angeschwemmt - Ausgesetzt
Teil zwei meiner Biografie
© 2021 Rainer Kintzel
Lektorat, Korrektorat: Uta Schulze
Verlag und Druck:
tredition GmbH, Halenreie 40-44, 22359 Hamburg
ISBN |
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Paperback: |
978-3-347-22598-5 |
Hardcover: |
978-3-347-22599-2 |
e-Book: |
978-3-347-22600-5 |
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Für Yvonne, danke für alles, einschließlich deiner Liebe und der Fähigkeit mit einem Menschen wie mir zusammen leben zu können.
Für meine Enkelkinder Jan, Damion, Sophia, Olivia
Für Gabi Bofinger und im Andenken an Manfred Bofinger auch Bofi genannt (geb. 05.10.1941 in Berlin. Gest.am 08.01.2006 in Berlin)
Für Uta und Otto
Für mich selbst.
Kurz zum Anfang dieses Buches: Nach Veröffentlichung des ersten Bandes gab es Hinweise an mich, dass einige Dinge aus Sicht der Leser so nicht geschehen seien. Hinweise, dass das Moped nicht SA--Peng genannt wurde, sondern SR- Peng. Christa und Vera monierten, dass sie in der Schule nicht ständig in Pionierbekleidung rumpropellert sind. Wobei Christa das entspannt sah, Vera wohl weniger. Nochmals für die Leser: Alles, was ich schreibe, sind meine Erinnerungen, meine Empfindungen, meine Sichtweisen. Die können aus Sicht Außenstehender falsch sein oder was weiß ich was. Dieses Buch verkörpert keine allgemeinen Wahrheiten oder geschichtliche Abläufe in ihrem zeitlichen Kontext. Alles ist mein subjektives Sein, meine Widerspiegelung dessen, was war. Viel Spaß beim Lesen
„Wer seine Vergangenheit nicht kennt, ist dazu verurteilt, sie zu wiederholen.“ (Sigmund Freud)
„Alle Anhäufungen enden mit Vernichtung. Alle Erhebungen mit Herabstürzen; Verbindung endet mit Trennung. Das Leben mit dem Tod. Alles Entstandene endet mit vergehen, allem Geborenen ist der Tod gewiss; nicht dauernd ist in dieser Welt das Bewegliche wie das Unbewegliche.“ (Mahabharata)
1991-1997 Auferstehung und Fall
Was nun, desillusioniert, sich fremd fühlend, ausgesetzt in fremdes Land. Beobachter, das war ich. Die Familie, Freunde, Training, mehr nicht, außer einem großen Staunen. Du stehst da, schaust, denkst, dass etwas passieren müsste. Gut, es geht weiter, es geht immer weiter. Oder du entscheidest, dass es nicht weitergehen soll, dass du es für dich beendest, dass du dir sagst: „Den Scheiß zieh ich mir nicht rein.“ Du bist kein Formwandler wie all die anderen. Du stellst dir die Frage: „Wozu, wofür, für wen?“ Ich musste an Albert Camus denken, an sein Buch „Der Mythos von Sisyphos-ein Versuch des Absurden“.
Für mich ging es um die Philosophie des Selbstmordes oder seines Ausschließens. Die Frage nach dem Sinn, dem Sinn des Lebens und den ihm anhängenden Dingen.
„In der Bindung des Menschen an sein Leben gibt es etwas, das stärker ist als alles Elend der Welt. Die Entscheidung des Körpers gilt eben so viel wie eine geistige Entscheidung, und der Körper scheut die Vernichtung. Wir gewöhnen uns an Leben, ehe wir uns ans Denken gewöhnen. Die Hoffnung auf ein anderes Leben, das man sich verdienen muss, oder die Betrügerei derer, die nicht für das Leben an sich leben, sondern für irgendeine große Idee, die über das Leben hinausreicht, es erhöht, ihm einen Sinn gibt und es verrät.“ (Rowohlt Taschenbuch Verlag GmbH Hamburg Juni 1959 Seite 12-13).
Aber was helfen alle Bücher, die sich mit diesem Thema beschäftigen. Tolstoi, Dostojewski, Hesse. Alle mit Fragen auf diesem Pfad, nur die Antwort, die Antwort gibst du dir selbst. Du musst für dich entscheiden, wie tief der Fall ist, den du verkraftest. Ich war aber nicht nur für mich auf diesem Planeten. Da gab es meine Frau, die ich liebte. Kinder, die nicht auf diese Welt kamen, weil sie darum gebeten hatten. Strittmatter hat im 3. Teil „Der Wundertäter“ mal so schöngeschrieben: „Der Zufall, die Geilheit, das Gewollte und Ungewollte sind der Grund für entstehendes Leben.“ (Zitat nicht wörtlich, sondern sinngemäß) Nun kann man ja nicht all diese Menschen fragen: „Eh, was haltet ihr davon, wenn ich mich in die Ewigen Jagdgründe begebe.“ Also weiter existieren, zuschauen, mitmachen, teilhaben, beobachten, bla. Die Idee verraten oder auch nicht. Darwins „Die Anpassungsfähigkeit der Arten“ ist eine der Gründe für das Leben, für das Überleben. Die Masse tats widerspruchlos, weil gewollt, die anderen mussten sehen, wie sie was taten. Viele sagten „Tschüss“ und radierten sich aus. Der Großteil feierte sich, feierte die angebliche Revolution. Der Wühltisch ehemalige DDR war eröffnet, das Bedienen ging los. Das war mein subjektives Empfinden, meine Wut über die Feigheit, nicht einen eigenen Weg beschritten zu haben, sondern sich für den bedingungslosen Konsum zu entscheiden, für den Konsum aller Dinge. Ich fand alles Scheiße, ich fand fast alles Scheiße. Ein Haufen Kackfressen, deren Bildungsgrad einem Gullideckel glich. Der blanke Hass eines Verlierers, ohne Bindung an das Vergangene. Also auf in das Neue, in das nicht Gewollte, in das Ausgesetzte. Der erste Weg ging ins Arbeitsamt. Mein innerer Beschluss für die Kapitalisten-Stinker keine Leistung, keinen Einsatz, kein Engagement zu erbringen. Den nackten Arsch aus dem Fenster hängen. Die philosophisch-intellektuelle Demonstration: „Ihr könnt mich mal.“ Auf dem Weg zum Arbeitsamt begegnete mir mein ehemaliger Kampfgruppenkommandeur, für den ich immer eine impertinente Pfeife mit aufrührerischen Gedanken war. Der fragte mich: „Wohin des Weges?“ Meine Antwort: „Zum Arbeitsamt. Arbeitslosengeld beantragen.“ Der schaute mich an, dann folgte der Satz der Sätze: „Du bist doch ein junger, kräftiger Kerl. Du findest doch überall Arbeit.“ Ich dachte: „Du Arschloch, genau du sabberst mich hier voll, für den Klassenfeind, für deinen Ehemaligen zu knechten.“ Ich ließ ihn ohne Kommentar stehen. Nichts ahnend, dass bald eine Steigerung folgen sollte. Ich pilgerte also weiter und erreichte den Ort meines Begehrens. Da steht doch einer in so einer schwarzen Uniform und schaut sich das kommende Volk an. Ich sehe ihn, er mich. Der bekommt einen roten Kopf, ich Stielaugen, die mir wie 50er Kesselnieten aus dem Kopf traten. Das war doch der Typ der SED-Kreisleitung, der von der KPPKK. Wie oft habe ich bei dem gesessen und mir anhören müssen, was ich doch für ein Individuum sei. In mir, in meinem Kopf, liefen rasend wie in einem Film alle Foltermethoden der Heiligen Inquisition ab: Streckbank, Daumenschrauben, aufs Rad flechten, Teeren und Federn, Ausweiden und. Ehe ich mich für eines dieser vielen Umerziehungsinstrumente entscheiden konnte, retournierte der Held in Schwarz. Ich dachte noch: „Der, der ständig davon faselte, wie er doch die Arbeiterklasse liebhat, sich für diese den Arsch aufreißt, der steht nun hier und passt auf im Auftrag der Kapitalisten, dass sich ihre Arbeitsnehmer auch ordentlich bewegten.“ Ich musste mich innerlich schütteln und staunte, wie schnell doch die Anpassungsfähigkeit bei einigen schon zu Buche schlug. Im Arbeitsamt herrschte Hochbetrieb. Anmelden, man wird zur Nummer, sitzt stundenlang, geht rein zu seinem Berater, die damals überfordert, unmotiviert waren. Gefühlte 2000 Seiten Formular ausgefüllt, Anträge gestellt und wieder raus. Bei mir hat alles reibungslos funktioniert, bei vielen anderen war es ein zermürbender Prozess. Gut, Geld gab es erst einmal, sogar nicht wenig. Die Mieten noch die alten, eigentlich ließ es sich so leben. Die Wohnung neu gemacht, die Zimmer eingerichtet, Platz für alle. Die Etagenheizung war das einzige Problem. Immer wenn der Schornsteinfeger kam, stiegen in der Küche Rauchschwaden aus allen Ritzen des Ofens. Fettiger Ruß, der sich freudig auf alles niederließ, was da so stand. Meine Sprachlosigkeit war symbolisch, meine Reaktion getrieben von keiner Lust auf diesen Scheiß. Da sagte ich zu meiner Frau: „Du Spatz. Ich muss mal schnell los. Was besorgen.“ Yvonne hocherfreut, ob dieser Auszeichnung. Es dauerte Stunden, die Küche von dem fettigen Ruß zu befreien, denn der zeigte eine unglaubliche Anhänglichkeit. Man könnte fast denken, dass er uns ganz doll liebgehabt hat. Ich begann langsam die Augen zu öffnen, ein Teil von mir. Der andere lag auf der Lauer, leckte seine Wunden, wartete, um zuzuschlagen. Ringsherum eröffneten neue Läden: Fleischer, Videothek, Gaststätten. Der Buchladen überlebte erst durch eigene Kraft, später durch die Hilfe vieler. Er wurde auch mein Laden zum Erwerb allen Lesbaren für mich. Das Angebot jetzt riesig. Man konnte alles bestellen. Es bekam etwas vom Zille-Flair. Man kannte sich. Die Läden wurden nicht von Fremdem geführt, sondern von Leuten aus der Gegend. Die Gaststätte, für uns die Casa „Plesser“, italienisch, die Köche Pakistanis, der Chef auch. Norbert war der Bediener, Kellner oder wie es jetzt hieß: Servicekraft.
Er wurde zum Urgestein: Immer gut drauf, gut drauf für seine Kunden. Zeit für ein Schwätzchen, Zeit für ein Anstößerchen, Berater für das Zusammenstellen von Speisen, das neu für mich, für uns war.
In dem Vorangegangenen, in der ehemaligen DDR war das Betreten einer Gaststätte ein Ereignis der besonderen Art. Man kam devot hinein, seine Durchlauchtigkeit der Kellner näherte sich mit einem mitleidsvollen Lächeln. Man bekam einen Tisch zugewiesen oder nicht. Das Zusammenstellen von Speisen gab es nicht. Es gab eine Speisekarte und die war unumstößlich. Alles andere wäre eine Amtsanmaßung gewesen. Die Kellner und die Kellnerinnen zu dieser Zeit waren eine besondere Spezies. Machthaber im Kleinen, bestechlich im Großen, Kritik durch den Kunden kam dem Hochverrat gleich. Ein besonderes Erlebnis damals war der Besuch im „Gastmahl des Meeres“. Ich wollte mit jemandem (Der Name ist mir entfallen.) da rein zum Tanz. Wir wurden mit der Bemerkung: „Ist schon voll“, abgewiesen. Ich wusste, dass das nicht stimmte und stürmte das Objekt. Außer ein paar Leute von drüben, keiner drinnen. Das war das Jagdrevier der Wessis zum Abschießen von Ossibräuten. Das Winken mit der Westkohle ließ die Kellner und Kellnerinnen hechelnd durch die Gegend propellern. Wir verschwanden. Mir war das zu blöd und peinlich und sagte noch zu meiner Begleitung: „Die Typen da drinnen aus dem Westen sind die, die da drüben einen Tritt in den Arsch kriegen und hier schieben sie den Dicken Maxe. Und diese Bräute da drinnen sind so dämlich und lassen sich für eine Strumpfhose vögeln.“ Jeder sucht sich eben sein eigenes Himmelreich. Gut, das ist Vergangenheit. Jetzt gibt es eine andere Kultur, ein anderes Verhältnis von Gast und denen, die sie bedienten. Auch hier viele ehemalige DDRler, die sich jetzt so benahmen, als ob die Sklavenhaltergesellschaft an die Tür klopft.