Originaltitel: Galveias

© José Luís Peixoto, 2014

Nach Vereinbarung mit Literarische Agentur Mertin

Inh. Nicole Witt e.K., Frankfurt am Main, Deutschland

 

 

Funded by the Direção Geral do Livro, dos Arquivos e das Bibliotecas & Camões – Instituto da Cooperação e da Língua, IP

 

 

© 2021, Septime Verlag, Wien

Alle Rechte vorbehalten.

 

 

 

EPUB-Konvertierung: Esther Unterhofer

ISBN: 978-3-903061-83-5

 

Lektorat: Christie Jagenteufel

Cover: Jürgen Schütz

Coverfoto: © i.stock

 

Printversion: Hardcover, Schutzumschlag, Lesebändchen

ISBN: 978-3-99120-000-0

 

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José Luís Peixoto

JOSÉ LUÍS PEIXOTO (geboren 1974) studierte Moderne Sprachen und Literaturen (Englisch und Deutsch) an der Universidade Nova de Lisboa. Er ist Autor von Romanen, Gedichten, Theaterstücken sowie von Reiseliteratur und Kolumnen. Für seine Werke erhielt der portugiesische Autor zahlreiche Auszeichnungen wie den Literaturpreis »José Saramago«. Seine Romane wurden in mehrere Sprachen übersetzt. Mit Das Haus im Dunkel (Septime, 2015) und Der Friedhof der Klaviere (Septime, 2017) er- schienen bereits zwei seiner Werke auf Deutsch.

 

Klappentext:

In einer eisigen Januarnacht rast ein geheimnisvoller Himmelskörper aus dem Universum zielsicher auf Galveias zu, schlägt mit ohrenbetäubendem Krach am Ortsrand ein und verbreitet von da an einen widerlich beißenden Schwefelgestank, der über allem hängt und in alles eindringt. Die Bewohner des portugiesischen Dorfes werden brutal aus dem Schlaf gerissen, in Angst und Schrecken versetzt. Ohne eine Erklärung für dieses »Ding ohne Namen« zu finden, klagen sie fortan über dieses bittere Ungemach, nehmen es jedoch stoisch hin.
Peixotos Milieuschilderung erzählt vom Zerwürfnis zwischen zwei Brüdern wegen eines Stückchens Land, der Ältere beseelt von romantischen Gefühlen für seine um viele Jahre jüngere Haushälterin, Mutter des Jungen, der irrtümlich die Prostituierte Isabella tötet, erzählt von halsbrecherischen Rennen mopedbesessener Jugendlicher, mit zum Teil tragischen Konsequenzen, oder von einem Pfarrer, der ständig seine Nöte im Wein versenkt. Aus der erbitterten Rache einer betrogenen Ehefrau an ihrer Nebenbuhlerin entsteht plötzlich Leidenschaft füreinander, und ein ältlicher Casanova, dessen Frau in der Schreckensnacht ihr Gehör einbüßt, macht sich an ein williges Nachbarmädchen heran und ergötzt sich als Spanner an der ortsfremden, ambitionierten Junglehrerin. Und der Briefträger von Galveias reist nach Bissau, um wie jedes Jahr seine dortige, in der Heimat geheim gehaltene Familie zu besuchen: die dunkelhäutige Alice und die vier Kinder. Über allem Ortsgeschehen steht der Großgrundbesitzer, Herr über weite Korkwälder und Arzt, Doktor Matta Figueira.
Doch plötzlich geschieht etwas völlig Unerwartetes, das die Alltagsquerelen in den Schatten stellt. 

 

José Luís Peixoto

GALVEIAS

 

Roman | Septime Verlag

 

Aus dem Portugiesischen von Ilse Dick

 

 

 

 

Galveias und alle Planeten

existierten zur selben Zeit,

bewahrten jedoch

ihre wesentlichen Unterschiede,

vermischten sich nicht:

Galveias war Galveias,

der Rest des Universums

war der Rest des Universums.

 


Sag, wessen Sohn bist du?

Ich bin der Sohn von Peixoto aus dem Sägewerk

und von Alzira Pulguinhas.

 

 

»Es regnete Feuer und Schwefel vom Himmel,

und alle kamen darin um.«

Lk 17,29

 

 

 

 

 

Januar 1984

 

 

 

 

 

Unter all den möglichen Orten geschah es genau an dieser Stelle. Der Abend war fortgeschritten, mondlos, nur eiskalte Sterne durchbohrten das Dunkel des Himmels, von hinten aufgespießt. Galveias sank langsam in Schlaf, die Gedanken verflüchtigten sich. Es war ein frostiges Dunkel. Die Laternen entlang den verlassenen Straßen verströmten Kegel von gelbem Licht, ein mattes, diffuses Licht. Minuten vergingen, und beinahe hätte Stille geherrscht, doch die Hunde ließen es nicht zu. Sie bellten abwechselnd von einem Ende des Dorfes zum anderen. Junge Hunde, allein gelassen in Hinterhöfen, stießen ihr Gebell aus, das in Winseln endete; und räudige Straßenköter, dem Tode nahe, drückten sich draußen an eine Mauer und hoben ihren Schädel nur, um schwach, in einem letzten Aufbegehren, die Nacht zu beklagen. Hätte jemand ihre Zwiesprache verfolgt, vielleicht beim Einschlafen zwischen flanellenen Laken, hätte er die größeren von den kleineren Hunden unterscheiden können, die scheuen, reizbaren Hunde mit ihrer durchdringend gellenden Stimme von den Tieren, schwer wie Ochsen, mit ihrer tiefen gutturalen Stimme. Und weit weg ein Hund, der ohne Hast bellte, der Klang seiner Rede durch die Entfernung verändert, unsichtbar erodiert; und einer ganz nah, viel zu nah, dessen Rage einen aus dem Schlaf schrecken konnte; dann wieder einer an einem Ende des Dorfes, und ein anderer an einem anderen und wieder ein anderer an einem anderen, Hunde ohne Ende, als zeichneten sie einen Ortsplan von Galveias und sorgten gleichzeitig für die Fortsetzung des Lebens und böten so die Sicherheit, die man braucht, um einschlafen zu können.

Von dort oben, vom Hügel der Kapelle São Saturnino aus, war Galveias wie die Glut eines erlöschenden Feuers, von Asche bedeckt, aber beharrlich. Ebenso beharrlich wie die Glut eines Feuers stießen einige Schornsteine senkrecht aufsteigende Rauchfäden aus: Menschen, noch wach, die mit Gesprächen oder ihrem Grübeln in den Feuerresten stocherten. Die Häuser aber drückten sich in dieser Nacht, einer Januarnacht, in den Boden, wurden ein Teil von ihm. Von dunklen Feldern, von der Welt umgeben, klammerte sich Galveias an die Erde.

Im Weltenraum, in der Einsamkeit abertausender Kilometer, wo es immer Nacht zu sein schien, machte sich das Ding ohne Namen mit ungeheurer Geschwindigkeit auf den Weg. Immer geradeaus. Planeten, Sterne und Kometen schienen die klare Entschlossenheit, mit der es sich vorwärtsbewegte, zu beobachten. Eine stumme Versammlung von Himmelskörpern, die sehend, aber stillschweigend darüber befand. Dieser Eindruck war zumindest denkbar, denn das Ding ohne Namen durchquerte den Weltenraum indifferent und unbeteiligt, mit solch einer Geschwindigkeit, dass sämtliche Gestirne im Vergleich dazu reglos und starr wirkten, ein klares und friedliches Bild boten. Sogar das Universum selbst, das es abgestoßen, ihm Kraft und Richtung eingeflößt hatte, hielt inne und verfolgte seinen Kurs. Es gab den Punkt, von dem aus es aufgebrochen war, doch mit jeder Sekunde zerstörte es die Erinnerung an diesen Ort ein wenig mehr. Die Folge der Augenblicke bildete einen natürlichen Ablauf, frei von Erklärungen. Vergangenheit hin, Zukunft her, die aus nichts als diesem klaren Streben bestehende Gegenwart bestimmte die Realität. Und nicht einmal die Gewalt, mit der sich das Ding ohne Namen seine Bahn brach, vermochte der Ruhe seiner Passage etwas anzuhaben, fern von allem und doch in eine kosmische Ordnung eingebunden, so einfach wie atmen.

Von einem geheimen Alarm gewarnt, verstummten die Hunde in einem schier endlosen Augenblick. Der Rauch der Schornsteine erlahmte, und wo er weiter aufstieg, tat er dies in einer unbeirrten Linie, ohne sich aus der Ruhe bringen zu lassen. Sogar der Wind, der nur so leise spielte, um die Dinge zu glätten, schien sich zurückzunehmen. Die Stille war so vollkommen, dass sie das Tun und Treiben der Welt aussetzte. Als würde die Zeit die Luft anhalten, teilten Galveias und der Weltenraum dieselbe Regungslosigkeit.

Und sogar die, die allein zu Hause waren, mit schweren Lidern oder in die letzten Handgriffe des Tages verzettelt: den Emailbecher in den Schrank stellend, den Finger ausstreckend, um den Fernseher abzuschalten, die Stiefel ausziehend, sie alle verharrten in ihrer momentanen Position, sie alle hielten in ihrer Tätigkeit inne. Sogar der Mond, wo auch immer er sich befand, war in dieser Nacht unsichtbar. Sogar der Vorplatz der Kirche hoch oben am Hügel, mit Blick auf den Ortsteil Deveza, reglos wie die Straße nach Avis. Und das Land ringsum, bewaldetes Dunkel, das sich bis Aldeia de Santa Margarida erstreckte, ebenso reglos. Sogar der Dorfplatz. Sogar der São-Pedro-Park und die Straße nach Ponte de Sor, die gerade Strecke über das Ortsschild hinaus. Sogar die Rua de São João. Sogar das Landgut Torre und der Stausee Fonte da Moura, bis zum Vale das Mós und zum Gehöft Cabeça do Coelho, dem Hasenkopf.

Galveias und alle Planeten existierten zur selben Zeit, bewahrten jedoch ihre wesentlichen Unterschiede, vermischten sich nicht: Galveias war Galveias, der Rest des Universums war der Rest des Universums.

Und die Zeit schritt voran. Alles geschah plötzlich und schnell. Gleich einem Schrei setzte das Ding ohne Namen mit derselben ungeheuren Geschwindigkeit seinen Weg fort. Als es in die Erdatmosphäre eintrat, hatte es schon nicht mehr den ganzen Planeten zur Verfügung, hatte nur diesen bestimmten Punkt.

 

Eine ganze Minute lang wurde Galveias von einer Folge ständiger Explosionen erschüttert, ohne die kleinste Unterbrechung, ohne Ruhepause. Vielleicht war es aber auch eine einzige Explosion, eine lange, die eine ganze Minute dauerte. Ob eine Explosion oder viele Explosionen, es war wie ein Stock, der sich in die Brust bohrte, ein einminütiger Schrecken, Sekunde für Sekunde für Sekunde. Es war, als würde sich die Erde in der Mitte teilen, als würde sich der ganze Planet teilen: ein Fels in der Größe dieses Planeten, hart und dunkel, Basalt, der sich teilt. Oder vielleicht war es der Himmel, aus ebendiesem Fels gemacht, der sich in zwei massive, jedoch unwiderruflich getrennte Teile spaltete. Vielleicht hatte dieser Himmel, so oft für sicher gehalten, schon immer auf diesen Augenblick gewartet. Vielleicht brachte das Bersten des Jenseits die Lösung für offene Fragen.

Die Vitrine in Chico Franciscos Café zersprang in eine Ladung Teilchen, kleiner als ein Fingernagel. Es war dickes Glas, viele Jahre alt. Einer der anwesenden Männer, Barrete, sagte, er habe gesehen, wie die Vitrine in ihrer Mitte einen Ball geformt hatte, gleich einem Fußball, erst dann sei sie geborsten und in alle Richtungen geflogen. Man kann sich den Krach bei so etwas vorstellen, aber es ist nicht sicher, dass es genau so gewesen ist. Die Vitrine war durchsichtig und viele bezweifelten, dass zu dieser nächtlichen Stunde irgendjemand einen Ball hätte erkennen können. Abgesehen davon war Barrete dem Weißwein und dem Rotwein, jedem Tropfen welcher Farbe auch immer, sehr zugetan, und die Vitrine in Form eines Balls hörte sich eher nach einer Mär an. Barrete war beleidigt, wenn ihm jemand nicht glaubte, und als Beweis diente ihm eine tiefe, frische Wunde, die er mit den Fingerspitzen auseinanderzog, um sie herzuzeigen. Sie stammte von einer Glasscherbe, die sich ihm in den Unterarm gebohrt hatte. Er habe sich nur rechtzeitig retten können, da er eben auf die Vitrine gesehen hatte, als sie zersplitterte. Die Glasscherbe sei direkt auf sein Auge zugekommen, sagte er.

João Paulo wieder schien Gefallen daran zu finden, auf das eiserne Tor zu zeigen. Wie immer, wenn er von Mopeds und Mopedteilen umgeben war, leuchteten seine Augen. Wenn es ihm angebracht erschien, putzte er seine Hände an einem ausgedienten Scheuerlappen ab und erzählte, er habe gerade an Funestos Moped herumgewerkt, als alles begann. Er stimmte zu, dass es nach dem Ende der Welt ausgesehen habe, versicherte jedoch, sich an keine Angst zu erinnern. Er dachte, es seien ein paar Leute aus Ervideira gekommen, aufgebracht über ein paar Kunststückchen, die er vor dem Eingang des Ballsaals in Longomel oder Tramaga gemacht hatte, er konnte sich nicht mehr genau erinnern. Er glaubte, drei oder vier dieser Kerle würden dem Werkstatttor Fußtritte verpassen. Sie waren also gekommen, um ihre Drohung wahrzumachen. Er setzte einen Helm auf, packte einen größeren Franzosen und ging auf das Tor zu. Als er es öffnete, knallte es ihm mit voller Wucht gegen die Zähne, er flog durch die Luft und schlug schließlich rücklings auf dem Beton auf. An dieser Stelle seines Berichts lachte er am lautesten. Er bog sich vor Lachen und nötigte seine Zuhörer ebenfalls zum Lachen. Mit aufgerissenen Augen lachten sie aus Höflichkeit. Nur sein Lachen war echt.

Das war das lockere Gerede ein paar Tage danach. In der langen Minute, als es geschah, wechselten die Menschen die Farbe. Während der Apokalypse ist niemandem nach Scherzen zumute. Überzeugt vom Ernst der Lage, lauschte Sem Medo, der Furchtlose, den Beschreibungen der Männer auf dem Dorfplatz, zuckte mit den Achseln und wunderte sich im Stillen. Als seine Frau von den Nachbarinnen dieselben Geschichten hörte, riss sie die Augen auf, hielt sich mit den kleinen Fingern die Ohren zu und schwieg ebenfalls. Zum Zeitpunkt des Geschehens befanden sich die beiden nackt in ihrem Bett und dachten an etwas anderes. Ohne es zu wissen, nahmen sie einen schnelleren Rhythmus als die Wände um sie herum auf. Schon als sie in unsicherem Takt begannen, und danach, als sie in gleichförmigem Tempo, wie ein Zug, weitermachten, und selbst dann, als sie sich mit schnellen Stößen auf das Ende zubewegten, die beiden Körpermitten konkav aufeinanderschlugen, tok, tok, tok, steuerten sie bereits den Höhepunkt an. In vollkommener zeitlicher Übereinstimmung empfingen Sem Medo und seine Frau eine Welle von Genuss und Glückseligkeit, die sie eine ganze Minute lang wegschwemmte und die, Sekunde für Sekunde, mit der Explosion, die man in Galveias spürte, zusammenfiel. Als Sem Medo von seiner Frau stieg, waren die beiden im Gegensatz zu allen anderen von tiefer Befriedigung erfüllt.

 

Viele dachten, es sei das Ende der Welt, vor allem Pater Daniel, der mit einem Katzenjammer aufwachte, das Gesicht platt auf dem Küchentisch, mit harten Brotkrümeln gesprenkelt.

Gleich einem mörderischen Signalhorn überdeckte die Explosion zur Gänze die Schreie. Den meisten Bewohnern von Galveias war ein so schrecklicher Krach unbekannt, sie hatten ihn nicht einmal für möglich gehalten. Instinktiv schrien einige die ganze Minute lang. Unbewusst kam ihnen vor, sie würden Herr der Lage bleiben, wenn sie ihre eigene Stimme hörten. Zugleich war dies auch ein Zeichen dafür, am Leben zu sein. Doch allem Kraftaufwand der Kehle zum Trotz, konnten sie sich selbst nicht hören. Sie rissen den Mund auf, schrien und obwohl sie die Stimme vibrieren, das Blut in den Schläfen pochen, die Augen beinahe aus den Höhlen treten spürten, hörten sie nichts.

Als der Krach aufhörte, herrschte eine beharrliche Stille, ein Kreischen im Ohr. Nun hätten sie schreien können, aber es war schon nicht mehr an der Zeit zu schreien, nun galt es zu atmen. So liefen alle hinaus auf die Straße, Alte, Kinder, Frauen, unrasierte Männer.

Die Luft war von dichtem Schwefeldampf erfüllt. Als hätte die Nacht selbst diese Konsistenz, als würde der stechende Geruch ihr Farbe verleihen. Unter dieser Giftwolke konnten die Bewohner von Galveias nicht ihre Lungen füllen, aber sie genossen, im Schlafanzug, im Hausgewand, nur halb bekleidet, die Kälte, sie tat ihnen gut auf der Haut. Sie hatten überlebt.

Mitten in der Nacht sämtliche Haustüren des Dorfes offen, überall Licht, die Gassen voller Frauen im Nachthemd, Männer in langer Unterhose, froh, einander zu sehen. Beunruhigt und bekümmert, aber auch sogleich erleichtert, diese schwere Stunde miteinander zu teilen. Es gab sogar Leute, die schon dort ein fröhliches Gesicht aufsetzten.

Niemand hatte eine Erklärung. In ganz Galveias, von Queimado bis Amendoeira, in Deveza, am Alto da Praça und am Brunnen, waren die Straßen voller Menschen, die ihrem Schrecken Luft machten. Vom Krach und Gestank traumatisiert, redeten sie ohne Unterlass. Redeten ohne Sinn und Verstand, ließen jedoch keine Gelegenheit dazu aus. Zu jener Stunde im Januar, schon weit nach Mitternacht, waren die Straßen voller Menschen, die redeten. Alle wollten etwas sagen. Auch wenn sie zuzuhören schienen, waren sie nicht wirklich aufmerksam, sondern warteten nur, bis sie an der Reihe waren, warteten auf eine kleine Lücke, um sich einzumischen mit dem, was sie zu sagen hatten. Sogar die Kinder, von den Erwachsenen nicht beachtet, suchten einander und machten große Augen.

In all dem Geheimnis, in all dem Dunkel, schnupperten die Hunde aneinander, schlapp, bekümmert, mit hängenden Ohren, als würden sie versuchen, einander über eine unendliche Traurigkeit hinwegzutrösten.

 

An der Fassade des Hauses von Doktor Matta Figueira, in der Rua da Fonte Velha, war die Petroleumlampe zu Boden gefallen. Der Hals gebrochen, der Kopf abgestürzt, war sie nichts mehr wert. Als Lieblingslampe hing sie seit ewigen Zeiten, als noch Abend für Abend der Docht angezündet wurde, an dieser Wand. Und ja, Doktor Matta Figueira selbst war auf der Straße, zwei Schritte vor seiner Tür, auch seine Frau war da, und auch sein Sohn Pedro, der junge Herr, Menino Pedro genannt, und auch die Schwiegertochter und der Enkel waren da. Als hätten sie für ein Foto Aufstellung genommen. Obwohl sie wie alle anderen unerwartet aus dem Schlaf gerissen worden waren, standen sie geschniegelt und gebügelt da. Solch eine Förmlichkeit steckte die Nachbarn an. Sogar Acúrcio und seine Frau von gegenüber, in ihrer Alltagskleidung, in der sie in der Taverne bedienten, mit Rotweinflecken, nahmen Haltung an, doch ohne Überzeugung. Der Wachtmeister, der vom Dorfplatz kam, ging auf Doktor Matta Figueira zu.

Er erstattete förmlich Bericht, hatte aber keine gesicherten Erklärungen. Mit gesenktem Blick beklagte er das Ereignis und bat den Doktor um Vergebung, als würde er selbst die Verantwortung dafür tragen. Der Doktor vergab ihm nicht gleich. So leicht konnte er einen Ärger dieses Ausmaßes nicht vergessen. Wie man sehen konnte, war seine Familie stark davon betroffen. Und da war ja auch noch die Petroleumlampe.

Der Schwefelgestank verschrumpelte die Gesichter aller Menschen. Auch die der älteren Dorfbewohner, die alle mit Ti für Tante oder Onkel angesprochen wurden. Ti Adelina Tamanco, die auf der steinernen Hausbank saß, flüsterte nur, es sei eine ausgewachsene Hexerei gewesen. Sie wollte nicht, dass man sie hörte, denn eine deutliche Stimme würde die Hexerei neuerlich heraufbeschwören, wie sie wusste, und es war ja offensichtlich, es handelte sich hier um ein hässliches, schreckliches Werk, das sich niemand wünschte, Gott bewahre. Joaquim Janeiro sagte, das sei Krieg, die Amerikaner, eine Bande von Hurensöhnen. Jeder sagte, wonach ihm gerade war, selbst ohne einen Begriff davon zu haben. Ti Inácia, im Haus des Priors untergebracht, vertrat die Meinung, es sei der Heilige Geist gewesen. Das behauptete sie steif und fest und blickte dabei Pater Daniel Unterstützung heischend an, der aber tat so, als würde er sie nicht hören, und er war der Erste, der sich über die Kälte beklagte. Es war tatsächlich sehr frisch. In verfleckter langer Unterhose stellte Bartolomeu vor seinem Laden die Vermutung auf, es sei ein Donnerwetter gewesen. Für ihn habe es sich um eine Art Unwetter, einen Trommelwirbel mit Blitz und Donner gehandelt. Ein Erdbeben? Auch davon sprach man an der Ladentür, aber das war keine Sekunde lang glaubwürdig, denn wäre es ein Erdbeben gewesen, hätte der Boden geschwankt. Gewissheiten gab es kaum, sie mussten mit spitzen Fingern gesucht werden. Ti Silvana zog Aida, von allen Menina Aida genannt, an ihrer Haustür zu sich heran und erklärte, sie wisse, woher all das käme. Als diese bereit war, ihr zuzuhören, sagte sie nach einer erwartungsvollen Pause, es wären die Bauarbeiten an der Metro. Als die Tochter im Sommer in den Ferien bei ihr gewesen war, hatte sie erzählt, dass in England ganz in ihrer Nähe die Metro gebaut wurde und sie seither keine Ruhe hatte, es sei dasselbe Ärgernis gewesen wie dieses hier. Menina Aida blickte sie eine Weile sehr ernst an und zuckte dann mit den Achseln. Ja, vielleicht baute man eine Metro, es könnte ja sein.

Die alten Frauen mit Umhangtuch auf dem Kopf, das nur die Augen und ein wenig Stirn freiließ, waren die Ersten, die sich zurückzogen. Die Kälte siegte über diese winterliche, bitterböse halbe Stunde. Als die Menschen schließlich das Gesagte immer wieder aufwärmten, wurden sie ihre kalten Ohren, ihre kalten Füße, die Flut an Kälte, die unter ihre Kleidung kroch und sich sogar an ihren geschütztesten Falten rieb, gewahr. Die Kinder waren nicht nach Hause zu bringen. Sie waren drauf und dran, den Rest der Nacht dortzubleiben. Die Frauen von der Bar wollten die Situation ausnutzen, um Kunden zu verführen, sie versprachen Gratisgetränke und ein paar Gefälligkeiten ohne Verpflichtung. Ohne zu wissen, wohin er sich wenden sollte, ging Miau hinter ihnen her, mit heraushängender Zunge und für sich allein lachend. Wer sich am meisten ein Lächeln abmühte, war Isabella, eine Brasilianerin im Top und mit einem Mehlflecken auf der rechten Hinterbacke ihrer Lycrahose. Sie erinnerte an die Brasilianerinnen in den Telenovelas, sie hatte jedoch kein Glück. Viele beobachteten, ob jemand es wagte, der Einladung zu folgen. Abgesehen davon hatten die Leute wenig Geld. Und abgesehen davon war es wenig wahrscheinlich, dass jemand Lust hatte. Miaus Mutter kam, um ihren Sohn zu suchen, und es gelang ihr, ihn mitzunehmen. Als Letzter jedoch ging Catarino nach Hause. Als die Nachbarn die Türen schlossen, holte er sein Moped aus der Garage. Die Großmutter versuchte ihn abzuhalten: »Nuno Filipe, geh schlafen, Junge.«

Doch sie engagierte sich nicht wirklich, denn sie wusste, dass es nichts nutzte. Catarino fuhr langsam durch sämtliche Straßen und Gassen des Dorfes, traf aber schon niemanden mehr an.

 

Auf dem Weg zur Schule rieben sich die Burschen unentwegt die verklebten Augen und verzogen die Nase. Sie waren verschlafen und verdrossen über den Morgen, Grau in Grau und ohne Rücksicht auf ihre schlechte Laune. Im Klassenzimmer scharten sie sich um den Gasofen, die Lehrerin erlaubte es ihnen, und sie ließen ihren Theorien freien Lauf. Selber nicht von dort, war die Lehrerin verblüfft, was in den Köpfen der Burschen vorging, und sie schickte sie an diesem Morgen früher in die Pause, dachte, sie müssten sich austoben.

Schon bei Tagesanbruch suchten die Männer und Frauen oben in der Rua de São João Halt am Traktoranhänger und kletterten flink hinauf. Sie fuhren hinaus aufs Feld, ohne großes Gerede, ernst, auf Strohballen sitzend und je nach Straßenlöchern hin und her schaukelnd. Und wäre nicht der aschfahle Schwefelgeruch gewesen, hätten sie beinahe daran gezweifelt, dass die vergangene Nacht stattgefunden hat.

Die alten Frauen, verwitwet oder nicht, kamen mit ihrem Reisigbesen vor die Haustür. Mit dem Hinterteil nach oben, begannen sie zu kehren. Nach einer Weile hoben sie den Kopf und blickten um sich, um nachzusehen, ob es etwas Neues gab. Diese Ungewissheit dauerte bis mitten in den Vormittag hinein.

Die Glocken des Kirchturms schlugen zehn. Sie erklangen in perfekter Harmonie, als Cebolo mit dem Moped im Dorf einfuhr. Es war ein lahmer Motor, der wie ein Käfer brummte, an den Steigungen scheiterte, wackelig, als würde er gleich absterben.

Den Helm trug er zwar auf dem Kopf, die Riemen hingen jedoch lose herunter. Seine Augen waren weit geöffnet, eines mehr als das andere. Wer ihn so wild entschlossen sah, hegte schlimme Befürchtungen. Als er auf dem Dorfplatz anhielt und das Moped abstellte, blickten alle Männer an der Tür von Chico Franciscos Café nur auf ihn. Langsam kam er näher, ließ ein Weilchen verstreichen und dann gab er ihnen die Nachricht.

Es stank nach einer Mischung aus Schwefel und böckelndem Schaffleisch.

Sie gerieten außer sich. Zwei von ihnen schnappten sich sogleich ihr Moped und fuhren zusammen los. Die anderen verstreuten sich: Einer fuhr die Straße des Vereins, ein anderer die Rua da Fonte Velha hinunter, ein weiterer in Richtung Alto da Praça und einer zur Rua de São Pedro. Cebolo rührte sich kaum von der Stelle. Die Vitrine in Chico Franciscos Café war mit einer alten Sperrholzplatte vernagelt. Dieser Hintergrund verlieh Cebolos Blick noch mehr Schwere.

Die Nachricht verbreitete sich vom Dorfplatz aus wie ein Lauffeuer, oder wie Regenwasser, das das Land überflutet, oder wie eine Todesnachricht, oder wie ausgelaufene Farbe aus einer Dose.

Als Cebolo, die Launen seines Mopeds in Kauf nehmend, wieder aufs Land hinausfuhr, kam er an Menschengruppen vorbei, die zu Fuß oder mit dem Fahrrad unterwegs waren. Er wurde von potenteren Mopeds überholt, und als er fast vor Ort war, von Doktor Matta Figueiras Auto.

Nachdem sich die Staubwolke verflüchtigt hatte, musste Cebolo das Moped anhalten, um glauben zu können, was er vor Augen hatte. Dutzende, vielleicht Hunderte von Menschen füllten das Gelände rund um das Gehöft Cortiço, überquerten es mit großen Schritten. Das hohe Gras gab leicht nach, als sie auf den Krater zugingen. Viele umringten ihn schon.

Cebolos Ziegen, die sich im Stich gelassen fühlten, wunderten sich über den Massenauflauf, sie hoben angstvoll den Blick, die Ärmsten, und hätte jemand eine brüskere Bewegung gemacht, hätten sie, aufgeschreckt, womöglich einen Fluchtversuch unternommen, aber sie rührten sich nicht von der Stelle.

 

Das Gelände zeigte einen runden und vorher nicht dagewesenen Krater: einen Kreis mit einem Durchmesser von gut zehn Metern. Als hätte ein riesiger Hammer eine Scheibe in einen Meter Tiefe versenkt. In der Mitte stellte sich das Ding ohne Namen bewegungslos, selbstgefällig, zur Schau. Diejenigen, die mit der Absicht, sich zu nähern, hinunterstiegen, hielten die Hitze nicht aus. Sogar in gebührender Entfernung verbreitete das Ding ohne Namen eine Gluthitze, die die Wangen rötete und den Mund austrocknete. Der Schwefelgestank nahm einem den Atem. Viele hielten sich ein Taschentuch oder die Hand vor den Mund. Niemand hatte je zuvor Vergleichbares gesehen. Von einigen seiner Söhne umgeben, war auch Cabeça verblüfft zugegen.

»Vielleicht ist es ein Stück Sonne«, sagte er.

Natürlich war es das nicht. Die Worte rutschten ihm heraus und er wusste, dass es das nicht war. Er äußerte diese Vermutung vor allem als Ausdruck außerirdischen Erstaunens, das hier zu spüren war. Nur wenige Leute wagten Mutmaßungen. Doktor Matta Figueira in Anzug, Weste und Krawatte, begleitet von Edmundo in Gärtnerkluft und Gummistiefeln, teilte diese stille Zurückhaltung.

Das Ding ohne Namen hatte in den Feldern, die zum Gehöft Cortiço gehörten, eingeschlagen. Die Älteren erinnerten sich, dass dort schon alles Mögliche angebaut worden war. Nun war es mit grüner Weide bedeckt, üppig, eine wahre Freude.

Der Weg ist nicht weit: Geht man vom Dorf zum Landgut Torre, kommt man am Fußballplatz vorbei und findet dann nach dem Gehöft Assomada, noch bevor man das Landgut Torre erreicht, zur Linken das Gehöft Cortiço. Auf der anderen Straßenseite liegt der Ackerstreifen von Caeiro.

Auf diesen Ackerstreifen hatten sich die Spatzen geflüchtet. Hin und wieder, da und dort, flogen sie auf, mit einem Rascheln der Federn. Als wollten sie sich von sich selbst befreien, hielten sie zwei oder drei Sekunden lang umherirrend durch und fielen dann gleich wieder zu Boden, von der Angst besiegt. Es waren Spatzen, die nie zuvor solch einen Auflauf gesehen hatten.

Die Bewohner von Galveias erschienen in Schüben. Sie näherten sich dem Krater, schätzten die Form des Dings ohne Namen ab, nahmen die Hitze und den Gestank wahr, ergründeten jedoch nicht das Geheimnis.

Viele überquerten die Felder, gingen hin und her. Andere versammelten sich unter den Korkeichen. Zuweilen versuchte jemand, unbemerkt einen Hund dazu zu bringen, sich dem Krater zu nähern, versuchte ihn zu stoßen oder zu ziehen. Es gelang nicht und schließlich gab man auf. Die Hunde hatten stets einen stärkeren Willen. Sie wären imstande gewesen, sich gegen ihren Herrn zu richten, es wurde aber nicht nötig.

Im Lauf des Tages zog eine Prozession von Witwen jeden Alters vom Dorf zum Gehöft Cortiço, Burschen rasten, ohne zu bremsen, mit Vollgas, auf Mopeds dorthin, Knirpse sprangen heimlich auf Maultierkarren auf, und angeschirrte Esel trugen Alte mit schwachen Beinen und schwankenden Hüften.

An diesem Abend aßen die Bewohner von Galveias Bohnensuppe mit Kohl. Danach führten sie sich noch ein Stück Obst zu Gemüte und hingen ihren Gedanken nach. Natürlich mit Ausnahme derer, die etwas anderes zu Abend aßen, die kein Obst zu Hause hatten oder zu tief in eine Arbeit versunken waren, um sich mit Gedanken abzugeben. Die einen gingen früher zu Bett, die anderen später.

Die Nacht verstrich. Es dämmerte der Morgen und dann wurde es bald Tag. Für viele war das Aufwachen eine Erleichterung. Nicht für Ti Ramiro Chapa, der beim Morgenläuten in der Erste-Hilfe-Station verstorben war.

 

Das Ding ohne Namen blieb mutterseelenallein auf dem Feld von Cortiço liegen, inmitten des Kraters. Im Lauf dieses Tages, es war ein Freitag, kam niemand, um es zu inspizieren. Die Totenglocke, die am Nachmittag wiederholt läutete, schlug denen, die in momentaner Gefühllosigkeit mit dem Gedanken gespielt hatten, diese Idee aus dem Kopf.

Aber auch in der Kapelle São Pedro sprach man darüber. Die Männer draußen, wobei sie einer Kälte standhielten, die durch Walkjacken mit Fuchsfellkragen kroch, die Frauen drinnen, rund um den Verstorbenen, in Wolldecken gehüllt, die sie nicht wärmten, benebelt vom Schwefelgestank, der sich dort mit schwindelerregender Stärke niederschlug.

Es war, als hätte sich der arme Mann, der so lange in der Erste-Hilfe-Station ausgeharrt hatte, in einen Block Schwefel verwandelt.

Erst am nächsten Morgen, nach dem Begräbnis, kamen neue Besucher. Ohne zu wissen, wie man mit dem Ding ohne Namen umgehen sollte, ohne es zu begreifen, ergötzte sich, wer nichts Besseres zu tun und eine weniger empfindliche Nase hatte, daran, es zu betrachten. Nun ganz Forscher, erkannten sie, dass sie sich nähern konnten. Der Schwefelgestank stieg die Nasenlöcher wie spitze Nägel hoch, doch die Hitze linderte die Kälte dieser Stunde. Es waren um die zehn Männer, die ihre Hände an einem Stein wärmten.

Genau in diesem Augenblick fiel der erste Tropfen.

Gleich danach ein Jahrhundertregen. Der ganze Himmel regnete.

Ohne Pause, ohne jegliche Unterbrechung, schüttete es mit derselben Wollust in Strömen, eine ganze Woche lang, sieben Tage hintereinander. Tag und Nacht.

Und alle vergaßen das Ding ohne Namen, nur nicht die Hunde.

 

 

 

Trotz des Helms verursachten ihm die Schüsse Ohrensausen. Er hielt das Moped an und bat Armindo Cabeça, die Jagdflinte zu senken, aber wie sollte der Junge dann zielen können? Er konnte nicht. Er schoss ein paarmal, den Kolben an den Bauch gedrückt, doch abgesehen von der Verschwendung von Patronen war es auch gefährlich, Irrläufer an Bleikugeln hätten an irgendetwas Unsichtbarem abprallen können, an einem Schatten oder an der Nacht selbst. Das Risiko, eine Bleiladung abzubekommen, beunruhigte ihn nicht, doch der Preis war ärgerlich. Für eine Packung mit fünfundzwanzig Patronen würde man eine Platte Hühnerklein und ein halbes Dutzend Gläser Bier in Acúrcios Bar bekommen. Die betrat Catarino nur für derartige Häppchen. Wenn es passte, ging er an so manchem Nachmittag an der Theke vorüber hinaus in Acúrcios Hinterhof. Eine alte Tür auf Böcken diente als Tisch für unverschämt gute, von Acúrcios Frau zubereitete Festmahle. Brach dann der Abend an, wurde die Batterie von leeren Flaschen nicht weniger. Hätte Acúrcio nicht hin und wieder umsichtig das Leergut eingesammelt, hätte es wohl den ganzen Tisch bedeckt.

Natürlich war es Catarino, der die Patronen bezahlte. Er stellte auch die Jagdflinte bereit: ein Mädchen mit zwei Läufen und gutem Gewicht, vom Vater gekauft. In seinen Jugendjahren hatte er sich gefragt, weshalb der Vater eine Flinte haben wollte. Er hatte nie gesehen, dass er sie benutzte oder mit ihr hantierte. Der Vater war nach Frankreich gegangen und kam nie zur Jagdzeit nach Hause. Diese Zwiespältigkeit bereitete ihm ein beharrliches, trockenes Unbehagen, da es zeigte, wie wenig sie einander kannten. Für den Gebrauch der Waffe sorgte er schon allein, um sich mit dieser Frage nicht mehr im Kreis zu drehen.

Das Abendessen war bereits vorüber, als er in der Straße der Cabeças ankam. Ohne vom Moped abzusteigen, klopfte er an die Tür und wartete nicht lange, bis ihm eine Schar ernster, stummer, schlecht gekleideter und schlecht gewaschener Knirpse, die ihn mit schüchterner Neugier ansahen, öffneten. Der Fernseher lief stets in voller Lautstärke. Mutter Cabeça streckte sich, um ihn zu sehen, und sagte: »Ana Rosa, hol deinen Bruder Armindo.«

Mutter Cabeça wusste sehr wohl, was die beiden vorhatten. Bevor sie loszogen, kam Vater Cabeça immer auf die Straße und grunzte dem Sohn zwei oder drei Ratschläge zu, immer dieselben. Er schien aus der Brust zu sprechen, die Stimme kam dumpf mitten aus den Rippen, ohne Silben, eine Masse von Tönen. Der Sohn hörte ihm mit gesenktem Kopf voller Respekt und Gehorsam zu. Auf seinem Moped sitzend, besah sich Catarino diese Szene, als würde er sie im Fernsehen verfolgen, halb verdutzt, halb träge. Dann fuhr er brausend davon. Im Rücken spürte er Armindo Cabeça sich am Sitz festklammern, geduckt, die Füße auf die Fußraster gestemmt.

Als er die Haustür öffnete, kam ihm Suppengeruch entgegen. Kaum hatte die Großmutter ihn wahrgenommen, ging sie ihm schon nach und stellte Fragen. Er versuchte ihr zu entkommen, aber je mehr er sie ignorierte, desto weniger ließ sie ihn in Ruhe. Madalena starrte hypnotisiert auf den Fernseher. Er ging mit der Großmutter vorüber, als wäre sie ihm ans Bein gebunden. Madalena schwieg weiter, sie wandte sich ab, zog die Augenbrauen hoch und versäumte kein einziges Wort, keine einzige Geste der Telenovela. Manchmal ging Catarino ins Badezimmer und schloss sich ein. Und die Großmutter redete durch die geschlossene Tür auf ihn ein. Wenn er es wieder verließ, war sie zur Stelle und wartete auf ihn, frischen Mutes, als hätte sie sich still und heimlich ausgeruht.

Bei zwei oder drei Gelegenheiten gab er zu, die Jagdflinte mitzunehmen.

»Nuno Filipe, ich bitte dich um alles in der Welt. Warum tust du mir das an, Nuno Filipe? Willst du mich unter der Erde sehen, willst du das? Da brauchst du dich gar nicht zu plagen, denn es fehlt nicht mehr viel. Verflucht sei die Stunde, als dein Vater diese Waffe ins Haus gebracht hat, verflucht sei sie. Wenn du mich unter der Erde sehen willst, dann nimm die Flinte oder richte sie gleich auf mich. Es ist das Beste, du schießt gleich auf mich und machst Schluss damit, denn ich halte das nicht mehr aus.«

Die Großmutter heulte. Es hatte keinen Sinn, es ihr zu erklären. Sie verstand es nicht. So blieb ihm nichts anderes übrig, als seine besten Tricks anzuwenden und ihr etwas vorzumachen. Auf der Straße wartete Armindo Cabeça nie weniger als eine halbe Stunde, bis er Catarino mit der Jagdflinte und dem Plastiksack voll Patronen kommen sah.

Auf der Straße den Fußballplatz entlang, nach dem letzten Pfosten des Dorfes, tat ihm das Moped leid. Er mochte es, als wäre es ein Mensch oder ein Tier. In Gedanken führten sie lange Gespräche, wie in einer Art Liebschaft. Als er es kaufte, gab er ihm gleich einen Namen. Er nannte es Famélia: nach der Marke Famel und dem Namen der Großmutter, Amélia. Es begann mit einem Spaß, den er sich mit der Großmutter machte, blieb aber dann dabei. Mit dem Gebrauch verlor der Name langsam seinen Witz und seine Eigenart. Die Großmutter mochte ihn trotzdem nicht.

Famélia war nobel. Wenn Catarino in eine Erdstraße einbog, konnte er sich bei den letzten Häusern rechts und links, in der Härte der Nacht ohne Lichter, außer denen der Scheinwerfer, einen Begriff davon machen, wie sehr sich Famélia mit ihrer Last plagte. Plötzlich schien ihm die Straße viel zu lang.

Diesem Stich im Herzen vorgreifend, brachte er den Nachmittag in der Werkstatt von João Paulo zu. Aus einer Laune heraus bat er ihn, die Bremsseile zu ölen, die Kugellager zu überprüfen, die Antriebskette, den Vergaser, die Ventile, den Filter und alles, was ihm einfiel. Weder benötigten die Bremsseile eine Ölung noch brauchte irgendein anderes Teil eine Wartung. Was Catarino wirklich wollte, war, dass Famélia sich gut behandelt fühlte, die Sorgfalt genoss, mit der João Paulo sie betrachtete; er legte Wert darauf, dass sie sich darin gefiel, zur Schau gestellt, von den beiden gerühmt zu werden, während sie über sie sprachen, ohne den Blick von ihr abzuwenden.

Catarino wusste, dass João Paulo ihn verstand. Die Eltern in Frankreich, war er als eine Art Waise damit aufgewachsen, auf den Freund zu zählen. Die zwei Jahre, die João Paulo ihm voraus war, ersparten Catarino vier Jahre Prügel. In die Grundschule trat er als Wildfang ein und er war nicht zu bändigen. Die Älteren hatten es auf ihn abgesehen und João Paulo musste ihm praktisch jeden Tag zu Hilfe eilen. Später dann in der Telescola, die Kinder in entlegenen Dörfern mittels Fernseher unterrichtete, konnte er sich schon selber helfen. Und in der Sekundarstufe in Ponte de Sor war es nicht mehr nötig, auf ihn aufzupassen. João Paulo versuchte es dort zwar noch ein ganzes Jahr, doch es ging schief und er wiederholte nicht. Und Catarino besuchte die siebte Schulstufe erst gar nicht, wollte es nicht. Doch trotz dieser Verwandtschaft ohne Bezeichnung bezahlte Catarino jede Minute, die João Paulo rund um das Moped verbrachte.

Er war überzeugt davon, dass die Schüsse irgendetwas in seinem Kopf zum Bersten brachten. Abgesehen von den Ohrenschmerzen versetzte es ihm nach jedem Schuss an irgendeiner Stelle im Gehirn einen Stich, eine verrostete Stecknadel, die es durchbohrte. Armindo war ein guter Schütze, hatte ein gutes Auge, aber das Geschick, mit dem Catarino das Moped lenkte, war schließlich für den Erfolg dieser Nächte ausschlaggebend.

Den ersten Hasen erlegten sie, noch bevor sie den Wald erreichten. Abseits der Straße fuhren sie einen Weg entlang, der hinauf in die Serra führte. Sie fuhren ein paar Hundert Meter, drei oder vier, und da war der Hase mitten auf dem Abhang, die Löffel gespitzt, völlig verdutzt. Er fiel mit einem einzigen Schuss, von Bleikugeln durchsiebt, die es vor der Pfanne Stück für Stück zu suchen gelten würde. Es war ein junges Tier. Armindo steckte den Hasen in den Jutesack und klemmte ihn wie üblich zwischen sie beide. Es war noch keine Stunde vergangen und schon hatten sie fünf Hasen im Sack. Noch warm, spürte Catarino sie im Rücken, Armindo auf dem Bauch.

Nach einer Stunde auf dem Berg spürte Catarino bereits die Schwielen auf der Hand, die den Griff der Rückbremse umklammerte, vibrieren. Im Halbdunkel musste er Unmengen von Zistrosensträuchern ausweichen, Steinbrocken, die es zuhauf gab, Eukalyptusbäumen verschiedener Größe, die dort wild wuchsen, und, was noch schwerer war, auf die Unebenheiten des Geländes gefasst sein. Der junge Cabeça hielt sich über die Hüften im Gleichgewicht, machte den Körper starr, bis auf die Arme, stets zum Schießen bereit, und bis auf die rechte Schulter, an der die Flinte ruhte, stets alles im Visier, was vor ihnen auftauchte. Famélia war guter Dinge, war schon nicht mehr das müde Moped, das sich die Straße den Fußballplatz entlang hinaufgemüht hatte. Voll Begeisterung fuhr sie bergauf und bergab, über Gänge geschaltet, reduzierte die Geschwindigkeit, zeigte dann plötzlich in ihrem Scheinwerferlicht einen Hasen und gab somit den Schuss frei. Bisweilen versank das Vorderrad in Tümpeln von Dunkelheit, die sich als Schlaglöcher herausstellten. Für einen Moment hatten die beiden keinen Boden unter den Füßen, dann rutschte ihnen das Herz in die Hose, aber schon im nächsten Moment fingen sie sich wieder.

Sie überquerten die Serra und fuhren fast bis ins Tal, ins Vale das Mós, blieben jedoch abseits des Kiesweges und auch der Wassertränken für die Tiere, obwohl Catarino danach war, seinen Mund zu befeuchten. Der alte Justino, der oben auf dem Hasenkopf, im Gehöft Cabeça do Coelho, hauste, war nicht mehr ganz richtig im Kopf. Es war ihm nicht zu dumm, sich hinter einer Steineiche zu verstecken. In diesem Fall war es nicht einmal das Schlimmste, eine Patronenladung Steinsalz von ihm abzubekommen, wie er es mit den Knirpsen hielt, die hinter den Spatzen her waren. Der alte Justino war eine echte Gefahr, er war maßlos bösartig und niemand wusste, was in seinem Kopf vorging. Deshalb drehte Catarino eine Schleife und kurvte wieder die Serra hinauf, obwohl das Gehöft Cabeça do Coelho in einiger Entfernung lag. Auf diesem mühsamen Weg kam ihnen eine Wildsau ins Licht, die, umgeben von ihren Frischlingen, unter einer Korkeiche verharrte. Catarino zögerte. Die beiden Burschen und die Wildsau blickten einander einen Moment lang an, dann änderte Catarino die Richtung.

Sie hatten keine Uhr dabei. Es war tiefe Nacht. Sie hörten auf, als sie nach Catarinos Berechnungen bereits zwanzig Hasen erlegt hatten. Das war eine gute Zahl, damit ließ sich gut rechnen: fünfzehn für Catarino, fünf für Armindo Cabeça. Das war die Rechenmethode, die sie vereinbart hatten: drei Viertel für den einen und ein Viertel für den anderen.

Catarino fuhr auf den Fußballplatz, stellte im Bereich des unteren Tors den Motor ab und stieg vom Moped. Mithilfe des angezündeten Feuerzeugs spähte er ins Innere des Sacks, als würde er in einen Brunnen blicken. Ohne es auszumachen, zündete er sich eine Zigarette an. Cabeça nahm auch eine an, sie war ja gratis. Nachdem Catarino die Hasen gezählt hatte, dabei den Arm bis zum Grund des Sacks eintauchte, die weichen Felle sich an seinen Handrücken schmiegten, blickte er um sich, die Augen hatten sich bereits an die Nacht gewöhnt.

Als sie dort standen, nun ohne Jagdfieber, mit erlahmten Kräften, konnten sie die Kälte spüren. Catarino war besser geschützt, trotzdem drang die Kälte durch die Cordjacke und das Kunstfellfutter, sie drang durch den Wollpullover, das Flanellhemd und das mit zwei Knöpfen bis oben geschlossene Baumwollunterhemd. Um es der eisigen Januarnacht heimzuzahlen, stießen sie Rauchwolken aus und danach aus den befreiten Lungen ebenso dichte Wolken aus Atemluft.

Die Kälte und die Stille existierten zur gleichen Zeit und nahmen denselben Raum ein. Es gab keine Grenze zwischen der Kälte und der Stille. Bisweilen gingen sie ineinander über.

Über dem Fußballplatz war der Himmel weiter. Mit dem Himmel nahm auch die Nacht zu. Mit der Nacht nahm zu, was geschehen konnte. Das aber war reine Theorie, denn das einzige dort wahrnehmbare Geschehen war der drückende Schwefelgestank. Catarino kam in den Sinn, dieser Gestank könne vom Schießpulver herrühren. Trotz Cabeças sparsamer Treffsicherheit hatten sie reichlich Patronen verbraucht. Doch nein, er kam von diesem Ding ohne Namen, ganz in der Nähe, hinter ein paar Hügeln.

Catarino versuchte, ein Gespräch darüber in Gang zu bringen. Er stellte Fragen, doch als Antwort bekam er nur diese Mixtur aus Kälte und Stille, die, als würde sie aus dem dunklen Grund des Himmels schweben, sich über den Fußballplatz senkte, sich über Verlassenheit und Trostlosigkeit senkte: zwischen hohe Disteln und Gras, zwischen die von Rost überzogenen Tore, als wären sie schlecht verscharrte Kadaverknochen.

Armindo Cabeça hatte ihm geantwortet, doch seine Stimme war zaghaft, er hatte nur wenige Worte gewählt. Catarino hat sie mit seinen Ohren, in denen es noch von den Schüssen sauste, nicht gehört.

 

Im Hause Cabeça waren noch alle wach, der noch laufende Fernseher brüllte Werbesprüche hinaus. An der Tür teilte Catarino die Hasen auf und deponierte den Sack vorn auf dem Tank, zwischen seinen Armen. Er brauste durch die Straßen und Gassen, durfte sich mit dem fast vollen Sack nicht erwischen lassen, doch auch ohne diesen Sack wäre er nicht langsamer gefahren.

Als er das Tor öffnete und mit Famélia in die Garage fuhr, war es schon nach eins. Die war so groß, dass das Auto seines Vaters nicht einmal die Hälfte des Raumes einnahm, da war noch für vieles Platz. Trotzdem regte sich Catarino ständig darüber auf, dass es dort herumstand. Jeden Juli kam sein Vater mit einem anderen Auto. Es hätte mehr gebracht, diese Schrottkarre auszuschlachten und die brauchbaren Teile zu verkaufen. Dort in der Garage stand sie im Weg. Der Vater sagte, er würde ihm das Auto überlassen, doch darauf gab er nicht einmal eine Antwort. Er hatte nicht die Absicht, damit zu fahren, hatte keinerlei Interesse an Autos.

Er hatte eben die Pfoten der Hinterläufe des ersten Hasen mit Draht zusammengebunden, als Madalena in der Garagentür zum Hof auftauchte: in einem Flanellschlafrock, schweigend, mit trüben Augen, zerzaustem Haar. Gleich darauf kam die Hündin, Dona Xepa, die auch nur Dona oder nur Xepa genannt wurde, herein und strich seine Beine entlang. Die Plastikbänder des Fliegenvorhangs und die Nacht im Rücken, lehnte sich Madalena an den Türstock und rührte sich nicht. Mit der Messerspitze machte Catarino rund um die Pfoten des Hasen einen Schnitt. Versetzte ihm noch ein paar weitere ganz exakte Schnitte, als würde er eine Zeichnung anfertigen. Dann führte er seine Fingerspitzen unter das Fell und zog es in einem Zug ab, zog das Tier nackt aus, löste ihm die Kleidung vom Körper. Madalena beobachtete aufmerksam seine Arbeit, achtete jedoch noch mehr auf ihn, und die Augen wieder auf das Tier gerichtet, wurde ihr bei der Vorstellung bange, in flagranti erwischt zu werden. Catarino spürte diesen Blick, er kümmerte sich nicht darum und fuhr fort, dem Hasen das Fell abzuziehen, als würde er auf einer Bühne Kunststücke zeigen, mit vor Stolz glühenden Augen. Er trennte ihm die Vorderpfoten ab, als würde er ihn modellieren, er schnitt die Ohren und das Kopffell ab, ließ ihm die riesigen Augen weit geöffnet, angstverzerrt in seinem mageren Körper, im rohen Fleisch. Er trennte ihm die Hinterpfoten ab und warf ihn in eine Tonschüssel.

Auf einem Ball in Vale de Açor vor eineinhalb Jahren hatte der Besitzer des Plattenspielers irgendeine Discomusik aufgelegt. Catarino tanzte gerne eng, aber er hüpfte auch gerne beim Tanzen herum, wobei er abwechselnd den linken und den rechten Fuß nach vorn schnellen ließ, als würde er seine neuen Schuhe vorzeigen. So sprang er mitten auf die Tanzfläche. In einer Ecke der Halle war eine Bar eingerichtet, mit Bierflaschen, von denen sich die Etiketten lösten, aus Kühlboxen mit geschmolzenem Eis gefischt. Catarino wusste nicht mehr, wie viel er getrunken hatte. Allein und bierselig auf der Tanzfläche, zog er seine übliche Choreografie ab: die Füße und die Hände, die Arme. Er folgte dem Rhythmus der Musik, jedoch mit einer Spur von Phasenverschiebung.

In dem Moment, in dem die Gitarren besonders schrill dröhnten, das Schlagzeug außer Rand und Band geraten war, spürte Catarino, wie er mit dem Ellenbogen an irgendetwas stieß. Als er sich umwandte, sah er schon nur mehr, wie Madalena, nach vorn gebeugt, sich die Nase hielt, ihr dabei Rinnsale von Blut durch die Finger liefen. Da konnte er an seinem Ellenbogen plötzlich wieder Madalenas Nasenknorpel spüren, wie er zermalmt knackte. Die Bierseligkeit war ihm mit einem Mal von der Haut gewaschen, elektrisiert durch einen Schlag, der ihn von oben bis unten durchfuhr.

Die Mädchen von Vale de Açor umringten Madalena und riefen ihren Namen, als würde alles gut werden, wenn sie ihn ständig wiederholten. Ihr Körper war außer Gefecht gesetzt, war zu nichts imstande. Die Musik spielte kurz weiter, bis die Nadel abrupt von der Platte gehoben wurde. Außer den Freundinnen rundum war da nichts und niemand. Sie fassten Madalena an den Schultern und führten sie von der Tanzfläche. Als sie sich entfernte, tropfte bräunliches Blut auf die Bodenfliesen. Catarino versuchte etwas zu sagen, doch niemand hörte ihm zu.

Im folgenden Monat, Anfang Mai, gingen sie dann miteinander. Catarino kam mit dem Moped nach Vale de Açor und war schon bei den Knirpsen bekannt, die auf der Straße Fußball spielten und sich so gut wie möglich an die Wand drückten. Das galt auch für die Frauen, die mit ihren Einkaufstaschen nach Hause gingen, und auch für die armen Männer, die ihren Karren lenkten und die Esel mit besänftigender Stimme und geschickter Zügelführung beruhigen mussten, wenn er sie im Vorüberfahren streifte. So kam es, dass man ihn in Vale de Açor bald den Verrückten aus Galveias nannte.

»Zur Seite! Da kommt der Verrückte aus Galveias!«

Madalena bildete sich etwas darauf ein, doch sie zeigte es nicht. Wenn er mit einem Burschen aus Vale de Açor aneinandergeriet und ihn zu einem Wettrennen herausforderte, tat sie so, als würde sie ihn davon abhalten, tat so, als wäre sie böse. Wenn er dann, flach wie ein Brett auf Famélia liegend gewann, klatschte sie leisen Beifall, drehte sich nach der einen und nach der anderen Seite zu den Freundinnen um und grinste ihnen zu. Und wenn er dann beim Abnehmen des Helms ganz zerrauft, sanft näher kam, um das wahnsinnige Tempo zu kompensieren, tat sie noch immer so, als wäre sie böse, ließ jedoch ein Lächeln entschlüpfen. So war es auch, als sie in einem abendlichen Schlupfwinkel, an den kalten Kalk gelehnt, so tat, als wollte sie seine Küsse nicht, und auch nicht seine Hände in ihrem Büstenhalter.