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© 2020 Duanna Mund
Umschlaggestaltung: Duanna Mund
Bildnachweis: © Birgit Winkler / aus dem Nachlass von Doris Kleine
Herstellung und Verlag: Books on Demand GmbH, Norderstedt
ISBN 9783752614169
ZUM VORWORT
EIN VORWORT
steht vor den Wörtern des Buches,
deretwegen dieses gekauft, geliehen, verschenkt wurde.
EIN VORWORT
muss nicht zwingend am Beginn gelesen werden.
Warum nicht am Ende, dazwischen oder gar nicht?
EIN VORWORT…...….…………kitzelt den Intellekt.
EIN VORWORT
verblasst angesichts der Wörter, die folgen
und klingen und schmecken und malen und brennen.
Ein Vorwort erfreut die Autorin.
Somit hat es Sinn!!!
VORWORT
In the mood for poems
Wer fiktionale Texte verfasst, schöpft aus einer Vorstellungskraft, die mit Erleben und Erfahrung untrennbar in Verbindung steht. „Schreiben heißt, sich selbst lesen“, lautet ein bekanntes Zitat von Max Frisch. So kommt Literaten, die sich über ihre Werke einer breiteren Öffentlichkeit stellen, ein gewisser Hang zur Selbstdarstellung zugute, weil ihre Texte häufig bezugnehmend auf das persönliche Leben gelesen werden. Besonders trifft dies auf die Veröffentlichung von Lyrik zu, denn Gedichte entstehen aus einer inneren Befindlichkeit, die energetisch aufgeladen ist. Sie zeugen von Momenten erhöhter Sensibilität, die mit besonderer Verwundbarkeit einhergehen. Gerade das Überwältigt-Sein im Augenblick der Kreation, welches in Gedichten hörbar, sichtbar und spürbar wird, macht die Faszination von Lyrik aus. Wer sich poetischer Sprache bedient, ist „in the mood for poems“ - ein beglückender, wie fordernder Zustand. Gedichte kristallisieren sich aus der einzigartigen Psyche eines Menschen, vergleichbar der Ausformung des Schneesterns als Unikat. In einem Mal erstarren Schwingungsmuster zu Kristallen, im anderen zu Fantasien, die aus Leerstellen des Bewusstseins wachsen und von den Möglichkeiten eines Lebens erzählen.
Somit sollte Lyrik in keinem Fall als harmlos erachtet und lediglich zum kultivierten Zeitvertreib konsumiert werden. In einem Gedicht teilt sich die nach innen gewandte Aufmerksamkeit des Poeten über die nach außen gerichtete Macht der Worte mit. Schlussfolgernd erschließen sich Tiefe und Geheimnis nur dem verinnerlichten Lesen. Wer sich bei der Interpretation von Lyrik ausschließlich vom Verstand leiten lässt, wird in der Verschlüsselung der poetischen, oft auch gebundenen Ausdrucksweise lediglich artifizielle Sprachkunst sehen und diese möglicherweise als unlogisches Stilmittel empfinden.
Es stellt sich somit die Frage, ob Gedichte überhaupt interpretiert werden wollen. Vielleicht sind sie geschaffen, um bloß zu wirken und sich im Lesenden transformiert zu manifestieren. In jedem Fall darf ein Gedicht als ästhetischer und intuitiv stimulierender Reiz wahrgenommen werden, selbst wenn dieser, wie in zeitgenössischer Lyrik verstärkt zu beobachten, Wohlklang und Harmonie bewusst vermeidet. Schönheit im traditionellen Sinn scheint der heutigen Gesellschaft ausschließlich verschleiert und entfremdet zumutbar zu sein. In ihrer klaren Form ist sie aus der Sprache verschwunden, wie der Belcanto aus der Musik. Verkommt Lyrik zu intellektueller Spielerei und Sprachakrobatik, bewegt sie sich auf der künstlerischen Höhe eines beliebig austauschbaren Popsongs.
Was also begründet den Zauber eines Gedichts? Was bewegt Menschen des 21. Jahrhunderts noch immer dazu, sich mit Lyrik zu befassen und lyrische Texte zu verfassen? Erklärungsversuche nehmen Anleihen bei Wissensgebieten, die auf den ersten Blick mit Lyrik wenig gemein haben.
Wie die Werbung, appelliert Poesie affektiv an den Leser. Der Inhalt steckt in einer Verpackung, deren ästhetischer Reiz ein wesentlicher Bestandteil des Produkts ist. Die poetische Ausdrucksweise legt eine Spur, indem sie auf Widerhall im Rezipienten setzt. Sie erinnert an den Handel mit Erwartungen, wie wir ihn vom Börsengeschehen kennen. Dabei widersetzt sich Lyrik dem Diktat des Marktes und erweist sich als immun gegen gesellschaftliche Zwänge. Wer sich in der postindustriellen Gesellschaft über Poesie ausdrückt, greift auf das widerständige, ja revolutionäre Potential der Lyrik zurück.
Ein Vergleich mit den Geschwistern in der Familie der Geisteswissenschaften und Künste lässt Lyrik nur auf den ersten Blick unterlegen erscheinen. Im Klang wird sie übertroffen von der Musik, im Bildhaften von der Malerei und im Begrifflichen von der Philosophie. Doch die poetische Sprache stimuliert alle Sinne des Menschen. Sie visualisiert mit Hilfe von Farbqualitäten der Vokale, sie teilt sich über Rhythmen und Versmaß dem Gehör mit und nimmt Anleihen bei taktilen Sinnesreizen wie warm oder kühl, geschmeidig oder spröde, hart oder weich. Verdichtet sich Sprache zu Dichtung, reizt sie das denkende Herz und übertrifft im Erleben die Realität. Mystiker unter den Lyrikern wildern im Revier der Religion, indem sie spirituelle Erfahrungen personifizieren und ihre Vorstellung vom Göttlichen in Allegorien und Gleichnisse kleiden. Ihre Wortmagie greift, wie die Praxis der Kirchen, archaische Riten und Mythen auf.
Schreiben „in the mood for poems“ geht nicht jahrelang mit einer Idee schwanger. Es gebiert vielmehr in einer surrealen Wehe, über weite Strecken unbewusst. Kreativität, die ein Gedicht hervorbringt, bewahrt sich die Unmittelbarkeit des Anfangs. Sie verhält sich wie die Arbeit eines Musikers, der nach diszipliniertem Studium der technischen Anforderungen eines Werkes, an den Beginn des Erlebens zurückgeht, um den künstlerischen Kern erfassen und wiedergeben zu können. Somit sind Lyriker ewige Kinder, die nichts anderes im Sinn haben, als mit ihren Gedichten wiederum Kinder in die Welt zu setzen, damit diese dort ihren Weg machen.
Aufmerksam Lesenden wird möglicherweise auffallen, dass die geschlechterkorrekte Ausdrucksweise in diesem Buch im Sinne des Wohlklangs vernachlässigt wird. Weibliche Leserinnen mögen als Wiedergutmachung an den geschlechterverliebten Gedichten dieses Sammelbandes Gefallen finden und sich in Erinnerung rufen, dass DIE Lyrik, DIE Poesie, DIE Dichtung im deutschen Sprachgebrauch eindeutig weiblich konnotiert sind. Männlichen Lesern sei DER Poem als bildungssprachlicher Begriff ans Herz gelegt und uns Menschen ganz einfach DAS Gedicht.
Mit zwinkerndem Auge ist somit der political correctness Genüge getan, die sich ursprünglich um den wertschätzenden Sprachgebrauch im Umgang mit Minderheiten bemühte. In diesem Sinne kann weder Mann noch Frau als schützenswert erachtet werden. Die Anima dieses Buches ist zutiefst weiblich und wäre ohne ihren kongenialen Animus verborgen geblieben.
DER/ DIE/DAS Mensch
Duanna Mund
(Anima)
Sonne kommt zuvor
dem frühen Tag,
beehrt als erste
Wiese und Busch.
Hält Zwiesprache,
ehe die Stare kommen,
weltlich tun
im Wehen der Dünen.
Bei den Sandlöwen
zieht schwarz der Tod ein.
Da erhebt sich groß
der Eine
Vogel und
wendet sich ab.
Das Tier
vom Licht,
vom Tag
und
schließt
mir
wehmütig
das Auge.
Gleite auf Schlangenhaut
eisgrau geschmeidig über den See.
Geheimnisvoller! fühle ich
und wäre er nicht erstarrt,
ich bin mir sicher, er nickte wässern.
Häute mich vollends im tosenden Wind,
dass in die Blöße der Wolkenfall stürze.
Mächtiger du! sage ich und
die Worte reißen von meinem Mund.
Als hörte er es, geht der Sturm in die Knie.
Staube Schnee von seinen Flanken.
Nichts denke ich, abwärts schwingend,
nur: Berg!
Der aber, göttlicher Himmelsbezwinger,
singt mir das Lied unserer Liebe zur Schwerkraft.
See-, Sturm- und Berg-Ich,
wir drängen ins Du.
Sieh nur, wie schön wir sind,
Aufruhr und Ruh!
Sind in alles verwebt und verstrickt,
schauen uns selbst,
wo das Auge hinblickt.
lasst uns ein imagirO falten
wozu taugt ihr sonst
offene hände
ein entfaltetes labyrinth
andersweltlich
kopflos
fragwürdig
halbfertig
entzweckt
unsichtbar
offen dem
ersten
tag
Seit meine Tränen von vor fünfzig Jahren
wiedergekehrt sind
von ihrer Reise rund um die Welt,
seit sie alles in sich tragen,
was die Menschheit
seitdem
gelacht und geweint,
gefreut und gelitten,
erblickt und verblendet,
geboren und gestorben,
getan,
vertan,
aufgetan
und
verschlossen …
seit sie zum Tropf der Gaia wurden,
hilflos wie ehedem …
seit damals brennt der Kamin,
der jahrelang schlagendem Wetter ausgesetzt war,
heller denn je
rücksichtslos,
rückstandslos
in meinem Rücken.
Draußen stehen sie,
ein jedes, wie es will.
Sie schauen mich an,
einige drängeln
und wollen herein,
gedankenverloren,
gedankenverworren.
Ich ermahne sie
und zwinge sie
in eine unordentliche Zeile,
chronologisch,
thematisch,
dringlich,
ganzheitlich,
bewertet,
entwertet,
wertfrei,
einige selbstgerecht
und
intuitiv einfach.
Gläubiger sind sie
mir, der Schuldigen.
„Jetzt du“, sage ich
und lasse eines herein,
lasse mich ein auf eine Umarmung,
auf den Zinsdienst
ohne Druckentlastung.
Ich löse mich
aus der Verstrickung,
wende mich ab
und sage: „Das nächste bitte!“
Da stampft es zornig hinter mir,
macht, eben entlassen, auf trotziges Kind
und reiht sich erneut ein
in die Zeile, ganz vorn.
Ich fasse es nicht!
Erkenne mein symbiotisches Ich,
ungläubig
und ewig
schuldig.
Der Mond hat
wie ich
zwei Gesichter,
am tollsten in schneehellen Nächten.
Der Mond kämpft
mit sich,
welches der Gesichter
wohin blicken darf.
Der Mond zeigt
das schöne Antlitz,
mit dem er
die Erde betrachtet, nichts sonst.
Der Mond
schämt sich
pockennarbig und blind
nach hinten ins Sternensilber.
Der Mond hat
wie ich
zwei Gesichter,
am tollsten in schneehellen Nächten.
Wenn er
sich daunenweiß bettet,
vielleicht…
stirbt ihm das schöne Gesicht.