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Informationen zur Autorin: www.brigittehitzingerhecke.eu
© 2017 Brigitte Hitzinger-Hecke
Lektorat: Martha Wilhelm
Satz, Umschlaggestaltung, Herstellung und Verlag:
BoD – Books on Demand GmbH
ISBN: 978-3-7448-5790-1
Axel Borsdorf
»Meine ganz persönliche Spurensuche – 66.800 Kilometer literarisch unterwegs«: Man merkt schon beim Lesen des Titels, dass hier eine Schriftstellerin schreibt, die das Reisen liebt. Indien, Peru, Dakar und Montilla in Spanien sind Stationen dieser literarischen Reise, aber auch in Paris, Sevilla und Oxford fühlt sich Brigitte Hitzinger-Hecke wie zu Hause. Zwölf Monate war sie allein für dieses neue Buch unterwegs!
Dass ich mich für dieses Vorwort angeboten habe, hat wohl auch den Grund, dass ich als Geograph eine verwandte Seele in ihr fand, denn für die Angehörigen meiner Zunft ist das Reisen Beruf.
Brigittes Reiselust machte sich früh bemerkbar. Mit neun Jahren war sie der ständigen Urlaubsreisen an den Wörthersee überdrüssig und setzte es durch, dass sie ins Landschulheim Travemünde durfte. »Ich will ans Meer!«, erklärte sie kurzum ihren Eltern. Das Meer ist auch ein durchgängiges Motiv in ihren Büchern und war schicksalhaft für die drei Schriftsteller, die sie im neuen Buch vorstellt.
Sie entstammen drei verschiedenen Kulturen und Epochen. Inca Garcilaso de la Vega, geboren 1539 in Cuzco, Peru, starb 1616 in Córdoba, Spanien. Der Dichter und Politiker Léopold Sédar Senghor war ein Mann des 20. Jahrhunderts, der 1906 in Joal, Senegal, das Licht der Welt erblickte und 2001 in Frankreich starb. Vidiadhar Surajprasad Naipaul wurde 1932 in Chaguanas, Trinidad, geboren, erhielt 2001 den Nobelpreis für Literatur und lebt seit 1950 in England.
Was verbindet diese Männer? Alle haben in gewisser Weise »Migrationshintergrund«. Inca Garcilaso de la Vega reiste von Cartagena nach Spanien; Léopold Senghor von Senegal nach Paris und zurück; V. S. Naipaul, dessen indische Vorfahren als Vertragsarbeiter nach Trinidad kamen, wanderte 1950 nach England aus. Sie bezogen ihre Kreativität aus dem Leben in zwei Welten. Wenn Senghor die Märchen seines Geburtslandes in französischer Sprache erzählt oder V. S. Naipaul vor seinen englischen Lesern die Geschichte seiner Kindheit in Trinidad romanhaft ausbreitet, wird dies ganz deutlich. Und Garcilaso beschäftigte der Gedanke, die Erinnerungen an das verlorene Inkareich für die Nachwelt zu dokumentieren. Den Namen »El Inca Garcilaso de la Vega« nahm er auch deswegen an und erinnerte zugleich an die adlige Herkunft seiner Mutter. Migration, nicht nur geographisch, sondern auch kulturell als Leben in zwei Welten, ist ein Thema, das gerade heute außerordentlich aktuell ist.
Das alles und viel mehr verknüpft Brigitte Hitzinger-Hecke mit ihren eigenen Reiseeindrücken und schafft damit ein Werk, das keine simple Historie ist, sondern ein sehr persönliches Buch einer echten Europäerin. Ich bin sicher, dass es die Leserinnen und Leser in seinen Bann schlagen wird!
Axel Borsdorf ist emeritierter Professor der Universität Innsbruck, wirkliches Mitglied der Österreichischen Akademie der Wissenschaften und leitete bis Ende 2016 das Institut für Interdisziplinäre Gebirgsforschung dieser Akademie in Innsbruck. Er verfasste ca. 60 Bücher, darunter eine Monographie der Anden und eine Einführung in das geographische Denken. 2016 erhielt er mit der Franz-von-Hauer-Medaille die höchste Auszeichnung der österreichischen Geographie.
Es war an einem wunderschönen Tag im Frühling. Man möge sich vorstellen: Ich liege unter Spaniens Sonne auf dem Balkon eines Hauses in Sevilla. Zu dieser Jahreszeit für mich die liebste aller Städte. Durch das schmiedeeiserne Gitter beobachte ich das bunte Treiben auf der Straße: Heute kommt König Juan Carlos zum Stierkampf und die Sevillaner haben sich elegant angezogen. Die Frauen mit ihren Mantillas und die Männer mit Hüten.
Das Buch von Egon Friedell, das ich auf all meinen Reisen immer dabeihabe, fällt auf den Boden. Es war schon das Lieblingsbuch meines Vaters. Ein von mir handgeschriebener Zettel fällt heraus. Mit den Namen von drei Schriftstellern. Jetzt fällt es mir wieder ein: Anlässlich der Recherche zu meinem ersten Buch bin ich auf drei Schriftsteller gestoßen, die mein besonderes Interesse weckten. Einer von ihnen war schon im 16. Jahrhundert international aktiv. Schon damals hat mich die Lebensgeschichte dieser drei Giganten des Wortes interessiert.
Ich will mehr über sie erfahren. Ja, vielleicht sogar ein Buch über sie schreiben.
Die berühmtesten Professoren an der Pariser Sorbonne haben winzige Büros. In der Mitte steht zumeist ein kleiner Schreibtisch, auf dem sich beidseitig Papierstöße auftürmen. Von der Türe aus ist der Professor nicht zu sehen. Erst wenn man in dem desolaten Stuhl vis-à-vis Platz genommen hat, kann man mit ihm ein Gespräch führen. Ich hatte immer Angst, dass die Stöße ins Rutschen kommen und plötzlich auf mich herunterfallen. Vielleicht kann man in diesen winzigen Büros seine Gedanken verdichten?
In der Tat sind diese winzigen Kammern überall in Paris zu finden. Raum ist wertvoll in dieser Stadt der Intellektuellen, vor allem im Quartier Latin, in dem Philosophen, Wissenschaftler und Künstler seit Jahrhunderten leben. Ist es Bescheidenheit oder bewusste Zurückgezogenheit, um zu denken und zu arbeiten? Genauso wie ich gerne vor der gedämpften Geräuschkulisse eines Kaffeehauses meine Gedanken aufschreibe.
Serge Gruzinski, derzeit der bedeutendste Hispanist Europas, der in der École des Hautes Études en Sciences Sociales seine berühmten Seminare abhält, empfing mich ebenso in seinem winzigen Büro. Sein Wissen und seine Art, historische Fakten interessant darzustellen, begeistern mich und seine vielen Anhänger, die aus ganz Lateinamerika nach Paris kommen. Er beschäftigt sich mit der Vermischung von Kulturen als Vorstufe zur Globalisierung. Er ist vor allem Spezialist auf dem Gebiet der kulturgeschichtlichen Beziehungen zwischen den präkolumbianischen Ländern und dem Europa der Renaissance. Er reflektiert über die Natur der Vermischung und ist überzeugt, dass nur diese Positives hervorbringt.
Wir haben viele Stunden über die drei Schriftsteller gesprochen, die ich für mein Buch auswählte. Drei Schreibgiganten, die geographisch wie kulturell weit auseinanderlagen. Alle drei waren in unterschiedlichen Welten zu Hause und machten die Multikulturalität in ihren Werken sichtbar. Drei Sprachgenies, deren Wirken durch die europäische Kolonisation überhaupt erst möglich geworden ist.
War die Familie Kern ihrer Lebenskraft oder waren sie tief verwurzelt in ihrer Liebe zur Heimat? Waren ein neues Land, eine neue Welt und neue Menschen oder eine fremde Sprache ihr Ansporn zum Schreiben? Konnten sie in der Sprache der Kolonisatoren Gedanken ausdrücken, für die es in ihrer eigenen Sprache keine Worte gab? Oder produziert erst der Schock über eine fremde Umgebung oder das Leben in zwei Welten einen großen Schriftsteller?
Weshalb gab es solche Schreibhelden nicht in dem »Monde germanique«, wie Serge uns liebevoll nennt? Liegt es daran, dass Bismarck keine Kolonien wollte? Die drei großen Kolonialmächte hatten jahrhundertelang, über Generationen Zeit, intensiv Interaktion mit den Einheimischen in Amerika und Afrika zu betreiben. Bei uns gab es andere Genies: zum Beispiel Alexander von Humboldt, der Anfang des 19. Jahrhunderts die Vermessung Lateinamerikas vornahm, der Pflanzen und exotische Tiere auf preußischen Schiffen wieder nach Hause schickte. Serge vertritt die Meinung, dass große Kulturen nur durch Vermischungen entstehen. Das deutsche Wort »Vermischung« entspricht nicht dem französischen »mélange« oder dem spanischen »mestizaje«. Nur Österreich zur Zeit der Monarchie hat in Mitteleuropa in den Ostländern ein wenig kolonisiert, ein wenig vermischt. So brachte das Land Kafka, Liszt oder Mahler hervor. Wir haben also andere Erfahrungen.
Ich habe eine ganz persönliche Freude am Forschen, Zuhören und Begleiten. Ich will Geschichten erzählen, die ich bei meinen Recherchen erlebt habe. Ich will interessante Leute interviewen, die etwas zu meinen ausgewählten Schriftstellern zu sagen haben. Um mein Buch nicht zu einer Biografie werden zu lassen – von denen es ja bereits eine Menge gibt –, habe ich mich entschlossen, meine persönlichen Recherchen in Sevilla und Montilla, Paris und Oxford in den Mittelpunkt zu stellen. Ich habe dort gelebt, wo die drei Literaturgiganten zu Hause waren. In Montilla, wo Garcilaso, einer der ganz großen Schriftsteller der spanischen Sprache, lebte. In Paris, wo Léopold Senghor als Poet wirkte. Und auch in Oxford, wo Naipaul seine Karibikgeschichten erdachte, die ihm später den Nobelpreis einbrachten.
Begleiten Sie mich auf meiner ganz persönlichen Spurensuche.
»Wenn Sie sich für Inca Garcilaso de la Vega interessieren, müssen Sie nach Montilla fahren. Ich weiß zu wenig über ihn«, rät mir Professor Ramon Serrera in seinem dunkel getäfelten Büro. Wir sitzen im 1. Stock der alten Tabakfabrik, die heute die Universität von Sevilla beheimatet. Genau dort, wo die Geschichte von »Carmen« spielt. Ramon, wie ihn seine Studenten liebevoll nennen, verschwindet hinter riesigen Papierstößen, die auf seinem Schreibtisch und den angrenzenden Tischen liegen. Dazwischen steht schwer zugänglich sein Computer. Dafür sind alle Glaskästen, die in beiden Teilen des Raumes angebracht sind, leer. Der Herr Professor mag wohl keine Bücher, sondern Skripte und Stöße von Papier. Schon diese Unordnung allein macht aus ihm einen immer nervösen, niemals Zeit habenden und ungeduldigen Zeitgenossen. Ramon liebt seine Historia de América, er ist stolz auf die Geschichte Spaniens. Und er spricht immer mit großer Leidenschaft. Er versucht seinen Studenten die feinen Unterschiede zwischen Mexiko und Peru klarzumachen. Zwischen Kuba und Venezuela. Seine Vorlesungen ähneln mehr einer Schulstunde. Er wiederholt wichtige Botschaften mehrmals, um sicher zu sein, dass die Studenten sich alles fest einprägen.
Erwachsene wie mich, die es an spanischen Universitäten sehr selten gibt, mag er gar nicht. Er gibt mir zu verstehen, dass er nur von jungen Leuten umgeben sein will. Die zu ihm aufschauen, ihn verehren und deren Wissen er in Form von Prüfungen abfragen kann. All das tue ich wohl nicht ausreichend. Und eine Österreicherin, die vorgibt, ein Buch über die Kolonisierung der Spanier zu schreiben, ist ihm ohnedies suspekt. Und noch dazu eine, die nicht einmal Historikerin ist. Trotzdem habe ich zu Beginn meiner Recherchen fleißig seine Seminare besucht und viel Wissen in mein erstes Buch eingearbeitet. Schon öfters traf ich ihn in der Plaza de Toros. Mit seiner gedrungenen Gestalt ist er ein echter Andalusier. Er sitzt bei fast allen wichtigen Stierkämpfen in der Plaza Maestranza auf einem der nicht ganz teuren Plätze und murmelt »Bien«, wenn der Torero bei seiner Faena die richtigen Schritte macht. Er bezeichnet sich als passionierten Stierkampf-Aficionado. Wie so viele Sevillaner.
Montilla also. Wie muss ich es mir nun vorstellen? Ich google und finde nur wenig Infos. Die einzige Herberge ist das »Hostal Bellido«. Größere Hotels finden sich nur auf dem Weg nach Malaga, wo man nach einem Saufgelage ins Bett fallen kann. Montilla ist eine bekannte spanische Weingegend.
Es ist doch wirklich merkwürdig: In Zeiten meiner absoluten Freiheit – meinen aktiven Job habe ich vor ein paar Jahren aufgegeben – lehne ich es ab, irgendwelche Luxusreisen zu unternehmen, und ziehe es vor, nach Montilla zu fahren. Und was tue ich dort? Das Leben des Inca Garcilaso de la Vega ergründen, der seit 400 Jahren tot ist. Aus reinem Spaß, trainiert von meiner katalanischen Spanischlehrerin Natalia. Meine Wiener Freundin Dagmar fragt mich oft: »Weshalb fährst du nicht in ein Wellnesshotel und lässt dich verwöhnen mit Massagen, Gesichtspackungen und Sprudelbädern? Und genießt?« Auf dieses Wort, »genießen«, bin ich allergisch. Sicher habe ich mich am Anfang gefragt: Bin ich vielleicht bescheuert? Heute weiß ich, dass ich mir immer wieder Aufgaben stellen muss, um zufrieden zu sein. Ich will mit Menschen über etwas Neues nachdenken, mich für Neues interessieren. Denn beim Anblick von Menschen mit leerem Blick in einem Luxushotel vergeht mir überhaupt jedes Genießen.
Bevor ich das erste Mal nach Montilla fahre, rufe ich im Rathaus an, um zu hören, ob es am »Dia del libro« eine Konferenz über Inca Garcilaso de la Vega gibt. Konferenzen zu allen möglichen Themen sind in Spanien sehr beliebt. Nachdem ich erwähne, dass der Inca in meinem neuen Buch eine Rolle spielen wird, werde ich sofort zu einem Vortrag eingeladen. Zu einem Zeitpunkt, an dem ich selbst mit meinen Recherchen erst ganz am Anfang stehe. Ich sage trotzdem sofort zu und bereite mich darauf vor, eine ganze Stunde lang über meine ersten Rechercheergebnisse zu berichten.
Um dem touristischen »Where do you come from?«-Geschwätz zu entgehen, entschließe ich mich, den Einheimischenbus dem Rapidzug zwischen Sevilla und Cordoba vorzuziehen. Die spanischen Busgesellschaften sind zum großen Teil nach dem spanischen Bürgerkrieg von der katholischen Kirche ins Leben gerufen worden, um Verwandten Besuche zu ermöglichen. Spanien bekam viel später als der Rest Europas ein Eisenbahnnetz. Die Busse sind bis heute ungewöhnlich billig geblieben.
Eigentlich sollte ich von Sevilla nach Montilla auf einem Pferd reiten. So, wie es der Inca im Sommer 1560 tat, um in die Stadt seines Onkels zu gelangen. Oder mit einer Kalesche, gezogen von grazilen andalusischen Pferden. Da ich aber nicht reiten kann und die Kaleschen die Stadt Sevilla nicht verlassen dürfen, wähle ich stattdessen den Bus der Compania Alsa, der von der Plaza de Armas aus losfährt. Wichtig ist mir nur, mich Montilla ganz langsam zu nähern. Die Landschaft mit den trockenen Feldern der Meseta auf mich wirken zu lassen. Die hell- bis dunkelbraun changierenden Farben haben einen besonderen Reiz. Vor allem im Sommer, wenn die Gluthitze vom Himmel strahlt. Vielleicht werden sie noch bestellt. Vielleicht bleiben sie auch trocken und umrahmen die in Reih und Glied stehenden Olivenbäume. Ich habe den Eindruck, dass es vor vielen Jahren noch erheblich mehr waren. Seitdem die EU per Satellit die Kontingente der Olivenbäume bestimmt, dürfen die spanischen Bauern nicht mehr das tun, was sie wollen.
Im Bus hinter mir sitzt eine dickliche Hausfrau, die mit aufgrund fehlender Zähne krächzender Stimme auf sich aufmerksam macht. Nachdem sie merkt, dass ich keinen Proviant mitgenommen habe, reicht sie mir ein Stück ihres Bocadillo mit der typisch spanischen groben Paprikasalami. Sie fragt weder, woher ich komme, noch, wohin ich fahre. Auf der anderen Seite sitzt ein Pfarrer ins Gebet vertieft und bekreuzigt sich ein paar Mal.
»In unserer schnelllebigen Zeit ist es so wichtig für die Seele, sich Zeit zu lassen, um fremde Kulturen zu erfassen. In der Ruhe erlebt man Situationen dichter und stärker. Kann besser beobachten, die Mentalität besser ergründen«, las ich kürzlich in der »Zeit«. Unter dieses Motto werde ich auch meine Tage in Montilla stellen. Das heißt: Ich fahre einfach mal hin.
Ein paar Stunden später stehe ich mit meinem kleinen Koffer am Busbahnhof von Montilla. Nirgendwo ein Taxi. Aus der Bodega dringt Stimmengewirr. Die harte spanische Sprache klingt mitunter wie das Abfeuern eines Maschinengewehrs. Vor allem, wenn sie von Männern gesprochen wird. Ich bleibe auf dem Gehsteig stehen und rufe auf meinem österreichischen Handy den Taxifahrer José an. Er will in fünf Minuten da sein. Auf einer Litfaßsäule bemerke ich ein Poster, das meinen Vortrag ankündigt: »Eine österreichische Schriftstellerin schreibt über den Inca.« Es ist so kurios, dass ich zu lachen beginne. In dieser tiefen spanischen Provinz wird eine österreichische Autorin über den Inca sprechen. Wer weiß hier überhaupt etwas über Österreich?
Nach einer halben Stunde ist das Taxi natürlich immer noch nicht da. Ich versuche mich auf das Tempo von Montilla einzustellen. Ich, die österreichische Schriftstellerin, die hier an jeder Ecke angekündigt wird. Schließlich fahre ich mit dem Bus ins Zentrum zu meiner Pension »Bellido«, in der ich eine ganze Woche verbringen werde.
In dem überfüllten Vortragssaal der Casa del Inca werde ich von Juan Casado, dem Vertreter des Bürgermeisters, vorgestellt und erzähle über meine Entdeckung des Inca und die umfangreichen Recherchen in Sevilla, aber auch in Berlin. Dort existiert die größte spanische Bibliothek Europas, basierend auf der Schenkung der größten Privatbibliothek Lateinamerikas des Argentiniers Ernesto Quesada an den Preußischen Staat im Jahr 1929.
Damit beginnt für mich das Abenteuer von Montilla. Schließlich bin ich ab jetzt eine »Garcilasista«, jemand, der über den Inca schreibt. Und im Augenblick scheine ich damit die Einzige auf der Welt zu sein, wie mir der Kulturrat Pepe Repiso Torres später erklärt.
Ich marschiere durch Montilla, biege mal links, mal rechts ab. Meistens stoße ich schon nach kürzester Zeit an die Stadtgrenze und sehe herunter auf die grünen Ebenen mit den Weingärten. Vom Schloss aus hat man einen herrlichen Blick. Man fühlt sich zurückversetzt in eine glänzende Vergangenheit. Montilla ist eine kleine Stadt mit einer großen Geschichte. Eine kleine Stadt mit viel Langsamkeit. Mit circa 20.000 Andalusiern, die im Bürgerkrieg aufseiten von Franco standen. Manchmal wirkt die Stadt wie eine Kleinausgabe von Sevilla. Paläste, Kirchen und Burgen aus dem 16. Jahrhundert zeugen von der Wiege des Weinbaus in Andalusien. Aus der weißen Traubensorte Pedro Ximénez wird ein süßer Sherry gemacht. Die Fässer werden seit Jahrhunderten für den schottischen Whisky verwendet.
Bald kenne ich Montilla wie meine Westentasche. Ich weiß, wo der Bus zum Rathaus und zum »Bellido« abfährt. Ich kenne den Weg zur Casa del Inca und zur Fundación de Manuel Ruiz Luque, in der die Originale der Werke des Inca aufbewahrt werden. Dort plaudere ich mit dem Direktor José Cerezo. An der Ecke der Calle Andalucía esse ich regelmäßig mein Eis-Stanitzel und gehe zum Friseur, der acht Euro kostet. In Montilla bin ich immer hervorragend frisiert, weil ich keine Lust habe, meine Haare im engen Bad des »Bellido« zu waschen. Im »Don Quijote« sitze ich, wenn ich Hunger habe. Ich möchte etwas erspüren. Gar nichts Besonderes. Vielleicht auch nur Alltägliches in einem fremden Land. Vielleicht einen Zufall erleben. Mit José plaudern, bevor er am Mittag nach Hause zu seiner französischen Frau zum Essen geht. Er hat sein ganzes Leben dem Inca gewidmet und weiß viel mehr als all die Politiker im Rathaus.
Ich bin nach Montilla gefahren, weil man allein und verlassen sein muss, um sich voll auf das Schreiben zu konzentrieren. In Montilla kann ich einfach anders leben. Montilla ist ein Ort, an dem die Zeit langsamer vergeht. Zum Frühstück ein Croissant vom Grill genießen, eine lokale Zeitung lesen, sich mit dem Wirt unterhalten. Oft sind die stillen Tage, an denen gar nichts Besonderes zu passieren scheint, die wichtigsten. Solche Tage sind auch nötig, um Dinge zu verarbeiten, Kräfte zu sammeln, Gedanken entstehen zu lassen. Vieles wächst an Ruhetagen. Die Langeweile kann sehr kreativ sein. Die Langsamkeit von Montilla. Je älter ich werde, umso mehr möchte ich stille Tage in einem fremden Land verbringen. In Montilla trödeln, ein paar Tage in alten Testamenten schnüffeln, Originale der »Comentarios Reales« zum Fotografieren aufstellen. Und plötzlich merken, dass die Batterie zu Ende geht. Manchmal gibt diese Langsamkeit dem Leben sehr viel Sinn. Ich schätze solche Tage sehr.
Menschen, die sich permanent in früheren Jahrhunderten aufhalten, verlieren wahrscheinlich irgendwann den Bezug zur Realität. Die Beschäftigung mit historischen Figuren verbunden mit dem Leben in einer kleinen Stadt wie Montilla mit ihren Prozessionen und ihrer Langsamkeit betäubt Menschen, die aus einer hektischen Welt kommen. Es ist eine Entschleunigung, wenn man aus einer turbulenten Stadt nach Montilla kommt, um dort die Stille zu genießen. Forscher aus aller Welt recherchierten bereits mehrere Wochen lang hier, um die »Comentarios Reales«, die es in keiner modernen Auflage gibt, durchzusehen und besonders interessante Stellen zu finden, die den Inca zu einem einzigartigen Erzähler des 16. Jahrhunderts machen.
Bei meiner zweiten Reise nach Montilla zieht es mich in die Casa del Inca. Durch die dicken Mauern kann der Autolärm hier nicht eindringen. Es ist kalt. Ich trage einen dicken Pullover. Immer wenn die junge Aufseherin die schwere dunkle Kassettentüre für mich öffnet, bin ich allein in dem wunderschönen Haus aus dem 16. Jahrhundert. Hier gibt es keine Touristen und die Einheimischen kommen auch nicht vorbei. In diesem Haus in Montilla hat der Inca 30 Jahre seines Lebens verbracht und geschrieben. Seine Dienerin Beatrix hat ihn versorgt und ihm einen Sohn geschenkt. Hier in der Casa