Der verpasste Traum vom Fußball-Profi in 13 Porträts
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Umschlagfoto: Wolfgang Schmidt Fotografie
Layout, Satz und Umschlaggestaltung: Composizione Katrin Rampp, Kempten
ISBN 978-3-96423-052-2
eISBN 978-3-96423-057-7
Vorwort
Patrick Falk
Der FC Barcelona blieb nur ein Traum
Lucas Scholl
Der lange Schatten des Vaters
Interview Joti Chatzialexiou
„Uns fehlen die überragenden Einzelspieler“
Sergej Evljuskin
Plötzlich saß der Überflieger auf der Bank
Jonas Ermes
„Ich glaub, ich will das nicht mehr“
Interview Dr. René Paasch
„Mentalität ist oft der entscheidende Faktor“
Damir Bektic
Kämpferisch auf dem Rasen, schwierig in der Kabine
Heiko Hesse
Lieber Weltbank als Westfalenstadion
Felix Casalino
YouTube-Star statt Fußballprofi
Interview Prof. Dr. Oliver Höner
„Müssen Talenten verschiedene Wege in den Profifußball bieten“
Fabio Dell’Era
Der Frühstarter – ausgebremst beim SC Freiburg
Jonas Wendt
Zu rebellisch für den 1. FC Köln
Interview Dr. Gerrit Hartung
„Viele Talente werden schlecht beraten“
Walter Laubinger
Happels „Zauberer“ verschwendet sein Talent in Hamburgs Partyszene
Manuel Fischer
Zu ungeduldig für die VfB-Profis
Interview Thomas Krücken
„Jeder Spieler braucht eine ‚Waffe‘“
Ferdi Esser
Kölscher Clown – zu heimatverbunden für den Profifußball
Dennis Kings
„Verkopft“ – Selbstzweifel verhindern die Karriere
Zum Autor
„Woran hat’s gelegen?“ – Diese Frage stellen sich jedes Jahr vermutlich Hunderte Fußballtalente, die durchs Raster gefallen sind. Die ihren Traum vom Profifußball nicht verwirklichen konnten. Obwohl sie irgendwann in ihrer Jugend einmal günstige Prognosen bis hin zu glänzenden Aussichten hatten.
Woran liegt das? Wenn sich diese Frage leicht beantworten ließe, bräuchte es dieses Buch nicht. Denn die Gründe fürs Scheitern sind derart vielschichtig und individuell so verschieden, dass es mindestens jede dieser 13 im Buch vorgestellten Geschichten braucht, um zumindest ein vages Bild zu bekommen: Warum es keineswegs ungewöhnlich ist, auf dem Weg vom großen Talent zum Fußballprofi irgendwo unterwegs den Faden zu verlieren.
Es beginnt ja schon allein mit der Statistik: Fußballfachleute sprechen davon, dass in jedem Jahrgang deutscher Fußballtalente durchschnittlich zwei bis drei echte Ausnahmekönner stecken, für die der Weg in die Spitze überhaupt realistisch ist. Um diese zwei bis drei Spieler zu entdecken, herauszufiltern und gewinnbringend zu fördern, hat der deutsche Fußball in seiner Historie unterschiedliche Wege beschritten. Waren es einst lediglich Zufallsentdeckungen umtriebiger Scouts, denen die Begabten bei irgendwelchen Jugendspielen auf einem provinziellen Aschenplatz ins Auge gefallen sind, hat sich das Prinzip der Sichtung seit etwa 20 Jahren enorm weiterentwickelt.
Mit dem Einzug der Spielerberater ins Fußballgeschäft begann ein Schürfen und Feilschen von und mit Fußballtalenten, das sich im Laufe der Zeit zu einem zunächst einträglichen, später exorbitanten Geschäft entwickelt hat. Mit der bald systematisch und flächendeckend einsetzenden professionellen Sichtung der Profivereine hat eine Entwicklung eingesetzt, die seit der Einrichtung der Nachwuchsleistungszentren in den Vereinen gewissermaßen industriellen Charakter angenommen hat. Das System dieser NLZs funktioniert so: Man kippe Jahr für Jahr möglichst viele aussichtsreiche Talente ins System und am Ende bleibt mit etwas Glück ein Spieler pro Jahrgang über, der jene außerordentlichen Fähigkeiten mitbringt und behält, um ins Profiteam übernommen zu werden. Um nicht durchs Sieb zu fallen.
Genau an dieser Stelle muss klar und deutlich gesagt werden: Aussortiert werden ist nichts Ungewöhnliches! Ein Ausscheiden aus einem NLZ sollte von den Betroffenen keineswegs als persönliche Niederlage wahrgenommen werden. Es ist vielmehr der normale, völlig logische Gang der Dinge. Wissenschaftliche Erhebungen haben ergeben, dass nur jeder Tausendste aus den NLZs der deutschen Profiligen den Sprung in die 1. Bundesliga schafft. Und: Nur etwa die Hälfte aller U-Nationalspieler, also derjenigen, die neben dem NLZ auch die Hürde Auswahlmannschaft genommen haben und in einem der U15- bis U21-Teams des deutschen Fußballbundes gespielt haben, werden später auch tatsächlich Profi in der 1. oder 2. Bundesliga. Und: Je früher man in ein NLZ aufgenommen wird, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass man es nicht zum Profi schafft. Die jährliche Auffrischungsrate der NLZs liegt bei 25 Prozent. Heißt: Ein Viertel aller Spieler wird jedes Jahr aussortiert. Die statistisch größten Chancen besitzen also jene Talente, die möglichst spät entdeckt werden und ins NLZ einziehen.
Was zunächst als reine Zahlenspielerei und möglicherweise nerdiges Wissen abgetan werden kann, wird in dem Moment zu einem schicksalhaften Themenkomplex, wenn man sich näher an die Lebensgeschichten der Spieler heranwagt, die hinter diesen Zahlen stecken. Denn eines ist ja klar: Mindestens jeder der Spieler, die es in ein NLZ eines Bundesligisten geschafft haben, rechnet eigentlich fest damit, es geschafft zu haben: Sich auf dem schnurgeraden Weg in Richtung Profifußball zu befinden. Und wer dazu auch noch zu den Auserwählten gehört, der als einer der 20 Besten seines Jahrgang Zugang zur U-Nationalmannschaft bekommen hat, ist ganz sicher: Bald werde ich Fußballprofi sein. Wer es nicht geschafft hat, ist gescheitert. Und fühlt sich zwangsläufig als Verlierer.
Die persönliche Fallhöhe für diejenigen, die es dann doch nicht schaffen, ist unterschiedlich. Je nach Persönlichkeit, Wissen um die Umstände und den Druck von außen, den Erwartungen an sich selbst, von der Familie, dem Freund oder Freundin, dem Berater.
Und die Palette von möglichen Gründen fürs Scheitern ist unendlich groß. Wer körperlich früh stark entwickelt war, wird irgendwann überholt. In jungen Jahren hochgejubelte Spieler verlieren den Bodenkontakt und die nötige Demut, um weiter fleißig an sich zu arbeiten. Verletzungen kommen hinzu. Selbstzweifel, die bei zu starkem Druck von außen bis zu einem Burnout führen können. Schließlich gehört auch heute jede Menge Glück dazu, Profi zu werden. Zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort sein. Von einem Trainer gepusht zu werden und individuell aufzublühen, anstatt in einem starren Mannschaftssystem auf einer erzwungenen Position zu vertrocknen wie eine Blume in einem viel zu heißen Sommer.
In diesem Buch sollen 13 Lebensgeschichten zeigen, wie und warum ein Talent scheitern kann. Aber auch: Was der verpasste Traum mit dem Menschen macht. Sorgt er für ein Lebenstief, aus dem nur schwer wieder herauszuklettern ist? Oder ist auch eine Art Befreiung denkbar nach dem Motto: Endlich ist es vorbei!? Interviews mit Fachleuten und zahlreiche Stimmen von Weggefährten werden Hinweise und hoffentlich viele Antworten geben auf die Frage: „Woran hat’s gelegen?“
Als Jugendspieler gilt Patrick Falk als Jahrhunderttalent. Selbst der FC Barcelona jagt den torgefährlichen Spielmacher aus Hessen. Als sein Stern bei den Profis aufgehen soll, landet er aber bei einem knallharten Trainer. Und das Licht einer großen Karriere erlischt im stürmischen Überlebenskampf der Bundesliga.
Es ist der 4. April 1999, als die Zuschauer im riesigen Nationalstadion von Lagos einen von Patrick Falks besonderen Momenten zu sehen bekommen. Die deutsche U20-Nationalmannschaft um den Regisseur von Eintracht Frankfurt bestreitet bei der Weltmeisterschaft in Nigeria ihr erstes Gruppenspiel gegen Paraguay und hat die Südamerikaner gut im Griff. Die Deutschen haben das Team um den späteren Bayern-Spieler Roque Santa Cruz in gleißender Hitze mit kraftvollem Powerfußball regelrecht überrollt. Sie führen durch gleich drei Tore von Mittelstürmer Enrico Kern mit 3:0.
Und dann kommt Patrick Falk. Das Zuspiel erreicht ihn kurz hinter dem Mittelkreis. Der 19-Jährige schaut kaum auf und schlägt den Ball nach kurzer Annahme in hohem Bogen aus gut 50 Metern über den vorgerückten Torwart des Gegners hinweg zum 4:0 ins Tor. Ein Treffer wie ein Gemälde. Ein Tor, das für Begeisterung sorgt und später zum schönsten des Turniers gewählt wird.
Das deutsche Trainerteam weiß in Nigeria nicht viel über Paraguays Mannschaft. Gegnerscouting gibt es zu jenen Zeiten auf diesem Niveau kaum. Einzig Patrick Falk hat ein paar Informationen zusammengesammelt – so etwas macht der Spielmacher der Deutschen gern. Falk schaut sich damals quasi rund um die Uhr Fußballspiele aus der ganzen Welt auf seinem Fernseher an. Wo immer sie auch übertragen werden. Und er hat dem Bundestrainerstab schon vor der Partie gesagt, er habe den Torhüter Paraguays mal spielen sehen – er stehe während des Spiels gern sehr weit vor seinem Kasten. „Unnützes Fachwissen“ – mögen sich die Trainer damals gedacht haben, doch Falk nutzt eben dieses in der 90. Minute, als er den Ball am Mittelkreis zugespielt bekommt.
Die beschriebene Szene sagt vieles aus über den Fußballer Patrick Falk: Enormer Spaß am Spiel, Kreativität, gepaart mit ungeheurem Selbstbewusstsein. Dafür steht das Talent von Eintracht Frankfurt exemplarisch. Wer sich im deutschen Fußball auf die Suche nach einem klassischen 10er begibt, landet unweigerlich bei Falk. 1980 geboren, gilt der gebürtige Hesse in den 90er Jahren als die Spielmacher-Hoffnung der Nation. Die Fachleute, die das Geschehen in den Jugend-Nationalmannschaften verfolgen, sind sich in diesem Urteil eigentlich alle einig. Erich Rutemöller, der Falk in diversen U-Nationalteams des Deutschen Fußball-Bundes begleitete, sagt noch heute: „Patrick Falk war das größte Talent, das ich jemals betreut habe. Der konnte alles am Ball. Er war ein klassischer Spielmacher mit Übersicht und Gefühl für Spielsituationen. Und dazu war er auch noch enorm torgefährlich.“ Rutemöller erinnert sich an Falks Selbstverständnis: „Er war in meinen Teams der Chef auf dem Platz. Diese Rolle hat er perfekt verkörpert.“
Das sind Voraussetzungen für eine lang anhaltende Profikarriere – sollte man meinen. Es geht ja auch gut los: Als Falk bei Eintracht Frankfurt 1999 aus der Jugend kommt und im Profikader aufgenommen wird, folgen direkt erste Bundesligaeinsätze. Doch es wird nichts aus dem Gipfelsturm in die fußballerische Weltspitze. Noch nicht einmal zu einer soliden Bundesliga-Karriere reicht es für Patrick Falk am Ende. Das große Talent von einst verschwindet irgendwann in der Fußball-Versenkung. Einer Handvoll Einsätze in der deutschen Eliteliga folgen Jahre und regelrecht vergeudete Spielzeiten in Zweiter, Dritter und Vierter Liga.
Zu den von vielen prognostizierten A-Länderspielen kommt es schon gar nicht.
„Ist für mich unerklärbar“, sagt Rutemöller, „Falk brachte in meinen Augen eigentlich alles mit, um sogar international auf sich aufmerksam zu machen. Er muss irgendwann den Fokus auf den Fußball verloren haben. Vielleicht sind die Gründe in seinem Umfeld zu suchen. Dass dort irgendwann nicht mehr alles stimmte und er gedanklich nicht mehr voll bei der Sache war.“
Falk selber sieht sein Scheitern hauptsächlich in einem unbedachten Vereinswechsel begründet: „Mein größter Fehler war, dass ich bei Eintracht Frankfurt nicht gewartet habe, bis ein neuer Trainer kommt“, sagt er. Weil er unter Felix Magath keine Chance bekam, hatte er die Eintracht gleich nach seinem ersten Profijahr frustriert in Richtung Braunschweig verlassen. Viel zu früh, sagt Eintracht-Ikone Karl-Heinz Körbel heute: „Wenn er bei der Eintracht geblieben wäre, hätte er die Identifikationsfigur des Vereins werden können. Aus heutiger Sicht war das damals der deutsche Messi.“ Dass Falk trotz seines Talentes der Durchbruch nicht gelang, lag ganz bestimmt an seiner Einstellung. Falk fehlte in den entscheidenden Momenten offenbar der richtige Biss. „Ich hatte aber auch Pech, weil überall, wo ich hinkam, ein Umbruch eingeleitet wurde“, findet er.
Erich Rutemöller hat viele Talente kommen und gehen gesehen. Er begann seine Trainerkarriere schon 1975 als Jugendtrainer des 1. FC Köln, war bei den Rheinländern später sogar ein gutes Jahr Cheftrainer („Otze, mach et“). Mitte der 90er stieg er dann beim DFB ein, verdiente sich dort seine Meriten als Jugend- und Co-Trainer fast aller Nationalteams, zudem war er in der Trainerausbildung tätig. Für ihn ist das entscheidende Merkmal eines Talents neben dessen fußballerischen Grundfertigkeiten die Mentalität. „Die Jungs müssen Kampfgeist mitbringen. Und sie müssen demütig bleiben. Müssen erkennen, dass sie dran bleiben und immer weiter dazulernen müssen. Viele der jungen Spieler verlieren aber irgendwann – aus welchem Grund auch immer – diese Zielstrebigkeit.“ Für Rutemöller können scheinbare Kleinigkeiten ausschlaggebend sein: „Man kommt durch negative Einflüsse von außen vom Weg ab. Streitigkeiten in der Familie oder mit der Freundin können schon genügen.“
Auf Patrick Falks Weg vermutet er derartige Verwerfungen, kann sich aber auch einen anderen Grund für das Scheitern vorstellen: „Vielen Talenten passiert es auch, dass sie rasch hochgejubelt und dann selbstzufrieden werden. Vielleicht ist auch das bei Patrick passiert.“
Zumindest einen weiteren Hinweis auf einen möglichen Grund fürs Scheitern gibt Ralf Weber, einstiger Nationalspieler der Frankfurter Eintracht und früher Teamkamerad Falks: „Patti war sicherlich ein genialer Fußballer, ein Straßenkicker, wie man heute sagt. Aber bei uns hat er sich nicht durchsetzen können. Vielleicht fehlte ihm für das knallharte Bundesligageschäft, in dem sich jeder Spieler selbst der Nächste ist, der unbedingte Wille, der Kampfgeist, der Killerinstinkt.“
Bedenken, die Falk selbst durchaus teilt: „Ich war ein Spieler, der Freiheiten und Vertrauen brauchte. Wenn ich das nicht gespürt habe, ist es auch schon mal zu Problemen gekommen.“ Mangelnde Unterstützung von außen führt er an, wenn er sich an sein Scheitern erinnert: „Heute hat ein Profiteam einen Mitarbeiterstab, der ist fast größer als der Spielerkader. Zu meiner Zeit gab’s den Cheftrainer, seinen Assistenten und das war’s. Klar, dass die sich nicht um jeden einzelnen Spieler kümmern konnten. Ich war als Jugendspieler, der gerade zu den Profis hochgekommen ist, im Grunde völlig auf mich allein gestellt. So etwas gäbe es ja heute gar nicht mehr.“
Heute sitzt Falk in seinem kleinen Büro in Langenselbold bei Frankfurt. Es ist sommerlich warm, er empfängt in Dreiviertel-Jeans und T-Shirt zum Gespräch. Von einer drahtigen Sportlerfigur ist der 40-Jährige inzwischen weit entfernt – als Spielerberater mit einer eigenen kleinen Agentur konzentriert sich Falk mittlerweile auf das Anschauen von Fußballspielen. „Die technischen Mängel bei den heutigen Fußballprofis im Profibereich sind enorm“, findet er. Manchmal sei der Blick auf ein Bundesligaspiel für ihn regelrecht schmerzhaft: „Wenn den Spielern bei der Ballannahme die Kugel meterweit wegspringt, kriege ich das kalte Grausen.“
Ihm ist damals nie ein Ball versprungen – hat er sein Talent verschenkt? „Nein“, sagt Patrick Falk: „Es waren eher viele unterschiedliche unglückliche Umstände, die meine Karriere verhindert haben.“ Falk möchte in diesem Zusammenhang nicht falsch verstanden werden: Er sei nicht unglücklich mit seiner Zeit als Fußballer, sie habe ihm viele schöne Momente beschert. „Und wer kann schon von sich sagen, dass er überhaupt mal sein großes Ziel – Bundesligaspieler zu werden – erreicht hat? Ich habe immerhin mal in der Bundesliga auf dem Rasen gestanden. Das kann mir keiner nehmen.“
Aber klar: Für Falk wäre mehr drin gewesen. Sein außergewöhnliches Talent wird früh erkannt. In Gelnhausen aufgewachsen, der Stadt der bekannten Leichtathleten Harald Schmid und Edgar Itt, startet er seine ersten fußballerischen Gehversuche beim örtlichen FC 03. Mit Familienanschluss sozusagen: Sein Vater ist dort im Jugendbereich aktiv, die Mutter Teambetreuerin.
Patricks Fußball-Leidenschaft ist enorm: „Ich hab immer gleich nach der Schule die Tasche in die Ecke geworfen und bin gleich nach dem Essen auf unseren Bolzplatz gelaufen“, erinnert er sich. Direkt neben seinem Elternhaus gibt es einen kleinen Bolzplatz mit zwei schlichten Eisentoren. Nicht einmal Netze sind dort montiert. Für Patrick ist es dennoch ein geradezu magischer Ort. „Stundenlang habe ich dort auf die Tore geschossen. Ganz allein“, sagt er. Im Ort heißt der Bolzplatz irgendwann „Patrick-Falk-Stadion“. Der kleine Junge, der nachmittags stundenlang dem Ball hinterherläuft und ihn hunderte Male durch die beiden leeren Tore schießt, ist ortsbekannt.
Doch sein Jahrgang im FC 03 ist schwach, nach nur einem Jahr wird Patrick daher beim besseren Nachwuchs des benachbarten FSV Lieblos angemeldet. Die E-Jugend des FSV darf bei Turnieren auch schon mal gegen die Großen aus der Nachbarschaft antreten. Wie bei einem vereinseigenen Hallenturnier gegen Eintracht Frankfurt. Der kleine FSV gewinnt mit 9:4, Patrick Falk erzielt sieben Tore. Das Spiel ist die Eintrittskarte zur begehrten Eintracht-Jugendabteilung. Patrick soll zum Probetraining und fährt wenige Wochen später auch hin an den Riederwald. Weil er etwas zu früh vor Ort ist, nimmt er sich einen Ball und jongliert ihn so zehn Minuten, macht ein paar Tricks um warm zu werden. Das beobachtet Eintrachts damaliger A-Jugend-Trainer Hubert Neu, der sich den kleinen Probanden gleich zur Seite nimmt. „Hier ist kein Probetraining nötig“, findet Neu.
Der Trainer hat den kleinen Patrick ausgerechnet bei seiner Paradedisziplin beobachtet. Zu Patricks Jonglierkünsten gibt es eine Geschichte: Als anlässlich eines Jugendturniers in seiner Heimatstadt Gelnhausen mal ein Jonglierwettbewerb ausgerichtet wird, kann es nur einen Sieger geben: Patrick Falk. Nachdem der Führende der Wertung 380 Ballkontakte auf dem Konto hat, steigt irgendwann Patrick in den Wettbewerb ein und hat die Bestmarke rasch überboten. „Hör auf, die anderen Kinder wollen auch noch“, ruft der Veranstalter, als Patrick bei 400 Ballberührungen gezählt wird. Denkste. Erst bei der Marke von 1280 Ballberührungen lässt er die Kugel auf den Boden fallen. Fast eine Dreiviertelstunde hat er den Ball hochgehalten und kassiert den Siegerpreis: einen handsignierten Lederball der deutschen Nationalmannschaft von 1982. Kein Wunder also, dass auch Eintracht Frankfurts Chef-Jugendtrainer schnell überzeugt ist: Falk und seine Mutter werden von Hubert Neu zur Abwicklung der Formalien ins Geschäftszimmer gebeten. Patrick Falk ist Eintrachtler – auch ohne Probetraining.
Es beginnt eine schöne, erfüllte Jugendfußball-Zeit für Patrick. Was auch damit zu tun hat, dass die Eintracht in seinem Jahrgang eine außergewöhnlich gute Mannschaft stellt. Mit Spielern wie Konstantinos Rodriguez, Jochen Endress, Uli Fäth und Jermaine Jones an seiner Seite verliert das Team um Spielmacher Falk herum in der D- und C-Jugend über Jahre kein einziges Spiel. Es sind große Duelle und große Siege dabei. Gegen internationale und nationale Spitzenteams. Beispielhaft mag das Endspiel eines U14-Turniers in Oettingen sein, als die Eintracht-Junioren im Endspiel gegen Bayer Leverkusen mit 7:0 die Oberhand behalten. „Wir waren damals schlicht unschlagbar“, sagt Falk.
Die Frankfurter Asse bleiben auch dem DFB nicht verborgen. Falk startet in der U15 eine Karriere in den deutschen Nachwuchs-Nationalmannschaften, die ihm wie selbstverständlich vorkommt. „Ich war im älteren Jugendbereich in Frankfurt eine Institution, quasi unantastbar. Dass ich als gefeierter Spielmacher dann auch für Länderspiele berufen wurde, war für mich damals fast normal.“ Falk gilt in DFB-Kreisen auch deshalb als außergewöhnlich, weil er den Sport schon in jungen Jahren sehr analytisch angeht.
Erich Rutemöller erinnert sich: „Patrick war einfach weiter als die anderen in seinem Alter. Es kam vor, dass er vor einem U16-Länderspiel zu mir kam und mich fragte, wie groß das Spielfeld sei. Er wollte sich auf die Größe und den zur Verfügung stehenden Raum auch mental vorbereiten. Er benahm sich für einen 15-Jährigen insgesamt ungewöhnlich professionell.“
Falk lebt Fußball. „Für mich gab‘s nichts anderes“, sagt er. Hunderte von Videokassetten mit internationalen Spielen habe er gehabt, berichtet er. „Ich habe als Jugendlicher tags und nachts Fußballvideos geschaut. Ich kannte zumindest europaweit beinahe alle Spieler dieser Zeit.“ Womit er auch Rutemöller überrascht. Der ist für den seinerzeitigen A-Nationaltrainer Berti Vogts häufig als Gegner-Scout unterwegs und nimmt Falk einmal mit ins Stadion, als auch die Jugend-Nationalmannschaft einen Lehrgang hat. „Ich weiß das Spiel nicht mehr genau, aber es waren zwei europäische kleinere Nationen, die sich gegenüber standen. Patrick erzählte mir während des Spiels ausführlich von ihren Stärken und Schwächen. Er kannte die alle schon vorher.“
Höhepunkte der internationalen Karriere gibt es in diesen Jahren einige, unter anderem gewinnt Falk mit der U15 im Wembleystadion mit 4:2 gegen England um Stürmer Michael Owen. Für Deutschland spielen neben Falk unter anderem Tobi Schäfer, Jochen Endress, Timo Hildebrand, Patrick Nolden, Sebastian Kehl, Sebastian Deisler. Falk spielt mittlerweile wahlweise im Sturm oder lässt sich etwas fallen. „Ich war damals so etwas, was man heute ‚falsche Neun‘ nennt. Ich entschied quasi je nach Spielverlauf selbst, wo ich mich vorn bewegte.“ Mit der U16 erlebt er allerdings auch einmal die „Mutter aller Niederlagen“, wie er sie selbst immer bezeichnet. Es passiert bei der U16-EM 1996 in Österreich. Im Viertelfinale geht es gegen Außenseiter Israel. Das deutsche Team dominiert recht eindeutig, führt mit 2:0. Acht Minuten sind noch auf der Uhr, da lassen sich Endress und Falk wegen kleinerer Blessuren gleichzeitig auswechseln. Und es geschieht das Unvorstellbare: Die Israelis erzielen mit einem Weitschuss den Anschluss und treffen mit dem Schlusspfiff zum 2:2. In der Verlängerung verliert das hoch favorisierte deutsche Team schließlich mit 2:3. „Wir waren alle untröstlich. Es war quasi undenkbar, dass wir mit dieser starken Mannschaft so etwas erleben mussten. Das Spiel haben einige von uns bis heute nicht vergessen – das schwöre ich“, sagt Falk.
Welchen Stellenwert Falk zu seiner Jugendzeit genießt, mögen auch zwei Auszeichnungen belegen: Sowohl bei eben dieser U16-Europameisterschaft wie auch bei der U20-Weltmeisterschaft in Nigeria 1999 wird Falk von den Juroren als bester Mittelfeldspieler des Turniers ausgezeichnet. Bedenkt man, dass beim Turnier in Afrika auch Ronaldinho für Brasilien, Xavi für Spanien oder Stephen Appiah für Ghana und Seydou Keita für Mali dabei sind, gewinnt dieser Titel enorm an Gewicht. Falks Bilanz in den deutschen Nachwuchs-Nationalmannschaften liest sich beeindruckend: In seinen insgesamt 52 Einsätzen für die verschiedenen U-Mannschaften erzielt er 49 Tore.
Früh treten auch andere Vereine an das Frankfurter Talent heran. In der U16 flattert nach einem internationalen Turnier sogar das Angebot vom großen FC Barcelona auf den Tisch. Johan Cruyff höchstpersönlich schickt ein Fax an die Verantwortlichen der Frankfurter Eintracht. Man wolle Patrick zu einem Probetraining einladen, habe Interesse an einer Verpflichtung des damals 15-Jährigen. Falk fliegt tatsächlich nach Barcelona, bleibt eine Woche. Für Falk erfüllt sich ein Traum, sind es doch ausgerechnet die Stars der Katalanen, deren Spiel in ihm höchste Glücksgefühle auslösen. „Ich habe damals quasi rund um die Uhr Fußballspiele geschaut. Habe unzählige internationale Spiele auf Video aufgenommen, ich kannte mich international sehr gut aus. Und ganz besonders mochte ich Barça mit seinem Spielmacher Pep Guardiola. Das war schon so etwas wie mein fußballerisches Vorbild“, erinnert sich Falk. Und dann haben die Katalanen ausgerechnet ihn, den spielstarken deutschen Torjäger aus Frankfurt, als Nachfolger eben dieses Guardiola ausgemacht. Für Falk das höchste denkbare Glück.
Doch das Angebot des FC Barcelona darf er nicht annehmen – sein Vater ist dagegen. „Ich sollte erst meine Schul-Ausbildung beenden“, erklärt Falk. „Damals war ich unendlich traurig. Aber im Nachhinein muss man natürlich sagen: Mein Vater hatte Recht. Es geht nichts über eine vernünftige Ausbildung und die Grundlagen für einen Plan B, falls es mit dem Fußball nicht klappt“, findet Falk.
Das Verhältnis zu seinem Vater ist nicht einfach. Einerseits ist Vater Oskar enorm stolz auf das Können seines Sohnes und begleitet ihn in der Jugend zu Hunderten von Auswärtsreisen. Auf der anderen Seite ist er sein größter Kritiker. „Mein Vater hat eigentlich immer an meinen Leistungen herumgemäkelt. Das, was andere Spieler gut gemacht haben, hat er mir negativ angekreidet. Das hat mich zeitweise schon belastet. Mir hätte gerade von meinem Vater auch mal ein Lob gutgetan“, sagt Falk. Dazu ist der Vater nicht fähig. „Nur über andere habe ich erfahren, was mein Vater wirklich von mir als Fußballer hielt. Meinem Onkel sagte er im Vertrauen, dass er europaweit auf meiner Position kaum einen Besseren als mich sähe.“
Es tritt dann auch eine neue Facette in Falks Leben, die Erich Rutemöller wahrscheinlich meint, wenn er bei den Gründen von Falks verpasster Karriere „im näheren Umfeld des Spielers“ sucht: Als Falk 15 ist, trennen sich die Eltern. „Das hat mir auf jeden Fall einen Schlag versetzt. Ich geriet in dieser Phase ganz sicher erstmals etwas aus der Balance“, sagt Falk. Die Trennung der Eltern verläuft nicht einvernehmlich oder geräuschlos – die beiden sind tief zerstritten, führen ihren Kampf jahrelang auch über die Kinder. „Sie wollten meine ältere Schwester und mich beide bei sich haben. Da war immer ziemlicher Stress. Das hat mich mitgenommen und ich verlor auch im Fußball etwas an Leichtigkeit“, erinnert sich Falk. Der Stress daheim führt letztlich sogar dazu, dass Falk dann doch seine geliebte Eintracht verlässt.
In Deutschland bemüht sich Bayer Leverkusen – auf einen Tipp von Rutemöller hin übrigens – ganz besonders um den technisch beschlagenen Mittelfeldmann. Und hat mit seinem Werben Erfolg, als Falk mit 17 dem familiären Stress in der Heimat entfliehen will. „Das passte dann für mich. Ich wollte weg vom Ärger daheim und konnte das auch sportlich nach außen verkaufen: Ich sagte daher zu meinem Vater, dass ich das Gefühl habe, den Verein wechseln zu müssen, um mich weiterzuentwickeln“, sagt Falk.
Er verhandelt also mit Bayers Reiner Calmund und Andreas Rettig und wechselt 1997 ins Rheinland. In Ermangelung eines Nachwuchsleistungszentrums – so etwas gibt es damals bei den Bundesligisten noch nicht – zieht der 17-Jährige in eine vereinseigene Wohnung im Ortsteil Schlebusch. Er kommt sehr gut allein im Haushalt zurecht. „Ich hatte keine Probleme. Ich war in diesem Alter schon sehr selbständig“, erklärt Falk.
Bayers A-Jugendtrainer Thomas Hörster gilt als harter Hund, doch für Patrick Falk kommt der Disziplinfanatiker an der Seitenlinie gerade recht. „Nach den immer gleichen Jahren in Frankfurt tat mir der Wechsel enorm gut und ich hatte bei Hörster zwei wundervolle Jahre“, erinnert sich Falk. Schon in seinem ersten Jahr wird er zudem in Bayers Regionalligateam von Trainer Peter Herrmann eingesetzt. „Ich hatte viele Trainer, aber würde schon sagen, dass ich von Peter Herrmann wahrscheinlich am meisten gelernt habe. Er hat sich unheimlich um mich gekümmert und war wie ein zweiter Vater zu mir“, sagt Falk.
Wenn Falk von „verschiedenen unglücklichen Faktoren“ spricht, die letztlich einer großen Karriere im Weg standen, mag auch der Wechsel zurück nach Frankfurt ein solcher gewesen sein. Er hat im Dezember 1998 gerade einen Dreijahresvertrag in Leverkusen angeboten bekommen, da meldet sich die Eintracht. Dort hat sein ehemaliger hessischer Auswahlcoach Reinhold Fanz soeben einen Trainervertrag unterschrieben. Falk kennt und mag Fanz – es war über Jahre sein Mentor in der hessischen Jugend-Verbandsauswahl. Montags tritt Fanz sein Amt an, dienstags ruft er bei Falk an und überredet ihn zu einer Rückkehr in die Heimat im nächsten Sommer. Das Problem nur: Als Falk ein knappes halbes Jahr später seinen Dienst in Frankfurts Profimannschaft antritt, ist Fanz nicht mehr Trainer. Die Eintracht hat ihn nach nur vier Monaten und gerade einmal neun Spielen wieder gefeuert und stattdessen Jörg Berger verpflichtet. „Ich hatte nun große Sorge, ob ich auch bei Berger überhaupt eine Chance bekommen würde“, erinnert sich Falk. Zumal die Eintracht mit Albert Streit, Alexander Rosen und Michael Mutzel auf seiner Position schon überdurchschnittlich besetzt ist.
Die Sorge ist zunächst unbegründet. Nach der Vorbereitung versichert Berger seinem Nachwuchsmann: „Wenn du nicht abhebst und fleißig weiter an dir arbeitest, wirst du bei mir immer spielen!“ So findet Falk gut hinein ins Abenteuer Profifußball. Vielleicht zu gut. Denn ihm scheint es offenbar ein wenig an Respekt vor den arrivierten Spielern zu mangeln. „Als Patrick aus der Jugend zu uns hochkam, hätte er die Dinge vielleicht etwas demütiger angehen lassen können“, sagt Ralf Weber: „Er hatte enormes Selbstvertrauen. So nach dem Motto: „Schaut mal, wo ich Euch Blinden helfen kann“. Und es ist nun einmal ganz einfach so, dass es in einem Profiteam auch ein paar ältere Spieler gibt, die es lieber gesehen hätten wenn sich der junge Bursche erst einmal für sie den Arsch aufreißt, anstatt die anderen für sich arbeiten zu lassen.“ Auf der anderen Seite kommt Falks erfrischende Naivität auch gut an im Team der Älteren: „Er war in jeder Hinsicht ein spontaner Kerl und sprach, wie ihm der Schnabel gewachsen war. Ja, er war frech. Aber wir haben auch viel Spaß mit ihm gehabt“, sagt Weber.
Bei Trainer Berger scheint Falk gute Karten zu besitzen: Zu Beginn der Saison 1999/00 wird er zunächst stets im Spielverlauf eingewechselt, am 25. September 1999 darf er bei Borussia Dortmund schließlich von Beginn an ran. An der Seite von Weber, Olaf Janßen und Horst Heldt agiert er im Mittelfeld der Eintracht, die das Spiel letztlich aber mit 0:1 verliert. Der junge Lars Ricken trifft schon in der ersten Hälfte für den BVB, Falk wird in der 84. Minute ausgewechselt. Zufrieden ist er dennoch – er kommt immer öfter zum Einsatz, hat sich scheinbar einen festen Platz in einem Bundesligateam erarbeitet. „Mein Traum war damit in Erfüllung gegangen. Dieser Moment, wenn ich ins vollbesetzte Frankfurter Stadion einlief, wo ich ja einen Großteil der Tribünenbesucher gefühlt persönlich kannte – da kann ich heute noch das Gänsehautgefühl nachvollziehen, das ich damals hatte.“ Unter Jörg Berger kommt Falk in der Hinrunde zu insgesamt elf Bundesligaeinsätzen, ist dabei an acht Toren als Vorlagengeber beteiligt – eine gute Bilanz für einen 19-Jährigen.
Doch trotz aller Premierenfreuden – die Saison entwickelt sich schließlich bitter. Denn insgesamt läuft es mit der Mannschaft nicht. „Irgendetwas passte nicht“, erinnert sich Falk, „und keiner konnte so richtig sagen, was es war.“ Fakt ist: Die Eintracht gerät in Abstiegsnot – im Winter muss Jörg Berger gehen. Es kommt: Felix Magath. „Das war sozusagen mein Untergang“, sagt Falk. Denn obwohl auch Magath die Qualitäten des Youngsters nicht verborgen bleiben, setzt der Altmeister fortan auf robustere und ältere Spieler.
Magath – in Fachkreisen auch „Quälix“ genannt, nimmt die Spieler körperlich ran wie keiner zuvor. Falk ist schockiert: „Es war grausam. Nach den ersten sieben Tagen der Vorbereitung hatten wir noch keinen Ball gesehen. Wir haben schon morgens um sechs Uhr mit Stirnlampen auf dem Kopf unsere ersten Läufe gemacht und dann mussten wir unzählige Male die 300 Stufen des Leuchtturms auf Usedom hoch und wieder runter laufen.“ Magath ist knallhart – und hat Erfolg damit. „Wir spielten zwar keinen Fußball mehr, sondern arbeiteten auf dem Platz regelrecht. Ich persönlich konnte mir damals überhaupt nicht erklären, wie man mit solch einem Fußball Erfolg haben konnte. Aber wir hatten ihn.“
Falk bekommt in der gesamten Rückrunde noch genau zwei Einsätze: Am 31. Spieltag wird er gegen den HSV beim 3:0-Sieg für die letzten neun Minuten eingewechselt, eine Woche darauf beim 4:0 über den VfL Wolfsburg darf er für die letzten 12 Minuten ran. Das ist’s. Für Falk Frust pur. Und ein Grund, die Brocken hinzuschmeißen. Er verlässt die Eintracht wenige Tage vor Beginn der Spielzeit 2000/01 in Richtung Eintracht Braunschweig – in die drittklassige Regionalliga. „Ich kann es Magath nicht verdenken, er setzte im Abstiegskampf eben nicht auf Kreativspieler wie mich. Aber für mich war es damals der Genickbruch in Frankfurt.“ Zumal er sich von Magath auch menschlich schlecht behandelt fühlt: „Einmal ließ er mich in sein Trainerbüro kommen und dann saßen wir da. Er rührte in seiner Tasse Tee, schaute mich an und sagte nichts. Gefühlt fünf Minuten lang. Als ich dann gefragt habe, was denn jetzt los sein und worum es denn gehe, hat er nur geantwortet: ‚Hier bestimme ich, wann über was gesprochen wird‘.“
„Nein“, sagt Falk, mit Magath und ihm – das sei zum Scheitern verurteilt gewesen. Eine Einschätzung, die Ralf Weber durchaus teilt. „Magath und Falk, das passte wirklich nicht gut zusammen.“ Selbst Weber, der bei der Eintracht als einer der körperlich stärksten Dauerläufer bekannt war, erinnert sich mit Grausen an Magaths Trainingsumfänge. „Besonders schlimm war es nach Niederlagen. Dann mussten wir in der nächsten Trainingseinheit über jede Schmerzgrenze hinweg laufen, sprinten, heben und so weiter. Vielleicht gewannen wir damals samstags auch ein paar Spiele, weil wir schlicht Angst davor hatten, was der Trainer mit uns machen würde, wenn wir verlieren würden.“ An den jungen Patrick Falk kann er sich in diesen Wochen des Abstiegskampfes kaum erinnern: „Der war irgendwie weg vom Fenster. Kaum überraschend. Denn ihm fehlte sicherlich auch diese Spur Kampfgeist, um sich als eher laufschwächerer Spieler mit schwächerer körperlicher Konstitution bei diesem Drill behaupten zu können.“
Kurioserweise ist Falks Karriere in der Nationalmannschaft noch keineswegs zu Ende, obwohl er in Frankfurt nicht mehr spielt. Nach Wochen mit einem Stammplatz auf der Frankfurter Tribüne nominiert ihn U21-Trainer Hannes Löhr im November 1999 zu einem Länderspiel gegen Österreich. In Burghausen trifft Falk doppelt beim 3:0-Sieg – ohne jede Spielpraxis bei seinem Verein. Es soll indes eines seiner letzten Länderspiele sein. Im April 2000 gegen die U21 der Schweiz trägt Falk beim 3:0-Erfolg letztmalig den Adler auf der Brust.
In Braunschweig ist mittlerweile Reinhold Fanz Trainer und Falk sagt zu. Auch wenn es nur noch die Dritte Liga ist. „Drei Wochen nach meiner Unterschrift in Braunschweig war Felix Magath in Frankfurt weg. Hätte ich doch noch etwas gewartet“, sagt Falk heute, denn: „Es kam in Frankfurt Rolf Dohmen und der setzte voll auf die Jugend. Bei dem hätte ich mit Sicherheit wieder meine Spielzeiten bekommen.“
Doch nun ist Falk eben in Braunschweig, wo er mit der Eintracht tatsächlich den Aufstieg in die Zweite Liga schafft. Doch als sich der Klub in Sachen Vertragsverlängerung nicht rührt, wechselt Falk im Sommer 2001 zu Rot-Weiß Oberhausen. Er ist nun weit weg von Bundesliga und Nationalmannschaft und auch Zweitligist Oberhausen erweist sich wenig überraschend kaum als Karriere-Beschleuniger. Falk bleibt nicht lang und lässt sich im Sommer 2003 von Trainer Lars Schmidt überreden, in Offenbach anzuheuern. Es ist so etwas wie die Rückkehr in die Heimat. Zu der auch eine wichtige Veränderung in Falks Privatleben beiträgt: Falk ist verheiratet und Vater zweier Kinder. 2000 wird Tochter Michelle geboren. 2002 folgt die Geburt des Sohnes Enrique Luis, benannt nach dem Mittelfeld-Regisseur des FC Barcelona.
Dennoch müssen die niederklassigen Offenbacher einen Winkelzug anwenden, um ihren Wunschspieler auf den Bieberer Berg zu locken. Die Kickers stehen kurz vor einem DFB-Pokalspiel gegen Eintracht Frankfurt und Trainer Schmidt weiß ganz genau, wie er Patrick Falk für seine Mannschaft ködern kann. Er verspricht ihm für diese Partie eine Startelfgarantie, falls er dem Wechsel zustimme. „Da konnte ich gar nicht ablehnen“, sagt Falk. Er spielt am 1. September 2003 also für Drittligist Kickers Offenbach gegen seine geliebte Eintracht. Offenbach macht das Spiel, geht in der ersten Hälfte durch Michael Petry in Führung, Falk ist der überragende Mann auf dem Platz. Am Ende siegt Frankfurt nach Nico Frommers Ausgleichstreffer doch noch im Elfmeterschießen – doch der quasi aus der Versenkung wieder aufgetauchte Falk hat eine beeindruckende Vorstellung abgeliefert. „Es dürfte zumindest im Seniorenbereich das beste Spiel gewesen sein, was ich je gemacht habe“, sagt er heute. Allein: Es bleibt der letzte ganz große Auftritt des großen Talents Patrick Falk auf dem Fußballrasen. Denn: Falk ist nunmehr nicht nur in den Niederungen des deutschen Fußballs angekommen, es meldet sich auch sein Körper. Eine Zyste im rechten Knie macht ihm schon länger zu schaffen, die Beschwerden werden intensiver.
Falk fühlt: Das Ende rückt näher. Es folgt noch eine Station bei Sachsen Leipzig und zwei Amateurstationen in der Nähe Frankfurts, 2005 ist aber endgültig Schluss mit der Karriere. Falk hängt die Fußballschuhe an den Nagel – mit 25.
Vor allem mental fühlt er sich ausgelaugt. Das offizielle Ende einer niemals so richtig begonnenen Karriere fällt wie eine Last von den Schultern. „Ich war irgendwie leer. Und heilfroh, als ich auch offiziell für mich den Schlussstrich gezogen hatte. Das war dann schon befreiend“, sagt Falk. Und es steht der Übergang in ein „normales“ Leben an. Gar nicht so leicht. „Ich hatte gefühlt 30 Saison-Vorbereitungen hinter mir. Und ich war zweimal Training am Tag gewöhnt. Das alles war plötzlich weg. Plötzlich hatte mein Tag seine gewohnte Struktur verloren. Damit konnte ich erst einmal gar nicht umgehen.“
Zumal auch die Zukunftspläne wenig konkret sind. „Ich wollte eigentlich nur irgendwie dem Fußball verbunden bleiben“, sagt Falk. Naheliegend ist der Trainerjob, also absolviert Falk in der hessischen Sportschule Grünberg die ersten Trainerlizenzen. Er übernimmt den Hanauer Kreisoberligisten KG Wittgenborn – Amateurfußball. Die Gegner heißen Bieber und Altenmittlau, anstelle gut besetzter Stadien wartet der Hartplatz in der achten Liga. „Es hat mir riesigen Spaß gemacht, dort eine junge Mannschaft aufzubauen und die Jungs in ihrer Entwicklung zu begleiten“, sagt Falk. „Ich habe ja selbst erlebt, welche soziale Bedeutung der Fußball hat.“
Aber es ist eben nur Amateurfußball – verglichen mit Falks eigentlichen Ansprüchen erneut niederes Niveau. Zumal es ja nach wie vor eigentlich beste Kontakte in die höchsten Sphären des Profifußballs gibt. Seine guten Drähte nach Spanien ermöglichen ihm 2010 unter anderem eine Hospitation beim FC Barcelona. Dort – wohin er in der Jugend nicht wechseln durfte – kann er nun zumindest zehn Tage lang katalanische Fußball-Luft atmen und ausgerechnet bei zwei seiner Idole über die Schulter schauen.
Pep Guardiola und der damalige Nachwuchstrainer Luis Enrique haben ihn nicht vergessen und zeigen Falk eine gute Woche beim Training ihre Tricks und Arbeitsweise. Falk ist begeistert: „Von klein auf wird dort im Prinzip gleich trainiert und gespielt. Direktspiel, schnell und flach, keine hohen Bälle, Positionswechsel, hohes Tempo, Räume schaffen. In jeder Altersklasse wird so gespielt. Im Prinzip spielt Barça B genauso wie die erste Mannschaft, es ist die gleiche Spielidee. Da sieht man keinen großen Unterschied zwischen dem Training von Barça B und einem Spiel der ersten Mannschaft.“