganisation FAO sagt, dass heute 85 % der kommerziell genutzten Fischbestände, darunter beispielsweise Thunfisch, Rotbarsch oder Kabeljau, als überfischt oder maximal genutzt gelten.19
10.
ABFALLENTSTEHUNG UND ABFALLVERBLEIB: Die Abfallentstehung - unabhängig von dem Expertenstreit ob es sich um eine eigene Umweltwirkungskategorie handelt oder nicht - ist ein schwerwiegendes Belastungsproblem für den Planeten. Abfall ist überall. In Deutschland wurde durch eine sehr rigide Gesetzgebung, die sich seit den 70er Jahren von einem Abfallgesetz nebst untergesetzlichem Regelungswerk zu einem „Kreislaufwirtschaftsgesetz“ gewandelt hat, weil nach dem politischen Idealbild alle Stoffe im Kreis fließen sollen, das Abfallaufkommen mittlerweile reduziert: Die sogenannten Siedlungsabfälle, also Hausmüll, hausmüllähnliche Gewerbeabfälle, Sperrmüll, Verpackungsabfälle, Papier aus Haushalten etc. sind von 50.132.000 Tonnen im Jahr 2000 auf 48.486.000 Tonnen im Jahr 2010 leicht gesunken. Der eigentliche „Hausmüll“ in diesen Abfällen ist im gleichen Zeitraum von 18.030.000 auf 14.558.000 Tonnen gesunken, das sind aber immer noch 182 kg pro Bürger und Jahr, das heißt jeder Deutsche schmeißt am Tag ca. eine halbes kg Material einfach auf den Müll. Unfassbare 359.387.000 Tonnen bzw. 4,5 Tonnen pro Bürger beträgt das jährliche Gesamtabfallaufkommen in Deutschland, das ist die Summe der Siedlungsabfälle plus Abfälle aus dem produzierenden Gewerbe, Abfälle aus Bergbau und aus Bauvorhaben.20
87 % der Verpackungen werden in Deutschland verwertet, 1992 waren es nur 33 %. Global jedoch ist das Abfall-Problem deutlich größer: Schon in den europäischen Partnerländern wie Frankreich und Griechenland dümpelt die Abfall-Verwertungsquote um die 20 %, in Bulgarien waren es 2011 knapp über 0 %. Die Dramatik lässt sich am besten in Zahlen und Beispielen verdeutlichen: „Ein Drittel der vermeintlichen Sandkörner an vielen britischen Stränden sind tatsächlich kleingewaschenes Plastik. 1,3 Milliarden Tonnen Lebensmittel verderben im Jahr auf der Welt, das ist fast ein Drittel der Produktion. Je Quadratkilometer der Ozeane schwimmen im Schnitt ca. 46.000 Stücke Plastikmüll; in Muscheln und toten Seevögeln findet man diese Partikel wieder. Allein in Deutschland fallen pro Jahr 600.000 Tonnen Elektroschrott an, nicht einmal die Hälfte wird im tatsächlichen Sinne recycelt.“21 Abfallaufkommen ist ein vielschichtiges Problem, was eng in andere Umweltwirkungskategorien hineinkoppelt: Abfallentstehung und Abfallbeseitigung bedeuten gleichzeitig auch immer einen Verbrauch endlicher Ressourcen. Abfälle haben neben dem ästhetischen Aspekt der sichtbaren Verschmutzung und der Beeinträchtigung besonders der Tierwelt oft auch eine human- oder ökotoxische Bedeutung und selbst die gewünschte Abfallverwertung zieht den Verbrauch von Energie und die Emission von Abgasen nach sich. Eine abfallvermeidende Wirtschafts- und Lebensweise zeichnet sich überhaupt noch nicht ab.
Neben den beschriebenen Umweltveränderungen in den erwähnten zehn Wirkungskategorien zeitigen unsere Lebensstile und unsere Wirtschaftsweise aber auch ökonomische und soziale Probleme. Diese resultieren nach meiner Überzeugung aus der Ungleichverteilung des Verbrauchs (natürlicher) endlicher Ressourcen: Jedes Leben induziert über den Stoffwechsel einen gewissen Verbrauch von natürlichen Ressourcen. Der stoffliche Umsatz des Menschen - also beispielsweise eines steinzeitlichen Jägers - beträgt durch Nahrungsaufnahme, Atmung und Transpiration etwa 800 kg pro Jahr. Mit jedem Zivilisationsschritt hat der Mensch weitere Ressourcenverbräuche induziert, beginnend mit dem Gebrauch von steinzeitlichen Waffen, Bekleidung, die Nutzung von Hütten und späteren Gebäuden, den Ackerbau und die Nutzung mineralischer Rohstoffe. Es gibt heutzutage auf der Erde keine größere Gesellschaftsform mehr, die mit einem Stoffumsatz von unter einer Tonne auskommt, in einer oft zitierten Studie des Stoffwechsels der Bewohner eines indischen Dorfes beträgt dieser z.B. bereits 2 bis 5 Tonnen pro Jahr und ist somit das drei- bis sechsfache des „biologisch notwendigen“ Stoffwechsels.22 Jedes Mitglied unserer modernen Industriegesellschaften hat jedoch einen Materialbedarf, der nach verschiedenen Untersuchungen das 50-bis 80-fache des biologisch unerlässlichen Niveaus beträgt, nämlich etwa 4070 Tonnen (ohne Wasser und Luft). Auch hier liegt auf der Hand, dass die Menge des Verbrauchs und der Ort, an dem die natürlichen Ressourcen verbraucht werden, weltweit sehr asymmetrisch verteilt sind.
Ernst Ulrich von Weizsäcker und sein Team haben in ihrem Buch „Fair Future“ diese Asymmetrie in Zahlen gefasst:
Managern, die sich für einzelne Rohstoffe Ihrer Märkte ein genaueres Bild machen wollen, liefert der Bericht des Wuppertal-Instituts, aus dem diese Zahlen zitiert sind, einen guten Gesamtüberblick mit vielen detaillierten Werten.23
Besonders drastisch wird die Ungleichverteilung der Umweltbelastungen auch am Beitrag zum Treibhauseffekt: Durchschnittlich stößt ein Erdenbürger jährlich ca. 4 bis 4,5 Tonnen CO2 aus. Während wir in Deutschland jedoch - bedingt durch unser Konsumniveau und den Energieverbrauch - einen überdurchschnittlichen Beitrag von etwa 11,5 Tonnen CO2 pro Kopf und Jahr haben und die US-Amerikaner sogar über 20 Tonnen, ist der Beitrag der Bürger in den ärmeren Ländern weit weniger als der Durchschnitt von 4 Tonnen. Das Gleichverteilungsziel „One person - one emissionright“ liegt in weiter Ferne.
Auch vom sozialen Gesichtspunkt ist die Ungleichverteilung mehr als unfair: Wenn, wie in den letzten Jahren erfolgt und oft beklagt, die Preise für fossile Energieträger deutlich steigen, dann steigen sie weltweit, denn Öl und Gas sind ein Commodity mit Preisbildung auf dem Weltmarkt. Eine Preissteigerung von z.B. 0,1 US-$ pro Liter Diesel trifft aber die armen Weltbürger deutlich härter als uns: Für einen Deutschen bedeutet das, dass er eventuell in der Woche ein Bier weniger trinken kann, ein afrikanischer Kleinbauer kann seine Ernte nicht mehr zum Markt fahren, weil die wenigen Dollar in der Woche seine schmale Marge aufzehren: Ein US-$ hat in einem afrikanischen Land eine viel höhere Kaufkraftparität als bei uns.
Unser aktueller Lebensstil gleicht einem Wahnwitz: Wir kämen mit unter einer Tonne Stoffumsatz im Jahr aus. Das wäre zugegebenermaßen unbequem und ohne jeden Komfort. Mit zwei bis fünf Tonnen ließe sich einigermaßen bequem leben, aber für die EU wird geschätzt, dass der Stoffverbrauch ca. 50 Tonnen pro Kopf und Jahr beträgt, wobei sich der Ort, an welchem der Stoffverbrauch induziert wird, sich seit Jahren mehr und mehr auf die Seite der Länder verschiebt, aus denen die EU ihre Waren importiert - also in die Länder, in denen Erze, fossile Brennstoffe und Mineralien abgebaut werden. Das Verrückte dabei ist, dass zahlreiche der Stoffumsätze im eigentlichen Sinne unnötig sind. Natürlich wird und soll niemand auf eine geheizte Wohnung verzichten - aber wo früher eine Familie auf 80 m2lebte, wohnt heute ein Single und der heizt aus reiner Bequemlichkeit die gesamte Fläche und dies noch dazu mit einem ineffizienten System. Jeder von uns hat hunderte von Gegenständen im Haushalt, die er weder benötigt noch nutzt: Textilien, Werbegeschenke, sinnlose Mitbringsel, Gläser, Kunststoffartikel u.v.m. Wir nutzen zahllose Gegenstände für eine sehr begrenzte Zeit, dann werfen wir sie weg und beschaffen sie neu, wo noch vor zwei Generationen ein gleicher Gegenstand für Jahr genutzt wurde. „Neu“ gilt als schick, modern und dem „lifestyle“ entsprechend, alt und langlebig gilt bis auf wenige Ausnahmen als „out“. Jeder einzelne dieser Artikel wurde mit Energie- und Stoffaufwand produziert, alles ist permanent und zu jeder Zeit verfügbar, egal ob dies Sinn ergibt oder notwendig ist, wir essen frische Himbeeren im Winter und frische Äpfel im Frühjahr, egal ob gerade Saison ist oder das konsumierte Gut mit hohem Energieaufwand vom anderen Ende der Welt importiert wird.
24