Erstveröffentlichung © 2005 by Ennsthaler Verlag, Steyr
Originaltitel: „Zur Göttlichkeit erwachen - Eins mit dem Leben, eins mit Gott“
2. Auflage
2020 © by IAW Anstalt, Vaduz
www.iadw.com
ISBN: 978-3-7431-2048-8
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Redaktionelle Mitarbeit: Klaus Jürgen Becker, Annette Böhme
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Solange die Menschheit denken kann, beschäftigt sie die Suche nach Gott. Steintafeln, Dokumente in Pyramiden, alte Schriftrollen aus aller Welt künden von dieser Suche der Menschen nach Gott.
Während wir in der christlichen Kultur das patriarchalische, monotheistische Gottesbild anerkennen, gibt es Religionen, die Gott als weibliches Prinzip erleben. Wie z.B. in Indien, wo die große Mutter KALI verehrt wird, die Naturreligionen, wo GAJA, die Erdmutter, als Urprinzip gewürdigt wird. Selbst der große Yogi Paramahansa Yogananda sagt: »Bete zur Mutter, die Mutter ist näher als der Vater.« Auch die verschiedenen Marienkulte sowie die Verehrung der Göttlichen Mutter KWAN YIN in China weisen auf den weiblichen Aspekt Gottes hin.
Dann gibt es solche Kulturen, die in einem System von Vielgottheiten leben. Hier können die verschiedenen Urprinzipien bis hin zu ihrem physischen Ausdruck rückverfolgt werden. Denken wir an die germanischen Götter Odin, Thor, Freja, die griechischen Götter Zeus, Hades, Aphrodite, die ägyptischen Götter Horus, Osiris und Isis. Dem Mythos zufolge wirkten sie alle leibhaftig auf der Erde und hinterließen dort ihre Fußabdrücke in der Zeit. Ja, für manche Gläubige wirken sie auch noch heute. Die Kelten verehrten BÄUME als Verbinder zwischen Himmel und Erde und für die Mayas war die ZEIT der Maßstab aller Dinge.
In vielen Religionen ist es verboten, den Namen Gottes auszusprechen. Manche sagen, Gott hätte keinen Namen. Andere flüstern seinen Namen ehrfurchtsvoll und es gibt auch solche, die laut zu ihm rufen oder gar schreien: »Wo ist mein Gott?«
Viele suchen Gott in einem Bildnis, einem Gleichnis, in einer ganz bestimmten Ethik und Gesetzmäßigkeit, in der Heiligen Geometrie, in der Schönheit der Natur oder in der Weite des Weltalls. Und wieder andere glauben, dass es ihn überhaupt nicht gibt.
Immer wieder kommen wir an einen Punkt, wo auch wir uns fragen: »Wer ist Gott? Ist Gott, wie wir in der Schule oder in der Kirche gelernt haben, der weise Vater im Himmel? Oder ist Gott ein Schöpfer, irgendwo da draußen in der Schöpfung? Ist Gott der Herr, der über uns, seine Geschöpfe, von oben herab bestimmt? Finden wir Gott in der Kirche oder in einer ganz bestimmten Religion? Wenn ja, in welcher? Offenbart sich Gott in den heiligen Schriften, den Testamenten der alten und der neuen Zeit? Oder ist Gott ein unerklärlicher und unnahbarer Mythos? Ist Gott ›tot‹, wie Nietzsche es aussprach? Oder ist Gott in Wirklichkeit in dir, vielleicht dein wahres Selbst?«
Nun, wir denken, jede dieser Anschauungen verbirgt in sich ein Körnchen Wahrheit. Irgendwo ist Gott vielleicht tatsächlich der alte weise Mann mit dem Bart, wenn wir ihn uns so vorstellen wollen. Viele Mystiker wie Ramakrishna, aber auch moderne Forscher wie Prof. J. J. Hurtak beschreiben einen persönlichen Gott, der über uns wacht. Vielleicht erscheint uns dieses »Über-uns-Wachen« als ein etwas kindliches Bild, doch Seher berichten über Legionen von Engeln und geistigen Wesen, die den PLAN aufrechterhalten. Es gibt also möglicherweise dieses Eingebettetsein in einen persönlichen Gott. Wenn Gott eine Persönlichkeit ist, vielleicht umfassender als wir uns »Persönlichkeit« vorstellen können, dann ist auch unsere Persönlichkeit ein Ausdruck Gottes, dann brauchen wir nicht unsere Persönlichkeit zu leugnen oder mit der Welt unpersönlich umzugehen oder unpersönlich zu werden, um Gott zu erleben.
Gott existiert möglicherweise als Person, wie immer wir uns das vorstellen mögen. Und man sagt, es gäbe auch einen unpersönlichen Gott, so etwas wie ein unpersönliches göttliches Prinzip, ein Weltengesetz, TAO, eine unpersönliche Urkraft. Der weise Laotse zeugt davon ebenso wie Ramana Maharshi, der Weise vom Berge Arunachala. Wir erleben also Gott als »persönlich« und als »unpersönlich« zugleich, als namenvoll und namenlos, vielleicht existiert Gott überall?
Hat der Mensch Gott nur erfunden oder hat Gott den Menschen erfunden? Wer war zuerst da, die Henne oder das Ei? Gedankenakrobaten behaupten, die Henne wäre zuerst da gewesen, dann käme das Ei, schließlich müsse es zuerst einen »Prototyp« geben, bevor man in »Serienproduktion« gehen könne. Dieses Argument erscheint logisch. In der Automobilbranche ist dies so, warum sollte es bei der Erschaffung menschlichen Lebens anders gewesen sein?
Die heilige Schrift sagt, wir seien nach dem »Ebenbilde Gottes« erschaffen worden. Das könnte bedeuten, Gott sei potenziell in uns bereits angelegt, aber wir seien »noch nicht ganz Gott«, wir müssten, ähnlich wie das potenzielle Küken in der Eischale, noch in Gott hineinwachsen.
Möglicherweise ist alles Gott, die Welt, der Klang, die Sterne und auch du und ich. Was uns Menschen privilegieren könnte, ist möglicherweise, dass wir über uns selbst nachdenken und uns somit fragen können: »Wer ist Gott?«
Alleine die Tatsache, dass uns Menschen diese Frage bewegt, zeigt, dass dort ein Potenzial sein muss, sonst würden wir uns nicht danach sehnen. Vielleicht spüren wir eine kaum wahrnehmbare »Er-Innerung« an unseren Ursprung, die in uns wie in einer Art spirituellem Heimweh als Sehnsucht angelegt ist, uns Gottes zu »Er-innern« wie an eine köstliche Speise. Dies könnte darauf hinweisen, dass Gott »im Innern« zu finden wäre, in uns.
Goethe, aber auch Antroposophen wie Rudolf Steiner und viele andere betonen immer wieder, Gott sei auch in der Außenwelt zu finden. Möglicherweise könnte es so sein, dass, wenn wir Gott »im Inneren« gefunden haben, wenn wir die Einheit im Inneren erahnt haben, sich daraus die Sehnsucht entwickelt, IHN auch im Außen zu erleben, zu erfahren, seine Gegenwart auch im Außen zu erleben.
Menschen, die Gott im Innen und im Außen gefunden haben, nennt man »Erwachte« als Hinweis dafür, dass aus Sicht dieses göttlichen Bewusstseins eben solche, die in Gier und Mangel leben, die zetern und entarten, eigentlich »Träumer« sind, Unerwachte, vielleicht Raupen, die sich noch nicht aufgemacht haben, den Schmetterling in sich zu entdecken, zu entfalten und die Welt mit ihren bunten Flügeln zu erkunden.
Vielleicht ist in der göttlichen Gegenwart unser wahres Selbst vollkommen? Sagte Jesus deshalb: »Ihr sollt vollkommen sein, wie auch der Vater im Himmel vollkommen ist«?
Wenn Gott in der Gegenwart lebt, möchten wir uns möglicherweise bewusst machen, dass wir uns auch in einer Welt der Entfaltung befinden. Aus der »Welt der Entfaltung« bringen wir einen »Zeitschatz« mit nach Hause, d.h. in die Unendlichkeit Gottes. Alles, was wir hier in diesem Erdenspiel erfahren haben, muss sich nach dem Energieerhaltungsgesetz irgendwohin auflösen. Alles, was wir aufgrund unserer Erfahrungen erkannt und verwandelt haben, bereichert uns und andere. Nachdem wir unseren Körper verlassen haben, einen Vorgang, den wir oftmals auch das Sterben nennen, beginnt möglicherweise die Vorbereitung für eine neue Geburt, in welche die Erkenntnisse der letzten Inkarnation einfliessen. Die großen Weltreligionen sind sich einig, unser Leben endet nicht mit dem Ablegen der menschlichen Hülle. Es gibt Literatur, die auf die christliche Wiedergeburtslehre hinweist, wie »Reinkarnation im Neuen Testament«. Es gibt Universen über Universen, sagen die Heiligen. So finden wir in der heiligen Schrift die Aussage »In meines Vaters Haus sind viele Wohnungen«.
Ist demnach unsere jetzige Verkörperung nur eine Möglichkeit von vielen, sich physisch zu verankern? Dann möchten wir vielleicht folgern, dass Gott in vielen Dimensionen existiert, in vielen Welten und zugleich in uns.
Unter dem Gesichtspunkt der Einheit könnten wir möglicherweise sagen: Alle oben erwähnten Gottesbilder und Fragmente sind essenziell nicht voneinander getrennt, in Wahrheit habe jede Religion Recht in der Behauptung, alles sei eines. Das hieße dann, auch wir wären Schöpfer und Geschöpf, Durchwirkter und Mitwirkender an etwas Größerem, vielleicht sogar Ausersehener für Gottes Plan oder Selbsterkorener zur persönlichen Selbstverwirklichung – wer weiß?
Unter dem Gesichtspunkt des »Erwachens« könnte man sagen, wir suchen zu erkennen, dass Gott in mir, in jedem von uns »erwachen« und von jedem von uns angesprochen werden will, auf dass er sich wieder seiner selbst bewusst werde.
Wie können wir »erwachen«? Möglicherweise kommt es darauf an, mit unserem Ego einen Schritt zur Seite zu treten, damit Gott durch uns wirken kann, vielleicht so, wie die Sonne wirken kann, wenn die Wolken einen Schritt zur Seite treten. Zugleich erscheint es wichtig, dass wir uns darum bemühen, das Göttliche auch im anderen Menschen, ja der ganzen Welt anzusprechen, nicht unsere Vorstellung von Gott im anderen, sondern das »Göttliche«.
Das »Göttliche« ist essenziell. So wie Teller, Tassen, Blumenvasen alle unterschiedlich aussehen, aber aus dem gleichen Material bestehen, Porzellan, so können wir als Erwachte – so sagen die Mystiker – das Essenzielle, das Göttliche hinter jedem und allem schauen, vielleicht so, wie wir beim Betrachten eines Kinofilmes uns nicht auf den Film, sondern auf die Leinwand konzentrieren. Auf dieser Ebene erfahren wir Gott als reine Transzendenz.
Wir könnten uns aber auch auf den Lichtstrahl und die ständig wechselnden Lichtreflexe konzentrieren, die vom Projektor ausgehen, dann erfahren wir Gott als Farbenspiel, als Pulsation von Licht, ohne auf die Illusion einer »Handlung« auf der Leinwand hereinzufallen. Auch könnten wir als »Erwachte« den Film auf der Leinwand anschauen, aber nicht als jemand, der in die Handlung verstrickt ist oder sich in eine Identifikation hereinziehen lässt, sondern mit den Augen eines Regisseurs, der den Handlungsaufbau, die Beleuchtung, die schauspielerische Leistung studiert und während der Film läuft, ahnt, ja weiß, wie hinter den Kulissen der Film aufgebaut ist, wie das Drehbuch entstanden sein muss – wäre hier Gott als Schlüssel zu einem höheren Verstehen zu finden?
Auf der einen Seite sind wir aus Sicht des »Göttlichen« immer am Ziel und immer am Ziel gewesen, auf der anderen Seite findet ständige Evolution statt. Jederzeit haben wir die Möglichkeit, uns als am Ziel seiend zu betrachten und damit aus dem Kreislauf der Evolution auszuscheiden oder uns als Teil der Evolution zu betrachten und an einem mehr oder minder »großen Werk« mitzuarbeiten. Sri Aurobindo, einer der großen Meister der Neuzeit, empfiehlt in diesem Zusammenhang, mit dem Standbein in der Ewigkeit zu leben, während man mit dem Spielbein sich in der ZEIT bewegt.
Manche fragen sich vielleicht, wo diese Evolution hingeht und ob eine göttliche Führung die gesamte Evolution überwacht – oder ob alles in der Hand des Menschen liegt. Manche Menschen fragen sich: »Wie kann ein gerechter Gott solche Ungerechtigkeiten, Schmerzen, Verbrennungen, Katastrophen zulassen?«
Schnell sind wir da mit einer Paradeantwort bei der Hand, wie: »Das verursachen die Menschen alle selbst, sie alleine sind Schöpfer, Träger und Überwinder ihres Schicksals, ist doch deren Problem, wenn sie sich ein schlechtes Schicksal schaffen, sie hätten sich ja informieren können.« Solch eine Antwort mag zwar mehr oder minder »wahr« sein, hilft aber oftmals jenen wenig, die sich als Schöpfer ihrer Umstände nicht erkennen können oder wollen, und schiebt den »Schwarzen Peter« den »Leid-Tragenden« zu. Wenn jemand anderer leidet und man ihm sagt, er habe schlicht und einfach seine »Schöpfungskraft fehlgeleitet« mag dies wahr sein – und doch erscheint dies oftmals nicht gerade als sehr liebevoll.
Schließlich ist jeder unerbetene (besserwisserische) Ratschlag ein Schlag. Wenn wir jemand anderem einen unerbetenen Ratschlag geben, verletzen wir ihn dadurch in seinem Recht auf freien Willen und Selbstausdruck. Besser, als ungefragt Ratschläge zu erteilen, ist es, den anderen erst einmal zu fragen, ob er überhaupt einen Rat haben möchte. Wir könnten beispielsweise sagen: »Du Fritz, mir ist da etwas aufgefallen in der Art und Weise, wie du dein Leben gestaltest, und ich würde dir gerne dazu etwas sagen – bist du daran interessiert?«
Viel zu leicht sind wir geneigt das »Sosein« des anderen, wie er lebt, was er erlebt, sein Weltbild, seine »Realität« oder seine Überzeugungen als falsch anzusehen oder als unvollkommen. Ja, es kann sogar sein, dass der andere sich nicht nur nach unserer persönlichen Meinung, sondern, auch unter objektiven Gesichtspunkten betrachtet, unreif verhält. Doch wir helfen ihm oftmals mehr, wenn wir den anderen, in dem, wie er lebt und was er erlebt, erst einmal annehmen, auch das scheinbar Unvollkommene annehmen, all das, was im anderen noch ungelöst, unvollendet, unperfekt ist. Und natürlich sollten wir auch uns selbst annehmen mit all unseren Fehlern und Unzulänglichleiten.
Das Göttliche in uns ist zwar vollkommen. Und doch ist das Göttliche in uns auch in einer Entwicklungsphase. Gott existiert nicht nur im Sein, im ewigen »Ich bin«, sondern auch in der Entwicklung, die das Unvollkommene, das Ungelöste in sich trägt und zur Vollendung treibt, aber erst einmal unperfekt ist. Gott wohnt auch in dem, was in uns am Werden ist und sich dabei scheinbar unvollkommen ausdrückt. Der größte Beitrag, den wir für das Unvollkommene in uns und im anderen leisten können, liegt darin, es vollkommen anzunehmen und anzuerkennen. Erst dann kann es seinen göttlichem, stimmigen, heilen Aspekt hervorbringen.
Leben ist ständige Veränderung, ständiger Wandel. Und in diesem Wandel gibt es eigentlich keine Perfektion, sondern nur Wachstum, Entwicklung. Die Gegenwart Gottes ist auch erlebbar in scheinbar unvollkommenen Situationen, sobald wir diese ehren, »wie sie sind«.
Es ist die Natur des Menschen, seine eigene Wahrheit zu schützen, das heißt, seine eigenen Überzeugungen zu vertreten und weiterzuentwickeln. Der einzelne Mensch ist dabei wie ein Baum, der aus der eigenen Wurzel heraus wachsen muss. Die Wurzel, aus der heraus er wächst, trägt sein Weltbild, seine Überzeugung, seinen Glauben, seine Lebensweise. Wenn dieser Baum weiter wachsen soll, dann kann er dies nur, wenn er seine eigenen Wurzeln annimmt, wenn er ja zu sich, seiner Vergangenheit, seinem »Sosein« sagt und aus dem Leben heraus seine eigenen Weiterentwicklungen anstrebt.