Wüste – Krater – Wolken
Die Gedichte
© by Erich Mühsam
1. Auflage 1914
© Lunata Berlin 2021
ISBN: 9783752833898
Herstellung und Verlag: BoD - Books on Demand, Norderstedt
Peter Rille zum Gedächtnis
Euch, Kameraden meiner frohen Bünde,
Euch leg ich lachend meine Beichte hin,
Daß ihr als Richter meinen Wert ermeßt
Und prüft, ob ich des Lebens kurzes Fest
Im Kampf bestehe, oder ob der Sünde
Des trägen Gottvertrauns ich schuldig bin.
Ihr wägt gerecht. Und was ihr auch erkennt,
Ob ihr mich selbst in Not und Tod verdammt –
Als Wahrwort soll mir eure Meinung gelten.
Ihr mögt mich einen heiligen Kauzen schelten
Und einen, der in Mondsuchtsträumen brennt:
Ein Pflock der Weisheit sei der Spruch gerammt!
Um eins nur, meine Freunde laßt euch bitten,
Eh ihr des Urteils Schicksalskind gebärt:
Aus allen Zonen töne euer Ruf!
Denn ich, als ich mein Werk aus Qualen schuf,
Hab tausend Seligkeiten durchgelitten ..
Verzweifeln müßt ich, wenn ihr einig wärt.
1898-1903
Dem betenden Skeptiker Gustav Landauer,
dem lieblosen Schwärmer Paul Scheerbart
und dem fidelen Tragöden Erich Mühsam
Ich bin ein Pilger, der sein Ziel nicht kennt;
Der Feuer sieht und weiß nicht, wo es brennt;
Vor dem die Welt in fremde Sonnen rennt.
Ich bin ein Träumer, den ein Lichtschein narrt;
Der in dem Sonnenstrahl nach Golde scharrt;
Der das Erwachen flieht, auf das er harrt.
Ich bin ein Stern, der seinen Gott erhellt;
Der seinen Glanz in dunkle Seelen stellt;
Der einst in fahle Ewigkeiten fällt.
Ich bin ein Wasser, das nie mündend fließt;
Das tauentströmt in Wolken sich ergießt;
Das küßt und fortschwemmt, – weint und froh genießt.
Wo ist, der meines Wesens Namen nennt?
Der meine Welt von meiner Sehnsucht trennt?
Ich bin ein Pilger, der sein Ziel nicht kennt.
Ein Droschkenkutscher flucht. Ein Marktweib kreischt.
Zwei Hunde, die vor einem Obstkarrn schleifen,
Vergehn vor Durst. Ein Schutzmann hoch zu Roß
Sieht schwitzend auf das Straßenhasten nieder.
Er sieht – doch weiß er nicht – wie sich der Troß,
Der leben will, einander grimmig fleischt.
Er weiß nicht mehr, was man ihn einst gelehrt:
Liebt Mensch und Tier! – Seid alle Freunde, – Brüder! –
Was schert's ihn, ob sie hungern, dürsten, keifen! –
O säß ein Dichter doch auf seinem Pferd!
Durch Ekel fahr' ich meinen Lebenskarren.
Der Kutschbock kracht. Es ist ein elend Holpern.
Die Gäule, die man Jahre heißt, sie stolpern
In faulem Trott, und alle Fugen knarren.