Dieses Buch ehrt zwei außergewöhnliche Frauen,
Kathryn Lane Rossi und Susan Janine Louise Davis,
die nicht nur unser beider Leben je zu einer
unermesslichen Freude gemacht haben, sondern außerdem
für viele Tausend Menschen zu einem Quell
der Heilung geworden sind.
Eine klientenresponsive Therapie
für Körper und Psyche
Aus dem Amerikanischen
von Theo Kierdorf und Hildegard Höhr
Mit Vorworten von Jeffrey K. Zeig
und Hansjörg Ebell
2021
Mitglieder des wissenschaftlichen Beirats des Carl-Auer Verlags:
Prof. Dr. Rolf Arnold (Kaiserslautern)
Prof. Dr. Dirk Baecker (Witten/Herdecke)
Prof. Dr. Ulrich Clement (Heidelberg)
Prof. Dr. Jörg Fengler (Köln)
Dr. Barbara Heitger (Wien)
Prof. Dr. Johannes Herwig-Lempp (Merseburg)
Prof. Dr. Bruno Hildenbrand (Jena)
Prof. Dr. Karl L. Holtz (Heidelberg)
Prof. Dr. Heiko Kleve (Witten/Herdecke)
Dr. Roswita Königswieser (Wien)
Prof. Dr. Jürgen Kriz (Osnabrück)
Prof. Dr. Friedebert Kröger (Heidelberg)
Tom Levold (Köln)
Dr. Kurt Ludewig (Münster)
Dr. Burkhard Peter (München)
Prof. Dr. Bernhard Pörksen (Tübingen)
Prof. Dr. Kersten Reich (Köln)
Dr. Rüdiger Retzlaff (Heidelberg)
Prof. Dr. Wolf Ritscher (Esslingen)
Dr. Wilhelm Rotthaus (Bergheim bei Köln)
Prof. Dr. Arist von Schlippe (Witten/Herdecke)
Dr. Gunther Schmidt (Heidelberg)
Prof. Dr. Siegfried J. Schmidt (Münster)
Jakob R. Schneider (München)
Prof. Dr. Jochen Schweitzer (Heidelberg)
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Dr. Therese Steiner (Embrach)
Prof. Dr. Dr. Helm Stierlin (Heidelberg)
Karsten Trebesch (Berlin)
Bernhard Trenkle (Rottweil)
Prof. Dr. Sigrid Tschöpe-Scheffler (Köln)
Prof. Dr. Reinhard Voß (Koblenz)
Dr. Gunthard Weber (Wiesloch)
Prof. Dr. Rudolf Wimmer (Wien)
Prof. Dr. Michael Wirsching (Freiburg)
Prof. Dr. Jan V. Wirth (Meerbusch)
Themenreihe »Hypnose und Hypnotherapie«
hrsg. von Bernhard Trenkle
Reihengestaltung: Uwe Göbel
Umschlaggestaltung: Heinrich Eiermann
Umschlagmotiv: Lucy on the Wall, Ingo Maurer
Umschlagfoto: © Hagen Sczech
Redaktion: Uli Wetz
Satz: Drißner-Design u. DTP, Meßstetten
Printed in Germany
Druck und Bindung: CPI books GmbH, Leck
Erste Auflage, 2021
ISBN 978-3-8497-0364-6 (Printausgabe)
ISBN 978-3-8497-8263-4 (ePUB)
2021 Carl-Auer-Systeme Verlag und Verlagsbuchhandlung GmbH, Heidelberg
Alle Rechte vorbehalten
Die Originalausgabe erschien unter dem Titel
“The Practitioner’s Guide to Mirroring Hands”
bei Crown House Publishing, Carmarthen, UK
© 2017 Richard Hill und Ernest L. Rossi
Published by arrangement with Crown House Publishing Limited
Aus dem Amerikanischen übersetzt von Theo Kierdorf und Hildegard Höhr
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische
Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
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Carl-Auer Verlag GmbH
Vangerowstraße 14 • 69115 Heidelberg
Tel. + 49 6221 6438-0 • Fax + 49 6221 6438-22
info@carl-auer.de
Danksagung
Vorwort von Jeffrey K. Zeig
Vorwort von Hansjörg Ebell
Einleitung
Richard Hill lernt Ernest Rossi kennen
Hills Fallgeschichten: Eine Besichtigungstour
Worum geht es in diesem Buch?
Wann, wo und warum?
Wenn Sie »einfach nicht wissen«
Wo beginnen wir?
Ein Rahmen für alle Therapien?
Was noch?
Der kreative Randbereich, in dem die Weiterentwicklung stattfindet
1Die Geschichte von »Mirroring Hands«
Aus den Gesprächen zwischen Rossi und Hill
2Denken in den Systemen des Lebens
Vorbereitung des therapeutischen Geistes
Ganz von selbst
Vögel wissen, wie
Komplexe Systeme
Nichtlineare Systeme
Chaos
Ordnung und Unordnung
Attraktoren
Natürliche Problemlösung und Geist-Körper-Heilung
Emergenz
Selbstorganisation
Feedback
Der Geist ist nicht nur das Gehirn
Rückblick
3Erschließen natürlicher Verbindungen
Wie wir beginnen
Vorbereitung des Klienten
Ein therapeutisches Bewusstsein kreieren
Das therapeutische Bewusstsein mit den drei Schlüsseln entriegeln
Induktion des therapeutischen Bewusstseinszustandes
Rückblick
4Sprachprinzipien
Klientenresponsive Sprache
Vorbereitung des Therapeuten
Unvollständige Sätze
Ein unvollständiger Satz als kreative Implikation
Unterstützende Reaktionen
Überraschung und Verwunderung
Das Double Bind
Ideodynamische Fragen
Die grundlegende Zugangsfrage
Beispielfälle
Rückblick
5Die Rhythmen und Zyklen des Lebens in der Therapie
Die natürlichen Grundlagen von Mirroring Hands
Der ultradiane Rhythmus: Der natürliche 90 bis 120 Minuten dauernde Zyklus von Ruhe und Aktivität
Die ultradiane Heilungsreaktion
Die vier Phasen des kreativen Zyklus
Ein wenig Geschichte
Die vier Phasen in bildlichen Darstellungen
Rückblick
6Was ist und was sein kann
Innere Überprüfung
Aus Hills Fallsammlung: Innen festhalten, sich der Auflösung widersetzen
Rückblick
7Natürliche, angenehme und sensible Beobachtung
Die Kunst der klientenresponsiven Therapie
Unsere bisherige Reise
Natürlich
Komfort, Behagen, Trost (Comfort)
Sensible Beobachtung
Allzu hart
8Beide Seiten des Spiegels halten
Potenzial und Möglichkeit offenbaren
Fallbeispiele
Rückblick
9Neugier und der Elefant im Raum
Was wir übersehen
Die Gewinner-Verlierer-Welt
Neugier
Rückblick
10Das Negative ausräumen, sich auf das Positive vorbereiten
Die Tür schließen
Rückblick
11Symptomskalierung für die Erleuchtung
Das Symptom ist die Botschaft
Symptome: Eine emergente Eigenschaft
Rückblick
12Improvisation, Drama und Mirroring Hands
Der Flow der klientenresponsiven Therapie
Selbsterforschung
Mirroring Hands mit anderen Techniken verbinden
Rückblick
13Der eigene Zugang zu Wachstum und Entwicklung
Mirroring Hands ohne Unterstützung durch einen Therapeuten nutzen
Botschaften von innen
Selbstfürsorge
Sich um andere kümmern
Die Nutzung der ultradianen Heilungsreaktion
Im Randbereich des Wachstums und der Entwicklung
Rückblick
14Untersuchungen und Experimente
Von Ravitz zu Rossi
Symmetrie und Kontrast
Die Rossi-Hill-Experimente
Rückblick
15Hinab in das Kaninchenloch
Das Quantum und das Noch-nicht-Erkannte
Das Rotkehlchen
Fotosynthese
Unser Geruchssinn
Es werde Licht!
Was ist mit der Energie?
Die Quantenqualia der Gesundheit und des Wohlbefindens
Zum Abschluss
Literatur
Über die Autoren
Die Entstehung dieses Buches hat sich über Jahrzehnte hingezogen und hat viele Entwicklungsstadien und Revisionen durchlaufen. Deshalb ist es wahrscheinlich unmöglich, an dieser Stelle allen Anerkennung zu zollen, die zu seiner Publikation beigetragen haben. Wir bedanken uns zunächst von ganzem Herzen bei allen Patienten und Klienten, die wir im Laufe der Jahre betreut haben und die auf ganz besondere Weise als Mitschöpfer an der Entwicklung von Mirroring Hands beteiligt sind. Selbstverständlich gilt unser Dank auch der numinosen und immer noch anhaltenden Präsenz von Milton H. Erickson.
Richard Hill möchte als Erstes Ernest Rossi danken, der seine Bemühungen, ein guter Therapeut zu werden, seit über einem Jahrzehnt begleitet. In den mittleren Lebensjahren einen völlig neuen Beruf zu ergreifen ist unter den Augen der Besten eines Metiers deutlich leichter.
An dieser Stelle müssen wir noch einmal unseren Frauen Kathryn Rossi und Susan Davis für ihre enormen Beiträge sowohl auf beruflicher als auch auf persönlicher Ebene danken. Fast ebenso engagiert war Michael Hoyt in San Francisco, der den Text des vorliegenden Buches in mehreren vorläufigen Fassungen gelesen hat und uns mit wertvollen Anregungen und Ratschlägen zur Seite stand. Besonderen Dank hat auch Nick Kuys aus Tasmania in Australien verdient, der freundlicherweise die Rolle des »exemplarischen Praktikers« übernommen und uns dadurch zu erkennen geholfen hat, was interessant und wichtig war. Ganz besonderen Dank schulden wir weiterhin Jeff Zeig für sein Vorwort. Er ist weltweit bekannt als Ikone professioneller Exzellenz und widmet sich als Begründer und Vorstandsmitglied der Milton H. Erickson Foundation unermüdlich ihrem Gedeihen.
Wir wurden von vielen wunderbaren Menschen unterstützt und ermutigt, unter anderem von John Arden, Bonnie Badenoch, Rubin Battino, Steve Carey, Giovanna Cilia, Lou Cozolino, Mauro Cozzolino, Matthew Dahlitz, Jan Dyba, Roxanna Erickson-Klein, John Falcon, Bruce und Brigitta Gregory, Salvatore Iannotti, Paul Lange, Stephen Lankton, Paul Leslie, Scott Miller, Michael Munion, Carmen Nicotra, Bill O’Hanlon, Kirk Olson, Debra Pearce-McCall, Susan Sandy, Dan Siegel, Lawrence Sugarman, Reid Wilson, Michael und Diane Yapko und Shane Warren. Es gibt aber noch mehr Personen, mit denen wir uns von Herzen verbunden fühlen, darunter Kollegen und Freunde bei der Global Association for Interpersonal Neurobiology Studies (GAINS), die wir eher als unsere Familie ansehen; außerdem die wundervollen Mitglieder der Milton H. Erickson Foundation; und schließlich Venkat Pulla und unsere Strength-Based-Practice-Social-Work-Gemeinschaft in Autralien, Asien und auf dem Subkontinent. Es war eine wunderbare Reise. Wir danken Euch allen!
Richard Hill & Ernest L. Rossi
Ernest Rossi hat wichtige Beiträge zur Weiterentwicklung der Psychotherapie geleistet und ist zu einer historischen Persönlichkeit geworden. Er kann sich glücklich schätzen, Richard Hill als Co-Autor gewonnen zu haben.
Rossi hat in vielen Bereichen Wichtiges erreicht, unter anderem, indem er jungsche Perspektiven und die Arbeit von Milton H. Erickson, M. D., der zentralen Persönlichkeit der medizinischen Hypnose im 20. Jahrhundert, erweitert hat. Rossi war Ericksons Boswell1 und hat seinen Ansatz in der Welt bekannt gemacht. Rossis eigene bahnbrechende Beiträge bewegen sich im Bereich der Psychoneurobiologie. Er hat damit begonnen, hypnotische Techniken in der Geist-Körper-Therapie zu nutzen, bis hin zu der Möglichkeit, durch hypnotische Suggestion die Genexpression zu verändern. Rossi hat erforscht, wie der Geist Gehirn und Körper kreiert. Damit hat er eine Tür geöffnet, durch die andere Forscher nun hinduch- und weitergehen können.
Auch eigene Beiträge zur Hypnose sind kennzeichnend für Rossis Arbeit. Er ist Spezialist für ideodynamische Aktivität – für die Veränderung von Verhalten und sensorischem Erleben durch Assoziationen und mentale Repräsentationen. Wenn wir intensiv an eine Zitrone denken, fangen wir an, Speichel zu produzieren. Wenn wir als Beifahrer in einem Auto sitzen und uns irgendwo auf dem Weg wünschen, dass der Fahrer schnell bremst, treten wir mit einem Fuß auf eine imaginäre Bremse. Diese ideodynamischen Prinzipien, die das Fundament des vorliegenden wichtigen Buches bilden, können die psychotherapeutische Arbeit lenken.
Rossi hat auch die Mirroring-Hands-Technik erfunden, die sowohl für hypnotische Induktion als auch für die Hypnotherapie genutzt werden kann. Im Buch werden das Protokoll für diese Arbeit und die damit verbundene Theorie beschrieben und mit plausiblen klinischen Beispielen illustriert. Auch Varianten werden erläutert, und es wird auf Einschränkungen hingewiesen. Therapeuten, die ihre Behandlungstechnik weiterentwickeln wollen, können hier von einem Meister psychotherapeutischer Arbeit lernen.
Richard Hill ist Koautor dieses Buches, nicht nur Kommentator. Er erklärt die Bedeutung der Neugier als eines lindernden Faktors und geht ausführlich darauf ein, wie das Gehirn dafür genutzt werden kann, den Körper zu ändern. Des Weiteren werden Orientierungen entwickelt, die Klinikern helfen sollen, Burn-out zu vermeiden.
Dieses Buch ist nicht nur eine wichtige Ressource für alle, die mit Hypnose arbeiten, sondern leistet auch jedem Psychotherapeuten, der etwas über Geist-Körper-Psychotherapie lernen will, als Einführung beste Dienste. Die Darstellung erschließt Möglichkeiten zur Auflösung von Problemen, die man bisher nicht mit psychotherapeutischen Techniken behandeln konnte.
Besonderes Lob verdient Ernest Rossis und Richard Hills lebendige Darstellung. Sie haben altes Unterholz gelichtet und einen Pfad gebahnt, dem andere unbedingt folgen sollten.
Jeffrey K. Zeig, Ph. D.,
Milton H. Erickson Foundation
1James Boswell, der Biograf Samuel Johnsons, der das erste große Lexikon der englischen Sprache schuf. (Anm. d. Übers.)
»Du weißt nie, was nach der nächsten Wegbiegung kommt.
Sei neugierig und offen dafür!«
Ernest L. Rossi
Vermutlich war diese Haltung maßgeblich dafür, dass Ernest Lawrence Rossi mit einem Lächeln ging, als er am 19. September 2020, im Alter von 87 Jahren, zu Hause in seiner geliebten Bibliothek für immer eingeschlafen ist.2 Mirroring Hands, sein letztes Buch, verfasst gemeinsam mit Richard Hill, präsentiert die Essenz seiner jahrzehntelangen Erfahrung und Forschungen, gewissermaßen sein Vermächtnis: Aufgabe jeder therapeutischen Begleitung ist es, Problemlösefähigkeiten sowie Heilung zu fördern, die Begleiteten dazu zu ermutigen, neugierig auf die weitere Entwicklung zu vertrauen und ihr offen zu folgen.
»What are You going to learn and do with all that stuff?«, schrieb Rossi 1983 als Widmung in mein Exemplar der von ihm herausgegebenen Collected Papers of Milton H. Erickson on Hypnosis. Damals stand noch in den Sternen, dass der Carl-Auer Verlag mich bitten würde, ein Vorwort zu diesem Buch zu schreiben. In Kenntnis der englischen Ausgabe von 2017 habe ich diese Aufgabe gerne übernommen – auch, um es mit einer Art interkultureller Verständigung im Dienst der Hypnotherapie zu verbinden. Dieses ausführliche Vorwort soll als Schuhlöffel dienen, der hilft, in diesen wichtigen, aktuellen Beitrag zur hypnotherapeutischen Fachdiskussion hinein zu schlüpfen. Selbst erfahrenen Praktikerinnen und Praktikern, denen ideomotorische Techniken vertraut und selbstverständlich sind, empfehle ich, sich bei der Lektüre Kapitel für Kapitel an die Hand nehmen zu lassen und der Entwicklung des Themas Schritt für Schritt zu folgen – auch wenn es verführerisch sein mag, über die anschaulichen Beispielfotos der Technik und beeindruckende Fallbeispiele einzusteigen.
Die Grundregel der »spiegelnden Hände« klingt ganz einfach: Beobachte und begleite, wie sich die rechte und/oder die linke Hand deiner Klienten ideomotorisch, d. h. von sich aus, bewegen; fordere sie auf, hineinzuspüren und zu beschreiben, wie sich das anfühlt und was dabei innerlich so alles auftaucht – einfach so oder in Hypnose. Auf diese Weise werden nicht nur höchst komplexe Ausgangsvoraussetzungen zu verschiedensten Themen sichtbar, sondern auch sich daraus ergebende Entwicklungen symbolisiert. Damit werden diese zugänglich für behutsames Nachfragen und für fördernde Impulse, von innen wie von außen. Hill und Rossi betonen immer wieder, wie wichtig es sei, dabei sensibel auf jegliche Art von persönlich-individueller Eigendynamik zu achten und diese zu respektieren. Mitzugehen (pacing) wird grundsätzlich für wichtiger erachtet, als den Prozess in eine gewünschte Richtung zu beeinflussen (leading) – insbesondere auch dann, wenn Letzteres höchstwahrscheinlich gelingen würde. Wenn schon Suggestionen gegeben werden, d. h. Vorschläge im Sinne der eigentlichen englischen und französischen Wortbedeutung, dann um dazu zu ermutigen, dem Geschehen zu vertrauen und ihm neugierig und zuversichtlich zu folgen.
Mirroring Hands, auch in der Originalausgabe der Buchtitel, spricht als Terminus technicus für sich. Der im Englischen zusammenfassend formulierte Untertitel A Client-Responsive Therapy that Facilitates Natural Problem-Solving and Mind-Body Healing würde wörtlich übersetzt nur viele abstrakte Begriffe aneinanderreihen, die weitere »Übersetzungen« seitens der Leserinnen und Leser erforderlich machen. Der Verlag hat sich darum für eine verkürzte Version entschieden: Eine klientenresponsive Therapie für Körper und Psyche.
Klientenresponsiv? Als neuer Fachbegriff weist dieses Eigenschaftswort über das inzwischen fest etablierte – ursprünglich von Rogers vorgeschlagene – klientenzentriert hinaus. Abgeleitet ist das Wort von respond/response und steht für antworten, reagieren, erwidern sowie für Resonanz und Rückbezüglichkeit im Austausch zwischen Therapeut und Klient.
Joseph Barber – Kliniker, Forscher und Pionier auf dem Feld von Hypnose und Schmerztherapie, der auf diesem Gebiet in Format und Bedeutung mit Rossi vergleichbar ist – hat seine hypnotic responsiveness gezielt dem akademischen Konzept der Suggestibilität entgegengesetzt.3 In diesem Beziehungsmodell wird die Passung von Therapeut und Klient mit Schlüssel und Schloss verglichen, um zu erklären, warum der Zugang zu klinisch äußerst wertvollen Hypnosephänomenen im einen Fall zu erstaunlichen Veränderungen führt, in einem vergleichbaren Fall aber misslingt. Auch Kontextfaktoren bestimmen das Ergebnis. Sich als Patient mit Schmerzen und Ängsten in die Notaufnahme einer Klinik zu begeben, erweitert die Ansprechbarkeit (response) auf Hypnose und angemessene Suggestionen maßgeblich – sicherlich weit über die statistische Normalverteilung hinaus, die vermutlich bei den gleichen Personen als Teilnehmer an einem Suggestibilitätstest unter Alltagsbedingungen gefunden worden wäre. Hypnotic reponsiveness impliziert, dass Ansprechbarkeit und Reaktionsfreudigkeit auf Hypnose und Suggestionen von der Qualität der therapeutischen Beziehung abhängen und von Kontexterwartungen wesentlich beeinflusst werden (placebo response).
Das Buch mit der Beschreibung zu beginnen, wie alles mit einem Besuch bei Ernest Rossi zu Hause anfing, ist ein erstes und gutes Beispiel dafür, was klientenresponsiv beinhaltet. Ein Gespräch auf Augenhöhe zwischen einem von einer Kongressdemonstration der Mirroring Hands faszinierten Besucher und dem international renommierten Leuchtturm der Hypnose. Dabei ist ein Funke übergesprungen, die Initialzündung nicht nur für eine tiefgreifende persönliche Entwicklung des Erstautors Hill, sondern auch für dieses Buch.
Erfreulich knapp gefasste Kapitel enthalten die jeweils wesentlichen Aspekte in der Überschrift und enden mit einem Rückblick (review), der auf das nächste Kapitel bzw. den nächsten Gedankenschritt vorbereitet. Jedes Detail beinhaltet Aspekte des Ganzen, und das Ganze spiegelt sich in jedem Detail wider. Auch für hypnosystemisch versierte Leserinnen und Leser werden vertraute Begriffe in einer aufeinander aufbauenden Argumentation knapp, präzise und auf das jeweilige Thema bezogen definiert und ausgeführt.
Kürzel wie NNNE für den von Rossi so genannten Neuheits-Numinosum-Neurogenesis-Effekt sind zwar in beiden Sprachen Wortungetüme, werden im Text aber nachvollziehbar erläutert und verwendet. Die Begriffe mind-body healing und mind-body therapy stehen für psychosomatische Zusammenhänge und werden inzwischen auch in deutschsprachigen wissenschaftlichen Publikationen verwendet. Die Übersetzung als Geist-Körper-Heilung beinhaltet ein hohes Risiko, in ein Minenfeld von Vor-Urteilen und Miss-Verständnissen zu führen, auch wenn Rossi diesbezüglich sehr geerdet war: Über Jahrzehnte hat er in den Feldern von Chronobiologie, Psychoneuroimmunologie und Epigenetik geforscht und viele wissenschaftlich fundierte Bücher und Artikel in Fachzeitschriften publiziert.
Besondere Aufmerksamkeit verdient die immer wieder verwendete Einteilung in vier Phasen oder vier Schritte: Information, Inkubation, Durchbruch und Illumination sowie Verifikation. Für eine professionelle therapeutische Begleitung bieten sie eine Struktur zur Prozessreflexion, geeignet sowohl für einzelne Therapiestunden wie auch für Lern- und Entwicklungsprozesse über einen längeren Zeitraum. Auch hier betonen die Autoren, dass Präsenz und Aufmerksamkeit der Begleitenden sensibel und responsiv darauf ausgerichtet bleiben sollten, die Ideodynamik zu erkennen und dieser entsprechend Raum zu geben, Neugier und Zuversicht zu wecken, um den Zugang zu Möglichkeitsräumen zu eröffnen – verbunden mit dem Angebot, diese gemeinsam oder auch selbstständig zu erkunden.
Ist man bei dieser Art von Begleitung gut zusammen unterwegs, führt dies an ein growing edge (Kante, Grenze, Rand) zum Wachstum. Eine solche Wachstumszone steht – wenn man Rossis Beispiel folgen will – bis zum letzten Atemzug zur Verfügung, gemäß seinem Credo: »Du weißt nie, was nach der nächsten Wegbiegung kommt. Sei neugierig und offen dafür.«
Mit dieser Auffassung und Haltung kann man sich dem annähern, was die Autoren unter natural problem-solving verstehen, nämlich unserer Natur entsprechende Problemlösungen zu erleichtern, zu fördern, zu ermöglichen, zu unterstützen, bereitzustellen und/oder zu moderieren. Für all diese Bedeutungen steht das englische facilitate, wenn wir uns als Therapeutinnen und Therapeuten klientenresponsiv der Ideodynamik individueller Entwicklungsschritte eines Menschen widmen. Selbstverständlich ist dabei nicht alles möglich (veranschaulicht in der Grafik auf S. 62). So wie wir Menschen als warmblütige Säugetiere auf die homöostatische Regulation unserer Körpertemperatur um 37 Grad Celsius angewiesen sind, gibt es Ober- und Untergrenzen. Innerhalb dieser Grenzen existieren jedoch in jedem komplexen, selbstorganisierenden System unzählige Optionen, die über sog. Attraktoren eröffnet oder versperrt werden.
Milton H. Erickson hat die Bedeutung der uralten philosophischen Erkenntnis, dass alles nur im Hier und Jetzt stattfindet, ins Zentrum der therapeutischen Aufmerksamkeit gerückt. Sowohl das, was als Vergangenheit erinnert wird, als auch die Hochrechnung, die Zukunft genannt wird, sind individuelle Konstrukte im gegebenen Moment. Deren Ideodynamik ist weitestgehend unbewusst. Jeder Zustand ist damit kausal begründet, so wie er ist, und kann nicht anders sein. Wie es jedoch weitergeht, ist mehr oder weniger offen. Leidvoll erlebte Beschränkungen und Hindernisse sind oft durch die im impliziten Gedächtnis abgespeicherten biografischen Erfahrungswerte bzw. durch automatische und blitzschnelle Rückgriffe darauf in neuronalen Netzwerken mitverursacht – mit entsprechenden Annahmen, was möglich ist und was nicht. Solche Grenzen sind zwar äußerst wirkmächtig, aber auch zugänglich für Veränderungen (u. a. durch Epigenetik und Neuroplastizität) – selbstverständlich nicht zu jedem Zeitpunkt und nicht für jeden. Insbesondere bei Instabilität des Systems, d. h. in einer Krise oder in der Wachstumszone (growing edge), sind Risiko und Chance die zwei Seiten derselben Medaille. Eine klientenresponsive therapeutische Unterstützung kann für die Entwicklung in diesen Momenten sehr hilfreich sein.
Sicherlich gibt es auf diesem Planeten und im Leben jeder Person objektive und subjektive Grenzen, auch für mögliche Entwicklungen. Es lohnt sich jedoch vermutlich immer, genauer zu untersuchen, wo genau diese verlaufen. Der Vorteil einer therapeutischen Begleitung besteht aus systemischer Sicht schlicht und einfach darin, dass ein zugewandtes Gegenüber zur Verfügung steht. Diese weitere Perspektive ist eine andere und nicht per se besser. Bei leidvollen Erfahrungen und Konflikten oder in Sackgassen des Lebens stehen mit therapeutisch kompetenter Unterstützung sehr wohl mehr Optionen zur Verfügung, als wenn man sich alleine mit alldem befassen würde. Mittels Mirroring Hands kann es gelingen, wesentliche Zusammenhänge zu entdecken, sie zu hinterfragen und zu verändern und/oder sogar Probleme durch Wachstumsschritte einfach hinter sich zu lassen. Ein Segen für die Begleiteten. Hill und Rossi betonen, dass die Begleitenden grundsätzlich darauf achten sollten, ihre eigene Sichtweise nicht bevormundend überzustülpen.
Mirroring Hands leistet zwei wichtige Beiträge zur Fachdiskussion der therapeutischen Hypnose: Erstens erweitert dieser klientenresponsive Ansatz den auf Pathologie und Störungen ausgerichteten Macher- und Reparatur-Ansatz in Medizin und Richtlinienpsychotherapie durch die salutogenetische Perspektive (A. Antonovsky). Nicht nur für Millionen chronisch Kranke sollte sich die therapeutische Begleitung an Optionen zu Gesundung und Heilung ausrichten, am Gärtner-Prinzip von kundigem Hegen und Pflegen. (Dazu habe ich den Vorschlag einer Resonance Based Medicine unterbreitet – ergänzend zur Evidence Based Medicine.4)
Zweitens beziehen Hill und Rossi überzeugend Stellung in der uralten Auseinandersetzung »Technik versus Beziehung« bzw. in der Frage, wie es am ehesten gelingt, Hypnosephänomene für therapeutische Ziele zu verwenden (utilisieren). Sind die erstaunlichen Veränderungen eine Folge mächtiger Techniken, oder wird individuelles Potenzial durch die therapeutische Beziehung zugänglich? Als Kronzeuge sei hier Jay Haley angeführt:
»Nach traditioneller Anschauung war Hypnose ein Zustand des Individuums. Der Schwerpunkt lag dabei auf der Suggestibilität der Versuchsperson, auf der Tiefe ihrer Trance usw. Erickson ist nun hingegangen und hat sowohl die hypnotisierte Person als auch den Hypnotiseur in die Beschreibung mit einbezogen. Wenn er von ›Hypnose‹ spricht, meint er damit nicht nur Prozesse, die sich im Inneren des Hypnotisierten abspielen, sondern er meint den gesamten Austausch zwischen zwei Menschen. Folglich legt er in seiner Arbeit besonderen Wert darauf, die Kooperation der Versuchsperson bzw. des Patienten zu gewinnen, sich mit Widerstand auseinanderzusetzen, die Bestätigung dafür zu erhalten, dass etwas geschieht usw.«5
Rossis Blick auf das ideodynamische Geschehen in und mittels Hypnose war von Neugier geprägt. Ständig war er auf der Suche nach dem »Aha!« und dem, was er als NNNE (novelty-numinosum-neurogenesis-effect) benannt hat. In vielem war er seiner Zeit visionär voraus. Vermutlich trifft das auch zu auf seine Suche nach einem kleinsten, gemeinsamen Nenner, einem Quantum der existenziellen Dimension. Ähnliche Gedankengänge haben viele Physikerinnen und Physiker beflügelt und sie zu immer neuen Erkenntnissen geführt bzw. mit jeder Antwort zu weiteren wichtigen Fragen.
In diesem Sinne wünsche ich diesem Buch viele Leserinnen und Leser – und diesen viele Aha-Momente.
Hansjörg Ebell
München, im Februar 2021
2»Tribute«-Zoom-Meeting mit Kathryn Lane Rossi u. v. A. (initiiert von Kris Klajs am 20. November 2020).
3The Locksmith Model: Accessing Hypnotic Responsiveness. In: S. J. Lynn a. J. W. Rhue (eds.) (1991): Theories of Hypnosis. Current Models and Perspectives. New York (Guilford).
4Ebell, H. J. (2017): Hypno-Therapeutische Kommunikation: Kernelement einer auf Resonanz basierten Medizin (»Resonance Based Medicine«). Hypnose-ZHH 12 (1+2): 173–202.
5Haley, J. (1996): Typisch Erickson. Muster seiner Arbeit. Paderborn (Junfermann), S. 55.
Ich habe Ernest Rossi das erste Mal im Dezember 2005 »mirroring hands« demonstrieren sehen. Ich war von seiner unbestreitbaren intellektuellen Kompetenz und seinen vielfältigen Ideen regelrecht umgehauen. Mir war klar, dass dies ein wichtiger Wendepunkt in meinem Leben war. Es musste einen Grund dafür gegeben haben, dass ich 7500 Meilen weit geflogen war, um an der Evolution of Psychotherapy Conference teilzunehmen. Ich hätte mir im Traum nicht vorstellen können, dass diese Reise eine zehnjährige Auseinandersetzung mit Ernest Rossi nach sich ziehen würde, die in unserer gemeinsamen Arbeit an diesem Buch gipfelte.
Aber Dinge geschehen nun einmal, und es entspricht ihrer Eigenart, uns über alles, was wir wissen müssen, aufzuklären. Manchmal merkt man schnell und leicht, worauf es ankommt, in anderen Fällen muss man mehrmals unsanft aufgeschreckt werden, bis man endlich versteht, worum es geht und was im Gange ist. Was also hat mich unsanft aufgeweckt? Das waren im Laufe der vergangenen zehn Jahre eine ganze Menge Ereignisse. Ich werde Ihnen nun ein Erlebnis schildern, das einige Jahre zurückliegt und durch das mir völlig klar wurde, warum ich mich zu Mirroring Hands so sehr hingezogen fühlte. Ich hoffe, dass ich es Ihnen durch die Beschreibung dieser Fallgeschichte erleichtere, eine Weile »in meinen Schuhen zu gehen«.
Ich öffnete auf ein unerwartetes Klopfen hin die Tür zu meinem Behandlungsraum. Eine Frau Mitte oder Ende 30 stand vor mir und fragte, ob sie mich sofort konsultieren könne. Das ist zwar ein ziemlich ungewöhnlicher Einstieg, aber ich hatte tatsächlich gerade etwas Zeit und bat sie deshalb einzutreten. Sie sprach schnell und starrte mich ziemlich unumwunden an, was mir etwas auf die Nerven ging; allerdings kam mir ihr Blick nicht psychotisch vor, sondern nur ungewöhnlich intensiv. Mit der Geschwindigkeit eines Maschinengewehrs erläuterte sie mir ihre Bedingungen für die bevorstehende Therapiesitzung.
Auf Ihrem Praxisschild steht, dass Sie Beratung und Gehirntraining anbieten. Ich weiß nicht, was Gehirntraining ist. (Sie wartete nicht ab, ob ich es ihr erklären würde.) Ich komme von einem anderen Psychiater direkt zu Ihnen. Ich habe schon viele Therapeuten kennengelernt und praktisch jede Therapieform ausprobiert … und ich habe alles gelesen. Glauben Sie, dass Sie etwas anders machen können als Ihre Kollegen? Ich gebe Ihnen dafür 60 Minuten Zeit.
Die ganze Situation war eine recht ungewöhnliche Herausforderung für mich. Wir fingen also mit der Arbeit an. Die Frau setzte sich, und ich spulte meine Routine für Erstgespräche ab. Die Klientin war nicht besonders begeistert darüber, dass sie ihre Geschichte ein weiteres Mal einem Therapeuten erzählen sollte.
Dann schaute sie auf ihre Uhr und sagte:
Sie haben noch 45 Minuten.
Nur kein Druck! Im Sinne der Tradition Milton H. Ericksons hielt ich bei der Klientin Ausschau nach ein paar Anhaltspunkten für mein weiteres Vorgehen (Erickson 2008, S. xii). Sie hatte sich eigentlich klar ausgedrückt: Komm mir gar nicht erst mit einem der Standardbehandlungsverfahren! Es war fast, als hätte sie gesagt: »Behandle mich überhaupt nicht!« Das war ein ziemlich außergewöhnliches Erlebnis, und um ehrlich zu sein: Ich wusste wirklich nicht, was ich tun sollte. Deshalb beobachtete ich sie. Sie benutzte Ihre Hände sehr ausdrucksvoll, indem sie sie in meine Richtung bewegte, um beim Sprechen bestimmte Dinge zu betonen. Plötzlich fühlte ich mich in einen meiner Workshops mit Ernest Rossi versetzt. Was ich sah, ähnelte dem, was bei der Mirroring-Hands-Arbeit geschieht. Ich war mir ziemlich sicher, dass noch kein Therapeut diese Technik bei der Arbeit mit ihr genutzt hatte.
Mir fällt auf, dass Sie Ihre Hände sehr ausdrucksvoll bewegen. Haben Sie sich schon einmal genauer angeschaut, was mit Ihren Händen vor sich geht? … Ist Ihnen schon aufgefallen, was wirklich interessant an den Händen ist?
Sie reagierte erstaunlich kooperativ, schaute sich etwa 30 Sekunden lang ihre Hände an und wendete ihren Blick dann wieder mir zu.
Was tun Sie da?
Sie hatte mir im Grunde erklärt, sie halte nicht viel davon, was Therapeuten dächten. Außerdem war sie es leid, dass ihre Therapeuten ihr immer wieder neue Therapien angedient hatten. Ich täuschte Verwirrung vor und antwortete:
Ich weiß es nicht. Aber Sie haben gesagt, Sie hätten alles getan. Also noch einmal … Haben Sie so etwas schon jemals getan?
Die Frau starrte mich einen Moment lang konzentriert an, schaute dann auf ihre Uhr und sagte schließlich betont sachlich:
Sie haben noch 35 Minuten.
Ich fing mit der Mirroring-Hands-Arbeit an. Wie das im Einzelnen vor sich geht, wird später in diesem Buch erklärt. An dieser Stelle möchte ich nur erwähnen, dass mir die Frau irgendwann im Laufe dieser Arbeit ein wenig überrascht mitteilte, sie habe das Gefühl, ihre Hände repräsentierten zwei Aspekte ihrer Persona. Die eine Hand stehe für einen Teil, den sie verberge, wohingegen die andere Hand darstelle, wie sie sich öffentlich zeige. Ich wiederum hatte das Gefühl, dabei zuzuschauen, wie diese Frau Türen zu Räumen öffnete, in die sie lange nicht hineingeschaut hatte. Manchmal teilte sie mir mit, was in ihr vor sich ging, in anderen Fällen erforschte sie ihre inneren Räume nur privat. Während der nächsten 30 Minuten geschahen viele Dinge, die für diese Darstellung nicht wichtig sind, doch schließlich kamen ihre beiden Hände zusammen und zur Ruhe, wobei die Hand, die ihr »öffentliches Selbst« repräsentierte, von der Hand, die für ihr »privates Selbst« stand, völlig bedeckt wurde.
Die Klientin blieb kurze Zeit still und schaute dann empor. Der bohrende Blick ihrer Augen war einem weicheren Schauen gewichen. Auch sprach sie nun langsamer, und ihre Stimme wirkte kontemplativer. Offensichtlich wusste sie jetzt etwas, das ihr 30 Minuten vorher noch nicht klar gewesen war. Im Laufe der nächsten 15 Minuten – ja, sie blieb länger, als sie mit ihrer Deadline von 60 Minuten prognostiziert hatte – berichtete sie mir, sie habe das »öffentliche Selbst« als ihren Beschützer geschaffen, der ihr geholfen habe, mit frühen familiären Problemen fertigzuwerden. Ihr war nun klar, warum sie sich so frustriert gefühlt und sich vorangegangenen Therapieversuchen verweigert hatte. Alle meine Vorgänger hatten ihr öffentliches Selbst zu »reparieren« versucht, das aber ja ihr Beschützer war. Wäre es jemandem gelungen, ihr den Beschützer wegzunehmen, wäre das für ihr privates Selbst eine Katastrophe gewesen.
Nachdem sie ihren Therapeuten viele Jahre lang nur erlaubt hatte, ihr Beschützer-Selbst zu sehen, waren ihre Hände an diesem heutigen Tag zu Spiegeln ihres tieferen, verborgenen Selbst geworden. Während dieses Mirroring-Hands-Erlebnisses hatte sie Räume erforschen können, die ihr normalerweise verschlossen gewesen waren oder die sie gemieden hatte. Sie hatte sich um ihr verletzliches privates Selbst kümmern können und hatte ihrem »Schutzengel-Selbst« so eine wohlverdiente Ruhepause ermöglicht. Erstaunlicherweise hatte sie den größten Teil dieser Arbeit ohne jedes Eingreifen meinerseits und ohne jede Anweisung von mir erledigt. So hatte sie gefunden, wonach sie gesucht hatte: eine Möglichkeit, ihre Heilung selbst einzuleiten. Wahrscheinlich würde sie bestätigen, dass diese 60 Minuten ihr Leben völlig verändert haben. Gleichzeitig haben sie auch mir einen sehr wichtigen Anstoß gegeben.
Wir werden im Folgenden erklären, wie man mithilfe der Mirroring-Hands-Technik therapeutische Prozesse der geschilderten Art ermöglichen und fördern kann. Außerdem werden wir aufzeigen, wie sich unser therapeutischer Ansatz in alle Arten von Therapien und sogar in das Alltagsleben integrieren lässt. Die Frau in unserem Beispielfall fand auf zahlreichen Ebenen natürliche »innere« und »zwischen«-Verbindungen, die buchstäblich ihre Psychoneurobiologie veränderten. Die Realisationen und Wandlungen, die sie erlebte, deuten auf zahlreiche implizite Aktivitäten hin, unter anderem hinsichtlich der Neuroplastizität und neuronaler Integrationen, kognitiver Wahrnehmungen, die das Gewahrsein verändern, der Genexpression und Proteinsynthese, die diese Prozesse ermöglichen, und potenzieller epigenetischer Veränderungen ihrer DNS (Rossi et al. 2008 b, S. 39–44; Simpkins a. Simpkins 2010). Auf der beobachtbaren Ebene erlebte die Klientin offensichtlich neue Gedanken und ein tieferes Selbstverständnis. Sie war zu ihren Problemlösungsfähigkeiten in Kontakt getreten und war bereit, selbst an ihrer Heilung zu arbeiten. Wir werden beschreiben und demonstrieren, wie man Mirroring Hands einsetzen kann, aber wir werden auch – und das ist mindestens genauso wichtig, wenn nicht sogar noch wichtiger – den Wissens- und Verständnisrahmen erforschen, der mit diesem Prozess zusammenhängt und ihn unterstützt. Wir unterscheiden sieben Varianten von Mirroring Hands. Sie werden in Kapiteln dargestellt, die unterschiedliche Aspekte des umgebenden und unterstützenden Rahmens beleuchten. Das vollständige Bild wird im Laufe des Buches sichtbar werden, während wir Sie mit den Einzelheiten der Technik und den Grundlagen des Mirroring-Hands-Ansatzes vertraut machen.
Wir möchten gleich zu Beginn klarstellen, dass wir Mirroring Hands hier nicht als die Therapie für alles und jedes hinstellen werden. Es handelt sich dabei ebenso wenig um ein Wundermittel wie bei irgendeiner anderen Therapie. Die Therapieforschung ist gerade zu der Erkenntnis gelangt, dass keine Therapie zwangsläufig wirksamer ist als eine andere (Wampold et al. 2016, S. 14–32; Connoly et al. 2014, S. 47). Was die Situation noch verwirrender macht, ist der Hinweis, dass Therapeuten aus eigener Erfahrung wissen, dass eine bestimmte Therapie bei einem Klienten durchaus wesentlich erfolgreicher sein kann als andere Ansätze, bei einem anderen Klienten hingegen eine andere Behandlung wirksamer ist. Das Rätsel lässt sich lösen, wenn wir den Klienten6 ins Zentrum des therapeutischen Prozesses stellen, wenn wir Erfahrung und Effizienz des Therapeuten und der Therapien, die er benutzt, berücksichtigen und wenn zwischen Therapeut und Klient eine angenehme und fruchtbare Beziehung (eine therapeutische Allianz) besteht (Ardito a. Rabellino 2011, S. 270; Miller et al. 2013, S. 88–97). Eine pragmatische Definition evidenzbasierter Praxis hat einen Druck erzeugt, der darauf abzielt, für die Arbeit mit Klienten Therapien vorzuziehen oder sogar als ausschließlich zulässig zu beurteilen, die als wissenschaftlich fundiert gelten. Diese Sicht scheint bei Krankenversicherern, Kostenträgern anderer Art und in vielen Ausbildungsinstitutionen immer mehr Bedeutung zu gewinnen. Obgleich wir das Bemühen um zuverlässig positive Behandlungsresultate schätzen, haben wir andererseits das Gefühl, dass solche einschränkenden Zielsetzungen nicht der Weg sind, dem wir folgen sollten.
Vielleicht wird es Sie überraschen zu hören, dass die Presidential Task Force der American Psychological Association im Jahre 2006 eine formelle Definition entwickelt und publiziert hat, die nicht die Bedeutung der Evidenz in den Mittelpunkt stellt:
»Evidenzbasierte Praxis in der Psychologie (EBPP) ist die Integration der besten verfügbaren Forschungsergebnisse und klinischer Expertise im Kontext der Charakteristika, der Kultur und der Präferenzen des Patienten« (Übers. d. Ü.; American Psychological Association Presidential Task Force on Evidence-Based Practice 2006, S. 273).
Es ist ziemlich klar, dass der Klient der Kontext ist und dass die Therapie, die Intervention oder die benutzte Technik nur ein Teil der Integration von zuverlässiger Praxis, Erfahrung des Klinikers und Reaktion des Klienten ist. Ein klientenzentrierter Ansatz ist nichts Neues. Ein solcher wurde erstmals von Carl Rogers in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts vorgestellt (Rogers 1957a, S. 199–203; Rogers 2007, S. 240–248.). Wir sind der Auffassung, dass beim Bemühen um eine wirksame Therapie ein noch tiefgründigeres Engagement möglich ist, wenn man den Therapeuten bittet, noch einen weiteren Schritt vom Klienten zurückzutreten, sobald dieser »zentriert« ist, und es so der Therapie zu ermöglichen, sich auf klientenresponsive Weise zu entfalten. Bei der Frage nach dem Wann, Wo und Warum geht es also wesentlich um den Klienten, nicht um eine irgendwie vorgeschriebene oder übliche Behandlung und um vorgegebene Therapieprogramme oder -pläne. Nun ist auch dies zu relativieren, will man der Tatsache Rechnung tragen, dass es Fälle gibt, in denen ein Therapeut bei einem Klienten einen großen Teil der Arbeit selbst tun und eventuell sogar ein Therapieprogramm entwickeln muss. Bei genauerer Betrachtung kann man allerdings sogar solche Situationen als klientenresponsiv bezeichnen, weil der Klient zeigt, dass er Hilfe braucht, um an einen Punkt zu gelangen, wo er mit der eigenen Arbeit beginnen kann.
Die Methode »Mirroring Hands« wird zum bestmöglichen Zeitpunkt, am bestmöglichen Ort und mit den besten Absichten vorgestellt – wann, wo und warum – in Reaktion auf die Äußerung des Klienten über seine Bedürfnisse. Nach unserer Auffassung ist das in jeder Art von Therapie möglich, weil die bestmögliche Therapie grundsätzlich aus der Interaktion zwischen dem Klienten und dem Therapeuten resultiert (Stiles et al. 1998, S. 439–458; Hatcher 2015, S. 747–757). Deshalb ist es nicht in unserem Interesse, im Voraus festzulegen, unter welchen Bedingungen Sie Mirroring Hands einsetzen sollten, sondern es geht uns darum, Ihnen aufgrund unserer eigenen Erfahrungen mit dieser Methode Empfehlungen an die Hand zu geben.
Mirroring Hands wird oft benutzt, um den Stillstand, das »Ich weiß nicht« eines Klienten, zu überwinden oder sogar ein »Wir wissen nicht« wie in dem zu Beginn dieser Einleitung beschriebenen Fall. Natürlich ist das letztlich der Grund, aus dem Menschen zur Therapie kommen – weil sie nicht wissen, was Sie tun sollen, oder weil sie nicht wissen, was Ihr Problem wirklich beinhaltet. Manchmal sprechen sie über das Gefühl, dass es da etwas zu wissen gibt, das sie aber einfach nicht erreichen können, oder dass etwas den Zugang zu diesem Wissen versperrt.
Abgesehen von den Techniken oder Prozessen, die im Laufe einer Therapiesitzung genutzt werden, geht es zunächst immer um den Aufbau einer therapeutischen Allianz (Lambert a. Barley 2001, S. 357–361). Dies beginnt oft mit einem Gespräch über die Probleme des Klienten – ein für die meisten Therapeuten sehr vertrauter Anfang. Das Gespräch basiert weitgehend auf explizitem Gewahrsein, und sowohl der Klient als auch der Therapeut verbalisieren dabei oder drücken auf andere Weise bewusst aus, was sie denken oder fühlen. Interpersonaler Rapport ist für den Aufbau einer Vertrauensbeziehung zum Klienten und für sein Sicherheitsgefühl unverzichtbar. Sobald Vertrauen und ein Gefühl der Sicherheit entstanden sind, kann mit der Arbeit an dem Problem begonnen werden, dessentwegen der Klient sich in Therapie begeben hat.
Unterhalb des Bewusstseins befindet sich eine innere, implizite Welt, die weder sprachlichem Ausdruck noch bewusstseinsgesteuertem Verhalten unmittelbar zugänglich ist. Diese Welt ist verborgen, schwer fassbar und abstrakt. Erinnerungen und Gefühle, die kaum zu ertragen sind, werden oft »absichtlich« in der impliziten inneren Welt verborgen. Verhaltensweisen und Emotionen können an der Oberfläche des Bewusstseins zutage treten, als sei ihr Ursprung völlig unbekannt. Solche Phänomene werden gewöhnlich »Symptome« genannt, aber gleichzeitig ist dies die Art, auf die sich das Implizite im Expliziten zeigt. Symptome erzeugen Gefühle der Unverbundenheit und Desintegration, wodurch eine Disharmonie entsteht, die Klienten dazu bringt, einen Therapeuten aufzusuchen. Mirroring Hands ist eine natürliche und responsive Art, einen Klienten zu befähigen, diese Verbindungen wiederherzustellen. Wir werden zeigen, wie dies selbst dann gefahrlos und zuträglich geschehen kann, wenn das Erleben des Klienten in der Therapie schwierig und für ihn belastend ist.
Wie genau in der Therapie verfahren wird, hängt davon ab, was der Klient tun kann, was er zu tun erwartet und wozu er bereit ist. Weiterhin kann dabei eine Rolle spielen, was er über Sie als den Therapeuten und über Ihre Arbeitsmethode weiß. Klienten, die gezielt wegen Mirroring Hands zu Ihnen gekommen sind, wollen vielleicht augenblicklich mit dieser Art der Arbeit beginnen. Diesem Wunsch kommen wir nicht immer sofort nach. Wir berücksichtigen vielmehr alle Botschaften, die ein Klient übermittelt. Mit der Sensibilität, die ein Therapeut gegenüber den vielen Ebenen der Kommunikation eines Klienten aufbringen muss, werden wir uns in Kapitel 7 (»Natürliche, angenehme und sensible Beobachtung«) ausführlich beschäftigen.
Wir beschreiben zwar nur einige Varianten der Nutzung von Mirroring Hands, doch kann der Ansatz auch noch auf viele andere Arten verwendet werden. Durch das Zusammenwirken von Klient und Therapeut entsteht, was im betreffenden Augenblick erforderlich ist. Wir werden in Kapitel 12 (»Improvisation, Drama und Mirroring Hands«) näher auf diesen Aspekt eingehen. Improvisation ist im Grunde eine ungeplante Form der Nutzung Ihrer Wissensbasis und Ihrer vorhandenen Fertigkeiten. Was genau in der Psychotherapie geschieht, ist charakteristisch für die Kunst des betreffenden Therapeuten (Schore 2012; Storr a. Holmes 2012). Stellen Sie sich einen Pianisten vor, der sich von der Melodie des Stücks, das er spielt, entfernt und zu improvisieren beginnt. In den Tönen, die er dann produziert, kommen seine Fertigkeiten, seine Erfahrung und seine Expertise zum Ausdruck, und sie werden außerdem vom eventuellen Zusammenspiel mit anderen Musikern, vom Publikum und von seiner Vorstellungsfähigkeit beeinflusst. Ein schlecht ausgebildeter oder unerfahrener Spieler mit unzureichenden technischen Fertigkeiten ist einfach nicht in der Lage, ebenso gut zu improvisieren wie ein Meister seines Instruments. Diese Kompetenz entwickelt sich im Laufe der Zeit. Weil uns wichtig ist, dass jeder Therapeut seine eigenen, besonderen Qualitäten bei der Arbeit mit Mirroring Hands zur Geltung bringt, empfehlen wir Ihnen dringend, alles zu lernen, was Sie interessiert. Es ist uns ein wichtiges Anliegen, dass Sie sich an Ihrem Interesse orientieren. Außerdem sollten Sie sich durch regelmäßige Supervision um Feedback über Ihre Arbeit bemühen und Ihre Klienten immer wieder fragen, was ihnen nützlich ist (Miller et al. 2006, S. 5–22). Wir werden unterschiedliche Möglichkeiten erforschen, sich Feedback von Klienten zu verschaffen und so die Wirkung der therapeutischen Arbeit zu überprüfen, während wir uns mit verschiedenen Varianten von Mirroring Hands befassen und einige Fallbeispiele betrachten. Wir hoffen, dass Ihnen das hilft, als Kliniker Vertrauen zur Anwendung aller Ihrer Möglichkeiten zu entwickeln und sich dabei wohlzufühlen. Ebendeshalb hat der Klient Sie aufgesucht und lässt Sie an seinem Erleben teilhaben!
Kapitel 1