Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:
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©2021 Johann Henseler
Herstellung und Verlag:
BoD – Books on Demand GmbH,
Norderstedt
ISBN 9783753429274
Ich widerspreche nicht der These, dass das Verständnis für und der Umgang mit Technik genetisch vorgezeichnet sind. Allerdings widerspreche ich der These, dass insbesondere, vielleicht sogar ausschließlich, das männliche Geschlecht dieses Technik - Gen besitzt.
Ich kenne jedenfalls eine Frau, die mir bei vielen Gelegenheiten bewiesen hat, dass mein technisches Verständnis offensichtlich ihrem unterlegen ist.
Diese Frau ist Hildy.
Wir leben schon über 50 Kalenderjahre zusammen. Verglichen mit der Dauer des Zusammenseins anderer Ehepaare während eines Kalenderjahres sind wir mindestens drei Mal so häufig zusammen, so dass wir eigentlich 150 Ehejahre miteinander auskommen. In diesen 150 Jahren ist es nicht gelungen, dass Hildy mir ein grundsätzliches technisches Verständnis beibringen konnte, jedenfalls sind ihre Reaktionen heutzutage nicht von denen unterscheidbar, die ich vor Dezennien ertragen musste. Wie auch, wenn mein beschränktes technisches Verständnis genetisch determiniert ist?
Hildy hat auch eine Affinität zu technischen Spielereien, die mir fremd ist. Beispielsweise besitzt sie eine umfassende elektrische Weihnachtsdekoration, die für die Ausschmückung einer Mittelstadt reichen würde. Alles wird erleuchtet, selbst die Sitzfläche des Hockers für das Rätselheft auf der Toilette erfährt noch eine Beleuchtung durch kleine Lampen, ebenso wird die von mir inbrünstig gehasste Treppe illuminiert. Aber eins muss sein: eine Fernbedienung mit Zeitschaltuhr, damit die Lampen rechtzeitig keinen Strom mehr verbrauchen, wenn Nachtruhe eingekehrt ist. Sämtliche Enkel finden diese Fernbedienung so faszinierend, dass sie schon morgens beginnen, damit zu spielen, so dass ein ständiges Geflackere in der Wohnung herrscht. Zusätzlich werden batteriebetriebene Kerzen aufgestellt, die tatsächlich beim Pusten erlöschen. Eine Fülle unterschiedlicher Batterien wird benötigt, die ich aus Angst schon gar nicht anfasse, um nicht später erklären zu müssen, warum sie durcheinander geraten sind.
Hildy beherrscht nicht nur triviale technische Kompetenzen, wie das Lesen und Ausführen von Bauplänen für zerlegbare Möbel, sondern auch kompliziertere, wie das Schneidern von Kleidung und die Planung von Badezimmern. Ihr untrügliches Auge für nicht ganz fehlerfreie handwerkliche Arbeit macht ihren Kommentar zum Schrecken aller Könner, insbesondere jedoch aller Dilettanten, wozu sie mich zählt.
Es hält sich ungefähr die Waage, was wir uns gegenseitig zumuten: ich ihrem Kennerauge eine enorme Belastung, die zum Weggucken zwingt, sie dem bemühten und hoffnungsvoll Beifall erwartenden Pseudospezialisten in Gestalt meiner Person ein schiefes Lächeln, gefolgt von einem „Schön! Aber…“
Warum halten wir beide das durch?
Wir hängen es eben nicht groß auf. Im Hintergrund tobt zwar der Geschlechterkampf, der Kampf um Gleichberechtigung, der Kampf um die Berücksichtigung der eigenen Bedürfnisse durch den Partner. Die damit einhergehenden Verhaltensweisen, nämlich von meiner Seite Starrsinn und bewusstes Ignorieren von Hildys Ratschlägen, und von Hildys Seite intransigente und betonte Besserwisserei und Unzufriedenheit, treten höchstens in Ansätzen auf, und erschrocken erinnern wir uns dann gemeinsam daran, dass wir nie Sachen über unsere beiden Personen stellen wollten und wollen. Ein beiderseitiges Lächeln, verbunden mit Schulterzucken, macht uns dann klar, was für uns wichtiger ist.
Die folgenden Episoden mögen einen Einblick geben, wie sich das Verhältnis von Frau, Mann und Technik konkret äußert. Dabei würde ich empfehlen, die Rolle des Mannes nicht zu überschätzen.
Bevor ich Hildy kennenlernte, wurde der Gedanke der Gleichberechtigung von Mann und Frau schon offensiv von meiner Schwester vertreten. Blieb es noch weitgehend ungestraft, wenn ich bei anderen in irgendeiner Hinsicht die Fähigkeiten des weiblichen Geschlechts in Zweifel zog, so lehrte mich die Erfahrung, dass es fast an die Provokation eines Brudermordes grenzte, wenn ich dies bei ihr tat. Um keine zu großen Konflikte zu provozieren, war ich daher bereit, ohne Unmutsäußerungen mit ihr bei der Renovierung zusammenzuarbeiten.
Geplant war das gemeinsame Tapezieren des Hausflurs in der elterlichen Wohnung. Wir hatten beide noch nie tapeziert, was uns nicht davon abhielt, uns schon beim Anmischen des Kleisters gegenseitig lautstark zu belehren.
Dann schnitten wir die Bahnen auf die richtige Länge, wobei mich meine Schwester zurechtwies, dass ich zu ungenau gemessen hatte. Die Bahnen waren zu lang abgeschnitten, das Nachschneiden an der klebenden Tapete wollte sie sich ersparen.