Mein ganz besonderer Dank geht an Dr. Claudia Eggert, die mir mit Rat und Tat bei der Erstellung meines Buches zur Seite stand.
Weiterhin an Susanne Schwenter-Wolff, die mich mit ihrem Buch „Eine halbe Million Schritte: I did (it) my way-zu Fuß von Porto nach Santiago de Compostela“ erst dazu inspirierte dieses Buch zu schreiben.
Für meine Schwester Sandra
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:
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© 2020 Schlaudraff, Markus
Herstellung und Verlag: BoD-Books on Demand GmbH, Norderstedt
ISBN:9783752616354
Es war ein lauer Spätsommerabend im Jahr 2015. Ich hatte gerade ein schönes Steak gegrillt, war mit dem Essen fertig und saß alleine mit einem Glas Wein in meinem kleinen Garten. Da kam mein guter spanischer Nachbar und setzte sich zu mir an den Tisch. Bei mir gibt es nämlich weder Gartenzäune noch Tore. Alles ist offen. Ein wenig geknickt setzte er sich zu mir. Er erzählte mir, dass es einer seiner größten Träume wäre einmal den Jakobsweg in Spanien zu gehen. Sein Sohn hatte das schon einmal gemacht. Er erzählte, dass seine Frau schwere Schäden an beiden Kniegelenken habe. Er wollte gerne mit ihr gemeinsam gehen. Für sie seien die Strapazen des Weges aber nicht zu schaffen. Ich hatte, besonders durch das Buch von Harpe Kerkeling „Ich bin dann mal weg!“, immer schon einmal den Wunsch gehegt diesen Weg zu gehen. Ich sagte ihm: „O.k.! Dann gehen wir eben nächstes Jahr gemeinsam diesen Weg.“ Er war überrascht und erfreut. Wir unterhielten uns noch bis spät in die Nacht über alle möglichen Dinge.
Nach und nach ging diese Idee allerdings in Vergessenheit.
Ich war zu dieser Zeit schon zweimal verheiratet und auch wieder geschieden, hatte zwei prächtige Kinder, vor einiger Zeit leider meine allergrößte Liebe verloren und war nun gerade wieder im Aufbau einer neuen Beziehung. Also sehr viel emotiales Auf und Ab.
Ich hatte zwei Schwestern. Meine kleinste Schwester verstarb schon vor längerer Zeit, in einem Alter von nur 30 Jahren, an einem nicht operablem Neurofibrom im Stammhirn. Sie musste ein unglaubliches Martyrium durchmachen und wurde von einer Klinik zur anderen durchgereicht. Keiner konnte ihr helfen. Kurz zuvor war mein Vater an multiplem Organversagen, ausgelöst durch Krebs, gestorben. Auch er war in verschiedenen Kliniken, wegen Herzinfarkt, Schlaganfall und einer Lungenkrebsoperation. Unzählige Nächte verbrachte meine Mutter dabei an den Krankenbetten der Beiden. Für die ganze Familie, insbesondere für meine Mutter war es die Hölle. Denn es ist wider die Natur, wenn ein Kind vor den Eltern stirbt.
Einige Wochen nach dem Gespräch mit meinem Nachbarn, erzählte mir meine zweite Schwester, dass bei ihr im Gehirn ein Tumor oder Abszess festgestellt wurde. Das wäre noch nicht ganz sicher. Dieser müsse aber sofort operiert werden. Ich war so verzweifelt. Ich kann es nicht beschreiben. Aber nicht nur ich. Sondern auch meine Mutter, mein Schwager und auch beide Kinder. Nicht sie auch noch, dachte ich. Sie war ein so lieber und guter Mensch. Erst der Vater, dann die kleinere Schwester und nun sie. Irgendwie setzte ich Krebserkrankung mit Todesurteil gleich. Aufgrund meiner Ausbildung wusste ich das allerdings besser. Natürlich gibt es immer wieder und immer öfter Heilung bei einer Krebserkrankung. Ich hatte aber ein sehr ungutes Gefühl.
Ich versuchte in meinem Leben immer ein Problemlöser zu sein. Doch was sollte ich hier machen? Meine Schwester war sehr gläubig. Sie hatte eine unglaubliche Stärke und großes Gottvertrauen. Das machte es der ganzen Familie leichter. Krampfhaft überlegte ich aber, was meine Aufgabe in dieser Situation sein könnte.
Ich erinnerte mich daran, dass es auf dem Jakobsweg einen besonderen Berg gibt auf dem ein eisernes Kreuz auf der Spitze eines hölzernen Pfahles auf einem Hügel aus hunderttausenden Steinen steht. Das „Cruz de Ferro“. Auf diesem Berg und an diesem Kreuz legte man schon seit Jahrhunderten mit Gebeten besprochene Steine ab um damit um Gottes Hilfe zu bitten. Ich dachte mir, das sei wohl die einzige Möglichkeit meiner kleinen kranken Schwester als großer Bruder zu helfen. Als ich ihr davon erzählte, sagte sie, dass sie sich darüber freuen würde, wenn ich einen Stein von ihr für sie dort ablege, falls ich diese Pilgerreise einmal machen würde.
Alles ging nun ganz schnell. Sie wurde im Gießener Uniklinikum operiert und alles verlief recht gut. Es war ein Abszess der gut entfernt werden konnte. Es war eine sehr aufwendige Operation, doch sie erholte sich relativ schnell.
Der Gedanke an die Pilgerreise und die Ablage des Steines an dem Cruz de Ferro, der höchsten Erhebung des spanischen Jakobsweges, wurde so wieder einmal von mir in den Hintergrund geschoben. Alles Mögliche andere, Arbeit, Feuerwehr, Freunde, Sport waren irgendwie immer wichtiger. Was war ich für ein Narr. Das wahre Wichtige verdrängte ich. Leider dauert es oft lange dies zu erkennen. Manchmal viele Jahre. Doch immer wieder kamen Gedanken in mir auf. War das alles bei ihr? Ist wirklich alles wieder in Ordnung? Ist es vielleicht doch möglich, dass die Steine an diesem Platz auch zukünftig etwas Gutes bei ihr bewirken? Ich haderte sehr mit mir. Ich bin zwar kein gläubiger, aber ein sehr spiritueller Mensch. Vielleicht gibt es Dinge zwischen Himmel und Erde, die wir heute noch nicht verstehen.
Dann kam die erschreckende Nachricht nur wenige Monate später. Bei meiner Schwester wurde Knochenkrebs im Endstadium festgestellt. Keine Heilung war mehr möglich. Ausgehend war ein unentdeckter Brustkrebs.
Die Verzweiflung aller Familienmitglieder und Freunde will ich hier nicht ausführen. Es war grausam. Doch meine Schwester blieb ganz ruhig. Ihr Glaube half ihr. Sie sagte sogleich, da wo ich dann hinkomme, wenn es zu Ende ist, da geht es mir gut. Diese Stärke empfand ich als unglaublich.
Ich konnte das jedoch nicht so leicht wegstecken. Was konnte ich nur tun?
Spontan viel mir ein: Gehe nun endlich auf den Jakobsweg und lege einen Stein für deine Schwester ab. Wenn du das jetzt nicht machst und wieder andere Dinge vorschiebst, dann sind lebenslange eigene Vorwürfe vorprogrammiert. Das habe ich schon mit meinem Vater und meinem Großvater erlebt. Wir hatten uns noch so viel zu sagen. Auch bis zum Tod von den Beiden schob ich immer wieder angeblich wichtige Dinge vor. Aber irgendwann war es zu spät. Dann war weder gemeinsame Zeit noch ein Gespräch mehr möglich. Das wollte ich nie mehr so machen.
Obwohl ich früher ein sehr guter Leichtathlet war und extrem viel trainierte, so desolat war mein momentaner Zustand. Sehr starkes Übergewicht und null Kondition. Ich befasste mich intensiv mit Ausrüstung, Erfahrungsberichten und den Abläufen für den Jakobsweg. Kurzfristig Urlaub zu bekommen war aufgrund meiner guten Chefin und meiner Kollegen gar kein Problem. Das Wichtigste, gute Wanderschuhe hatte ich schon. Ich bestellte mir einen passenden Rucksack und einen etwas größeren Schlafsack im Internet. Den Pilgerausweis, ohne den ist eine Übernachtung in einer Pilgerherberge nicht möglich und eine Jakobsmuschel am Band bestellte ich bei einer deutschen Jakobsweg Gemeinschaft. Diese Muschel zeichnet den Wanderer als Pilger aus und wird außen am Rucksack getragen. Früher diente sie auch als Trinkgefäß. Doch im Zeitalter von Hightech Trekking Materialien hat das an Bedeutung verloren. Ich buchte nun den nächsten passenden Flug nach Santiago de Compostela. Bis zum Abflug waren noch rund zwei Wochen Zeit. Jeden Abend trainierte ich, indem ich einen Sechserpack 1,5 Liter Flaschen Mineralwasser in meinen Rucksack lud und einige Kilometer mit den Wanderstöcken um meine Heimatstadt lief.
Mein Pilgerpass und die Jakobsmuschel kamen inklusive vielfältigem Infomaterial schnell per Post. Ich las alles an Infos über der Jakobsweg was ich nur bekommen konnte.
Da ich nicht den gesamten Jakobsweg, den sogenannten Camino Francés laufen konnte, dafür reichte einfach meine Zeit nicht, berechnete ich die Strecke so, dass ich genau am 02.06.16 gegen 12:00 Uhr, auf meinem Geburtstag und an dem Tag an dem bei meiner Schwester eine große Brust OP anstand, die Steine ablegen konnte. Denn mittlerweile war es nicht nur ein Stein, sondern es waren viele Steine. Mein Plan hatte sich herumgesprochen. Aus meinem Verwandten- und Freundeskreis kamen einige Steine zusammen die ich mitnehmen sollte. Aber auch von Kollegen, die eigene Sorgen oder unerledigte Dinge mit ihren Verstorbenen hatten. Sie baten mich für sie die Steine abzulegen um dadurch eine Brücke zu bauen oder eine Nachricht zu hinterlassen. So kam ein Beutel mit rund 1,5 kg Steinen zusammen.
Bei den Gedanken an diese schöne Geste von jedem Einzelnen stehen mir noch heute die Nackenhaare hoch.
Das Ganze entwickelte sich zu einer unglaublichen Reise mit unzähligen kleinen Wundern.
Start meiner Reise.
Mein Plan war vom Flughafen Hahn im Hunsrück direkt nach Santiago de Compostela zu fliegen. Vor dort aus mit dem Schnellbus entgegen dem Jakobsweg nach Astorga. Dann wieder, nach Ablage der Steine, Richtung Westen über Ponferrada und Villafranca del Bierzo nach Santiago. Je nachdem wie ich zeitlich zurechtkommen würde.
Das Einchecken klappte sehr gut. Das Flughafenpersonal war sehr freundlich und ich hatte den Eindruck, alle anderen Mitreisenden waren auch Pilger. Doch war ich auch ein Pilger? Ich fühlte mich eher wie jemand der lediglich eine Aufgabe zu erledigen hatte. Steine abgeben und fertig. Und wenn es der liebe Gott will, dann wird es meiner Schwester besser gehen. Doch so einfach sollte es nicht sein.
Für mich war klar, dass ich Gott und Teufel nicht betrügen konnte. So kam für mich nur das „echte“ Pilgern in Frage. Das bedeutete, alles zu Fuß gehen, niemals das Gepäck abgeben und vom Taxi fahren lassen und niemals eine Herberge voraus zu buchen. Ich hatte alles dabei um auch im Feld oder im Wald zu schlafen. Alle die das nicht so wie ich machten waren für mich keine echten Pilger. So wog auch mein Rucksack gut 15 kg. Normalerweise viel zu viel. Und da waren noch keine Wasservorräte dabei. Doch der Camino, so nennen die Spanier den Jakobsweg, macht einiges mit einem. So wurde auch meine Meinung über die von mir so geringschätzig genannten „Luxuspilger“ revidiert.
Der Flug war relativ unspektakulär, obwohl ich die unglaubliche Stärke eines Flugzeuges gerade beim Start sehr genieße. Ich musste mich in meiner Ausbildung auch intensiv mit Thermo- und Aerodynamik sowie Strömungstechnik befassen. Für mich ist es aber immer wieder ein kleines Wunder, dass das mit dem Fliegen, gerade mit einem so schweren Flugzeug, so einwandfrei funktioniert.
Im Flughafen von Santiago lernte ich ein Lehrerehepaar kennen. Sie erklärten mir, dass sie schon jahrelang den Camino gehen würden. Das wäre so schön hier und so billig. Das machte mich doch etwas nachdenklich. Ich war aber für jede Information dankbar. Ich erklärte ihnen was ich vor hatte und auch den Zweck meiner Reise. Mein Ziel war möglichst heute noch vom Schnellbusbahnhof aus Richtung Astorga zu reisen. Sie sagten mir mit voller Überzeugung, dass das überhaupt kein Problem sei. Ich solle am Busbahnhof, eine Haltestelle vor der Innenstadt, aussteigen und könne dann direkt nach Astorga weiterfahren. Ich war begeistert, denn ich war etwas in Zeitnot. 02.06.16 12:00 Uhr war mein Termin. Ich stieg als einziger am riesigen Busbahnhof aus und fand diesen völlig verlassen vor. Er befand sich am Stadtrand. Es war eine düstere riesige Halle. Kein Mensch war zu sehen. Ich sah mir die Busfahrpläne an und stellte fest, dass der letzte Bus bereits vor über zwei Stunden Richtung Astorga gestartet war. Da war ich fast noch in Deutschland. Da hatte ich schlecht recherchiert und mich zu sehr auf die Auskunft des überaus „kompetenten“ Lehrerehepaares verlassen. Wie dumm von mir.
Nun war guter Rat teuer. Ich umlief großräumig den Busbahnhof, doch weder eine Herberge noch ein Hotel war in der Nähe.
Mittlerweile war es stockdunkel und überall liefen streunende Hunde umher. Das fing ja gut an. Sollte ich die erste Nacht schon wie ein Penner auf einer Bahnhofsbank verbringen müssen?
Doch schon nahte das erste kleine Wunder. Direkt neben dem Busbahnhof befand sich die Berufsfeuerwehrwache von Santiago de Compostela. Die Feuerwehrmänner brachten gerade ihre Fahrzeuge nach einem Einsatz wieder in Ordnung.
Ich bin selbst seit rund 40 Jahren bei der Feuerwehr und hatte die Hoffnung dort Hilfe für diese Nacht zu finden. Leider geht mein Spanisch gegen Null. Ich begrüßte die Feuerwehrleute mit einem der wenigen spanischen Sätze die ich kannte: „Hola, que tal!“ Leider sprachen die Feuerwehrleute weder englisch noch deutsch. Die Feuerwehrmänner bemühten sich sehr und schafften dann ihren Kommandanten heran. Er konnte ein wenig Englisch und Deutsch. Mit Händen und Füßen und unter Einbeziehung aller möglichen Körpersprachen konnte ich ihm erklären wer ich bin und was ich vorhatte. Als ich ihm erklärte, woher ich komme und was mein größter und schlimmster Feuerwehreinsatz war, konnte er sich sogar daran erinnern. Es ging um die Tankzugkatastrophe mit vielen Toten und Verletzten am 7. Juli 1987 in Herborn. Das hat meinen Heimatort in der ganzen Welt auf traurige Art und Weise berühmt gemacht. Schnell waren wir alle die besten Kameraden nachdem der Feuerwehrchef meine Rede übersetzt hatte. Danach zeigte er mir die ganze Feuerwache mit den Fahrzeugen.
Im Anschluss gab er ein paar Befehle auf Spanisch die ich nicht verstand und ein Feuerwehrmann kam mit einem Geländewagen