Weltenbrand
Der Weg des Kriegers
Danara DeVries
Buchbeschreibung:
Elko und Loke sind nach Asgard aufgebrochen, um den Hammer zurückzuholen. Währenddessen kämpft Claire mit dem unstillbaren Verlangen nach der Energie des Kraftgürtels.
Als die Brüder in die unterirdischen Gewölbe des Ratssaals in Asgard eindringen, spürt Claire über Raum und Zeit hinweg die Gefahr. Doch sie kann ihnen nicht helfen.
Als die Falle zuschnappt, scheint alles verloren. Elko gefangen, Loke schwer verletzt und Claire nur noch ein Schatten ihrer selbst, von dem erdrückenden Verlangen gelähmt.
Rasantes Urban-Fantasy-Abenteuer mit einer Prise Romantik!
Über den Autor:
Danara DeVries ist das Pseudonym einer nerdigen Mutter von zwei Nachwuchs-Nerds und der Ehefrau eines Ober-Nerds. Zusammen begeistern sie sich in trauter Nerdigkeit für alles, was auch nur im Entferntesten mit Fantasy, Mystik und Science Fiction zu tun hat. Während die Nachwuchs-Nerds noch an der Vervollkommnung ihrer Kängeroo-Zitate und Nightwish-Songtexten arbeiten, widmet sich die Autorin Höherem. Das Schreiben eigener Texte ist ihr liebster Zeitvertreib und wenn sie nicht gerade durch virtuelle Welten hastet und mit Schwertern herumfuchtelt, versinkt sie in der nordischen Mythologie oder in anderen längst vergangenen Epochen.
Weltenbrand
Der Weg Des Kriegers
Danara DeVries
1. Auflage, 2018
© Danara DeVries– alle Rechte vorbehalten.
Cover by Bianca Holzmann (www.cover-up-books.de) unter Verwendung der Bilder von ©Shutterstock (Darren Whittingham; Igor Zh.; BERNATSKAYA OXANA; AlexZaitsev; Ase; Iacostique; StellaL, Khakimullin Aleksandr)
Lektorat: Anna Dörscheln, Korrekturleserlich
Korrektorat: Samira Dürig, Zebrabooks, Alexandra Zimmermann, Carmen Smorra
Namenspatenschaft für Halldor Meland: Andrea Ego Ott
1Danara DeVries
c/o Papyrus Autoren-Club
R.O.M. Logicware GmbH
Pettenkoferstr. 16-18
10247 Berlin
danara@danara-devries.de
https://www.danara-devries.de
Der Nachthimmel war so klar, dass er die Sternenbilder mit dem bloßen Auge erkennen konnte. Elko Jörd kannte sich aus mit Sternenbildern, er wusste immer, wo er sich befand, ob nun auf Midgard oder hier in Asgard. Die Sterne wiesen ihm zu jeder Zeit den Weg.
Der Himmel über Asgard war hell erleuchtet vom Licht aller Sterne, die jemals über Midgard erschienen waren. Ob heute oder vor tausend Jahren. Um in diesem funkelnden Wirrwarr ihre Position zu bestimmen, musste man sich auskennen. Elko lächelte. Er kannte sich aus. Definitiv.
Seufzend drückte er sich noch enger an die nasskalte Mauer und spürte die Steine in seinem Rücken. Die Dunkelheit verhüllte ihn und die gebückte Gestalt seines Bruders. Loke Jörd spähte vorsichtig um die Ecke eines Gebäudes und deutete ihm mit einer flüchtigen Handbewegung an, näher zu kommen. Geduckt schloss Elko zu seinem älteren Bruder auf und hockte sich neben ihn. Der Platz vor ihnen war hell erleuchtet. Das Licht der riesigen, im Boden verankerten Scheinwerfer tauchte die Halle des Rates in Rot- und Goldtöne.
Der Ratssaal und dessen imposante Erscheinung hätte sie zu jeder anderen Zeit in Erstaunen versetzt. Aber weder Elko noch sein Bruder hatten ein Auge für die Schönheit des an ein rundes Amphitheater erinnerndes Gebäude oder an die kunstvoll arrangierte Beleuchtung. Der einzige Laut, der Elko entwich, war unterdrücktes Fluchen.
»Du sagst es, Bruder«, knurrte Loke und ließ sich gegen die Hauswand sinken. »Da kommen wir nie rein!«
Vor dem Ratssaal standen in regelmäßigem Abstand Soldaten, eindrucksvolle Erscheinungen mit ihren blauen Umhängen, goldenen Flügelhelmen und weißen Brustharnischen. Jeder der Männer trug eine Lanze, die er neben sich aufgestellt hatte. Aus eigener Erfahrung wusste Elko, dass die Gardisten zusätzlich zur Lanze einen schweren Zweihänder auf der einen Seite und einen leichten Dolch auf der anderen Seite des Gürtels trugen. Doch diese Gardisten hatten nicht nur ihre Lanzen kampfbereit. Sie hatten die Visiere heruntergeklappt, den Kettenpanzer angelegt und trugen Arm- und Beinschienen.
Normalerweise wurden für den Wachdienst zwei Gardisten eingeteilt, diese trugen leichte Bewaffnung, bestehend aus Dolch und Zweihänder, zudem den Brustharnisch, den Helm und den standesgemäßen Umhang. Diese Gardisten befanden sich eindeutig in Alarmbereitschaft.
»Ich fürchte, dieser Empfang dient ganz allein dir, werter Bruder«, stichelte Loke und warf ihm einen grimmigen Blick zu.
»Das ist lächerlich«, brummte Elko und griff zum hundertsten Mal an seine Seite. Dort, wo üblicherweise seine Waffe hing, befand sich nur eine leere Schlaufe. »Ich bin weder besonders gefährlich, noch bewaffnet. Im Übrigen bin ich tot.«
»Sie fürchten dich trotzdem«, knurrte Loke und ließ die zwanzig Gardisten nicht aus den Augen.
»Kannst du uns nicht unsichtbar machen oder sowas?« Elko wedelte flüchtig mit der Hand. Sein Bruder warf ihm einen missbilligenden Blick zu.
»Was bitte schön verstehst du unter ›sowas‹? Ich kann nicht einfach einen Schleier über uns legen oder das Bewusstsein der Königlichen beeinflussen. Meland wird Vorkehrungen für solche Angriffe getroffen haben. Diese Sicherheitsmaßnahme hat absolut nichts mit deinem – und auch meinem – vornehmlichen Ableben zu tun. Wenn ich eine Wunderwaffe wie Thors Hammer aufbewahren würde, würde ich die Wachsoldaten auch verzehnfachen.« Loke schnalzte tadelnd. »Und überhaupt hat er gesehen, wie du auch ohne Hammer an den Kraftgürtel herankommst. Die Vorkehrungen sind für den unwahrscheinlichen Fall gedacht, dass du überlebt hast. Und wie du siehst, haben sich seine Maßnahmen ausgezahlt.« Loke grinste gehässig. »Also warum lässt du dir nichts Passendes einfallen, oh großer Krieger?«
Die bissige Wortwahl seines Bruders gefiel Elko überhaupt nicht und zu jeder anderen Zeit hätte er ihn zurechtgewiesen, vor allem, wenn er diesen Tonfall in der Öffentlichkeit angeschlagen hätte. Aber sie befanden sich nicht in einem Thronsaal und er war sich seiner Position überhaupt nicht mehr sicher.
Vor ein paar Tagen hatte Halldor Meland ihn mit Leichtigkeit seiner mächtigen Waffe beraubt und Thors Hammer hierher gebracht. Der Aufmarsch vor ihm ließ keinen Zweifel daran, wo er den Göttlichen aufbewahrte. Und nicht nur das! Halldor Meland hatte ihn dazu gezwungen, Claire mit ihrem Schmerz und ihrem Verlangen alleinzulassen. Elko presste zornig die Lippen aufeinander. Er würde ihn in Stücke reißen! Nur Meland war für Claires Zustand verantwortlich. Er hatte dafür gesorgt, dass das Portal, durch das er wenige Augenblicke zuvor mit dem Hammer verschwunden war, in einer Explosion biblischen Ausmaßes detonierte und ihn und seine Freunde töten würde. Zum Glück – oder leider? – hatte Claire mit Elkos Kraftgürtel einen Schild aus mehreren Schichten um den Explosionsherd gelegt und so alle gerettet. Seine süße, kleine Claire hatte sie alle gerettet. Seitdem war sie praktisch süchtig nach der Energie des Kraftgürtels. Eine kleine Berührung reichte und sie absorbierte Energie bis zur Bewusstlosigkeit. Loke und Sigrid hatten ihm versichert, dass sie ihr Verlangen in den Griff bekommen würden, aber die Verzweiflung in ihren Augen trieb ihn schließlich dazu, Claire zu verlassen. Nur so konnte sie sich in aller Ruhe – und ohne die verlockende Präsenz seiner selbst – ihren Studien widmen. So nannte es Loke, aber in Wirklichkeit musste sie lernen, ihr Verlangen zu kontrollieren. Sonst gäbe es keine gemeinsame Zukunft für sie. Und Elko floh, damit Claire sich nicht aus Versehen selbst umbrachte.
Verbittert knurrte er und ballte die Hände.
»Vielleicht gibt es noch einen anderen Weg«, murmelte Loke und richtete nachdenklich seinen Blick auf den Platz. Doch noch bevor er seine Überlegungen laut aussprechen konnte, erregte geschäftige Aktivität ihre Aufmerksamkeit. Die Gardisten formierten sich zu einer Gasse, beugten die Lanzen zum Spalier und verharrten in dieser Position. Elko und Loke spähten irritiert um die Ecke, doch die Richtung, in die das Spalier der Gardisten wies, entzog sich ihrem Blick. Die Geräusche aus dem verborgenen Winkel jagten Elko eisige Schauer über den Rücken. Noch ehe er die vielen Personen überhaupt sah, hörte er Schreie, verzweifeltes Wimmern und Wehklagen.
»Was zur Hölle ...?«, keuchte er und verfolgte angespannt, wie eine große Gruppe auf die Lanzengasse der Gardisten zugetrieben wurde – im wahrsten Sinne des Wortes! Die Menschen wurden von schwarz gekleideten Männern – keine Gardisten, denn diese beteiligten sich niemals an so einer Zurschaustellung von Macht und Gewalt – wie Vieh vorangetrieben. Trotz der Entfernung konnte Elko sehen, dass die Gardisten keine Miene verzogen. Egal, was nun folgen würde, sie waren Elitesoldaten, ausgebildet um zu gehorchen. Sie widersetzen sich dem Befehl des Rates nicht.
Am Eingang des Ratssaales erschien eine dunkel gekleidete Person, die durch das strahlende Licht nur schwer erkennbar war. Auf seine flüchtige Handbewegung hin lösten die Gardisten ihr Spalier auf und umringten die verängstigten Menschen, während die Schwarzen den Platz umstellten. Die Lanzen der Gardisten wurden ineinander verkeilt, sodass die Gefangenen in dem Oval eingeschlossen waren. Elko beschlich eine dumpfe Vorahnung, was nun folgen würde. Doch wie so oft in den letzten Wochen, setzte das Schicksal noch einen drauf.
»Schau!« Loke zupfte am Ärmel seines dunklen Umhangs und deutete auf zwei Gestalten am Rand des Kreises, die sich eng umschlungen hielten. Beim Anblick dieser beiden Personen gefror ihm das Blut in den Adern und sein rationales Denken wurde abrupt ausgeschaltet.
»Bei den Göttern!«, keuchte er und wollte sich aus der Dunkelheit lösen, auf den Platz stürmen und seine Eltern befreien. Doch Loke packte ihn am Kragen und schleuderte ihn kraftvoll gegen die Hauswand. Mit eisernem Griff presste er ihm eine Hand auf den Mund, während er ihn mit der anderen gegen die nasskalten Steine drückte.
»Spinnst du?!«, zischte er gedämpft. »Wenn du jetzt da raus gehst, kannst du ihnen gleich in den Kerker folgen!« Loke schlug ihn erneut gegen die Wand. Elko wehrte sich halbherzig, denn er wusste, dass Loke recht hatte. Aber er konnte doch nicht einfach tatenlos dabei zusehen, wie seine Eltern behandelt wurden.
Loke fixierte ihn drohend. »Kann ich dich loslassen, ohne dass du eine Dummheit begehst?« Elko knirschte mit den Zähnen und rang sich zu einem knappen Nicken durch.
»Gut, dann beobachten wir jetzt, was dort vor sich geht, okay?« Loke wartete nicht, ob Elko antwortete, sondern ließ ihn abrupt los und wandte sich wieder dem Geschehen zu. Elko atmete tief ein und aus. Das Blut pochte durch seine Adern und dröhnte in seinen Ohren. Er musste irgendetwas unternehmen! War es nicht schon genug, dass Meland sie verhöhnte und als Verräter abstempelte?! Musste er sich auch noch an seinen Eltern vergreifen? Meland? Moment!
Hastig folgte Elko Lokes Beispiel und linste erneut um die Ecke. »Ist er das?«, flüsterte er leise und deutete auf die dunkel gekleidete Person am Eingang des Ratssaales. Loke kniff die Augen zusammen und stierte angestrengt in die angedeutete Richtung. »Könnte sein, aber das Licht blendet mich. Die Kleidung passt. Das ist Halldor Meland!«
Elko stöhnte. »Was will der da?«
»Wir werden es gleich erfahren, sei leise«, zischte Loke. Konzentriert lauschten sie den Worten, die vom Platz her zu ihnen herüberwehten.
»Ihr fragt euch bestimmt, warum euch unsere Soldaten des Nachts vor den Rat führen?« Die Worte dröhnten in seinen Ohren. Seine Brust krampfte sich in fatalistischer Gewissheit zusammen. Mühsam wandte er sich ab und ließ sich gegen die nasskalte Mauer sinken. Die Kälte drang durch seine Kleidung, doch er spürte sie nicht.
In dem panischen Durcheinander auf dem Platz hatte er nicht nur seine Eltern erkannt. Alle Personen, die von den Gardisten eingeschlossen wurden, hatten eines gemeinsam: Sie waren alle bei der Wahl vor knapp einem Jahr zugegen.
»Euer Erbe zeichnet euch als Verwandte der Verräter Elko und Loke Jörd aus. Ihr seid des Verrats angeklagt und werdet hiermit zum Tode verurteilt. Das Urteil ist rechtskräftig und wird im Morgengrauen vollstreckt.« Eine Welle des Schocks ging durch die Eingekreisten, als die Worte Melands langsam in ihren Verstand sickerten. Einige starrten erschüttert vor sich hin, wieder andere versuchten zu fliehen und drängten gegen die undurchdringliche Lanzenbarriere. Doch die Gardisten waren darauf vorbereitet und unterbanden energisch jeden Fluchtversuch. Melands letzte Worte gingen im Kreischen der Frauen unter. »Gegen dieses Urteil gibt es keine Revision. Verrat bedarf keiner weiteren Verhandlung. So schreibt es das Gesetz vor! Bis zur Vollstreckung des Urteils werdet ihr ins Verlies unterhalb des Ratssaals gebracht.«
Fassungslos starrte Elko auf den sich langsam leerenden Platz. Widerstandslos ließ er sich von seinem Bruder wegführen. Er war schon immer der Emotionalere gewesen. Während Loke bereits hartnäckig an einem Plan arbeitete, kämpfte er noch gegen den Drang, auf den Platz zu stürmen und sowohl Soldaten als auch Gardisten grün und blau zu prügeln. Er musste doch etwas tun! Wenn er im Besitz des Hammers wäre, dann wäre dieses Vorgehen anzuraten. Aber so war er nur ein gewöhnlicher Mann, stärker als die meisten von ihnen und dank seiner militärischen Ausbildung ein hervorragender Kämpfer, doch genauso verletzlich. Einzig das Erbe des Hammers verlieh ihm übermenschliche Stärke.
Loke führte ihn derweil durch die dunklen Gassen, auf einen weiteren Platz, weit ab vom Ratsgebäude. Am Fuße einer Statue ließen sie sich nieder und gaben sich ihren Gedanken hin. Es war bereits weit nach Mitternacht und in ein paar Stunden würde dieser Platz von Menschen überquellen, die Marktstände würden bestückt werden und das geschäftige Treiben würde die Luft hier in Schwingungen versetzen. Niemand würde ahnen, welches schauderhafte Ereignis sich wenige Stunden zuvor auf dem Ratsplatz abgespielt hatte.
Elko fröstelte, zog sich den Umhang fester um die Schultern und die Kapuze tiefer ins Gesicht. Dabei fiel sein Blick auf eine Tafel am Fuße der Statue. Irritiert glitten seine Augen über die Schrift. Was war das denn? Die Inschrift war durch den Dreck und Schmutz kaum lesbar, doch er brauchte sich absolut nicht anstrengen, denn er kannte deren Inhalt. Er erhob sich langsam, entfernte sich unter den stechenden Blicken seines Bruders und drehte sich um. Loke beobachtete ihn. Langsam glitt sein Blick höher und seine Augen weiteten sich vor Entsetzen, als er die verunstaltete Statue seiner selbst betrachtete.
»Was zur Hölle ...?«, keuchte er und kniff die Augen zusammen, um die Worte auf den Plakaten zu entziffern. Eines hing über seinem Kopf und betitelte ihn als »Verräter«, ein anderes wickelte sich um seine Brust: »Hurenbock«! Entsetzt schloss er die Augen und wandte sich ab, als sich Loke zu ihm gesellte. Sein Blick glitt in gleicher Manier über die Statue des einst glanzvollen Hammerträgers. Nur dass auch hier der Hammer in seiner ausgestreckten Faust fehlte. Stattdessen hielt der Stein-Hammerträger einen toten Vogel in der Hand. Mühsam schluckte er die aufkommende Übelkeit herunter und suchte die Augen seines Bruders, die die Statue spöttisch musterten.
»Sieht ganz so aus, als hätte der Rat deine Abwesenheit genutzt und Stimmung gegen dich gemacht«, stichelte Loke grinsend und schlug ihm gut gelaunt auf die Schulter. »Aber mach dir nichts draus, Bruder, man gewöhnt sich an so einiges!«
Elko schluckte und verzog das Gesicht. »Und was machen wir jetzt?«
Claire starrte auf ihre Finger, ballte sie krampfhaft und löste sie erneut. Doch das Zittern wollte nicht aufhören. Der Schmerz flirrte grauenhaft real in ihrem Inneren und sie schnappte keuchend nach Luft, wann immer sie an ihn dachte. Ihr Körper nahm die sehnsuchtsvollen Gedanken gierig auf und strebte erwartungsvoll nach Elkos Energie. Er war erst seit ein paar Stunden fort, doch allein der Gedanke, von seiner Energie unwiederbringlich abgeschnitten zu sein, warf sie schmerzhaft zu Boden. Entschlossen straffte sie die Schulter. Sie würde nicht wie ein Häufchen Elend zusammenbrechen, sondern genauso wie Elko ihre Aufgabe erfüllen.
Eine sanfte Berührung riss sie aus ihren Gedanken und sie hob blinzelnd den Kopf. Sigrid ließ sich ächzend auf den kleinen Korbsessel neben ihrem Bett sinken und stellte eine dampfende Tasse Kräutertee auf den Nachttisch.
Sigrid gab sich große Mühe, ihre eigene Erschöpfung vor ihr zur verbergen. Sie versuchte, den Anschein von Zuversicht zu vermitteln, doch Claire wusste, dass sie immer noch mit ihrer eigenen Regeneration kämpfte. Claire runzelte die Stirn, doch ihr wollte beim besten Willen nicht einfallen, wie lange es her war, dass Sigrid ihre eigene Lebensenergie geopfert hatte, um Elko aus einem todesähnlichen Schlaf zu wecken, was ihr, Gott sei Dank, geglückt war. Doch der Preis dafür war hoch. Sigrid kämpfte mit einer Erschöpfung, für deren Beschreibung Claire einfach keine Worte fand. Sigrid schlief viel, aber der Schlaf brachte keine Erholung.
Kurz vor ihrer Abreise hatte sie mit Elko und Loke gesprochen und dadurch eine vage Verbesserung ihres Zustandes erreicht. Elkos erneute Zuneigung hatte Sigrids Überlebenswillen entfacht. Und Loke? Nun, Claire hatte von Sigrid erfahren, dass auch er sich mit ihr ausgesöhnt hatte und sie nun an einem Strang zogen.
Der Heilerin war die Aufgabe zugefallen, Claire bei ihren Studien – so nannte sie den Kampf gegen das unaufhaltsame Verlangen nach Elkos Energie – zu unterstützen. Claire hatte sie noch im Bunker gefragt, ob das überhaupt möglich sei, doch Sigrid hatte nur den Kopf geschüttelt. »Ich vergleiche deinen Zustand mit einer Suchterkrankung. Stell dir vor, du leidest unter Alkoholismus oder bist drogenabhängig. Auch das wäre kein Todesurteil. Du könntest den Umgang mit deiner Erkrankung lernen. Genauso möchte ich dein Verlangen behandeln.« Claire glaubte nicht, dass Sigrid Erfolg haben würde. Doch wenn sie Elko jemals wiedersehen und eine gemeinsame Zukunft mit ihm haben wollte, musste sie kämpfen.
Im Augenblick stand sie ganz am Anfang ihrer Heilung. Ihr Körper reagierte exakt so, wie Sigrid es vorausgesagt hatte. Mit Übelkeit, Kopfschmerzen, Erschöpfung und diesem Zittern.
»Trink das«, drang Sigrids einfühlsame Stimme zu ihr hindurch. Claire spürte das harte Porzellan einer Tasse und das deutliche Zittern Sigrids.
»Was ist das?«, murmelte sie und richtete sich auf. Sie nahm die Tasse entgegen und nippte vorsichtig an der dampfenden Flüssigkeit.
»Der Tee, der dir nach Lokes Angriff gutgetan hat«, antwortete Sigrid. Erschöpft ließ sie sich zurücksinken. Der stärkende Duft belebte Claire und schenkte ihr für die Dauer eines Wimpernschlags Zuversicht. Das Gebräu war zweifelsohne mit einem starken Opiat versetzt. Prächtig, von einer Drogensucht zur nächsten. Claire lachte zynisch und inhalierte gierig den Duft.
»Was ist so lustig?«, fragte Sigrid amüsiert.
»Nichts, nichts«, antwortete Claire. »Ich dachte nur darüber nach, ob der Tee nicht auch irgendeine Droge enthält.« Sigrid lächelte sie an.
»Ein wenig schon. Der Tee besteht aus den Blättern der Coca-Pflanze sowie einem Teil Mate. Er hilft gegen Kopfschmerzen und Übelkeit und hat eine vitalisierende Wirkung.«
»Coca ... wie in Kokain?« Claire hielt die Tasse etwas von sich und beäugte die grünliche Flüssigkeit mit dem leicht grasigen Geschmack misstrauisch. Die von Sigrid beschriebene Wirkung setzte ein, die Kopfschmerzen verschwanden und sie konnte die Tasse ohne das lästige Zittern halten. Das Zeug war exzellent, aber offensichtlich nicht ganz legal.
Sigrid zuckte die Schultern. »Ja, Coca wie in Kokain. Aber mach dir keine Sorgen. Laut meinen Forschungen solltest du keine Abhängigkeit entwickeln. In Kolumbien und Bolivien werden die Blätter des Coca-Strauchs von den Bauern ständig gekaut und eine Abhängigkeit ist nicht bekannt. Genieße einfach seine Wirkung. Sie wird dir helfen, den Entzug zu überstehen.«
Oh Gott, sie tat es tatsächlich! Sigrid verglich ihr Verlangen mit einer Suchterkrankung. Claire fühlte sich erbärmlich, ausgezehrt und hungrig. Aber keine Nahrung der Welt würde diesen Hunger stillen können. Seit sie allerdings den Duft des Coca-Tees inhalierte, war ihr Verlangen weniger nagend. Sigrid kannte sich definitiv mit Pflanzen aus. »Danke«, murmelte Claire aufrichtig.
»Gerne. Trink den Tee und dann ruh dich aus. Ich versuche noch einmal, Tommy zu erreichen.« Tommy hatte sie gestern Abend zurück in ihre Wohnung gebracht und sich dann verabschiedet. Eigentlich wollte er heute Morgen mit ihnen zusammen frühstücken, aber bisher fehlte jede Spur von ihm. Sigrid legte die Stirn vor Sorge in Falten, als sie erneut seine Nummer wählte. Doch ihr Anruf blieb unbeantwortet, so wie die letzten zwanzig Male.
»Er wird einfach schlafen«, versuchte Claire sich in beruhigenden Worten. »Die letzten Tage waren kräftezehrend und er hat genauso wenig Schlaf wie wir alle abbekommen. Vermutlich hat er sein Handy ausgeschaltet und schnarcht friedlich.« Die Worte sollten Sigrid trösten, aber Claire glaubte selbst nicht daran. Das war so gar nicht Tommys Art. Wenn er sagte, er wolle mit ihnen frühstücken, dann würde er auch pünktlich zum verabredeten Zeitpunkt vor der Tür stehen. Unruhig nagte sie an ihrer Unterlippe herum. Erst Elko, jetzt Tommy. Und Steve und ihr Vater. Irgendwie schienen sie alle Männer in ihrem Leben zu verlassen. Claire schluckte. Stop! Sie war an einem emotionalen Tiefpunkt angelangt, aber sie würde sich nicht unterkriegen lassen. Vermutlich gäbe es für Tommys Verhalten eine plausible Erklärung. Meland war fort, Loke auf ihrer Seite und Kjartan tot. Tommy war sicher, aber Elko und Loke nicht. Sie jagten Meland und dem Hammer nach. Claire wehrte sich heftig gegen die aufkommende Beklemmung. Sie durfte nicht darüber nachdenken, in welche Gefahren sich die Brüder begaben.
Sigrid ließ ihr Handy sinken. »Du hast vermutlich recht«, murmelte sie abwesend.
»Und womit fangen wir an?« Claire ließ die halb geleerte Tasse sinken. »Ich fühle mich deutlich besser als noch vor ein paar Minuten und ich denke, ich kann sogar aufstehen.«
Geistesabwesend lächelte Sigrid und warf einen nervösen Blick auf ihr Handy. »Du solltest dich lieber ausruhen, aber wenn du willst, geh duschen. Nach dem Frühstück gehen wir ein wenig spazieren. Der Stadtpark sollte grün genug sein, damit du einen Energieknoten finden und deine Reserven aufladen kannst.«
Nach einer ausgiebigen Dusche und einem zweiten Frühstück fühlte sich Claire deutlich besser und sie gingen in den Park. Sie suchten sich eine geeignete Stelle und ließen sich im Gras nieder. Claire atmete tief ein und schloss für einen Moment die Augen. Das Rauschen der Blätter durchflutete ihre Sinne und löschte nach und nach die Unruhe und Rastlosigkeit aus. Obwohl September war, war es noch immer warm und die kräftigen Strahlen der Sonne verhießen einen weiteren schönen Spätsommertag. Der Wind frischte auf und verfing sich in ihrem Haar. Er spielte mit den Strähnen und trieb sie ihr übers Gesicht. Claire lächelte und inhalierte ein weiteres Mal den grünen Duft.
Sigrid hatte sich neben ihr ausgestreckt und die Augen geschlossen. Sie hatte Claire aufgetragen, den Knoten selbstständig zu suchen. Für einen winzigen Moment war sie von ihrem Erfolg überwältigt, als sie ihn tatsächlich gefunden hatte. Doch dann erinnerte sie sich an die Minuten vor Lokes Angriff im Wald, als Elko ihr gezeigt hatte, wie sie das engmaschige Netz pulsierender Energie finden konnte. Ihr war es gelungen, das lebendige Netz aus reiner und unverfälschter Energie unter ihren Füßen ausfindig zu machen. Elko war damals barfuß gewesen ... und damit war ihre gute Laune dahin. Elko hier, Elko da. Das schmerzhafte Ziehen in ihrer Mitte. Claire presste die Lippen zu einem blutleeren Strich.
Nicht jetzt, bitte nicht schon wieder. Sie spürte das Zittern zurückkehren, noch ehe sie den Gedanken zu Ende gedacht hatte. Doch dann fühlte sie Sigrids Berührung und eine Welle positiver Gedanken durchflutete sie. Elko beim Spiel als kleiner Junge, das sanftmütige Lächeln seines Vaters, die blonden Locken seiner Mutter und Loke, wie er konzentriert die Stirn runzelte und über einer Aufgabe grübelte. Gierig nahm Claire Sigrids Glücksgefühl in sich auf.
»Such nach deinen eigenen Momenten der Liebe. Augenblicke, die nur dir gehören«, hörte sie Sigrids Stimme aus weiter Ferne. Das Rauschen der Blätter begleitete ihre Worte und verlieh ihnen eine besänftigende Wirkung. »Du empfindest so viel Widersprüchliches für ihn. Doch er ist mehr als dieser scheußliche Kraftgürtel. Such nach euren Augenblicken der Zweisamkeit, wo ihr euch am Nächsten wart.« Claire schnalzte missbilligend mit der Zunge. Wie sollte sie nach glücklichen Momenten suchen, wenn ihre gemeinsame Vergangenheit nur aus Leid und Schmerz bestand? Sie konnte sich nicht wie Sigrid an ihn als kleinen Jungen erinnern. Im Übrigen hatte Sigrids Liebe nicht das geringste mit ihrer gemeinsam. Ihre Liebe glich eher der einer großen Schwester für ihren jüngeren Bruder. Glaubte Sigrid tatsächlich daran oder wollte sie sich nur selbst davon überzeugen? Sigrid liebte Elko doch auf eine ganz anderen Weise ...
Claire scheute vor der Richtung ihrer Gedanken zurück. Sie sollte die Bemühungen der Asin nicht verspotten! Auch wenn sie sich im Streit kennengelernt hatten, konnten sie mittlerweile normal miteinander umgehen, ohne ständig um Elkos Zuneigung zu buhlen. Das war ja nun auch nicht mehr nötig, jetzt, wo er nicht mehr da war. Und da waren sie wieder! Diese bohrenden, negativen Gedanken, die ständig ihren Geist vergifteten und sie daran hinderten, nach positiven Gefühlen zu suchen.
Wenn sie sich recht erinnerte, hatten sie sich sogar halb im Streit getrennt. Er hatte von ihr verlangt, dem Einsatz in Lokes Lagerhalle fernzubleiben. Statt sich seinen Wünschen zu beugen, hatte Claire ihn belogen. Elko war in dem Glauben gegangen, dass sie im Bunker zurückbleiben würde. Doch Claire hatte ihn überlistet; sie hatte Sigrid gezwungen, ihr mit einem Schleier – ein Zauber, der die Blicke der anderen ablenkte – zu helfen. So war sie unbemerkt auf die Ladefläche des SUV gelangt und als blinder Passagier mitgefahren. Danach war alles so schnell gegangen, dass ihr keine Zeit mehr für Erklärungen geblieben war. Ihr Verlangen war während des Einsatzes ins Unerträgliche gewachsen, bedingt durch die Verwendung ihrer Fähigkeiten. Sie hatte die Explosion eines Portals verhindern müssen und dazu Elkos Energie gebraucht. Er war danach übereilt abgereist und ihr war nur die unstillbare Gier geblieben. Claire verzog das Gesicht. Wie sollte sie da Sigrids Anweisungen folgen und sich positive Erinnerungen ins Gedächtnis rufen?
»Versuch‘s mal mit der hier«, murmelte Sigrid neben ihrem Ohr. Erschrocken fuhr sie zusammen, als sich tief in ihrem Inneren ein sanftes Kribbeln ausbreitete. Wie die leichte Berührung tausender federleichter Schmetterlingsflügel, die über die Innenseite ihres Körpers strichen. Ein zaghaftes Lächeln erhellte ihre Züge, als sich das Kribbeln in ein sehnsuchtsvolles Ziehen verwandelte. Ihm fehlte das gierige Verlangen, ein ganz anderes Begehren war der Kern dieser Empfindung. Erschüttert öffnete sie die Augen und starrte in Sigrids glühenden Blick.
»Machst du das etwa?«, keuchte Claire. Pah, sie stöhnte die Worte mehr, als sich das Gefühl verstärkte, das Elkos Berührung zwischen ihren Schenkeln auslöste.
Sigrid lachte perlend und wich einige Zentimeter zurück. »Ich hole nur hervor, was du anscheinend vergessen hast. Lehn‘ dich zurück und genieße es. Ich bin davon überzeugt, dass da noch deutlich mehr auf dich zukommt.« Das Lächeln hatte etwas sehr Anzügliches, aber die Gefühle in Claires Körper vereinnahmten sie vollständig. Keuchend fuhr sie zusammen, als sie glaubte, das Echo seiner Stärke in sich zu spüren.
Gott, das war gut! Genauso hätte es sich angefühlt, wenn tatsächlich etwas außerhalb ihrer Träume passiert wäre! Was immer Sigrid tat, übernahm bereits die Kontrolle. Sie hatte gar keine andere Wahl, als sich den Gefühlen hinzugeben. Stöhnend warf sie den Kopf in den Nacken, doch ein Gedanke ließ ihr keine Ruhe.
»Ich will nicht, dass du das tust! Bist du etwa in meinen Kopf eingedrungen?!« Claire krümmte sich zittern zusammen und fixierte Sigrid mit wildem Blick, als sie die nächste Welle erfasste. Gott, sie würde sich am liebsten ins Gras werfen, sich die Kleider vom Leib reißen und hemmungslos ... Aber so lange Sigrid in der Nähe war, konnte sie sich unmöglich gehen lassen.
Sigrid lächelte. »Du erlebst nichts, was ich nicht auch schon erlebt habe.« Der zynische Unterton entging Claire nicht. Auch wenn sie sich noch so viel Mühe gab, konnte Sigrid nicht aus ihrer Haut. Sie musste ihr immer wieder vorhalten, dass sie Elko bereits gehabt hatte. Wie Claire das hasste!
»Und was deine Frage betrifft, nein, ich bin nicht in deinen Gedanken. Ich habe nur deine Gefühle an die Oberfläche deines Bewusstseins gezerrt, um dir zu zeigen, was du wirklich empfindest.« Sigrids Tonfall wurde oberlehrerhaft und sie betrachtete Claire nachdenklich. »Du quälst dich mit Selbstzweifeln, ob das, was du für Elko empfindest, der Wahrheit entspricht oder ob du nur von blindem Hunger gesteuert wirst. Glaubst du denn, dass das, was du gerade empfindest, das Verlangen nach seiner Energie ist?«
Claire starrte sie fassungslos an und schüttelte den Kopf. »Und jetzt lehne dich zurück und genieße die Erinnerung. Der Weg zu deiner Genesung führt in erster Linie über positive Gefühle.« Obwohl sie vor Verlangen zitterte, verstand sie den tieferen Sinn hinter Sigrids Worten. Sie würde erkennen müssen, dass Elko mehr war als ein Selbstbedienungs-Buffet für ihren unstillbaren Hunger nach Energie. Erst, wenn sie ihn bewusst in einem anderen Licht sah, konnte sich ihre Einstellung zu ihm ändern. Und damit würde es ihr hoffentlich auch einfacher fallen, ihre Fähigkeiten zu kontrollieren.
»Aber was, wenn mich jemand sieht?« Nervös sah sie sich um. Es war bereits Mittag und der Park diente vielen Städtern als gern genutztes Ausflugsziel für die Mittagspause. Hier und da schoben junge Mütter ihre Kinderwagen und genossen die erfrischende Kühle. Claire konnte unmöglich hier ... und mitten im Park. Die Scham schoss ihr ins Gesicht und sie wollte sich am liebsten in ihrer Wohnung verkriechen. Wenn Sigrid schon ihre intimsten Erinnerungen hervorholte, dann doch bitte innerhalb ihrer eigenen vier Wände. Sie hätte dann zwar noch immer Sigrid als Zuschauer, aber das war alle Male besser als hier im Park ... Oh Gott! Selbst Sigrid wollte sie nicht dabeihaben! Das waren ihre ureigensten Gefühle. Die gingen die Asin absolut nichts an!
Die Scham musste ihr ins Gesicht geschrieben stehen, denn Sigrid machte eine wegwerfende Geste. »Ich werde mich nicht in deine Gedanken einmischen oder sie teilen. Ich habe nur deiner Erinnerung ein wenig auf die Sprünge geholfen.« Claire spürte eine neue Welle. Langsam verlor sie die Kontrolle. »Du musst dich dieser Erinnerung hingeben. Einmal in Gang gesetzt, kann sie nicht aufgehalten werden. Außerdem wird sie dir guttun. Also lass dich fallen und genieße es. Und was deine Sorgen angeht ...« Sigrid drehte den Kopf und beobachtete die vorbeischlendernden Passanten. »Die Menschen werden nichts von dem mitbekommen, was hier stattfindet. Ich habe einen Schleier über uns gelegt, der ihre Blicke ablenkt und unsere Unterhaltung dämpft. Für sie werden hier nur zwei Frauen im Gras sitzen.« Claire hing an ihren Lippen und versuchte krampfhaft, die Momente mit Elko und ihre letzten gemeinsamen Stunden zurückzudrängen. Sie flehte förmlich darum, endlich erlöst zu werden. Doch nein, halt, dann würde diese köstliche Stimulanz aufhören und das wollte sie auf gar keinen Fall. »Ich ... kann es ...«, stöhnte sie und fuhr sich erregt über die geröteten Wangen.
Sigrid lächelte. »Sei unbesorgt, niemand wird dich hören oder sehen. Und jetzt verschmelze mit der Erinnerung.«
Das Rauschen der Blätter im Ohr breitete sich die Dunkelheit über sie aus. Die vollständige Abwesenheit von Licht erinnerte sie stark an die Gefangenschaft im eigenen Geist, als Loke von ihr Besitz ergriffen hatte. Doch statt den bedrohlich über ihr schwebenden grünen Augen und der eisigen Kälte breitete sich die Lust in ihr aus. Entsprungen in ihrem Schoss, begrub sie eine Welle reiner Empfindungen. Sie spürte die sanfte Berührung seiner Finger, wie sie ihr Haar beiseiteschoben, um seine Lippen federleicht über ihre Halsbeuge wandern zu lassen. Claire stöhnte auf und bog den Kopf, sodass er noch mehr Platz für seine Berührungen hatte. Ein sanftes Vibrieren in ihrem Rücken durchfuhr sie, als Elko leise lachte und sich seine Hand unter ihr T-Shirt schob. Seine Finger hinterließen eine heiße Spur puren Verlangens auf ihrer Haut, strichen sanft über die Narben, die das Gift auf ihrem Körper hinterlassen hatte. Claire erwartete das erneute Aufflammen des Schmerzes, aber seine Liebkosungen hinterließen nichts weiter als das stete Verlangen nach mehr. Selbst die allzeit präsente Gier nach seiner Kraft blieb aus. Keine zwanghafte Kontrolle ihrer Reflexe, kein mächtiger Sog, nur sexuelles Begehren. Claire stöhnte auf und drängte sich an ihn.
»Mhhhh, das gefällt dir wohl?«, schnurrte er und leckte zärtlich über ihre empfindliche Haut. Obwohl Claire wusste, dass sie sich in einer Erinnerung befand, jagte ihr ein heißer Schauer, ausgelöst durch den tiefen Bass seiner Stimme, über den Rücken. Gott, er fehlte ihr so sehr!
Die vollkommene Dunkelheit verstärkte ihre Empfindungen. Sie musste sich vollends auf ihren Tast- und Geruchssinn konzentrieren, hörte seinen stoßweise gehenden Atem an ihrem Ohr und spürte seine deutliche Härte gegen ihren Po drücken. Instinktiv presste sie sich enger an ihn. Elko keuchte auf und ließ seine Hand unter ihrer Brust ruhen. Sein Daumen fuhr immer wieder über die wulstige Narbe, die genau zwischen den Brüsten verlief. Wann immer seine Fingerkuppe über die Narbe strich, durchfuhr sie die Erinnerung an die schrecklichen Momente. Die Narbe, die Elkos Daumen so hingebungsvoll liebkoste, würde sie ihr Leben lang zeichnen und immer wieder an ihre selbstlose Tat erinnern.
Nur das Ausbleiben des süßen Schmerzes zeigte ihr, dass sie sich in einer Erinnerung befand. Die Enttäuschung darüber löschte ein energischer Stoß seiner Hüften gegen ihren Po radikal aus. Claire bog sich ihm stöhnend entgegen. Sie wollte ihn jetzt spüren, scheißegal, dass es sich um eine Erinnerung handelte. Sein betörender Geruch nach Erde und Ozon war so verdammt real, dass es sie beinahe umbrachte, ihn nicht sofort in sich zu haben. Hastig nestelte sie an ihrem Hosenknopf und Elko ließ lachend von ihrer Narbe ab, um ihr hilfreich zur Hand zu gehen.
»Nur Geduld«, murmelte er mit seinem tiefen Bariton und schob seine Hand in ihre Jeans. Claire stöhnte erleichtert auf und warf ihren Kopf gegen seine kräftige Schulter, als seine geschickten Finger sie genau dort berührten, wo sie es brauchte. Keuchend gab sie sich seinem Streicheln hin und schloss die Augen. Zwischen ihrem Stöhnen und seinen abgehackten Atemzügen, schob sie sich die Hose hastig über die Hüften. Seine große Hand brauchte dringend mehr Platz, damit er besseren Zugang zu ihrer Mitte hatte. Erschrocken keuchte sie auf, als er energisch einen Finger in sie stieß und ihr somit den Verstand raubte. Geschickt rieb er über ihre empfindlichsten Stellen und entlockte ihr ein weiteres Stöhnen.
»Willst du ...«, schnappte sie und griff hinter sich.
»Schhhhttt ... genieße es.« Der tiefe Bariton strich über ihre Haut und sammelte sich zwischen ihren Schenkeln. Ein winziger Funken knisterte auf seiner Fingerkuppe, die gerade ihre empfindlichste Stelle quälte. Claire schrie auf und warf sich gegen ihn. »Mit mir ist alles in Ordnung«, seufzte er und entlockte ihr einen weiteren abgehackten Schrei. »Mach dir keine Sorgen.«
Was? Warum sollte sie sich denn Sorgen machen? Er verschaffte ihr hier gerade einen Hammer-Orgasmus, jagte wohldosierte Ladung knisternder Elektrizität nach der anderen in ihr Innerstes und ließ sie immer wieder aufschreien. Warum sollte sie sich jetzt Sorgen machen? Sie wusste, wie sehr er es genoss, sie schreien zu hören. Oh Gott! Manchmal könnte sie ihn dafür erwürgen! Er ließ sie leiden und zwang sie zu immer neuen Wellen ekstatischer Lust, während er mit seiner stählernen Härte hinter ihr lag, sich an ihr rieb und nichts weiter tat, als mit seinen Fähigkeiten anzugeben. Ja genau! Er war ein unverbesserlicher Angeber. Verdammt!
»Bitte ...«, flehte sie und stieß heftig ihren Po gegen seine Mitte. Sie wollte ihn endlich in sich spüren, wollte ihn anstacheln, ihn reizen, ihn seiner Beherrschung berauben. Doch Elko lachte zufrieden mit ihren Reaktionen und schob einen zweiten Finger in sie. Oh nein, bitte! Seine Größe spiegelte sich in seinen Händen und vor allem in seinen Fingern wieder. Einer schien genau passend zu sein, während ein zweiter ... Er jagte weitere winzige Stöße elektrischer Energie in ihren Schoß. Claire warf sich herum, keuchte und presste ihre Schenkel verzweifelt aneinander.
»Bitte ....«, stöhnte sie und sah sich der Welle des heranrollenden Orgasmus hilflos gegenüber. »Bitte, du ... in mir ...« Doch, statt sich endlich seiner Hose zu entledigen, rieb er mit den Handballen über ihren Venushügel. Als er noch ein weiteres Stakkato kleiner Stromstöße in sie feuerte, war es um sie geschehen. War es das Rauschen der Blätter oder der über ihr zusammenbrechende Orgasmus? Claire konnte es nicht auseinanderhalten. Doch als sie sich endlich von den Wellen ekstatischer Energie erholte und langsam wieder zu sich kam, hörte sie noch immer seine Stimme in ihrem Kopf. »Mach dir keine Sorgen, mit mir ist alles in Ordnung.«
Sie lag auf dem Rücken und sah in das grün funkelnde Blätterdach hinauf. Die Sonne brach sich in dem Meer aus verschiedenen Grüntönen und der blaue Spätsommerhimmel strahlte mit den heißen Strahlen der Sonne um die Wette. Obwohl in ihrem Schoß noch immer die Wellen des Orgasmus gegen ihre Mitte schlugen, machte sich eine ungute Vorahnung in ihrem Magen breit. Heiße und kalte Wellen durchfuhren sie und verwandelten ihr Innerstes in einen Knoten unheilvoller Angst. Was zur Hölle war mit Elko los? War etwas passiert? Warum dieses Gefühl?
Elko fluchte und zog das abgenutzte Wams über seinen Rücken. Das Leder sollte die empfindliche Nierengegend bei einer Konfrontation schützen, aber es saß viel zu hoch. Er lockerte die Riemen so weit, dass das Wams noch etwas tiefer rutschte.
Er hätte sich gerne für ihren Einbruch vernünftig ausgerüstet. Leider fehlte ihnen die Zeit und vor allem auch die nötigen finanziellen Mittel. Ihm waren nur wenige Goldmünzen geblieben, die für ein paar Waffen und das Wams draufgegangen waren.
Bedauerlicherweise konnten sie auch keine Bank aufsuchen. Dank der frostigen Stimmung in der Bevölkerung und der Banner wagten sie nicht, auch nur einen Fuß in ein Geldinstitut zu setzen und ihre Konten zu plündern. Wenn Meland halbwegs gründlich arbeitete, waren ihre Geldmittel sowieso eingefroren. Ihre Eltern saßen in Kerkerhaft und die Söhne waren als Verräter abgestempelt.
Vereinzelte Plakate berichteten sogar noch von seiner Wahl zum Hammerträger, aber sie waren mit abfälligen Parolen verschandelt. Jedes Mal, wenn jemand im Vorbeigehen einen dieser Sprüche las, wurde sein Hass auf Elko Jörd erneut geschürt. Der Mann, der ihr heiligstes Relikt gestohlen hatte und seinem flüchtigen Bruder hinterherjagte. Man verachtete ihn als Verräter.
Die Verurteilung ihrer Verwandten und Eltern zeigte eindrucksvoll, dass verschmierte Plakate nur die Spitze des Eisbergs darstellten. Meland hatte Macht und Einfluss. Ihr einziger Vorteil bestand im Moment darin, dass der hinterhältige Telepath davon ausging, dass sowohl Elko als auch Loke tot waren. Gestorben im Inferno eines explodierenden Portals.
Eigentlich hatte Elko noch während des kurzen Fluges nach Rostow geplant, einfach ins Ratsgebäude zu marschieren und Meland und den Rat zur Verantwortung zu ziehen. Aber je länger sie sich in Asgard befanden, desto nachdenklicher wurde er. Meland und der Rat steckten unter einer Decke, und er war praktisch kampfunfähig. Der Telepath hatte ihm offenbart, dass Elko nicht – wie überliefert – vom Hammer als sein neuer Träger erwählt worden war. Meland hatte ihm höhnisch ins Gesicht gelacht und erklärt, dass nur er bestimmte, wer der nächste Träger wurde. Er, Halldor Meland, hatte den Hammer auf Elko Jörd programmiert und nur deshalb war er erwählt worden. Weil man ihn für dumm genug hielt, weil man ihn benutzen wollte, um die Tradition des edlen Erben von Thors Hammer abzuschaffen. Der Rat und Meland. Loke war ihnen genauso auf den Leim gegangen und hatte folgsam Melands Plan ausgeführt. Erst, als es fast schon zu spät gewesen war, hatte Loke Melands wahres Gesicht erkannt.
Damals, kurz nach der Wahl, hatte Elko noch eine große Anhängerschaft gehabt und es wäre für den Rat unmöglich gewesen, ihn zu stürzen. Schon gar nicht mit dem Hammer in der Hand. Aber in Midgard, ohne Garde, ohne die nötige Erfahrung mit der göttlichen Waffe und ohne die Unterstützung der Bevölkerung, sah Meland seine Chance. Er hätte ihn töten können, und es beinahe geschafft. Claire war die große Unbekannte gewesen. Sie hatte ihn gerade noch rechtzeitig gerettet. Loke hatte sich auf seine Seite gestellt und Elko hatte ihm blind verziehen. Er gierte so sehr nach der Akzeptanz seines Bruders, dass er ihm selbst einen Mord verzeihen würde.
Was war ihm auch anderes übrig geblieben? Er brauchte Loke, wenn er Asgard vor den gierigen Fingern Halldor Melands und dem Machthunger des Rates befreien wollte. Alleine hatte er nicht den Hauch einer Chance. Aber mit Loke an seiner Seite konnte er alles schaffen.
Nun standen sie hier in der Dunkelheit und warteten darauf, dass die Nacht weit genug voranschritt, damit sie unbemerkt in die Katakomben des Ratssaals eindringen konnten. Dort, wo sich die Kerker der Verurteilten befanden, die auf ihre Hinrichtung warteten. Elko schluckte.
»Es ist Zeit. Bist du so weit?«, raunte ihm Loke über die Schulter hinweg zu und schob seinen schlanken Körper an einer rostigen Eisenstange vorbei. Als Elko noch ein Junge war, hatte ihm Loke diese verschlungenen Pfade hinein in die heiligen Hallen der Asenregierung gezeigt. Doch Elko konnte sich kaum noch daran erinnern. Loke indes wusste genau, wie er ungesehen in den Eingeweiden der Regierung wandeln konnte. »Was meinst du, woher ich mein Wissen habe? Stundenlang habe ich den geheimen Besprechungen gelauscht.« Verschwörerisch hatte er gelächelt und ihm das halb zerfallene Wams gereicht. Elko hatte darauf bestanden, das Loke es tragen sollte, aber sein Bruder hatte ihn abgewiesen. »Wir wollen doch nicht, dass dein hoheitlicher Körper erneut verletzt wird. Deine Süße kann dich hier nicht zusammenflicken, oder?« Elko sparte sich jeden weiteren Kommentar. Es würde sowieso zu nichts führen.
Elko hätte ihn gerne von seinen Sticheleien abgelenkt und gefragt, ob er bei seinen heimlichen Beobachtungen von den Plänen des Rates erfahren hatte. Aber er hatte alle Hände voll damit zu tun, seinen massigen Körper an dem rostigen Eisen vorbeizuquetschen. Das Wams scheuerte über dem verschwitzten T-Shirt und verhakte sich in dem Eisen. Mit aller Kraft schob er sich weiter, krallte die Finger um die morsche Stange und bog sie nach außen. Aber das widerspenstige Material gab keinen Zentimeter nach. Elko kniff angestrengt die Augen zusammen und schickte sich an, eine kleine Menge Energie in die Stäbe zu jagen. Er war noch nicht sehr geübt im Umgang mit der neuen Technik und hätte die Chance gerne genutzt, doch Loke bemerkte, was er vorhatte und hielt ihn hastig zurück.
»Wag es ja nicht! Wenn Meland nur ein wenig auf sich hält, hat er das gesamte Areal mit Sensoren vermimt. Er wird jede noch so kleine Anwendung von Magie sofort mitbekommen. Und ich würde lieber unbemerkt bleiben.«
Elko seufzte. Und wie sollte er jetzt hier reinkommen? Loke hatte seinen sehnigen Körper mühelos durch die Öffnung geschoben, aber Elko wog locker vierzig Kilo mehr und sein breiter Oberkörper steckte fest verkeilt zwischen kalten Gemäuer und rostigem Eisen.
»Vorschläge?«, brummte er und verfestige seinen Griff um die Eisenstange, die ihn am Vorwärtskommen hinderte.
»Tja«, äffte Loke seinen Tonfall nach. »Dein Grips wird dir hier nicht weiterhelfen, davon hast du ja sowieso nicht sonderlich viel. Also benutz halt deine Muskeln.« Elko warf seinem Bruder einen genervten Blick zu. Loke wurde der Sticheleien nie überdrüssig. Wann immer sich ihm die Gelegenheit bot, musste er ihn darauf hinweisen, dass er die Aufnahme an der Magischen Akademie vergeigt hatte. Doch der Dienst in der königlichen Garde war eine ebenso ehrenwerte Aufgabe gewesen. Das harte Training hatte ihm jedenfalls diese Muskeln beschert. Elko spannte zornig die Brustmuskeln an und bog sich ächzend gegen die widerspenstigen Stangen. So oder so, ohne seine Muskeln würde er hier jetzt nicht feststecken, und ohne sie würde er sich auch nicht befreien können. Wie so oft hatte die Medaille zwei Seiten.
Das Metall knirschte und bog sich quälend langsam. Stück für Stück gab es nach und Elko schob sich ins Innere des Tunnels.
Loke legte ihm eine Hand auf die Schulter und drückte sie leicht. Sie waren übereingekommen, sobald sie das Innere des Gebäudes betreten hatten, schweigend ihren Weg fortzusetzen. Loke ging davon aus, dass Meland nicht nur Magiesensoren, sondern auch geräuschempfindliche Scanner ausgelegt hatte. Wenn er so umsichtig gewesen war, auch noch Wärmesensoren auszulegen, wären sie definitiv im Arsch. Andererseits konnten sie ihre Eltern nicht ihrem Schicksal überlassen und Elko wollte unbedingt den Hammer zurückhaben.
Obwohl Meland in der vergangenen Nacht eine Hinrichtung im Morgengrauen angekündigt hatte, war nichts passiert. Elko und Loke hatten sich beim ersten Sonnenstrahl erneut auf dem Platz vor dem Ratsgebäude eingefunden. Aber dort war weder ein Scharfrichter noch ein Richtblock oder eine Spur der Verurteilten zu sehen gewesen. Der Platz hatte ruhig vor ihnen gelegen und nichts war passiert. Also war selbst ein Halldor Meland nicht fähig, die langsamen Mühlen der Obrigkeit auszuhebeln. Doch sie konnten nicht darauf hoffen, noch einen weiteren Tag Aufschub zu erhalten. Heute Nacht mussten sie handeln!
Sie hatten die Gnadenfrist sinnvoll genutzt und sich mit Waffen, Schutzkleidung und Vorräten ausgerüstet. Dank seinem langen Dienst in der Garde wusste Elko, wie man, ohne allzu viele Fragen beantworten zu müssen, an Waffen und Ausrüstung kam. Die wenigen Goldmünzen trugen sogar sein stilisiertes Gesicht. Bei Odin, wurde Zeit, dass er diese hässlichen Dinger endlich loswurde. Der Schmuggler hatte sich jedenfalls nicht für die Gestalt unter der Kapuze interessiert, sein gieriger Blick hatte nur dem Gold gegolten. Was Elko allerdings dafür bekommen hatte, war den Aufwand kaum wert gewesen. Ein abgenutztes Lederwams, ein grobschlächtiges, aber immerhin scharfes Breitschwert und für Loke eine Pärchen Saxe. Sein Bruder hatte die Waffen beinahe ehrfürchtig entgegengenommen und sie in den Ärmeln seines weiten Umhangs verschwinden lassen.
Als Elko den Durchgang passierte und seinem Bruder in geduckter Haltung folgte, warf er seinen Umhang achtlos beiseite und rückte das Schwert auf seinem Rücken zurecht. Loke wagte nicht, Magie einzusetzen, um ihnen Licht zu spenden. Sie folgten in absoluter Dunkelheit einer Karte, die Loke während seiner unzähligen Besuche im Ratsgebäude in seiner Erinnerung angelegt hatte. Ohne Lokes Führung wären sie in dem Wirrwarr aus Gängen und Dunkelheit orientierungslos umhergeirrt. Elko wurde wieder einmal daran erinnert, dass er seinem Bruder bedingungslos vertrauen musste. Was, wenn er nach wie vor für Meland arbeitete und ihn in eine Falle lockte? Elko schluckte hart gegen den inneren Drang, sich umzudrehen und das Weite zu suchen.
Doch dafür war es sowieso zu spät. Er befand sich bereits in den Gedärmen des Rates, auf Gedeih und Verderb den Plänen seines Bruders ausgeliefert. Ihm blieb nur die vage Hoffnung, dass Blut dicker war als Wasser und Lokes Treue nicht vorgetäuscht.
»Schhhhht«, riss ihn sein Bruder aus den Gedanken und stoppte abrupt vor ihm. Elko konnte gerade noch verhindern, dass er gegen ihn rempelte.
»Pass doch auf!«, zischte Loke und deutete den Gang hinunter. Elko drückte sich gegen ihn und spähte angestrengt in die undurchdringliche Schwärze. Am Ende des dunklen Tunnels zeichnete sich ein schwacher Lichtschein ab. Vor ihnen befanden sich die benutzten Kellergewölbe. Dort lagen auch die Zellen der Gefangenen. »Wenn wir uns in der Dunkelheit nicht verirrt haben, sollten wir bald zu den Zellen kommen«, bestätigte Loke seine Vermutungen.