Bildnachweis Umschlag:
«Täklä Haymanot, die Jungfrau Maria mit dem Kind und der heilige Georg», Maler unbekannt, Ausschnitt
Völkerkundemuseum der Universität Zürich, Inv.- Nr. 16862
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation
in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten
sind im Internet über www.dnb.de abrufbar.
© 2020 Rudolf Burkhardt
Gestaltung: Jordy Oral, themadesign, Zürich
Herstellung und Verlag: BoD – Books on Demand GmbH, Norderstedt
ISBN: 978-3-7494-0493-3
Geboren wurde ich 1948. Als junger Mann studierte ich Germanistik
und Philosophie an der Universität Zürich und schloss mit dem Lizentiat
und dem Diplom für das Höhere Lehramt ab.
Beruflich war ich über lange Jahre an einem Gymnasium
und später an einer kaufmännischen Berufsschule mit Berufsmaturität
als Deutsch- und Philosophielehrer tätig.
Dieses Buch ist aus der Not heraus entstanden, dass es dazu niemals
eine Not geben darf. Der offensichtliche Widerspruch ist nur dadurch aufzulösen,
dass es aus reiner Lust an der Sprache und der Wiederbelebung
alter Sagen, Mythen und historischer Ereignisse entstanden ist.
Frei von der Bedrängnis des Alltags und nach einem erfüllten Berufsleben
reizte es einen Germanisten, Lyrik, Epik und Dramatik verschränkt zu sehen.
Dazu eignet sich eben am besten die Ballade und – etwas vermessen – ein neu
interpretiertes Epos aus der Zeit des frühen Mittelalters.
Meginrat, ein Alemanne edlen Blutes,
Stammt nah dem Neckar aus dem schönen Sülichgau.
Schon als Knabe war er fleißig und tat Gutes,
So kam er in die Klosterschule Reichenau.
Der zarte Knabe zeigt sich früh schon als geschickt.
Zutiefst gelehrig stets und in der Seele rein,
Macht er große Ehr dem heil’gen Benedikt
Und tritt als Jüngling in den frommen Orden ein.
Von der schönen Reichenau zieht er nach Benken,
Am obren Zürichsee liegt eine Priorei.
Weisheit und Erleuchtung soll der Herr ihm schenken,
Nach Jahren ist ihm, dass er hier nicht glücklich sei.
Es führt ihn tiefe Sehnsucht in die Einsamkeit,
Am Etzelpass zu einem Quell von kühlem Lauf.
Zu kargem Leben ist der fromme Mann bereit,
Im Walde schlägt er eine Klausenhütte auf.
Von nah und fern besuchen ihn gar viele Leute,
Begehrend nach des frommen Mönches weisem Rat.
Eine Kapelle zeugt davon am Pass noch heute,
Doch merkt er, dass er seine Ruh verloren hat.
Nach sieben Jahren in der Klause geht er fort,
Vor der Flut verzagter Menschen muss er fliehen.
Bald findet er im Finsterwalde einen Ort,
So abgeschieden, dass sich’s lohnt, dort hinzuziehen.
Im halben Kreis zieht sich ein Hügel gegen Süden,
Reinstes Wasser spendet eine reiche Quelle.
Die neue Klause soll sich in die Wildnis fügen,
Helfer bauen eine steinerne Kapelle.
Fünfundzwanzig lange Jahre wirkt er dort
In Abgeschiedenheit und reinster Nächstenliebe.
Als Eremit vertieft er sich in Gottes Wort,
Doch eines Tags besuchen ihn zwei freche Diebe.
Meinrad reicht den beiden Räubern Wein und Brot,
Zu stehlen und zu morden ziehn sie durch das Land.
Der herzensgute Mönch erahnt den nahen Tod,
Doch ohne Furcht begibt er sich in Gottes Hand.
Die Diebe glauben wahre Schätze zu erbeuten,
Vom Hörensagen loser Zungen wähnen sie,
So manche Gabe liege hier von reichen Leuten,
Doch nichts ist da als zahm gewordnes Federvieh.
Sie fallen über Meinrad her und töten ihn
Aus blinder Rache, weil sie nichts erbeutet haben.
Aus dem Tal heraus zum See hin woll’n sie fliehn,
Des Mordes Zeugen sind zwei kohlenschwarze Raben.
Die Raben ziehen Kreise über den Verruchten,
Wache Bauersleute werden aufmerksam,
Sie finden Meinrads Leiche, als sie nach ihm suchten.
Man setzt den feigen Mördern nach, so schnell man kann.
In Zürich werden sie entdeckt und gleich verhört.
Gnade können sich die Mörder nicht erkaufen,
Verurteilt werden sie vom Grafen Adalbert
Zum verdienten Tode auf dem Scheiterhaufen.
Und pilgerst du zur Waldstatt nah der beiden Mythen,
Dorthin, wo ein weltberühmtes Kloster steht,
So findest du zwei Raben, die den Frieden hüten
Auf einer Fahne, die im frischen Winde weht.
Nach: Das Kloster Einsiedeln. Geschichte, Beschreibung, Wirkungskreis, Umgebung. Von Prof. Dr. P. Albert Kuhn O.S.B., Kapitular des Stiftes Einsiedeln. Benziger 1926
Der Gotthard ist der einz’ge Weg nach Rom,
Zum heil’gen Vater soll die Reise gehn.
Der süße Wein des Südens wartet schon,
Wir woll’n das mächt’ge Kolosseum sehn.
Die Schöllenen ist eine tiefe Schlucht,
Gefährlich ist der schmale stiebend Steg.
Es scheint, als sei die enge Klamm verflucht,
Die wilde Reuß verhindert jeden Weg.
Es weiß nur Rat der Urner Landammann,
Er sinnt darauf, die Brückennot zu enden.
Er kennt nur einen, der das schaffen kann,
Doch wie entflieht man seinen list’gen Händen?
Im Urner Volk wird darauf abgestimmt,
Ob man des Teufels Hilfe haben will.
Keiner weiß, ob je das Werk gelingt,
Der Antrag siegt, im Volk wird’s totenstill.
Niemand will hier in Bedrängnis kommen,
Am Landammann bleibt dieser Handel hängen.
Wie er’s tat, hat keiner je vernommen,
Allein er selbst soll das Geheimnis kennen.
Dem Teufel war der Auftrag angenehm,
Ein solches Werk wünscht’ er sich immer schon.
Es soll der Mensch getrost hinübergehen,
Die erste Seele drüben ist sein Lohn.
Des andern Morgens staunen alle sehr,
Ein fester Bogen überspannt die Schlucht.
Zerstören kann die Brücke niemand mehr,
Auch wenn’s die wilde Reuß erneut versucht.
Mit grünen Augen wartet Beelzebub
Am andern End der Brücke schon gespannt.
Ein einzig Menschlein ist ihm schon genug,
Im Feuer wird’s geröstet und verbrannt.
Der Landammann tritt vor die Brück und spricht:
«Du Teufelskerl, heut kriegst du deinen Lohn.
Vergiss das Bündnis mit den Urnern nicht,
Vielleicht reut dich der Handel morgen schon.»
Nun schießt ein Ziegenbock hervor wie wild
Und rast gereizt auf den Gehörnten los.
Er sieht in ihm sein schieres Ebenbild,
Doch sieht er die gekrümmten Hörner bloß.
Der Teufel rast vor Wut, fährt aus der Haut,
Zerreißt den Bock in Tausend kleine Stücke.
Die ganze Nacht hat er umsonst gebaut,
Nun steht den Urnern eine feste Brücke.
Zerschmettern will er sie, er fährt ins Tal,
Wo mächt’ge Felsen auf den Weiden liegen.
Rächen will er sich auf jeden Fall,
Die Urner sollen ihre Strafe kriegen.
Er schleppt den größten Felsen nun bergan,
Ein altes Mütterchen kreuzt seinen Weg.
Er keucht und schnaubt und trägt so gut er kann
Den Stein mit seinem Bocksfuß übern Steg.
Behände schlägt das Mütterchen das Kreuz,
An seiner Klaue hat sie ihn erkannt.
Gott half der alten Frau, die Urner freut’s,
Das Christuskreuz hat seine Macht gebannt.
Der Teufel zerrt und reißt umsonst am Stein,
Es zittern ihm vor blinder Wut die Glieder.
Aus vollem Herzen lacht das Mütterlein,
Mit Schwefeldampf fährt er zur Hölle nieder.
Wer konnte klüger als der Teufel sein?
Wer hat geschafft, was wahrlich keiner kann?
Im Tal liegt als Beweis der Teufelsstein,
Es war der schlaue Urner Landammann.
Nach Meinrad Lienert, Schweizer Sagen und Heldengeschichten, Levy und Müller, Stuttgart 1914.
Land auf, Land ab hört man des freien Volkes Klagen allenthalben,
Die Vögte treiben’s wüst im Lande Uri, Schwyz und Unterwalden.
Es fehlt im ganzen Land des letzten Staufer Kaisers straffe Hand,
Der Papst zu Rom, er hat ihn abgesetzt und obendrein gebannt.
Die Vögte pressen Steuern; Geiz und wüste Tyrannei regieren,
Was von des Kaisers Hand geschrieben steht, das will man nicht verlieren.
Die Fürsten werden reich und dreist in dieser kaiserlosen Zeit,
Des Herzogs schiere Gier macht sich in allen Landen mehr als breit.
Des Landes freche Vögte wähnen alle Macht in ihren Händen,
Die Freiheitsbriefe hindern keinen Vogt, zu brennen und zu schänden.
Der Landammann vom Urnerland scheint keinen Pfifferling mehr wert,
Frei kann das Land nur bleiben mit dem kühnen Griff zum eisnern Schwert.
Stauffacher, Fürst und Melchtal setzen sich im Lande Schwyz zusammen,
Ein jeder nimmt sich mutig vor, die drohende Gefahr zu bannen.
Ein ewig Bündnis soll sie einig, stark und wehrhaft werden lassen,
Sie stehen fest in Not einander bei und greifen zu den Waffen.
Beim Seelisberg am Rütli schwören freie Männer einen Eid,
Auf dass den weiten Tälern die verbriefte Freiheit ewig bleibt.
Im Schächental lebt auf dem Schochenland der Bauer Wilhelm Tell,
Als meisterlicher Schütze ist ihm keine flinke Gams zu schnell.
Durch harte Arbeit und mit freier Jagd ernährt er Frau und Kind,
Viel Freude herrscht im Haus, dass ihm zwei prächt’ge Söhne eigen sind.
Nach Altdorf will er heut, trotz seines Weibes redlicher Bedenken,
Es darf der Walter mit, der Ehni wird ihn sicher reich beschenken.
S’ist wunderschön, den Weg vom fernen Klausen her ins Tal zu gehn,
Es trägt der Tell die Armbrust mit, ein Schütze wird hier gern gesehn.
In Altdorf ist der Markt von Menschen und Soldaten über voll.
Auf einer Stange steckt ein Hut, den man in Demut grüßen soll,
Als wär’ der Hut der Landvogt selbst und mindestens von Gottes Gnaden,
Achtlos geht Tell vorbei, ein freier Mann ist dafür nicht zu haben.
«In Kaisers Namen haltet an, könnt ihr zum Gruß euch nicht bequemen?
So spricht ein stämmig Waffenknecht und will den Tell gefangen nehmen.
Die Menge tobt, man bürgt für Tell und ist zum Widerstand bereit,
Da kommt der gnäd’ge Landvogt selbst herbei und mischt sich in den Streit.
«Verweigerst du die Ehr dem Kaiser, Tell, die Demut vor dem Hut,
Den ich an seiner Statt zur Prüfung des Gehorsams richten ließ?
Verhöhnst du mich, der in des Kaisers Namen hier nichts andres tut,
Als hinzustehn mit Ross und Knecht, mit Hellebarde und mit Spieß.
«Verzeiht, mein Herr, des Kaisers Ehre soll nicht angetastet werden.
Doch sagt, von welchem Kaiser sprecht ihr hier, vielleicht von König bloß,
Der auch schon längst begraben ist und niemals Kaiser war auf Erden.
Ihr wisst, dass Friederich mit unsrem Volk ein heilig Bündnis schloss.
Der Papst hat ihn entmachtet und verhängte über ihn den Bann,
Bald starb der Staufer letzter Kaiser drauf vor Kränkung und vor Gram.
Das Reich ward aufgelöst in tausend Wirren und in Fürstenzwist,
Vom Kronengut nimmt sich ein jeder Fürst, was nicht sein eigen ist.
Dies Volk, mein Herr, hat von des Kaisers eigner Hand verbriefte Rechte,
Nicht wie eure Vögte sind die freien Urner Habsburgs Knechte.
Wollt ihr den deutschen Kaiser, wie die Fürsten schworen, redlich ehren,
Könnt ihr dem Urner Volk die angestammten Rechte nicht verwehren.
Wollt ihr, mein Herr, wie es mir scheint, in böser Absicht Unrecht tun,
So spießt des Kaisers Krone statt des Huts auf eure Fahnenstange.
Lasst das gemeine Volk vorüberziehn, es soll mit Spott nicht ruhn,
Damit ein jeder sieht, dem Vogt ist solcher Frevel gar nicht bange.»
«Verruchter Kerl, du sprichst so spitz, wie deiner Armbrust Pfeile sind,
Ich könnte dich in Ketten legen und in der Gruft vermodern lassen.
Ich weiß weit Bessres für den stolzen Meisterschützen und sein Kind,
Den Meister sollst du zeigen können und darfst mich gerne dafür hassen.
Es heißt, du schießt vom Apfelbaum die Frucht auf ganze hundert Schritte,
So zeig mir deine Kunst, schieß einen Apfel von des Knaben Haupt.
Wenn’s wirklich stimmt, kein bessrer Schütze käme aus der Jäger Mitte,
Dann triffst du mittendurch und frei vom Platz zu gehn sei dir erlaubt.»
«Mein Herr, ihr könnt’s von einem liebend Vater ernsthaft nicht begehren,