„Gott, gib mir Mut
Dinge zu ändern, die ich ändern kann,
die Gelassenheit
Dinge hinzunehmen, die ich nicht ändern kann
und die Weisheit
das eine vom anderen zu unterscheiden“
Zitat von Reinhold Niebuhr
Dieses Zitat habe ich als 16jähriger von meinem damaligen Klassenlehrer als Visitenkarte mit auf meinen Lebensweg bekommen.
Damals habe ich das nicht verstanden.
Heute schon.
Danke Peter!
„Wo die Angst ist,
geht der Weg lang“
Zitat von Günter Ammon
„Wer sich ärgert,
gibt dem anderen die Macht“
Zitat von Unbekannt
Ohne diese „Erkenntnisse“, wäre mein Leben anders verlaufen...
Wie hat der allseits bekannte deutsche „Philosoph“ Otto Waalkes immer gesagt hat:
„Einen hab` ich noch!“
„Die Ehe ist der Versuch
gemeinsam Probleme zu lösen,
die man alleine gar nicht gehabt hätte“
Die Herkunft dieses Zitates ist ungeklärt. Wahrscheinlich traut sich kein Prominenter, in diesem Zusammenhang genannt zu werden.
Es ist zugegebenermaßen kein besonders „nettes“ Zitat, aber eines, das irgendwie auch ganz gut zu diesem Buch passt...
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über www.dnb.de abrufbar.
TWENTYSIX – der Self-Publishing-Verlag
Eine Kooperation zwischen der Verlagsgruppe
Random House und BoD – Books on Demand GmbH
Herstellung und Verlag:
BoD – Books on Demand GmbH, Norderstedt
© November 2020 Markus Zang
ISBN: 9783740797027
„Wuscheltiere“ sind ganz besondere Wesen, so wie du und ich. Mal zu laut, mal zu leise, mal besonnen, mal chaotisch, mal ängstlich, mal euphorisch, mal tieftraurig, mal wie ein Kind jauchzend, aber alle sind wir ständig auf der Suche nach dem Glück.
Wir sagen nicht immer was wir denken und wir tun nicht immer was wir sagen. Wir „Wuscheltiere“ sind aber auch irgendwie Kuscheltiere. Wir hätten gerne, dass man uns liebhat und wollen immer mit ins Bett. Was tun „Wuscheltiere“ nicht alles, um geliebt, beachtet und respektiert zu werden. Davon handeln unsere dreißig bewegenden Kurzgeschichten.
Für die einen ist dieses Buch ein tiefsinniger und schonungsloser Blick in die „Abgründe“ unserer Gesellschaft, für andere ein pfiffiger „Überlebensratgeber“ und für andere einfach nur ein sehr unterhaltsames, kurzweiliges und oftmals humorvolles Buch über den alltäglichen Wahnsinn.
Auf jeden Fall verursacht dieses Buch „Kopfkino“. Unsere Protagonisten könnten Ihnen allerdings näherstehen, als es Ihnen lieb ist. Sie leben in Ihrer Nachbarschaft, sitzen Ihnen am Schreibtisch gegenüber oder liegen vielleicht sogar neben Ihnen im Bett. Es soll vereinzelt vorkommen, dass man sie auch im Spiegel sieht. Wer weiß? Finden Sie es heraus!
Es ist Zeit für Kopfkino!“
Wir präsentieren euch die Hauptdarsteller unserer Wuscheltier-Geschichten:
Horst, als „Stammtisch-Philosoph“
Susi, als „Die schönste Frau der Welt“
Der Unbekannte, als „Der Wahrheitssuchende“
in
Alice, als „Die Glückliche“
Ihr Chef, als „Der Arsch“
Stefan, als „Der Fleischfresser“
in
Corinna, als „Die Eingeheiratete“
Frank, als „Das schwarze Schaf“
Jörg, als „Der Gas-Wasser-Scheiße-Imperialist“
in
Ein Junge von der Straße, als „Der Altkluge“
Zwei austauschbare Statisten, als „Die Eltern“
Die Pubertät, als „Forrest Gump“
in
Bea, als „Die Arme“
Gregor, als „Der Loser“
Monika, als „Der Stachel“
in
Lothar, als „Der Sternensucher“
Check24, als „Das Überflüssige“
Der Paketbote, als „Der Glücksbringer“
in
Jochen, als „Der Mann der keinen Blümchensex mag“
Klaus, als „Der Knatterer“
Susanne und Sylvia, als „Die bedauernswerten
Ehefrauen“
in
Ein User, als „Der Philosoph“
Die Telekom, als „Die Endlosschleife“
Das Callcenter, als „Der Störenfried“
in
Sybille, als „Der Paradiesvogel“
Julia, als „Die beste Freundin“
Ein x-beliebiger Mann, als „Der Tröster“
in
Karlheinz, als „Der Schweiger“
Clemens, als „Der Yuppi“
Frau Koller, als „Die Unschuldige“
in
Jonas, als „Der Suchende“
Corinna, als „Die Zweiflerin“
Der Pfarrer, als „Der Allwissende“
in
Pia, als „Die Kreuzfahrerin“
Melanie, als „Die Wandermaus“
Renate, als „Die Träumerin“
in
Tobi, Jan, Michel und ich, als „Die Band“
Inge, als „Die Dauerwelle“
Die Blues Brothers, als „Der Jugend-Traum“
in
Eine bedeutungslose Laienspielgruppe
in
Michelle, als „Die Sex-Bestie“
Judith, als „Das Opfer“
Ein Mann von nebenan, als „Der Täter“
in
Norbert, als „Der Politikverdrossene“
Robin, als „Der Erstwähler“
Oswald, als „Der Rechtsaußen“
in
Martin, als „Der Verweigerer“
Babsi, als „Die Betroffene“
Heinz, als „Das schlechte Gewissen“
in
Eine Frau die jeder kennt, als „Die Esoterikerin“
Ein Ingenieur, als „Der Kopfmensch“
Der Duden, als „Der Erklärungsversuch“
in
Hans-Jürgen & Helmut, als „Die Mutigen“
Der BGH, als „Die späten Retter“
Das Grundgesetz, als „Die Ignorierte“
in
Die „Besserwisser-Bande“
in
Kevin, als „Das Einzelkind“
Seine Eltern, als „Die Schisser“
Joey, als „Der Junge,
der eigentlich noch mehr Geschwister haben sollte“
in
Berthold, als „Der Börsenguru“
Thomas, als „Der Kritische“
Die Sparkasse, als „Die Schuldige“
in
Jule, als „Die Verliebte“
Conny, als „Die Unglückliche“
Jürgen, als „Der Grund“
in
Das „schlechte Gewissen“
in
Der Mann von der Straße, als „Der Feigling“
Die Frau in der S-Bahn, als „Das Opfer“
Wir alle, als „Die Zuschauer“
in
Carina, als „Die Verständnisvolle“
Ihr Partner, als „Der Zögerliche“
Fuchur der Drache, als „Der Retter“
in
Ein Mann aus der Reihenhaussiedlung, als
„Der Mann aus der Reihenhaussiedlung“
Norman Bates, als „Der Nachbar, der alles darf“
in
Brigitte, als „Die Frau, die zum Lachen in den Keller
geht“
Pippi, als „Pippi“
Robert, als „Der Tapsige“
in
Der Postmann, als „Der Sklave Amazons“
Der Nachbar, als „Der Dumme“
Die Anwälte, als „Die Verschwörer-Bande“
in
Donald Trump, als „Godzilla“
Siggi, als „Der Mann der gerne Snickers isst“
Ein militanter Vater, als „Der Waffenschieber“
in
Karl, als „Der Visionär“
Angelina Corona, als „Das Virus“
Die Medien, als „Die Panikmacher“
Die Politiker, als „Die Angsthasen“
in
Tom Cruise, als „Der Agent, der diesmal scheitern wird“
Die Dummheit, als „Der Superschurke“
Die Ignoranz, als „Der kleine Bruder des Superschurken“
in
Markus Zang, als „Der Weltverbesserer“
in
Ich will hier noch nicht zu viel verraten, aber...
wer jetzt genau nachgezählt hat wird feststellen, dass es mehr als 30 Geschichten sind. Betrachten Sie den „Überschuss“ einfach als kostenlose Zugabe. Ist doch schön, wenn man für sein Geld ausnahmsweise mal mehr bekommt, als man gedacht hat. Ist ja nicht immer so. Wie oft gibt es Mogelpackungen, bei denen uns vorgegaukelt wird, es wäre viel mehr drin. Am Ende gibt es bestimmt wieder den einen oder anderen Diplomingenieur oder Buchhalter, der mir vorhalten wird, dass dieses Buch auch eine Mogelpackung ist und das nicht nur deshalb, weil hier trotz des verheißungsvollen Buchtitels so wenig Tiere mitspielen, sondern weil ...
Ach, finden Sie es doch selbst heraus!
„Die Susi ist die hübscheste Frau auf der Welt. Jawoll. Auf die Susi! Prost!“
Man soll mit Betrunkenen nicht diskutieren, obwohl das schon seinen Reiz hat. Der Volksmund behauptet ja: „Kleine Kinder und Betrunkene sagen die Wahrheit“. Ich mag Menschen, die ehrlich sind. Klar, will man die Wahrheit nicht immer hören. Sie ist nicht immer angenehm und hin und wieder tut sie auch richtig weh. Aber das ist doch immer noch besser, als wenn dich die Leute mit Halbwahrheiten oder sogar Lügen vollquatschen. Viele wissen ja noch nicht einmal, ob sie gerade lügen oder die Wahrheit sagen. Die wollen einfach nur mitreden und dann muss es eben raus, egal was. Die wollen nicht immer nur nebendran stehen und den anderen zuhören, sondern auch mal was Schlaues sagen. Wobei „schlau“ ein dehnbarer Begriff ist, nicht nur bei Betrunkenen.
Was bedeutet überhaupt Wahrheit? Im Duden steht: „Wahrheit ist die Übereinstimmung einer Aussage mit der Sache, über die sie gemacht wird“. Ich finde das spannend. Für Horst ist die Susi die hübscheste Frau auf dieser Welt. Doch entspricht das auch der Wahrheit? Ich mache einen Test, mit einem nicht unbedingt überraschenden Ergebnis. Nachdem ich alle seine Kumpels am Tisch befragt habe, gab es durchaus Übereinstimmungen. Durchweg alle waren der festen Überzeugung, dass Susi die hübscheste Frau auf der Welt ist, oder zumindest die hübscheste in diesem Raum. Doch wird es deswegen gleich zur Wahrheit, nur weil fünf betrunkene Freunde übereinstimmend das Gleiche über eine „Sache“ sagen?
Ich bitte um Entschuldigung, dass ich die Susi hier als „Sache“ bezeichne, aber ich will mich möglichst an die Definition im Duden halten. Es mag ja sein, dass man das als Wahrheit bezeichnen darf, aber erstens ist das völlig subjektiv, zweitens ist Susi die Kellnerin, die den Jungs alle zehn Minuten ein frisches Bier auf den Tisch stellt und drittens ist Susi im Moment die einzige Frau in dieser Kneipe. Viertens kommt erschwerend hinzu, dass alle Befragten zu diesem Zeitpunkt nicht unbedingt besonders zurechnungsfähig sind. Als Geschworene würden sie in diesem Zustand von jedem Gericht dieser Welt abgelehnt werden, obwohl sie ganz bestimmt sehr überzeugend ihre subjektive Wahrheit vertreten.
Das führt mich zu einer Erkenntnis. Wenn viele Menschen übereinstimmend das Gleiche über eine Sache behaupten, wird es offensichtlich zur Wahrheit. Meine Schlussfolgerung daraus macht mich allerdings etwas skeptisch. Heißt das etwa, dass nur genug Menschen das Unwahre behaupten müssen und es dann automatisch zur Wahrheit wird? Was ist denn nun überhaupt Wahrheit? Aristoteles hat die Wahrheit folgendermaßen definiert: „Zu sagen, das Seiende sei nicht oder das Nicht-Seiende sei, ist falsch, dagegen zu sagen, das Seiende sei und das Nicht-Seiende sei nicht, ist wahr. Wer also ein Sein oder Nicht-Sein prädiziert, muss Wahres oder Falsches aussprechen“.
Horst hat das definitiv einfacher ausgedrückt: „Susi ist die hübscheste Frau auf der Welt!“ Ich wüsste gerne wie Aristoteles das formuliert hätte, wenn er vorher ein Dutzend Pils getrunken hätte. Vielleicht hätte man ihn dann auch besser verstanden? Ich weiß es nicht.
Ich weiß auch immer noch nicht, was Wahrheit wirklich bedeutet? Es gibt „Sachen“, da sollte man meinen, es ist eindeutig. Zum Beispiel, wenn einer sagt, der Schnee ist kalt oder das Feuer ist heiß. Da gibt es bestimmt mehr als genug übereinstimmende Aussagen und somit würde auch keiner daran zweifeln, ob diese Aussage der Wahrheit entspricht. Aber gehen wir doch einen Schritt weiter. Ich behaupte, in meiner Wohnung ist es warm. Meine Frau behauptet, in meiner Wohnung ist es kalt. Wer sagt jetzt die Wahrheit? Frage ich meine Kumpels, sagen alle übereinstimmend, dass es bei mir immer viel zu warm in der Wohnung wäre und ich ruhig die Heizung etwas runterdrehen könnte. Frage ich die Freundinnen meiner Frau muss ich mir übereinstimmend (und mit vorwurfsvollem Unterton) anhören, dass meine Frau wegen mir Frostbeulen oder mindestens eine Blasenentzündung kriegt, weil es in meiner Wohnung immer viel zu kalt ist. Wer sagt jetzt die Wahrheit? Es bleibt kompliziert.
Bei Horst und seinen Kumpels ist das alles nicht so kompliziert. Bedeutet das vielleicht, dass das Leben weniger kompliziert wird, wenn man nur genug Alkohol getrunken hat? Ist es tatsächlich so einfach? Wie hätte Aristoteles darüber gedacht?
Was wäre, wenn ich die Freundinnen meiner Frau zum Weinabend in meine Wohnung einlade und meine Umfrage nochmals neu starte? Vielleicht würden sie mich dann nach dem vierten Glas Wein mit hochroten Köpfen darum bitten, die Heizung etwas runter zu drehen? Und das auch noch übereinstimmend! Was ist Wahrheit?
Während Horst und seine Kumpels weitertrinken, nehme ich mir mein Smartphone zur Hand und „google“ nach „Wahrheit“. Als erstes stoße ich auf eine Werbe-Schlagzeile der Bild-Zeitung aus dem Jahr 2006: „Jede Wahrheit braucht einen Mutigen, der sie ausspricht." In solchen Momenten beschleicht mich immer ein mulmiges Gefühl. Warum führen mich Algorithmen ausgerechnet zur Bild-Zeitung, wenn ich nach der Wahrheit suche? Wer hat das programmiert? Dass die Redakteure der Bild-Zeitung die gefährlichsten Meinungsmacher im deutschsprachigen Raum und in allen Medien bestmöglich vernetzt sind, ist weitestgehend bekannt, aber es ist schon ein Unterschied, ob ich mir dieses „Blättchen“ an der Tankstelle freiwillig kaufe oder mich im Internet „neutral“ über ein Thema erkundigen will. Am Ende lesen dann wieder viel zu viele Menschen die Schlagzeilen der Bild und somit kommen wir wieder an das grundsätzliche Problem mit der Übereinstimmung zu einer Sache. Es bleibt kompliziert.
Je länger ich darüber nachdenke, desto klarer wird es mir. Ich meine das mit den Algorithmen. Im Grunde genommen ist es nicht kompliziert, sondern einfach.
Ich surfe hier über den WLAN-Anschluss in unserer Eckkneipe. Der Router bringt mich automatisch dorthin, wo die meisten Leute „unterwegs“ sind. Über was reden die Leute in der Kneipe am liebsten? Über das, was gerade in der Bild steht und schon schließt sich der Kreis. Der Slogan: „Bild dir deine Meinung. Bild!“ ist nicht umsonst so gewählt. Die Marketingleute haben nur versehentlich einen Buchstaben verwechselt. Es sollte eigentlich heißen: „Bild dir meine Meinung. Bild!“ Ist doch wahr. Da steht in riesigen Schlagzeilen was „Übles“ über einen Menschen und schon denken Millionen Leser übereinstimmend das Gleiche über eine „Sache“. Und das nennt sich dann Wahrheit. Stellt sich diese Schlagzeile drei Tage später als falsch heraus, kommt auf Seite 3, ganz unten im Kleingedruckten, eine Richtigstellung, die meistens noch neben einem „Tittenbild“ platziert wurde, damit auch bloß keiner auf den Artikel achtet. Ich könnte kotzen. Vielleicht ist das auch der Grund, warum die Jungs hier so viel saufen. Da finde ich zum Thema Bild-Zeitung im Netz doch gleich ein passendes Zitat von Mark Twain: „Eine Lüge ist bereits dreimal um die Erde gelaufen, bevor sich die Wahrheit die Schuhe anzieht“. Mark Twain war selbst Schriftsteller. Der wusste um die Gefahren, die von Massenmedien ausgehen können.
So gesehen, dürfte ich jetzt überhaupt nicht im Internet unterwegs sein. Wer sagt denn, dass ich hier die Wahrheit finde? Aber es interessiert mich trotzdem, ob es neben Horst und Aristoteles noch andere schlaue Köpfe gibt, die was zum Thema beitragen können.
Auweia, gleich ein Volltreffer, Benjamin Franklin: „Nur die Lüge braucht die Stütze der Staatsgewalt, die Wahrheit steht von alleine aufrecht.“ Franklin war ja „nur“ Gründungsvater der Vereinigten Staaten von Amerika und kein Präsident, wie viele Menschen denken. Nach diesem Zitat hätte es damals sicherlich einen „Shitstorm“ im Parlament gegeben. Heute gibt`s diese „Shitstorms“ auch, aber im Auge des Sturms steht Donald Trump und grinst sich einen. Die Zeiten ändern sich. Oder das hier, dieses Zitat von Mahatma Gandhi muss ich mir für Horst merken: „Ich bin der Wahrheit verpflichtet, wie ich sie jeden Tag erkenne, und nicht der Beständigkeit.“ Ich bin mir nämlich nicht sicher, ob Horst, wenn er wieder nüchtern ist, Susie am Tag darauf immer noch als die hübscheste Frau auf der Welt bezeichnen würde.
Alle guten Dinge sind drei. Ein Zitat habe ich noch vom alten Franzosen Jean Gabin: „Wenn alle Menschen immer die Wahrheit sagten, wäre das die Hölle auf Erden“. Der Mann war kein Staatsmann und kein Philosoph, sondern Schauspieler und verheiratet war er auch. Recht hat er. Man stelle sich nur mal vor, Horst hätte vorhin die „Wahrheit“ gesagt. Also nicht „die“ Wahrheit, sondern die „andere“ Wahrheit, also dass Susi einfach nur, sagen wir mal, etwas moppelig, tendenziell ungepflegt und nicht gerade die hübscheste Frau auf der Welt ist. Dann wäre die Hölle ausgebrochen, ganz sicher und die Jungs hätten daraufhin ganz bestimmt keinen Alkohol mehr bekommen. Die Wahrheit zu sagen, ist nicht immer von Vorteil.
Schlussfolgerung: Manchmal ist es besser, nicht „die“, sondern eine „andere“ Wahrheit zu sagen, sonst versaut man sich den ganzen Abend. Es bleibt kompliziert. Es ist wie mit den fünf Elementen. Eigentlich habe ich in der Schule gelernt, es gibt nur vier, aber nur weil ein paar Lehrer eine übereinstimmende Überzeugung zu einer Sache haben, muss es deswegen nicht gleich wahr sein. Feuer, Wasser, Erde und Luft. Vier Elemente, daraus besteht unsere Welt. Soweit so gut und ganz einfach.
Zuerst kamen die Chinesen, dann Bruce Willis und dann noch ein paar andere „Hansel“ und jeder hat es auf seine eigene Art versucht zu erklären, warum es fünf Elemente sein sollen. Jeder meinte etwas anderes damit und wollte es der ganzen Welt als „seine“ Wahrheit verkaufen, ist aber auch egal. Für mich persönlich ist das „Fünfte Element“ das Vakuum und Vakuum hat nun mal die Eigenart, dass da nichts drin ist. Das glaube ich zumindest oder ist im Vakuum etwa doch Luft? Ach verdammt, ich weiß es nicht, ich bin weder Ingenieur, noch habe ich Physik studiert. Auf jeden Fall gehe ich im Flugzeug auf`s Klo, drücke auf einen Knopf und dann saugt dieses Vakuum meine Scheiße einfach weg und ich bin mir ganz sicher, dass da vorher nichts in der Schüssel war.
Also denke ich, das Vakuum lässt sich befüllen, zum Beispiel mit Wahrheiten. Je nachdem, mit was wir unser „fünftes Element“ also befüllen, wird es zum wichtigen Bestandteil „unserer“ Welt. Vielleicht sogar zum wichtigsten Bestandteil unserer Welt!
Am Ende kann doch sowieso keiner genau sagen, was die Wahrheit ist. Da tun sich immer ein paar Leute zusammen, die das eine behaupten und dann tummeln sich welche auf der anderen Seite, die was anderes behaupten und für „ihre“ Wahrheit kämpfen. In so einem Umfeld entstehen doch nur Spannungen. Aus Spannungen entsteht Streit, aus Streit entstehen Kriege und was dann kommt, ist jedem von uns klar. Und warum das alles? Für die Wahrheit? Weil jeder für etwas kämpfen will, wovon er noch nicht einmal genau weiß, was es ist?
Ach, scheiß auf die Wahrheit. Susi ist die schönste Frau der Welt.
Prost!
Der Tag hatte schon so merkwürdig angefangen. Normalerweise hält mir heutzutage kein Mann mehr die Tür auf. Seitdem sich einige Frauen öffentlich darüber beschwert haben, es wäre eine „männliche Demonstration ihrer Macht über die Frauen“, wenn ein Mann ihnen die Tür aufhält, halten sich die meisten Männer verunsichert zurück. Es gibt heutzutage nichts Schlimmeres für einen Mann, als wenn er als Chauvinist gebrandmarkt wird. Mein Vater war ein Chauvinist, mein Großvater war ein Chauvinist, alle meine Onkels waren Chauvinisten. Keiner von denen wusste, wie man das schreibt, aber sie wussten ganz genau, was sie taten und bis vor zwanzig Jahren waren die auch noch stolz drauf. Einige von ihnen sind übrigens heute noch stolz drauf und trauern den guten alten Zeiten nach, in denen sich ein Mann noch als Mann zeigen durfte.
Das Bild des Mannes, wie ich es als kleines Mädchen sehen sollte, war stark, zupackend, entscheidungskräftig, allwissend und manchmal auch galant, so wie Gary Grant in diesen alten Hollywood-Filmen. Ich weiß noch, wie sich mein Vater immer über diese „Weicheier“ aufgeregt hat. Meine Mutter fand Gary Grant, James Stewart und Gregory Peck immer ganz toll, sie hat diese Männer regelrecht angehimmelt. Je mehr sie meine Mutter anhimmelte, desto „männlicher“ wurde mein Vater. Da wurde aus stark und zupackend auch manchmal laut und aggressiv. Dieses Männerbild hat mich geprägt und jetzt hält mir dieser Typ die Tür auf. So ein Weichei!
Aber das war erst der Anfang. Es ist Montag. Montags hat kein Mensch gute Laune, wenn er ins Büro kommt. Wenn du fünf Tage Arbeit vor der Brust hast, dann hast du keine gute Laune, höchstens, wenn die Wirkung der sonntäglichen Cannabis-Plätzchen noch nicht nachgelassen hat. „Guten Morgen Frau Schneider, wie war ihr Wochenende, sie sehen heute aber besonders flott aus, hübsches Kleid, neue Frisur?“ Hä? Ich komme mir vor wie in einer Folge von „Versteckte Kamera“. Das würden die Kollegen doch niemals freiwillig sagen, aber das hier ist noch viel krasser. Diese „zuckersüßen“ Bemerkungen kommen von meinen Kolleginnen. Frauen! Frauen sagen sowas nicht über andere Frauen und schon gar nicht, wenn Männer in der Nähe sind. „Sie sehen heute aber besonders flott aus!“ Damit lenken sie doch die ganze Aufmerksamkeit auf eine Konkurrentin. Warum machen die das? Warum heute? Aber es wurde noch merkwürdiger.
Ich hatte gleich am Vormittag einen Termin beim Chef. Ich mag meinen Chef nicht besonders. Er ist zwar kein Chauvinist der alten Garde, aber er kann es nicht ganz unterdrücken. „Er lässt mich spüren, was er von mir denkt und merkt dabei nicht, wie sehr er mich kränkt“. Das klingt wie eine Textzeile aus dem Lied „Kleinkrieg“ von der Band Marsecco, aber das trifft es ziemlich genau. Mein Chef ist so einer, der bei seinen Freunden auf dem Golfplatz abfällig von seinen „Tippsen“ spricht. Er ist und bleibt ein arrogantes Arschloch. Nur vorhin nicht. Keine Ahnung, was sie ihm in den Tee geschüttet haben, aber er war nett zu mir. Das war mir unheimlich.
Er hat mir sogar einen Sitzplatz und einen Kaffee angeboten. Vor lauter Überraschung und Verunsicherung wusste ich erst gar nicht, was ich tun sollte. Ist doch wahr, wieso kann er sich nicht wie ein Arschloch verhalten, wie sonst auch? Dann hätte ich wie immer grimmig gucken können, hätte meinen Marschbefehl abgeholt und mich den ganzen Tag über ihn geärgert, wie sonst auch. Dieser Arsch bringt mir jetzt meinen ganzen Tagesablauf durcheinander. Was ist denn heute nur los?
Aber das dicke Ende kommt ja noch, denn er hat mir eine besser dotierte Stelle angeboten. Das muss man sich erstmal vorstellen? Freiwillig! Er meinte, ich hätte das verdient. Ich wäre überaus fleißig und zuverlässig und für eine Führungsaufgabe geeignet. Er traut mir das zu. Mein Chef traut seiner „Tippse“ eine Führungsposition zu? Hä? Ja, ist denn heute schon Weihnachten? Da stimmt was nicht. Ich schaue ungläubig in die Ecken an der Decke meines Büros. Versteckte Kamera? Ganz bestimmt! Oder so eine Folge von diesen „Undercover“ Serien bei RTL, bei denen sich anschließend der oberste Boss und mit ihm zusammen drei Millionen Zuschauer über einen lustig machen. Kaum habe ich meinen neuen Arbeitsvertrag in der Hand, geht die Hintertür auf und Oliver Pocher legt mir seine Hand auf die Schulter und sagt lächelnd in die Kamera: „Schalten Sie auch nächste Woche wieder ein, wenn die nächste Tippse verarscht wird!“
Ich halte den unterschriebenen Vertrag jetzt schon gefühlte fünf Minuten ungläubig in meiner Hand, aber es öffnet sich keine Tür. Kein Oliver Pocher, kein Guido Cantz, nur mein Chef, der mich immer noch anlächelt. So, wie der mich angrinst, führt der ganz bestimmt noch was im Schilde. Arschloch! Aber es kommt nichts. Ein warmer Händedruck, ein paar galante, gut formulierte Glückwünsche und auch er hält mir die Bürotür auf. Was ist das nur für ein Tag?
Ich sitze an meinem Schreibtisch und kann es noch nicht wirklich fassen. In meinem neuen Arbeitsvertrag steht eine Zahl, eine Zahl die mich stolz macht. Eine Zahl, die mir sagt, dass meine Leistung wertgeschätzt wird und darunter steht fettgedruckt ein rechtlicher Hinweis: „Aufgrund des Gleichstellungsgrundsatzes erhalten Frauen und Männer für die ausgeschriebene Position die gleiche Vergütung.“ Ich träume. Ich sollte meine Kollegin bitten mich zu zwicken. Wenn ich das meinem Vater und meinen Onkels erzähle, werden die vom Glauben abfallen, aber das war für heute noch lange nicht alles.
Die nächste Überraschung wartet in der Mittagspause auf mich, genauer gesagt in der Kantine. Normalerweise gehe ich ungern in unsere Kantine, denn es gibt immer wieder die gleiche „Pampe“. Nudeln mit Haschee, Haschee mit Reis, Reis mit Schweinefleisch, Schweinefleisch mit Nudeln und hin und wieder verirrt sich ein schleimiges Karotten-Erbsen-Gemüse dazwischen und alles schmeckt nach Maggi. Heute nicht.
Ich wollte mit meinen Kolleginnen meine Beförderung feiern und habe sie spontan in die Kantine eingeladen.
Keine war so richtig begeistert, aber heute sind alle irgendwie nett zu mir. Ein Blick in die Kantinen-Vitrine und mir verschlägt es fast den Atem. Drei Sorten frisch gedünstetes Gemüse, eine große Salatbar, vegetarische Fleischbällchen aus Kichererbsen, lebensecht geformte Schweinshaxen aus Tofu, zertifizierte Biokäse-Häppchen, überbackener Blumenkohl und dann stehen da auch noch frisch gepresste Fruchtsäfte. Keine Kohlenhydrate, kein Fett, kein Maggi und keine Östrogene! Von wegen: „Unser täglich Hormonfleisch gib uns heute!“ Nichts, nur gesunde Sachen. Selbst meine Kolleginnen sind aus dem Häuschen und haben sich gleich zwei von diesen vorzüglichen Tofu-Schweinshaxen auf den Teller gepackt.
Meine gute Stimmung kennt daraufhin keine Grenzen mehr. Ich habe jeden Anrufer mit meiner guten Laune und meinem Charme um den Finger gewickelt. Selbst die übelsten Nörgler mit berechtigten Reklamationen habe ich weggelächelt. Was für ein Tag und das an einem Montag. Ich fühle mich hier bei der Arbeit so wohl, dass ich überhaupt nicht nach Hause gehen will. Selbst der Gedanke an den drohenden Feierabend kann mir meine Stimmung nicht vermiesen. Mal sehen, was mir der Tag heute noch zu bieten hat?
Ich steige in die U-Bahn und habe sofort einen Sitzplatz bekommen. Heute ist mein Glückstag, ein ganz besonderer Glückstag. Alle drei Fahrgäste in meiner Sitzgruppe haben keine triefenden Nasen oder husten mich an. Sie lächeln vor sich hin und scheinen sich wohl zu fühlen.
Keiner von ihnen starrt in sein Smartphone, nein, sie scheinen begierig zu sein, sich mit mir zu unterhalten. Vielleicht wollen Sie, dass ich mein Glück mit ihnen teile? Ich fange fröhlich an zu erzählen, was mir heute alles passiert ist und alle hören gespannt zu. Einige stellen sogar Fragen, zum Beispiel ob diese Tofu-Schweinshaxen denn auch wirklich schmecken würden? Es versammeln sich immer mehr interessierte Menschen um unsere Sitzgruppe und jeder will am Glück des anderen teilhaben. Ich habe das Gefühl, dass sich in dieser ausgelassenen Stimmung echte Freundschaften entwickeln können und das an einem Montag, in der wie immer überfüllten U-Bahn. Doch die Krönung erwartet mich am Abend. Was für ein Tag!
Stefan rief mich kurz vor Feierabend im Büro an und wollte wissen, ob es mir gut geht. Nein, er wollte nicht wissen, was ich gerade mache oder was die Kollegen wieder mal verbockt haben, nein, er wollte wissen wie es mir geht. Ist das nicht süß? Das macht er sonst nie. Normalerweise erzählt er mir stundenlang von seinen Problemen in seinem Job, oder dass ihm wieder mal sein Meniskus wehtut. Dann legt er auf, ohne dass ich zu Wort gekommen bin und jetzt will er ernsthaft wissen, wie es mir geht, wie ich mich fühle? Stefan ist ein „Schatz“. Ich will diesen Abend mit ihm zusammen verbringen, will mit ihm feiern! Wir verabreden uns für 19.00 Uhr und wollen ganz spontan in der Stadt was essen gehen. Wir können uns bei dieser riesigen Auswahl an einladenden Restaurants kaum entscheiden.
Überall steht: „Montags geöffnet“ und die Restaurants locken mit „Cocktails-Happy-Hour-Angeboten“ von 18.00 bis 22.00 Uhr. Stefan und ich gehen letztendlich ins „Brauhaus-Stübl“. Ich hatte heute schon so viel gesunde Sachen, da darf ich heute Abend ruhig mal sündigen.
Stefan ist ein Fleischfresser wie er im Buche steht. Ganz egal was, Hauptsache viel. Ich will, dass er heute Abend glücklich ist. Ich will, dass er mit mir glücklich ist. Deswegen das „Brauhaus-Stübl“. Wir waren schon lange nicht mehr hier. Überall hängen Fotos von glücklichen Kühen auf saftig grünen Weiden an der Wand. Dazwischen glänzen dutzende von Öko-Zertifikaten im Scheinwerferlicht. Ich wusste gar nicht, dass es so viele Öko-Labels gibt. Fantastisch. Jetzt kann Stefan mit gutem Gewissen so viel essen wie er will. Immer mit der Gewissheit, dass sein Schnitzel ein schönes Leben hatte.
Nach diesem üppigen Essen und dem jeweils dritten Cocktail sind wir glückselig. Wir zahlen die gemeinsame Rechnung über 30 Euro, geben noch 10 Euro Trinkgeld und machen uns auf den Nachhauseweg. Ich habe das Gefühl, dass dieser Abend noch wundervoll enden wird. Kaum habe ich die Wohnungstür hinter mir geschlossen, reißt mir Stefan voller Leidenschaft mein Kleid vom Leib und plötzlich spüre ich überall seine Hände, seine Zunge und ich erlebe Orgasmen, wie ich sie noch nie erlebt habe. Ich wusste nicht, dass Fleisch aus ökologischer Tierhaltung so geil machen kann. Wir lieben uns so oft, dass ich aufgehört habe zu zählen. Irgendwann schlafen wir dann erschöpft, aber glücklich ein. Was für ein Tag.
Klingelingeling, Klingelingeling, Klingelingeling.
Gäääähn. Scheiß Wecker. Scheiß Montag. Mein Gott, habe ich schlecht geschlafen. Ich hätte gestern nicht so viel von den Nudeln mit Haschee essen sollen. Mit vollem Magen ins Bett. Das habe ich nun davon.
Ich habe heute Nacht vielleicht einen Scheiß geträumt.
(Frank)
Warum habe ich nur das Gefühl, dass dieser Tag kein guter Tag wird? Eigentlich sollte ich mich freuen, sagt Corinna. Corinna hat gut reden, sie wurde in diese Familie nicht hineingeboren, sondern sie hat nur eingeheiratet. Eingeheiratet. Klingt wie eingekauft. So gesehen, war ich für Corinna ein Fehlkauf. Das behaupten zumindest meine Mutter, meine Geschwister, meine Cousins und – naja, im Grunde genommen alle.
Selbst Nathalie, meine kleine Nichte, plappert schon die Sprüche der anderen nach. Da kommt dann sowas, wie: „Onkel Frank ist ein komischer Kauz!“. Als ob meine neunjährige Nichte wüsste, was ein Kauz ist. Ihre einzigen Berührungspunkte mit Biologie und Zoologie hat sie, wenn sie bei Youtube niedliche Katzen- oder Hundevideos guckt. Nathalie kennt den Wald doch nur von der Rückbank des Jaguars ihrer Eltern, weil die hin und wieder zum Shopping-Wochenende nach Düsseldorf fahren und die Autobahn gezwungenermaßen durch den Taunus führt. Aber Nathalie kann ja nichts dafür. Warum sollte ich einer Neunjährigen Vorwürfe machen, nur weil es das Schicksal nicht besonders gut mit ihr gemeint hat? Mit ein bisschen Glück wäre sie vielleicht in eine andere Familie hineingeboren worden. Mit ein bisschen Glück wäre vielleicht auch ich in eine andere Familie hineingeboren worden. Bin ich aber nicht.
(Corinna)
„Komm Frank, entspann dich. Das wird schon nicht so schlimm.“
Mein Gott, was rede ich da? „Das wird schon nicht so schlimm?“ Wenn man auf die Feier zum 75. Geburtstag seines Vaters eingeladen wird, sollte man sich doch freuen und nicht darüber nachdenken, ob es nun nur schlimm oder ganz schlimm kommt. Zu seinem Vater hat Frank ein verhältnismäßig entspanntes Verhältnis, da ist er aber auch der Einzige. Nur deswegen hat er zugesagt. Bei jedem anderen Familienmitglied hätte er eine Durchfallerkrankung oder einen wichtigen Termin im Ausland als Entschuldigung vorgeschoben, nur damit er dieses „Pack“, wie er es nennt, nicht sehen muss.
Frank ist aber sonst nicht „so.“ Wir haben einen großen Freundeskreis und bei Familientreffen mit meiner „Sippschaft“ ist er im Normalfall total entspannt und er kann sich mit jedem gut unterhalten. Frank mutiert allerdings von Dr. Jekyll zu Mr. Hyde, wenn es um seine eigene Verwandtschaft geht. Ich weiß bis heute nicht, was dazu geführt hat. Frank wird dann nicht nur sonderbar, sondern er wird auch unterschwellig aggressiv, regelrecht feindselig, als ob er nur darauf wartet, dass ihn jemand von der Seite anquatscht und er zurückschlagen kann.
Letztes Jahr waren wir zur Erstkommunionfeier seiner Nichte eingeladen. Was willst du machen, wenn du Patenonkel bist? Ich frage mich heute noch, warum er damals bei ihrer Geburt seinem angetragenen Patenstatus überhaupt zugestimmt hat? Frank liebt Kinder, selbst die aus seiner Verwandtschaft. Er spricht dann immer davon, sie wären doch „unschuldig“. Das lässt tief blicken, denn es geht hier offensichtlich um Schuldgefühle.
Frank spricht nicht gerne über seine Familie. Ich weiß nicht, ob die anderen die Schuldgefühle haben sollten, oder er selbst. Irgendwas muss vorgefallen sein. Ich vermute, dass es nicht nur „einen“ Vorfall gab, sondern dass hier noch viel mehr mit reinspielt. Auf jeden Fall gab es bei dieser Erstkommunionfeier Stress. Nathalies Mutter hat beim Kaffeetrinken am Wohnzimmertisch immer wieder spitze Bemerkungen rausgehauen, von wegen Frank könnte als Patenonkel schlechten Einfluss ausüben oder so ähnlich. Ich habe mich anschließend gefragt, warum sie Frank überhaupt als Patenonkel akzeptiert hat. Naja, irgendwie hat das wohl mit der „guten, alten Familientradition“ zu tun. Der ältere Bruder oder die ältere Schwester übernimmt die Patenschaft. Keine Diskussionen. Das macht man so.
Nathalies Mutter ist die jüngere Schwester von Frank, das Nesthäkchen, wie er sie immer nennt. Er sagt das aber nicht liebevoll. Frank gehört zur Kategorie „Sandwichkind“. Sein Bruder Jörg ist fünf Jahre älter und seine Schwester fast zehn Jahre jünger. Ist doch klar, dass sein Bruder als regulärer Stammhalter gehandelt wurde und seine Schwester, als später Nachkömmling, ihr halbes Leben lang „Welpenschutz“ genoss. Da hängst du als „Sandwichkind“ emotional irgendwo im Nirvana fest und musst ohnmächtig mit ansehen, wie dein älterer Bruder dir den zukünftigen Weg freikämpft und deine kleine Schwester ständig „Puderzucker in ihren Hintern geblasen bekommt“.
Ich selbst bin ein Einzelkind. Damals hatte ich die uneingeschränkte Aufmerksamkeit meiner Eltern und musste sie mit Niemanden teilen. In meiner Kindheit habe ich das sehr genossen, das prägt. Manchmal fühle ich heute noch, wie extrem wichtig mir diese Aufmerksamkeit ist. Wenn sich in deiner Kindheit alles nur um dich gedreht hat, hinterlässt das deutliche „Spuren“. Vielleicht ist das auch ein Grund, warum ich Frank geheiratet habe. Er gibt mir jederzeit das Gefühl, im Mittelpunkt zu stehen. Er lässt mich spüren, dass ich wichtig bin. Ich brauche das, jeder Mensch braucht das, aber ich ganz besonders.
(Frank)
„Das wird schlimm! Schau dich doch mal um. Alle senken die Köpfe, nur damit sie nicht riskieren, dass wir uns zu ihnen stellen.“
Allen voran Jörg, mein Bruder, „Mister Perfect“, der rechtmäßige Erbe des Familienimperiums. Zumindest spielt er sich dementsprechend selbstsicher auf, oder sollte ich besser sagen großkotzig. Bei einer „Gas-Wasser-Scheiße-Drei-Mann-Bude“ von einem Imperium zu sprechen ist lächerlich, aber er hat sie gekriegt, ohne dass ich auch nur gefragt wurde. Dafür hat damals meine Mutter gesorgt.
Mein Vater war in dieser Entscheidungsfindung unschlüssig. Er hätte es gerne irgendwie gerecht aufgeteilt, aber natürlich hat sich meine Mutter durchgesetzt. Meine Mutter hat sich immer durchgesetzt und nicht nur, wenn es um uns Kinder ging. Mein Vater tat mir deswegen oft leid, vielleicht ist es das, was uns heute noch verbindet.
Mein Vater hat früher immer gesagt, seine Hilde wäre „der Herr im Haus“. Das sollte nett klingen, war für meine weitere Entwicklung aber nicht unbedingt förderlich. Das zieht sich wie ein roter Faden durch unsere Familie. Wenn ich meinen Blick so schweifen lasse, dann führen fast überall die Frauen das Regiment. Ich habe kein Problem mit starken Frauen, aber ich habe ein Problem mit schwachen Männern. Schon als Jugendlicher habe ich einige von ihnen als „Warmduscher“ oder „Bausparer“ bespöttelt. Erst später habe ich gemerkt, wie sehr mich dieses Verhalten meiner männlichen Vorbilder geprägt hat. So ist das nun Mal mit Vorbildern. Entweder du findest es gut und nachahmenswert oder es zeigt dir deutlich, wie du es später auf keinen Fall machen willst. Dabei stolperst du ganz schnell und ungewollt von einem Extrem ins andere. Ich hatte keine positiven männlichen Vorbilder, zumindest nicht in unserem erweiterten Familienkreis. Damals nicht und heute nicht.
Jörgs Frau ist eigentlich ganz okay, bis auf die Tatsache, dass sie keine Ahnung von Männern hat, denn sonst hätte sie mit Sicherheit nicht meinen Bruder geheiratet.
Aber nach fast 20 Ehejahren hat sie sich mit ihm arrangiert. Sie lässt ihn in der Firma den „großen Zampano“ spielen und wenn er zuhause seinen Blaumann auszieht, mutiert er zum Schoßhündchen. Damit meine ich nicht, dass er zum kuscheln auf die Couch darf, sondern eher, dass er „Stöckchen holen“ muss. Jörg kennt das aus seiner Kindheit von unserer Mutter. Manchmal finde ich das schon beängstigend, wenn Männer sich später eine Frau suchen, die fast genauso tickt wie die eigene Mutter. Vielleicht ist das der Grund, warum Männer nie richtig erwachsen werden?
(Corinna)
„Dann lass uns wenigstens deinem Vater gratulieren. Deswegen sind wir doch hier. Wir müssen ja nicht lange bleiben.“
(Frank)
Ich glaube man nennt das, was jetzt kommt, „Spießrutenlauf“. Auf jeden Fall komme ich mir gerade so vor, nur dass ich keine schmerzhaften Peitschenhiebe auf meinem Rücken spüre, sondern lediglich die niederträchtigen Blicke und die „Bad Vibrations“, wie Corinna das gerne nennt. So wie Moses damals das Meer geteilt hat, öffnet sich mir auf wundersame Weise ein Korridor durch die anwesenden Gäste, nur damit ich kontaktlos hindurchschreiten kann. Es war eindeutig ein Fehler herzukommen. Warum tue ich mir das an? Warum tue ich uns das an?