Einer flog über das Kuckucksnest

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Veröffentlicht im Rowohlt Verlag, Hamburg, Januar 2021

Copyright © 1982 by Rowohlt Verlag GmbH, Reinbek bei Hamburg

«One flew over the cuckoo’s nest» Copyright © 1962 by Ken Kesey

Copyright © 1964 by The Viking Press, Inc., New York

Copyright für die deutsche Übersetzung 1971 by März Verlag KG, Frankfurt am Main, der die deutsche Erstausgabe veröffentlichte.

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Covergestaltung Umschlag-Konzept: any.way, Hamburg Barbara Hanke/Heidi Sorg/Cordula Schmidt

Coverabbildung peeterv/iStock

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ISBN 978-3-644-57061-0

www.rowohlt.de

 

Alle angegebenen Seitenzahlen beziehen sich auf die Printausgabe.

ISBN 978-3-644-57061-0

Einer flog über das Kuckucksnest.

Kinderreim

Schwarze Jungen in weißen Uniformen, die vor mir auf den Beinen sind, um im Flur Sexspiele zu treiben und die Spuren aufzuwischen, ehe ich sie dabei erwischen kann.

Sie sind am Aufwischen, als ich aus dem Schlafsaal komme, alle drei schlechter Laune und voller Haß auf alles, die Tageszeit, ihren Arbeitsplatz, die Leute, die sie bei der Arbeit dauernd um sich herum haben. Solange sie so hassen, ist es besser, sie sehn mich nicht. Lautlos wie Staub schleiche ich mich in meinen Segeltuchschuhen an der Wand entlang, doch sie haben ganz empfindliche Spezialgeräte, die entdecken meine Angst, und alle schauen hoch, alle drei gleichzeitig, und die Augen funkeln aus den schwarzen Gesichtern wie das kalte Gefunkel von Röhren aus der Rückseite eines alten Radios.

«Da kommt er ja, der Häuptling. Der Super-Häuptling, Kumpels. Der alte Besenhäuptling persönlich. Immer ran an den Speck, Besenhäuptling …»

Drücken mir einen Staubbesen in die Hand und deuten mit einer Kopfbewegung auf die Stelle, die ich heute kehren soll, und ich ziehe ab. Einer klopft mir mit einem Besenstiel hinten auf die Beine, um mir Dampf zu machen.

«Mann, seht bloß, wie der spurt. Ist groß genug, mich glatt in die Pfanne zu hauen, und folgt mir wie so 'n Baby.»

Sie lachen, und dann hör ich, wie sie hinter mir die Köpfe zusammenstecken und murmeln. Gemurmel von schwarzen Maschinen, von Haß und Tod und anderen Geheimnissen der Anstalt. Sie machen sich gar nicht erst die Mühe, leise über ihre Haß-Geheimnisse zu reden, wenn ich in der Nähe bin, sie glauben nämlich, ich sei

Sie trägt ihren geflochtenen Weidenkorb, von der Art, wie ihn der Stamm der Umpquas im August entlang der heißen Landstraßen verkauft, ein Korb in der Form eines Werkzeugkastens mit einem Henkel aus Hanf. Sie hat ihn schon all die Jahre, die ich hier bin. Er ist lose geflochten, und ich kann durchsehen; sie hat keine Puderdose oder Lippenstift oder sonstiges Weiberzeug drin, sie hat den Korb mit tausend Dingen gefüllt, die sie heute im Dienst benützen will – Rädchen und Getriebe, auf Hochglanz polierte Zahnräder, winzige Pillen, die wie Porzellan glitzern, Nadeln, Pinzetten, Uhrmacherzangen, ganze Rollen Kupferdraht …

Sie nickt mir im Vorbeigehen flüchtig zu. Ich lasse mich vom Besen an die Wand drücken und lächle und versuche, so gut es geht, ihre Geräte zu verwirren, dadurch, daß ich meine Augen vor ihr verberge – sie können nicht so viel über dich rausfinden, wenn du die Augen zuläßt.

In meiner Dunkelheit höre ich, wie ihre Gummiabsätze auf die Fliesen treffen und das Zeug in ihrem Weidenkorb durcheinandergeschüttelt wird, als sie an mir vorbeigeht. Sie hat einen steifen Gang. Als ich die Augen wieder aufmache, ist sie am Ende des Flurs und eben dabei, in den Glaskasten der Schwesternstation zu gehen, wo sie den Rest des Tages damit zubringen wird, an ihrem Pult zu sitzen und aus ihrem Fenster zu schauen und sich über all das Notizen zu machen, was während der nächsten acht Stunden vor ihren

Dann … entdeckt sie diese schwarzen Jungen. Sie sind immer noch da hinten und flüstern miteinander. Sie haben nicht gehört, daß sie auf die Station kam. Jetzt spüren sie, daß sie sie anstarrt, aber es ist zu spät. Hätten sie sich auch denken können, daß sie nicht so herumstehen und miteinander flüstern durften, wenn sie jeden Augenblick auf die Station kommen konnte. Ihre Köpfe fahren auseinander, ganz verwirrt. Sie duckt sich und geht auf die Gruppe zu, die jetzt am Ende des Korridors gefangen ist. Sie weiß, worüber sie geredet haben, und ich sehe, daß sie ganz außer sich ist vor Wut. Gleich wird sie die schwarzen Scheißkerle in der Luft zerreißen, so wütend ist sie. Sie bläht sich auf, wird immer größer, bis ihr Rücken aus der weißen Uniform platzt, und ihre Arme dehnen und strecken sich, bis sie so lang sind, daß sie die drei damit fünf-, sechsmal umschlingen kann. Sie schaut sich um und dreht dabei ihren riesigen Kopf hin und her. Keiner ist auf, der sie sehen könnte, nur der alte Besen-Bromden, der Halbblutindianer, der sich da hinten hinter seinem Mop versteckt, und der kann sowieso nicht reden und um Hilfe rufen. Und deshalb läßt sie sich so richtig gehen, und ihr aufgemaltes Lächeln verzerrt sich, verwandelt sich in ein offenes Fauchen, und sie bläst sich immer mehr auf, wird so groß wie ein Traktor, so groß, daß ich die ganze Maschinerie in ihr drin riechen kann, so wie man einen Motor riechen kann, der eine zu schwere Ladung ziehen muß. Ich halte die Luft an und denke: Mein Gott, diesmal passiert's! Diesmal haben sie ihren Haß zu groß werden lassen, die Belastung ist zu groß geworden, sie werden sich in Stücke reißen, bevor ihnen überhaupt klar wird, was sie da anstellen!

Doch gerade, als sie ihre überlangen Arme um die schwarzen Jungen schließen will und sie mit ihren Besenstielen auf ihren Unterleib losgehen, strömen alle Patienten aus den Schlafsälen, um dem Spektakel auf den Grund zu gehen, und sie muß sich schnell wieder zurückverwandeln, bevor ihre derzeitige Verfassung ihr tatsächliches Ich in seiner ganzen Häßlichkeit für alle sichtbar macht. Als sich die Patienten erst mal die Augen gerieben haben, um halbwegs sehen zu können, was da vor sich geht, sehen sie nur noch, wie die Oberschwester, lächelnd und ruhig und kalt wie gewöhnlich, den schwarzen Jungen sagt, sie sollten nicht so herumstehen und

«… ein Elend, so ein Montagmorgen, das wißt ihr doch, Jungs …»

«Klar, Miss Ratched …»

«… und wir haben eine ganze Anzahl Besprechungen heute morgen, es wäre also nett, falls eure Gespräche nicht allzu dringend sind …»

«Klar, Miss Ratched …»

Sie bricht ab und nickt einigen der Patienten zu, die jetzt näher gekommen sind und mühsam aus den vom Schlaf geröteten und angeschwollenen Augen sehen. Jedem nickt sie einmal zu. Präzise, automatische Geste. Ihr Gesicht ist glatt, berechnend, eine präzise Spezialanfertigung, wie eine teure Baby-Puppe, Haut wie fleischfarbenes Emaille, eine Mischung von Weiß und Cremefarbe und babyblauen Augen, kleine Nase, kleine rosa Nasenlöcher – alles paßt zusammen, bis auf die Farbe ihrer Lippen und Fingernägel und die Größe ihres Busens. Irgendwie ist bei der Herstellung ein Fehler unterlaufen, als einem in allen anderen Punkten vollkommenen Produkt diese großen fraulichen Brüste gegeben wurden, und man kann deutlich sehen, daß sie deswegen verbittert ist.

Die Männer stehen immer noch da und möchten gerne wissen, weshalb sie auf die schwarzen Jungen losgegangen war, da erinnert sie sich daran, daß sie mich gesehen hat, und sagt: «Und da es tatsächlich Montag ist, Jungs, wollen wir doch die Woche gleich richtig anfangen und zuerst einmal den armen Mr. Bromden rasieren, dann vermeiden wir das starke Gedränge im Rasierraum nach dem Frühstück und damit auch etwas von der – ähem – Unruhe, die er dabei so gerne stiftet, meint ihr nicht?» Bevor sich irgend jemand umdrehen und nach mir suchen kann, verdrücke ich mich schleunigst im Besenschrank und ziehe die Tür zu, daß es ganz dunkel ist, und halte die Luft an. Rasieren vor dem Frühstück, das ist die schlimmste Zeit. Wenn du erst mal was im Magen hast, bist du stärker und erst richtig wach, und die Scheißkerle, die für die Genossenschaft arbeiten, können dir nicht so leicht eine ihrer Maschinen ansetzen statt des elektrischen Rasierapparates. Wenn du dich aber vor dem Frühstück rasierst, wie sie das an manchen Tagen bei mir anordnet, morgens um halb sieben in einem Raum mit weißen

Ich bin im Besenschrank versteckt und höre nach draußen, mein Herz schlägt in der Dunkelheit, und ich versuche, keine Angst zu bekommen, versuche, mit meinen Gedanken anderswo zu sein – versuche, an früher zu denken, an das Dorf und an den großen Columbia-Strom, an die Zeit, ach, als Papa und ich auf Vogeljagd waren, in einem Zedernwäldchen bei The Dalles … Doch wie immer, wenn ich versuche, meine Gedanken in die Vergangenheit zu schicken und mich dort zu verstecken, sickert die Furcht der unmittelbaren Gegenwart in meine Erinnerungen. Ich spüre, daß der kleinste der schwarzen Jungen da draußen den Flur entlangkommt, daß er meiner Furcht nachschnüffelt. Seine aufgerissenen Nasenlöcher sehen aus wie schwarze Ofenlöcher, sein übergroßer Kopf pendelt hin und her, während er schnüffelt, und er schlürft die Furcht der ganzen Station. Jetzt kann er mich riechen, ich hör ihn schnauben. Er weiß nicht, wo ich mich verstecke, aber er riecht mich und geht der Fährte nach. Ich versuche, mich still zu verhalten …

(Papa sagt, ich soll mich still verhalten, sagt, der Hund rieche einen Vogel irgendwo ganz in der Nähe. Wir haben uns von einem Mann in The Dalles einen Hühnerhund ausgeliehen. Die ganzen Dorfhunde sind wertlose Promenadenmischungen, sagt Papa, die fressen sogar Fischabfälle, haben keinerlei Klasse; doch der hier, der hat Inschtick! Ich sage überhaupt nichts, aber ich sehe den Vogel jetzt, oben in einer Zwergzeder, ein bewegungsloses graues Federknäuel. Der Hund läuft hier unten im Kreis rum, es riecht so stark, daß er keine eindeutige Fährte mehr findet. Der Vogel ist in Sicherheit, solange er sich nicht rührt. Er hält das ziemlich gut durch, aber der Hund schnüffelt und läuft immerfort im Kreis rum, wird lauter, kommt näher. Dann fliegt der Vogel plötzlich auf, daß die Federn stieben, weg von der Zeder und direkt in den Schrot aus Papas Flinte.)

Der kleinste der schwarzen Jungen und einer der größeren erwischen mich, bevor ich auch nur zehn Schritte vom Besenschrank entfernt bin, und schleppen mich nach hinten in den Rasierraum. Ich wehre mich nicht, bin ganz ruhig. Wenn du schreist, machst du

(Ein Jagdhund bellt da draußen im Nebel, voll Angst irrt er herum, weil er nichts sehen kann. Keine Spuren auf dem Boden außer seinen eigenen, und mit seiner kalten Schnauze aus rotem Gummi schnüffelt er in allen Richtungen und spürt keine Fährte auf, nur die seiner eigenen Angst, Angst, die ihn verbrennt wie heißer Dampf.) Es wird mich genauso verbrennen, wenn ich endlich von alldem erzähle, von der Anstalt, von ihr und den Kumpeln – und von McMurphy. Ich hab so lange geschwiegen, da wird es jetzt aus mir brechen wie eine Sturzflut, und Sie werden glauben, der Kerl, der das erzählt, der heult und tobt, mein Gott; Sie werden sagen, das ist so schrecklich, das kann nicht wirklich passiert sein, das ist so schrecklich, das kann nicht die Wahrheit sein! Und doch, bitte. Es fällt mir immer noch schwer, mit klarem Kopf darüber nachzudenken. Es ist jedoch die Wahrheit, auch wenn es gar nicht passiert ist.

Doch an diesem Morgen kann ich mich einfach nicht erinnern. Sie haben mir so viele von den Dingern, die sie Pillen nennen, einverleibt, daß ich überhaupt nichts weiß, bis ich höre, wie sich die Tür zur Station öffnet. Wenn diese Tür aufgeht, heißt das, daß es mindestens acht Uhr ist, das heißt also, daß ich vielleicht eineinhalb Stunden ohne Besinnung in jener Zelle auf Isolierstation gelegen habe, und in der Zeit sind vielleicht die Techniker hereingekommen und haben auf Anordnung der Großen Schwester alles mögliche installiert, ohne daß ich auch nur die geringste Ahnung davon haben konnte.

Ich höre ein Geräusch an der Stationstür, draußen am Ende des Flurs, wo ich nicht hinsehen kann. Diese Tür geht um acht zum erstenmal auf und geht dann tausendmal am Tag auf und zu, keschesch, klick. Jeden Morgen sitzen wir in einer Reihe auf beiden Seiten des Tagesraumes und beschäftigen uns nach dem Frühstück mit Puzzlespielen, warten darauf, daß sich ein Schlüssel im Schloß dreht, um dann zu sehen, was hereinkommt. Es gibt sonst nicht allzuviel, was man tun kann. Manchmal ist es ein junger Assistenzarzt an der Tür, der früh kommt, um zu beobachten, wie wir uns vor der Behandlung verhalten. VB nennen sie das. Manchmal ist es eine Ehefrau, die hier einen Besuch macht, mit hohen Absätzen, die Handtasche fest an den Bauch gedrückt. Manchmal ist es ein Haufen Volksschullehrerinnen, die von dem blöden Public-Relations-Menschen herumgeführt werden, der immer seine nassen

An diesem Morgen rasselt das Schloß anders als sonst. Es ist keiner der üblichen Besucher an der Tür. Die Stimme einer Begleitperson ist zu hören, gereizt und ungeduldig, «Neuaufnahme, jemand zur Unterschrift», und die schwarzen Jungen gehen hin.

Neuaufnahme. Alles hört auf, Karten oder Monopoly zu spielen, und schaut zur Tür des Tagesraums. An den meisten Tagen bin ich mit meinem Besen draußen im Flur und sehe, wen sie neu aufnehmen, doch an diesem Morgen, ich hab's Ihnen ja erklärt, hat die Große Schwester tausend Pfund in mich hineingestopft, und ich kann mich auf meinem Stuhl nicht rühren. An den meisten Tagen bin ich der erste, der die Neuaufnahme sieht, beobachte, wie er durch die Tür schlüpft und sich die Wand entlangtastet und verängstigt dasteht, bis die schwarzen Jungen kommen und für ihn unterschreiben und ihn in den Duschraum mitnehmen, wo sie ihn ausziehen und zitternd stehen lassen, bei offener Tür, während sie zu dritt grinsend den Flur entlangrennen und Vaseline suchen. «Wir brauchen die Vaseline», sagen sie der Großen Schwester, «für das Thermometer.» Sie schaut vom einen zum andern: «Davon bin ich überzeugt», und gibt ihnen eine Dose, da sind mindestens vier Kilo drin, «seht aber zu, daß ihr da drin nicht ewig herumsteht.» Dann sehe ich zwei, vielleicht alle drei von ihnen, da drin, in diesem Duschraum mit der Neuaufnahme, wo sie das Thermometer so lange in der Salbe herumschmieren, bis es mit einer fingerdicken Schicht überzogen ist, wobei sie jubeln: «So wird's richtig, Hosenscheißer, so wird's richtig», und dann machen sie die Tür zu und drehen alle Duschen auf, so daß du nichts mehr hören kannst, außer dem

Doch diesen Morgen muß ich auf meinem Stuhl sitzen und kann nur zuhören, wie sie ihn hereinbringen. Trotzdem, obwohl ich ihn nicht sehen kann, weiß ich, daß es keine gewöhnliche Neuaufnahme ist. Ich kann nicht hören, daß er sich voller Angst die Wand entlangtastet, und als sie ihm wegen der Dusche Bescheid sagen, gibt er nicht einfach mit einem schwachen kleinen Ja nach, vielmehr antwortet er ihnen laut und bestimmt, er sei, verdammt noch mal, sauber genug, vielen Dank.

«Die haben mich heute morgen im Gerichtsgebäude unter die Dusche gestellt und gestern abend im Gefängnis. Und ich bin sicher, das schwör ich, die hätten mir noch im Taxi auf dem Weg hierher die Ohren gewaschen, wenn's da fließend Wasser gegeben hätte. Huh, Mann, man könnt grad meinen, ich muß jedesmal, wenn ich wieder irgendwohin geschickt werde, erst von Kopf bis Fuß geschrubbt werden, und zwar vorher, zwischendrin und nachher. Ich bin schon so weit, daß ich gleich meine Siebensachen zusammenpacke, sobald ich bloß das Geräusch von Wasser höre. Und bleib mir bloß mit diesem Thermometer vom Leib, Freundchen, und laß mich erst mal meine neue Heimat betrachten; ich war schließlich noch nie in so einer psychologischen Anstalt.»

Die Patienten schauen sich in die verdutzten Gesichter und dann wieder zur Tür, von wo immer noch seine Stimme dringt. Man möchte meinen, er redet lauter als notwendig, wo doch die schwarzen Jungen in seiner Nähe sind. Das klingt so, als sei er hoch über ihnen, als rede er von oben auf sie herab, wie einer, der fünfzig Meter hoch durch die Luft segelt und zu denen unten am Boden herunterbrüllt. Er klingt groß. Ich höre ihn den Flur entlangkommen, und er klingt groß, so wie er geht, von Schleichen keine Rede. Er hat Eisen an den Absätzen, und er läßt sie auf dem Boden klappern wie Hufeisen. Er taucht in der Tür auf und bleibt stehen und hängt die Daumen in die Hosentaschen, die Stiefel weit auseinander, und steht da, und alle schauen ihn an.

«Guten Mor-gen, Kumpels.»

Über seinem Kopf hängt an einem Faden als Kirmesdekoration eine Fledermaus aus Papier; er greift nach oben und gibt ihr einen kleinen Stoß, so daß sie sich dreht.

Er redet ein bißchen so, wie Papa früher, mit lauter, lärmender Stimme, aber er sieht nicht aus wie Papa; Papa war ein vollblütiger Columbia-Indianer – ein Häuptling – und hart und glänzend wie ein Gewehrkolben. Dieser Bursche ist rothaarig, mit langen roten Koteletten, und ein Gestrüpp von Haaren schaut unter seiner Mütze hervor, die hätten längst mal geschnitten werden sollen, und er ist so breit, wie Papa groß war, der Kiefer ist breit, und die Schultern und der Brustkorb, und dann dieses breite weiße teuflische Grinsen, er ist hart, aber auf ganz andere Weise als Papa, eher so, wie ein Baseball unter dem abgenutzten Leder hart ist. Über der Nase und dem einen Backenknochen hat er eine Naht, da hat ihm einer ordentlich eins draufgegeben bei einer Schlägerei, und die Fäden sind noch in der Naht drin. Er steht da und wartet, und als niemand Anstalten macht, etwas zu ihm zu sagen, fängt er an zu lachen. Niemand weiß eigentlich, warum er lacht; es spielt sich nichts Komisches ab. Aber es ist anders, als wenn dieser P.R.-Mann lacht, es ist frei und laut, und es kommt aus seinem breiten grinsenden Mund und breitet sich in immer größer werdenden Ringen aus, bis es in der ganzen Station gegen die Wände plätschert. Nicht so wie dieses fette P.R.-Lachen. Das hier klingt echt. Mir wird plötzlich klar, es ist seit Jahren zum erstenmal, daß ich jemanden lachen höre.

Er steht da und schaut uns an, wiegt sich in seinen Stiefeln, und er lacht und lacht. Er legt die Hände über dem Bauch zusammen, ohne die Daumen aus den Taschen zu nehmen. Ich sehe, wie groß und zerschunden seine Hände sind. Jeder einzelne auf der Station, Patienten, Stab und alles, ist wie betäubt von ihm und seinem Gelächter. Keiner reißt sich zusammen, um ihn aufzuhalten oder etwas zu sagen. Er lacht, bis er vorläufig genug davon hat, und er geht weiter, in den Tagesraum. Selbst wenn er nicht lacht, hängt dieses Gelächter über ihm, so wie der Ton über einer großen Glocke hängt, die eben aufgehört hat zu läuten – es spricht aus seinen Augen, aus der Art, wie er lächelt und umherstolziert, wie er redet.

«Ich heiße McMurphy, Kumpels, R.P. McMurphy, und ich bin ein verrückter Spieler.» Er zwinkert mit den Augen und singt ein Stück aus einem Liedchen: «… und seh ich auch nur ein paar Karten, hol ich gleich die … Moneten … raus», und lacht schon wieder.

Er geht zu einer der Spielrunden hin, tippt mit einem dicken

«Jawohl, deshalb bin ich in diese Anstalt gekommen, um euch Käuzen ein bißchen Spaß und Unterhaltung an den Kartentisch zu bringen. War schließlich keiner mehr da in diesem Pendleton-Arbeitslager, mit dem man seinen Spaß haben konnte, da hab ich die Versetzung beantragt, müßt ihr wissen. Brauchte einfach neues Blut. Huii, schaut euch bloß mal an, wie dieser Vogel seine Karten hält, daß sie jeder in einem Kilometer Umkreis erkennen kann; Mann Gottes! ich werd euch Grünhörner erst mal auf Vordermann bringen.»

Cheswick steckt seine Karten zusammen. Der rothaarige Mann hält Cheswick zur Begrüßung die Hand hin.

«Tag, Kumpel; was spielt ihr denn da? Pinokel? Herrgott, kein Wunder, dich stört's nicht, wenn dir andere in die Karten schauen. Habt ihr denn keine normalen Karten? Ist nicht so schlimm, schaut her, ich hab mein eigenes Blatt mitgebracht, auf alle Fälle, da sind nicht nur Bildkarten dabei – seht euch mal die Bilder an, was meint ihr dazu? Lauter verschiedene, zweiundfünfzig Stellungen.»

Cheswick hat sowieso schon Stielaugen, und was er da auf diesen Karten sieht, läßt sie eher noch stärker hervortreten.

«He, immer mit der Ruhe, verschmier sie doch nicht; wir haben 'ne Menge Zeit, wir werden so manches Spielchen damit machen. Ich nehm dazu gern mein eigenes Blatt, weil die anderen Spieler mindestens eine Woche brauchen, bevor sie auch nur so weit sind, daß sie die Farbe erkennen …»

Er trägt Sträflingshosen und -hemd, so von der Sonne gebleicht, daß sie die Farbe verwässerter Milch angenommen haben. Gesicht und Nacken und Arme sehen aus wie ochsenblutfarbenes Leder, so lange hat er auf den Feldern gearbeitet. Er hat eine Motorradmütze, schwarz wie ein Gebetbuch, auf den Haaren sitzen, und über dem Arm trägt er eine Lederjacke, und er hat graue, staubige Stiefel an, schwer genug, einen Mann praktisch mit einem Tritt zu halbieren. Er wendet sich von Cheswick ab und nimmt die Mütze vom Kopf und macht sich daran, mächtige Staubwolken aus seinem Oberschenkel zu klopfen. Einer der schwarzen Jungen umkreist ihn mit dem Thermometer, doch er ist zu schnell für sie; er mischt sich unter

«Wie das eben so geht, ich bin da im Sträflingslager ein paarmal in eine Schlägerei reingerutscht, um ganz ehrlich zu sein, und das Gericht hat entschieden, ich sei ein Psychopath. Und glaubt ihr, ich streite mich mit dem Gericht herum? So doof bin ich nun auch wieder nicht, verlaßt euch drauf. Wenn ich bloß von diesen verdammten Erbsenfeldern wegkomme, dürfen die mich für alles halten, wenn es ihnen Spaß macht, ob das nun ein Psychopath ist oder ein tollwütiger Hund oder ein Werwolf, Hauptsache, ich muß nie wieder Unkraut jäten. Ich hab gehört, ein Psychopath sei einer, der zuviel rauft und zuviel vögelt, das stimmt aber doch nicht so ganz, oder? Wo gibt's denn so was, daß einer zuviel zu pimpern kriegt? Tag, Kumpel, wie heißt denn du? Ich heiße McMurphy, und ich wette zwei Dollar, auf der Stelle, daß du nicht weißt, welche Karten du auf der Hand hast, nicht hinschauen. Zwei Dollar, wie wär's? Herrgott noch mal, Sam, kannst du keine halbe Minute warten, mich mit deinem verdammten Thermometer aufzuspießen?»

Der neue Mann steht da und schaut sich einen Augenblick um, um sich mit der Anordnung des Tagesraums vertraut zu machen.

Auf der einen Seite des Raumes sitzen jüngere Patienten, die Akute genannt werden, weil die Ärzte glauben, ihre Krankheit sei noch akut genug, daß sie sich heilen lassen, und versuchen in Zweikämpfen, den Unterarm des Gegners zuerst auf den Tisch zu drücken, und unterhalten sich mit Kartentricks, wo man zusammenzählt und abzieht und durchzählt und dann die vorausgesagte Karte bekommt. Billy Bibbit versucht zu lernen, wie man sich eine Zigarette dreht, und Martini geht umher und entdeckt Dinge unter den Tischen und Stühlen. Die Akuten sind dauernd auf den Beinen. Sie erzählen sich

Sie spionieren einander nach. Manchmal sagt einer etwas von sich, das er eigentlich nicht hatte herauslassen wollen, und einer seiner Kameraden an dem Tisch, wo es ihm herausgerutscht ist, gähnt und steht auf und geht unauffällig zu dem großen Tagebuch hinüber zur Schwesternstation und schreibt die Information, die er eben gehört hat, auf – von therapeutischem Interesse für die ganze Station: diesem Zweck, so sagt die Große Schwester, diene das Buch, aber ich weiß, sie will nur genügend Beweise sammeln, um einen der Kameraden im Hauptgebäude umschulen lassen zu können, sie will ihn im Kopf überholen lassen und so die Schwierigkeiten beseitigen.

Der Kerl, der die Information ins Tagebuch eingetragen hat, der bekommt im Namenverzeichnis einen Stern hinter seinen Namen und darf am nächsten Tag länger liegenbleiben.

Auf der anderen Seite des Raumes, den Akuten gegenüber, ist der Ausschuß der Erzeugnisse der Genossenschaft, die Chronischen. Die sind nicht in der Klinik, um repariert zu werden, sondern nur, um von der Straße weg zu sein, wo sie den Erzeugnissen einen schlechten Ruf geben würden. Die Chronischen sind auf Lebenszeit drin, das gibt der Stab zu. Die Chronischen sind aufgeteilt in Geher wie mich, die sich noch aus eigener Kraft bewegen können, solange man sie füttert, und Roller und Vegetierer. Im Grunde sind die Chronischen – oder doch die meisten von uns – nichts anderes als Maschinen mit Fehlern im Innern, die sich nicht reparieren lassen, angeborene Fehler oder Fehler, die sich der Bursche zugezogen hat, weil er viele Jahre lang mit dem Kopf gegen eine Wand rannte, so daß er, als ihn die Klinik fand, in irgendeiner einsamen Ecke Rost blutete.

Es gibt aber unter uns Chronischen auch solche, an denen der Stab vor Jahren ein paar Fehler machte, solche, die als Akute eingeliefert wurden und erst später zu den Chronischen kamen. Ellis ist ein Chronischer, der als Akuter gekommen war und dann übel zugerichtet wurde, als sie ihn in jener dreckigen, hirntötenden Folterkammer, die die schwarzen Jungen «Schockschuppen» nennen, zu

Ruckly ist ein weiterer Chronischer, der vor ein paar Jahren als Akuter gekommen war, doch ihn überlasteten sie auf andere Weise: sie machten einen Fehler bei einer ihrer Kopf-Installationen. Er war die ganze Zeit ein solcher Quälgeist, trat nach den schwarzen Jungen und biß die Schwesternschülerinnen in die Beine, da nahmen sie ihn mit, um ihn zu reparieren. Sie schnallten ihn auf jenen Tisch, und das war das letzte, was man auf längere Zeit von ihm zu sehen bekam; er blinzelte, kurz bevor sie die Tür zumachten, und sagte zu den schwarzen Jungen, die vor ihm zurückwichen: «Dafür werdet ihr mir bezahlen, ihr verdammten Teerbabies.»

Und zwei Wochen später brachten sie ihn auf die Station zurück, glatzköpfig, sein Gesicht eine einzige ölige purpurrote Prellung, und dazu zwei kleine Stöpsel, so groß wie ein Knopf, über jedem Auge war einer angenäht. An seinen Augen kann man sehen, wie sie ihn da drüben ausgebrannt hatten; seine Augen sind ganz verraucht und grau und innen leer, wie durchgebrannte Sicherungen. Jetzt tut er den ganzen Tag nichts anderes, als sich eine alte Fotografie vor das ausgebrannte Gesicht zu halten und sie in seinen kalten Fingern hin und her zu wenden, und von der starken Beanspruchung wurde das Bild auf beiden Seiten so grau wie seine Augen, so daß man überhaupt gar nicht mehr sehen kann, was es einmal dargestellt hat.

Der Stab betrachtet Ruckly zwar heute als einen ihrer Mißerfolge, doch bin ich gar nicht so sicher, ob er nicht vielleicht besser dran ist, als wenn die Installation erfolgreich gewesen wäre. Die Installationen, die sie heutzutage machen, haben meistens Erfolg. Die Techniker haben mehr Praxis und Erfahrung. Keine Knopflöcher mehr in

Ellis und Ruckly sind die jüngsten Chronischen. Oberst Matterson ist der älteste, ein alter, versteinerter Kavallerist aus dem Ersten Krieg, der mit seinem Stock gern die Röcke der vorbeigehenden Schwestern hochhebt oder jedem, der zuhören will, aus der linken Hand irgendwelchen Geschichtsunterricht schüttelt. Er ist der älteste auf der Station, aber nicht der, der schon am längsten hier ist – seine Frau brachte ihn erst vor ein paar Jahren her, als sie schließlich nicht mehr in der Lage war, ihn zu pflegen.

Ich bin derjenige auf der Station, der schon am längsten hier ist, seit dem Zweiten Weltkrieg. So lange wie ich ist noch keiner auf der Station. Keiner von den anderen Patienten. Die Große Schwester ist schon länger hier als ich.

Es ist eigentlich gar nicht notwendig, daß sie etwas sagen, denn die Chronischen rühren sich, außer mir, kaum vom Fleck, und die Akuten sagen, sie bleiben sowieso lieber auf ihrer eigenen Seite, und dafür nennen sie Gründe wie den, daß die Seite der Chronischen übler stinkt als selbst eine schmutzige Windel. Ich weiß aber, daß es nicht so sehr der Gestank ist, der sie von der Seite der Chronischen fernhält, vielmehr möchten sie nicht gern daran erinnert werden, wie es mit ihnen eines Tages stehen könnte. Die Große Schwester hat diese Angst erkannt und setzt sie geschickt ein. So weist sie etwa einen Akuten darauf hin, sobald er anfängt trotzig zu werden, es ist besser, Jungs, wenn ihr brave Jungs seid und dem Stab an die Hand geht, der nichts anderes will als euch heilen, sonst kann es nämlich passieren, daß ihr euch auf der anderen Seite wiederfindet.

(Jeder auf der Station ist stolz darauf, wie die Patienten mitmachen. Wir haben eine kleine Messingplakette, die auf einem Stück Ahornholz befestigt ist, und darauf steht: GLÜCKWUNSCH! VON ALLEN STATIONEN DER KLINIK HAT DIESE HIER DEN GERINGSTEN PERSONALAUFWAND! Es ist eine Auszeichnung fürs Mitmachen. Es hängt an der Wand direkt über dem Tagebuch, ganz genau in der Mitte zwischen den Chronischen und den Akuten.)

Diese rothaarige Neuaufnahme, McMurphy, weiß sofort, daß er kein Chronischer ist. Nachdem er sich den Tagesraum einen Augenblick betrachtet hat, sieht er, daß er auf die Seite der Akuten gehört, und geht direkt darauf zu, grinst und schüttelt jedem, zu dem er kommt, die Hand. Zuerst sehe ich, daß er alle dort drüben unruhig macht, mit seinen ganzen Sprüchen und Witzen und mit der frechen Art, wie er den schwarzen Jungen beschimpft, der ihm immer noch mit einem Thermometer nachrennt, und besonders mit seinem gewaltigen offenen Gelächter. Auf den Skalen der Schalttafel zucken

«Verdammt, was ist das bloß für ein jämmerlicher Verein. So verrückt seht ihr mir gar nicht aus.» Er versucht sie ein bißchen aufzulockern, so wie ein Versteigerer Witze reißt, um die Käufer aufzulockern, bevor das Bieten anfängt. «Wer von euch behauptet, der Verrückteste zu sein? Wer ist der größte Spinner? Wer organisiert die Kartenspiele? Heut ist mein erster Tag, da möchte ich von Anfang an auf den richtigen Mann einen guten Eindruck machen, wenn er mir beweisen kann, daß er der richtige Mann ist. Wer von euch ist denn nun der Oberspinner?»

Er redet direkt mit Billy Bibbit. Er beugt sich über Billy und blickt ihm so eindringlich in die Augen, daß sich Billy gezwungen sieht, herauszustottern, er sei noch nicht der O-O-O-Oberspinner, wenn er auch die Li-Li-Liste der Bewerber anführe.

McMurphy streckt Billy eine große Hand hin, und Billy kann gar nichts anderes tun, als sie zu schütteln. «Na ja, Kumpel», sagt er zu Billy, «es freut mich aufrichtig, daß du oben auf der Li-Liste stehst, aber da ich mit dem Gedanken spiele, den ganzen Laden hier zu übernehmen, mit allem Drum und Dran, da sollte ich wohl mit eurer Nummer eins reden.» Er schaut zu den Akuten hinüber, die teilweise ihre Kartenspiele unterbrochen haben, bedeckt eine Hand mit der anderen und läßt bei dem Anblick alle seine Knöchel knacken. «Weißt du, Kumpel, ich schätze, ich werde so was wie der Spieler-König auf dieser Station sein, im Siebzehnundvier macht mir so schnell keiner was vor. Es ist also besser, wenn du mich zu eurem Führer bringst, damit wir ein für allemal regeln können, wer hier der Boss sein wird.»

Keiner ist sich sicher, ob dieser breitschultrige Mann mit der Narbe und dem unbändigen Grinsen eine Schau abzieht oder tatsächlich verrückt genug ist, auch so zu sein, wie er redet, oder ob beides zutrifft, doch alle haben allmählich einen Mordsspaß daran, sein

Die Akuten grinsen jetzt, nicht mehr so ängstlich, froh, daß sich etwas nicht Alltägliches abspielt. Alle machen sich über Harding lustig, fragen ihn, ob er der Oberspinner sei. Er legt seine Karten auf den Tisch.

Harding ist ein flachbrüstiger, nervöser Mann mit einem Gesicht, daß du manchmal glaubst, du hättest ihn in irgendeinem Film gesehen, ein so attraktives Gesicht ist zu schade für einen einfachen Mann auf der Straße. Er hat breite, dünne Schultern, und er biegt sie nach innen um seinen Brustkorb, wenn er versucht, sich nach innen zu verkriechen. Seine Hände sind so lang und weiß und zierlich, daß ich glauhe, sie haben sich gegenseitig aus Seife geschnitzt, und manchmal machen sie sich selbständig und schweben frei vor ihm herum, wie zwei weiße Vögel, bis er sie dabei erwischt und sie schnell zwischen den Knien einfängt; es stört ihn, daß er so hübsche Hände hat.

Er ist Präsident im Patientenrat, weil er ein Stück Papier besitzt, auf dem steht, daß er Hochschulabschluß hat. Das Papier ist eingerahmt und steht auf seinem Nachtkästchen neben einem Bild von einer Frau im Badeanzug, die auch so aussieht, als hättest du sie schon mal im Kino gesehen – sie hat sehr große Brüste, und sie hält das Oberteil ihres Badeanzuges mit den Fingern fest und blickt seitlich in die Kamera. Hinter ihr sieht man Harding auf einem Handtuch sitzen, er sieht mager aus in seiner Badehose, so als warte er darauf, daß irgendein großer Kerl Sand nach ihm kickt. Harding gibt oft damit an, daß er mit so einer Frau verheiratet ist, er sagt, sie sei sexy wie keine zweite auf der Welt, und bei Nacht könne sie nicht genug von ihm bekommen.

Als ihn Billy anspricht, lehnt sich Harding auf dem Stuhl zurück und gibt sich ein gewichtiges Aussehen, spricht zur Decke hinauf, ohne Billy oder McMurphy anzusehen. «Ist dieser … Herr angemeldet, Mr. Bibbit?»

«Dieser vielbeschäftigte Mr. Harding, ist der der Oberspinner?» Er schaut Billy aus einem Auge an, und Billy nickt sehr heftig mit dem Kopf; Billy kann es kaum fassen, daß er so im Mittelpunkt steht.

«Dann richte dem Oberspinner Harding aus, daß R.P. McMurphy ihn zu sehen wünscht und daß diese Klinik für uns beide nicht groß genug ist. Ich bin es gewöhnt, Chef zu sein. Ich war der beste Raupenschlepperfahrer bei allen Holzfällertrupps im Nordwesten, der beste Glücksspieler seit den Tagen von Korea, sogar der beste Erbsenjäter auf jener Erbsenfarm in Pendleton – drum sag ich mir, wenn ich jetzt ein Spinner werde, dann bin ich auch da ganz klar die Nummer eins. Sag diesem Harding, er soll sich mir entweder stellen wie ein Mann, oder er ist nichts weiter als ein feiges Stinktier und muß bei Sonnenuntergang die Stadt verlassen haben.»

Harding lehnt sich weiter zurück und schiebt die Daumen unter den Rockaufschlag. «Bibbit, sagen Sie diesem kleinen Angeber McMurphy, daß ich mich Punkt zwölf Uhr mittags auf dem Hauptflur mit ihm treffen werde, dann wird diese Angelegenheit ein für allemal geregelt, es lebe die Libido.» Harding versucht, McMurphys schleppende Sprechweise nachzumachen, das klingt komisch bei seiner hohen, japsenden Stimme. «Sie können ihn auch warnen, so fair will ich sein, daß ich nun schon seit fast zwei Jahren Oberspinner auf dieser Station bin und daß ich verrückter bin als irgend jemand sonst auf der ganzen Welt.»

«Mr. Bibbit, Sie sollten diesen Mr. Harding vielleicht warnen, daß ich so verrückt bin, daß ich sogar zugebe, für Eisenhower zu stimmen.»

«Bibbit! Sagen Sie Mr. McMurphy, ich bin so verrückt, ich habe zweimal für Eisenhower gestimmt!»

«Da können Sie Mr. Harding gleich antworten –» er legt beide Hände auf den Tisch und beugt sich vor, und seine Stimme ist jetzt ganz leise – «ich bin so verrückt, daß ich vorhabe, im November wieder für Eisenhower zu stimmen.»

«Hut ab», sagt Harding, senkt den Kopf und gibt McMurphy die Hand. Ich habe überhaupt keinen Zweifel, daß McMurphy gewonnen hat, weiß allerdings nicht genau, was.

Er schüttelt den Kopf und bläst die Backen auf.

«Das war aber nur eine Weile. So langsam lernte ich die Tricks. Um ehrlich zu sein, vor dieser Beleidigung und Körperverletzung, wegen der sie mich nach Pendleton schickten, hatte ich fast ein Jahr lang nicht mehr gebrummt. Deswegen haben sie mich auch erwischt. Ich war aus der Übung; dieser Kerl konnte aufstehen und zu den Bullen laufen, bevor ich aus der Stadt war. Ein ganz übler Kunde …»

Er lacht wieder und schüttelt jedem die Hände und setzt sich hin, um Kraftproben mit dem Unterarm auszutragen, sobald ihm der schwarze Junge mit dem Thermometer zu nahe kommt, bis er

Er steht da und nimmt Ellis' Hand von der Wand weg und schüttelt sie, als sei er ein Politiker auf Stimmenfang und die Stimme von Ellis sei so gut wie jede andere. «Kumpel», sagt er zu Ellis in feierlichem Ton, «ich heiße R.P. McMurphy, und ich seh es gar nicht gern, wenn ein ausgewachsener Mann in seinem eigenen Wasser herumpatscht. Warum bleibst du nicht trocken?»