Es geht bei gedämpfter Trommel Klang;
Wie weit noch die Stätte! Der Weg wie lang!
O wär er zur Ruh und alles vorbei!
Ich glaub, es bricht mir das Herz entzwei!
Ich hab in der Welt nur ihn geliebt,
Nur ihn, dem jetzt man den Tod doch gibt.
Bei klingendem Spiele wird paradiert,
Dazu bin auch ich kommandiert.
Nun schaut er auf zum letzten Mal
In Gottes Sonne freudigen Strahl,
- Nun binden sie ihm die Augen zu, -
Dir schenke Gott die ewige Ruh.
Es haben die neun wohl angelegt,
Acht Kugeln haben vorbeigefegt;
Sie zitterten alle vor Jammer und Schmerz –
Ich aber, ich traf ihn mitten ins Herz.
Adelbert von Chamisso
Yet each man kills the thing he loves,
By each let this be heard,
Some do it with a bitter look,
Some with a flattering word,
The coward does it with a kiss,
The brave man with a sword!
Oscar Wilde, »The Ballad of Reading Gaol«
Am späten Nachmittag verließ Jonathan Blackwood Schloss Mirabeaux, um in die Stadt zu reiten und an der Versammlung des mysteriösen Debattierclubs teilzunehmen, zu der Armand ihn geschickt hatte. Eine seltsame Mission, wie ihm sehr wohl bewusst war, denn John eignete sich mehr schlecht als recht zum Spion. Entsprechend misstrauisch und übellaunig trat er seine Aufgabe an.
Auf dem Weg zu den Stallungen traf er überraschend auf Bernard, und obwohl er ohnehin schon spät dran war, blieb er stehen, um den Kameraden erstaunt zu mustern.
»Bernard! Du bist befördert worden?«
Für den Augenblick vergaß er sogar seine schlechte Stimmung. Stattdessen streifte sein Blick die goldenen Majorsabzeichen auf der Uniform des jungen Soldaten.
Zu seiner Verwirrung errötete Bernard, beinahe so, als sei ihm sein Aufstieg peinlich. »Ja«, murmelte er verlegen. »Seine Majestät hatte die Güte ...« Er ließ den Satz offen und senkte den Blick.
»Wie erfreulich! Meinen aufrichtigen Glückwunsch!« John schlug dem Kameraden auf die Schultern. Er hatte Bernard schon immer geschätzt. Der Junge hatte es verdient, ausgezeichnet zu werden, und John gönnte es ihm von ganzem Herzen. Warum nur schien Bernard so betreten? Es gab doch gar keinen Grund, eine derartige Bescheidenheit an den Tag zu legen!
»Aber was ist mit dir?«, erkundigte sich Bernard hastig, wie um von sich selbst abzulenken. »Was ist das für ein merkwürdiger Aufzug?«
John blickte schulterzuckend an sich herab. Armand hatte entschieden, die schneeweiße Oberstuniform sei zu auffällig für Johns geheimes Unternehmen. John wiederum hatte sich strikt geweigert, Zivil zu tragen. Er erinnerte sich noch gut an seinen letzten Versuch, sich derart zu verkleiden, und er würde sich keineswegs noch einmal lächerlich machen. Sie waren also übereingekommen, John in die Uniform eines einfachen Söldners zu stecken. Diese Kluft war unauffällig genug, um sich unters Volk mischen zu können, ohne allerdings seine Soldatenehre allzu sehr zu verletzen. Und er konnte seinen Degen tragen, den er unter keinen Umständen hätte aus der Hand geben wollen, selbst Armand zuliebe nicht. Der Degen gehörte zu ihm wie sein eigener Arm. Er konnte ihn auf gar keinen Fall ablegen.
»Ich habe einen geheimen Auftrag für den König zu erledigen«, erklärte John augenzwinkernd. »Niemand darf mich erkennen.«
Er konnte spüren, wie eine Art jungenhafter Abenteuerlust in ihm aufstieg, während er sich von Bernard verabschiedete und plötzlich wesentlich besser gelaunt zu den Stallungen hinüberging. Vielleicht hatte er sich geirrt, dachte er, ein Lächeln unterdrückend. Er war nicht der Erste Ritter Seiner Majestät. Er war ein Agent des Königs, ein Spion, ein nächtlicher Schatten ...
John rief sich selbst zur Ordnung, ehe seine Fantasie mit ihm durchgehen konnte. Er hatte als Kind wirklich zu viele Romane gelesen!
***
Obwohl er versuchte, es zu unterdrücken, war er aufgeregt, als er, allein und zu Pferde, in der Stadt anlangte.
Hinter der Adresse, die ihm Armand genannt hatte, verbarg sich ein windschiefes, nicht besonders einladend wirkendes Wirtshaus. Unsicher blickte John sich um. Hatte er sich getäuscht? Oder verirrt? Die Veranstaltung konnte doch nicht in diesem Loch stattfinden!
Tatsächlich lag im Keller der schäbigen Schenke ein großer, gewölbeartiger Festsaal, teils in den rohen Fels geschlagen, teils grob gemauert und nicht sehr sorgfältig verputzt. John stieß einen überraschten Pfiff aus! Dieser Gebäudeteil musste uralt sein! Das Gemäuer ließ ihn schaudern. Nicht nur, weil es hier unten deutlich kälter war als draußen, sondern weil ihn die dunklen Mauern und die schlechte Beleuchtung unangenehm an ein Verlies erinnerten.
Nur sehr zögernd ließ er sich auf einem freien Platz nieder und blickte sich um. Man hatte eine erstaunlich große Anzahl von Stühlen in Reihen aufgestellt, gegenüber stand ein wackeliges, offenbar hastig zusammengezimmertes Rednerpult. John wusste nicht so recht, was er eigentlich erwartet hatte, aber unter einem Debattierclub hatte er sich eindeutig etwas anderes vorgestellt. Eine Art Salon etwa, wo kultivierte Gäste angeregt miteinander plauderten. So wie damals bei Margaret. Das hier jedoch war ... beinahe unheimlich.
John verscheuchte den Gedanken. Er benahm sich wirklich albern! Ein zugiger Keller unter einer halbseidenen Kaschemme! Die größte Gefahr, die hier drohte, war vermutlich, dass irgendein betrunkener Gast eine wüste Schlägerei anfing, das war alles.
Aufmerksam sah er sich um. Seine größte Sorge war gewesen, gar nicht erst in den Club hineingelassen zu werden, doch dies hatte sich als völlig unbegründet erwiesen. Tatsächlich schien die Veranstaltung jedermann offen zu stehen, und niemand nahm auch nur Notiz von dem einfachen, in einen unauffälligen grauen Mantel gehüllten Soldaten, der da in einer Ecke saß und verstohlen alles beobachtete, was ihm in irgendeiner Form interessant erschien.
Viel zu entdecken gab es – abgesehen von der gruseligen Kulisse – allerdings nicht. Der Saal füllte sich allmählich. Es kamen Gäste aus den unterschiedlichsten Gesellschaftsschichten. Bauern in ländlicher Kleidung, die extra zu diesem Zweck in die Stadt gekommen zu sein schienen, Handwerker in groben, schmutzigen Kitteln, Arbeiter und Händler. Eine etwas größere Anzahl von Studenten erschien, erkennbar an den Degen an ihren Hüften, auch einige Soldaten. Aber sogar vereinzelte Beamte sah John und – das versetzte ihn in ernstes Erstaunen – selbst ein paar wenige Adelige.
Johns Spannung wuchs. Wenn sogar der Adel sich in dieses dunkle Rattenloch bemühte, dann musste hier wahrhaft etwas Besonderes vor sich gehen! Vielleicht hatte Armand doch Recht getan, ihn hierher zu schicken.
Seine Erwartungen wurden jedoch enttäuscht. Die Veranstaltung begann mit einem Vortrag über ein Thema zeitgenössischer Philosophie, gehalten von einem altehrwürdigen Herrn mit grauem Bart und abgenützten, wenn auch eleganten Gewändern. Das Publikum lauschte gespannt und hing an jedem seiner Worte, John allerdings konnte dem Ganzen nichts Neues, geschweige denn etwas Spannendes, abgewinnen. Nachdem der, nach seinem Geschmack nicht über die Maßen fesselnde, Vortrag endlich vorüber war, begann man, über das Gehörte zu diskutieren, wobei die Studenten die Wortführer waren, während die Masse andächtig zuhörte.
John schlich sich nach zwei Stunden aus dem Saal und ritt zum Schloss zurück. Er konnte sich nicht vorstellen, wie er an diesem sonderbaren Ort irgendetwas herausfinden sollte, was für Armand von Belang sein konnte. Weder über die Bedürfnisse des Volkes und schon gar nicht über die geheimnisvolle Schwarze Nadel. Jedes Salongespräch im Palast war aufregender, und selbst die Stammtischreden in den Kneipen der Stadt mochten mehr Zündstoff bieten als das hier! Dieser Debattierclub war nichts weiter als eine philosophische Lesung für jedermann, nicht mehr und nicht weniger.
Insgesamt betrachtete John den Abend als verschwendet. Da er hungrig war, kehrte er jedoch nicht auf der Stelle nach Mirabeaux zurück, sondern machte auf halbem Weg in einem Gasthaus Rast, um eine kleine Mahlzeit und einen Becher Wein zu sich zu nehmen. So kam es, dass er erst nach Dunkelwerden im Schloss anlangte und sich ein wenig müde, aber guter Dinge auf seine Gemächer zurückzog.
Die Zimmer waren dunkel und kalt, niemand hatte ein Licht oder gar ein Feuer angezündet. John entfachte also die kleine Petroleumlampe auf dem Schreibtisch und trat im Zwielicht ins Schlafzimmer. Und erst dort merkte er, dass er nicht allein im Raum war. Eine Gestalt hatte sich auf dem Bett ausgestreckt, nur als Schemen erkennbar, und doch erschrak John nur einen winzigen Moment lang. Es gab nur einen, der ein solches Unternehmen gewagt hätte!
Mit einem nachsichtigen Lächeln ließ John den Schein der Lampe über Armands blasses Gesicht gleiten. Der König regte sich, seufzte tief und schlug widerwillig die Augen auf.
»Was ...?« Er blinzelte verschlafen.
»Hast du kein eigenes Bett, mein König?«, fragte John sanft und ein wenig spöttisch.
»Mhhh ...« Armand streckte sich, wischte sich mit der Hand über die Augen und das zerzauste Haar und richtete sich endlich auf. »Ich habe auf dich gewartet. Mir war kalt und ich war müde, da muss ich wohl eingeschlafen sein.« Blinzelnd stand er auf, schenkte sich aus Johns Vorräten ein Glas Wein ein, reichte es aber dem Freund, bevor er sich selbst ein weiteres Glas nahm.
»Nun? Was hast du mir zu berichten?«, erkundigte er sich, offenbar begierig, die Antwort zu hören.
»Nicht viel«, gestand John kleinlaut. »Es war eine philosophische Lesung, sonst nichts.« Und, ein wenig neckend, fügte er hinzu: »Es war absolut nichts Subversives daran zu entdecken, Euer Majestät.«
Armand runzelte missbilligend die Stirn, verließ, elegant wie eine Katze, das Schlafgemach und ließ sich nebenan auf dem Kanapee nieder. John schürte ein Feuer an und entzündete auch die Lichter, bevor er sich wieder Armand zuwandte. Der Freund sah nicht gut aus, stellte er fest, nun, da er ihn bei Helligkeit betrachten konnte. Blass, übernächtigt und sehr erschöpft.
»Worüber wurde gesprochen?«, wollte er wissen, Johns milden Spott ignorierend.
»Über den Naturzustand.«
»Definiere Naturzustand.« Es klang, als wolle er den Freund auf die Probe stellen.
John tat ihm den Gefallen und antwortete: »Der Naturzustand ist eine vorgesellschaftliche Form des Zusammenlebens. Es gibt keinen Staat und keine Regierung, alle Menschen sind frei und gleich geboren. Es herrschen Friede, Gerechtigkeit und Glück.«
»Ihr habt also über Rousseau gesprochen.« Armand nickte nachdenklich. »Und das findest du nicht subversiv?«
»Nein.« John lächelte ein wenig, denn er wusste nicht, worauf Armand hinauswollte.
»Wieso nicht?« Die silberfarbenen Augen waren durchdringend, die Stimme klang klar und eindringlich wie bei einem Verhör.
»Ich bitte dich!« John winkte ab. »Jedermann liest Rousseau!« Er zog einen Band aus dem Bücherregal an der Wand und warf ihn neben Armand auf das Kanapee. »Ich lese Rousseau! Und sogar du, mein Freund.«
Armand rührte sich nicht. »Und ist es ein erstrebenswerter Zustand, der Naturzustand?«, fragte er, noch immer in jenem sonderbaren Tonfall.
John zuckte mit den Achseln. »Es ist doch ein hübscher Gedanke, findest du nicht?«
Eine merkwürdige Leere breitete sich in den großen Silberaugen aus. »Nein«, sagte der König leise und tonlos. »Ich finde, es ist ein ganz grässlicher Gedanke.« Er nippte von seinem Wein, stellte das Glas weg und sprang auf. »Wenn alle Menschen frei und gleich sind«, erklärte er leidenschaftlich, »dann herrschen nicht Friede, Gerechtigkeit und Glück! Dann herrscht nur das Recht des Stärkeren und damit Kampf, Krieg und Leid! Eine Gesellschaft ohne Regierung, das ist kein Paradies, John. Das ist die Hölle.« Seine Augen brannten jetzt. John, den Armands Erregung überraschte, fiel es schwer, seinem Blick standzuhalten. »Du zitierst Thomas Hobbes«, stellte er nüchtern fest.
»Ja.«
»Der Mensch ist des Menschen Wolf.« John wagte es nur zu flüstern.
»Ja.« Armand begann, unruhig im Raum auf und ab zu gehen. »Das Volk ist schwach, einfältig und gewalttätig«, meinte er heftig. »Und deshalb braucht es eine starke Hand, es zu leiten und zu führen.«
John zog die Brauen hoch. »Deine Hand?«, erkundigte er sich milde.
»Die Hand eines Königs.« Armand drehte sich zu ihm um. »Wenn du es so willst: meine Hand, ja.«
»In Alméria gibt es keine Könige.« John wusste selbst nicht, weshalb er das sagte. Es rutschte ihm so heraus, aber es war unaufhaltsam. »In Alméria gibt es nur vom Volk gewählte Volksvertreter.«
Armand zuckte zusammen. Er trat einen winzigen Schritt näher, und sein Blick bohrte sich in den Johns wie Stahl in Eis. »Ist das die Art und Weise, wie du mich siehst?«, fragte er kalt.
John gab seinen Blick gelassen zurück. »Wie siehst du dich selbst?«, gab er ruhig zurück. Sie hatten dieses Gespräch schon einmal geführt.
»Ich bin der König, eingesetzt von Gottes Gnaden«, sagte Armand und es war dieselbe Antwort wie damals.
John schüttelte den Kopf. »Das glaubst du nicht wirklich!«
»Nein. Aber sie täten besser daran, es zu glauben.« Er wandte sich ab und plötzlich lachte er, hell und durchdringend. »Und du, John, denkst wirklich, dieser Club wäre nicht subversiv?« Das Lachen schüttelte ihn wie ein Krampf.
»Du bist ja betrunken!« John packte ihn am Handgelenk und stellte erstaunt fest, wie kalt seine Haut war. Armand erschauerte unter der Berührung, und John konnte fühlen, wie sein gleichmäßig tickender Puls sich unter seinen Fingern beschleunigte. Armand blickte ihn an, mit einem Mal ganz ruhig, und John ertrank in flüssigem Silber, bis sich Armand sanft, nicht zornig, aus seinem Griff löste und einen halben Schritt zurücktrat. »Ich möchte, dass du diesen Club weiter für mich beobachtest«, bemerkte er nüchtern und es war nicht zu erkennen, was er dachte.
»Wozu?« John war mit einem Mal müde.
Armand streifte ihn mit einem unergründlichen Blick. »Weil ich dein König bin«, sagte er ruhig. »Und weil du mich liebst – als deinen König.«
Und mit diesen rätselhaften Worten wandte er sich ab und schlüpfte ohne einen Gruß zur Tür hinaus.
John starrte ihm nach. Du irrst dich, Armand, dachte er leise. Ich liebe dich nicht als meinen König. Ich liebe dich als Mensch, als Freund. Ich habe nie etwas anderes in dir gesehen ...
***
Armands Herz klopfte, als er in seinen Gemächern anlangte. Johns Berührung brannte auf seinem Handgelenk, obwohl sie weder hart noch schmerzhaft gewesen war.
Müde ließ er sich auf das Kanapee sinken, seinen Gedanken nachhängend, als plötzlich sein Kammerdiener in der Tür erschien. Armand fuhr erschrocken auf. »Was ist denn noch?«, fragte er unwillig.
Eine bestürzte Verbeugung folgte, dann: »Vergebt mir, Majestät, aber die Dame wartet seit einer halben Stunde im Vorzimmer.«
Armand blinzelte. »Welche«, begann er unwirsch, ehe er sich erinnerte. Er hatte befohlen, die Dame, wie der Kammerdiener sich ausdrückte, regelmäßig des Abends in sein Schlafzimmer zu führen. Über der Auseinandersetzung mit John hätte er sie beinahe vergessen. Eigentlich war ihm nicht nach Gesellschaft, aber das Echo von Johns Fingern prickelte noch immer auf seiner Haut, und so nickte er nur. »Lasst sie ein.«
Ein Schatten schlüpfte anmutig durch die Tür. Es war die Dirne, die ihm Lambert neulich mitten in der Nacht geschickt hatte, als er im Laudanum-Rausch nach einer Frau verlangt hatte. Ihrer dunklen, zimtfarbenen Haut wegen nannte er sie in Gedanken das Zigeunermädchen. Oder auch das Mädchen mit den Glutaugen, denn ein heißes, verzehrendes Feuer loderte hinter den riesigen, pechschwarzen Pupillen. Ihren richtigen Namen kannte er nicht, er interessierte ihn auch nicht, Namen machten die Dinge nur komplizierter. Sie richteten überhaupt kaum Worte aneinander, ihre Sprache war eine rein körperliche.
Armand blickte beinahe desinteressiert auf, als das Mädchen vor ihn
trat und, graziös wie ein Panther, vor ihm knickste, gerade tief
genug, dass sich sein Blick in ihrem tiefen Ausschnitt verlieren
musste. Armand war nicht in Stimmung. Er dachte an John, er war
müde und niedergeschlagen, dennoch erhob er sich und streckte die
Hand aus, um das Mädchen vom Boden aufzuheben. Sie begann, sich an
ihn zu schmiegen, zuerst seine Uniformjacke und dann sein Hemd
abzustreifen.
Er ließ es geschehen und spürte, wie langsam die Leidenschaft in
ihm erwachte, wie Hitze durch seine Adern strömte und unter seiner
Haut glühte. Hungrig presste er die Lippen auf die des Mädchens,
schmeckte ihre Süße, atmete ihren Duft, und ein merkwürdiger, ganz
und gar unpassender Gedanke durchzuckte ihn:
Ihr habt also noch niemals eine Frau geliebt?
Nein, Sire.
Könntet Ihr eine Frau lieben?
Nein, Sire. Ich glaube nicht, Sire.
Keine Frau. Niemals.
Es ist etwas anderes, etwas ganz anderes, dachte Armand, während er
das glutäugige Mädchen ins Schlafzimmer führte und mit sanfter
Gewalt auf das Bett hinabdrückte. Und doch spürte er noch immer
Johns Berührung auf seiner Haut brennen, süß und qualvoll
zugleich.
»Muss das denn wirklich sein?«, murrte Armand, strich die Vorhänge des Wagens zurück und blickte missmutig hinaus.
»Ja, es muss.« John lächelte zuckrig. Er hatte den Freund überredet, ihn zur nächsten Sitzung des Debattierklubs zu begleiten, damit er sich selbst von dessen Harmlosigkeit überzeugen konnte. Und um weiteren Auseinandersetzungen aus dem Weg zu gehen. Letzteres hatte er natürlich nicht ausgesprochen. Armand hatte sich nur sehr widerwillig der Idee gefügt und auch jetzt maulte er unaufhörlich herum. John hörte nur mit halbem Ohr zu, musterte stattdessen seinen König aus den Augenwinkeln und grinste in sich hinein. Niemand würde Armand erkennen, seine Tarnung war perfekt. Statt der purpurroten Uniform trug er einfache, ein bisschen zerbeulte Kniehosen, grobe Stiefel und darüber einen schlichten, bereits an zwei Stellen geflickten Rock in unauffälligem Kastanienbraun. Er hatte es irgendwie geschafft, sein sonst so widerspenstiges Haar zu glätten, und er trug es jetzt ordentlich gescheitelt und aus der Stirn gekämmt, ganz wie ein einfacher Bürger vom Land, der sich für einen besonderen Anlass zurechtgemacht hat. Außerdem hatte er sich seit zwei Tagen nicht rasiert, was die Verkleidung zwar vervollständigte, allerdings in John berechtigte Zweifel weckte an der Aufrichtigkeit seines Protestgezeters. Diese Vorbereitung hatte eindeutig nicht erst vor zwei Stunden stattgefunden. Armand hatte also die ganze Zeit über vorgehabt, ihn zu begleiten!
Die Kutsche polterte gleich durch mehrere Schlaglöcher hintereinander, Armand begann, wie ein Kesselflicker zu fluchen, umso eindrucksvoller, da er nun auch wie einer aussah.
John konnte sich sein Grinsen nicht mehr verkneifen.
Eine Straße entfernt von der John bereits bekannten Kaschemme hielten sie den Wagen an und liefen den Rest des Weges zu Fuß weiter. Ein vornehmes Gefährt mit den Wappen Seiner Majestät auf beiden Seiten wäre denn doch zu auffällig gewesen.
Der unterirdische Kellersaal war diesmal noch voller als bei Johns erstem Besuch. Sie quetschten sich in eine Ecke und warteten, bis der ohrenbetäubende Lärm der Anwesenden endlich verebbte und der Vortragende für diese Veranstaltung an sein Rednerpult trat. Es war nicht derselbe wie beim letzten Mal, wie John mit einer gewissen Erleichterung feststellte. Vielleicht wurde es diesmal spannender.
Armand beobachtete alles genau, seine Augen waren überall, als wolle er sich jedes einzelne Gesicht einprägen, sollte es sich als verdächtig erweisen. Vielleicht tat er es. Armand, das hatte John schon früh herausgefunden, besaß ein geradezu erstaunliches Gedächtnis, was Personen betraf.
Der Vortrag begann. Er handelte vom Regierungssystem in Alméria, ein merkwürdiger Zufall, da John und Armand doch gerade erst darüber gesprochen hatten. Armand hatte also Recht gehabt: Der philosophische Diskurs über den Naturzustand führte tatsächlich direkt zur Volksregierung – gedanklich zumindest.
John wurde es ein wenig unheimlich zumute. Er warf einen angespannten Blick zu Armand hinüber, doch dieser lauschte nur konzentriert, und es war nicht erkennbar, was er dachte.
Inhaltlich bot die Lesung dann auch nicht viel Neues. Almérias Regierungsform war John hinlänglich bekannt und Armand natürlich erst recht. Die Aufmerksamkeit des jungen Monarchen ließ dementsprechend schnell nach, und nach einer halben Stunde stellte John fest, dass seine Augen geschlossen waren. Man sah ihm nicht direkt an, dass er schlief. Armand hatte die Fähigkeit, in vollkommen aufrechter Haltung zu schlafen, das Antlitz entspannt, aber regungslos. Nur die gesenkten Lider verrieten ihn.
John überlegte kurz, ob er ihn wecken sollte, entschied sich aber dagegen und hörte stattdessen selbst ein wenig aufmerksamer zu. Von der Würde des Menschen wurde da gesprochen, von Freiheit und Gleichberechtigung. Vom Wert jeglichen menschlichen Lebens, unabhängig von Geburt oder Stand. Und immer wieder vom Recht auf Selbstbestimmung. In Alméria waren alle Menschen frei und gleich geboren.
Frei und gleich.
John hatte das gewusst, man konnte es in allen Büchern nachlesen. Es hatte ihn bisher nicht sehr berührt, konnte er doch auch hier in Tarennes tun und lassen, was er wollte. Es gab freilich Menschen, die das nicht konnten. Leibeigene, Bauern, die zum Grundbesitz des Adels gehörten wie Land oder Vieh.
Oder auch Soldaten ...
John hatte in seinem Leben nie irgendeine Art von Beschränkung empfunden. Das System war durchlässig, nicht sehr, aber es war so. Es gab die Möglichkeit, über alle Standesgrenzen hinweg aufzusteigen, er selbst war der lebende Beweis dafür. Es war schwer und es war selten, aber es war möglich.
Aber stimmte das wirklich? War er wirklich vom einfachen Stallburschen zum Aristokraten geworden? Er war Kommandant der königlichen Leibgarde und er war der beste Freund Seiner Majestät. Ein hoher Posten, vielleicht der höchste überhaupt. Und doch ... An den Hofbällen, bei den Empfängen, auf den glanzvollen Feierlichkeiten, fühlte er sich da nicht immer noch fehl am Platze? Wohin gehörte er: in den Palast oder hierher, zum Volk?
John stellte sich diese Frage nicht zum ersten Mal und nicht zum ersten Mal fand er dieselbe Antwort darauf: Er gehörte genau dorthin, wo er war, an die Seite seines Königs. In Uniform.
John lächelte, und trotzdem hinterließen die Worte, die dort vom Rednerpult zu ihm herüberwehten wie die Predigt von der Kanzel, einen bitteren Nachgeschmack in seinem Inneren. Nicht weil sie irgendeinen Zweifel an seiner Aufgabe in ihm geweckt hätten, sondern weil sie ihn an etwas erinnerten.
Eine bittersüße Erinnerung, tief verborgen in seinem Herzen: Margaret.
Mit Margaret hatte er oft über Alméria gesprochen. In Alméria, wo es keine Standesunterschiede gab, wo alle Menschen frei und gleich waren, da hätte ein Soldat vielleicht eine Prinzessin heiraten können. In Alméria hätte ihre Liebe vielleicht eine Chance gehabt.
Aber vielleicht auch nicht. Sie hätten fortgehen können. Heimlich. Nach Loowâtre hätte John sogar mit Erlaubnis seines Königs Tarennes verlassen und zu ihr gehen können.
Er hatte es nicht getan. Armands wegen. Und er bereute es nicht, keine Sekunde lang.
John blickte auf seinen Freund herab, streckte die Hand aus und weckte ihn, nicht unbedingt, um ihn wach zu kriegen, sondern nur, um ihn zu berühren. Er verstand es selbst nicht genau, aber er brauchte etwas, an dem er sich festhalten konnte in diesem Moment.
Armand blinzelte, lächelte verzeihungsheischend und hob dann fragend eine Braue. »Alles in Ordnung, John?«, wisperte er. »Du siehst ja ganz verstört aus! Habe ich irgendetwas verpasst?«
John schüttelte den Kopf. »Lass uns gehen, ja?«, bat er, denn plötzlich hatte er das Gefühl, in dem engen, dunklen Kellergewölbe nicht mehr richtig atmen zu können. »Bitte.«
Von einem jähen, unbegreiflichen Unwohlsein ergriffen, konnte er es mit einem Mal keine Sekunde länger mehr hier unten aushalten. Das Blut rauschte dröhnend in seinen Ohren, er spürte sein Herz hart und schnell gegen die Rippen klopfen, und ihm war so matt und elend zumute, dass er sich kaum mehr rühren konnte. Ihm wurde schwindelig, als er aufstand.
Taumelnd stolperte er hinter Armand her, der für sie beide einen Weg durch die Anwesenden bahnte. Einige böse Blicke und Flüche folgten ihnen, die sie so viel Unruhe in den erlauchten Vortrag brachten, doch ein Blick in Armands Gesicht ließ sie alle auf der Stelle verstummen. Gewiss erkannte niemand den König in ihm, doch Armand besaß die Fähigkeit, nahezu willkürlich, dem Anzünden einer Lampe gleich, eine Autorität in seinen Blick und seine Gesten zu legen, die jedermann sofort respektvoll zur Seite weichen ließ.
Endlich draußen angekommen, lehnte sich John zitternd und schwitzend gegen eine Hauswand, schloss die Augen, vor denen sich alles drehen wollte, und zwang sich, die kühle, frische Abendluft in tiefen, ruhigen Zügen in seine Lungen zu saugen. Fast augenblicklich wurde ihm besser, trotzdem verharrte er noch einige Herzschläge reglos, bis er eine behutsame, warme Hand auf seiner Schulter spürte. »Geht es?«
John hob die Lider und blickte in Armands äußerst besorgtes Gesicht. Er nickte schwach. »Entschuldige ... Es geht schon wieder.«
Armands Antlitz umwölkte sich. »Du bist ja kreideweiß! Hast du Fieber?« Sacht legte er John die Hand auf die Stirn. Die Berührung tat gut, aber Armand zog die Hand sehr schnell wieder zurück. »Soll ich dir ein Glas Wasser besorgen?«
John schüttelte den Kopf. »Nein. Es ist schon gut.« Er zwang ein beruhigendes Lächeln auf seine Lippen. »Es war wohl nur die schlechte Luft dort unten.«
»Oder die aufwieglerischen Reden!« Armand verzog das Gesicht.
»Ja, so aufwieglerisch, dass du gleich eingeschlafen bist davon.« John grinste und fühlte sich schon wieder ganz erholt.
Der Freund zuckte ein wenig verlegen mit den Schultern. »Ich bekomme nicht allzu viel Schlaf in letzter Zeit«, entschuldigte er sich. »Es ist wegen der Sanierung des Staatshaushalts. Es gibt noch so viel zu tun!«
John blickte ernst. »Und du willst wirklich die Binnenzölle erhöhen?«
Armand schüttelte den Kopf. »Ich will es nicht, ich muss. Es ist die einzige Möglichkeit, die Staatseinnahmen zu erhöhen, ohne die Steuern zu verändern.«
Durchdringend musterte er den Freund. »Geht es dir besser oder soll ich uns eine Droschke kommen lassen?«
»Lass uns ein Stück laufen, ja?« Mit einer neuen Munterkeit hakte er sich bei Armand unter, eine Vertraulichkeit, die in der Öffentlichkeit überhaupt nur durch das Inkognito des Königs möglich war, und lächelte aufmunternd.
»Du musst diesen Club nicht noch einmal besuchen«, bemerkte Armand, nachdem sie eine Weile gegangen waren. »Ich denke, ich werde ihn verbieten lassen.«
»Was?« John blieb überrascht stehen. »Aber ... aber warum denn?«
»Weil er subversives Gedankengut verbreitet«, entgegnete Armand, ein wenig unwillig. »Aber das hatten wir doch schon!«
»Und du glaubst, dieses Gedankengut wird weniger subversiv, wenn du es verbieten lässt?« Etwas in John empörte sich. »Du wirst diese Ideen wohl kaum aufhalten können. Dazu müsstest du schon ganz Alméria erobern! Und Tausende von philosophischen Schriften auf den Index setzen, die ohnehin schon jedermann gelesen hat!«
Armand blickte einen Moment lang drein, als wolle er genau das versuchen, doch dann entwölkte sich sein Blick. »Ja, du hast Recht. Wenn man es verbietet, dann erhält es nur noch mehr revolutionäre Sprengkraft.« Nachdenklich kickte er einen Kieselstein vor sich her, bis er in irgendeiner Abflussrinne landete. »Es ist aber auch zu aberwitzig! Eine Volksregierung! Kannst du dir das vorstellen?«
John hob die Achseln. »Ich weiß nicht ...«, murmelte er, vorsichtig geworden angesichts ihres letzten Streits. Vertreter des Volkes, die ihre Regierung selbst wählten? Warum nicht? In der Antike hatte es auch funktioniert!
»Das Volk ist nicht wie wir!«, erklärte Armand hitzig. Er sagte wir, so als habe er Johns keineswegs adelige Abstammung vollkommen vergessen. »Es ist ungebildet und versteht nichts von der Politik! Wie sollte es sich selbst regieren?«
John lächelte ein wenig über seinen Eifer. »Das käme vielleicht auf das Volk an«, entgegnete er milde. »Manche Philosophen meinen, es müsse nur gebildet und erzogen werden.«
»Und wer soll diese Aufgabe übernehmen, wenn nicht die Regierung?« Armand grinste triumphierend. »Es ist ein Zirkelschluss, John, ein Zirkelschluss!«
Darauf wusste John nichts mehr zu erwidern und so kehrten sie schweigend zum Schloss zurück.
Armand ließ den Debattierclub nicht verbieten, aus Nachlässigkeit oder auch aus Überzeugung, er sprach jedenfalls nicht mehr davon. John aber ging wieder hin. Er wusste selbst nicht genau, weshalb. Vielleicht, weil ihn die geschmeidigen Worte über ferne Philosophen an längst vergangene Zeiten erinnerten, vielleicht weil sie ihn von verlorenen Möglichkeiten träumen ließen, vielleicht auch nur, weil er Armand beweisen wollte, dass er Unrecht hatte. Es spielte auch keine Rolle weshalb, er tat es regelmäßig, schlich sich einmal wöchentlich in die Stadt und wieder zurück. Armand erzählte er nichts davon, es war sein Geheimnis, etwas, das er nur für sich allein besaß, ein Tribut an den, der er einst gewesen war, bevor er den jungen Königssohn traf.
Er hörte Reden über die Souveränität des Volkes, vom Recht auf Gleichheit und Würde, von der Verantwortung der Mächtigen und deren Missbrauch. Und immer wieder von Freiheit. Ein Teil der Worte ging an ihm vorbei, ein Teil empörte ihn sogar, aber etwas davon setzte sich in seinem Herzen fest wie winzige Glutfünkchen, die sich langsam in ein Stück edlen Ebenholzes fraßen. Darüber nachzudenken wagte er nicht. Er tat nichts Unrechtes, Armand hatte ihn selbst geschickt, also warum sollte er sich nicht ein paar philosophische Vorträge anhören? Manchmal fragte er sich allerdings selbst, warum er nicht einfach ein Buch zur Hand nehmen und all das, was ihn zu Anfang sogar gelangweilt hatte, selbst nachlesen konnte. Warum er sich immer wieder in diesen überfüllten, stickigen Raum zwängen musste, umringt von ungewaschenen Arbeitern, ungehobelten Bauern und hochnäsigen Studenten.
Aber dann, in der nächsten Woche, fuhr er wieder in die Stadt, in das schmutzige Kellerloch, als zöge ihn irgendeine unsichtbare Macht an diesen Ort. Eine sonderbare Faszination ging davon aus, vielleicht gerade weil diese Welt dort unten so anders war als die glitzernde Welt der Salons, Ballsäle und Banketthallen, die er aus dem Palast kannte. Es war eine ursprüngliche Welt mit einer nahezu magischen Anziehungskraft. Er konnte es sich nicht erklären, doch es ging so weiter, bis tief in den Sommer hinein.
Armand arbeitete unterdessen unermüdlich an seinen Plänen zur Sanierung des Staatshaushaltes. Nach seinem fürchterlichen Streit mit Brissot war er überzeugt, all das ganz allein bewältigen zu müssen. Ja, es wurde beinahe zur fixen Idee, als müsse er aller Welt beweisen, dass der König von Tarennes sehr gut auch ohne einen Finanzminister auskommen konnte.
In Wahrheit aber misstraute er Brissot ganz einfach. Zwar hatte er ihn zum Schein wieder bei sich aufgenommen, doch vergeben hatte er ihm nie. Er musste also alle Arbeiten selbst erledigen, stürzte sich mit einem höchst ungewöhnlichen Enthusiasmus hinein und saß oft bis in die späten Nachtstunden hinein verbissen an seinem Schreibtisch. An seinem Plan, die Binnenzölle zu erhöhen, hielt er fest. Er hatte Recht damit, das würde er schon noch beweisen!
So brütete er auch an einem schwülen, drückend heißen Nachmittag im Hochsommer über seinen Unterlagen, als es im Vorzimmer plötzlich unruhig wurde. Armand hob unwillig den Kopf. Durch das offene Fenster wehte ein knisternder Windhauch herein, Vorbote eines Gewitters vielleicht, doch auch Quell süßer Erleichterung in der erstickenden Sommerhitze.
Durch die Tür drangen Stimmen an sein Ohr, ein scharfer Wortwechsel. Er wollte eben aufstehen, um für Ruhe zu sorgen, als die Tür aufgerissen wurde und sein Kammerdiener mit verzweifelter Miene hereinstürmte. Das Öffnen der Tür sorgte für einen Stoß heftiger Zugluft, einige Papiere erhoben sich, von luftigen Fingern erfasst, schwebten durch den Raum und landeten auf dem Fußboden wie zu groß geratene Schneeflocken. »Könnt Ihr nicht aufpassen?«, rief Armand erbost, während der Kammerdiener hastig die Tür hinter sich zudrückte.
»Verzeiht mir, Euer Majestät«, murmelte der Kammerdiener zerknirscht. »Ich ...« Er suchte nach Worten, um sein Bedauern noch deutlicher auszudrücken, fand keine und sagte endlich sachlich: »Monsieur Déville steht draußen im Vorzimmer und will sich partout nicht abweisen lassen, Sire.«
»Déville?« Armand runzelte die Stirn. »Also gut. Er soll reinkommen!«
Vielleicht hatte Déville ja endlich etwas über den Urheber jener Karikaturen und Spottverse herausgefunden, die das Land wie Heuschrecken zu überschwemmen drohten. Oder gar über jene geheimnisvolle Schwarze Nadel?
Die Tür öffnete sich erneut, wieder flogen die Papiere, Armand erhob sich seufzend von seinem Platz und eilte dem Polizeichef ungeduldig entgegen. Aber schon an dessen Gesicht sah er, dass er ihm nichts Gutes zu berichten hatte. »Was ist?«, fragte er alarmiert und ohne sich mit einer Begrüßung aufzuhalten. »Was habt Ihr mir so Dringendes zu berichten?«
Déville verneigte sich. »Sire, in Cholet wurde heute Mittag eine Zollstation von marodierenden Händlern und Kaufleuten überfallen«, erklärte er ohne jegliche Umschweife. »Zwei Zollbeamte wurden dabei getötet, die Station selbst in Brand gesteckt, einige umstehende Gebäude ebenfalls zerstört.«
Armand riss die Augen auf. »Was?« Er hatte die Worte gehört, ohne sie wirklich verstanden zu haben. »Ein ... ein Überfall sagt Ihr?«
Déville verzog das Gesicht. »Genauer gesagt, ein Aufstand.« Seine Stimme war kühl und nüchtern, allein seine Augen verrieten eine gewisse Nervosität.
»Ein Aufstand?«, krächzte Armand. Das Wort wollte ihm kaum über die Lippen. Der bloße Klang verursachte ihm Übelkeit. Er musste sich setzen.
»Ja. Ein Protest gegen die geplante Erhöhung der Binnenzölle, wie es scheint«, erklärte Déville. »Die Aufrührer zerstörten die Zollstation in Cholet, leisteten sich ein kurzes Gefecht mit der Polizei und zogen dann weiter ins Raune-Tal, wohl, um gegen die dortigen Zollstationen zu randalieren.«
Armand schluckte hart. »Das ... das ist ja ungeheuerlich!« Etwas in seinem Inneren krampfte sich schmerzhaft zusammen, er spürte Panik in seiner Kehle emporkriechen, die ihm den Atem abzuschnüren drohte, doch da waren auch Empörung und Zorn. Letztere behielten die Oberhand, was seine Ehre rettete, denn sie vertrieben seine aus Schrecken geborene Mattigkeit und jagten einen Stoß fieberhafter Energie durch seine Adern. »Woher wisst Ihr es?«, fragte er, und diesmal klang seine Stimme kalt, ruhig und befehlsgewohnt, so wie es sein sollte.
»Ich erhielt die Nachricht gerade eben. Von einem meiner Männer, der selbst in Cholet dabei war«, antwortete Déville, beinahe ein wenig stolz.
»Und der Aufruhr ist jetzt im Raune-Tal angekommen, sagt Ihr?«
»Ja, Sire.«
Armand biss sich auf die Lippen, lief ein paar Schritte im Zimmer auf und ab und ballte dabei die Hände zu Fäusten. Das Raune-Tal war nur einige wenige Meilen von hier entfernt, schnell zu erreichen, wenn man ohne Pause ritt.
Abrupt, mit einer so heftigen Bewegung, dass selbst der kaltblütige Polizeichef zusammenzuckte, riss Armand die Tür zu seinen Gemächern auf. »Holt mir den Oberst Blackwood!«, brüllte der König seinen Kammerdiener an. »Schnell!«
***
John war gerade dabei, sich auf ein erfrischendes Bad zu freuen, um sich den Kasernenstaub von der Haut zu waschen, als Armands Kammerdiener in seine Gemächer stolperte und ihm atemlos mitteilte, er solle sofort den König aufsuchen. Verdutzt starrte John den Mann an. Armand pflegte keine Dienstboten zu ihm zu schicken. Er kam selbst, wenn er etwas wollte. »Was ... was ist passiert?«, stammelte er, eher verdutzt als wirklich beunruhigt, aber der Kammerdiener schüttelte nur den Kopf. »Beeilt Euch bitte.«
»Na schön ...«
John verzichtete also auf sein Bad, benetzte nur Gesicht und Hände mit Wasser, streifte ein frisches Hemd und seine Uniformjacke über und stand wenige Augenblicke später in den königlichen Gemächern. Armand kam ihm entgegen, und John verschluckte sich vor Schreck, als er ihn sah.
Armand war in voller Uniform, mit Degen und Stiefeln angetan, und er trug sämtliche Abzeichen seines Ranges am Leib. Auf der Brust blitzte golden das königliche Siegel mit dem Wappen seiner Familie, um die Schultern lag der purpurne Mantel mit Hermelinbesatz, obwohl er darin in der Hitze beinahe ersticken musste. Und um seine Stirn rankte sich ein silberner, fein ziselierter Reif anstelle der schweren Krone, etwas, das John seit seiner Thronbesteigung nicht mehr an Armand gesehen hatte.
Unverhohlen starrte er den Freund an, unfähig, auch nur ein Wort hervorzubringen. Hastig, aber von kalter Entschlossenheit erfüllt, berichtete ihm Armand, was geschehen war.
»Und ... und was willst du jetzt tun?«, fragte John fassungslos.
»Wir reiten ins Raune-Tal«, erklärte Armand sachlich. »Und schlagen den Aufstand nieder.«
»Was?!« John konnte fühlen, wie alles Blut aus seinem Gesicht wich. »Du ... du willst dich persönlich darum kümmern? Allein?«
»Nein.«
Der Ausdruck in Armands Augen ließ John schaudern. Niemals zuvor hatte er den Freund so entschlossen, so kraftvoll, so gewaltig erlebt. »Wir rücken mit zwei Divisionen der Garde aus. Bereite die Männer vor! Und beeil dich! Wir haben keine Zeit zu verlieren.«
John rührte sich nicht. Das war doch Wahnsinn! Wie konnte Armand sich freiwillig in eine solche Gefahr begeben!
»Colonel Blackwood«, zischte da Armand, und sein Blick bohrte sich tief in den Johns. »Das war ein Befehl!«
John schlug wie von selbst die Hacken zusammen. »Jawohl!« Und fast gegen seinen Willen fügte er hinzu: »Euer Majestät.«
***
Das Gewitter brach los, in eben jenem Moment, in dem sie durch das Tor ritten. Wind und Regen peitschten ihnen entgegen, und der Himmel war so abgrundtief schwarz, als bewegten sie sich durch einen gigantischen, von drohenden Wolkenfetzen verhangenen Tunnel. Dennoch trieb Armand die Männer unbarmherzig an. Er selbst ritt an der Spitze seiner Garde, tief über den Hals seines Pferdes geneigt. Der Sturm riss an seinem Mantel, und Purpur umwehte ihn wie mit blutgetränkten Schwingen. Dicke Tropfen schlugen ihm ins Gesicht und schienen trotz der dampfig schwülen Hitze auf seiner Haut zu gefrieren, so eisig entschlossen war seine Miene.
John hatte ihn niemals zuvor so erlebt. Hatte es jemals Spuren von Weichheit oder Schwäche in seinem totenbleichen Antlitz gegeben, so waren sie jetzt verschwunden. Hart blickten seine Augen, die Lippen waren fest zusammengepresst, tiefe Konzentration verdunkelte seine Stirn. John kannte diesen Ausdruck von seinen Soldaten, und es war gerade das, was ihm Angst machte. Armand de la Fèvre ritt an diesem Abend nicht los, um während eines unbedeutenden Aufstandes nach dem Rechten zu sehen. Der König von Tarennes zog in den Krieg.
John fragte sich mit Schrecken, was er wohl zu tun gedachte, wenn sie das Raune-Tal erreichten. Würde er den Degen wirklich gegen sein eigenes Volk richten?
Aber er sagte nichts. Armand selbst hüllte sich in grimmiges Schweigen, und selbst John wagte nicht, ihn anzusprechen.
Die Nacht brach herein, noch bevor sie Cholet erreichten, doch Armand gönnte den Männern keine Pause. Sie ritten im Dunkeln weiter, bis vor ihnen eine schwarze, fette Rauchsäule zu erkennen war. Die Zollstation war niedergebrannt. Der Regen hatte die ärgsten, hoch auflodernden Flammen ausgelöscht, doch in manchen Winkeln leuchteten noch immer qualmende Glutnester, in der Dunkelheit funkelnd wie winzige, böse Augen. Sie fanden die Spuren des Kampfes überall, zwei Tote lagen in der aufgeweichten Erde. Die meisten Anwohner schienen geflohen zu sein, ein der Zollstation zu nahe gelegenes Gebäude war halb eingestürzt. Auf dem Boden lag, fast zur Gänze in den Schlamm gedrückt, der Überrest einer verkohlten Fahne.
Johns Herz krampfte sich schmerzhaft zusammen. Vor Kurzem erst hatte er sein Leben riskiert, um eine solche Fahne zu retten. Er konnte noch spüren, wie sich der raue Stoff in seiner Hand angefühlt hatte, während er in die Augen des Feindes blickte, den Mündungsfeuern, dem sicher geglaubten Tod entgegen. Er hatte die Fahne nach Hause zurückgebracht, diese hier hatte er nicht retten können. Fast schuldbewusst sah er zu Armand auf.
Der Freund ballte in stummem Zorn die Faust, ließ einen weiteren Herzschlag lang die Augen über das Bild der Zerstörung gleiten, wendete dann sein Pferd und befahl den Männern, weiterzureiten. Es war nicht schwer, den Aufständischen zu folgen. Spuren von Verwüstung wiesen ihnen den Weg und ab und an stießen sie auf Menschen, die sich nicht angstvoll hinter ihren Häusern verbarrikadiert hatten und ihnen die Richtung zeigten.
Kurz vor Sonnenaufgang ließ Armand die Männer ein wenig rasten. Der Regen hatte aufgehört, sein rabenschwarzes Haar trocknete unter dem Silberreif, und erste Anzeichen von Erschöpfung waren auf seinem Antlitz zu erkennen. Dies schien ihn in seiner Entschlossenheit aber nur zu bestärken. Er wartete nur, bis es hell wurde, und schon trieb er die Garde weiter vorwärts, einer wilden, gnadenlosen Hetzjagd entgegen.
Und endlich erreichten sie das Zentrum des Aufstandes. Es war ein winziges Städtchen inmitten des Raune-Tales, von allen Seiten her von niedrigen Anhöhen begrenzt wie eine einzelne Kirsche inmitten einer gigantischen Silberschüssel. Leicht hätte man es von den Hügelkuppen aus angreifen können, überlegte der Stratege in John. Aber es war nicht so einfach. Dies, so wurde ihm schmerzlich bewusst, war keine feindliche Stadt.
Langsam näherten sie sich. Der Aufstand war wohl während der Nacht von selbst ins Stocken geraten, dennoch war nur zu deutlich zu erkennen, was geschehen war. Auch hier hatte man die Zollstation zerstört, die königlichen Beamten getötet und ihre Leichen an Laternenpfählen aufgeknüpft. Niemand hatte es gewagt, sie herunterzuschneiden.
In den Straßen lagen einige weitere Tote, Polizisten, aber auch Zivilisten, ob Marodeure oder unschuldige Opfer, das war nicht zu erkennen. Ansonsten wirkte das Dorf, als sei ein zorniger Wirbelsturm hindurchgefegt. Unzählige Fensterscheiben waren in sinnlosem Zorn zerschlagen worden, der Karren eines Fuhrmanns war mitten auf der Straße umgestürzt, einige Randalierer hatten die Gelegenheit des allgemeinen Chaos genutzt, um Geschäfte und Wohnhäuser auszuplündern. Auch hier schienen die meisten Bewohner geflohen, der Rest hielt sich in den Häusern versteckt.
Irgendwo im hinteren Teil des Ortes brannte es, und dort wurde auch noch gekämpft. Die Aufständischen hatten eine Barrikade errichtet und sich dahinter verschanzt. Es war schwer zu erkennen, wie viele es waren oder wie schwer sie bewaffnet waren. Einige wenige Polizisten hielten die Barrikade belagert, es wurde nicht geschossen, im Augenblick zumindest nicht. Vielleicht waren ihnen die Patronen ausgegangen, vielleicht war es auch nur die Ruhe vor dem nächsten Sturm, die sie erlebten. Doch es war gekämpft worden, denn auch hier lagen Tote auf dem Boden.
John schauderte.
Armand ließ die Garde in der Einmündung der Straße verharren. Es ging leicht abwärts, die Straße war breit, es wäre ein Leichtes gewesen, die Barrikade zu stürmen.
Spätestens jetzt hatten alle Anwesenden das Herannahen der Soldaten bemerkt, es wurde totenstill auf dem Platz. Die Polizisten blickten voll Hoffnung die Männer in den schillernden Uniformen an, keiner rührte sich. Auch John hielt den Atem an. Ein Schuss knallte hinter der Barrikade, verpuffte harmlos in der Luft, und doch ... Sie ließen sich nicht einschüchtern, selbst von dieser erdrückenden Übermacht nicht. John biss sich auf die Unterlippe. Woher kam dieser Hass, diese extreme Gewaltbereitschaft? Er hätte niemals vermutet, dass es so schlimm werden würde.
Armand lenkte sein Pferd einige Schritte vorwärts und bedeutete der Garde zurückzubleiben. »Ihr bleibt hier«, befahl er mit ruhiger, eisiger Stimme. »Keiner rührt sich vom Fleck, ganz egal, was passiert, verstanden?«
Ein Raunen ging durch die Menge. Armand ritt weiter vorwärts, einige Männer bewegten sich zögerlich. »Keiner!«, brüllte Armand, so laut, dass die Soldaten wie von selbst in die Reihen zurückfielen. Einige blickten mit verzweifelt fragenden Mienen zu John hin.
John fühlte, wie ihm der Schweiß auf der Stirn brannte. Sein Herz schien nicht zu schlagen, stattdessen pumpte ein splitternder Glasklumpen kristallene Scherben durch seine Adern. Die Männer wollten Armand nicht gehorchen. Langsam, als zögen unsichtbare Fäden sie zum König hin, stolperten sie vorwärts.
»Ihr habt soeben einen Befehl Eures obersten Kriegsherrn empfangen!«, schrie John und er wollte an den Worten schier ersticken. Noch nie war ihm etwas so schwergefallen. »Keiner rührt sich!«
Und damit gab er seinem Pferd die Sporen und trieb es mit einem Satz neben Armand. Der Freund wandte den Kopf, seine Augen loderten. »Gelten meine Befehle nicht für dich, Jonathan Blackwood?«, fragte er scharf.
John hielt seinem Blick stand. »Nicht, wenn sie dich in Gefahr bringen«, entgegnete er unbewegt. »Dich zu schützen steht über jedem Befehl.«
Das war die Wahrheit. Henri de la Fèvre, Armands Vater, hatte es selbst so bestimmt, und in jeder Faser von Johns Seele war diese Devise verankert. Sie wussten es beide, und doch fürchtete John einen Moment lang, Armand könne ihn zurückschicken. »Du musst wahnsinnig sein, wenn du glaubst, ich ließe dich in so einem Moment allein«, flüsterte er, und zu seiner Überraschung flog ein winziges Lächeln über Armands steinernes Gesicht.
Schweigend und sehr langsam legten sie die Hälfte des Weges zurück. Längst hatte sich hinter den Barrikaden ein halbes Dutzend Gewehrläufe auf sie gerichtet. John konnte das Klappern von Ladestöcken hören, aber es wurde nicht geschossen. Noch nicht. Einige Polizisten näherten sich, um dem König Deckung zu geben, aber Armand scheuchte sie mit einer Handbewegung beiseite. John sah sich wild um und fragte sich mit einer Art hysterisch aufflackernder Angriffslust, wie viele Aufständische er wohl allein erschlagen konnte, bevor sie Armand erreichten. Wenn sie von ihren Schusswaffen Gebrauch machten, bevor es zum Nahkampf kommen konnte, keinen einzigen.
Johns Hand krampfte sich um den Degen. Armand hielt sein Pferd an. »Den Rest des Weges muss ich allein gehen, mein Freund«, sagte er sehr leise und plötzlich sonderbar sanft. Er beugte sich im Sattel vor und nahm Johns Hand vom Degen. »Versprich mir, dass du nicht eingreifen wirst, egal, was geschieht«, meinte er ruhig. »Ich habe das hier schon einmal getan. Ich kann es wieder tun. Aber du musst mir vertrauen.«
John starrte in seine silbernen Augen und war unfähig zu sprechen.
»Bleib zurück«, beharrte Armand. »Das ist eine Bitte, kein Befehl.« Er lächelte, doch obwohl seine Miene weiterhin unbewegt war, zuckte plötzlich Schmerz durch seine Augen. John spürte, dass er Angst hatte. Er selbst hatte auch Angst, er konnte kaum atmen vor Angst, trotzdem nickte er.
Armand stieg vom Pferd. Dutzende von Augen richteten sich auf ihn, niemand rührte sich. Die Anspannung vibrierte in der Luft wie eine sich niemals auflösen wollende Dissonanz.
Armand zog seinen Degen aus der Scheide, hielt ihn, für alle sichtbar, in die Höhe und legte ihn dann auf den Boden. Ein Raunen ging durch die Menge, als er einen Herzschlag später auch den purpurnen Mantel ablegte, schließlich die Kette und den schweren Siegelring. Sogar die goldbesetzte Uniformjacke zog er aus, bis er endlich im Hemd vor den Anwesenden stand, allen Würden seines Amtes beraubt, nur die Krone blinkte noch auf seiner Stirn.
Langsam, mit wiegenden Schritten, aber ohne zu zögern, näherte er sich der Barrikade. Längst hielt jeder Mann auf beiden Seiten des Hindernisses den Atem an. Einige waren hinter der Barrikade hervorgetreten und starrten unverhohlen, andere hatten ihre Waffen fallen gelassen. Armand trat dicht vor sie, das Gesicht blass und reglos, es schien beinahe zu leuchten. Dann blieb er stehen, sah jedem Einzelnen, den er erreichen konnte, direkt in die Augen, fasste sich endlich, mit beiden Händen und noch immer ohne ein einziges Wort, an die Schläfen und nahm die Krone ab. Achtlos ließ er sie fallen, sie landete klatschend in der aufgeweichten Erde. »Mein geliebtes Volk«, sagte Armand, laut und durchdringend. »Ich komme zu euch, nicht als König.« Er verharrte einen winzigen Moment lang. »Ich komme zu euch als Bittsteller.« Und damit beugte er das Haupt und sank, vor allen Anwesenden, in Schlamm und Unrat und Schmutz, auf die Knie herab.