ALAN MIKHAIL
Gottes Schatten
Sultan Selim und die
Geburt der modernen Welt
Aus dem Englischen von
Heike Schlatterer und Helmut Dierlamm
C.H.BECK
Das Osmanische Reich war um 1500 das mächtigste Reich der Welt, dessen Herrschaftsgebiet sich unter Sultan Selim nahezu verdreifachte. Der preisgekrönte amerikanische Historiker Alan Mikhail betrachtet in seinem meisterhaft erzählten Buch den Beginn der Neuzeit konsequent von diesem Reich und diesem Herrscher aus. Auf der Grundlage bisher vernachlässigter Quellen zeichnet er so ein ganz neues Bild von dieser Schlüsselepoche: Ohne die Osmanen hätten die Europäer nicht Amerika erobert, hätte es keine Reformation gegeben und keine Moderne.
Selim I., «der Gestrenge» (1470–1520), osmanischer Sultan und Kalif aller Gläubigen, lebte in einer Welt im Umbruch. Mit der Eroberung Amerikas durch die Spanier begann nach landläufiger Meinung der «Aufstieg des Westens», mit der Reformation wurden mittelalterliche Denkweisen überwunden. Doch die eigentlich treibende Kraft dieser Veränderungen wurde bisher ausgeblendet: Erst das Vordringen des Osmanischen Reiches nach Westen zwang die Europäer ihrerseits weiter nach Westen in eine Neue Welt, wo sie ihren alten Kreuzzug gegen den Islam fortsetzten. Nicht zufällig kam es in Europa zur Glaubensspaltung, als Sultan Selim den sunnitischen Islam reformierte und sich der Graben zwischen Sunniten und Schiiten vertiefte. Alan Mikhail zeigt auf faszinierende Weise, wie sehr die Geschichte Europas und Amerikas mit der der islamischen Welt verflochten ist. Ob wir es wollen oder nicht, die Welt, in der wir leben, ist eine sehr osmanische. Und diese Geschichte kann uns nur Sultan Selim erzählen.
Alan Mikhail, Professor für Geschichte an der Yale University, ist mit preisgekrönten Büchern zur Umweltgeschichte insbesondere des Osmanischen Reichs und Ägyptens international bekannt geworden. 2018 wurde er mit dem Anneliese Maier-Forschungspreis der Alexander von Humboldt Stiftung ausgezeichnet.
VERZEICHNIS DER KARTEN
EINLEITUNG
ERSTER TEIL: Prinz – (1470–1487)
1. PARFÜM DER WELT
2. KNABEN DES REICHES
3. EIN OSMANE IM AUSLAND
ZWEITER TEIL: Statthalter – (1487–1500)
4. EINE LEHRE IM GESCHÄFT DER FAMILIE
5. MACHT AM RAND
DRITTER TEIL: Der Osmane – (1492)
6. KOLUMBUS UND DER ISLAM
7. DER KREUZZUG DES KOLUMBUS
8. DER ISLAM DER NEUEN WELT
9. CHRISTLICHER DSCHIHAD
10. DIE TAINO-MUSLIME VON HISPANIOLA
11. EIN OSMANISCHES JERUSALEM
VIERTER TEIL: Feinde nah und fern – (1500–1512)
12. HÄRESIE AUS DEM OSTEN
13. ÜBERALL FEINDE
14. EIN SOMMER AUF DER KRIM
15. DER WEG NACH ISTANBUL
16. DER EINZIGE SULTAN
FÜNFTER TEIL: Selims Weltkriege – (1512–1518)
17. «IHRE WOHNSTATT IST DIE HÖLLE»
18. BRÜDERLICHE REICHE
19. DIE EROBERUNG DES «NABELS»
20. DIE EROBERUNG DER WELT
SECHSTER TEIL: Finale Grenzen – (1518–1520)
21. ÜBERALL DAS REICH
22. DREH- UND ANGELPUNKT AM ATLANTIK
23. EWIGKEIT
SIEBTER TEIL: Nachkommen – (nach 1520)
24. SELIMS REFORMATIONEN
25. DER AMERIKANISCHE SELIM
SCHATTEN ÜBER DER TÜRKEI
ANHANG
DANK
ZEITTAFEL
SELIM UND SEINE WELT
ANMERKUNGEN
EINLEITUNG
1. PARFÜM DER WELT
2. KNABEN DES REICHES
3. EIN OSMANE IM AUSLAND
4. EINE LEHRE IM GESCHÄFT DER FAMILIE
5. MACHT AM RAND
6. KOLUMBUS UND DER ISLAM
7. DER KREUZZUG DES KOLUMBUS
8. DER ISLAM DER NEUEN WELT
9. CHRISTLICHER DSCHIHAD
10. DIE TAINO-MUSLIME VON HISPANIOLA
11. EIN OSMANISCHES JERUSALEM
12. HÄRESIE AUS DEM OSTEN
13. ÜBERALL FEINDE
14. EIN SOMMER AUF DER KRIM
15. DER WEG NACH ISTANBUL
16. DER EINZIGE SULTAN
17. «IHRE WOHNSTATT IST DIE HÖLLE»
18. BRÜDERLICHE REICHE
19. DIE EROBERUNG DES «NABELS»
20. DIE EROBERUNG DER WELT
21. ÜBERALL DAS REICH
22. DREH- UND ANGELPUNKT AM ATLANTIK
23. EWIGKEIT
24. SELIMS REFORMATIONEN
25. DER AMERIKANISCHE SELIM
SCHATTEN ÜBER DER TÜRKEI
BILDNACHWEIS
PERSONENREGISTER
Die Welt um 1500
Europa um 1500
Das Osmanische Reich um 1500
Venedig und das Osmanische Reich
Cems Reise
Trabzon
Genua und sein Handelsimperium
Westafrika und die Iberische Halbinsel
Fluchtwege der Juden aus Spanien
Das osmanische Saloniki
Selims Osten
Die Krim und das Schwarze Meer
Der Bosporus
Topkapı-Palast
Istanbul im 16. Jahrhundert
Der Feldzug gegen die Safawiden 1514
Das Mamlukenreich
Jerusalem
Der Krieg zwischen Osmanen und Mamluken
Damaskus
Kairo
Naher Osten, Ostafrika und Indischer Ozean
Nordafrika
Die konfessionelle Zersplitterung Europas nach 1517
Die Karten wurden erstellt von David Lindroth Inc. und für die deutsche Ausgabe bearbeitet.
Selim
An der Grenze zwischen Texas und Mexiko, genau an der Stelle, wo der Rio Grande in den Golf von Mexiko mündet, liegt eine schläfrige Stadt mit dem unwahrscheinlichen Namen Matamoros. «Mata» ist von dem spanischen Verb matar, töten, abgeleitet, und moros ist das spanische Äquivalent für das deutsche Wort «Mauren», den pejorativen Begriff, mit dem die spanischen Christen die Muslime bezeichneten. Ein Matamoros ist also ein Maurentöter, ein Titel, der offenbar keinen Bezug zur amerikanischen Geschichte oder Gegenwart hat. Warum sollte eine sonnige Grenzstadt im Nordosten Mexikos «Maurentöter» heißen? Galten Muslime in Mexiko oder Texas je als existenzielle Feinde, die es zu töten galt?
Das Wort «Matamoros» wurde von den katholischen Spaniern geprägt. Für sie war jeder christliche Soldat dazu verpflichtet, ein Maurentöter zu sein. Ein großer Teil Spaniens hatte von 711 bis 1492 unter muslimischer Herrschaft gestanden. Das Jahr 1492 kann in zweifacher Hinsicht als geopolitisch schicksalhaft gelten: Nicht nur eroberten (oder rückeroberten, wie sie lieber sagten) die Spanier die letzte muslimische Festung auf der Iberischen Halbinsel, sondern ein ganz bestimmter Maurentöter mit dem bekannten Namen Christoph Kolumbus eröffnete in jenem Jahr auch eine neue Front im spanischen Krieg gegen den Islam. Er hatte Isabella und Ferdinand bei der Eroberung Granadas als Soldat gedient und war zweifellos ein religiöser Mann. Sein Leben lang hatte er in zahlreichen Schlachten gegen Muslime gekämpft, oder genauer gesagt, gegen das Osmanische Reich, den wichtigsten Rivalen Spaniens im Mittelmeerraum. Dabei hatte er seinen Geschmack für muslimisches Blut verfeinert und mit Leib und Seele die Last des Heiligen Krieges auf sich genommen. Als er auf dem Atlantik nach Westen fuhr, war er deshalb weder von einer weltlichen Begeisterung für Entdeckungen noch von einer wohlkalkulierten Geschäftsidee erfüllt. Vielmehr segelte er mit dem leidenschaftlichen Bedürfnis, auch in Amerika den Krieg der Christenheit gegen deren größten Feind zu führen: den Islam.
Trotz des großen Sieges auf der Iberischen Halbinsel verloren die Christen fast überall sonst Menschen, wirtschaftlichen Einfluss und Gebiete an die Osmanen. Der ideologische Wind, der die weißen Segel der drei Schiffe von Kolumbus füllte, war der wichtigste politische Kampf in der Welt des 15. Jahrhunderts: die Auseinandersetzung zwischen dem katholischen Europa und dem muslimischen Osmanischen Reich. Anders als in fast allen gängigen Versionen der Weltgeschichte behauptet, war nämlich das Osmanische Reich der Grund, warum die Europäer nach Amerika vordrangen.
Schon ein halbes Jahrhundert vor 1492 und Jahrhunderte danach galt das Osmanische Reich als der mächtigste Staat der Welt: das größte Reich im Mittelmeerraum seit dem alten Rom und das beständigste in der Geschichte des Islam. In den Jahrzehnten um 1500 herrschten die Osmanen über ein größeres Territorium und mehr Menschen als irgendeine andere Macht. Durch das osmanische Monopol auf die Handelswege zwischen Ost und West und die militärische Stärke zu Lande und zu Wasser wurden Spanier und Portugiesen im 15. Jahrhundert aus dem Mittelmeerraum verdrängt. Kaufleute und Seeleute sahen sich deshalb gezwungen, auf gefährlichen Entdeckungsreisen unbekannte Meere zu überqueren und Kontinente zu umschiffen, nur um den Osmanen auszuweichen.
Das Osmanische Reich prägte um die Wende zum 16. Jahrhundert die bekannte Welt von China bis Mexiko. Aufgrund seiner Hegemonie stand es in militärischer, ideologischer und wirtschaftlicher Konkurrenz zu den spanischen und den italienischen Staaten, zu Russland, Indien und China und zu anderen muslimischen Mächten. Auf die eine oder andere Art beeinflussten die Osmanen jedes wichtige Ereignis jener Jahre, mit Folgen bis in unsere Zeit. Dutzende bekannter Gestalten wie Kolumbus, Vasco da Gama, Montezuma, der Reformator Luther, der Kriegsherr Timur, Generationen von Päpsten und Millionen größerer und kleinerer historischer Persönlichkeiten orientierten sich, was ihre Aktionen und ihre Existenz betraf, an der Reichweite und Größe der osmanischen Macht.
Die Herausforderung durch die osmanische Spielart des Islam, als sich das Reich im Westen nach Europa ausdehnte, war ein wichtiger Antrieb für die protestantische Reformation Luthers. An der Ostgrenze des Reiches verstärkten die Kriege mit dem safawidischen Iran die Spaltung zwischen Sunniten und Schiiten, die der muslimischen Welt heute noch zu schaffen macht. Den militärischen Eroberungen und wirtschaftlichen Fähigkeiten der Osmanen war die erste wirklich globale Ware, der Kaffee, zu verdanken, und durch die Erfindung des Kaffeehauses heizten sie das kapitalistische Konsumverhalten an.
Der erzwungene Abschied, oder besser gesagt die Vertreibung Europas aus dem Mittelmeerraum, trug zu der apokalyptischen Geisteshaltung bei, die im damaligen christlichen Europa herrschte. Christentum und Islam schienen um Körper und Seele der Schöpfung zu kämpfen. Nach ihrer Ankunft in der Neuen Welt setzten die selbsternannten Soldaten Christi ihren alten Krieg gegen die indigene Bevölkerung eines fremden Landes fort. Diese Maurentöter stützten sich auf ihre Erfahrungen mit dem Islam in der Alten Welt, um Nord- und Südamerika und seine Völker zu verstehen, und rechtfertigten damit sogar – mit dem spirituellen und juristischen Segen des Papstes – den Import westafrikanischer Sklaven nach Amerika. Weil die Geschichtsschreibung den Islam ignoriert hat, ist es nicht gelungen, Kolumbus und sein Zeitalter vollständig und richtig zu verstehen.
Der vorliegende Band untersucht den globalen Einfluss der osmanischen Macht und ermöglicht dadurch ein innovatives, ja revolutionäres Verständnis der Rolle des Islam und des Osmanischen Reichs bei der Gestaltung der Alten und der Neuen Welt. Der größte Teil dieser Geschichte ist in den letzten fünf Jahrhunderten sowohl von Berufshistorikern als auch von interessierten Laien ignoriert oder als unwichtig abgetan worden. Dennoch waren die Muslime integraler Bestandteil einer zwangsläufig gemeinsamen Geschichte. Es ist eine unausweichliche Tatsache und eine zugegebenermaßen bittere Pille für viele westliche Menschen, dass das Osmanische Reich unsere moderne Welt gemacht hat.
Warum ist dem so? Ein wichtiger Grund besteht darin, dass Muslime im Westen des 21. Jahrhunderts wie schon im Westen des 15. und 16. Jahrhunderts oft automatisch als Feinde und Terroristen betrachtet werden, die zu der Religion, die die Kultur des Westens bestimmt, und zu den politischen Systemen, die ihm heilig sind, in radikalem Gegensatz stehen. Von der Popkultur bis zur Weltpolitik ist der Islam, insbesondere in den Vereinigten Staaten, für Liberale wie Konservative «das große andere» – also ein Problem, das irgendwie gelöst werden muss. Die Muslime werden Opfer volkstümlicher wie amtlicher Schmähungen und oft sogar direkter physischer Gewalt.
Noch andere Fakten werden ausgeblendet, was den osmanischen Einfluss auf die Geschichte des Westens betrifft. Insbesondere definiert man im Westen die Geschichte des letzten halben Jahrtausends gerne als «den Aufstieg des Westens». (Dieser Anachronismus wird in der Türkei und im Nahen Osten genauso für richtig gehalten wie in Europa und Amerika.) Tatsächlich existierte der vielgepriesene Begriff «Westen» um 1500 noch gar nicht, und ein solcher hatte sich auch bis 1600 noch nicht herauskristallisiert. In der gesamten frühen Neuzeit bestand der europäische Kontinent aus einer fragilen Ansammlung verschiedener Königreiche und kleiner, schwacher Fürstentümer, die untereinander ständig in Kriege verstrickt waren. Die großen Landmächte Eurasiens waren die dominierender Reiche der Alten Welt, und außer ein paar kleiner europäischer Außenposten in der Karibik blieben die ausgedehnten Gebiete Nord- und Südamerikas immer noch im Besitz der dortigen indigenen Völker. Das Osmanische Reich beherrschte in Europa ein größeres Gebiet als die meisten rein europäischen Staaten. Hätte man um 1600 auf eine Macht setzen müssen, die die Weltherrschaft übernehmen würde, hätte man sein Geld auf das Osmanische Reich oder vielleicht auch auf China, aber keinesfalls auf einen europäischen Staat gesetzt.
Seit der industriellen Revolution und der europäischen Expansion im 19. Jahrhunderts wurde diese Geschichte umgeschrieben, um den europäischen Aufstieg so darzustellen, als hätte er schon mit Kolumbus begonnen. Das ist eine historische Absurdität, die nicht nur die tiefen Risse im frühneuzeitlichen Europa übertüncht, sondern auch die Tatsache verschleiert, dass das Osmanische Reich die Welt jahrhundertelang in Angst und Schrecken versetzt hatte, bevor es sich im 19. Jahrhundert den verächtlichen Spitznamen «Kranker Mann am Bosporus» verdiente. Einige Historiker behaupten, der Niedergang der Osmanen habe schon auf dem Höhepunkt ihrer Macht um 1600 eingesetzt, just zu dem Zeitpunkt, als die Engländer mit der Besiedlung Amerikas begannen. Es trifft zwar zu, dass das Reich ab diesem Zeitpunkt öfter Kriege verlor und Gebiete abgeben musste. Dennoch blieb es weitere drei Jahrhunderte, nämlich bis zum Ersten Weltkrieg, die beherrschende Macht im Nahen Osten und einer der mächtigsten Staaten in Europa, Asien und Afrika. Wie alle Reiche fand auch das Osmanische sein unvermeidliches Ende, aber erst nachdem es mehr als sechshundert Jahre lang eine beherrschende Stellung eingenommen hatte. Die osmanische Geschichte des 16. Jahrhunderts durch die Brille des 19. Jahrhunderts oder gar diejenige von Edward Gibbons einst kanonischer, aus dem 18. Jahrhundert stammenden Darstellung von Verfall und Untergang des Römischen Reichs[1] zu betrachten, führt uns in eine historisch unhaltbare Sackgasse.
Ohne die heftigen Konflikte zwischen Europa und dem Osmanischen Reich kleinreden zu wollen, ergibt eine Untersuchung, wie die Osmanen die Entwicklung unserer modernen Welt beeinflussten, dass die Geschichte des Islam und Europas (und später Amerikas) nicht nur und nicht unbedingt gegensätzlich und divergent war. Ihre gemeinsame Geschichte enthält viel mehr als nur Gewalt; der hysterisch überbetonte «Kampf der Kulturen» stellt nur einen winzigen Teil eines kunstvoll verwobenen Wandteppichs dar. Eine solche Untersuchung liefert auch die Erklärung, wie aus der Stadt Anahuac, wie sie von ihren ursprünglichen Bewohnern genannt wurde, Matamoros[2] werden konnte, ein übrig gebliebenes Symbol für den brutalen Krieg des christlichen Spanien gegen den Islam.
Die epische Geschichte des Osmanischen Reichs beginnt fern des Nahen Ostens. Die Menschen, aus denen viel später einmal die Osmanen werden sollten,[3] begannen schon im 6. Jahrhundert, von China aus nach Westen zu wandern, und zogen durch Zentralasien bis zum Mittelmeer, eine Migration, die nahezu ein Jahrtausend dauerte. Auf ihrem Weg führten sie Kriege, bekehrten sich zu mehreren Religionen und bekehrten wiederum andere Völker zu der Religion, der sie selbst gerade anhingen. Sie gründeten größere und kleinere Städte, trieben Tauschhandel mit Waren und Nahrungsmitteln, lernten Sprachen und verbreiteten diese weiter, züchteten neue Pferderassen, produzierten künstlerische Meisterwerke und schrieben spektakuläre Gedichte. Die meisten Nachkommen des ursprünglich in China aufgebrochenen Volkes ließen sich irgendwann an der Seidenstraße nieder, heirateten in lokale Familien ein und übernahmen und veränderten die Kultur ihrer neuen Heimat.
Ein paar wenige Furchtlose legten den ganzen Weg bis nach Anatolien zurück, der auch «Kleinasien» genannten Landbrücke zwischen dem Schwarzen Meer und dem Mittelmeer, durch die sich Asien quasi nach Europa ausstreckt. Die meisten von denen, die es so weit nach Westen schafften, gehörten einem turksprachigen Nomadenstamm an. Die ausgedehnte Wanderungsbewegung ist die Erklärung dafür, warum die Türken von heute sprachliche, kulturelle und ethnische Verbindungen mit Völkern in ganz Zentralasien haben; sie reichen bis nach China und sogar noch darüber hinaus. (Koreanisch und Türkisch gehören zum Beispiel beide zur altaischen Sprachgruppe.) In Anatolien zogen die Neuankömmlinge mit ihren Tieren in die hügeligen Ebenen an der Küste der Ägäis, wo sie auf einen fragmentierten byzantinischen Staat stießen. Sie gründeten eines von Dutzenden kleiner muslimischer, christlicher, türkischer und griechischer Fürstentümer, die im Anatolien des 13. Jahrhunderts innerhalb des zerfallenden Byzantinischen Reiches bestanden oder es gelegentlich auch bekämpften. Ihr lockerer Stammesverband wurde von einem Mann namens Osman geführt, der Mitte der 1320er Jahre starb. Er galt später als der erste Osmane, und alle Sultane bis ins 20. Jahrhundert sollten seine Nachkommen sein.
Osman
Schon Osman gelang es, dem Byzantinischen Reich Gebiete abzuringen, doch es war sein Sohn Orhan, der für die frühen Osmanen den ersten großen Sieg errang. 1326 eroberte er Bursa, eine in einem reichen Tal unweit des Marmarameers gelegene kosmopolitische Stadt. Dieses Zentrum des internationalen Seidenhandels spielte bei der weiteren Expansion der Osmanen eine sehr wichtige Rolle. Mit Bursa als erster osmanischer Hauptstadt errangen Osmans Nachfolger in Westanatolien und auf dem Balkan einen Sieg nach dem anderen und brachten ein eindrucksvolles Territorium unter ihre Herrschaft. Gewöhnlich akzeptierten die dort lebenden, überwiegend christlichen Gemeinden die größtenteils muslimischen Osmanen, weil die Neuankömmlinge aus der asiatischen Steppe sich darauf verstanden, vorteilhafte Abkommen mit starken Familien und anderen lokalen Machthabern zu schließen. Hinzu kam, dass die siegreichen Heere der Osmanen militärischen Schutz und günstigere Steuer- und Handelsbedingungen als die Byzantiner boten, wenn die Betroffenen Osman die Treue schworen und gelegentlich ein paar Soldaten stellten.
Nachdem die Osmanen die Byzantiner etwa ein Jahrhundert unter Druck gesetzt hatten, versetzte ihnen Mehmed II., der siebte Sultan des Reiches, 1453 den Todesstoß, indem er die Mauern ihrer Hauptstadt Konstantinopel durchbrach.[4] Durch diesen welterschütternden Sieg, der nicht nur eine reale, sondern auch eine sehr große symbolische Bedeutung hatte, kamen die Osmanen in den Besitz der östlichen Hauptstadt des Christentums, einer der größten und strategisch wichtigsten Städte der Welt. Am Dreh- und Angelpunkt zwischen Europa und Asien gelegen, beherrschte sie eine der wichtigsten Verbindungsrouten zwischen West und Ost. Mehmed übernahm den Titel Kaiser und erklärte sein Herrschaftsgebiet zu einem neuen Römischen Reich. Für die meisten europäischen Christen, den jungen Kolumbus eingeschlossen, war die Eroberung eines «der beiden Roms» durch Muslime ein Zeichen, dass das Weltende nahe war. Die Osmanen hatten, wie ein zeitgenössischer Europäer es formulierte, der Christenheit eines ihrer Augen herausgerissen.[5]
Fast vier Jahrhunderte lang, von 1453 bis in das zunehmend aufgespaltene frühe 19. Jahrhundert, standen die Osmanen weltweit im Zentrum von Politik, Ökonomie und Krieg. Während europäische Staaten Aufstieg und Fall erlebten, blieb das Osmanische Reich stabil. Es bekämpfte die mittelalterlichen und frühneuzeitlichen europäischen Reiche und kämpfte auch im 20. Jahrhundert noch in Europa, wenn auch gegen ganz andere Feinde. Alle, von Machiavelli über Jefferson bis Hitler (ein recht unwahrscheinliches Trio), mussten sich mit der kolossalen Macht und dem gewaltigen Einfluss des Osmanischen Reichs (oder der Türkei) auseinandersetzen. Nach ihrem ersten militärischen Sieg bei Bursa herrschten die Osmanen fast sechs Jahrhunderte lang über ein Territorium, auf dem sich heute etwa 33 Staaten befinden. Ihre Armeen kontrollierten weite Teile von Europa, Afrika und Asien. In ihrem Herrschaftsgebiet befanden sich einige der wichtigsten Handelskorridore der Welt sowie Städte an den Küsten des Mittelmeers, des Roten, Schwarzen und Kaspischen Meers, des Indischen Ozeans und des Persischen Golfs. Zu ihrem Machtbereich gehörten mit Istanbul und Kairo zwei der größten Metropolen der Welt sowie die heiligen Städte Mekka, Medina und Jerusalem. Ebenfalls zu ihrem Herrschaftsgebiet zählte Saloniki, heute das griechische Thessaloniki und vierhundert Jahre lang die größte jüdische Stadt der Welt. Nach ihren bescheidenen Anfängen als Schafhirten auf dem langen beschwerlichen Weg quer durch Zentralasien gelang es den Osmanen, ein Reich zu schaffen, das dem der alten Römer ähnlicher war als jedes andere Reich in der Geschichte.
Mehmed II. im Hippodrom
Ein Mann tat mehr als jeder andere, das Osmanische Reich zu der transformierenden Weltmacht zu machen, die es war. Er hieß Selim,[6] und wenngleich ihn ein späterer Sultan gezeugt hatte, nahm eigentlich niemand an, dass er es weit bringen werde. Der vierte von zehn Söhnen seines Vaters wurde 1470 in einer kleinen anatolischen Stadt als Sohn einer Sklavin und Konkubine geboren. In dieser Position hatte er ein untätiges Leben in fürstlichem Luxus zu erwarten, freilich nur ein kurzes, angesichts der Brudermorde, die den Tod eines Sultans und die Thronbesteigung des nächsten häufig begleiteten. Doch der unversöhnliche und unbeirrbare, harte und visionäre Selim hatte andere Pläne. Die Geschichte seines Lebens, die Machtkämpfe, die ihn auf den Thron brachten, seine militärischen Unternehmungen und seine Regierungsmethoden, sein persönliches Charisma und seine Frömmigkeit ergeben ein eigenes, legitimes Narrativ, das erklärt, wie das Osmanische Reich die moderne Welt formte.
Selim war ein Enkel Mehmeds II., des Sultans, der 1453 Konstantinopel eingenommen und in Istanbul umbenannt hatte. Sein Vater Bayezid erzielte weitere Gebietsgewinne und dehnte die Reichsgrenzen in alle Richtungen aus, indem er in Italien, Iran, Russland und Ungarn einfiel. Selim jedoch übertraf alle seine Vorgänger und machte Eroberungen, die sogar den Fall Konstantinopels an Bedeutung weit übertrafen. Durch Kriege im Nahen Osten, in Nordafrika und im Kaukasus verdreifachte er nahezu das Herrschaftsgebiet. Als er 1520 starb, war das Reich stärker als je zuvor, ein Behemoth, das sich auf die drei Kontinente der Alten Welt erstreckte und weitere Eroberungen plante – weit mächtiger als jeder andere Staat der Erde. Selim war der erste Sultan, unter dem das Osmanische Reich eine mehrheitlich muslimische Bevölkerung bekam, und der erste Osmane, der sowohl den Titel Sultan als auch den Titel Kalif führte.
Außerdem war er einer der ersten Sultane, der nicht als Erstgeborener den Thron bestieg,[7] der erste, der selbst nur einen Sohn hatte, sowie der erste, der einen amtierenden Sultan stürzte. In monomanem Machtstreben eliminierte er systematisch und skrupellos alle seine potenziellen Rivalen im In- und Ausland und ermordete auch zwei seiner Halbbrüder, um auf den Thron zu gelangen. Ein Historiker des 19. Jahrhunderts bezeichnete ihn in der deftigen Prosa seines Jahrhunderts als einen «blutrünstigen Tyrannen, dessen Zornesröte und finsterer Blick gut zu seinem gewalttätigen Wesen passten».[8] Als Botschaft für die Lebenden und die Toten versetzte er den Köpfen der auf seinen Befehl Hingerichteten oft zum Abschied einen Tritt.[9] Nicht umsonst ging er als Selim der Gestrenge (türkisch Yavuz) in die Geschichte ein. «Seine Augen verraten einen grausamen Zug», schrieb Andrea Gritti, der Doge von Venedig. Er hielt den Sultan für «wild und durchtrieben» und schlicht und einfach für einen «Kriegstreiber».[10]
Selims Leben und Herrschaft erstreckten sich womöglich über das folgenschwerste halbe Jahrhundert der Weltgeschichte. Er erwies sich als der einflussreichste Herrscher in der Linie von sechsunddreißig Sultanen des Osmanischen Reichs, sogar noch einflussreicher als sein Sohn Suleiman der Prächtige, der vermutlich berühmteste Sultan. Sein Erbe formte das Reich bis zu dessen Ende im 20. Jahrhundert gemeinsam mit den geopolitischen Realitäten unserer Zeit. Wie bei Christus gab es das Reich und die Welt vor Selim und das Reich und die Welt nach Selim, auch wenn Christen den Vergleich zumindest ärgerlich finden könnten. Wir alle leben in Selims Schatten, ein angemessenes Bild, da einer seiner Beinamen «Schatten Gottes auf Erden» war.
Dank seiner herausragenden Stellung in der Geschichte der Osmanen und der Weltpolitik ist sein Leben oft erzählt worden. Die vor und nach seinem Tod entstandenen osmanischen Berichte zeichnen sich durch großen Detailreichtum aus. Die wichtigste Quellensammlung ist das Selimname, das «Buch Selims»,[11] das sich dem Bestreben verdankt, den Sultan nach seinem Tod in einem möglichst vorteilhaften Licht darzustellen.[12] Im 16. und im 17. Jahrhundert kopierten und adaptierten osmanische Historiker frühere Texte und schufen so eine Sammlung unterschiedlicher, aber eng miteinander verbundener Versionen. Bei der Verwendung des Selimname, das für ein Verständnis des Herrschers unverzichtbar ist, müssen die schmeichelhaften, beinahe hagiografischen Berichte immer wieder durch den Vergleich mit anderen Quellen, die freilich oft oberflächlich oder unvollständig sind, relativiert werden. Eine kritische Lektüre des Selimname und anderer osmanischer Quellen in Kombination mit zeitgenössischen Quellen aus Spanien, dem Mamlukenreich, Venedig, der Welt des Indischen Ozeans und Nord- und Südamerika vermittelt ein ausgewogenes Bild des Sultans und eine gute Vorstellung vom Ausmaß seines globalen Einflusses.
Gottes Schatten ist eine revisionistische Darstellung. Sie bietet ein neues und ganzheitlicheres Bild der letzten fünf Jahrhunderte unter Betonung der konstituierenden Rolle des Islam bei der Gestaltung einiger der grundlegendsten Aspekte der Geschichte Europas, Süd- und Mittelamerikas und der Vereinigten Staaten. Wenn wir dem Islam bei unserem Verständnis der Weltgeschichte keinen zentralen Platz einräumen, werden wir nie verstehen, warum an der texanisch-mexikanischen Grenze Maurentötern gedacht wird, oder allgemeiner ausgedrückt, warum wir so blind waren, wiederholt Geschichtserzählungen zu produzieren, denen wesentliche Elemente unserer gemeinsamen Vergangenheit fehlen. Wenn wir Selim und die Geschichte seines Zeitalters aufzeichnen, wird eine kühne neue Weltgeschichte sichtbar, die mit Irrtümern aufräumt, die seit einem Jahrtausend Bestand haben. Ob Politiker, Meinungsmacher und traditionelle Historiker wollen oder nicht, die Welt, in der wir leben, ist eine sehr osmanische. Und diese Geschichte kann uns nur Selim erzählen.
ERSTER TEIL
(1470–1487)
Osmanische Stammbäume
Amasya
Auf einem Bett mit grün bestickten Kissen und purpurfarbenen Lein tüchern aus Samt brachte Gülbahar Hatun am 10. Oktober 1470 im neuen Palast von Amasya ein Kind zur Welt. Schreiber notierten, dass der Sohn Bayezids an einem Mittwoch in den frühen Abendstunden geboren wurde. Um dieselbe Zeit hielt unmittelbar vor den Mauern der Residenz in der etwa 110 Kilometer vom Schwarzen Meer entfernten Stadt ein umherziehender Sufi-Mystiker Hof. Der Mann mit den ungekämmten Haaren und dem zottigen Bart hatte eine kleine Gruppe von Anhängern und eine wachsende Zahl neugieriger Zuhörer um sich geschart. Weder hatte er eine Ahnung von der aktuellen Reichspolitik, noch war er ein vertrauter Berater oder wenigstens ein Bekannter von Bayezid, dem Prinz-Gouverneur. Dennoch sprach er darüber, was seiner Ansicht nach hinter den Mauern des Palasts passierte. «Heute wird an diesem Hof, dieser Wohnstätte des Erfolgs, ein glückliches Kind geboren, ein auserwählter Sohn, dem es bestimmt ist, sein Glück zu machen», prophezeite der Mystiker. «Das Licht seiner Herrschaft wird die Horizonte erleuchten; die wohlriechenden Düfte seiner Erfolge werden die Nasen der Bewohner der Welt parfümieren. Er wird statt seines Vaters Herrscher werden, ein Schutzherr der Reiche unter der Dynastie des Osman.» Solch kühne Voraussagen waren in der osmanischen Welt nicht selten. Eine gewaltige Schar von Wahrsagern und Gelehrten aller Art zog im Reich umher und behauptete, sowohl eine unergründliche Gegenwart als auch die Zukunft zu kennen. Auch die Geburt des nächsten Sultans vorherzusagen, war durchaus üblich für Männer, die das Prophetenhandwerk ausübten. Und immer wieder einmal machten diese Leute, dank der guten Intuition, über die ein Wahrsager verfügen muss, auch richtige Vorhersagen, sodass ihnen ihre Kunden treu blieben.
Die Voraussagen des Sufis von Amasya nahmen freilich eine ungeahnte Wendung. «An seinem Körper», verkündete er, «dessen Merkmal der Glücksfall und dessen Heim die Glückseligkeit ist, wird er als kaiserliches Omen sieben Muttermale haben. Und er wird unter seinen bösen Feinden sieben Herrscher überwinden und triumphierend und siegreich sein.»[1]
Die Erwähnung von sieben Muttermalen war kein Zufall, die Sieben ist eine verheißungsvolle Zahl im Islam. Der Himmel besteht aus sieben Ebenen; die erste Sure des Koran hat sieben Verse, und die Pilger umrunden sieben Mal die Kaaba, die heiligste Stätte des Islam. Insbesondere jedoch verwies die Zahl auf die sieben Weltregionen. Die Welt war in sieben Klimazonen oder Regionen aufgeteilt – eine frühe Vorstellung, dass es auf der Erde sieben Kontinente gab. Sieben Muttermale bei einem neugeborenen Kind bedeuteten deshalb, dass es zum künftigen Herrscher der bekannten Welt ausersehen war.
Mit einer letzten Anstrengung brachte Gülbahar das Kind auf die Welt (der Vater des Kindes war, wie damals üblich, bei der Geburt nicht zugegen), ihre Erschöpfung verwandelte sich in Freude, und aus ihren Schmerzensschreien wurden Freudenschreie. Das Neugeborene war ein Junge und sollte Selim heißen. Und es hatte tatsächlich sieben Muttermale.
Gülbahar war als Christin in Albanien geboren. Dass sie zu Fürst Bayezids vierter Gemahlin wurde, unterstreicht die zunehmend dominante Position des Osmanischen Reichs in der Welt des 15. Jahrhunderts, des letzten Jahrhunderts, bevor Spanien, Portugal, Großbritannien und die Niederlande ihre transatlantischen Herrschaftsgebiete gründeten. Die wichtigsten Reiche des 15. Jahrhunderts geboten über große Territorien und kontrollierten die Meere, schickten jedoch nur selten Flotten über die Ozeane. Eurasien beherbergte das Chinesische, das Byzantinische, das Mamlukische, das Venezianische und das Spanische Reich; in Amerika hatten die Inkas und die Azteken Reiche gegründet, und in Afrika gab es das Songhai- und das Mutapa-Reich. Bevor die Osmanen 1453 die Hauptstadt des Byzantinischen Reiches eroberten, galten sie als Emporkömmlinge aus dem Osten, die auf dem Landweg nach Westen vorgestoßen und in Territorien des Byzantinischen, Mamlukischen und Venezianischen Reichs gedrängt waren – einige der größten Reiche jener Zeit, wenn auch weniger mächtig als die Chinesen oder die Azteken. Albanien, damals ein Gebiet, das an der Grenze mehrerer Reiche lag, war das Objekt fortwährend wechselnder Herrschaftsansprüche.
Das Venezianische Reich, an der Nord- und Ostküste der Adria gelegen, hatte zunehmend Schwierigkeiten, die osmanischen Angriffe auf seine albanischen Territorien abzuwehren. Nach ihren Gebietsgewinnen in Anatolien und mehrere Jahrzehnte bevor sie Konstantinopel eroberten, hatten die Osmanen die Dardanellen nach Europa überquert und waren damit in eine neue Expansionsphase eingetreten. Ihre Heere hatten den Balkan durchquert, der damals noch, wenn auch mit Mühe, vom Byzantinischen Reich beherrscht wurde, und waren tief in die Berge und Täler der albanischen Küste vorgedrungen. Wer im Besitz dieser Küste war, konnte mit Kriegs- und Piratenschiffen sowohl Schiffsverkehr als auch Handel zwischen der Adria und dem größeren Teil des Mittelmeers kontrollieren; schon im Krieg zwischen Venedig und Byzanz, als es um die Vorherrschaft auf der griechischen Halbinsel und im östlichen Mittelmeer ging, war dies ein strategisch wichtiges Gebiet gewesen. Und nun schlossen die Osmanen, wie sie es immer taten, Abkommen mit lokalen Adligen, versprachen, ihre Autonomie zu respektieren, und boten ihnen Schutz. Viele von ihnen zogen daraufhin die osmanische Oberherrschaft der venezianischen vor und erklärten sich bereit, den Osmanen einen Tribut in Geld oder Naturalien zu zahlen.
Durch den Erwerb dieser europäischen Gebiete kamen die Osmanen nicht nur ihrem Endziel einer Eroberung Konstantinopels näher, sondern waren auch in der Lage, weitere Angriffe gegen die katholischen Venezianer zu unternehmen. Zwar wurden viele dieser militärischen Scharmützel auf See ausgetragen, aber Albanien war einer der wichtigsten Kriegsschauplätze auf dem Land.
Als die Osmanen in Europa mehr und mehr Gebiete gewannen, integrierten sie deren Bevölkerung in ihr Herrschaftssystem und entwickelten eine Institution, die als devşirme (Knabenlese) bekannt ist. Dazu wurden männliche christliche Jugendliche aufgegriffen und in osmanische Machtzentren gebracht. Nachdem alle Verbindungen zu den Familien der jungen Männer gekappt worden waren, konvertierten sie zum Islam, wurden materiell sehr gut versorgt und bekamen eine hervorragende militärische Ausbildung, die sie zu einem privilegierten Bestandteil des osmanischen Heeres machte. Auf diese Weise zogen die Osmanen eine loyale militärische Elite heran. Auch einige ältere christliche Männer vom Balkan versuchten, sozial aufzusteigen, indem sie sich dem Militär des Osmanischen Reichs anschlossen.