Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:
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© 2018 Maja Schweizer
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Herstellung und Verlag:
BoD – Books on Demand GmbH, Norderstedt
ISBN: 9783746070506
„Arschloch! Gib Gas und fahr endlich! Hast Du Deinen Führerschein geklaut oder den Fahrlehrer bestochen?“ Beschämt muss ich zugeben, dass dies meine Worte sind. Viele weitere und sinngemäss ähnliche höre ich immer öfter von mir, wenn ich im Auto sitze. Nimmt mir jemand die Vorfahrt oder drängelt sich gefährlich in eine Autoschlange ein, dann tut es mir einfach gut, ungehemmt Worte rauszulassen, die sich in meinem Gehirn eh schon längst als Gedanken formiert haben. Innerhalb der metallenen Türen darf ich das. Schliesslich sieht und hört mich niemand. Und doch erschreck ich ab mir selbst. Öffnen sich da Abgründe in mir, die ich bislang nicht gekannt habe? Nein, ich bin keine aggressive Persönlichkeit, würde mich eher als verständnis- und rücksichtsvoll bezeichnen, eigentlich richtig sozial. Ich weiss, dass das, was einen bewegt, sich so zu verhalten, wie man es eben tut, immer einen Grund hat. Auch wenn es idiotisch ist, so wie bei mir, wenn ich im Auto Dampf ablasse. Zugegeben, manchmal tut es gut, die innere Stimme zu ignorieren, welche gnadenlos und gezielt das Gewissen einlullt. Das Missachten dieser Hemmschwelle kann kurzfristig befreiend sein. Das Gewissen weiss aber zu Recht, dass es mich auf eine Grenze hinweisen will: Ich verletze niemanden mit meinen Worten! Es ist ein Unterschied, ob ich innerhalb der metallenen Türen meinem Ärger (oder vielmehr meiner Ungeduld) Luft mache oder ob ich jemanden vorbehaltslos, konfrontativ und unreflektiert zusammenscheisse. Ich kann mich ob der Fehlbarkeit eines Mitmenschen ärgern. Dann stört mich dessen Verhalten, in welchem Kontext dies auch immer stehen mag. Das gibt mir jedoch nicht das Recht, auf persönlicher Ebene herablassend zu werden.
Stellen Sie sich vor, es klaut Ihnen jemand die Parklücke vor der Nase weg, wo Sie selbst eben einparken wollten. Sie nerven sich ob dieser Dreistigkeit. Wütend steigen Sie aus dem Auto, der Parkplatzdieb ebenfalls. Sie holen tief Luft, um ihm voller Inbrunst alle Schande anzuhängen. In letzter Sekunde realisieren Sie, dass Sie den Parkplatzdieb kennen. Es ist ein Nachbar, den Sie gut mögen. Was passiert nun? Ich wage zu behaupten, dass sich 90% der dicken Luft verflüchtigt, dass Sie dem Nachbarn grummelnd mitteilen, dass es nicht gerade nett war, sich vor Ihnen in die Parklücke reinzudrängen. Sie teilen Ihren Unmut wahrscheinlich mit, aber bestimmt nicht so hochgekocht wie anfangs empfunden. Vielleicht verwandelt sich das Ganze sogar in humorvolles Gelächter.
Was hat sich geändert? Man kennt sich, es besteht eine (nachbarschaftliche) Beziehung zu dieser Person. Diesem Kontakt möchte man keinen Schaden zufügen (weil man einander mag oder Rücksicht nehmen will, vielleicht sogar abhängig voneinander ist im Sinne von Nachbarschaftspflege). Besteht kein Bezug zum Gegenüber, muss keine Rücksicht genommen werden. Der Frust kann heissgekocht rausgelassen werden, die unbekannte Person sieht man höchstwahrscheinlich nie wieder.
Anonymität gibt niemandem das Recht, die Welt um sich herum egoistisch und rechthaberisch zu behandeln. Wie oft höre ich Aussagen, wonach immer die anderen Schuld sind. Was treibt uns an, die Frage nach Schuld und Unschuld, Recht und Unrecht aktiv zu verfolgen, so dass es schwarz auf weiss, juristisch vermerkt auf einem Blatt Papier steht? Suchen wir die absolute Sicherheit? Der Ruf danach wird immer lauter. Wir behindern uns darin, wichtige Lernprozesse zu erfahren. Ich denke an Kinder, die tagtäglich mit dem Auto zur Schule gebracht werden. Den Schulweg mit anderen Kindern zu meistern, bringt wichtige Erfahrungen für die Schüler, auch wenn diese Behauptungsprozesse manchmal schmerzen. Das Leben ist und bleibt ein Tummelplatz voller Unsicherheiten und Herausforderungen. Verlernen wir, diese anzunehmen, ohne die Aussenwelt dafür verantwortlich zu machen? Verlernen wir grundsätzlich, die Verantwortung für unser Handeln zu übernehmen?
Ich habe irgendwo mal gelesen, dass Menschen scheinbar auf ihre Rechte pochen, damit sie nicht gezwungen sind, sich mit ihren Beziehungen auseinanderzusetzen. Bedeutet unpersönliche Namenlosigkeit also Narrenfreiheit? Jeder kann machen, was er will im Sinne von «mir gehört die Welt»? Aber auf wessen Kosten? Dies stimmt mich nachdenklich, was mich schlussendlich zu diesen Zeilen bewogen hat.
Es ist enger geworden in der Welt oder zumindest in der Schweiz. Die Bevölkerung wächst, die Platzverhältnisse bleiben die Gleichen. Wir treten uns mehr und mehr gegenseitig auf die Füsse. Jeder möchte seine kleine Welt sicher wissen und verteidigt sie. Respekt, Toleranz und sowas wie Nächstenliebe werden zu verwässerten Ausdrucksformen. Wir können weder die anderen Erdenmitbewohner ändern, noch die Bevölkerung dezimieren. Wir können Mauern um unsere eigene, kleine Welt bauen und die Mitmenschen ausblenden und draussen lassen. Versteinern wir uns nicht eher selbst dadurch? Belastet durch die Hektik in der Arbeitswelt und abgelenkt von der Allroundpräsenz der Medienwelt scheinen wir mehr und mehr in jeglichen Begegnungen auf Distanz zu gehen. Liefern wir uns dieser Strömung aus, was bleibt dann?
Es gibt Möglichkeiten dies zu ändern. Jeder Einzelne kann in jeder Begegnung ganz viel dazu beitragen. Vernünftige, starke Sprache ist nur das eine As im Ärmel. Hier kann Veränderung jederzeit stattfinden. Ich muss eine Person nicht kennen, auch scheinbar oberflächliche Kontakte können wertvolle Begegnungen sein. Ein Blickkontakt und ein Lächeln im Gesicht werden sicher immer belohnt. Für tiefe, bindende Freund- und Partnerschaften müssen wir uns in der Regel etwas mehr anstrengen.
Mit diesen Fragen und weiteren stechenden Trümpfen, welche Sie jederzeit ausspielen können, beschäftigen wir uns auf den nächsten Seiten. Ich frage nach den Werten, welche Beziehungen nah und lebendig machen. Im Mittelpunkt steht dabei die Kommunikation. Ich beschreibe die Hürden, welche Klarheit verhindern und sensibilisiere dafür, dass Missverständnisse zur Kommunikation gehören wie das Sandkorn am Meer. Ich nehme Sie mit auf eine persönliche Reise hin zu einem neuen Sprachgefühl, lege Spuren zu mehr Lebenskunst im Sprachgebrauch und am Reiseziel gewinnen Sie Verständnis und Sicherheit im kommunikativen Erleben.
Ich erzähle mit einfachen Worten, bleibe alltagsnah und verzichte auf das Beschreiben der klassischen Kommunikationsmodelle.
Wer häufig Auto fährt und dies mehr oder weniger auf der gleichen Strecke, tut dies praktisch im Schlaf. Unsere Automatismen funktionieren ohne unsere stete Aufmerksamkeit. Die Gedanken verlieren sich und sind schon bei der Arbeit oder vielleicht auch noch im Bett, den süssen Träumen nachhängend. Präsenz und Wachsamkeit lohnen sich nicht nur im Strassenverkehr. In der Gegenwart leben heisst, nicht einfach physisch präsent zu sein, sondern Gedanken und Fokus sind auf den Moment gerichtet. Also spätestens dann, wenn der Fahrer vor mir ein akutes Bremsmanöver vollzieht! Höchstwahrscheinlich richtet dies meine Aufmerksamkeit wieder voll auf den Moment. Sollte mir dies nicht gelingen, werde ich Bekanntschaft mit einem Autohinterteil machen. Und ganz sicher werde ich dann von mir selbst wieder eine Flut von Nettigkeiten hören, die ich dem Unbekannten mit dem schönen Autohinterteil durch die Luft wünsche bis an die Grenze der metallenen Tür.
Wahrlich präsent sein, ist eine Form des Daseins, wenn Wahrnehmung und Achtsamkeit auf 1