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Inhaltsverzeichnis

Vorbemerkung

Stammbaum der Habsburger

Vorwort

Erster Teil: Die Anfänge

1.Einleitung

Drei Mann im freien Fall

Interpretationen

Was dieses Buch will

2.Aufruhr im Herzen der Christenheit

Das Heilige Römische Reich

Der Prozess der Konfessionalisierung

Religion und Reichsrecht.

3.Die Casa de Austria

Besitz und Dynastie

Stände und Konfession

Das Wiedererstarken des Katholizismus.

4.Der Türkenkrieg und seine Folgen

Die Türkengefahr

Kriegsgebräuche

Der Lange Türkenkrieg (1593–1606).

Bruderzwist im Hause Habsburg

5.Pax Hispanica

Die spanische Monarchie

Der Aufstand der Niederlande (1568–1609)

Die Spanische Straße

Die spanische Friedenspolitik.

6.Dominium Maris Baltici

Dänemark

Das uneinige Haus Wasa

Polen-Litauen

7.Von Rudolf zu Matthias (1582–1612)

Die deutschen Fürsten und die Religion

Die Konfessionen und die Reichspolitik bis 1608

Union und Liga (1608/09).

Der Jülich-Klevische Erbfolgestreit (1609/10)

8.Am Rande des Abgrunds?

Kaiser Matthias

Der Uskokenkrieg und die habsburgische Erbfolge (1615–17)

Die Pfalz spielt mit dem Feuer

Zweiter Teil: Der Konflikt

9.Der Böhmische Aufstand (1618–20)

Für Libertät und Privilegien

Der Kampf um die Kronen

Ferdinand sammelt seine Kräfte.

Am Weißen Berg.

Auf wessen Konto ging das Scheitern?

10.Ferdinand triumphiert (1621–24)

Die pfälzische Sache

Protestantische Söldnerführer

Die katholische Vormachtstellung (1621–29).

11.Olivares und Richelieu

Olivares

Richelieu

Das Veltlin

12.Dänemarks Krieg gegen den Kaiser (1625–29)

Wirren in Niedersachsen.

Wallenstein

Dänemarks Niederlage (1626–29)

13.Die Gefahr eines europäischen Krieges (1628–30)

Die Ostsee

Die Niederlande

Mantua und La Rochelle

Das Restitutionsedikt

Der Regensburger Kurfürstentag von 1630

14.Der Löwe des Nordens (1630–32)

Die schwedische Intervention.

Zwischen Löwe und Adler.

Das schwedische Imperium

Hilferufe.

Auf dem Zenit

15.Ohne Gustav Adolf (1633/34)

Stabilisierungsbemühungen

Spannungen am Rhein.

Spanien interveniert.

Wallenstein: der letzte Akt.

Die beiden Ferdinands.

16.Für Deutschlands Freiheit (1635/36)

Richelieu beschließt Krieg.

Der Krieg im Westen (1635/36)

Der Prager Frieden von 1635

Patriotische Appelle

Erneuerte Friedensbemühungen

17.Die habsburgische Flut (1637–40)

Pattsituation.

Entschlossenheit am Rhein

Frieden für Norddeutschland?

18.In der Schwebe (1641–43)

Die französisch-schwedische Allianz (1641)

Der Krieg im Reich (1642/43).

Die Krise in Spanien spitzt sich zu (1635–43)

Von Breda nach Rocroi (1637–43)

19.Verhandlungsdruck (1644/45)

Der Westfälische Kongress

Frankreich in Deutschland (1644)

Der Ostseeraum wird schwedisch (1643–45)

1645.Annus horribilis et mirabilis.

20.Krieg oder Frieden (1646–48)

Eine Vertrauenskrise

Der Konsens kommt in Sicht

Spanien schließt Frieden mit den Niederlanden

Die Endrunde 1648

Dritter Teil: Nach dem Frieden

21.Das Westfälische Friedensabkommen

Die internationale Dimension

Ein christlicher Frieden

Demobilisierung

Das Reich erholt sich

22.Die Kosten des Krieges

Eine alles verzehrende Wut?

Demografische Folgen

Wirtschaftliche Auswirkungen

Die Krise des Territorialstaats.

Kulturelle Auswirkungen.

23.Die Erfahrung des Krieges

Das Wesen der Erfahrung

Militär und Zivilbevölkerung

Wahrnehmungsweisen.

Gedenken.

Anhang

Anmerkungen

Zu den Währungsangaben

Verzeichnis der Karten und Schlachtenpläne

Karten.

Schlachtenpläne

Legende

Bildnachweis

Abkürzungen

Literaturverzeichnis

Quellen.

Literatur

Personenregister

Zusammenspiel

Vorbemerkung

Die in diesem Buch erwähnten Orte werden mit ihrem in der Fachliteratur gebräuchlichen Namen bezeichnet; in den meisten Fällen ist dies ihre deutsche Bezeichnung (die inzwischen mitunter selbst historisch ist). Der in den jeweiligen Ländern gebräuchliche Name wird, wo dies notwendig erscheint, bei der ersten Erwähnung in Klammern angegeben. Die im Text erwähnten Personen werden mit ihren jeweils gebräuchlichsten Namen und Titeln vorgestellt. Vollständige Namen und Titel sowie die Lebensdaten bietet das Register. Seit Friedrich Schillers 1799 abgeschlossenem Dramenzyklus kennt man den „Generalissimus“ Ferdinands II. allgemein als „Wallenstein“. Diese Namensform des Mannes, der als Albrecht Wenzel Eusebius von Waldstein geboren wurde, wird deshalb auch im Folgenden verwendet. In zeitgenössischen Dokumenten wird Wallenstein in der Regel „der Friedländer“ genannt, nach seinem Schloss und Herzogtum Friedland in Nordböhmen. Mit Bezug auf das Herrschaftsgebiet der englisch-schottischen Stuartmonarchie wird bisweilen der Begriff „britisch“ verwendet, der eigentlich einen Anachronismus darstellt; „englisch“ wäre in den betreffenden Fällen jedoch noch irreführender und wird nur dort gebraucht, wo es tatsächlich um England im engeren Sinne geht. Alle Daten sind nach dem „neuen Stil“ des gregorianischen Kalenders angegeben, der in katholischen Territorien Europas und des Heiligen Römischen Reiches um 1582 eingeführt wurde. Dieser war dem „alten Stil“ des julianischen Kalenders, der von den meisten Protestanten des deutschsprachigen Raums bis etwa 1700 beibehalten wurde, um zehn Tage voraus.

Vorwort

Zur Geschichte des Dreißigjährigen Krieges gibt es viele Detailstudien, aber nur wenige umfassende Gesamtdarstellungen. Bei den meisten Büchern, die den ganzen Krieg zum Gegenstand haben, handelt es sich um knappe Einführungen für Schule und Studium. Das leuchtet ein: Um tatsächlich alle Aspekte des Dreißigjährigen Krieges angemessen behandeln zu können, müsste man mindestens 14 europäische Sprachen beherrschen – und bräuchte wohl ebenso viele Menschenleben und mehr, um die Masse des verfügbaren Archivmaterials zu bewältigen. Selbst die Literatur zum Thema umfasst Millionen von Seiten; es gibt allein 4000 Titel zum Westfälischen Frieden, der den Krieg beendete. Diese unglaubliche Materialfülle hat die bisherigen Darstellungen des Dreißigjährigen Krieges auf verschiedene Weise beeinflusst. Manche schlagen eine Schneise durch das Dickicht der Details und versuchen, den Krieg in eine umfassendere Erklärung des europäischen Modernisierungsprozesses einzubetten. Andere Darstellungen geben den handelnden Individuen und den Ereignissen größeren Raum, aber nicht selten bemerkt man eine gewisse Erschöpfung des Autors oder der Autorin, sobald die Geschehnisse sich der Mitte der 1630er-Jahre nähern. Bis zu jener Zeit waren nämlich die meisten der Helden und Schurken tot, die den ersten Kapiteln der Geschichte so viel Spannung und Leben eingehaucht hatten. Andere, deren Namen die Nachwelt längst vergessen hat, waren an ihre Stelle getreten. Aus diesem Umstand folgt nicht selten eine gewisse Beschleunigung, um nicht zu sagen Hastigkeit in der Darstellung, und die letzten 13 Jahre eines 30-jährigen Krieges werden in ein Viertel des Textes (oder noch weniger!) gepresst, wovon noch einmal ein Großteil auf die Erörterung des Friedensschlusses und der Kriegsfolgen entfällt.

Das vorliegende Buch möchte dieses Missverhältnis durch eine ausgewogenere Darstellung des gesamten Kriegsverlaufes beheben. Einige Besonderheiten dieses Ansatzes werden im Einführungskapitel erläutert. Entscheidend ist dabei, dass der Dreißigjährige Krieg als ein eigenständiger Konflikt betrachtet wird, der um die politische und religiöse Ordnung Mitteleuropas geführt wurde – und nicht als Teil eines großen europäischen „Gesamtkonflikts“ während der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts. Zwar bringt diese Betrachtungsweise des Krieges als Einzelkonflikt eine gewisse Vereinfachung mit sich; aber andererseits lenkt sie die Aufmerksamkeit auf seine Ursprünge in den komplexen Verhältnissen, die das Heilige Römische Reich in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts prägten. Der erste Teil des Buches soll diese Hintergründe erklären und den Krieg gerade dadurch, auf eine andere Weise als die gerade beschriebene, in seinen europäischen Kontext einbetten. Der zweite Teil folgt dem Verlauf der Tragödie in annähernd chronologischer Ordnung. Ein besonderes Augenmerk gilt dabei der Frage, warum jegliche Friedensbemühungen vor Mitte der 1640er-Jahre scheiterten. Im dritten und letzten Teil geht es um die politischen, wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und kulturellen Folgen des Dreißigjährigen Krieges sowie um seine langfristige Bedeutung. In allen drei Teilen des Buches werden strukturale Erklärungsansätze mit der Betrachtung von Macht und Ohnmacht der handelnden Personen verknüpft. Neben den altbekannten „Hauptfiguren“ der Erzählung sollen dabei auch weithin unbekannte Zeitgenossen Beachtung finden – mehr Beachtung, als ihnen üblicherweise zuteilwird. Die Literaturangaben bieten eine Auswahl aus der bereits erwähnten Fülle an Material, wobei ein Schwerpunkt auf neueren Werken liegt: Sie sind für viele Leserinnen und Leser leichter zugänglich und enthalten noch dazu weitere Hinweise auf die aktuellste Fachliteratur.

Nur zu gern bedanke ich mich für die Unterstützung des Arts and Humanities Research Council, das mir durch ein Forschungsstipendium in den Jahren 2007 und 2008 die Fertigstellung dieses Buches ermöglicht hat. An der University of Sunderland hat ein hervorragendes Forschungsumfeld meine Arbeit um vieles leichter gemacht, und dasselbe gilt für den Fachbereich Geschichte an der University of Hull, wo ich so herzlich aufgenommen wurde und die letzten Kapitel des Buches entstanden sind. Leopold Auer und seine Mitarbeiter am Haus-, Hof- und Staatsarchiv des Österreichischen Staatsarchivs in Wien haben mir bei meinem allzu kurzen Aufenthalt 2006 wertvolle Unterstützung zukommen lassen. Ich danke Scott Dixon, Robert Evans, Ralph Morrison und Neil Rennoldson für ihre Hilfe bei der Beschaffung seltener oder unbekannter Literatur und vor allem Kacper Rękawek für seine Hilfestellung bei der Sichtung polnischer Quellen und Forschungsbeiträge. Clarissa Campbell Orr, Tryntje Helfferich, Michael Kaiser, Maureen Meikle, Géza Pálffy und Ciro Paoletti haben mir in einigen Detailfragen unendlich weitergeholfen. Zu besonderem Dank bin ich Trevor Johnson verpflichtet, der mir sein Manuskript über die Gegenreformation in der Oberpfalz schon vor Veröffentlichung des Buches zur Verfügung gestellt hat. Leider kann ich mich bei ihm, der 2007 viel zu früh verstorben ist, nicht mehr dafür revanchieren.

Mein Lektor Simon Winder hat mir immer wieder Mut zugesprochen und so meinen Glauben daran gestärkt, dass dieses Buch tatsächlich irgendwann fertig werden würde. Durch seinen guten Rat und seine umsichtigen Verbesserungsvorschläge hat das Manuskript beträchtlich an Klarheit gewonnen. Charlotte Ridings hat mit ihrer gründlichen Korrekturarbeit Unstimmigkeiten und Fehler beseitigt. Cecilia Mackay hat meinen Illustrations-Wunschzettel Wirklichkeit werden lassen.

Eliane, Alec, Tom und Nina haben es geduldig ertragen, dass ich immer wieder in die Vergangenheit „abgetaucht“ bin, und haben mir – wie schon so oft – die größte Hilfe und Inspiration zukommen lassen. Ihnen sei dieses Buch in Liebe gewidmet.

Peter H. Wilson

ERSTER TEIL
DIE ANFÄNGE

1. Einleitung

Drei Mann im freien Fall

Kurz nach neun Uhr früh am Morgen des 23. Mai 1618, es war ein Mittwoch, fand sich Wilhelm Slavata in einer äußerst misslichen Lage, denn er hing aus einem Fenster der Prager Burg. In einer solchen Klemme hatte der 46-jährige Adlige noch nie gesteckt. Als Präsident der Böhmischen Kammer, vormaliger Hofrichter und nun königlicher Statthalter war er immerhin ein führender Vertreter der Obrigkeit in den Ländern der böhmischen Krone und konnte auf eine glänzende Karriere in habsburgischen Diensten zurückblicken. Seine Heirat mit der reichen Erbin Lucie Ottilie von Neuhaus hatte aus ihm zudem einen der wohlhabendsten Männer des ganzen Königreiches gemacht.

Nur Augenblicke zuvor hatten fünf Bewaffnete seinen ähnlich illustren Amtskollegen Jaroslav Martinitz ergriffen und – von dessen Flehen, sie möchten ihn doch zuerst noch die Beichte ablegen lassen, nur noch wütender gemacht – kurzerhand aus dem Fenster geworfen, kopfüber aus demselben Fenster, an dessen Sims sich nun Slavata festklammerte und, in 17 Metern Höhe über dem Burggraben, gefährlich umherbaumelte. Ein zorniges Stimmengewirr, das aus dem Inneren des Gemaches drang, ließ ihn menschliche Hilfe kaum erhoffen. Im selben Moment durchfuhr ein scharfer Schmerz Slavatas Finger: Jemand hatte mit dem Griff seines Schwertes daraufgeschlagen. Die Schmerzen wurden unerträglich, sein Griff löste sich, er verlor den Halt und stürzte ab, wobei er sich am steinernen Fenstersims eines unteren Geschosses den Hinterkopf aufschlug. Als Slavata in der Tiefe verschwand, richteten seine Angreifer ihre Aufmerksamkeit auf den Sekretär des Statthalters, Philipp Fabricius von Rosenfeld, der einen von ihnen – vermutlich ein weniger bedrohliches Mitglied des Trupps – fest umklammerte. Auch Fabricius flehte um Gnade; auch ihm half es nichts: Ohne viel Federlesens warf man ihn aus dem Fenster, seinem Herrn und dessen Schicksal hinterher.

Das jedoch entwickelte sich anders als gedacht. Während Slavata am Boden des Burggrabens aufschlug, war Martinitz weiter oben gelandet und rutschte nun die Böschung hinab, um seinem Freund zu helfen. Unterwegs verletzte er sich noch mit seinem eigenen Schwert; die Angreifer hatten versäumt, es ihm abzuschnallen. Vom Fenster oben hallten Schüsse. Irgendwie gelang es Martinitz, dem benommenen Slavata auf die Beine zu helfen, und gemeinsam konnten sie sich in den nahe gelegenen Palast des böhmischen Oberstkanzlers Lobkowitz retten, der an ihrem so jäh unterbrochenen Treffen nicht hatte teilnehmen können, weil er sich auf Reisen befand. Von der Burg wurden zwei Männer hinübergeschickt, die Slavata und Martinitz liquidieren sollten, doch Lobkowitz’ Frau Polyxena verriegelte die Tür und konnte die Häscher schließlich zum Abzug überreden. Gleich am nächsten Tag flüchtete Martinitz über die Grenze nach Bayern. Slavata war zu schwer verletzt, als dass er gleich hätte aufbrechen können, und musste sich vorerst verstecken. Fabricius, der erstaunlicherweise auf beiden Beinen gelandet war, eilte derweil nach Wien, in das pulsierende Herz der Habsburgermonarchie und politische Zentrum des Heiligen Römischen Reiches, um den Kaiser zu alarmieren.1

Der geschilderte Vorfall ist als „Prager Fenstersturz“ in die Geschichte eingegangen. Er löste den Böhmischen Aufstand aus, der gemeinhin als Beginn des Dreißigjährigen Krieges gilt – eines Krieges, der acht Millionen Leben kosten und die politische wie religiöse Landkarte Europas vollkommen verändern sollte. Der Dreißigjährige Krieg nimmt in der deutschen und der tschechischen Geschichte einen ähnlich wichtigen Platz ein wie die Bürgerkriege Englands, Spaniens und der Vereinigten Staaten oder die Revolutionen in Frankreich und Russland in der Geschichte dieser Länder. Wie sie alle ist er ein prägendes Moment und ein nationales Trauma, das die Sicht der betroffenen Staaten auf sich selbst und auf ihren Platz in der Welt entscheidend mitgeformt hat. Die Schwierigkeit, die für spätere Generationen darin lag, mit dem schieren Ausmaß der Verwüstung zurechtzukommen, hat man mit der schwierigen geschichtlichen Aufarbeitung des Holocausts verglichen.2 In den Augen der meisten Deutschen sollte der Dreißigjährige Krieg schließlich eine Zeit der nationalen Schmach darstellen, die den politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Fortschritt gehemmt und Deutschland 200 Jahre lang zu innerem Streit und internationaler Machtlosigkeit verdammt hatte.

Interpretationen

Die gerade angesprochene Interpretation hat ihren Ursprung in einer sehr viel späteren Niederlage, die nicht nur das Interesse am Dreißigjährigen Krieg erneuert, sondern auch die Sichtweise auf denselben grundlegend verändert hat. Für die Erlebnisgeneration des Dreißigjährigen Krieges und ihre Kinder jedoch behielten die Kriegsereignisse ihre zeitgeschichtliche Unmittelbarkeit. Von Anfang an erregte der Konflikt großes Interesse in ganz Europa und beschleunigte so jene „Medienrevolution“ des frühen 17. Jahrhunderts, aus der auch die moderne Zeitung hervorgehen sollte (siehe Kapitel 23). Der Vertragstext des Westfälischen Friedens, der am Ende des Krieges stand, entwickelte sich zum internationalen Bestseller, der innerhalb eines einzigen Jahres mindestens 30 Auflagen erlebte. Gegen Ende des 17. Jahrhunderts nahm das Interesse langsam ab, aber da rutschte Mitteleuropa auch schon in einen weiteren 30-jährigen Konflikt hinein – diesmal vor allem mit Frankreich und dem Osmanischen Reich. Die Erinnerung an den „ersten“ Dreißigjährigen Krieg wurde jedoch wachgehalten – durch alljährliche Feste zur Erinnerung an den Friedensschluss von Münster und Osnabrück, aber auch durch eine (vergleichsweise kleine) Anzahl von Büchern für ein breites Publikum. Wie die öffentlichen Feierlichkeiten vermittelten diese Werke eine im Großen und Ganzen positive Sicht der Kriegsergebnisse, schließlich seien die Freiheiten der deutschen Protestanten bewahrt und die Reichsverfassung gestärkt worden.3

Die Französische Revolution und dann die Zerstückelung des Heiligen Römischen Reiches durch Napoleon trübten diese Sichtweise drastisch ein. Der österreichisch-preußische Gegenangriff auf das revolutionäre Frankreich zog die Deutschen 1792 erneut in den Kreislauf aus Invasion, Niederlage, Aufruhr und Verwüstung hinein. Diese Erfahrungen fielen mit neuen geistigen und kulturellen Strömungen zusammen, die zusammenfassend als „Sturm und Drang“ und „Romantik“ bezeichnet werden. Grell-entsetzliche Episoden aus dem Dreißigjährigen Krieg – Geschichten von Massakern, Vergewaltigungen und Folter – stießen beim Publikum sofort auf Resonanz, während die dramatischen Biografien von Figuren wie dem kaiserlichen Heerführer Wallenstein oder dem schwedischen König Gustav Adolf durch den Vergleich mit Napoleon und anderen Männern der Gegenwart mit neuer Bedeutung aufgeladen wurden. Der maßgebliche Vertreter des „Sturm und Drang“, Friedrich Schiller, fand ein nur zu begieriges Publikum vor, als er 1791 seine Geschichte des dreißigjährigen Krieges veröffentlichte, der er in den Jahren 1797–99 seine Wallenstein-Trilogie folgen ließ.

Die romantische Umdeutung des Dreißigjährigen Krieges brachte drei Motive hervor, die sich in Darstellungen des Konflikts noch heute beobachten lassen. Das erste war eine düstere Faszination durch Tod, Verfall und Zerstörung, wobei Deutschland in der Regel als hilfloses Opfer fremder Aggressoren dargestellt wurde. Schauerliche Geschichten von Kriegsgräueln entnahm man Sagen und Märchen aus dem Volk, aber auch der Literatur des 17. Jahrhunderts, allen voran Grimmelshausens Der Abentheurliche Simplicissimus Teutsch, der von den Dichtern der Romantik als „erster echt deutscher Roman“ wiederentdeckt und im frühen 19. Jahrhundert in zahlreichen „verbesserten“ Ausgaben neu aufgelegt wurde.4

Die Wiederkehr solcher Kriegsgeschichten in historischen Romanen, in Historiengemälden sowie als Gegenstand des schulischen Geschichtsunterrichts verstärkte die mündliche Überlieferung zum Dreißigjährigen Krieg in Familien und Gemeinden, nicht nur in Deutschland, sondern auch in anderen Ländern, die unter den Kampfhandlungen gelitten hatten. Der Dreißigjährige Krieg wurde zum Maßstab für die Beurteilung aller späteren Kriege. So interpretierten die Bewohner des östlichen Frankreich jede weitere Invasion ihrer Heimat im Lichte alter Geschichten von Schweden und Kroaten, die die Gegend in den 1630er-Jahren verwüstet hatten. Auch Soldaten, die an der Ostfront des Ersten Weltkriegs kämpften, meinten in ihren Schützengräben ein Grauen zu erleben, wie es die Welt seit 300 Jahren nicht mehr gesehen hatte. In seiner Rundfunkansprache vom 3. Mai 1945 verkündete Hitlers Architekt und Rüstungsminister Albert Speer: „Die Verwüstungen, die dieser Krieg Deutschland brachte, sind nur mit denen des Dreißigjährigen Krieges vergleichbar. Die Verluste der Bevölkerung durch Hunger und durch Seuchen dürfen aber niemals das damalige Ausmaß annehmen.“ Nur aus diesem Grunde sehe sich, wie Speer fortfährt, Großadmiral Dönitz genötigt, die Waffen nicht niederzulegen. In den 1960er-Jahren ergaben Meinungsumfragen, dass die Deutschen den Dreißigjährigen Krieg als die größte Katastrophe ihrer Geschichte ansahen, noch vor den beiden Weltkriegen, dem Holocaust und dem Schwarzen Tod.5

Der Einfluss des Fernsehens hat diese Wahrnehmung im späteren 20. Jahrhundert zweifellos verschoben, insbesondere durch die weite Verbreitung von Film- und Fotoaufnahmen der Gräuel aus jüngerer Vergangenheit. Dennoch konnten deutsche Historiker noch zu Beginn des 21. Jahrhunderts behaupten: „Niemals zuvor und auch niemals nachher, nicht einmal während der Schrecken der Bombenangriffe des Zweiten Weltkrieges, wurde das Land so verheert und die Menschen so gequält“ wie zwischen 1618 und 1648.6

Das zweite Motiv, das die Geschichtsschreibung des 19. Jahrhunderts hervorgebracht hat, ist die Vorstellung von einer geradezu tragischen Unvermeidlichkeit des Dreißigjährigen Krieges. Dies fällt schon in Schillers Wallenstein auf. Schiller zeichnet die Hauptfigur seiner Trilogie als einen idealistischen, den Frieden suchenden Helden, dessen unabwendbares Schicksal jedoch darin liegt, von seinen engsten Vertrauten ermordet zu werden. Nach den Napoleonischen Kriegen fand dieses Gefühl eines unaufhaltsamen Versinkens im Chaos allgemeine Verbreitung. Die frühere, positive Wahrnehmung des Westfälischen Friedens erschien nun, da das römisch-deutsche Reich 1806 aufgelöst worden war, nicht mehr angemessen. Davon, dass der Dreißigjährige Krieg letztlich sogar die Reichsverfassung gestärkt habe, konnte jetzt keine Rede mehr sein; stattdessen erschien er als der Anfang vom Ende des Alten Reiches. Neuere Forschungen bekräftigen diesen Eindruck, indem sie die Aufmerksamkeit von einzelnen Akteuren und einem möglichen Verfassungsversagen weglenkten und sich stattdessen dem langfristigen Wandel der europäischen Wirtschaft vom Feudalismus zum Kapitalismus zuwandten, der angeblich eine „allgemeine Krise des 17. Jahrhunderts“ heraufbeschwor.7 Andere sehen diese Krise als wesentlich politisch oder ökologisch an, oder als Ausdruck zweier oder mehrerer Faktoren zugleich. In allen ihren Varianten jedoch behauptet die „Krisenthese“, ein tief liegender Strukturwandel am Übergang vom Mittelalter zur Frühen Neuzeit habe Spannungen verschärft, die sich in den Jahren nach 1600 überall in Europa in gewaltsamen Aufständen und internationalen Konflikten entladen hätten.8

Im 19. Jahrhundert brachten verschiedene Sichtweisen dieser Ereignisse im Heiligen Römischen Reich schließlich das dritte und wohl einflussreichste Motiv in der deutschen Diskussion über den Dreißigjährigen Krieg hervor, indem die Erinnerung an 1618/48 mit der Auseinandersetzung um die „deutsche Frage“ ab 1814/15 verwoben wurde. Es entstanden zwei konkurrierende Narrative, die jeweils mit einer Variante des zukünftigen Deutschland in Verbindung gebracht wurden. Die „großdeutsche Lösung“ sah einen losen Staatenbund vor, dem das habsburgische Österreich und das hohenzollerische Preußen angehören sollten, aber auch das „dritte Deutschland“ der Mittel- und Kleinstaaten, darunter etwa die Königreiche Bayern und Württemberg oder das Herzogtum Nassau. Die „kleindeutsche Lösung“ hingegen schloss Österreich aus, was vor allem an den Schwierigkeiten lag, mit denen die Einbindung der habsburgischen Untertanen in Italien und auf dem Balkan verbunden gewesen wäre. Mit dem preußischen Sieg über Österreich im Deutschen Krieg von 1866 setzte die kleindeutsche Lösung sich durch; durch den deutschen Sieg über Frankreich im Krieg von 1870/71, aus dem das Deutsche Kaiserreich hervorging, wurde sie gefestigt. Beide Zukunftsvisionen, die großdeutsche wie die kleindeutsche, waren eindeutig religiös konnotiert, was auch auf den Streit über die Vergangenheit des Landes übertragen wurde. Die Annahme, der Dreißigjährige Krieg sei ein Religionskrieg gewesen, erschien nun so selbstverständlich, dass sie nur selten infrage gestellt wurde.

Als überaus bedeutsam sollte sich herausstellen, dass der Streit um die deutsche Frage mit der Geburt der modernen Geschichtswissenschaft zusammenfiel. Leopold von Ranke, der Gründervater der historisch-kritischen Schule der deutschen Geschichtsschreibung, nahm sich Wallenstein zum Gegenstand der einzigen großen Biografie unter seinen zahlreichen Schriften. Ranke und seine Zeitgenossen scheuten keine Mühen, das erhaltene Archivmaterial zu studieren, und vieles von dem, was sie geschrieben haben, besitzt auch heute noch großen Wert. Zu ihrer Zeit hatte die Ranke-Schule prägenden Einfluss darauf, wie die Historiker anderer Länder über den Dreißigjährigen Krieg dachten, obwohl natürlich ein jeder den Konflikt in seine eigene Nationalgeschichte einzupassen suchte. Die französischen Historiker betrachteten ihn in der Regel durch die Brille von Richelieu und Mazarin, deren Politik angeblich die Grundlagen einer „französischen Vorherrschaft“ auf dem europäischen Kontinent gelegt hatte, die von der Mitte des 17. Jahrhunderts bis in die Zeit Napoleons andauerte. In der spanischen Geschichtsschreibung hingegen stand das Motiv eines nationalen Niedergangs im Vordergrund, schien Spanien sich doch nach 1618 deutlich übernommen zu haben. Historiker aus der Schweiz, den Niederlanden und Portugal wiederum verbanden den Dreißigjährigen Krieg mit der Unabhängigkeit ihrer Nationen (jeweils von der Herrschaft der Habsburger), während Dänen und Schweden ihn im Kontext ihrer gegenseitigen Rivalität im Ostseeraum einordneten. Die Sicht der britischen Geschichtsschreibung wich am wenigsten von der deutschen Perspektive ab, was unter anderem daran lag, dass die im 17. Jahrhundert über England und Schottland herrschende Dynastie der Stuarts wegen der Heirat Elisabeth Stuarts mit dem pfälzischen Kurfürsten mit dessen folgenreicher Entscheidung in Verbindung gebracht wurde, sich nach dem Prager Fenstersturz an die Seite der böhmischen Aufständischen zu stellen. Viele britische Historiker des 19. Jahrhunderts betrachteten die Verbindung der beiden Adelshäuser in religiösen Begriffen, nämlich als Ausdruck eines gemeinsamen Kampfes für die „protestantische Sache“; ähnliche Ansichten finden sich auch in den deutlich konfessionell gefärbten Arbeiten deutscher Historiker derselben Zeit, deren Werke wiederum die hauptsächlichen Quellen ihrer britischen Fachkollegen darstellten.9

Die Vorstellung vom Dreißigjährigen Krieg als einem Religionskrieg harmonierte zudem mit der protestantischen Meistererzählung, die hinter einem großen Teil der Historiografie des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts stand und der zufolge die Reformation mitsamt ihren Folgen als Befreiung vom katholischen Joch gedeutet wurde. Dieselbe progressive Entwicklungslinie ließ sich aber auch ohne konfessionelle Einfärbung zeichnen, nämlich als rein säkularer Modernisierungsprozess. In einer neueren Darstellung wird der Dreißigjährige Krieg so zur „Entwicklungs- oder … Modernisierungskrise“ der europäischen Zivilisation, zu einem „Inferno“, das die moderne Welt hervorgebracht habe.10

Es ist ein Gemeinplatz der geschichts- und politikwissenschaftlichen Literatur, dass der Westfälische Friedensschluss am Ursprung jenes Systems souveräner Staaten stehe, das in den kommenden Jahrhunderten die zwischenstaatlichen Beziehungen auf der ganzen Welt prägen sollte und deshalb auch als das Westfälische Staatensystem bekannt ist. Unter Militärhistorikern gelten Schlüsselfiguren wie Gustav Adolf gemeinhin als die „Väter“ der modernen Kriegführung. Auf politischer Ebene, heißt es, habe der Dreißigjährige Krieg die Ära des Absolutismus eingeläutet, die das Schicksal weiter Teile Europas bis zur Französischen Revolution bestimmt habe. Die Europäer ihrerseits exportierten ihre Konflikte in die Karibik, nach Brasilien, Westafrika, Mosambik, Ceylon, Indonesien, weit über den Atlantik und den Pazifik. Das Silber, mit dem die Soldaten des katholischen Europa entlohnt wurden, förderten indigene Mexikaner, Peruaner und Bolivianer unter entsetzlichen Bedingungen aus den Minen Südamerikas; viele Tausende von ihnen sollten deshalb zu den Opfern des Dreißigjährigen Krieges gezählt werden. Afrikanische Sklaven plagten sich auf den Plantagen niederländischer Zuckerrohrpflanzer, deren saftige Gewinne zur Finanzierung des Unabhängigkeitskampfes ihrer Republik gegen die Spanier beitrugen, neben Einnahmen aus dem Ostseegetreidehandel und der Befischung der Nordsee.

Oft dominiert in der englischsprachigen Forschung zum Dreißigjährigen Krieg mittlerweile das Interesse an diesem weiteren Kontext; die Geschehnisse innerhalb des Heiligen Römischen Reiches werden entsprechend als Teil eines größeren Machtkampfes zwischen Frankreich, Schweden und den englischen, niederländischen und deutschen Protestanten auf der einen Seite und den Kräften der spanisch-habsburgischen Hegemonie auf der anderen dargestellt. Nach dieser Lesart war der Krieg innerhalb des Reiches entweder von Anfang an nur das „Anhängsel“ eines größeren Konflikts – oder wurde es doch spätestens, sobald in den 1630er-Jahren Schweden und Frankreich in Deutschland eingriffen. Ein führender britischer Vertreter dieser internationalen Perspektive auf den Dreißigjährigen Krieg hat deshalb die national fokussierte Auffassung in Teilen der älteren Geschichtsforschung zurückgewiesen und insbesondere manchen deutschen Historikern vorgeworfen, sich provinziell zu gebärden, neigten sie doch dazu, „den Krieg fast ausschließlich unter lokalem und regionalem Blickwinkel darzustellen“. Dennoch bleibt auch die „internationale Schule“ tief von der Geschichtsschreibung des 19. Jahrhunderts geprägt: etwa, indem sie den Ausbruch des Konflikts als unvermeidlich darstellt und den weiteren Kriegsverlauf als stetige Eskalation von Gewalt und konfessionellem Ressentiment beschreibt.11

Was dieses Buch will

Das Geschehen des Dreißigjährigen Krieges war außerordentlich komplex. Die angesprochenen Interpretationsprobleme ergeben sich aus dem Versuch, diese Komplexität zu reduzieren und das Kriegsgeschehen zu vereinfachen – meist durch die übermäßige Betonung einer einzelnen Facette des Konflikts zulasten aller anderen. Das vorliegende Buch soll, erstens, die unterschiedlichen Aspekte wieder miteinander verknüpfen, und zwar durch den ihnen gemeinsamen Bezug zur Reichsverfassung. Der Krieg innerhalb der Reichsgrenzen hing mit anderen Konflikten zusammen, aber er blieb doch immer klar umrissen. Selbst außerhalb des Heiligen Römischen Reiches waren viele Zeitgenossen der Ansicht, es sei ein und derselbe Krieg, der mit dem Böhmischen Aufstand begann und mit dem Westfälischen Frieden endete. In den frühen 1620er-Jahren begannen sie, von einem „fünfjährigen“ oder „sechsjährigen Krieg“ zu sprechen, und so zählten sie bis 1648 immer weiter.12

Gleichwohl betraf der Konflikt ganz Europa, und die europäische Geschichte wäre wohl sehr viel anders verlaufen, wenn es den Dreißigjährigen Krieg nicht gegeben oder dieser zu einem anderen Ergebnis geführt hätte. Unter den führenden Mächten Europas blieb allein Russland unbeteiligt. Sowohl Polen als auch das Osmanische Reich übten beträchtlichen Einfluss aus, ohne direkt einzugreifen. Den Niederländern gelang es gerade so, ihren eigenen Kampf gegen die Spanier von dem gesamteuropäischen Geschehen getrennt zu halten; zugleich bemühten sie sich aber, das Geschehen im römisch-deutschen Reich durch begrenzte, indirekte Hilfeleistungen in ihrem Sinne zu beeinflussen. Das Engagement der englisch-schottischen Krone auf dem Kontinent war substanzieller; ein formeller Kriegseintritt fand jedoch gleichfalls nicht statt. Frankreich und Spanien mischten sich zwar ein, trennten ihre Teilnahme am Dreißigjährigen Krieg allerdings deutlich von dem Konflikt, den sie zur selben Zeit gegeneinander ausfochten; dieser hatte seine eigenen Ursprünge und sollte nach 1648 noch elf weitere Jahre andauern. Dänemark und Schweden waren vollwertige Kriegsparteien, obgleich ihre Beteiligung kaum etwas mit den Ursprüngen des Konflikts zu tun hatte. Auch andere benachbarte Territorien, wie etwa Savoyen oder Lothringen, wurden in die Auseinandersetzung hineingezogen, ohne darüber ihre eigenen Ziele und lokalen Streitigkeiten aus dem Blick zu verlieren.

Die zweite Hauptthese der vorliegenden Studie ist diese: Der Dreißigjährige Krieg war nicht in erster Linie ein Religionskrieg.13 Religion und Konfession stellten wirkmächtige Identifikationsmerkmale dar, keine Frage; doch mussten sie sich dabei gegen politische, soziale, sprachliche, geschlechtliche und andere Unterscheidungen durchsetzen. Die meisten zeitgenössischen Beobachter sprachen von kaiserlichen, bayerischen, schwedischen oder böhmischen Truppen, nicht von katholischen oder protestantischen – überhaupt sind „katholisch“ und „protestantisch“ anachronistische Kennzeichnungen, die sich seit dem 19. Jahrhundert aus Gründen der Bequemlichkeit eingebürgert haben, um zu einer einfacheren Darstellung des Geschehens zu gelangen. Der Dreißigjährige Krieg war nur insofern ein Religionskrieg, als der Glaube in der Frühen Neuzeit das leitende Prinzip in allen Bereichen öffentlichen oder privaten Handelns lieferte. Um den tatsächlichen Zusammenhang zwischen dem militärischen Konflikt und den theologischen Streitigkeiten innerhalb des Christentums zu verstehen, müssen wir zwischen militanten und gemäßigten Gläubigen unterscheiden. Fromm waren sie jedoch alle, und wir sollten die Moderaten unter ihnen nicht gleich für die rationaleren, vernünftigeren oder gar säkulareren Menschen halten. Der Unterschied zwischen Moderaten und Militanten lag nicht im Ausmaß ihres religiösen Eifers, sondern darin, wie eng Glauben und Handeln für sie miteinander verbunden waren. Alle waren sie davon überzeugt, dass ihre eigene Spielart des christlichen Glaubens die einzig seligmachende sei, dass sie allein zur Richtschnur in allen Fragen der Gerechtigkeit, der Politik und des alltäglichen Lebens tauge. Die Moderaten allerdings waren pragmatisch gesinnt; für sie stellte die ersehnte Wiedervereinigung aller Christen in einer einzigen Kirche eher ein grundsätzliches Fernziel als ein konkretes Handlungsmotiv dar. Ganz anders die Militanten: Ihnen schien dieses Ziel bereits in Reichweite, und so waren sie nicht nur gewillt, zu seiner Erreichung Gewalt statt guter Worte einzusetzen, sondern verspürten dazu sogar einen göttlichen Auftrag. Die biblische Botschaft sprach zu ihnen mit der Stimme der Vorsehung, als Ankündigung einer bevorstehenden Endzeit, und sie setzten die Ereignisse ihrer Gegenwart in einen direkten Zusammenhang mit dem biblischen Text. Für sie war der Konflikt ein Heiliger Krieg – ein kosmischer Showdown zwischen Gut und Böse, in dem der Zweck fast jedes Mittel heiligte.

Wie wir noch sehen werden, blieben die Militanten in der Minderheit. Den Krieg erlebten sie meist als Beobachter oder als Opfer von Kampf und Vertreibung. Dennoch erwies sich, damals wie heute, Militanz genau dann als besonders gefährlich, wenn sie mit politischer Macht in eins fiel. Dann nämlich erzeugt sie bei den Herrschenden das wahnhafte Gefühl, sie seien Gottes Auserwählte, erfüllten Gottes Willen und dürften schließlich auch mit göttlichem Lohn rechnen. Wer so denkt, der glaubt an die absolute und alleinige Geltung der eigenen Normen, an die unbedingte Überlegenheit der eigenen Regierungsform und die alleinige Wahrheit der eigenen Religion. Wenn solche Fundamentalisten „die anderen“ als von Grund auf böse dämonisieren, ist das die psychologische Entsprechung zu einer militärischen Kriegserklärung, die jede Möglichkeit zu Dialog oder Kompromiss torpediert. Einmal radikalisiert meinen sie, ihre Gegner nicht mehr als Menschen behandeln zu müssen. Probleme, die sie vielleicht selbst mitverursacht haben, werden ausschließlich dem Feind in die Schuhe geschoben. Ein derart übersteigertes Selbstbewusstsein birgt freilich Gefahren für beide Seiten. Der Glaube an den göttlichen Beistand ermuntert Fundamentalisten, Risiken einzugehen. Wenn die Chancen auf Erfolg verschwindend gering erscheinen, sehen sie darin lediglich die Absicht der göttlichen Vorsehung, ihren Glauben auf die Probe zu stellen. An ihrer festen Überzeugung, dass der Sieg ihnen am Ende sicher sei, kann nichts rütteln. Eine solche Einstellung kann zu wilder Entschlossenheit oder verbissenem Widerstand führen, aber für einen langfristigen militärischen Erfolg taugt sie kaum. Fundamentalisten haben keine wirkliche Kenntnis ihrer Gegner, denn sie geben sich nicht die geringste Mühe, diese zu verstehen. Gewiss haben fundamentalistische Auffassungen einigen Schlüsselmomenten des Dreißigjährigen Krieges ihren Stempel aufgedrückt, etwa dem Prager Fenstersturz oder der Entscheidung des pfälzischen Kurfürsten, sich dem Böhmischen Aufstand anzuschließen. Der Einfluss militanter Kräfte mag bisweilen in einem Missverhältnis zu ihrer tatsächlichen Zahl gestanden haben; das heißt aber nicht, dass wir den ganzen Konflikt durch ihre Augen betrachten und interpretieren sollten.

Die dritte entscheidende These dieses Buches ist, dass der Dreißigjährige Krieg keineswegs unvermeidlich war. Der Einfluss ökologischer und ökonomischer Probleme auf das gesamteuropäische Kriegsgeschehen im 17. Jahrhundert ist bestenfalls marginal gewesen. Es war ja auch nicht so, dass tatsächlich der gesamte Kontinent von einer Welle der Gewalt überrollt worden wäre: Weite Teile des Heiligen Römischen Reiches blieben nach 1618 friedlich, obwohl sie bestimmte fundamentale Probleme mit den Kriegsgebieten gemein hatten; erst als der Konflikt 1631/32 eskalierte, brach die Gewalt sich hier ebenfalls Bahn. Auch aus dem Augsburger Religionsfrieden von 1555, der die Spannungen der Nachreformationszeit beilegen sollte, ergab sich nicht zwangsläufig gleich ein Krieg. Zwar folgten ihm einige wenige, über das gesamte Reich verstreute Gewaltausbrüche, aber vor 1618 eben doch kein allgemeiner Konflikt. Wir sprechen hier immerhin von der auf lange Zeit längsten Friedensperiode der neueren deutschen Geschichte – erst 2008, 63 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs, sollte dieser Rekord gebrochen werden! Was das bedeutet, wird noch deutlicher, wenn wir dem relativen Frieden im Heiligen Römischen Reich des späteren 16. Jahrhunderts etwa die brutalen Bürgerkriege gegenüberstellen, die von den 1560er-Jahren an Frankreich und die Niederlande erschütterten.

Angesichts des großen Erfolges der Augsburger Regelung von 1555 erscheint der allgemeine Kriegsausbruch ab 1618 umso erklärungsbedürftiger. Der erste Teil dieses Buches soll eine solche Erklärung liefern; außerdem legt er die allgemeine Situation im damaligen Europa dar und stellt die Hauptproblematik sowie zahlreiche Hauptfiguren des Dreißigjährigen Krieges vor. Im zweiten Teil folgt dann eine weitgehend chronologische Betrachtung der Kriegsereignisse, wobei dem Geschehen ab 1635, das in der bisherigen Forschung zu Unrecht vernachlässigt worden ist, besondere Aufmerksamkeit geschenkt wird – wer die Jahre nach 1635 außer Acht lässt, wird nie verstehen, warum ein Friedensschluss lange Zeit unerreichbar blieb. Die abschließenden Kapitel beleuchten die politischen Konsequenzen des Dreißigjährigen Krieges, seine immensen Kosten (an Material und Menschenleben) sowie die Frage, was der Krieg bedeutete – für jene, die ihn erlebten, aber auch für nachfolgende Generationen.

2. Aufruhr im Herzen der Christenheit

Das Heilige Römische Reich

Auch vor 1618 war das Geschehen im Heiligen Römischen Reich durchaus nicht undramatisch – aber das Drama, von dem hier die Rede ist, war doch eher im Gerichtssaal als auf dem Schlachtfeld angesiedelt. Die Mitteleuropäer des 16. Jahrhunderts sahen sich in diverse langfristige – und oft auch langatmige – Rechtsstreitigkeiten verwickelt, die von späteren Generationen als ermüdend und belanglos abgetan worden sind. Stattdessen verdichtete man die Jahrzehnte vor Ausbruch des Dreißigjährigen Krieges zu einem griffigen Narrativ, demzufolge es eine fortschreitende, konfessionelle wie politische Polarisierung gewesen sei, die unausweichlich zum Krieg geführt habe. Da es mitunter sehr schwerfällt, die Komplexitäten des Alten Reiches angemessen darzustellen, ist ein solches Vorgehen nur zu verständlich.

Im 18. Jahrhundert musste selbst der unermüdliche Johann Jakob Moser (der neben seiner Juristenkarriere auch noch die Zeit fand, 600 protestantische Kirchenlieder zu schreiben und acht Kinder großzuziehen) seine Gesamtdarstellung der Reichsverfassung nach immerhin mehr als 100 Bänden abbrechen. Anscheinend besteht die einzige Möglichkeit, sich dem Problem zu nähern, tatsächlich darin – wie T.C.W. Blanning so treffend bemerkt hat –, eine Vorliebe für das Anomale zu kultivieren, denn das Alte Reich und seine Teile passten in keine denkbare Schublade.14 In eine ähnliche Richtung geht die viel zitierte Einschätzung des Naturrechtsphilosophen Samuel Pufendorf, der 1667 erklärte, das Reich sei weder eine „reguläre Monarchie“ noch eine Republik, sondern sei „unregelmäßig“ und gleiche einem „Monstrum“. Doch vielleicht bietet eine andere zeitgenössische Metapher den besseren Ausgangspunkt für weitere Überlegungen. In der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts begannen Naturphilosophen wie René Descartes, die Welt auf mechanische Weise zu erklären. Alles, lebendige Wesen wie die Bewegung der Himmelskörper, interpretierten sie als komplexe mechanische Apparate. Vor diesem ideengeschichtlichen Hintergrund erscheint das Alte Reich als ein träger, sperriger Schwertransporter, in dessen Innerem gleichwohl eine ausgefeilte und komplizierte, dabei überraschend robuste Maschinerie von Gewichten und Gegengewichten ihr Werk tat. Die Könige von Frankreich, Schweden und Dänemark mochten mit ihren Schwertern auf dieses Gefährt einschlagen, indessen der osmanische Sultan es mit seinem Szepter traktierte: So zerbeulten sie vielleicht seine äußere Hülle und brachten auch ein paar der empfindlicheren Teile im Inneren durcheinander – aber den gemächlichen, schwerfälligen Gang des großen Ganzen hielten sie nicht auf.

Mauern, Türme, Herrschaftssitze Was diesen Koloss vorantrieb, war die harte Arbeit von Millionen von Kleinbauern und anderen einfachen Leuten, die in den 2200 Städten, den mindestens 150 000 Dörfern, den zahlreichen Mönchs- und Nonnenklöstern sowie anderen Gemeinschaften im ganzen römisch-deutschen Reich lebten. Dort, auf der Ebene der Gemeinschaften, spielte sich das wirkliche Leben ab: Menschen heirateten, bekamen Kinder, gaben und nahmen Arbeit, brachten die Ernte ein, stellten Waren her und trieben Handel. Diese Gemeinschaften sind es auch, die Matthäus Merians berühmte Kupferstichsammlung Topographia Germaniae dominieren, ein monumentales Verlagsvorhaben, das zur Hochzeit des Krieges in den 1630er-Jahren begonnen und erst 40 Jahre später abgeschlossen wurde.15 Die zuletzt 30 Bände der Topographia enthalten kaum eine Schilderung der natürlichen Umgebung, sondern versammeln, nach Gegenden gruppiert und alphabetisch geordnet, Beschreibungen all jener Ortschaften, die Merian und seine Mitarbeiter entweder selbst besucht oder von denen sie gehört oder gelesen hatten. Die zahlreichen beigegebenen Kupferstiche liefern mit ihren Mauern, Kirchtürmen und Herrschaftsbauten eine perfekte Veranschaulichung der drei Elemente, aus denen sich jedes der abgebildeten Gemeinwesen zusammenfügte, und lassen zudem erkennen, wie diese mit den Machtstrukturen des gesamten Reiches zusammenhingen.