Die damalige Rechtschreibung wurde in diesen Texten sporadisch so beibelassen. In einzelnen Fällen wurde auch die heutige Schreibweise [in Klammer] verwiesen, so z. B. «Reuter» [Reiter], besondere Ausdrücke, die der damaligen Ausdrucksweise geschuldet sind, wurden in 1 Fußnoten, soweit möglich, erklärt und erläutert, so fern sie nicht schon vorhanden waren [bezieht sich auf die Abschrift von Kathrin Merz, Bd. 2, Unold, MM im 30-j. Krieg] entsprechend erweitert, in anderen Fällen wurde der Einfachheit halber als auch dem Lesefluss geschuldet, wurde die heutige Rechtschreibung übernommen, was etwa 19-25 Wörter pro Seite in der Korrektur betrifft, obwohl es das Ziel war, auch der alten, damaligen Schreib- und Ausdrucksweise gerecht zu werden, die meist so geschrieben wurde, wie sie auch gesprochen wurde. In Anführungszeichen gesetzte Zitate oder Zitierungen wurden absichtlich in ihrer Ursprünglichkeit belassen, und keiner Rechtschreibeprüfung unterzogen, der Leser möge es mir nachsehen, dass ich hier bewusst darauf verzichtet habe.
Der Herausgeber
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über www.dnb.de abrufbar.
Erschienen: Im Mai 2019. Neu durchgesehen und korrigiert.
© 2019 Anton Zanker, Herausgeber (Reprint)
Übersetzung: Unter Einbezug der Abschrift (2. Heft / Unold) von Kathrin Merz und dem Lektorat von Helmut Scharpf aus dem Jahre 2014. (Neu durchgesehen u. m. Worterklärungen erweit. v. Anton Zanker) Übersetzung v. Heft 1: Anton Zanker, sowie der anderen Texte. Neu mit aufgenommen: Ein Beitrag v. F. Eggmann, sowie ein Bilderverzeichnis.
Webseite: http://bit.ly/Ottobeuren_macht_Geschichte_Unold_H2
Herstellung und Verlag: BoD – Books on Demand GmbH, Norderstedt
ISBN: 978-3-7494-1707-0
Foto Front: Bernd Bauscke, 1956, Plünderung eines Dorfes, Ausschnitt. (Ullstein Bild)
Wenn Schnee fiel,
machte der Krieg Pause,
und wenn die Vögel zurückkamen
und die Blumen sprossen
und das Eis die Bäche freigab,
ging auch der Krieg wieder los.
Daniel Kehlmann, Tyll.
Die im bischöflichen Augspurg hauss hinderblibne Jesuiter mussten an weissen Stäben fortmarschiren, nachdem sie zuuor in Arrest genommen.
Aus der handschriftlichen Dochtermann-Chronik, zitiert nach Bernhard Bauer, Beiträge zur Geschichte der Reichsstadt Memmingen, Augsburg, 1882.
[Am 16. Febr. 1635] ist das Jesuiter hauss eingefallen vnd 2 soldathen vnd ein weib erschlagen, auch einem die Füess abgeschlagen. Ist eben geschehen, alss Mangel an holz gewessen, haben sie darin abbrechen wollen.
Aus der Fretscher’s Chronik, zitiert nach Bernhard Bauer, Beiträge zur Geschichte der Reichsstadt Memmingen, Augsburg, 1882.
Den 30. Tag Meye morgen frie hatt man das Nidergaßerthor auffgethaun, dan anfangen Reißwegen ankom vom Herzig auß Fridland und dißen Nacht mer als 30 Wegen herein komen, alwey 6 Pfertt an ein jedt Reißwagen. Diße Nacht ist Thor zum dritten Mall auf und zu gethaun worden.
Aus der handschriftlichen Dochtermann-Chronik. Übersetzt von Christoph Engelhard, 2004, entnommen aus der Webseite von Stadtarchiv Memmingen.
Von der Zukunft erwartete er Genugtuung und in dieser Hoffnung bestärkten ihn die Prophezeiungen eines italienischen Astrologen, der diesen unbändigen Geist gleich einem Knaben am Gängelbande führte. Seni, so hieß er, hatte es in den Sternen gelesen, dass die glänzende Laufbahn seines Herrn noch lange nicht geendigt sei, daß ihm die Zukunft noch ein schimmerndes Glück aufbewahrte. Man brauchte die Sterne nicht zu bemühen, um mit Wahrscheinlichkeit vorherzusagen, dass ein Feind wie Gustav Adolf einen General wie Wallenstein nicht lange entbehrlich lassen würde1.
Friedrich Schiller (über Wallenstein)
Geschrieben und Herausgegeben
Im zweitundertsten Jahre
Nach dem Anfange
dieses Krieges
Von
Jacob Friedrich Unold
Studienlehrer
Im
Dreißigjährigen Kriege
Geschrieben und Herausgegeben
Im zweitundertsten Jahre
Nach dem Anfange
dieses Krieges
Von
Jacob Friedrich Unold
Studienlehrer
Erstes Heft
Von 1618 bis 1633.
Zweites Heft
Von 1634 bis 1648
Drittes und letztes Heft
Von 1634 und 1648
Memmingen
Gedruckt bei Johannes Rehm
Original von 1818.
Hochgeehrten, Verdienstvollen
Verehrungswürdigen Herren
Bürgermeister
Rechtskundigen Räten
Bürgerlichen
Magistrats-Räten
Und
Gemeinde-Bevollmächtigten
Der Stadt Memmingen
Eignet diese Geschichte ehrfurchtsvoll zu
Der Verfasser
D ie Geschichte meiner Vaterstadt zu schreiben, ist, solange ich zurückdenken kann, stets mein liebster und innigster Wunsch. Aber, obwohl schon seit mehreren Jahren ihre ehrwürdigen Archive benutzend, war, doch bisher meine Muße zu klein und die Arbeit zu groß, um vollenden zu können. So muss ich denn also auf das Glück und die Freude verzichten, Ihnen hochgeachteter, verehrungswürdigster Magistrat und Gemeindebevollmächtigte, die ganze Geschichte unserer Vaterstadt zueignen zu können. Dafür erkühne ich mich aber, Ihnen diesen wichtigen Teil aus der Geschichte unserer Vaterstadt, die Geschichte des Dreißigjährigen Krieges, ehrfurchtsvollst zu überreichen. Ein schönes Los ist uns Zeitgenossen zu Teil worden, Sie, von Bürgern gewählt, regieren uns, Sie, von uns allen geliebt und geachtet und die Zeit ist wiedergekommen, wo Magistrat und Bürgerschaft gehaltvolle Worte, Worte voll froher Bedeutung sind. Die Freude, die mich durchglüht, über diese Verfassung, welche uns der beste König gab; die Freude, welche wegen dieser Verfassung alle meine Mitbürger durchglüht; die Freude unser aller, unsere Wünsche durch Sie erfüllt, durch Sie einer schönen Zukunft entgegenzusehen und dass wir Bürger alle in Ihnen den ersten Stadtmagistrat, die ersten Gemeindebevollmächtigten verehren: ist es aber auch, warum ich meinem inneren Drang nicht widerstehen konnte, Ihnen, den Vätern unserer Stadt, diese Geschichte als ein Zeichen meiner Achtung, Liebe, Verehrung und Ergebenheit zuzueignen. Mögen Sie diese Gesinnungen eines treuen Mitbürgers huldvollst aufnehmen! Mögen Sie stets wie bisher unser aller Stolz und Freude sein! Heil sei Ihnen und Ihren Bemühungen für das Wohl Ihrer Mitbürger, Heil unserem König, Heil unserem Vaterlande, Heil unserer guten alten Vaterstadt!
Ehrfurchtsvollst verharret
Dero2
Memmingen, den 25. Oktober 1818. |
gehorsamster J. F. Unold Studienlehrer |
1 Entnommen aus: Friedrich Schiller, Geschichte des Dreißigjährigen Kriegs. Sigbert Mohn Verlag, 1964. S. 85.
2 Euer, veraltete [damalige] Anrede.
Es ist das Eigentümliche eines sich über das Alltäglichste erhebenden Gemütes, wissen zu wollen, welche Schicksale in wichtigen geschichtlichen Zeitabschnitten namentlich seine Vorfahren betroffen haben. Ein solcher wichtiger Zeitabschnitt ist ganz gewiss der Dreißigjährige Krieg. Darum habe ich mir vorgenommen, jetzt, zweihundert Jahre nach jenem schrecklichen Kriege! Meinen Mitbürgern zu erzählen, wie es unserer Vaterstadt und unsern Vorfahren, mit häufiger Beziehung auf die Umgegend, in demselben erging. Mögen sie daher viel Teilnahme daran bezeugen, sie die aus langen, traurigen Erfahrungen zu würdigen wissen, was Kriegszeit ist. Aber bald werden sie finden, dass das Loos jener unserer Vorfahren noch weit trauriger war, als das von uns Zeitgenossen.
Die Geschichte ist bearbeitet, teils nach Büchern, als: Schiller, Pfister, Remer, Bauer, Schmidt, Khevenhiller, dem theatrum europaeum, Schorer u., [usw.] teils nach handschriftlichen Sachen, welche vor mir noch von niemand benutzt wurden, als nach: Auszügen aus den Ratsprotokollen, geheimen Ratsprotokollen, Verkündigungen oder obrigkeitlichen Dekreten und aus manchem andern im Spital- und Stadtarchiv, ferner nach Sebastian Tochtermanns großer geschriebener Chronik vom Dreißigjährigen Kriege und mehreren andern geschriebenen Chroniken. Es würde mir Lohn für meine mühselige und doch gern unternommene Arbeit sein, wenn ich glauben dürfte, dadurch manches unterhaltende, wichtige und verdienstliche für die Geschichte von Memmingen geliefert zu haben.
Der Verfasser
D er Stifter des Religionsfriedens Kaiser Ferdinand I., Bruder und Nachfolger Carls V., war gestorben und froh genossen die Protestanden der versicherten Ruhe, obwohl weder sie und noch weniger die Katholiken mit jenem Frieden ganz zufrieden waren, da beide Teile durch ihn verloren zu haben glaubten. So wie jener, schützte die Protestanten3 auch sein Sohn und Nachfolger Maximilian II., das Muster eines weisen, klugen und gütigen Regenten. Dagegen regierte weder so tolerant, noch so tätig und kraftvoll Maxens Sohn, Kaiser Rudolph II. und wandte dadurch die Herzen aller und vorzüglich seiner protestantischen Untertanen von sich ab. So geschah es denn, dass es seinem ältesten Bruder, Matthias, nicht schwer wurde, Oberherr der meisten österreichischen Länder zu werden, Böhmen ausgenommen. Aber den Besitz dieses Teils seiner großen Monarchie sicherte sich Rudolph nur dadurch, dass er den protestantisch gesinnten Einwohnern Böhmens, durch eine Urkunde, den Majestätsbrief, Religionsfreiheit versprach und namentlich auch das Recht erteilte, noch neue Kirchen erbauen zu dürfen. Wenige Jahre hernach starb Rudolph und Matthias wurde Kaiser.
Als sich aber späterhin die Aussicht öffnete, dass dem alternden kinderlosen Monarchen bald sein Vetter, der religionseifrige Erzherzog Ferdinand folgen werde, da erhoben die katholischen Böhmen ihr Haupt und man scheute sich nicht, den Majestätsbrief zu verletzen und eine neu gebaute protestantische Kirche niederzureißen und andere zu sperren. Hierüber aufgebracht schickte das ganze Land beschwerend Deputierte4 und man schrieb an den Kaiser, erhielt aber eine untröstliche Antwort. Da ging eine Anzahl dieser Deputierten bewaffnet nach Prag. Dort drangen sie unter Anführung Heinrich Mathias, Grafen von Thurn, in das königl. Schloss ein und warfen zwei als Protestantenfeinde gehasste kaiserliche Räte achtzig Fuß tief zum Fenster hinab. Dies geschah den 23. Mai 1618. Nun stand Böhmen, drei Städte ausgenommen, gegen den Kaiser auf und wählte sich in dem Haupt der Reformierten Deutschlands, in dem Kurfürsten von der Pfalz, Friedrich V., einen eigenen König.
So entbrannte der Krieg in einem Teil von Deutschland, aber bald verbreitete sich seine Flamme durch das ganze Reich. Denn schon in Rudolphs Zeiten hatten die deutschen protestantischen Stände, gleich jenem früheren Schmalkaldischen Bunde, unter dem Namen Union ein Bündnis geschlossen, zum Schutz gegen das übermächtige ihnen nicht günstige Kaiserhaus; worauf aber bald vonseiten sämtlicher katholischen deutschen Fürsten und Stände ein Gegenbündnis, die heil. Ligue genannt, entstand.
Diese beiden Vereine und somit ganz Deutschland, nahmen nun Teil an dem böhmischen Kriege; die Union, es mit dem Böhmen haltend, als derer nunmehriger König das Oberhaupt ihres Bundes war; die heil. Ligue, unter Anführung Maximilians des Großen, Kurfürsten von Bayern, dem Kaiser helfend. Und so entstand denn, teils aus religiösen, teils aus politischen Motiven, der schreckliche Dreißigjährige Krieg, der Deutschland furchtbar verheerte, seine schönsten Gegenden zu Wüsteneien, seine bevölkertsten zu Einöden machte und die Menschheit schaudert bei den schrecklichen Erzählungen der gleichzeitigen Schriftsteller, von der Grausamkeit, womit er geführt wurde und von dem unaussprechlichen Jammer, den er allenthalben verbreitete, indem in ihm nicht nur das Schwert, das bei 338'000 Menschen fraß, sondern mit der Pest und Hungersnot, furchtbare Gelderpressungen, Raub, Zerstörung und Brand wetteifernd wüteten, um unser gutes Vaterland ganz zugrunde zu richten.
Es sind zwei Jahrhunderte verflossen, dass er begann, aber noch sind, besonders im nördlichen Deutschland, Städte und Gegenden, welche sich von dem, was sie in demselben erlitten, nicht wieder haben erholen können. Was aber unser Memmingen und die Umgegend in ihm erduldet, wird in der nun folgenden Beschreibung davon gewiss mit Interesse gelesen werden.
Der Prager Fenstersturz5
3 Einmal wird hier das Wort Protestanten mit «d», vier Zeilen später mit «t» geschrieben, deren Beispiele gibt es unzählige in diesem Text, die Häufigkeit unterschiedlicher Schreibweisen bezügl. der Rechtschreibung taucht hier wiederholend auf. Ich bitte um entsprechende Nachsicht. Anm. d. Hg.
4 Deputierte: Abgeordnete, Beauftragte
5 Roos Lennhart, Stockholm, Bilder aus der königlichen Bibliothek Stockholm. Entnommen: Friedrich Schiller, Geschichte des Dreißigjährigen Kriegs.
R uhig lebte noch die Stadt in dem ersten Jahre des Dreißigjährigen Krieges, (1618), wenn nicht der Glaube der Zeit sie schon beunruhigt hätte. Denn es erschien einstmals an einem Novembermorgen ein heller großer Streif von dreißig bis vierzig Fuß in der Länge von sternähnlichem Glanze am Himmel und nach diesem sah man mehrere Wochen hintereinander einen sehr großen Kometen. Dies alles war schon hinlänglich, die Gemüter in Angst und Furcht zu setzen wegen der Dinge, die da kommen sollten auf Erden und man ahndete und deutete aus jenen himmlischen Erscheinungen mächtiges Unglück.
U nd schon „früh im Jahre 1619 sah man, wie die Läuf[e] der Zeit gar gefährlich stehen und man sich wohl vorzusehen und Gott den Herrn um Abwendung von Unglück zu bitten, habe.“ Darum wurde für die Kirche ein eigenes Gebet verordnet und unter jeder Predigt wurde eine Glocke geläutet, dass die, welche nicht in die Kirche gehen können, auch zum Gebet ermuntert würden, auch wurden alle öffentlichen Vergnügungen eingestellt.
Im April kam das erste Kriegsvolk, nämlich 1'500 kaiserl. Kürassiere unter dem Erzherzog Leopold, welche übernachteten und ihren Marsch weiter gegen Böhmen fortsetzten. Ungern willigte der Rat der freien Stadt in die Bitte des Fürsten um Durchzug und Einquartierung [ein]; denn dies unterbrach ihren langen glücklichen Friedensstand und schien den kleinen Staat, der sich auf seine ihn selbstständig machenden alten Rechte und Freiheiten berief, zu gefährden.
Darum befahl der Rat, da er sah, dass man sich nicht länger widersetzen könne: „Alles, was mannbar sei, möge sich bewaffnen und kein Bürger soll von nun an ohne „Seitengewehr in die Kirche gehen, damit nicht bei einem unvorhergesehenen Fall die meiste Bürgerschaft in diesen gefährlichen Zeiten unbewehrt gefunden werde; übrigens soll kein Schütz noch ein anderer, der ein Rohr trägt, einen Schuss tun, es werde ihm denn befohlen, dann aber soll sich jeder unverzagt gehorsamlich erzeigen, so wie er sich und die Seinigen, gemeine Stadt und Vaterland zu verteidigen schuldig sei; tapfer und treu wolle der Rat zur Stadt halten, wie er es gegenseitig von den Bürgern hoffe.“
Denn damals war noch eine mannliche, wehrhafte Zeit, der Bürger war Verteidiger seiner Vaterstadt und ihrer Rechte; gut gerüstet zu sein, war ihm Schmuck und Pflicht.
So wurde dann die Bürgerschaft sorgsam in dem St. Elsbethenhof gemustert und dann in vier Fähnlein geteilt, und als jene Kürassiere einritten, in der Stadt in Schlachtordnung mit Trommeln und Pfeifen aufgestellt, die Gassen waren durch Ketten gesperrt, auf dem Markte waren drei Feldstücke und vier vor dem Zeughaus aufgestellt, überall standen Schildwachen und des Nachts, machten eine Menge Pechfackeln Tageshelle. –
Im Sommer darauf musterte man mehrmals wieder und hielt einen erfahrenen Kriegsmann, die Musketenschützen zu exerzieren. Den 1. August zogen 600 derselben mit fliegenden Fahnen auf die Schießstadt; im Herbst schlug man Zelte auf den untern Prühlen und machte verstellte Angriffe. Dies alles geschah zu der Zeit, als Georg Ehinger, Samuel Jenisch und Tobias Heinzel Bürgermeister der Stadt und Gordian Sättelin und Hans Koch Geheimde6 waren.
6 Geheimde: Vermutlich Gemeinderäte. Mitglied des Rates einer Stadtverwaltung. Anm. d. Hg.
S ehr kurz hatte Friedrichs böhmisches Königreich gedauert, denn den 8. November 1620 wurde er bei Prag geschlagen, floh, wurde mit seinen vorzüglichen Anhängern in die Acht erklärt und seiner Länder beraubt.
Da löste sich auch die ganze Union, ohne das geringste wichtige vollbracht zu haben, auf und unsere Soldaten kamen (1621) von dem Bundesheer zurück; denn die Reichsstädte überhaupt hatten aus Furcht vor dem siegreichen Kaiser und der Ligue den Bund zuerst verlassen und Ulm, Memmingen, Nördlingen, Kempten, Schwäbisch Hall, Giengen, Heilbronn und Aalen gingen mit dem Kaiser folgenden Vertrag ein: Dass sie von der Union lassen, dagegen der Kaiser alles Vorgefallene vergeben und vergessen wolle, jene Städte sollen nie mit Garnisonen, Durchzügen usw. beschwert werden, ihre Privilegien sollen bleiben, wenn sie nicht dem errichteten Religionsfrieden zuwider seien; auch sollen sie sich nicht mit der neueren evangelischen Union in der Pfalz, noch sonst gegen kaiserl. Majestät vereinigen.
Ein Unfug, so schädlich beinah als der Krieg und schon geraume Zeit in Deutschland herrschend, begann mit Ende dieses Jahres auch hier, sehr verwirrend und nachteilig für den allgemeinen Wohlstand einzureißen, nämlich die Menge falschen und der ungeheure Wucher mit dem guten Gelde.
Schon seit den neunziger Jahren, wo unter der schwachen Regierung Kaiser Rudolphs jeder im Reiche tat, was er wollte, wurden von immer mehr Reichsständen die gröberen und guten Geldsorten gegen so schlechte und geringhaltige eingeschmolzen7, dass an denselben von Gold oder Silber kaum so viel zu finden war, dass man noch die Farbe dieser Metalle erkennen konnte, wodurch die Preise aller Lebensmittel um das fünf- und sechsfache gegen früher in die Höhe stiegen.
7 Unold spricht hier in diesem Text an verschiedenen Stellen vom sog. «Schlechten Gelde», was genau damit zu tun haben dürfte. Anm. d. Hg.
V on Jahr zu Jahr, ja von Tag zu Tag, wurde es nun immer kriegerischer, unruhiger und verwirrter; der Kaiser war auf allen Seiten glücklich und Schwaben ergriff zu mehreren Sicherheiten gegen das eigene Oberhaupt eine bewaffnete Neutralität.
Aber dem unerachtet besetzte der Anführer der ligistischen8 Armee, der bayer. General Tilly, den ganzen Kreis und beschwerte besonders die evangel. Reichstädte mit Einquartierungen.
In unserer Stadt waren viele Werbungen, die umliegenden Klöster ließen spielen, um Leute gegen den noch allein glücklichen protestantischen Anführer, den Grafen Ernst von Mannsfeld, einen der größten Feldherren seines Jahrhunderts und Hauptfeind des Hauses Österreich schicken zu können, und unsere Bürger mussten anfangen, stark unter den Toren und auf den Gassen zu wachen, die Durchzüge wurden immer häufiger und die Dörfer umher und die Stadt bekam immer mehr Einquartierung.
Am ärgsten war es, wenn Reiter kamen. Diese raubten ungescheut mit wilder frecher Begierde und wer sich wehrte, den schossen sie nieder. Dadurch wurden die Straßen ganz unsicher und man flüchtete vom Lande sehr viel in die Stadt.
Auf eine furchtbare Höhe stiegen in diesem Jahr durch das schlechte Geld und den schändlichsten Wucher die Preise der Lebensmittel und die allgemeine Not. Ein alter guter Batzen galt im Januar 24 kr. in gewöhnlich schlechtem Geld, ein Reichstaler 7 fl., im Juli 8 fl., später 10 fl.
Dadurch kam das Malter Kern allmählich immer höher und höher bis auf 112 fl., Roggen 100 fl., 1 Klftr9. Tannenholz 30 fl., 1 Klftr. Buchenholz 40 fl., 1 [Pfd.] Schmalz 2 fl., 1 Ey 5 kr., 1 Maß weiß Bier 8 kr. und Vochezen10 von einer Größe, wie sie vor dieser Zeit 1 Pfennig gekostet hatten, kosteten im Nov. 4 kr. Dies alles aber geschah weder aus Misswuchs oder anderem Mangel noch auch wegen des schlechten Geldes allein, sondern weil von jedermann gewuchert und auf den Kornmärkten das Korn von den „Kornschindern“, wie man sie nannte, zu „jedem Preis“ aufgekauft wurde. Dieser Kornschinder waren auf manchem Markte etliche Hundert da und auch von hiesigen Bürgern gab es wenige, die nicht wucherten, obgleich fast in allen Predigten und von allen Geistlichen, namentlich von dem Oberpfarrer Hr. Peter Funk, sehr dagegen gepredigt wurde; es wirkte aber nicht viel. In der höchsten Not half das Spital einigermaßen dadurch, dass es den Bürgern das Viertel Roggen um 9 fl. gab und außer andern Edlen teilte namentlich der reiche und fromme Hr. Hans Koch häufiges uns ansehnliches Almosen an Lebensmitteln aus; denn Wohltätigkeit gegen Arme ist ein uraltes und treffliches Herkommen und Eigentum unserer guten Vaterstadt bis auf diesen Tag.
Aber glücklicherweise nahm diese Not durch die anhaltende Bemühung der Regierungen im Jahr 1623 ein Ende; denn diese setzten die schlechte Münze herunter oder machten bessere. Ersteres war zwar schon früher geschehen, allein wenigstens erst dieses Jahr spürte man, wenigstens in unserer Stadt, den Erfolg. Denn vom Juli an kostete der Kern nur 24, 18 und 14 Gulden, weil die Bauern im Kornhaus den Reichstaler wieder zu 1 fl. 30 kr. annehmen mussten, das nächste Jahr (1624) konnte man wieder Pfenningvochezen11 [?] und Kreuzerlaiblein machen und die Kornwucherer büßten, so meldet die Geschichte, ihr gesammeltes Geld meist wieder ein. Sehr wohltätig war es auch gewesen, dass unsere Stadt selbst gute Zwölfkreuzer- und Dreikreuzer-Stücke12 münzte. Aber, gerade wie zu unsern Zeiten, erst bei den sinkenden Preisen wurde die Armut immer größer; denn man war ausgesogen von der übergroßen Teuerung und die Handlung und Gewerbe gingen immer schlechter; vorzüglich verschlechterte sich hier und in den benachbarten Reichsstädten das Weberhandwerk, sodass etliche Hundert Meister zu arbeiten aufhörten. Auch begannen im Sommer Krankheiten zu grassieren, daran viele Menschen starben.
Es hatte wohlgetan, dass man in den zwei verflossenen Jahren von Durchzügen und Einquartierung nichts erlitten hatte; aber im Jahr 1625 kamen wieder Durchzüge auf Durchzüge, alles [auf] Lindau und Graubünden zu, wobei sich die Soldaten die größten Ausschweifungen erlaubten. Da sah mit Kummer der Rat, wie die Zeiten immer trüber und trüber werden, und hat durch eine Verordnung die Bürgerschaft, dass, „sintemal13 der allmächtige Gott mit seiner Strafrute so über uns komme, wir ihm in die Rute fallen sollen mit inständigem Gebet und die Predigt göttlichen Worts fleißig besuchen und ein jeder Hausvater alle Tage einen Menschen aus jedem Hause in die Kirche schicke “. – Es nahte die Gefährdung der protestantischen Religion.
8 Zur (katholischen) Liga gehörig. Die Liga war das Bündnis katholischer Reichsstände vom 10.7.1609 zur Verteidigung des Landfriedens und der katholischen Religion, 1619 neu formiert, maßgeblich unter Führung Maximilians I. von Bayern zusammen mit spanischen und österreichischen Habsburgern an der Phase des Dreißigjährigen Krieges bis zum Prager Frieden (1635) beteiligt, danach erfolgte formell die Auflösung. Das bayerische Heer wurde Teil der Reichsarmada. Zur Liga-Politik vgl. KAISER, Politik und Kriegführung S. 152 ff.
9 Klafter, ein Klafter entsprach zwischen 2 ½ und 3 Kubikmeter.
10 Vochezen: Vermutl. Kuchen
11 Vermutlich Gebäck oder gebackenes Brot.
12 Wohl damalige geprägte Münzen, aus den Jahren 1763-1765.
13 sintemal: seitdem → siehe Liste im Anhang, frühere und heutige Schreibweise.
D er immer glücklichere Fortgang der kaiserlichen Waffen und der des katholischen Bundes oder der Ligue machten die Katholiken immer kühner, die Protestanten zu beeinträchtigen und Verträge zu brechen, durch welche sie sich eingeschränkt glaubten.
So verkündete am Lichtmesstag 1626 der kathol. Geistliche bei Unser Frauen14, im Namen des Bischofs von Dillingen, dass von nun an mehr geläutet werden müsse und bald darauf kam ein Schreiben vom nämlichen Bischof an die hiesige Obrigkeit, dass man Jesuiten einnehmen solle, weswegen man sich aber sogleich in einer Rückantwort, so wie auch bei dem Kaiser selbst beschwerte. Aber die Klage blieb ohne Wirkung, denn am Dienstag vor Matthäi fuhren drei in einer Kutsche mit dem Pfleger von Schönegg zum Kalchstor herein und bezogen das Dillingerhaus. Der Rat protestierte sogleich, schrieb auch ungesäumt an Kursachsen, Württemberg und die vier ausschreibenden Städte und machte dies alles dem Großen Rat, dem Gericht und den Predigern bekannt, mit dem Versprechen, stets alles zu tun, um jene wieder zur Stadt hinauszubringen.
Der vornehmste jener drei Jesuiten war Pater Jakob Fugger und dieser machte den 22. Oktober den Anfang, bei Unser Frauen zu predigen, worauf auch der Spitalmeister dem Rate die Anzeige machte, dass er dem Bischof von Augsburg (der Bischof von Augsburg war auch zugleich Bischof von Dillingen) Kanzel und Kinderlehre zu U. [Unser] Frauen und im Spital habe abtreten müssen. Da es nun aber dem Rat nicht möglich war, die Sache zu hintertreiben, so wachte er desto mehr, dass die Jesuiten nicht weiter gehen, als sie selbst ausgemacht hatten.
Sorgsam wurde darüber gewacht, dass der Jesuit ja nie länger als bis 8 Uhr bei U. Frauen predigte und als einst geschah, dass er eine Viertelstunde länger auf der Kanzel war und er sich damit entschuldigte, die Sanduhr sei nicht recht gegangen, wurde schleunigst eine neue angebracht, damit jenes nicht mehr vorfalle und der Bürger durch Neuerungen unwillig gemacht werde.
Die St. Martinskirche wurde aber, wenn nicht Gottesdienst war, streng verschlossen gehalten und die Schlüssel zu derselben musste ein Prediger in Verwahr nehmen.
Das Jahr 1626 war auch wegen der zunehmenden Teuerung sehr drückend und den Missmut der Bürger musste ein Bauer15 im Kornhaus mit dem Leben büßen; denn da er seinen Roggen übermäßig hoch bot, endete der darüber entstandene Wortstreit damit, dass er von einigen Bürgern erschlagen wurde. Väterlich half die Obrigkeit damit aus, dass sie an ärmere Bürger Korn um einen beträchtlich wohlfeileren16 Preis, als der Marktpreis war, verkaufte. In der Umgegend aber war die Not fürchterlich; es gab Dörfer, wo die Leute aus Gesod17 Mehl machten, in andern aß man mit Begierde Hunde und Katzen und die Selbstmorde wurden auffallend häufig.
14 Eine damals wichtige Kirche in Memmingen, die bis heute steht. Unold nennt sie hier relativ oft, meistens in der kurzen Form nur «Unser Frauen» oder «U.Frauen», ohne den Zusatz «Kirche» zu verwenden. Anm. d. Hg.
15 Der ursprüngliche Ausdruck ist hier „Baur“ und wurde an „Bauer“, der heutigen Schreibweise angepasst. Während der Plural „Bauren“ nicht zu „Bauern“ angepasst wurde, weil auch heute noch „Bauren“ umgangssprachlich in der dortigen Region dieser Ausdruck genauso noch gesprochen wird. Anm. d. Hrsg.
16 wohlfeileren: günstigeren
17 Gesod: Abgebrühte Weizen- und Roggenkörner, gedörrt und zu Grütze gemahlen.
B isher hatte sich die Stadt noch immer frei und selbstständig erhalten und hatte oft nur nach langen freien Zwischenräumen Durchzüge und Einquartierung. Aber mit dem Jahr 1628 musste sie kaiserliche Besatzung und kaiserliche Kommandanten und Kriegskommissäre einnehmen, durch welche sie, in geistlichen und weltlichen Sachen selbstständig verfügen zu dürfen, sehr beschränkt wurde; sie war eine kaiserliche Stadt und die Schlüssel ihrer Stadttore in den Händen der Kommandanten; dieser und der Besatzung Besoldung ging auf der Bürger Kosten, welche dadurch bis auf das Mark ausgesogen wurden, denn der Nichtbezahlung wären auf dem Fuße Exekution und Plünderung gefolgt. Erst jetzt ging also des Krieges Drangsal für Memmingen recht an. Im Beginn dieser traurigen Zeit waren Tobias Heinzel, Lutz von Freiburg und Hans Ludwig Stebenhaber Bürgermeister und Elias Engler und Hans Koch Geheimde der Stadt.
Zuerst kamen 200 Reuter [Reiter] und vier Kompanien von 314 Mann Fußvolk, welche teils in der Stadt selbst, teils in den zu ihr gehörigen Dörfern einquartiert wurden, viel anderes Kriegsvolk aber zu Ross und zu Fuß zog durch die Gegend in die benachbarten Reichsstädte. Denn der Kaiser besetzte Schwaben immer mehr, zum Schrecken der Evangelischen und der Monarch hatte die Bitte des katholischen Kurfürstenkonvents zu Mühlhausen, „dass die Lutheraner die geistlichen Güter wieder an die Katholischen herausgeben möchten“, sehr gnädig aufgenommen. Nun begann wieder durch die Reiter das Plündern und unsicher werden der Straßen, sodass, wer sich draußen keiner Gefahr aussetzen wollte, mit Bedeckung18 reisen musste, die Bauern aber, Edelleute und Klöster flüchteten ihre besten Sachen in die Städte.
Dadurch kamen hierher etliche Tausend Malter Korn und es gab sehr große Kornmärkte, auf welchen unsere Obrigkeit viel einkaufte, um in den Zeiten der Not und Teuerung Vorrat zu haben.
Den 28. Februar kam der erste kaiserl. Kommandant, der Generalobrist19 Graf Wolf von Mannsfeld mit stattlicher Hofhaltung und einigen Hundert Soldaten, welche in der Stadt und auf dem Lande einquartiert wurden. Mannsfelds Hiersein machte die Stadt sehr lebhaft, denn weil seine Soldaten, deren sehr viele unter ihm standen, auf etliche Meilen in der Nachbarschaft im Quartier lagen, kamen Boten und Beamte, Abte, Prälaten und Edelleute mit Bitten, Klagen und reichen Geschenken, um bei dem General Milderung oder Nachlass zu erhalten; unserer Obrigkeit aber schmolz das Geld wegen der Kosten, welche das Standquartier verursachte, ganz zusammen.
Eben so groß war bei den Bürgern die Geldnot und es wurden der Gantner20 so viel, dass der Büttel21 nicht mehr Platz genug für sie im Hause hatte und viel Hausväter hier und anderwärts zogen fort und ließen sich anwerben. Jede Woche kostete die Unterhaltung Mannsfelds und seiner Haushaltung der Stadt einige Hundert Gulden, die Offiziere wurden auch sehr gut gehalten und jeder Gemeine bekam täglich 2 Lb. [Laib] Brot und 1 ½ [Pfd.]22 Fleisch und wöchentlich 14 Batzen an Geld.
Dies dauerte bis in den Mai, dann ging er fort, mit all seinen Leuten und der Generalkommissär von Ossa, welcher schon einige Wochen hier war, vertrat seine Stelle. Ebenso kam wieder neues Standquartier.
Unter Ossa versammelten sich hier viele Gesandte aus Schwaben und Bayern, um sich wegen der alles ruinierenden Last der Einquartierung und anderer Kriegsübel zu bewahren und ihn zu bitten, ihre gerechten Klagen dem Kaiser vorzulegen. Ossa’s Wirkungskreis war sehr groß, daher zu demselben, Geschäfte halber, eine Menge Boten hier zusammenströmten, bisweilen waren bei 40 derselben hier und manche mussten achtundvierzehn Tage warten, bis sie bei dem viel vermögenden Manne vorgelassen wurden, der aber doch oft nicht zu gehen vermögend war, weil er viel an des Podagras23 litt und dann in einem Tragsessel zum General Kolalto getragen wurde, welcher als sein Nachfolger noch geraume Zeit neben ihm war.
Kolalto war viel milder als seine beiden Vorgänger, er gab die Torschlüssel der Stadt zurück, verbesserte die Kriegszucht24 und verringerte die Last der Einquartierung dadurch, dass er alle ledigen Weibspersonen, welche bei den Soldaten waren, zur Stadt hinausjagte.
Auch bestrafte er, gleich seinen beiden Vorgängern, den Diebstahl bei den Soldaten sehr streng, weist mit dem Tode und Meister Bartholomä, der Nachrichter, hatte in diesen Zeiten viel zu tun. Die Hinrichtungen geschahen auf dem großen Markte oder auf dem Weinmarkt, wo vor der Metzgerzunft der Galgen stand. Kolalto war es auch, der, bevor der Kaiser das unglückliche Restitutionsedikt, wovon bald mehr kommen wird, ausgehen ließ, gegen dasselbe war und dem Kaiser, aber umsonst, vorstellte, was für außerordentliche Gärung durch dasselbe bei den Protestanten entstehen würde und dass die dadurch erregte Verzweiflung, ihnen vielleicht Rettungsmittel an die Hand geben könnte, wodurch kaiserl. Maj. sehr gefährdet werden könnte.
Im Juni verließen Ossa und Kolalto die Stadt und an ihre Stelle trat sogleich ein anderer Kommissär, nämlich Wolfstirn.
Das Schädliche und nebenbei die Ursache eines so schnellen Wechsels kann nicht richtiger geschildert werden, als es ein Zeitgenosse in folgenden Worten schreibt: „Diese ermeldte Oberste habens einander artig in die Hände gespielt, damit ein jeder seinen Seckel fülle, wenn also der eine ausgezogen, ist der andere eingezogen, dann diese Kommissäre und Generalobersten haben viel Gut und Geld aus dem Land geführt und dadurch dem Kaiser das römisch Reich verderbt und haben viel Tonna Golds [ge]kostet. Auch allen Obersten, was allhie in unserer Stadt gelegen, haben groß Gut und Geld aus der Stadt geführt, wie auch aus dem ganzen Lande.“
Vier Übel erdrückten nun die Stadt. Krieg, Teuerung, Pest und Verfolgung der Religion. Die Pest begann im Juli in mehreren umliegenden Dörfern einzureißen, im August kam sie in die Stadt. Da wurden immer die Toten des Nachts hinausgetragen, die Leute, in deren Häuser die Krankheit war, durften nicht ausgehen, hierauf öffnete man auch das Brechhaus, wo die armen Kranken auf Kosten der Stadt unterhalten wurden. Ausgezeichnet durch seinen Eifer und seine Unerschrockenheit und dadurch sehr geschätzt und geliebt war Herr Spitalpfarrer Joh. Ruof, welcher immer die an der Pest Kranken zu besuchen hatte; aber den 9. Sept. fiel er selbst als Opfer seines Berufs und starb an der Pest. Gleichfalls ausgezeichnet war die Wohltätigkeit der vermöglichern [vermögenden] Mitbürger, indem sie die Kranken mit Speis und Trank und allem versahen, was sie nötig hatten. Mehrere Einwohner verließen die Stadt, um nicht angesteckt zu werden. So ging der Erbauer und Bewohner des fuggerschen Baues, Hr. Hans Fugger nach Boos; Hr. Hans Koch mit seiner Familie in sein Schlössle auf den oberen Prühlen, der Hauptmann des Standquartiers in das Dickenreis.
Schrecklich verheerend war diese Pest auch in den umliegenden Dörfern und Städten, in Augsburg starben an derselben bei 20'000 Menschen25; denn, so sprach der Glaube jener Zeit, es zeigte sich in dem Brechhaus der Stadt ein Würgengel als ein brausender Wind und erwürgte alles, sodass, was nicht fliehen konnte, des jähen Todes starb.
In Beziehung auf Religionsfreiheit wurde unsere Stadt immer mehr beschränkt und gefährdet. Wegen des Pfarrhofs oder Antonierhauses wurde ihr sehr zugesetzt, aber erst 1631 kam die Forderung, dasselbe herauszugeben, im Namen des Kaisers, wovon ich daher bei jenem Jahre reden werde. Der evangelische Pfarrer zu Erkheim hatte bereits voriges Jahr seine Kirche den Katholiken einräumen müssen und hier in der Stadt wurde Hr. Pfarrer Xell von Mannsfeld arretiert, weil er am Palmsonntag in der Abendpredigt bei St. Martin gesagt [hat]: So wie der Herr Christus von seinen Feinden verfolgt worden sei, gehe es noch heutigen Tages, indem die Katholiken uns so verfolgen. Auch Hr. Pfarrer Lamminit wurde beschickt26, jedoch nicht arretiert. Nach Mannsfelds Abreise wurde Hr. Xell wieder frei, durfte aber noch nicht predigen. In der Litanei musste manches ausgelassen werden und manche Psalmen durfte man nicht mehr singen, so wie auch die beiden Lieder: Erhalt uns Herr bei deinem Wort und: Eine feste Burg ist unser Gott. Seit der Besetzung der Stadt durch die Kaiserlichen waren auch die Prozessionen am Fronleichnamstag und in der Kreuzwoche öffentlich gehalten worden.
Mit diesem Jahr begannen die Kriegssteuern und Kriegsanlagen, welche von nun an wenig unterbrochen bis 1650 fortdauerten.
18 Bedeckung: Schutzbegleitung
19 Obrist: Regimentskommandeur oder Regimentschef mit legislativer und exekutiver Gewalt, "Bandenführer unter besonderem Rechtstitel, frühere Bezeichnung für den späteren Ausdruck: Oberst. (Kluge Wörterbuch)
20 Gantner: Leiter einer Versteigerung, Auktionär
21 Der Büttel hatte Botendienste für das Gericht oder den Rat zu erledigen. Im Dienst des Gerichts musste er Verbrechern nachjagen, diese (und auch die geladenen Zeugen) vor die Richterbank führen. Die Verurteilten waren in das Gefängnis einzuschließen oder bei Verhängung der Todesstrafe an den Henker auszuliefern.
22 früheres Zeichen für Pfund.
23 Podagra: Ist eine Gichterkrankung im Fuß. Anm. d. Hg.
24 Auch: Soldatenzucht, das Grimm’s Wörterbuch spricht auch von einer «Umbildung» seit dem letzten Kriege. «Kriegszucht», was für ein schreckliches Wort. Anm. d. Hg.
25 Im Frühsommer des Jahres 1635 bricht in unseren Landen die Pest aus. Sie soll von den Kaiserlichen Soldaten eingeschleppt worden sein. Unter den ausgehungerten und ausgemergelten Menschen forderte sie viele Opfer. In Ulm sterben in einem Jahr 15’000 Menschen. Von den 22’000 Einwohnern von München erliegen 7’000 der Pest. Die Einwohnerzahl von Augsburg ist auf 16'432 zurückgegangen. 2216 Wohnungen und Zimmer stehen leer. In Isny starben 1'800, in Leutkirch ca. 2'000 und in Memmingen über 3'000 Personen. Josef Knittel. Die Pest im Jahre 1634/35. Aitracher Heimatbeilagen.
26 beschicken: Bestellen, rufen, holen lassen.
D er Wintermonat 1629 hatte der Pest ein Ende gemacht, nachdem sie hier in einem halben Jahre 650 Menschen, meist Arme, weggerafft hatte; ganze Häuser waren in ihr ausgestorben und sie veranlasste eine große Schuld der Stadt bei dem Apotheker, die aus Geldnot lange nicht abgetragen werden konnte. Zugleich aber war die Pest die Ursache vieler Hochzeiten, weil es viele Witwer und Witwen gab und am Ostermontag wurden bei St. Martin 17 Paare verkündet. Im Herbst kam die Pest wieder, hatte aber die der Stadt angenehme Folge, dass sie die Jesuiten, welche auf keine Weise zum Weggehen bewogen werden konnten, vertrieb, denn weil ihr Koch an derselben gestorben war, verließen sie aus Furcht vor einem ähnlichen Schicksal die Stadt.
Aber der 6. März war ein Tag, welcher unserer Stadt und dem ganzen protestantischen Deutschland größeres Unglück drohte, als sich seit dem Ausbruch dieses Krieges ereignete; es war, als kämen die Zeiten der Interims wieder. Denn ganz Karl V. würdig war Ferdinand II. und es war, als sollte nun die Stunde schlagen, in welcher alles vernichtet werden sollte, was seit Luther und Zwingli geschah; auch hatte ja der Kaiser in Böhmen gezeigt, wie viel wegen Religionsveränderung geschehen könne. Am 6. März 1629 nämlich ließ Kaiser Ferdinand II. das Restitutionsedikt publizieren, d. h. ein Edikt, wodurch den Reformierten in Deutschland die Religionsübung völlig genommen und den Lutheranern aufgelegt wurde, alle seit dem Passauer Vertrag eingezogenen oder von ihnen besetzte Stifter in die Hände der Katholiken zurückzugeben. Unverzüglich wurde zur Vollziehung dieses Edikts geschritten und dasselbe in den Reichsstädten durch die Hilfe der kaiserl. Besatzungen eingeführt. Mit Augsburg wurde der Anfang gemacht. Diese Stadt musste unter die Gerichtsbarkeit ihres Bischofs zurücktreten und sechs protestantische Kirchen wurden geschlossen. Daher kamen in diesen betrübten Zeiten viele Augsburger zum heil. Abendmahl hierher. Ebenso musste der Herzog von Württemberg seine Klöster herausgeben.
Im Monat April kam das Mandat auch hierher, allein – es wurde nicht befolgt und eben so wenig das im Juni 1630 Angekommene, laut welchem hier die evangelischen Prediger aus der Stadt geschafft werden sollen, ja es wurde sogar den 27. Juni in den Kirchen das Andenken an die Augsburger Konfession gefeiert; denn der mächtige Wallenstein war damals hier und bei ihm der Prinz von Dänemark, ein eifriger Protestant.
Einige Zeit war im Jahr 1629 unsere Stadt vom Militär frei, aber nicht lang, auch waren Ossa und Wolfstirn wieder hier. Ersterer regierte sehr unumschränkt und ließ auch seines Podagra27 wegen das Niedergassentor sperren, damit kein Fuhrwerk vor seinem Hause vorbeikomme. Er logierte aber immer in Hr. Doktor Eben's Haus auf dem Fischmarkt, der Augustinerkirche gegenüber. Damals lag ein beträchtliches kaiserl. Heer in Graubünden, daher auch die Bauern in unserer Gegend mit Zufuhr von Lebensmitteln, Schanzzeug und Waffen sehr geplagt wurden. So ließ Ossa an einem Markttag im Mai alle Bauern, welche mit ihrem Fuhrwerk in die Stadt kamen, arretieren und zwang sie, Munition nach Lindau zu führen;
Bürger mussten als Bedeckung28 mit. Im August kam der Quartiermeister Wallensteins, des Herzogs von Friedland mit 70 Pferden und anderen großen Gefolgen, viel Dienern und Köchen und machte Quartier für seinen Herrn, den Generalismus aller kaiserlichen Heere. Da befahl Ossa alsobald den umliegenden Äbten und Edelleuten, Heu, Haber, Stroh, Brot, Küche, Stiere, Schafe, Schweine und Geflügel in den Pfarrhof zu liefern, auch wurden andere Vorkehrungen getroffen. Doch Wallenstein kam nicht, aber bald im nächsten Jahr und blieb geraume Zeit hier, daher eine kurze Schilderung von diesem wichtigen Manne.
27 Podagra: Gichterkrankung
28 Bedeckung: Begleitschutz
A ls im Anfang des Dreißigjährigen Krieges des Kaisers Thron durch die Empörung in Böhmen und die Unzufriedenheit auch in andern Erbländern desselben gefährdet waren, fand er allein Rettung in dem Beistand der Ligue und ihrem Anführer, seinem Jugendgenossen, dem Herzog Maximilian von Bayern; denn der Kaiser selbst hatte kein hinlängliches Heer und es fehlte an Geld.
Unmutig über diese Abhängigkeit von ihm untergebenen Fürsten und Ständen, konnte sich das Reichsoberhaupt wohl nichts mehr wünschen, als derselben enthoben zu sein. Da kam einer seiner Untertanen, ein böhmischer Edelmann von unermesslichem Vermögen und sehr verdienter Offizier, erbot sich, in kurzer Zeit auf eigene und seiner Freunde Kosten, eine Arme von 50'000 Mann auszurüsten, zu bekleiden und zu unterhalten, wenn ihm der Kaiser das Kommando über dieselbe geben würde.
Natürlich wurde dieser Vorschlag mit Vergnügen angenommen, im Stillen jedoch seine gänzliche Ausführbarkeit bezweifelt. Aber der Mann mit der großen Geisteskraft, der ihn entworfen hatte, führte ihn wirklich aus und tat sogar noch mehr, als er versprochen hatte. Dies war Wallenstein. [Wie] ein wilder Strom breitete sich sein Heer aus durch ganz Norddeutschland [aus], sich und seinen Feldherrn erhaltend und bereichernd durch ungeheure Lieferungen und Erpressungen und so konnte freilich Wort gehalten werden, die Schatzkammer des Kaisers nicht zu beeinträchtigen, aber dafür wurde das Mark der Länder bis auf das innerste ausgesogen bei Freund und Feind und alles im Namen des Kaisers. Wallenstein war siegreich, wohin er kam, nur Stralsund konnte er nicht erobern und der Kaiser schmückte den Unentbehrlichen mit Würden auf Würden.
Denn er schrieb sich; der durchlauchtige und hochgeborene Fürst und Herr, Albrecht Herzog zu Mecklenburg, Friedland und Sagan, Fürst zu Wenden, Graf von Schwerin, der Lande Rostock und Stargard Herr, röm. kaiserl. Majestät General-Feldhauptmann, wie auch des ozeanischen und Baltischen Meeres General.
Dieses Mannes Aufenthalt sollte auf einige Zeit unser Memmingen werden und Memmingen sollte es sein, wo er – seinen Abschied erhielt. Im Mai war seine Ankunft, welche der Rat den Bürgern öffentlich kundmachte und dabei Ehrerbietung gegen alle, welche zum fürstl. Hofstaat gehören, Nüchternheit, Bescheidenheit und Fleißiges zu Hause bleiben, Sorge für Feuer und Licht, Reinlichkeit in Gassen, Häusern und Stallungen und den Kramern, Handwerksleuten und Wirten billige Preise empfahl. Der Einzug war [kam] zum Niedergassentor herein. Den Anfang machten morgens früh den 30. Mai 30 Reisewagen, jeder mit 6 Pferden bespannt und dann dauerte es so fort mitfahren und reuten [reiten] bis gegen Mittag. Hierauf um 3 Uhr kam der Herzog selbst mit seinen Fürsten, Grafen, Freiherren und Hauptleuten und einem langen Nachzug von Reise- und Bagagewagen, Kutschen- und Leibpferden, sodass an diesem Tag an die 700 Pferde in die Stadt kamen.
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