Charles Darwin: Über die Entstehung der Arten durch natürliche Zuchtwahl

 

 

Charles Darwin

Über die Entstehung der Arten

durch natürliche Zuchtwahl

Die Erhaltung der begünstigten Rassen

im Kampfe ums Dasein

 

 

 

Charles Darwin: Über die Entstehung der Arten durch natürliche Zuchtwahl. Die Erhaltung der begünstigten Rassen im Kampfe ums Dasein

 

Übersetzt von Julius Victor Carus

 

Vollständige Neuausgabe mit einer Biographie des Autors.

Herausgegeben von Karl-Maria Guth, Berlin 2016.

 

Umschlaggestaltung unter Verwendung des Bildes:

John Gould, Rhea darwinii, 1841

 

ISBN 978-3-8430-6188-9

 

Dieses Buch ist auch in gedruckter Form erhältlich:

ISBN 978-3-8430-1641-4 (Broschiert)

ISBN 978-3-8430-1642-1 (Gebunden)

 

Die Sammlung Hofenberg erscheint im Verlag der Contumax GmbH & Co. KG, Berlin.

 

Erstdruck: London 1859. Erste deutsche Übersetzung von Heinrich Georg Bronn unter dem Titel »Über die Entstehung der Arten im Thier- und Pflanzenreich durch natürliche Züchtung, oder Erhaltung der vervollkommneten Rassen im Kampf ums Daseyn«, Stuttgart 1860. Der Text folgt der Übersetzung der sechsten Auflage, London 1872, durch Julius Victor Carus von 1884.

 

Der Text dieser Ausgabe folgt:

Charles Darwin: Über die Entstehung der Arten durch natürliche Zuchtwahl oder die Erhaltung der begünstigten Rassen im Kampfe um's Dasein. Nach der letzten englischen Ausgabe wiederholt durchgesehen von J. Victor Carus, 9. Auflage, Stuttgart: Schweitzerbart'sche Verlagsbuchhandlung, 1899.

 

Dieses Buch folgt in Rechtschreibung und Zeichensetzung obiger Textgrundlage.

 

Die Paginierung obiger Ausgabe wird in dieser Neuausgabe wortgenau mitgeführt und macht dieses E-Book auch in wissenschaftlichem Zusammenhang zitierfähig. Das Textende der Vorlagenseite wird hier durch die Seitennummer in eckigen Klammern mit grauer Schrift markiert.

 

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

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Charles Darwin

 

 

Über die Entstehung der Arten

durch natürliche Zuchtwahl

 

 

oder die Erhaltung der begünstigten Rassen

im Kampfe um's Dasein

 

 
(On the origin of species by means of natural selection,
or the preservation of favoured races in the struggle for life)

Vorberichte

Historische Skizze der Fortschritte in den Ansichten über den Ursprung der Arten (bis zum Erscheinen der ersten Auflage dieses Werkes)

Ich will hier eine kurze Skizze von der Entwicklung der Ansichten über den Ursprung der Arten geben. Bis vor Kurzem glaubte die grosse Mehrzahl der Naturforscher, dass die Arten unveränderlich seien und dass jede einzelne für sich erschaffen worden sei: diese Ansicht ist von vielen Schriftstellern mit Geschick vertheidigt worden. Nur einige wenige Naturforscher nahmen dagegen an, dass Arten einer Veränderung unterliegen und dass die jetzigen Lebensformen durch wirkliche Zeugung aus anderen früher vorhandenen Formen hervorgegangen sind. Abgesehen von einigen, auf unsern Gegenstand zu beziehenden Andeutungen in den Schriftstellern des classischen Alterthums1, war BUFFON der erste Schriftsteller, welcher in neuerer[1] Zeit denselben in einem wissenschaftlichen Geiste behandelt hat. Da indessen seine Ansichten zu verschiedenen Zeiten sehr schwankten und er sich nicht auf die Ursache oder Mittel der Umwandlung der Arten einlässt, brauche ich hier nicht auf Einzelnheiten einzugehen.

LAMARCK war der erste, dessen Ansichten über diesen Punkt grosses Aufsehen erregten. Dieser mit Recht gefeierte Naturforscher veröffentlichte dieselben zuerst 1801 und dann bedeutend erweitert 1809 in seiner ›Philosophie Zoologique‹, sowie 1815 in der Einleitung zu seiner Naturgeschichte der wirbellosen Thiere, in welchen Schriften er die Lehre aufstellte, dass alle Arten, den Menschen eingeschlossen, von anderen Arten abstammen. Er hat das grosse Verdienst, die Aufmerksamkeit zuerst auf die Wahrscheinlichkeit gelenkt zu haben, dass alle Veränderungen in der organischen wie in der unorganischen Welt die Folgen von Naturgesetzen und nicht von wunderbaren Zwischenfällen sind. LAMARCK scheint hauptsächlich durch die Schwierigkeit, Arten und Varietäten von einander zu unterscheiden, durch die fast ununterbrochene Stufenreihe der Formen in manchen Organismen-Gruppen und durch die Analogie mit unseren Züchtungserzeugnissen zu der Annahme einer gradweisen Veränderung der Arten geführt worden zu sein. Was die Mittel betrifft, wodurch die Umwandlung der Arten bewirkt werde, so schreibt er Einiges auf Rechnung einer directen Einwirkung der äusseren Lebensbedingungen. Einiges führt er auf die Wirkung einer Kreuzung der bereits bestehenden Formen und Vieles auf den Gebrauch und Nichtgebrauch der Organe, also auf die Wirkung der Gewohnheit zurück. Dieser letzten Kraft scheint er alle die schönen Anpassungen in der Natur zuzuschreiben, wie z.B. den langen Hals der Giraffe, der sie in den Stand setzt, die Zweige hoher Bäume abzuweiden. Doch nahm er zugleich ein Gesetz fortschreitender Entwicklung an, und da hiernach alle Lebensformen fortzuschreiten streben, so nahm er, um sich von dem Dasein sehr einfacher Lebensformen auch in unseren Tagen Rechenschaft zu geben, für derartige Formen noch eine Generatio spontanea an2.[2]

ÉTIENNE GEOFFROY SAINT-HILAIRE vermuthete, wie sein Sohn in dessen Lebensbeschreibung berichtet, schon um's Jahr 1795, dass unsere sogenannten Species nur Ausartungen eines und des nämlichen Typus seien. Doch erst im Jahre 1828 sprach er öffentlich seine Überzeugung aus, dass sich ein und dieselben Formen nicht unverändert seit dem Anfang der Dinge erhalten haben. GEOFFROY scheint die Ursache der Veränderung hauptsächlich in den Lebensbedingungen oder dem »Monde ambiant« gesucht zu haben. Doch war er vorsichtig im Ziehen von Schlüssen und glaubte nicht, dass jetzt bestehende Arten einer Veränderung unterlägen; sein Sohn sagt: »C'est donc un problème à réserver entièrement à l'avenir, supposé même, que l'avenir doive avoir prise sur lui.«

1813 las Dr. W. C. WELLS vor der Royal Society eine »Nachricht über eine Frau der weissen Rasse, deren Haut zum Theil der eines Negers gleicht«; der Aufsatz wurde nicht eher veröffentlicht, als bis seine zwei berühmten Essays »über Thau und Einfach-Sehn« 1818 erschienen. In diesem Aufsatze erkennt er deutlich das Princip der natürlichen Zuchtwahl an, und dies ist der erste nachgewiesene Fall einer solchen Anerkennung. Er wendete es aber nur auf die Menschenrassen und nur auf besondere Merkmale an. Nachdem er angeführt hat, dass Neger und Mulatten Immunität gegen gewisse tropische Krankheiten besitzen, bemerkt er erstens, dass alle Thiere in einem gewissen Grade abzuändern streben, und zweitens, dass Landwirthe ihre Hausthiere durch Zuchtwahl verbessern. Nun fügt er hinzu: was aber im letzten Falle »durch Kunst geschieht, scheint mit gleicher Wirksamkeit, wenn auch langsamer, bei der Bildung der Varietäten des Menschengeschlechts, welche den von ihnen bewohnten Ländern angepasst sind, durch die Natur zu geschehen. Unter den zufälligen Varietäten von Menschen, die unter den wenigen zerstreuten Einwohnern der mittleren Gegenden von Africa auftreten,[3] werden einige besser als andere im Stande sein, den Krankheiten des Landes zu widerstehen. In Folge hiervon wird sich diese Rasse vermehren, während die anderen abnehmen, und zwar nicht bloss, weil sie unfähig sind, die Erkrankungen zu überstehen, sondern weil sie nicht im Stande sind, mit ihren kräftigeren Nachbarn zu concurrieren. Nach dem, was bereits gesagt wurde, nehme ich es als ausgemacht an, dass die Farbe dieser kräftigern Rasse dunkel sein wird. Da aber die Neigung, Varietäten zu bilden, noch besteht, so wird sich eine immer dunklere und dunklere Rasse im Laufe der Zeit bilden; und da die dunkelste am besten für das Clima passt, so wird diese zuletzt in dem Lande, in dem sie entstand, wenn nicht die einzige, doch die vorherrschende Rasse werden.« Er dehnt dann die Betrachtungen auf die weissen Bewohner kälterer Climate aus. Ich bin Herrn ROWLEY aus den Vereinigten Staaten, welcher durch Mr. BRACE meine Aufmerksamkeit auf die angezogene Stelle in Dr. WELLS' Aufsatz lenkte, hierfür sehr verbunden.

Im vierten Bande der Horticultural Transactions, 1822, und in seinem Werke über die Amaryllidaceae (1837, p. 19, 339) erklärte W. HERBERT, nachheriger Dechant von Manchester, »es sei durch Horticulturversuche unwiderleglich dargethan, dass Pflanzen-Arten nur eine höhere und beständigere Stufe von Varietäten seien.« Er dehnt die nämliche Ansicht auch auf die Thiere aus und glaubt, dass ursprünglich einzelne Arten jeder Gattung in einem Zustande hoher Bildsamkeit geschaffen worden seien, und dass diese sodann hauptsächlich durch Kreuzung, aber auch durch Abänderung alle unsere jetzigen Arten erzeugt haben.

Im Jahre 1826 sprach Professor GRANT im Schlussparagraphen seiner bekannten Abhandlung über Spongilla (Edinburgh Philos. Journ. XIV, p. 283) seine Meinung ganz klar dahin aus, dass Arten von anderen Arten abgestammt sind und durch fortgesetzte Modificationen verbessert werden. Die nämliche Ansicht hat er auch 1834 im »Lancet« in seiner 55. Vorlesung wiederholt.

Im Jahre 1831 erschien das Buch von PATRICK MATTHEW: ›Naval Timber and Arboriculture‹, in welchem er genau dieselbe Ansicht von dem Ursprunge der Arten entwickelt, wie die (sofort zu erwähnende) von Mr. WALLACE und mir im ›Linnean Journal‹ entwickelte, und wie die in dem vorliegenden Bande weiter ausgeführt dargestellte. Unglücklicher Weise jedoch theilte MATTHEW seine Ansicht an einzelnen zerstreuten Stellen in dem Anhange zu einem Werke über einen ganz andern Gegenstand mit, so dass sie völlig[4] unbeachtet blieb, bis er selbst 1860 im Gardener's Chronicle vom 7. April die Aufmerksamkeit darauf lenkte. Die Abweichungen seiner Ansicht von der meinigen sind nicht von wesentlicher Bedeutung. Er scheint anzunehmen, dass die Welt in aufeinanderfolgenden Zeiträumen beinahe ausgestorben und dann wieder neu bevölkert worden ist, und stellt als die eine Alternative die Ansicht auf, dass neue Formen wohl erzeugt werden könnten »ohne die Anwesenheit eines Models oder Keimes früherer Aggregate«. Ich bin nicht sicher, ob ich alle Stellen richtig verstehe; doch scheint er grossen Werth auf die unmittelbare Wirkung der äusseren Lebensbedingungen zu legen. Er erkannte jedoch deutlich die volle Bedeutung des Princips der natürlichen Zuchtwahl.

Der berühmte Geolog LEOPOLD VON BUCH spricht sich in seiner vortrefflichen ›Description physique des Iles Canaries‹ (1836, p. 147) deutlich darüber aus, dass er glaube, Varietäten werden langsam zu beständigen Arten umgeändert, welche dann nicht mehr im Stande seien, sich zu kreuzen.

RAFINESQUE schreibt 1836 in seiner ›New Flora of North America‹ p. 6: »alle Arten mögen einmal blosse Varietäten gewesen sein, und viele Varietäten werden dadurch allmählich zu Species, dass sie constante und eigenthümliche Charactere erhalten«, fügt aber später, p. 18, hinzu: »mit Ausnahme jedoch des Originaltypus oder Stammvaters jeder Gattung«.

Im Jahre 1843-44 hat Professor HALDEMAN die Gründe für und wider die Hypothese der Entwicklung und Umgestaltung der Arten in angemessener Weise zusammengestellt (im Boston Journal of Natural History, Vol. IV, p. 468) und scheint sich mehr zur Annahme einer Veränderlichkeit zu neigen.

Die ›Vestiges of Creation‹ sind zuerst 1844 erschienen. In der zehnten sehr verbesserten Ausgabe (1853, p. 155) sagt der ungenannte Verfasser: »das auf reifliche Erwägung gestützte Ergebnis ist, dass die verschiedenen Reihen beseelter Wesen, von den einfachsten und ältesten an bis zu den höchsten und jüngsten, die unter Gottes Vorsehung eingetretenen Resultate sind 1) eines den Lebensformen ertheilten Impulses, der sie in bestimmten Zeiten auf dem Wege der Fortpflanzung von einer Organisationsstufe zur andern bis zu den höchsten Dicotyledonen und Wirbelthieren erhebt, – welche Stufen der Zahl nach nur wenige und gewöhnlich durch Lücken in der organischen Reihenfolge von einander geschieden sind, die eine practische Schwierigkeit bei Ermittelung der[5] Verwandtschaften abgeben; – 2) eines andern Impulses, welcher mit den Lebenskräften zusammenhängt und im Laufe der Generationen die organischen Gebilde in Übereinstimmung mit den äusseren Bedingungen, wie Nahrung, Wohnort und meteorische Kräfte, abzuändern strebt; dies sind die ›Anpassungen‹ der natürlichen Theologie«. Der Verfasser ist offenbar der Meinung, dass die Organisation sich durch plötzliche Sprünge vervollkommne, die Wirkungen der äusseren Lebensbedingungen aber allmählich eintreten. Er folgert mit grossem Nachdrucke aus allgemeinen Gründen, dass Arten keine unveränderlichen Producte seien. Ich vermag jedoch nicht zu ersehen, wie die angenommenen zwei »Impulse« in einem wissenschaftlichen Sinne von den zahlreichen und schönen Zusammenpassungen Rechenschaft geben können, welche wir allerwärts in der ganzen Natur erblicken; ich vermag nicht zu erkennen, dass wir dadurch zur Einsicht gelangen, wie z.B. ein Specht seiner besondern Lebensweise angepasst worden ist. Das Buch hat sich durch seinen glänzenden und hinreissenden Styl sofort eine sehr weite Verbreitung errungen, obwohl es in seinen früheren Auflagen wenig eingehende Kenntnis und einen grossen Mangel an wissenschaftlicher Vorsicht verrieth. Nach meiner Meinung hat es hier zu Lande vortreffliche Dienste dadurch geleistet, dass es die Aufmerksamkeit auf den Gegenstand lenkte, Vorurtheile beseitigte, und so den Boden zur Aufnahme analoger Ansichten vorbereitete.

Im Jahre 1846 sprach der Veteran unter den Geologen, J. D'OMALIUS D'HALLOY in einem vortrefflichen kurzen Aufsatze (im Bulletin de l'Académie Roy. de Bruxelles Tome XIII, p. 581) die Ansicht aus, dass es wahrscheinlicher sei, dass neue Arten durch Descendenz mit Abänderung der alten Charactere hervorgebracht, als einzeln geschaffen worden seien; er hatte diese Meinung zuerst im Jahre 1831 öffentlich ausgedrückt.

In Professor R. OWEN'S ›Nature of Limbs‹, 1849, p. 86 kommt folgende Stelle vor: »Die Idee des Grundtypus war in der Thierwelt unseres Planeten lange vor dem Dasein der sie jetzt erläuternden Thierarten in verschiedenen Modificationen bereits offenbart worden. Von welchen Naturgesetzen oder secundären Ursachen aber das regelmässige Aufeinanderfolgen und Fortschreiten solcher organischen Erscheinungen abhängig gewesen ist, das wissen wir bis jetzt noch nicht.« In seiner Ansprache an die Britische Gelehrtenversammlung im Jahre 1858 spricht er (p. LI) vom »Axiom der fortwährenden Thätigkeit der Schöpfungskraft oder des geordneten Werdens lebender[6] Wesen«, – und fügt später (p. XC) nach Bezugnahme auf die geographische Verbreitung hinzu: »Diese Erscheinungen erschüttern unser Vertrauen zu der Annahme, dass der Apteryx in Neu-Seeland und das rothe Waldhuhn in England verschiedene Schöpfungen in und für die genannten Inseln allein seien. Auch darf man nicht vergessen, dass das Wort Schöpfung für den Zoologen nur einen Process, man weiss nicht welchen, bedeutet.« OWEN führt diese Vorstellung dann weiter aus, indem er sagt, »wenn der Zoolog solche Fälle, wie den vom rothen Waldhuhn, als eine besondere Schöpfung des Vogels auf und für eine einzelne Insel aufzählt, so will er damit eben nur ausdrücken, dass er nicht begreife, wie derselbe dahin und eben nur dahin gekommen sei, und dass er durch diese Art seine Unwissenheit auszudrücken gleichzeitig seinen Glauben ausspreche, Insel wie Vogel verdanken ihre Entstehung einer grossen ersten Schöpfungskraft.« Wenn wir die in derselben Rede enthaltenen Sätze einen durch den andern erklären, so scheint im Jahre 1858 der ausgezeichnete Forscher in dem Vertrauen erschüttert worden zu sein, dass der Apteryx und das rothe Waldhuhn in ihren Heimathländern zuerst auf eine Weise, »man weiss nicht auf welche«, oder in Folge eines Processes, »man weiss nicht welches«, erschienen seien.

Diese Rede wurde gehalten, nachdem die sofort zu erwähnenden Aufsätze über den Ursprung der Arten von Mr. WALLACE und mir selbst vor der Linnean Society gelesen worden waren. Als die erste Auflage des vorliegenden Werkes erschien, war ich, wie so viele Andere, durch Ausdrücke wie: »Die beständige Wirksamkeit schöpferischer Thätigkeit« so vollständig getäuscht worden, dass ich Professor OWEN zu denjenigen Palaeontologen rechnete, welche von der Unveränderlichkeit der Arten fest überzeugt seien. Es erscheint dies aber (vergl. Anatomy of Vertebrates, Vol. III, p. 796) als ein bedenklicher Irrthum meinerseits. In der letzten Auflage dieses Buches schloss ich aus einer mit den Worten »no doubt the type-form etc.« (dasselbe Werk, Vol. I, p. XXXV) beginnenden Stelle (und dieser Schluss scheint mir noch jetzt völlig richtig), dass Professor OWEN annehme, die Zuchtwahl könne wohl bei der Bildung neuer Arten etwas bewirkt haben. Doch ist dies, wie es scheint (vergl. Vol. III, p. 798), ungenau und unbewiesen. Ich gab auch einige Auszüge aus einer Correspondenz zwischen Professor OWEN und dem Herausgeber der London Review, nach denen es sowohl dem Herausgeber als mir offenbar so erschien, als behaupte Professor OWEN die Theorie der natürlichen Zuchtwahl schon vor mir ausgesprochen zu haben;[7] und über diese Behauptung drückte ich meine Überraschung und meine Befriedigung aus. Soweit es indessen möglich ist, gewisse neuerdings publicierte Stellen zu verstehen (das angeführte Werk, Vol. III, p. 798), bin ich wiederum entweder theilweise oder vollständig in Irrthum gerathen. Es ist ein Trost für mich, dass Andere die streitigen Schriften Professor OWEN'S ebenso schwer zu verstehen und miteinander in Übereinstimmung zu bringen finden, wie ich selbst. Was die blosse Aussprache des Princips der natürlichen Zuchtwahl betrifft, so ist es völlig gleichgültig, ob mir darin Professor OWEN vorausgegangen ist oder nicht; denn wie in dieser historischen Skizze nachgewiesen wird, giengen uns beiden schon vor langer Zeit Dr. WELLS und Herr MATTHEW voraus.

ISIDORE GEOFFROY ST.-HILAIRE spricht in seinen im Jahre 1850 gehaltenen Vorlesungen (von welchen ein Auszug in Revue et Magazin de Zoologie 1851, Jan., erschien) seine Meinung über Artencharactere kurz dahin aus, dass »sie für jede Art feststehen, so lange wie sich dieselbe inmitten der nämlichen Verhältnisse fortpflanze, dass sie aber abändern, sobald die äusseren Lebensbedingungen wechseln«. Im Ganzen »zeigt die Beobachtung der wilden Thiere schon die beschränkte Veränderlichkeit der Arten. Die Versuche mit gezähmten wilden Thieren und mit verwilderten Hausthieren zeigen dies noch deutlicher. Dieselben Versuche beweisen auch, dass die hervorgebrachten Verschiedenheiten vom Werthe derjenigen sein können, durch welche wir Gattungen unterscheiden.« In seiner ›Histoire naturelle générale‹ (1859, T. II, p. 430) führt er ähnliche Folgerungen noch weiter aus.

Aus einer unlängst erschienenen Veröffentlichung scheint hervorzugehen, dass Dr. FREKE schon im Jahre 1851 (Dublin Medical Press, p. 322) die Lehre aufgestellt hat, dass alle organischen Wesen von einer Urform abstammen. Seine Gründe und seine Behandlungsart des Gegenstandes sind aber von den meinigen gänzlich verschieden: da aber sein ›Origin of Species by means of organic affinity‹, jetzt (1861) erschienen ist, so dürfte mir der schwierige Versuch, eine Darstellung seiner Ansicht zu geben, wohl erlassen werden.

HERBERT SPENCER hat in einem Essay, welcher zuerst im »Leader« vom März 1852 und später in SPENCER'S ›Essays‹ 1858 erschien, die Theorie der Schöpfung und die der Entwicklung organischer Wesen mit viel Geschick und grosser Überzeugungskraft einander gegenüber gestellt. Er folgert aus der Analogie mit den Züchtungserzeugnissen, aus den Veränderungen, welchen die Embryonen vieler Arten unterliegen,[8] aus der Schwierigkeit Arten und Varietäten zu unterscheiden, sowie endlich aus dem Princip einer allgemeinen Stufenfolge in der Natur, dass Arten abgeändert worden sind, und schreibt diese Abänderung dem Wechsel der Umstände zu. Derselbe Verfasser hat 1855 die Psychologie nach dem Principe einer nothwendigen stufenweisen Erwerbung jeder geistigen Kraft und Fähigkeit bearbeitet.

Im Jahre 1852 hat NAUDIN, ein ausgezeichneter Botaniker, in einem vorzüglichen Aufsatze über den Ursprung der Arten (Revue horticole, p. 102, später zum Theil wieder abgedruckt in den Nouvelles Archives du Muséum, T. 1, p. 171) ausdrücklich erklärt, dass nach seiner Ansicht Arten in analoger Weise von der Natur, wie Varietäten durch die Cultur gebildet worden seien; den letzten Vorgang schreibt er dem Wahlvermögen des Menschen zu. Er zeigt aber nicht, wie diese Wahl in der Natur vor sich geht. Er nimmt wie Dechant HERBERT an, dass die Arten anfangs bildsamer waren als jetzt, legt Gewicht auf sein sogenanntes Princip der Finalität, »eine unbestimmte geheimnisvolle Kraft, gleichbedeutend mit blinder Vorbestimmung für die Einen, mit providentiellem Willen für die Anderen, durch deren unausgesetzten Einfluss auf die lebenden Wesen in allen Weltaltern die Form, der Umfang und die Dauer eines jeden derselben je nach seiner Bestimmung in der Ordnung der Dinge, wozu es gehört, bedingt wird. Es ist diese Kraft welche jedes Glied mit dem Ganzen in Harmonie bringt, indem sie dasselbe der Verrichtung anpasst, die es im Gesammtorganismus der Natur zu übernehmen hat, einer Verrichtung, welche für dasselbe Grund des Daseins ist3

Im Jahre 1853 hat ein berühmter Geolog, Graf KEYSERLING (im Bulletin de la Société géologique, Tome X, p. 357), die Meinung ausgesprochen, dass, wie zu den verschiedenen Zeiten neue Krankheiten[9] durch irgend welches Miasma entstanden sind und sich über die Erde verbreitet haben, so auch zu gewissen Zeiten die Keime der bereits vorhandenen Arten durch Molecüle von besonderer Natur in ihrer Umgebung chemisch afficiert worden sein könnten, so dass nun neue Formen aus ihnen entstanden wären.

Im nämlichen Jahre 1853 lieferte auch Dr. SCHAAFFHAUSEN einen Aufsatz in die Verhandlungen des naturhistorischen Vereins der Preuss. Rheinlande, worin er die fortschreitende Entwicklung organischer Formen auf der Erde behauptet. Er nimmt an, dass viele Arten sich lange Zeiträume hindurch unverändert erhalten haben, während wenige andere Abänderungen erlitten. Das Auseinanderweichen der Arten ist nach ihm durch die Zerstörung der Zwischenstufen zu erklären. »Lebende Pflanzen und Thiere sind daher von den untergegangenen nicht als neue Schöpfungen geschieden, sondern vielmehr als deren Nachkommen in Folge ununterbrochener Fortpflanzung zu betrachten.«

Ein bekannter französischer Botaniker, LECOQ, schreibt 1854 in seinen ›Études sur la géographie botanique‹ T. I, p. 250: »man sieht, dass unsere Untersuchungen über die Stetigkeit und Veränderlichkeit der Arten uns geradezu auf die von GEOFFROY ST.-HILAIRE und GOETHE ausgesprochenen Vorstellungen führen.« Einige andere in dem genannten Werke zerstreute Stellen lassen uns jedoch darüber im Zweifel, wie weit LECOQ selbst diesen Vorstellungen zugethan ist.

Die ›Philosophie der Schöpfung‹ ist 1855 in meisterhafter Weise durch BADEN-POWELL (in seinen ›Essays on the Unity of Worlds‹) behandelt worden. Er zeigt auf's treffendste, dass die Einführung neuer Arten »eine regelmässige und nicht eine zufällige Erscheinung« oder, wie Sir JOHN HERSCHEL es ausdrückt, »eine Natur- im Gegensatze zu einer Wundererscheinung« ist.

Der dritte Band des Journal of the Linnean Society enthält zwei von Herrn WALLACE und mir am 1. Juli 1858 gelesene Aufsätze, worin, wie in der Einleitung zu vorliegendem Bande erwähnt wird, WALLACE die Theorie der natürlichen Zuchtwahl mit ausserordentlicher Kraft und Klarheit entwickelt.

C. E. VON BAER, der bei allen Zoologen in höchster Achtung steht, drückte um das Jahr 1859 seine hauptsächlich auf die Gesetze der geographischen Verbreitung gegründete Überzeugung dahin aus, dass jetzt vollständig verschiedene Formen Nachkommen einer einzelnen Stammform sind. (RUD. WAGNER, Zoolog.-anthropolog. Untersuchungen. 1861, p. 51.)[10] Im Juni 1859 hielt Professor HUXLEY einen Vortrag vor der Royal Institution über die »Bleibenden Typen des Thierlebens«. In Bezug auf derartige Fälle bemerkt er: »Es ist schwierig, die Bedeutung solcher Thatsachen zu begreifen, wenn wir voraussetzen, dass jede Pflanzen- und Thierart oder jeder grosse Organisationstypus nach langen Zwischenzeiten durch je einen besondern Act der Schöpfungskraft gebildet und auf die Erdoberfläche gesetzt worden ist; man darf nicht vergessen, dass eine solche Annahme weder in der Tradition noch in der Offenbarung eine Stütze findet, wie sie denn auch der allgemeinen Analogie in der Natur zuwider ist. Betrachten wir andererseits die persistenten Typen in Bezug auf die Hypothese, wornach die zu irgend einer Zeit lebenden Arten das Ergebnis allmählicher Abänderung schon früher existierender Arten sind – eine Hypothese, welche, wenn auch unerwiesen und auf klägliche Weise von einigen ihrer Anhänger verkümmert, doch die einzige ist, der die Physiologie einen Halt verleiht – , so scheint das Dasein dieser Typen zu zeigen, dass das Mass der Modification, welche lebende Wesen während der geologischen Zeit erfahren haben, sehr gering ist im Vergleich zu der ganzen Reihe von Veränderungen, welche sie überhaupt erlitten haben.«

Im December 1859 veröffentlichte Dr. HOOKER seine ›Einleitung zu der Tasmanischen Flora‹. In dem ersten Theile dieses grossen Werkes gibt er die Richtigkeit der Annahme des Ursprungs der Arten durch Abstammung und Umänderung von anderen zu und unterstützt diese Lehre durch viele Originalbeobachtungen.

Im November 1859 erschien die erste Ausgabe dieses Werkes, im Januar 1860 die zweite, im April 1861 die dritte, im Juni 1866 die vierte, im Juli 1859 die fünfte, im Januar 1872 die sechste.[11]

 

Fußnoten

 

1 Aristoteles führt in den ›Physicae auscultationes‹ (Buch 2, Cap. 8) die Ansicht des Empedokles an, dass der Regen nicht niederfalle, um das Korn wachsen zu machen, ebensowenig wie er falle, um das Korn zu verderben, wenn es unter freiem Himmel gedroschen wird, und wendet nun dieselbe Argumentation auf die Organismen an. Er fügt hinzu (Herr Clair Grece hat mich auf diese Stelle aufmerksam gemacht): »Was demnach steht dem im Wege, dass auch die Theile [des Körpers] in der Natur sich ebenso (zufällig) verhalten, dass z.B. die Zähne durch Nothwendigkeit hervorwachsen, nämlich die vorderen schneidig und tauglich zum Zertheilen, hingegen die Backenzähne breit und brauchbar zum Zermalmen der Nahrung, da sie ja nicht um dessenwillen so werden, sondern dies eben nebenbei erfolgt: und ebenso auch bei den übrigen Theilen, bei welchem das um eines Zweckes willen Wirkende vorhanden zu sein scheint; und die Dinge dann nun, bei welchen alles Einzelne gerade so sich ergab, als wenn es um eines Zweckes willen entstünde, diese hätten sich, nachdem sie grundlos von selbst in tauglicher Weise sich gebildet hätten, auch erhalten; bei welchen aber dies nicht der Fall war, diese seien schon zu Grunde gegangen und giengen noch zu Grunde.« [Acht Bücher Physik. Übersetzt von Prantl. p. 89.] Wir finden hier zwar eine dunkle Ahnung des Princips der natürlichen Zuchtwahl bei Empedokles; wie weit aber Aristoteles selbst davon entfernt war, es völlig zu erfassen, zeigen seine Bemerkungen über die Bildung der Zähne.

 

2 Ich habe die obige Angabe der ersten Veröffentlichung Lamarck's aus Isid. Geoffroy St.-Hilaire's vortrefflicher Geschichte der Meinungen über diesen Gegenstand (Histoire naturelle générale T. II, p. 406, 1859) entnommen, wo auch ein vollständiger Bericht von Buffon's Urtheilen über denselben Gegenstand zu finden ist. Es ist merkwürdig, wie weitgehend mein Grossvater, Dr. Erasmus Darwin, die Ansichten Lamarck's und deren irrige Begründung in seiner 1794 erschienenen Zoonomia (1. Bd. p. 500 – 510) anticipierte. Nach Isid. Geoffroy Saint-Hilaire war ohne Zweifel auch Goethe einer der eifrigsten Parteigänger für solche Ansichten, wie aus seiner Einleitung zu einem 1794 – 1795 geschriebenen, aber erst viel später veröffentlichten Werke hervorgeht. Er hat sich nämlich ganz bestimmt dahin ausgesprochen, dass für den Naturforscher in Zukunft die Frage beispielsweise nicht mehr die sei, wozu das Rind seine Hörner habe, sondern wie es zu seinen Hörnern gekommen sei (K. Meding über Goethe als Naturforscher p. 34). – Es ist ein merkwürdiges Beispiel der Art und Weise, wie ähnliche Ansichten ziemlich zu gleicher Zeit auftauchen, dass Goethe in Deutschland, Dr. Darwin in England und (wie wir sofort sehen werden) Ét. Geoffroy St.-Hilaire in Frankreich fast gleichzeitig, in den Jahren 1794 bis 1795, zu gleichen Ansichten über den Ursprung der Arten gelangt sind.

 

3 Nach einigen Citaten in Bronn's »Untersuchungen über die Entwicklungsgesetze« (p. 79 u. a.) scheint es, als habe der berühmte Botaniker und Palaeontolog Unger im Jahre 1852 die Meinung ausgesprochen, dass Arten sich entwickeln und abändern. Ebenso d'Alton 1821 in Pander und d'Alton's Werk über das fossile Riesenfaulthier. Ähnliche Ansichten entwickelte bekanntlich Oken in seiner mystischen »Naturphilosophie«. Nach anderen Citaten in Godron's Werk ›Sur l'Espèce‹ scheint es, dass Bory St.-Vincent, Burdach, Poiret und Fries alle eine fortwährende Erzeugung neuer Arten angenommen haben. – Ich will noch hinzufügen, dass von den 34 Autoren, welche in dieser historischen Skizze als solche aufgezählt werden, die an eine Abänderung der Arten oder wenigstens nicht an getrennte Schöpfungsacte glauben, 27 über specielle Zweige der Naturgeschichte oder Geologie geschrieben haben.

 

Über das Variieren organischer Wesen im Naturzustande; über die natürlichen Mittel der Zuchtwahl; über den Vergleich zwischen domesticierten Rassen und echten Arten
Theil eines Capitels mit obiger Überschrift aus einem nicht veröffentlichten Werke über die Art (dem ersten Entwurf des vorliegenden, skizziert 1839, ausgeführt 1844); vorgelesen Juni 1858 und mitgetheilt in: Journal of the Proceedings of the Linnean Society. Zoology, Vol. III, 1869. p. 45.

DE CANDOLLE hat einmal in beredter Weise erklärt, die ganze Natur sei im Kriege begriffen, ein Organismus kämpfe mit dem andern oder mit der umgebenden Natur. Wenn man sieht, was für ein zufriedenes[11] Aussehen die Natur darbietet, so möchte man dies zunächst bezweifeln; Überlegung führt indess unvermeidlich zu dem Schlusse, dass es wahr ist. Doch ist dieser Krieg nicht fortwährend anhaltend, sondern tritt in kürzeren Zwischenräumen in geringerem Grade, in gelegentlich und nach längerer Zeit wiederkehrenden Perioden heftiger auf, seine Wirkungen werden daher leicht übersehen. Es ist die Lehre von MALTHUS in den meisten Fällen mit verzehnfachter Kraft anwendbar. Wie es in einem jeden Clima für jeden seiner Bewohner verschiedene Jahreszeiten von grösserem und geringerem Überfluss gibt, so pflanzen sie sich auch sämmtlich jährlich fort; und die moralische Zurückhaltung, welche in einem geringen Grade die Zunahme der Menschheit aufhält, geht gänzlich verloren. Selbst die langsam sich vermehrenden Menschen haben schon ihre Zahl in fünfundzwanzig Jahren verdoppelt, und wenn sie ihre Nahrung mit grösserer Leichtigkeit vermehren könnten, so würden sie ihre Zahl in einer noch kürzern Zeit verdoppeln. Bei Thieren aber, welche keine künstlichen Mittel, die Nahrung zu vermehren, besitzen, muss die Quantität der Nahrung für jede Species im Mittel constant sein, während alle Organismen sich der Zahl nach in einem geometrischen Verhältnisse zu vermehren neigen, in einer ungeheuern Majorität der Fälle sogar in einem enormen Verhältnis. Man nehme an, dass an einem bestimmten Orte acht Vogelpaare leben, und dass nur vier Paare davon jährlich (mit Einschluss doppelter Bruten) nur vier Junge aufziehen, und dass diese in demselben Verhältnisse gleichfalls Junge aufziehen, dann werden nach Verlauf von sieben Jahren (ein kurzes Leben für jeden Vogel, aber mit Ausschluss gewaltsamer Todesursachen) 2048 Vögel anstatt der ursprünglichen sechzehn vorhanden sein. Da diese Zunahme völlig unmöglich ist, so müssen wir schliessen, entweder dass Vögel auch nicht annähernd die Hälfte ihrer Jungen aufziehen oder dass die mittlere Lebensdauer eines Vogels, in Folge von Unglücksfällen, auch nicht annähernd sieben Jahre beträgt. Wahrscheinlich wirken beide Hemmnisse zusammen. Dieselbe Art von Berechnung auf alle Pflanzen und Thiere angewandt, ergibt mehr oder weniger auffallende Resultate, aber in sehr wenig Fällen auffallendere als beim Menschen.

Es sind viele thatsächliche Beispiele dieser Tendenz zu einer rapiden Vermehrung gegeben worden; unter diesen findet sich die ausserordentliche Anzahl gewisser Thiere während gewisser Jahre. Als z.B. während der Jahre 1826 bis 1828 in La Plata in Folge[12] einer Dürre einige Millionen Rinder umkamen, wimmelte factisch das ganze Land von Mäusen. Ich glaube nun, es lässt sich nicht bezweifeln, dass während der Brut-Zeit sämmtliche Mäuse (mit Ausnahme einiger weniger im Überschuss vorhandener Männchen oder Weibchen) sich gewöhnlich paaren; diese erstaunliche Zunahme während dreier Jahre muss daher dem Umstande zugeschrieben werden, dass eine grössere Zahl als gewöhnlich das erste Jahr überlebt und sich dann fortgepflanzt hat, und so fort bis zum dritten Jahr, wo dann ihre Zahl durch den Wiedereintritt nassen Wetters in ihre gewöhnlichen Grenzen zurückgebracht wurde. Wo der Mensch Pflanzen und Thiere in ein neues und günstiges Land eingeführt hat, da ist häufig, wie viele Schilderungen es ergeben, in überraschend wenig Jahren das ganze Land von ihnen bevölkert worden. Diese Zunahme wird natürlich aufhören, sobald das Land vollständig bevölkert ist; und doch haben wir allen Grund zur Annahme, dass nach dem, was wir von wilden Thieren wissen, sie sich sämmtlich im Frühjahr paaren werden. In der Mehrzahl der Fälle ist es äusserst schwierig, sich vorzustellen, in welche Zeit die Hemmnisse fallen, – obschon dieselben ohne Zweifel meist die Samen, Eier und Junge treffen; wenn wir uns aber erinnern, wie unmöglich es selbst beim Menschen (der doch so viel besser gekannt ist als irgend ein anderes Thier) ist, aus wiederholten zufälligen Beobachtungen zu schliessen, welches die mittlere Lebensdauer ist, oder den verschiedenen Procentsatz der Todesfälle und Geburten in verschiedenen Ländern aufzufinden, so darf uns das nicht überraschen, dass wir nicht im Stande sind, aufzufinden, wann bei jedem Thier und bei jeder Pflanze die Hemmnisse eintreten. Man muss sich beständig daran erinnern, dass in den meisten Fällen die Hemmnisse in einem geringen, regelmässigen Grade jährlich, und in äusserst starkem Grade, im Verhältnis zur Constitution des in Frage stehenden Wesens, während ungewöhnlich warmer, kalter, trockener oder nasser Jahre wiederkehren. Man vermindere irgend ein Hemmnis im allergeringsten Grade und die geometrischen Zunahmeverhältnisse von jedem Organismus werden beinahe augenblicklich die Durchschnittszahl der begünstigten Species vergrössern. Die Natur kann mit einer Fläche verglichen werden, auf welcher zehntausend scharfe, sich einander berührende Keile liegen, welche durch beständige Schläge nach innen getrieben werden. Um sich diese Ansicht vollständig zu vergegenwärtigen, ist viel Nachdenken erforderlich. MALTHUS ›über den Menschen‹ sollte studiert, und alle solche[13] Fälle wie von den Mäusen in La Plata, von den Rindern und Pferden bei ihrer ersten Verwilderung in Süd-America, von den Vögeln nach der oben angestellten Berechnung u.s.w. sollten eingehend betrachtet werden. Man überlege sich nur das enorme Vervielfältigungsvermögen, was allen Thieren inhärent und bei allen jährlich in Thätigkeit ist; man bedenke die zahllosen Samen, welche durch hundert sinnreiche Einrichtungen Jahr auf Jahr über die ganze Oberfläche des Landes verstreut werden; und doch haben wir allen Grund zu vermuthen, dass der durchschnittliche Procentsatz aller der Bewohner einer Gegend für gewöhnlich constant bleibt. Man erinnere sich endlich noch daran, dass diese mittlere Zahl von Individuen (solange die äusseren Lebensbedingungen dieselben bleiben) in jedem Lande durch immer wiederkehrende Kämpfe mit anderen Arten oder mit der umgebenden Natur erhalten wird (wie z.B. an den Grenzen der arctischen Regionen, wo die Kälte die Verbreitung des Lebens hemmt), und dass für gewöhnlich jedes Individuum jeder Species seinen Platz behauptet, entweder durch sein eigenes Kämpfen und die Fähigkeit, auf irgend einer Periode seines Lebens vom Eie an aufwärts sich Nahrung zu verschaffen, oder durch das Kämpfen seiner Eltern (bei kurzlebigen Organismen, wo ein grösseres Hemmnis erst nach längeren Intervallen wiederkehrt) mit anderen Individuen derselben oder verschiedener Species.

Wir wollen aber nun annehmen, dass die äusseren Bedingungen in einem Lande sich ändern. Tritt dies nur in geringem Grade ein, so werden in den meisten Fällen die relativen Mengen der Bewohner unbedeutend verändert werden; wenn wir aber annehmen, dass die Zahl der Bewohner klein ist, wie auf einer Insel, und dass der freie Eintritt von anderen Ländern her beschränkt ist, ferner, dass die Veränderung der Bedingungen beständig und stetig fortschreite (wobei neue Wohnstätten gebildet werden): – in einem solchen Falle müssen die ursprünglichen Bewohner aufhören, so vollkommen den veränderten Bedingungen angepasst zu sein, wie sie es vorher waren. In einem früheren Theile dieses Werkes ist gezeigt worden, dass derartige Veränderungen der äusseren Bedingungen, weil sie auf das Reproductionssystem wirken, wahrscheinlich das bewirken werden, dass die Organisation derjenigen Wesen, welche am meisten afficiert wurden (wie im Zustande der Domestication), plastisch wird. Kann es nun bei dem Kampfe, welchen jedes Individuum zum Erlangen seiner Subsistenz zu führen hat, bezweifelt werden, dass jede kleinste Abänderung im Bau, in der Lebensweise oder in den Instincten,[14] welche dieses Individuum besser den neuen Verhältnissen anpassen wird, Einfluss auf seine Lebenskraft und Gesundheit haben wird? Im Kampfe wird es bessere Aussicht haben, leben zu bleiben, und diejenigen von seinen Nachkommen, welche die Abänderung, mag sie auch noch so unbedeutend sein, erben, werden gleichfalls eine bessere Aussicht haben. Jedes Jahr werden mehr Individuen geboren, als leben bleiben können; das geringste Körnchen in der Wage muss mit der Zeit entscheiden, welche Individuen dem Tode verfallen und welche überleben sollen. Wir wollen nun einerseits diese Arbeit der Zuchtwahl, andererseits das Absterben für ein tausend Generationen fortgehen lassen, wer möchte da wohl zu behaupten wagen, dass dies keine Wirkung hervorbringen wird, wenn wir uns daran erinnern, was in wenigen Jahren BAKEWELL beim Rinde, WESTERN beim Schafe durch das hiermit identische Princip der Auslese zur Nachzucht erreicht hat?

Wir wollen ein Beispiel fingieren von Veränderungen, welche auf einer Insel im Fortschreiten begriffen sind: – wir wollen annehmen, die Organisation eines hundeartigen Thieres, welches hauptsächlich auf Kaninchen, zuweilen aber auch auf Hasen jagt, werde in geringem Grade plastisch; wir nehmen ferner an, dass diese selben Veränderungen es bewirken, dass die Zahl der Kaninchen sehr langsam ab-, die der Hasen dagegen zunimmt. Das Resultat hiervon wird das sein, dass der Fuchs oder Hund dazu getrieben wird, zu versuchen, mehr Hasen zu fangen: da indessen seine Organisation in geringem Grade plastisch ist, so werden diejenigen Individuen, welche die leichtesten Formen, die längsten Beine und das schärfste Gesicht haben, – der Unterschied mag noch so gering sein – , in geringem Masse begünstigt sein und dazu neigen, länger zu leben und während der Zeit des Jahres leben zu bleiben, in welcher die Nahrung am knappsten war; sie werden auch mehr Junge aufziehen, welchen die Tendenz innewohnt, jene unbedeutenden Eigenthümlichkeiten zu erben. Die weniger flüchtigen Individuen werden ganz sicher untergehen. Ich finde ebenso wenig Grund, daran zu zweifeln, dass diese Ursachen in tausend Generationen eine ausgesprochene Wirkung hervorbringen und die Form des Fuchses oder Hundes dem Fangen von Hasen anstatt von Kaninchen anpassen werden, wie daran, dass Windhunde durch Auswahl und sorgfältige Nachzucht veredelt werden können. Dasselbe würde auch für Pflanzen unter ähnlichen Umständen gelten. Wenn die Anzahl der Individuen einer Species mit befiederten Samen durch ein grösseres Vermögen der Verbreitung[15] innerhalb ihres eigenen Gebiets vermehrt werden könnte (vorausgesetzt, dass die Hemmnisse der Vermehrung hauptsächlich die Samen betreffen), so würden diejenigen Samen, welche mit etwas, wenn auch noch so unbedeutend mehr Fiederung versehen wären, mit der Zeit am meisten verbreitet werden; es würde daher eine grössere Zahl so gebildeter Samen keimen und würden Pflanzen hervorzubringen neigen, welche die um ein Geringes besser angepasste Fiederkrone ihrer Samen erben4.

Ausser diesen natürlichen Mitteln der Auslese, durch welche diejenigen Individuen entweder im Ei, oder im Larven- oder im reifen Zustande erhalten werden, welche an den Platz, welchen sie im Naturhaushalt zu füllen haben, am besten angepasst sind, ist noch bei den meisten eingeschlechtlichen Thieren eine zweite Thätigkeit wirksam, welche dasselbe Resultat hervorzubringen strebt, nämlich der Kampf der Männchen um die Weibchen. Dieses Ringen nach dem Sieg wird im Allgemeinen durch das Gesetz eines wirklichen Kampfes entschieden, aber, was die Vögel betrifft, allem Anschein nach durch den Zauber ihres Gesangs, durch ihre Schönheit oder durch ihr Vermögen, den Hof zu machen, wie es bei dem tanzenden Klippenhuhn von Guiana der Fall ist. Die lebenskräftigsten und gesündesten Männchen, die damit auch die am vollkommensten angepassten sind, tragen allgemein in ihren Kämpfen den Sieg davon. Diese Art von Auswahl ist indessen weniger rigoros als die andere; sie erfordert nicht den Tod des weniger Erfolgreichen, gibt ihm aber weniger Nachkommen. Überdies fällt der Kampf in eine Zeit des Jahres, wo Nahrung meist sehr reichlich vorhanden ist; vielleicht dürfte auch die hervorgebrachte Wirkung hauptsächlich in einer Modification der secundären Sexualcharactere bestehen, welche weder in einer Beziehung zur Erlangung von Nahrung, noch zur Vertheidigung gegen Feinde stehen, sondern nur auf das Kämpfen oder Rivalisieren mit anderen Männchen Bezug haben. Die Resultate dieses Kämpfens unter den Männchen lassen sich in manchen Beziehungen mit dem vergleichen, was diejenigen Landwirthe hervorrufen, welche weniger Aufmerksamkeit auf die sorgfältige Auswahl aller ihrer jungen Thiere und mehr auf die gelegentliche Benutzung eines ausgesuchten Männchens wenden.[16]

 

Fußnoten

 

4 Ich kann hierin keine grössere Schwierigkeit finden, als darin, dass der Pflanzer seine Varietäten der Baumwollenstaude veredelt. – C. D. 1858.

 

Auszug eines Briefes an Prof. Asa Gray

Vom 5. September 1857.

 

1. Es ist wunderbar, was durch Befolgung des Grundsatzes der Zuchtwahl vom Menschen erreicht werden kann, d.h. durch das Auslesen gewisser Individuen mit irgend einer gewünschten Eigenschaft, das Züchten von ihnen und wieder Auslesen u.s.f. Züchter sind selbst über ihre eigenen Resultate erstaunt gewesen. Sie können auf Unterschiede Einfluss äussern, welche für ein unerzogenes Auge nicht wahrnehmbar sind. Zuchtwahl ist in Europa nur seit dem letzten halben Jahrhundert methodisch befolgt worden; gelegentlich wurde sie aber, und selbst in einem gewissen Grade methodisch in den allerältesten Zeiten befolgt. Seit sehr langer Zeit muss auch eine Art unbewusster Zuchtwahl bestanden haben, nämlich in der Weise, dass, ohne irgend an ihre Nachkommen zu denken, diejenigen Individuen erhalten wurden, welche jeder Menschenrasse unter ihren besonderen Verhältnissen am nützlichsten waren. Das »Ausjäten«, wie die Gärtner das Zerstören der vom Typus abweichenden Varietäten nennen, ist eine Art von Zuchtwahl. Ich bin überzeugt, absichtliche und gelegentliche Zuchtwahl ist das hauptsächliche Agens in dem Hervorbringen unserer domesticierten Rassen gewesen; wie sich dies aber auch immer verhalten mag, ihr grosser Einfluss auf die Modification hat sich in neuerer Zeit ganz unbestreitbar herausgestellt. Zuchtwahl wirkt nur durch Anhäufung unbedeutender oder grösserer Abänderungen, welche durch äussere Bedingungen verursacht worden sind oder einfach in der Thatsache ausgedrückt sind, dass bei der Zeugung das Kind nicht seinem Erzeuger absolut ähnlich ist. Der Mensch passt durch sein Vermögen, Abänderungen zu häufen, lebende Wesen seinen Bedürfnissen an, – man kann sagen, er macht die Wolle des einen Schafs gut zu Teppichen, die des andern gut zu Tuch u.s.w.

2. Wenn wir nun annehmen, dass es ein Wesen gäbe, welches nicht bloss nach dem äussern Ansehen urtheilte, sondern die ganze innere Organisation studieren könnte, welches niemals von Launen sich bestimmen liesse, und zu einem bestimmten Zwecke Millionen von Generationen lang zur Nachzucht auswählte; wer wird hier angeben wollen, was hier nicht zu erreichen wäre? In der Natur treten irgend welche unbedeutende Abänderungen in allen Theilen auf; und ich glaube, es lässt sich zeigen, dass veränderte[17] Existenzbedingungen die hauptsächliche Ursache davon sind, dass das Kind nicht ganz genau seinen Eltern gleicht; ferner zeigt uns die Geologie, was für Veränderungen in der Natur stattgefunden haben und noch stattfinden. Wir haben Zeit beinahe ohne Schranken; Niemand anders als ein practischer Geolog kann dies vollständig würdigen. Man denke nur an die Eiszeit, während welcher in ihrer ganzen Dauer dieselben Species, wenigstens von Schalthieren, existiert haben; während dieser Zeit müssen Millionen auf Millionen von Generationen gefolgt sein.

3. Ich glaube, es lässt sich nachweisen, dass eine derartige niemals irrende Kraft in der Natürlichen Zuchtwahl (dies ist der Titel meines Buches) thätig ist, welche ausschliesslich zum Besten eines jeden organischen Wesens auswählt. Der ältere DE CANDOLLE, W. HERBERT und LYELL haben ausgezeichnet über den Kampf um's Dasein geschrieben; aber selbst diese haben sich nicht eindringlich genug ausgedrückt. Man überlege sich nur, dass ein jedes Wesen (selbst der Elefant) in einem solchen Verhältnisse sich vermehrt, dass in wenigen Jahren, oder höchstens in einigen wenigen Jahrhunderten die Oberfläche der Erde nicht im Stande wäre, die Nachkommen eines Paares zu fassen. Ich habe gefunden, dass es sehr schwer ist, beständig im Auge zu behalten, dass die Zunahme einer jeden Species während irgend eines Theiles ihres Lebens oder während einiger kurz aufeinanderfolgender Generationen gehemmt wird. Nur einige wenige von den jährlich geborenen Individuen können leben bleiben, um ihre Art fortzupflanzen. Welcher unbedeutende Unterschied muss da oft bestimmen, welche leben bleiben und welche untergehen sollen!

4. Wir wollen nun den Fall nehmen, dass ein Land irgend eine Veränderung erleidet. Dies wird einige seiner Bewohner dazu bestimmen, unbedeutend zu variieren – , womit ich aber nicht sagen will, dass ich etwa nicht glaubte, die meisten Wesen variierten zu aller Zeit genug, um die Zuchtwahl auf sie einwirken lassen zu können. Einige seiner Bewohner werden vertilgt werden; und die Übrigbleibenden werden der gegenseitigen Einwirkung einer verschiedenen Gesellschaft von Bewohnern ausgesetzt sein, welche, wie ich glaube, bei weitem bedeutungsvoller für ein jedes Wesen ist als das blosse Clima. Bedenkt man die unendlich verschiedenen Methoden, welche lebende Wesen befolgen, durch Kampf mit anderen Organismen sich Nahrung zu verschaffen, zu verschiedenen Zeiten ihres Lebens Gefahren zu entgehen, ihre Eier oder Samen[18] auszubreiten u.s.w., so kann ich nicht daran zweifeln, dass während Millionen von Generationen gelegentlich Individuen einer Species geboren werden, welche irgend eine unbedeutende, irgend einem Theile ihres Lebenshaushalts vortheilhafte Abänderung darbieten. Derartige Individuen werden eine bessere Aussicht haben, leben zu bleiben und ihren neuen und ein wenig abweichenden Bau fortzupflanzen; die Modification wird auch durch die accumulative Thätigkeit der natürlichen Zuchtwahl in jeder vortheilhaften Ausdehnung vergrössert werden. Die in dieser Weise gebildete Varietät wird entweder mit ihrer elterlichen Form zusammen existieren oder, was noch häufiger der Fall sein wird, dieselbe verdrängen. Ein organisches Wesen, wie der Specht oder die Mistel, kann in dieser Weise einer Menge von Beziehungen angepasst werden – , die natürliche Zuchtwahl häuft eben diejenigen unbedeutenden Abänderungen in allen Theilen seines Baues, welche ihm während irgend eines Theils seines Lebens von Nutzen sind.

5. Vielerlei Schwierigkeiten werden sich mit Rücksicht auf diese Theorie einem jedem darbieten. Ich glaube, viele können völlig befriedigend beantwortet werden. Der Satz »Natura non facit saltum« beseitigt einige der augenfälligsten. Die Langsamkeit der Veränderung und der Umstand, dass nur sehr wenige Individuen zu irgend einer gegebenen Zeit sich verändern, widerlegt andere. Die äusserste Unvollständigkeit unserer geologischen Berichte beseitigt noch andere.

[19]scheinen