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Peter Cornelius Mayer-Tasch

Die Kraft der
Zuversicht

Eine philosophische Betrachtung

Illustration

Prof. Charles F. Doran, Ph.D. (Washington),
dem stets zuversichtlichen Freund seit
Bologneser Studientagen zugeeignet.

Inhalt

ZUVERSICHT – WAS HEISST DAS EIGENTLICH?

OHNE DURCH- UND FERNBLICK GEHT ES NICHT

WEGE (UND IRRWEGE) DER ZUVERSICHTLICHKEIT

IST DAS ZIEL DER WEG?

ZUVERSICHT – THEOLOGISCH BEGRÜNDET

ZUVERSICHT – NATURWISSENSCHAFTLICH GESEHEN

ZUVERSICHT AUS GEISTESWISSENSCHAFTLICHER SICHT

AM ANFANG WAR DAS WORT

JENSEITS DER ZUVERSICHT

DIE KRONE DER BEWÄHRUNG. EIN EPILOG

ANHANG

LITERATURVERZEICHNIS

PERSONENVERZEICHNIS

BILDNACHWEIS

Prof. Dr. Peter Cornelius Mayer-Tasch ist Rechts-, Politik- und Kulturwissenschaftler und lehrt an der LMU München. 1984 Gründung der Forschungsstelle für Politische Ökologie am Geschwister Scholl Institut. Von 1998–2020 war er Prorektor und Rektor der Münchner Hochschule für Politik. Er ist Autor zahlreicher Bücher, u. a. Mitte und Maß (2006), Hinter Mauern ein Paradies (20168), Die Himmelsleiter (20162), Die Buchstaben der Philosophie (2017), Kleine Philosophie der Macht (2018). Zuletzt: Vom großen und vom kleinen Glück (2019) und: König Enzio von Sardinien (2019). In Schondorf am Ammersee betreibt er eine Philosophische Privatpraxis.

Zuversicht – was heißt das eigentlich?

Was genau man auch mit dem Begriff der »Zuversicht« verbinden mag – so viel steht fest: Es ist ein in unserer Gesellschaft und in unserem Sprachraum positiv besetzter Begriff. Wem als grundständige Bewusstseinshaltung eher Zuversichtlichkeit als Skepsis eignet, wird in aller Regel von seiner menschlichen Mitwelt als angenehmer empfunden als der hinter jeder Herausforderung eine Katastrophe witternde, ständige Schwarzseher.

Wie die Erfahrung lehrt, ist Zuversichtlichkeit eine entweder schon im Naturell von Menschen angelegte oder aber im Laufe des Lebens – oft genug im Zuge der Sequenz »Per aspera ad astra« (lat. Über das Bittere hindurch zu den Sternen) – schmerzlich errungene Charaktereigenschaft. Wer würde nicht Menschen dieser oder auch gegenteiliger Prägung kennen – Menschen, denen das Auge sonnenhaft leuchtet oder aber der Griesgram aus allen Poren quillt. Und im Blick zurück auf den Gang der Geschichte lässt sich auch unschwer erkennen, dass ganze Epochen von solchen kollektiven Mentalitäten geprägt waren, von einer zuversichtlichen Aufbruchsstimmung beschwingt waren, oder aber sich ständig – mit oder ohne hinreichenden Grund – in düsteren Niedergangsund Untergangsszenarien gefielen. Während man etwa in der augusteischen Epoche (und damit am Beginn der christlichen Zeitrechnung) im Römischen Reich einem – von Horaz und Vergil besungenen – »goldenen Zeitalter« entgegensah1, herrschten an der ersten nachchristlichen Jahrtausendwende Weltuntergangsängste vor. Beschwingt durch die großen Entdeckungen und Erfindungen wie auch durch die religiösen Erneuerungsbestrebungen und -bewegungen des 16. und 17. Jahrhunderts erwies sich das Zeitalter der Renaissance dann wieder als ausgesprochen hoffnungsfroh. Ähnliches galt auch für die euphorische Grundstimmung der – auf die industrielle Revolution mit ihren zahlreichen technischen Innovationen folgende – Gründerzeit des späten 19. Jahrhunderts. Nicht selten waren es aber auch Phasen des Aufatmens nach katastrophalen zivilisatorischen Einbrüchen, die eine Grundstimmung der Zuversichtlichkeit und eines aus ihr resultierenden Wagemuts (zuweilen freilich auch titanischen Übermuts) hervorbrachten. Ersteres lässt sich u. a. für die Zeit nach dem Ende des Dreißigjährigen Kriegs im Hl. Römischen Reich bezeugen, die – ebenso wie die ersten Jahrzehnte nach dem 2. Weltkrieg mit ihren diversen europäischen Wirtschaftswundern – einen erstaunlichen mentalen und ökonomischen Höhenflug zeigte, während die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts für Letzteres mehrfach schmerzliche Belege lieferte. Was dem mentalen Höhenflug der 50er- bis 90er-Jahre des 20. Jahrhunderts einen solch nachhaltigen soziopolitischen, sozioökonomischen und soziokulturellen Auftrieb gab, war die nun durch fortschreitende Integrationsbemühungen tatkräftig geförderte Hoffnung auf ein erstmals dauerhaft friedliches und gedeihliches Zusammenleben und Zusammenwirken der Staaten und Völker Europas. Eine Zukunftserwartung dies, die nach dem – nicht zuletzt auch durch diese neue Einigkeit geförderten – Wegfall des den Kalten Krieg zwischen Ost und West markierenden »Eisernen Vorhang(s)« noch einen zusätzlichen Hoffnungsschub erfahren sollte. Inzwischen freilich scheint manchen staatlichen und gesellschaftlichen Akteuren innerhalb des zur »Europäischen Union« gediehenen Verbundes (wie Rainer Maria Rilkes »Kornett« vom Reiten) »der Mut [wieder etwas] müde geworden« zu sein2. Mancherorts ist die Euphorie der ersten Jahrzehnte des europäischen Aufbruchs einer mit trügerischer Nostalgie gepaarten Neigung zum Rückfall in anachronistische Nationalismen gewichen – eine Tendenz, deren Vorzeichen zwar schon seit Langem zu beobachten waren, die aber durch das Auftauchen neuer gemeineuropäischer Herausforderungen wie der aus Afrika und dem Nahen Osten heranrollenden Migrationswelle wie auch neuerdings die Corona-Krise erheblich verstärkt wird. Und dies, obwohl gerade diese Herausforderungen (zu denen nicht zuletzt auch die – sich als Kollateralschaden unseres Lebensstils immer deutlicher manifestierende – Umwelt- und Klimakrise zählt) eine Anspannung aller Kräfte erfordern würde.

Dass sich in einer solchen Situation die Tendenz abzeichnet, Niedergangs- oder gar Untergangsszenarien der unterschiedlichsten Art zu entwickeln, ist kaum verwunderlich. Die Versuchung ist groß, allzu sorglosen Kritikern der heutigen Unheilsprophetien mit Erich Kästner zu antworten, der denjenigen, die ihn in den 30er-Jahren des letzten Jahrhunderts mit der Frage »Herr Kästner, wo bleibt das Positive?« konfrontierten, in einem Knittelvers3 zur Antwort gab: »Ja, zum Teufel, das frage ich mich auch!« Kästners Skeptizismus hat sich ja dann auch im Jahrzehnt der nationalsozialistischen Herrschaft in Deutschland aufs Schrecklichste bestätigt. Und die Reihe der Unheilsprophetien, die bekanntermaßen in Erfüllung gingen, ist stattlich genug. Als deren literarisches Urbild mag der hellsichtigen Königstochter Kassandra Warnung vor der Einholung des von dem »listenreichen« Odysseus ersonnenen, sprichwörtlich gewordenen »Trojanischen Pferd(es)« gelten. Dass man – auf Athenes Betreiben – nicht auf die Seherin hörte, führte zum Untergang Trojas.4 Die nach dem Zeugnis des Alten Testamentes von König Zedekia missachtete Warnung des Propheten Jeremias vor dessen vertragswidriger Verschwörung mit Ägypten gegen Nebukadnezar II. führte zur Zerstörung Jerusalems und der »babylonischen Gefangenschaft« eines Großteils seiner Bewohner.5 Die Warnungen des letzten großen Athener Staatsmannes Demosthenes vor der Eroberungsgier König Philipps von Mazedonien (»Was sollte es Neueres geben als dass der Makedonier siegen und herrschen wird über den Hellenen«6) wurden ebenfalls in den Wind geschlagen – und ihre Nichtbeachtung dann in der Folge mit dem Untergang der athenischen Demokratie bezahlt. Die Reihung solcher Beispiele ließe sich beliebig verlängern. Abschließen mag sie ein Paradefall aus der jüngeren Geschichte Europas: Dass der britische Premier Neville Chamberlain mit seiner Beschwichtigungspolitik u. a. Winston Churchills weitsichtige Warnungen vor der Unaufhaltsamkeit des Hitler’schen Expansionsdranges ignorierte, führte zum Münchner Abkommen von 1938, das die Hitler’schen Aggressionspläne indirekt förderte, die alliierten Verteidigungsvorbereitungen verzögerten und damit auch deutlich schwächten. Mit fatalen Konsequenzen missachtet wurden mit dieser schwächlichen Appeasement-Politik von der britischen Regierung gleich zwei klassische Weisheiten der internationalen Politik – die Maximen »Principiis obsta« (»Wehre den Anfängen!«) nämlich, und »Si vis pacem, para bellum!« (»Wenn Du den Frieden willst, sei bereit zum Krieg!«). Und auch – um ein sehr viel aktuelleres Beispiel anzuführen – im Hinblick auf die Corona-Krise sollte die Missachtung begründeter Warnungen wegen des anfänglichen Fehlens von Schutzkleidung dramatische Folgen für zahlreiche Ärzte, Pfleger und Patienten haben. In Deutschland hatte das hierfür fachlich zuständige Robert-Koch-Institut schon im Dezember 2012 vor den fatalen Folgen des Fehlens ausreichender Bestände an Schutzkleidung bei Ausbruch einer Virenepidemie gewarnt, ohne damit »höheren Orts« Gehör zu finden. Ein (freilich nicht auf Deutschland beschränktes) obrigkeitliches Versagen, das nicht nur Tausenden das Leben, sondern auch zahlreichen von der Krankheit verschont Gebliebenen die wirtschaftliche Existenz und den Staatsfinanzen »nachhaltig« das Gleichgewicht kosten sollte.

Kurzum: In allen uns selbst, unsere Mit- und unsere Umwelt betreffenden Problemlagen und Zweifelsfragen gibt es in aller Regel genügend Gründe für ein gerüttelt Maß an Skepsis und einen hinreichend großen Abstand zu jeder Art von seichtem Optimismus im Sinne des – den sprichwörtlichen »rheinischen Frohnaturen« oft allzu glatt von der Zunge gleitenden – »Et hät noch immer jut jejangen«. Tatsache nämlich ist, dass es eben nicht immer »jut jejangen« ist. Und dies oft genug in schon lange zuvor unverkennbarer Weise. Tollkühnheit abzulehnen aber heißt schließlich noch lange nicht, allen Mut zu verlieren. Gerade der übergangene Winston Churchill aus dem obigen Beispiel war es, der als Nachfolger Chamberlains schon wenig später nach Kräften (und letztlich mit Erfolg) bemüht war, das in München politisch verspielte Terrain mental und militärisch wiederzugewinnen. Wie die Erfahrung lehrt, öffnen sich – nicht stets, aber doch oft genug – auch in schwierigsten oder gar ausweglos erscheinenden Situationen unversehens Freiheits- und Erfolgspfade. Wie heißt es doch in dem altbekannten Merkvers: »Und wenn du denkst, es geht nicht mehr / kommt irgendwo ein Lichtlein her«?!

So erbaulich und kindlich-naiv dieser Spruch auch klingen mag, so unabweisbar ist sein Wahrscheinlich-keitsgehalt. Und dies gilt sowohl für individuelle als auch für kollektive Belange. Auch hinter makropolitischen, makroökonomischen, makroökologischen und makrosozialen Entwicklungen stehen stets einzelne Menschen, deren Anlagen, Begabungen, Fähigkeiten, Absichten und Verhaltensweisen den Gang der Dinge zumindest mitbestimmen. Wo von der Sicht auf solche Entwicklungen – und zumal von Skepsis oder Zuversicht – die Rede ist, muss also von den Menschen die Rede sein, aus denen sich (wie auf dem Titelblatt der Hobbes’schen Leviathan-Ausgabe von 1651 bildhaft dargestellt) Staat und Gesellschaft, aber auch ganze Völker und Völkergruppen zusammensetzen. Sie sind es, die deren Pulsschlag bestimmen. Wo er intakt ist, werden auch diese Völker nicht dauerhaft Schaden leiden, sofern nicht weit außerhalb ihres Einflussbereiches auftretende externe Faktoren solches bewirken sollten. Externe Faktoren vermögen das individuelle wie das kollektive Wohl sowohl zu beeinträchtigen als auch zu fördern. Für die Frage jedoch, was Zuversicht als interner Motivationsfaktor zu bewirken vermag, ist deren Einfluss zunächst ohne Belang. Von erheblicher Bedeutung freilich ist die Frage, ob (und, falls ja, unter welchen Voraussetzungen) eine zuversichtliche Bewusstseinshaltung zu einem wichtigen individuellen und damit indirekt auch kollektiven Erfolgsfaktor werden kann, oder ob es sich bei dem psychologischen Phänomen der individuellen oder auch kollektiven Zuversichtlichkeit um einen bloßen emotionalen Luxus handelt, der letztlich ohne Einfluss auf den Gang des Geschehens ist. Der Suche nach einer Antwort auf diese Frage gelten die folgenden Überlegungen.

1 Vgl. Horaz, Sämtliche Werke (Lateinisch-Deutsch), München/Zürich 1982, S. 223, sowie Vergil, Hirtengedichte (Eklogen), übersetzt und erläutert von Harry. C. Schnur, Stuttgart 1982, S. 16.

2 Vgl. Rainer Maria Rilke, Die Weise von Liebe und Tod des Cornets Christoph Rilke, in: Rainer Maria Rilke, Werke in sechs Bänden, Bd. III, 1, 2. Aufl., Frankfurt 1982, S. 93 ff: »Reiten, reiten, reiten, durch den Tag, durch die Nacht, durch den Tag … Und der Mut ist so müde geworden und die Sehnsucht so groß.«

3 Abgedruckt in: Erich Kästner, Ein Mann gibt Auskunft, Zürich 1930.

4 Vgl. Vergil, Aeneis 2/246 (1990, S. 56). Hyginus, 108 (1963), S. 295. Zu Kassandra allgemein vgl. auch Aischylos, Agamemnon 1080, 1256 (1990), S. 174 ff; Euripides, Hekae 88, 676 (1990), S. 159, 176.

5 Jeremia 21, 1 ff; 37,17 ff; 38,14 ff.

6 Vgl. Demosthenes, Erste Rede gegen Philipp, IV (1985), S. 9.

Ohne Durch- und Fernblick geht es nicht

Während der Regierungszeit des heute fast schon legendären bayerischen Ministerpräsidenten und CSU-Vorsitzenden Franz Josef Strauß (1915–1988) rief ihm der damalige Landtagspräsident Heubl während einer politischen Kundgebung zu: »Franz Josef, gib uns Zukunft, gib uns Perspektive!« Und genau das ist es, was von allen erwartet wird, die sich für eine wie auch immer geartete Gruppierung von Menschen verantwortlich fühlen, weil ihnen im Rahmen dieser Gruppierung Führungsaufgaben übertragen wurden – von prominenten Politikern also, von Wirtschaftsführern, Gründern oder Oberhäuptern von Religionsgemeinschaften, Universitätsrektoren, Verbandspräsidenten und Vereinsvorsitzenden. Nichts Anderes als dieses dürften auch der oder die Verfasser der biblischen »Sprüche Salomonis« gemeint haben, als er bzw. sie schrieb(en): »Ein Volk ohne Weissagung wird wild und wüst.« (11,14)

Die »Weissagung«, die herkömmlicherweise Beruf und Berufung der »Propheten« war7 und heute zumeist von Wissenschaftlern oder wissenschaftlich informierten Philosophen und Publizisten verkündet wird, aber letztlich von einem Jeden stammen könnte, dessen soziale Stellung ihm Gehör zu verschaffen verspricht, kann selbstverständlich auch Warnung vor unerfreulichen Entwicklungen sein. Wie schon erwähnt, kennt die Geschichte eine fast unaufhörliche Folge von – dann auch tatsächlich eingetroffenen – »Jeremiaden«. Im Fall von Jeremias war die Warnung berechtigt, wurde aber nicht beachtet. Im Falle der (wohl zumindest hinsichtlich ihrer lokalen Fokussierung fiktiven) biblischen Erzählung vom Propheten Jona bekehrt sich Fürst und Volk von Ninive – und wird deshalb auch verschont.8 Ob die seit den Hoch-Zeiten des (west)europäischen Wirtschaftswunders ab den 60er-Jahren des 20. Jahrhunderts anhaltenden, im zweiten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts dank der Initiative der schwedischen Schülerin Greta Thunberg schon in eine Art von ökologischen Kinderkreuzzug mündenden Warnungen zahlreicher Wissenschaftler und Philosophen vor einer globalen Um- und Mitweltkatastrophe endlich fruchten werden, wird abzuwarten sein. Ohne eine sowohl grundstürzende als auch grundlegende – und daher im Blick auf die politökonomischen und soziokulturellen Befindlichkeiten der äußerst heterogenen Weltgesellschaft eher unwahrscheinliche – Neuorientierung unseres kollektiven Handels und Wandels dürfte dies jedenfalls kaum gelingen. Und eine solche ist noch keineswegs in Sicht. Noch immer ist der von den Staaten gewährte »Umweltschutz« Ausdruck jener »Politik des peripheren Eingriffs«, die vom Autor dieser Zeilen und seinen Mitautoren Charles Doran und Manfred Hinz schon vor nun fast einem halben Jahrhundert in einem gleichnamigen Buch kritisch hinterfragt wurde.9

Willkommener als warnende »Weissagungen« sind stets die den Blick in eine glückhafte, jedenfalls aber bessere Zukunft eröffnenden Voraussagen – die nach allgemeinem Verständnis »zuversichtlichen« also. Zuversichtlich nämlich nennen wir all diejenigen, die ihre Sicht auf eine erfreuliche Zukunft