© 2020 Dr. Hans Ulrich Wipf
ISBN 9783749477227
Herstellung und Verlag: Books on Demand GmbH, Norderstedt
Die im Jahr 1411 eingeführte Zunftverfassung hat die Stadt Schaffhausen während Jahrhunderten politisch, wirtschaftlich und gesellschaftlich entscheidend geprägt, und trotz aller späteren Verfassungsänderungen ist hier die zünftische Tradition bis in die heutige Zeit lebendig geblieben. So erklärt sich denn auch, dass die Geschichte der Schaffhauser Zünfte immer wieder als Thema aufgegriffen und unter den verschiedensten Aspekten dargestellt worden ist. Namentlich in den beiden Jubiläumsjahren 1961 und 2011 sind in der Reihe der «Schaffhauser Beiträge zur Geschichte» zwei gewichtige, diesem Thema gewidmete Sammelbände erschienen. Weshalb also diese weitere Publikation?
Bei der ganzen Breite der bisherigen Spezialliteratur ist eine Frage bis heute noch nie näher untersucht werden, nämlich: In welchem Verhältnis standen während des Ancien Régime Zünfte und Handwerk zueinander? Entscheidend für die Zugehörigkeit des einzelnen Bürgers zu einer bestimmten Zunft war 1411 dessen Beruf gewesen. Spätestens ab 1459 aber hatte sich diesbezüglich
eine einschneidende Änderung ergeben, als gemäss einem Ratsbeschluss fortan die Mitgliedschaft bei einer Zunft jeweils vom Vater auf den Sohn vererbt wurde, auch wenn dieser nicht im gleichen Metier tätig war. Als Folge davon entstand innerhalb der verschiedenen Zünfte zunehmend eine Mischung von Berufen, die nicht mehr der ursprünglichen Einteilung entsprachen, das heisst, Zunftzugehörigkeit und berufliche Tätigkeit waren je länger, je mehr nicht mehr kongruent. Und gerade diese Tatsache führt auch heute noch häufig zu Missverständnissen und Fragen wie: Inwieweit waren die Zünfte angesichts dieser Durchmischung mit «fremden Berufen» für die handwerklichen Belange überhaupt noch zuständig? Weshalb gehört heutzutage zum Beispiel ein Zuckerbäcker merkwürdigerweise der Metzgerzunft an?
Das vorliegende Buch vereinigt zwei Aufsätze, die sich ausführlich dieser Thematik annehmen. Sie sind erstmals in zwei verschiedenen Bänden der «Schaffhauser Beiträge zur Geschichte» erschienen * und sollen hier nun zur besseren Greifbarkeit in einer modifizierten Fassung nochmals mitgeteilt werden.
*Schaffhauser Beiträge zur Geschichte, Bd. 84, 2010, S. 133-204, und Bd. 91, 2019, S. 161-186.
Im Jahre 1411 erhielten in Schaffhausen zehn Handwerkerzünfte Anteil am städtischen Regiment und wurden dadurch zu politischen Körperschaften. Massgebend für die Zuteilung des einzelnen Bürgers zu einer bestimmten Zunft war ursprünglich der von ihm ausgeübte Beruf. Gemäss einem Ratsbeschluss aus dem Jahre 1459 vererbte sich in der Folge die Zunftzugehörigkeit jeweils vom Vater auf den Sohn, und zwar ungeachtet seiner beruflichen Tätigkeit, die ja nicht zwingend die gleiche sein musste.1 Dadurch entstand innerhalb der verschiedenen Zünfte je länger, je mehr ein buntes Gemisch von überwiegend «fremden» Berufen. Gleichzeitig traten im Zuge dieser Entwicklung auch die Interessen der Handwerke zunehmend in den Hintergrund. Dies lässt sich gerade anhand der Zunftbriefe, die in erster Linie politisch-verfassungsrechtliche Bestimmungen und nur zu einem kleinen Teil spezifisch handwerkliche Satzungen enthalten, besonders deutlich erkennen. So bildeten sich denn nach und nach neben den Zünften, aber immer noch unter deren Dach, wieder rein berufsständische Organisationen heraus, die sogenannten Innungen, Handwerke oder Meisterschaften, die fortan für die spezifischen Belange einer bestimmten Berufsgruppe zuständig waren.2
Diese neuen Innungen standen noch ganz in der Tradition der alten Handwerkerverbände, wie sie sich erst in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts allmählich auch in Schaffhausen durchgesetzt hatten. Noch 1332 hatte nämlich der damalige, nur aus der Oberschicht bestellte Rat zusammen mit dem Vogt, dem Vertreter des Stadtherrn, jegliche Zunftbildung verboten, und auch später griff er mit strikten Preis- und Qualitätsvorschriften immer wieder ordnungspolitisch in die Autonomie einzelner Berufsgruppen ein.3 So erliess er beispielsweise um 1400 eine detaillierte Lohnordnung für die Schmiede und Wagner, 1409 ein nicht minder ausführliches Preisverzeichnis für die Schneider und 1458 ein breites Bündel von Bestimmungen für die Metzger.4
Schon relativ früh schlossen sich einzelne Handwerkergruppen aus verschiedenen Städten auch zu überregionalen Berufsverbänden zusammen und gaben sich bei ihren jeweiligen Zusammenkünften allgemein verbindliche Reglemente und Ordnungen. Diese Treffen, «Maien» genannt, fanden gelegentlich auch in Schaffhausen statt: 1435 tagten zum Beispiel die Sattler hier und 1441 die Kessler. 1472 verbot allerdings der Schaffhauser Rat die weitere Durchführung solcher Versammlungen in der Stadt für die allermeisten Handwerke und Gewerbe.5 Im Laufe des 16. Jahrhunderts errichteten dann die städtischen Handwerke mehrheitlich ihre eigenen Satzungen, die aber immer der offiziellen Genehmigung durch die Obrigkeit bedurften. Die frühesten im Staatsarchiv Schaffhausen noch erhaltenen datierten Handwerksordnungen sind diejenigen der Müller von 1549, der Schlosser und Büchsenschmiede sowie der Steinmetze von 1564, der Kupferschmiede von 1566, der Maurer von 1570, der Goldschmiede von 1583, der Seiler von 1585, der Glas- und Flachmaler von 1588, der Rotgerber von 1596 und der Gürtler von 1599.6 Diese von Zeit zu Zeit revidierten Ordnungen bestimmten und prägten in der Folge das wirtschaftliche Leben bis weit ins 19. Jahrhundert hinein.
Wie sich diese Reglementierungen im Einzelnen in der Praxis auswirkten, lässt sich am besten aus den Protokollbüchern der Handwerke entnehmen, die teilweise bis ins 16. Jahrhundert zurückreichen. Sie sind im Staatsarchiv Schaffhausen ebenfalls noch in grosser Zahl vorhanden und stellen eine einmalige Quelle für die vorliegende Arbeit dar, die vor allem die effektive und weniger die rechtliche Situation im Handwerk des Ancien Régime aufzeigen möchte.7
Die teilweise beengende Dichte der Gewerbebetriebe in der Stadt, die Tatsache, dass viele Handwerke stark «übersetzt» waren, das heisst von zu vielen ausgeübt wurden,8 rief unweigerlich nach entsprechenden Schutzmassnahmen. Alle diese Ordnungen unterlagen daher dem einen Grundgedanken: der Existenzsicherung des einzelnen Handwerkers durch eine möglichst gleichmässige, «gerechte» Verteilung der vorhandenen Arbeit auf sämtliche Meister einer bestimmten Innung. Wie aber konnte ein solches, jeglichen Wettbewerb ausschliessendes Prinzip der wirtschaftlichen Gleichheit in der Realität überhaupt umgesetzt werden? Erreicht wurde dieses Ziel in erster Linie durch eine engmaschige Reglementierung und Normierung, aber auch durch die strikte gegenseitige Überwachung der Handwerksgenossen und deren vielfache Appelle an die Obrigkeit, sie durch Privilegien und Verbote in ihrem Gewerbe zu schützen, damit «wir unnss desser bas jnn unserem Vatterlandt mitt wyb unnd kinder erhalten und erneren künden», wie es in einer Bittschrift der Schlosser, Büchsenschmiede, Uhren- und Windenmacher von 1583 heisst.9
Ein zentrales Anliegen der Handwerksordnungen galt sowohl in Schaffhausen wie auch andernorts der minutiösen Regelung der Konkurrenz. Im Vordergrund der betreffenden Massnahmen stand generell die Beschränkung der Betriebsgrösse anhand verbindlicher Vorschriften über die höchstzulässige Zahl der Gesellen und Lehrlinge in den einzelnen Werkstätten.10 In den «Articul», der Handwerksordnung der Schneider von 1695, wird zum Beispiel klar festgehalten, dass ein Meister lediglich «selbviert» arbeiten dürfe, das heisst zusammen mit drei Gesellen oder aber mit zwei Gesellen und einem Lehrjungen. Darüber hinaus solle er weder befugt sein, einen Schneider zu entlehnen noch einen nach Feierabend anzustellen. Auch sei ihm nicht erlaubt, bei voller Besetzung seiner Werkstätte zusätzlich seine Frau oder seine Tochter in ein Kundenhaus mitzunehmen.11 Dass allerdings in der Folge immer wieder gegen diese Weisung verstossen wurde, die keinerlei Rücksicht auf die individuellen Anlagen und Fähigkeiten des Einzelnen nahm und jede unternehmerische Eigeninitiative unterband, erscheint nicht weiter verwunderlich. Sowohl die Protokolle wie auch das Strafbuch der Schneider enthalten reihenweise Einträge von Bussen, mit denen Meister belegt wurden, die ihre Werkstatt respektive die darin befindlichen «Stök» oder Schneiderbüsten für kürzere oder längere Zeit «übersetzt gehabt» hatten.12 Andere Meister wiederum mussten sich vor dem Handwerk verantworten, weil sie vorübergehend einem Berufskollegen «wider dess Articuls Erkantnuss» einen Gesellen ausgeliehen hatten,13 oder sie erhielten restriktive Auflagen, wenn sie ihre Frauen, Töchter oder Schwestern in der Werkstatt oder bei der Kundschaft beschäftigen wollten.14 Meister Tobias Hageloch beispielsweise wurde untersagt, seine Schwester, die den Schneiderberuf immerhin mit Bewilligung des Handwerks erlernt hatte, in die Kundenhäuser mitzunehmen, «aber zuo Hauss dörffe er sy wohl zuo seiner Arbeit brauchen», allerdings nur so lange, als sie keinem anderen Meister «schaden thäte». Und Hans Conrad Hechelmüller wurde kurzerhand beschieden, dass er entweder einen Schneider oder aber seine Schwester aus der Werkstatt «hinweg thuon» müsse.15
Auch in anderen Handwerken wurde dem Prinzip des Kleinbetriebes grundlegende Bedeutung zugemessen. Die Messerschmiede etwa legten 1683 ausdrücklich fest, dass «fürohin kein Maister mer dan selbst viert arbeitten noch wercken söhle, namlichen zwen Gesellen unnd ain Knabenn». Bei den Gürtlern und den Kürschnern durfte ein Meister sogar nur gerade mit zwei Gesellen arbeiten, wenn er nicht «wider unser habende Gesetz u. Ordnung» verstossen wollte.16 In die gleiche Richtung zielte auch das Verbot der Werkstattgemeinschaft, mit dem verhindert wurde, dass zwei Meister sich zusammentaten und miteinander in derselben Werkstatt arbeiteten. Die Schmiede lockerten diese Bestimmung im Jahre 1719 immerhin so weit, dass Meisterssöhne zwar bei ihrem Vater arbeiten durften, wenn sie bereits Meister waren, «sollen aber keine eignen Kunden haben».17 Ansonsten hielten die einzelnen Innungen eisern an diesen Beschränkungen der Betriebsgrösse fest, die den Meistern einerseits wohl ein mehr oder weniger gesichertes Auskommen verhiessen, sie anderseits jedoch jeglicher geschäftlichen Entwicklungsmöglichkeiten beraubten. Umgekehrt wurde allerdings mit klaren Regelungen dafür gesorgt, dass jeweils alle Werkstätten gleichmässig mit der erlaubten Anzahl Arbeiter besetzt werden konnten. Zu diesem Zwecke beschlossen beispielsweise die Kupferschmiede im Jahre 1707, dass in der für ihre Gesellen bestimmten Herberge eine Tafel angebracht werden solle, auf der die Meister verzeichnet seien, die das Handwerk betrieben, und es solle immer bei demjenigen Namen, «wo das Umschauwen lesthin gebliben», ein Zäpflein gesteckt werden, damit dann «der Ornung nach forth gefahren werden» könne.18
Dem Grundsatz der Chancengleichheit innerhalb der einzelnen Handwerke unterlagen ebenso die restriktiven Vorschriften über das Feilhalten und den Verkauf von Waren in den Werkstätten und auf dem Markt. Im November 1671 kam das Handwerk der Maler, Glasmaler und Glaser überein, «kein Meister solle 2 offne Leden haben und in beiden gleiche Wahren, sonder solle nur einen Laden offen stehen, wo gleiche Wahren darein seind».19 Speziell während der Märkte wurde jeweils peinlich darauf geachtet, dass keiner sein Geschäft auf Kosten der anderen ausdehnen konnte. In der Meisterschaft der Wollweber war es 1717 ob dieser Frage zu Streitigkeiten gekommen, worauf die acht Handwerksgenossen einstimmig beschlossen und unterschriftlich bekräftigten, dass ein Meister fortan an den Wochenmärkten seine Produkte nur an einem Ort, entweder bei sich zu Hause oder an einem Stand, feilhalten dürfe. An den Jahrmärkten hingegen stehe es ihm frei, zusätzlich zu seinem Verkaufsstand auf der Strasse «auch einen Stand auf dem Rahthaus zu haben».20 Strikte untersagt wurde den Meistern jedoch gleichzeitig, Loden zu verkaufen, der nicht in Schaffhausen hergestellt worden war.21 Trotz der angedrohten hohen Busse hielten sich aber offenbar nicht alle an diese Einschränkungen, so dass die betreffenden Abmachungen mehrmals neu «confirmiert» werden mussten.22 Ähnliche Bestimmungen setzten auch den Expansionsgelüsten anderer Handwerker enge Grenzen.23 Damit ja keiner den anderen übervorteilen konnte, regelten die Gürtler sogar die Eröffnung des Marktes aufs Genaueste: Wenn ein Meister oder dessen Angehörige ihre Waren auf den Märkten oder Kirchweihen anbieten, so solle jeder mit dem Auslegen auf die anderen warten, und zwar zwischen Ostern und dem Bartholomäustag bis 6 Uhr, während des übrigen Jahres bis 8 Uhr. Sobald aber der Glockenschlag zur bestimmten Stunde ertönte, durfte mit dem Verkauf begonnen werden, ungeachtet dessen, ob die anderen Berufskollegen ebenfalls schon anwesend waren. Kamen aber auswärtige Meister auf den Markt und legten ihre Ware vor der bestimmten Stunde aus, so waren die Einheimischen berechtigt, es ihnen augenblicklich gleichzutun.24 Aus denselben Überlegungen hielten 1703 die Schneider fest, dass, wenn künftig ein Meister «vor der Zeit» in ein Kundenhaus gehe «und über die Zeit arbeitten thäte», er mit einer Strafe von 1 Pfund Heller belegt werden solle.25
Besonders kennzeichnend für diese alte, «gerechte» Wirtschaftsordnung war das absolute Verbot jeglicher Art von aktiver Kundenwerbung. Kein Meister durfte nach damaliger Auffassung «der Arbeit nachlaufen», Leute gezielt ansprechen oder sich sonstwie anpreisen, um dadurch zu Aufträgen zu gelangen; vielmehr sollte er in seiner Werkstatt oder bei seinem Verkaufsstand bleiben und dort auf Kundschaft warten. Demgemäss fassten beispielsweise die Weissgerber 1630 den einstimmigen Beschluss, dass «wann man, sey wo es wölle, feil habe oder nit feil habe, so iemands uf oder ab gath», man ihn «weder aufhebe» noch einem anderen Meister Kunden abwerbe, es sei denn, dass diese von sich aus in die Werkstatt oder vor den Stand kämen.26 Desgleichen wurde den Huf- und Waffenschmieden in einer Ratserkenntnis von 1666 «bey Straff eines Mark Silbers» auferlegt, dass keiner dem anderen seine Kunden weder «abspannen» noch Leute dazu «bereden und nöthigen» solle, bei ihm arbeiten zu lassen, sondern dass «jedem der freye Zug, zu welchem Meister er Lust hat», zu gewähren sei. 1693 bestätigten sie dieses Gebot einhellig auch in ihrem Handwerk, nachdem einer ihrer Meister gegen einen Mitmeister geklagt hatte, dass dieser einen Kunden wegen Arbeit angesprochen habe.27 Auch die Wagner einigten sich 1670 darauf, dass, wenn ein Meister einem anderen einen Kunden «absetze» oder ihn anrede, er jedes Mal mit 10 Batzen gebüsst werden solle.28 Derartige Übertretungen beschäftigten die verschiedenen Handwerke bezeichnenderweise recht häufig: Der Schmied Johannes Sulzer war dem Obervogt im Laufen «nachgelohffen», dass er bei ihm «schaffen» lassen sollte. Der Kupferschmied Jeremias Wüscher hatte mit dem neuen Spitalmeister Stokar «Verständnuss gehabt und sein Pärson recumandiert», dass er ihm die Aufträge des Spitals zukommen lasse. Der Schmied Caspar Bäschlin wiederum war «in den WürdzHäusern» auf Kundenfang aus. Und auch bei den Schneidern kam es mehr als einmal vor, dass sie Leute «umb Arbeit angeredt haben». Im Sattlerhandwerk schliesslich wurde die Witwe von Amtmann Deggeller 1742 beschuldigt, «dass sie hin und her in die Heüser lauffe und anderen Meistern durch sie und die Ihrigen die Kunden anreden lasse, dass man bey ihro möchte arbeiten lassen, welches auch klar wider unser Handwerksbrauch und Gewonheit seye».29
Diesem generellen Verbot, die Kunden eines anderen anzureden, fügten die Schneider in ihrer Handwerksordnung von 1695 zugleich die weitere Bestimmung an, dass kein Meister bei einem Kunden eines anderen Meisters arbeiten dürfe, ohne sich bei diesem vorher erkundigt zu haben, ob der betreffende Kunde ihm noch etwas schuldig sei. Auch für die Wagner gehörten diese beiden Bestimmungen gleichsam zusammen; in ihrer Ordnung von 1670 verboten sie den Meistern bei Strafe, Arbeit bei einem Kunden anzunehmen, der einen anderen Meister noch nicht bezahlt hatte.30 Bei den Schmieden, den Wagnern und den Schneidern kam es in dieser Sache öfter zu Anschuldigungen fehlbarer Meister.31 Die Sattler verfügten 1732, dass einem säumigen Zahler «kein Stich mehr» gearbeitet werden solle, bis er seine Schulden abgetragen habe, und auch die Steinmetzen entschieden 1764, dass Meister Hans Jacob Bringolf die Arbeit bei Junker Hauptmann Peyer «nicht angreiffen» solle, «bis der alt gewesne Meister Heinrich Schoop bezalt sey».32
Als ein weiteres stark wettbewerbshemmendes Element erwies sich sicherlich auch die Fixierung der Löhne und Preise für die einzelnen Handwerke. Schon seit dem 15. Jahrhundert hatte es die städtische Obrigkeit als ihre Aufgabe angesehen, zum Schutze des «gemeinen Mannes» die Mindestlöhne für die Berufsleute und die Höchstpreise für deren Erzeugnisse in sogenannten Taxierungen verbindlich festzulegen. Vor allem aus den überaus teuren und beschwerlichen Zeiten im und nach dem Dreissigjährigen Krieg liegen nicht weniger als fünf solcher Verordnungen vor, die jeweils den aktuellen Verhältnissen angepasst worden waren; die letzte datiert von 1655. In der Folgezeit scheinen preisliche Richtlinien seitens der Obrigkeit nicht mehr notwendig gewesen zu sein. Durch den starken Konkurrenzdruck innerhalb der einzelnen Gewerbe waren die Preise zwangsläufig gesunken, und für die Handwerke ging es jetzt vielmehr darum, die jeweiligen Mindestpreise zu bestimmen und gegen deren häufige Unterbietungen vorzugehen.33
In den Protokollbüchern der Schaffhauser Handwerke finden sich denn auch fortwährend Einträge dieser Art. 1685 beispielsweise wurde Meister Johannes Sulzer gebüsst, weil er für 5 Gulden ein Pferd beschlagen habe, was unter dem von den Schmieden bestimmten Betrag liege. In den beiden folgenden Jahren beschloss dieselbe Meisterschaft einhellig, dass keiner von ihnen das Pfund Hufeisen billiger anfertigen solle als für 6 Kreuzer und das Pfund Eisenreifen nicht wohlfeiler machen und anschlagen solle als für 6 Kreuzer. Weitere Preisvorschriften erliessen die Schmiede im November 1688 unter Androhung einer Busse bei Nichteinhaltung. 1693 ergänzten sie diesen Katalog mit dem warnenden Hinweis, wenn ein Meister einen Karst für 10 Kreuzer hergeben würde, dann solle er «abgebüs[s]t» werden, da doch dieses Gerät nicht unter 3 Batzen (11¼ Kreuzer) verkauft werden dürfe. Und 1758 vereinbarten sie «einheilig», dass kein Meister, «er sej wär er wolle», eiserne Fassreifen «anderst zu machen befügt seie» als zu 1½ Kreuzer das Pfund.34 Auch bei anderen Handwerken finden sich in diesem Zeitraum ganz ähnliche Beispiele. Die Meisterschaft der Wagner legte 1692 den Preis für ein Paar Karrenräder auf mindestens 40 Batzen (31/3 Gulden) fest, und die Nadler fixierten noch 1789 ihre Tarife für eiserne und messingene Haften und eiserne Stiefelhaften.35 Die Wollweber trafen 1737 die verbindliche Vereinbarung, den weissen Loden per Elle «nicht anderst als um 20 xr [Kreuzer]zu geben», und drohten bei Zuwiderhandlung eine Busse von 1 Kronentaler an. Und 1752 bekräftigten sie nochmals, dass dieses Produkt nicht unter den vereinbarten 20 Kreuzern verkauft werden dürfe.36 In der Ordnung des Schneiderhandwerks von 1695 wurde deutlich festgelegt, dass ein Meister nicht weniger als 3 Batzen Tagelohn verrechnen dürfe, um auf diese Weise nicht «Arbeit oder Kunden an sich zu ziehen». Dennoch musste 1729 Meister Hans Martin Veith vor das Handwerk der Schneider zitiert werden, weil er «schon Jahr und Tag» für 2 Batzen pro Tag bei einem anderen Meister gearbeitet hatte. Er wurde dafür entsprechend bestraft und gleichzeitig ermahnt, dass er «von Stund an gleich andren Meistern weniger nicht Taglohn nemmen» solle als 3 Batzen.37
Meister Veith stand mit seinem Verstoss allerdings keineswegs allein da, im Gegenteil: Immer wieder versuchten einzelne Preisbrecher auch in anderen Handwerken, einem Mitmeister einen Auftrag abzujagen. Nicht umsonst legte die Meisterschaft der Schmiede in ihrem Maibott 1755 strikte fest, dass künftig nicht mehr unter dem vereinbarten Preis gearbeitet werden dürfe und dass «Stümpler», die gegen dieses Gebot verstiessen, gebührend bestraft werden sollten.38 Schon vier Jahre später fertigte jedoch einer von ihnen, Heinrich Harder, einem Fuhrmann von Guntmadingen neue Räder zu einem tieferen Preis an, «als man sonsten Fuhrleüten Reder macht», nämlich für 3½ statt 4 Gulden, «welches also einem Handwerk sehr nachtheilig und kein Meister auf solche Weis mehr sicher ist, dass er seine Kunden behalten kann».39 Schon früh bestand offenbar auch bei den Kupferschmieden dieses leidige Problem des Unterbietens unter Handwerksgenossen. So wurde im November 1700 gegen Meister Johannes Veith geklagt, dass er das von ihm hergestellte Geschirr wohlfeiler abgebe, als vom Handwerk ausgemacht, weshalb er von einem Mitmeister als «Brotdieb» beschimpft wurde. Den Beschuldigten scheint dies freilich wenig beeindruckt zu haben, denn 1717 musste ihm erneut vorgehalten werden, dass er seine Ware «umb ein spötischen Bris verkaufe».40 Ganz ähnlich lautete die Anklage schliesslich auch gegen den Wagnermeister Heinrich Moser, der 1756 einem Müller ein ganz neues Wägelchen samt allem Zubehör für 12 Gulden angefertigt hatte, was «offendtlich einer Stümbeley gleich sehe».41 Wie in einem späteren Kapitel noch zu zeigen sein wird, machte sich diese Form der Stümperei weit stärker noch auf der Schaffhauser Landschaft bemerkbar.
Eine ganz wesentliche Bedeutung kam unter der herrschenden Wirtschaftsordnung nicht zuletzt auch der gerechten, also möglichst gleichmässigen Aufteilung des Rohmaterials auf die einzelnen Meister in verschiedenen Branchen zu. Die Glaser etwa sahen sich schon 1649 zu der folgenden Regelung genötigt: «Alls dan so Glas har komme, soll der Jüngst Meist[er] jedlichen Meister solchs verkünden», damit jeder «nach seiner Nottwendigkeit Glas bekommen» möge. Die Beschaffung des Glases und die individuelle Versorgung aller Meister blieb auch in der Folge ein Dauerthema innerhalb dieses Handwerks.42 Bei den Kupferschmieden galt offensichtlich das Gleiche in Bezug auf das begehrte Altkupfer. Zu welchen Mitteln die Meister bisweilen greifen mussten, um an das benötigte Rohmaterial zu kommen, illustriert eine Bestimmung von 1636. Demnach durften kein Meister oder «die Seinigen» in Zukunft Altkupfer «vor dem Thor oder auf der Strass» kaufen, auch «keini Bradickhen» [Praktiken], keine unlauteren Abmachungen, mit den Torhütern treffen, ansonsten er eine Strafe von 8 Reichstalern zu gewärtigen hatte. Gleichzeitig wurde auch ein bestimmter Höchstpreis für das Pfund Kupfer festgelegt, der nicht überboten werden sollte. In der Praxis musste diese Limite allerdings immer wieder erhöht und den Realitäten angepasst werden. 1762 gelangte man angesichts der hohen Materialpreise «nach viehlen pro und contra Discursen» sogar zu der für die damalige Gleichheitspolitik höchst erstaunlichen Erkenntnis, «dass weillen dieses Übel datto so stark überhandt genommen, als es noch zu keinen Zeitten gewessen und keiner an kein Gesetz und Ordnung sich mehr wolle binden lassen, so solle bey diesen höchst verderblichen Zeitten jeder auf seyn eigen Bestes sehen».43
Ein stetig wiederkehrendes Problem bedeutete in diesem Zusammenhang auch der von Einzelnen praktizierte «Fürkauf», der Aufkauf von Kupfer zwecks Hortung oder zum gewinnbringenden Weiterverkauf. 1737 wurde dem Handwerk beispielsweise hinterbracht, dass hin und wieder verdächtig viel Kupfer zusammengekauft werde, worauf man unverzüglich und einmütig den Beschluss fasste, dass ein Meister, wenn er solches Kupfer kaufe und es sich auf einen halben oder gar einen ganzen Zentner belaufe, zwei Jahre lang aus der Meisterschaft ausgeschlossen sein solle und ausserdem 8 Gulden als Strafe zu bezahlen habe.44 Vor allem der Hammerschmied Mittler im Laufen musste wegen Handels mit rohem Kupfer mehrmals zur Rechenschaft gezogen werden, aber auch Vogtrichter Pfister kaufte zu wiederholten Malen «so viell alter Kupfer», dass dem Handwerk dadurch angeblich grosser Schaden entstand. Und dem Gerber Schalch, der zwei alte Kessel verkauft hatte, wurde unmissverständlich bedeutet, dass er «absollument sich im geringsten in nichts melliren und mischen solle, was von unserem Handwerk abhanget, weillen wir Brieff und Sigel haben von Unseren Hochgeacht WohlWeisen Gnädig. HH[erren], dass das neüe und alte Kupfer zu kauffen und verkauffen einzig und allein dem Lobl. Kupferschmid Handwerk zugehöre».45
Über den ihnen schädlichen «Fürkauf» beklagten sich auch die Weissgerber. So hatte zum Beispiel 1755 ein Wollweber aus Hüfingen in Schaffhausen rohe Schaffelle gekauft und sie gleich am Ort wieder verkaufen wollen. Aber auch die Metzger wurden bezichtigt, Handel im grossen Stil mit Kalbfellen zu betreiben. Für den Bezug von Hirschhäuten traf die Meisterschaft 1760 die Verabredung, dass diese «der Ordnung nach, von dem eltesten bis zu dem jüngsten Meister», beim jeweiligen Amtsbürgermeister bezogen werden könnten, allerdings unter der Bedingung, dass keiner sich erlaube, für die Felle von Hirschen, Schmaltieren und Rehen mehr zu bezahlen als die vereinbarten Höchstpreise.46 Auch die Kürschner sahen sich aufgrund des knapper werdenden Angebots an «Wildwahr» und Geissfellen wiederholt genötigt, die Preise für die verschiedenen Arten von Fellen verbindlich festzulegen und gleichzeitig bei Strafe zu verbieten, Leute auf der Strasse oder anderswo auf solche Waren anzusprechen. Wie bei den Kupferschmieden musste jedoch auch hier «wegen entstehenden Verdriesslichkeiten» am Ende «der freye Kauff dieser Wahr» zugelassen werden, und zwar in dem Sinne, «dass ein jeder Meyster nach seinem Wohlgefallen bezahlen köne, was er wolle».47
1 Sammlung Schweizerischer Rechtsquellen. Die Rechtsquellen des Kantons Schaffhausen, Erster Teil: Stadtrechte, Bd. 2: Das Stadtrecht von Schaffhausen II, Das Stadtbuch von 1385, bearb. von Karl Schib, Aarau 1967 (zit. SSRQ Schaffhausen 2), S. 131 f., Nr. 235; vgl. auch S. 116, Nr. 201.
2 Vgl. dazu Ernst Rüedi, Die Zunftverfassung von 1411/1535, in: Schaffhauser Beiträge zur vaterländischen Geschichte 38, 1961, S. 18–45.
3 Vgl. Karl Schib, Die Entstehung und der politische Sieg der Zünfte im Jahre 1411, in: Schaffhauser Beiträge zur vaterländischen Geschichte 38, 1961, S. 7–17.
4 Sammlung Schweizerischer Rechtsquellen. Die Rechtsquellen des Kantons Schaffhausen, Erster Teil: Stadtrechte, Bd. 1: Das Stadtrecht von Schaffhausen I, Rechtsquellen 1045–1415, bearb. von Karl Mommsen, abgeschlossen von Hans Lieb und Elisabeth Schudel, Aarau 1989, S. 244–246, Nr. 148; SSRQ Schaffhausen 2 (wie Anm. 1), S. 94–96, Nr. 168, S. 100 f., Nr. 176, und S. 129–131, Nr. 233.
5 Stadtarchiv Schaffhausen, A II 05.01.057, Stadtrechnung 1435, S. 78, und A II 05.01.074, Stadtrechnung 1441, S. 81. – SSRQ Schaffhausen 2 (wie Anm. 1), S. 132, Nr. 237. – Anne-Marie Dubler, Handwerk, Gewerbe und Zunft in Stadt und Landschaft Luzern (Luzerner Historische Veröffentlichungen, Bd. 14), Luzern 1982, S. 98 und 150.
6